Schwerbehindertenrecht und Inklusion

Praxiswissen für Schwerbehindertenvertreter, Betriebs- und Personalräte Praxiswissen für Schwerbehindertenvertreter, Betriebs- und Personalräte

21.02.2019 Aufrufe

Schwerbehindertenrecht und Inklusion praxiswissen für schwerbehindertenvertreter, betriebs- und personalräte online unter: sui-web.de 2. JAHRGANG ISSN 2511-5995 12 | 2018 Fünf Fragen zu den Kosten der SBV | Seite 2 verfahren bei kündigungen Rechte von Vertrauensperson, Betriebs- und Personalrat | Seite 3 Musterschreiben: Stellungnahme zur Kündigung an den Arbeitgeber | Seite 5 Inklusionsvereinbarung – Wer kann sie abschließen? | Seite 6 Rechtsprechung: Was das Integrationsamt bei einer Kündigung prüft | Seite 7 Rechtsprechung: Wann muss der Arbeitgeber die SBV anhören? | Seite 8 } Exklusiv für Sie als Abonnent: Ihre Online- Datenbank unter www.sui-web.de Das müssen Sie wissen Sigrid Britschgi, Rechtsanwältin Christian Köhler, Jurist, Bund-Verlag spitzenwahl der sbv Als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen wählen Sie nun Ihre Vertreter auf Unternehmensebene. Die nächste Wahl der Gesamt- SBV findet vom 1.12.2018 bis 31.1.2019 statt. Zeitgleich wählen die Vertrauenspersonen im öffentlichen Dienst die Bezirks-SBV (§ 180 Abs. 7 SGB IX). Mehr dazu lesen Sie in SuI 9/2018, S. 2 – 3. zugang für blinde Sehbehinderte Menschen er halten leichteren Zugang zu urheber rechtlich geschützten Büchern und anderen Werken. Der Bundestag hat am 18.10.2018 den »Vertrag von Marrakesch« umgesetzt. Blindenbibliotheken dürfen nun auch ohne Erlaubnis der Rechteinhaber barrierefreie Kopien in Blindenschrift bereitstellen. kostenlos auf die fähre Schwerbehinderte Menschen nutzen mit Merkzeichen und Wertmarke den Nah ver kehr unentgeltlich (§ 145 SGB IX). Dazu gehören nach neuer Rechtsprechung neben Bus und Regionalzug auch Schiffe, die Nach barorte im Fährverkehr verbinden – etwa die Fähre zwischen Borkum und Emden (BVerwG 27.9.2018 – 5 C 7.17).

<strong>Schwerbehindertenrecht</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Inklusion</strong><br />

praxiswissen für schwerbehindertenvertreter,<br />

betriebs- <strong>und</strong> personalräte<br />

online unter:<br />

sui-web.de<br />

2. JAHRGANG<br />

ISSN 2511-5995<br />

12 | 2018<br />

Fünf Fragen zu den Kosten der SBV | Seite 2<br />

verfahren bei kündigungen<br />

Rechte von Vertrauensperson,<br />

Betriebs- <strong>und</strong> Personalrat | Seite 3<br />

Musterschreiben: Stellungnahme zur<br />

Kündigung an den Arbeitgeber | Seite 5<br />

<strong>Inklusion</strong>svereinbarung – Wer kann<br />

sie abschließen? | Seite 6<br />

Rechtsprechung: Was das Integrationsamt<br />

bei einer Kündigung prüft | Seite 7<br />

Rechtsprechung: Wann muss der<br />

Arbeitgeber die SBV anhören? | Seite 8<br />

} Exklusiv für Sie als Abonnent: Ihre Online-<br />

Datenbank unter www.sui-web.de<br />

Das müssen Sie wissen<br />

Sigrid Britschgi,<br />

Rechtsanwältin<br />

Christian Köhler,<br />

Jurist, B<strong>und</strong>-Verlag<br />

spitzenwahl der sbv<br />

Als Vertrauensperson der<br />

schwerbehinderten Menschen<br />

wählen Sie nun Ihre Vertreter<br />

auf Unternehmensebene. Die<br />

nächste Wahl der Gesamt- SBV<br />

findet vom 1.12.2018 bis 31.1.2019<br />

statt. Zeitgleich wählen die<br />

Vertrauenspersonen im öffentlichen<br />

Dienst die Bezirks-SBV<br />

(§ 180 Abs. 7 SGB IX). Mehr dazu<br />

lesen Sie in SuI 9/2018, S. 2 – 3.<br />

zugang für blinde<br />

Sehbehinderte Menschen<br />

er halten leichteren Zugang<br />

zu urheber rechtlich geschützten<br />

Büchern <strong>und</strong> anderen<br />

Werken. Der B<strong>und</strong>estag hat<br />

am 18.10.2018 den »Vertrag<br />

von Marrakesch« umgesetzt.<br />

Blindenbibliotheken dürfen nun<br />

auch ohne Erlaubnis der Rechteinhaber<br />

barrierefreie Kopien<br />

in Blindenschrift bereitstellen.<br />

kostenlos auf die fähre<br />

Schwerbehinderte Menschen<br />

nutzen mit Merkzeichen <strong>und</strong><br />

Wertmarke den Nah ver kehr<br />

unentgeltlich (§ 145 SGB IX).<br />

Dazu gehören nach neuer<br />

Rechtsprechung neben Bus <strong>und</strong><br />

Regionalzug auch Schiffe, die<br />

Nach barorte im Fährverkehr<br />

verbinden – etwa die Fähre<br />

zwischen Borkum <strong>und</strong> Emden<br />

(BVerwG 27.9.2018 – 5 C 7.17).


aktuelles<br />

INFORMATIONSDIENST 12 | 2018<br />

5 Fragen zu den Kosten der SBV<br />

WICHTIG<br />

Kostentragungspflicht<br />

bedeutet<br />

nicht, dass der<br />

Arbeit geber in<br />

jedem Fall vor einer<br />

Ausgabe zustimmen<br />

muss. Im Zweifel<br />

<strong>und</strong> vor allem bei<br />

ungewöhnlichen<br />

Aufwendungen sollten<br />

Sie sich zuvor<br />

mit dem Arbeitgeber<br />

abstimmen.<br />

HINWEIS<br />

Der Auftrag an<br />

einen Rechtsanwalt,<br />

Ansprüche der SBV<br />

gerichtlich durchzusetzen,<br />

bedarf<br />

kei ner Zustimmung<br />

des Arbeitgebers.<br />

Sie dürfen das Verfahren<br />

darf nur nicht<br />

mutwillig oder ohne<br />

Aussicht auf Erfolg<br />

einleiten (siehe<br />

dazu auch den Tipp<br />

auf S. 6).<br />

kostenübernahme Der Arbeitgeber oder Dienstherr muss die durch die Arbeit der<br />

SBV entstehenden Kosten tragen. Aber Vorsicht! Nicht alle Kosten sind erforderlich.<br />

Hier lesen Sie, worauf Sie achten müssen.<br />

1. Welche Kosten trägt der Arbeitgeber?<br />

Der Arbeitgeber hat die erforderlichen Kosten<br />

der SBV zu tragen (§ 179 Abs. 8 SGB IX).<br />

Das bedeutet, die Vertrauensperson der<br />

schwerbehinderten Menschen muss jede<br />

Ausgabe vorab einschätzen. Wann sie Kosten<br />

(etwa für Schulungen, Sachmittel etc.) für erforderlich<br />

halten darf, lässt sich mit einigen<br />

Kontrollfragen beantworten.<br />

kontrollfragen<br />

··<br />

Fallen die Kosten durch Wahrnehmen<br />

einer gesetzlichen Aufgabe der SBV an?<br />

··<br />

Ist die kostenpflichtige Maßnahme<br />

geeignet, die Aufgabe zu fördern?<br />

··<br />

Lässt sich die Aufgabe auf eine günstigere<br />

Weise ebenso wirksam erfüllen?<br />

··<br />

Unter Betrachtung aller Umstände:<br />

Ist der Kostenaufwand noch verhältnismäßig<br />

für das Ziel der Maßnahme?<br />

2. Gibt es eine Aufwandsentschädigung?<br />

Ja, bei öffentlichen Arbeitgebern kann der<br />

Vertrauensperson eine Pauschale zustehen.<br />

Mit Wirkung ab dem 30.12.2016 gelten für<br />

öffentliche Arbeitgeber im Verhältnis zur<br />

SBV »die Kostenregelungen für Personalvertretungen<br />

entsprechend« (§ 179 Abs. 8 S. 1,<br />

2. Halbsatz SGB IX). Haben vollständig freigestellte<br />

Personalratsmitglieder Anspruch auf<br />

eine monatliche Pauschale, besteht dieser<br />

auch für die SBV. Den Anspruch gewährt eine<br />

Verordnung nach dem B<strong>und</strong>espersonalvertretungsgesetz<br />

(BPersVG) oder dem des jeweiligen<br />

Landes.<br />

3. Muss die SBV Reisekosten vorleisten?<br />

Nein. Der Vertrauensperson dürfen weder Vornoch<br />

Nachteile entstehen. Daher kann sie<br />

für voraussichtlich erforderliche Kosten vom<br />

Arbeit geber einen angemessenen Vorschuss<br />

verlangen.<br />

4. Was gilt für Sachverständige?<br />

Die Inanspruchnahme eines Sachverständigen<br />

ist erlaubt, sofern sie erforderlich ist. Die SBV<br />

muss aber zuvor alle internen Möglichkeiten<br />

ausschöpfen, z.B. sachverständige Stellen im<br />

Betrieb oder der Dienststelle. Ebenso muss sie<br />

zuvor versuchen, offene Fragen mithilfe der<br />

Rehabilitationsträger, dem Integrationsamt<br />

oder der B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit zu klären.<br />

Reichen diese Informationsquellen nicht aus,<br />

kann die SBV verlangen, dass der Arbeitgeber<br />

mit ihr vereinbart, einen Sachverständigen zu<br />

beauftragen. Verweigert der Arbeitgeber eine<br />

solche Vereinbarung, kann die SBV seine Zustimmung<br />

gerichtlich ersetzen lassen.<br />

5. Welche Gerichte sind zuständig?<br />

EXPERTENRAT<br />

Ob es für die Höhe<br />

der SBV-Pauschale<br />

in NRW nur auf die<br />

Anzahl der schwerbehinderten<br />

<strong>und</strong><br />

gleichgestellten<br />

Beschäftigten<br />

ankommt, wird die<br />

Recht sprechung<br />

noch klären müssen.<br />

diese pauschalen gibt es<br />

··<br />

B<strong>und</strong>: 26 Euro im Monat<br />

··<br />

Rheinland-Pfalz: 30 Euro im Monat<br />

··<br />

Nordrhein-Westfalen: Von 51,20 EUR<br />

bis 2556,50 EUR jährlich (gestaffelt<br />

nach der Anzahl der Beschäftigten in<br />

der Dienststelle)<br />

Anmerkung: Nach der in NRW geltenden<br />

Verordnung dient die Pauschale vor allem<br />

zum Abdecken von Repräsentationskosten<br />

(z. B. Bewirtungen <strong>und</strong> Geschenke).<br />

Bei einem Rechtsstreit über die Kosten der<br />

Arbeit der SBV entscheiden ausschließlich die<br />

Arbeitsgerichte im Beschlussverfahren (§ 2a<br />

Abs. 1 Nr. 3a ArbGG). Rechtsprechung <strong>und</strong><br />

herrschende Meinung im Schrifttum sind sich<br />

einig, dass diese Zuständigkeitsnorm entsprechend<br />

auch für die Kosten der SBV gilt (BAG<br />

30.3.2010 – 7 AZB 32/09). Die Zuständigkeit<br />

besteht unabhängig davon, ob es sich um die<br />

SBV in einem Betrieb der Privatwirtschaft<br />

oder in einer Dienststelle handelt. v<br />

Sigrid Britschgi,<br />

Fachanwältin für Arbeitsrecht, Düsseldorf.<br />

2


INFORMATIONSDIENST 12 | 2018<br />

kündigung<br />

Kündigung – Wer macht was?<br />

beteiligung Will der Arbeitgeber Beschäftigte entlassen, für die Sie als SBV zuständig<br />

sind, müssen Sie schnell reagieren – <strong>und</strong> wissen, was der zuständige Betriebsrat oder<br />

Personalrat zu tun hat. Hier erhalten Sie einen Überblick über das Verfahren.<br />

Als Vertrauensperson der schwerbehinderten<br />

Menschen muss der Arbeitgeber Sie zwingend<br />

anhören, wenn er beabsichtigt, einem<br />

schwerbehinderten Menschen oder Gleichgestellten<br />

zu kündigen. Nach der Neuregelung<br />

durch das B<strong>und</strong>esteilhabegesetz (BTHG) ist<br />

die Kündigung sogar unwirksam, wenn die<br />

Beteiligung unterblieben ist (§ 178 Abs. 2<br />

SGB IX). Um dem Betroffenen bestmöglich<br />

zu helfen, müssen Sie mit dem zuständigen<br />

Betriebs- oder Personalrat zusammenarbeiten<br />

– <strong>und</strong> deren Beteiligungsrechte kennen.<br />

Pflicht zur Beteiligung<br />

Der Arbeitgeber oder Dienstherr muss die<br />

zuständigen Interessenvertretungen bei jeder<br />

Art von Kündigung beteiligen:<br />

• Ordentliche (fristgerechte) <strong>und</strong> außerordentliche<br />

(fristlose) Kündigungen<br />

• Änderungskündigungen<br />

• Kündigungen innerhalb der Warte- bzw.<br />

Probezeit von sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses<br />

Beim Beteiligungsverfahren gelten aber für<br />

jede Interessenvertretung unterschiedliche<br />

Voraussetzungen.<br />

Rechte des Betriebsrats<br />

Betriebsräte sind vor Ausspruch einer Kündigung<br />

anzuhören, sonst ist diese unwirksam<br />

(§ 102 Abs. 1 BetrVG). Bei einer ordentlichen<br />

Kündigung oder Änderungskündigung muss<br />

das Gremium dem Arbeitgeber seine Bedenken<br />

innerhalb einer Woche mitteilen, schriftlich<br />

<strong>und</strong> unter Angabe der Gründe. Bei einer<br />

außerordentlichen Kündigung verkürzt sich<br />

die Frist auf drei Tage (§ 102 Abs. 2 BetrVG).<br />

Kann der Betriebsrat der Kündigung aus einem<br />

im Gesetz genannten Gr<strong>und</strong> (§ 102<br />

Abs. 3 BetrVG) widersprechen, hilft das dem<br />

betroffenen Beschäftigten im Kündigungsschutzprozess:<br />

Er kann einen sogenannten<br />

besonderen Weiterbeschäftigungsantrag stellen<br />

(§ 102 Abs. 5 BetrVG). Ist der Antrag<br />

erfolgreich, muss der Arbeitgeber ihn auch<br />

nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum<br />

rechtskräftigen Abschluss des Gerichtsverfahrens<br />

weiterbeschäftigen. Weder dieser Widerspruch<br />

noch das Erheben von Bedenken<br />

hindern den Arbeitgeber allerdings daran, die<br />

Kündigung nach Anhörung des Betriebsrats<br />

erst einmal auszusprechen.<br />

definition<br />

Zustimmungsverfahren<br />

Bei einem schwerbehinderten oder<br />

gleichgestellten Beschäftigten muss der<br />

Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamts<br />

einholen, bevor er die Kündigung<br />

ausspricht (§ 168 SGB IX). Der Arbeitgeber<br />

kann wählen, ob er den Betriebsrat<br />

anhört, bevor er das Integrationsamt einschaltet<br />

oder nachdem das Integrationsamt<br />

der Kündigung zugestimmt hat.<br />

Rechte des Personalrats<br />

Ist ein Personalrat zuständig, richtet sich<br />

seine Beteiligung nach dem jeweils einschlägigen<br />

Personalvertretungsgesetz des B<strong>und</strong>es<br />

(BPersVG) oder der Länder (LPVG). Ein Beispiel<br />

ist das LPVG für Nordrhein-Westfalen<br />

(LPVG NRW): Bei ordentlichen Kündigungen<br />

bestimmt der Personalrat mit, bei außerordentlichen<br />

Kündigungen ist er anzuhören<br />

(§ 74 Abs. 1, 2 <strong>und</strong> 5 LPVG NRW). Ohne<br />

die Beteiligung ist die Kündigung unwirksam<br />

(§ 74 Abs. 3 LPVG NRW).<br />

Die Anhörungsfristen betragen in NRW<br />

in der Regel zwei Wochen bei einer ordentlichen<br />

Kündigung, drei Arbeitstage bei einer<br />

außerordentlichen Kündigung oder bei einer<br />

Kündigung innerhalb der Probezeit.<br />

Nach den Bestimmungen des BPersVG<br />

muss der Personalrat seine Einwendungen<br />

gegen eine ordentliche Kündigung innerhalb<br />

von zehn Arbeitstagen dem Dienststellenleiter<br />

mitteilen, sonst gilt seine Billigung als erteilt<br />

(§ 72 Abs. 2 BPersVG).<br />

Für die Beteiligung aller Personalräte gilt<br />

wie beim Betriebsrat: Beabsichtigt der Arbeit-<br />

EXPERTENRAT<br />

Der gesetzliche<br />

Kündigungsschutz<br />

beginnt, wenn das<br />

Arbeitsverhältnis<br />

länger als sechs<br />

Monate besteht (§ 1<br />

KSchG). Können sich<br />

Beschäftigte (noch)<br />

nicht auf das KSchG<br />

berufen, sind Formfehler<br />

bei der Anhörung<br />

ein wichtiger<br />

Angriffs punkt gegen<br />

die Kündigung.<br />

WICHTIG<br />

In den ersten sechs<br />

Monaten braucht<br />

der Arbeitgeber<br />

keine Zustimmung<br />

des Integrationsamts,<br />

um schwerbehinderten<br />

Beschäftigten zu<br />

kündigen (§ 173<br />

Abs. 1 SGB IX). Die<br />

SBV muss er dennoch<br />

vor Ausspruch<br />

der Kündigung<br />

anhören, sonst ist<br />

diese unwirksam!<br />

HINWEIS<br />

Für die Anhörungsfrist<br />

des Betriebsrats<br />

von drei Tagen<br />

zählen Kalendertage,<br />

nicht Arbeitstage!<br />

Erfolgt die Anhörung<br />

des Betriebsrats z.B.<br />

an einem Freitag,<br />

läuft die Frist zur<br />

Stellungnahme am<br />

folgenden Montag<br />

(24.00 Uhr) ab.<br />

3


kündigung<br />

INFORMATIONSDIENST 12 | 2018<br />

HINWEIS<br />

Mehr zum Zeitpunkt<br />

der Anhörung der<br />

SBV lesen Sie in der<br />

Besprechung des<br />

Urteils des ArbG<br />

Hagen (6.3.2018 –<br />

5 Ca 1902/17) in<br />

diesem Heft auf S. 8.<br />

WICHTIG<br />

Unterrichtet der<br />

Arbeitgeber Sie<br />

von der geplanten<br />

außerordentlichen<br />

Kündigung<br />

eines Mitarbeiter,<br />

umfasst dies nicht<br />

automatisch auch<br />

die ordentliche<br />

Kündigung. Kündigt<br />

der Arbeitgeber<br />

hilfsweise ordentlich,<br />

ohne die SBV<br />

auch dazu anzuhören,<br />

kann diese<br />

Kündigung unwirksam<br />

sein.<br />

EXPERTENRAT<br />

Teilen Sie als SBV<br />

dem Arbeitgeber<br />

vorsorglich mit, dass<br />

Sie eine (schriftliche)<br />

Stellungnahme<br />

abgeben<br />

wollen. Solange<br />

die Anhörungsfrist<br />

läuft, kann der<br />

Arbeitgeber weder<br />

die Zustimmung des<br />

Integrationsamts<br />

einholen noch die<br />

Kündigung aussprechen.<br />

geber, einen schwerbehinderten oder gleichgestellten<br />

Beschäftigten zu kündigen, muss<br />

das Integrationsamt vorher zustimmen (§ 168<br />

SGB IX). Auch hier kann der Arbeitgeber<br />

den Personalrat vor Einschalten des Integrationsamts<br />

anhören oder nachdem dieses seine<br />

Zustimmung erteilt hat.<br />

Anhörung der SBV<br />

Für die Anhörung der SBV bestehen auf den<br />

ersten Blick keine ausdrücklichen formalen<br />

Anforderungen (§ 178 Abs. 2 S. 1 <strong>und</strong> 3<br />

SGB IX). Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht (BAG)<br />

hat noch keine richtungsweisende verbindliche<br />

Entscheidung über das formale Verfahren<br />

getroffen. Nach überwiegender Auffassung<br />

gelten aber die folgenden Voraussetzungen.<br />

handlungspflichten<br />

Der Arbeitgeber muss drei Handlungspflichten<br />

erfüllen: Er muss<br />

··<br />

die SBV vor Ausspruch der Kündigung unverzüglich<br />

<strong>und</strong> umfassend unterrichten;<br />

··<br />

die SBV vor seiner Entscheidung anhören;<br />

··<br />

der SBV die getroffene Entscheidung<br />

unverzüglich mitteilen.<br />

Fristen für die Stellungnahme<br />

§ 178 Abs. 2 SGB IX bestimmt nicht, wie viel<br />

Zeit der Arbeitgeber der SBV für eine Stellungnahme<br />

zur beabsichtigten Kündigung einräumen<br />

muss. Nach einhelliger Auffassung muss<br />

der SBV aber genauso viel Zeit verbleiben, wie<br />

der jeweiligen weiter beteiligten Interessenvertretung,<br />

also dem Betriebs- oder Personalrat.<br />

SBV vor Integrationsamt<br />

Anders als beim Betriebs- oder Personalrat<br />

hat der Arbeitgeber keine Wahl, ob er die<br />

Vertrauensperson informiert, bevor oder<br />

nachdem er die Zustimmung des Integrationsamts<br />

zur Kündigung beantragt. Er muss<br />

die SBV zwingend vor dem Antrag an das<br />

Integrationsamt unterrichten <strong>und</strong> anhören.<br />

Stimmt das Integrationsamt nur unter Auflagen<br />

oder Bedingungen zu, muss der Arbeitgeber<br />

die SBV ein weiteres Mal anhören.<br />

Außerdem muss er die SBV unterrichten,<br />

sobald die Zustimmung erteilt ist <strong>und</strong> der<br />

Ausspruch der Kündigung bevorsteht. Nur<br />

bei einer außerordentlichen Kündigung darf<br />

der Arbeitgeber die SBV zeitgleich mit dem<br />

Arbeitnehmer unterrichten, da er die außerordentliche<br />

Kündigung unverzüglich aussprechen<br />

muss, wenn das Integrationsamt<br />

zugestimmt hat.<br />

inhalt der anhörung<br />

Der Arbeitgeber muss jeder Interessenvertretung<br />

diese Informationen geben:<br />

··<br />

Angaben zur Person des zu Kündigenden<br />

··<br />

Angaben zum besonderen Kündigungsschutz<br />

(Grad der Behinderung, Gleichstellungsbescheid)<br />

··<br />

Kündigungsart (ordentliche, außerordentliche,<br />

außerordentliche mit<br />

sozialer Auslauffrist, Änderungs- oder<br />

Beendigungskündigung)<br />

··<br />

Kündigungsgründe<br />

··<br />

Kündigungsfrist <strong>und</strong> Kündigungstermin<br />

Umfassende Information<br />

Die Information zum Kündigungssachverhalt<br />

muss so umfassend sein, dass sich die Vertrauensperson<br />

ohne eigene Nachforschungen<br />

eine Meinung bilden kann, ob die Kündigungsgründe<br />

plausibel sind. Der Arbeitgeber<br />

muss dabei die Umstände mitteilen, die seine<br />

Kündigungsabsicht tatsächlich bestimmt haben<br />

(sogenannte subjektive Determinierung).<br />

Für die Anhörung ist keine Schriftform vorgeschrieben.<br />

Da den Arbeitgeber aber die Darlegungs-<br />

<strong>und</strong> Beweislast trifft, wird er ohne<br />

eine schriftliche Information im Kündigungsschutzprozess<br />

nicht belegen können, dass er<br />

die Interessenvertretung ordnungsgemäß angehört<br />

hat.<br />

Gespräch mit dem Betroffenen<br />

Der Arbeitgeber ist – mit Ausnahme der<br />

sogenannten Verdachtskündigung – nicht<br />

verpflichtet, den Arbeitnehmer vor der Kündigung<br />

anzuhören. SBV, Betriebs- <strong>und</strong> Personalrat<br />

sollten den Betroffenen in jedem Fall<br />

persönlich anhören. Für den Betriebsrat ist<br />

dies im Gesetz vorgesehen (§ 102 Abs. 2 S. 4<br />

BetrVG). Auch Personalvertretungsgesetze<br />

enthalten vielfach diese Option (z.B. § 74<br />

Abs. 4 LPVG NRW). Für die Vertrauensperson<br />

besteht keine ausdrückliche Regelung.<br />

Praktisch ist aber eine sinnvolle Stellungnahme<br />

der SBV nur nach einem Gespräch mit<br />

dem betroffenen Beschäftigten möglich.<br />

4


INFORMATIONSDIENST 12 | 2018<br />

kündigung<br />

Wichtige Punkte für das Gespräch<br />

Im Fall einer krankheitsbedingten Kündigung<br />

sollte die Vertrauensperson mit dem Beschäftigten<br />

darüber sprechen, welche ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Einschränkungen er hat, wie die ärztliche<br />

Prognose aussieht <strong>und</strong> welche Hilfen<br />

alternativ zum Verlust seines Arbeits platzes<br />

in Betracht kommen. Vor einer Änderungskündigung<br />

ist im Gespräch zu klären, wie<br />

der Beschäftigte reagieren sollte: Dieser kann<br />

die Änderung der Arbeitsbedingungen annehmen,<br />

sie ablehnen oder »unter Vorbehalt der<br />

rechtlichen Überprüfung« annehmen. Bei<br />

einer betriebsbedingten Kündigung kann die<br />

Vertrauensperson nur durch Rücksprache mit<br />

dem Beschäftigten erklären, ob einer der gesetzlich<br />

vorgesehenen Widerspruchsgründe<br />

eingreift. v<br />

Sigrid Britschgi,<br />

Fachanwältin für Arbeitsrecht, Düsseldorf.<br />

Stellungnahme der SBV zur beabsichtigten ordentlichen<br />

Kündigung (Musterschreiben)<br />

SBV der Firma Mustermann<br />

An die Geschäftsleitung<br />

Firma Mustermann<br />

arbeitshilfe<br />

Ort, Datum<br />

WICHTIG<br />

Klären Sie mit dem<br />

Beschäftigten immer<br />

seine sozialen<br />

Umstände. Kennt<br />

der Arbeitgeber alle<br />

Unterhaltspflichten?<br />

Von Kindern<br />

wissen Betriebe<br />

oft nur, wenn ein<br />

Freibetrag für die<br />

Lohnsteuer eingetragen<br />

ist. Auch<br />

eine Unterhaltspflicht<br />

gegenüber<br />

pflegebedürftigen<br />

Eltern ist relevant.<br />

Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung des/der Mitarbeiter-/in Herrn/Frau ....<br />

Sehr geehrte Damen <strong>und</strong> Herren,<br />

Sie haben die Schwerbehindertenvertretung mit Scheiben vom ... davon unterrichtet, dass<br />

Sie beabsichtigen, beim Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung von<br />

Herrn/Frau ... zu beantragen. Als Vertrauensperson habe ich gegen diesen Antrag folgende<br />

Einwände: Herr/Frau ist seit dem ... in unserem Betrieb als ... beschäftigt. Er/Sie hat einen Grad<br />

der Behinderung von ... Die Behinderung stand bisher der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner/<br />

ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten nicht entgegen.<br />

Gegen die von Ihnen mitgeteilten Gründe für die Kündigung erhebe ich folgende Einwände:<br />

Betriebsbedingte Kündigungsgründe<br />

··<br />

Nicht oder nicht ausreichende Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte<br />

··<br />

Weiterbeschäftigungsmöglichkeit an einem anderen Arbeitsplatz<br />

··<br />

Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen<br />

··<br />

Weiterbeschäftigung zu geänderten Bedingungen<br />

··<br />

…<br />

Personen(krankheits)bedingte Kündigungsgründe<br />

··<br />

Positive Prognose hinsichtlich der ges<strong>und</strong>heitlichen Entwicklung<br />

··<br />

Betriebliches Eingliederungsmanagement nicht (ordnungsgemäß) durchgeführt<br />

··<br />

Mögliche Hilfen am Arbeitsplatz (z.B. ges<strong>und</strong>heitsfördernde Arbeitsmittel)<br />

··<br />

Finanzielle Fördermittel nicht geprüft<br />

··<br />

…<br />

Verhaltensbedingte Kündigungsgründe<br />

··<br />

Unzutreffende Darstellung des Sachverhalts<br />

··<br />

Unverhältnismäßigkeit einer Kündigung (Abmahnung als milderes Mittel)<br />

··<br />

…<br />

Aus diesen Gründen spreche ich mich als SBV gegen Ihren geplanten Antrag an das Integrationsamt<br />

auf Zustimmung zur Kündigung aus.<br />

Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen<br />

(Unterschrift Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen)<br />

Diese Arbeitshilfe finden Sie online unter: www.sui-web.de<br />

HINWEIS<br />

Führen Sie in der<br />

Stellungnahme Ihre<br />

Bedenken nicht nur<br />

schlagwortartig auf,<br />

sondern fassen Sie<br />

diese konkret, etwa:<br />

»Auf dieser Stelle,<br />

Abteilung könnten<br />

Sie den Mitarbeiter<br />

weiter beschäftigen«<br />

HINWEIS<br />

Das Integrations amt<br />

holt zur Kündigung<br />

auch Ihre Stellungnahme<br />

als SBV<br />

ein (§ 170 Abs. 2<br />

SGB IX). Sie können<br />

dabei noch ergänzen,<br />

ob der Arbeitgeber<br />

die Beschäftigungsquote<br />

für<br />

Schwerbehinderte<br />

einhält.<br />

5


aktuelles<br />

INFORMATIONSDIENST 12 | 2018<br />

Die <strong>Inklusion</strong>svereinbarung<br />

mitbestimmung SBV, Betriebs- <strong>und</strong> Personalrat können mit dem Arbeitgeber Vereinbarungen<br />

zugunsten der Beschäftigten treffen. Hier lesen Sie wie sich <strong>Inklusion</strong>s-,<br />

Betriebs- <strong>und</strong> Dienstvereinbarung rechtlich unterscheiden.<br />

DOWNLOAD<br />

In klu sionsvereinbarungen<br />

aus<br />

verschiedenen<br />

Branchen finden<br />

Sie unter www.reh<br />

adat-gutepraxis. de<br />

> <strong>Inklusion</strong>svereinbarungen.<br />

Achtung:<br />

Bis zum Jahr 2016<br />

getroffene Regelungen<br />

verwenden noch<br />

den alten Begriff<br />

»Integrationsvereinbarung«.<br />

WICHTIG<br />

Bitten Sie das<br />

Integrations amt um<br />

Vermittlung, bevor<br />

Sie das Arbeitsgericht<br />

einschalten.<br />

Sonst könnte<br />

der Arbeitgeber<br />

im Kosten streit<br />

behaupten, die SBV<br />

hätte nicht alle<br />

Möglichkeiten ausgeschöpft,<br />

Kosten<br />

für einen Rechtsstreit<br />

zu vermeiden.<br />

1. Beteiligte der Vereinbarungen<br />

Mit der <strong>Inklusion</strong>svereinbarung sollen der Arbeitgeber,<br />

die SBV sowie Betriebs- oder Personalrat<br />

für ihren Betrieb oder ihre Dienststelle<br />

<strong>Inklusion</strong>s- <strong>und</strong> Rehabilitationsziele festlegen<br />

<strong>und</strong> verfolgen (§ 166 SGB IX). Das Recht zum<br />

Einleiten der Verhandlungen (Initiativrecht)<br />

steht zuerst der SBV zu (§ 166 Abs. 1 S. 2<br />

SGB IX). Besteht keine SBV, liegt das Antragsrecht<br />

beim Betriebs- oder Personalrat (§ 166<br />

Abs. 1 S. 3 SGB IX). Partner der Betriebsvereinbarungen<br />

sind ausschließlich Arbeitgeber<br />

<strong>und</strong> Betriebsrat (§ 77 BetrVG). Gleiches gilt<br />

für Dienstvereinbarungen, die der Personalrat<br />

mit der Dienststelle verhandelt <strong>und</strong> abschließt<br />

(§ 73 BPersVG <strong>und</strong> entsprechendes Landesrecht).<br />

Die SBV kann nicht Partei einer Betriebs-<br />

oder Dienstvereinbarung sein.<br />

integrationsamt vermittelt<br />

Bei <strong>Inklusion</strong>svereinbarungen ist das Integrationsamt<br />

beteiligt. Arbeitgeber oder<br />

SBV können das Amt zur Teilnahme an den<br />

Verhandlungen einladen (§ 166 Abs. 1 S. 4<br />

SGB IX). Das Amt soll die Beteiligten beraten<br />

<strong>und</strong> bei unterschiedlichen Auffassungen<br />

vermitteln (§ 166 Abs. 1 S. 5 SGB IX).<br />

Unabhängig davon ist die fertige <strong>Inklusion</strong>svereinbarung<br />

an das zuständige Integrationsamt<br />

<strong>und</strong> die Agentur für Arbeit zu<br />

übermitteln (§ 166 Abs. 1 S. 6 SGB IX).<br />

2. Rechtsnatur der Vereinbarungen<br />

Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar<br />

<strong>und</strong> zwingend (§ 77 Abs. 4 BetrVG). Gleiches<br />

gilt für Dienstvereinbarungen. Das bedeutet,<br />

ihre normativen Regelungen gelten wie ein<br />

Gesetz für die Arbeits- <strong>und</strong> Dienstverhältnisse<br />

der Beschäftigten im Betrieb oder auf der<br />

Dienststelle, ohne dass dies im Arbeitsvertrag<br />

steht. Auch wenn der Betriebs- bzw. Personalrat<br />

sie mit dem Arbeitgeber abschließt,<br />

könnten sich einzelne Beschäftigte für ihre<br />

Rechte direkt auf die Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung<br />

berufen, um ihre Ansprüche<br />

durchzusetzen. Die Rechtsnatur der <strong>Inklusion</strong>svereinbarung<br />

ist umstritten. Zum Teil wird<br />

die Auffassung vertreten, es handele sich um<br />

eine Betriebsvereinbarung oder eine Regelungsabrede.<br />

Überwiegend wird die <strong>Inklusion</strong>svereinbarung<br />

jedoch als »kollektiver Vertrag<br />

eigener Art« angesehen (LAG Frankfurt<br />

17.1.2012 – 15 Sa 549/12). Im Gegensatz zur<br />

Betriebsvereinbarung bestimmt § 166 SGB IX<br />

jedenfalls nicht, dass die <strong>Inklusion</strong>svereinbarung<br />

unmittelbare <strong>und</strong> zwingende Wirkung<br />

hätte. Ein schwerbehinderter Beschäftigter<br />

kann allenfalls dann Ansprüche aus einer<br />

<strong>Inklusion</strong>svereinbarung ableiten, wenn diese<br />

eine ausdrückliche Regelung beinhaltet.<br />

3. Durchsetzen der Vereinbarung<br />

Der Arbeitgeber ist zwar auf Antrag der SBV<br />

verpflichtet, über Inhalte einer <strong>Inklusion</strong>svereinbarung<br />

zu verhandeln. Aber den Abschluss<br />

selbst kann die SBV – im Gegensatz<br />

zum Betriebsrat – nicht erzwingen. Nur ihren<br />

Verhandlungsanspruch kann sie gerichtlich<br />

durchsetzen. Zuständig ist dafür das<br />

Arbeitsge richt (LAG Köln 3.5.2005 – 9 TaBV<br />

76/04). Weigert sich der Arbeitgeber, eine<br />

<strong>Inklusion</strong>svereinbarung abzuschließen, stellt<br />

dies keine Ordnungswidrigkeit im Sinne von<br />

§ 238 SGB IX dar. v<br />

ziele abstimmen<br />

Sprechen Sie Ihre Ziele mit dem Betriebsrat<br />

ab! Dieser hat Mitbestimmungsrechte<br />

bei Ordnung <strong>und</strong> Verhalten im Betrieb <strong>und</strong><br />

beim Arbeits- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsschutz (§ 87<br />

Abs. 1 Nr. 1 <strong>und</strong> 7 BetrVG). Verweigert der<br />

Arbeitgeber in solchen Fragen eine <strong>Inklusion</strong>svereinbarung,<br />

ist auch eine erzwingbare<br />

Betriebsvereinbarung möglich.<br />

Sigrid Britschgi,<br />

Fachanwältin für Arbeitsrecht, Düsseldorf.<br />

6


INFORMATIONSDIENST 12 | 2018<br />

rechtsprechung<br />

Was das Integrationsamt prüft<br />

VG Bayreuth, 17.8.2017 – B 3 K 16.346<br />

kündigung Das Integrationsamt kann die Zustimmung zu einer außerordentlichen<br />

Kündigung nicht verweigern, weil ein Zusammenhang zwischen Behinderung <strong>und</strong><br />

Kündigung möglich ist. Das Amt muss diesen Zusammenhang im Einzelfall ermitteln.<br />

Die betroffene Arbeitnehmerin hat einen<br />

Grad der Behinderung von 50. Sie war Vertrauensperson<br />

der schwerbehinderten Menschen.<br />

Die Arbeitgeberin warf ihr vor, sie<br />

mehrfach unberechtigt wegen Ordnungswidrigkeiten<br />

bei der Agentur für Arbeit angezeigt<br />

zu haben. Der zuständige Betriebsrat<br />

stimmte der Kündigung zu, der Stellvertreter<br />

der Vertrauensperson hatte widersprochen.<br />

Die Arbeitgeberin beantragte beim Integrationsamt,<br />

der außerordentlichen Kündigung<br />

der Arbeitnehmerin wegen betrieblichen<br />

Fehlverhaltens zuzustimmen. Das Integrationsamt<br />

versagte seine Zustimmung. Im Bescheid<br />

führte das Integrationsamt aus, es sei<br />

nicht auszuschließen, dass die Kündigung<br />

im Zusammenhang mit der Behinderung der<br />

Arbeitnehmerin stehe. Dagegen legte die Arbeitgeberin<br />

Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid<br />

wurde. Die Arbeitgeberin<br />

erhob Klage gegen beide Bescheide. Sie beantragte<br />

beim Verwaltungsgericht (VG), das<br />

Integrationsamt zu verpflichten, der Kündigung<br />

zuzustimmen.<br />

Das sagt das Gericht<br />

Nach Ansicht des VG Bayreuth hat die Arbeitgeberin<br />

nur Anspruch auf einen neuen<br />

Bescheid, da das Verfahren noch nicht<br />

spruchreif ist. Das Gericht weist zunächst darauf<br />

hin, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis<br />

eines schwerbehinderten Menschen<br />

nur kündigen kann, wenn das Integrationsamt<br />

zustimmt (§ 168 SGB IX). Erfolgt die<br />

Kündigung aus einem Gr<strong>und</strong>, der nicht mit<br />

der Behinderung in Zusammenhang steht,<br />

»soll« das Amt die Zustimmung erteilen<br />

(§ 174 Abs. 4 SGB IX). Das bedeutet, das Integrationsamt<br />

hat in dieser Frage Ermessen<br />

<strong>und</strong> muss es auch ausüben.<br />

Der Zusammenhang zwischen Behinderung<br />

<strong>und</strong> Kündigungsgr<strong>und</strong>, den § 174 Abs. 4<br />

SGB IX verlangt, ist als Teil des Fürsorgeprinzips<br />

zu verstehen. Der öffentlich-rechtliche<br />

Sonderkündigungsschutz ist – gerade bei außerordentlichen<br />

Kündigungen – nicht dazu<br />

bestimmt, den schwerbehinderten Menschen<br />

zu bevorzugen. Er dient allein zum Ausgleich<br />

behinderungsbedingter Nachteile.<br />

Das bedeutet die Entscheidung für Sie<br />

Im vorliegenden Fall war der Bescheid an<br />

den Arbeitgeber rechtswidrig, weil das Integrationsamt<br />

ermessensfehlerhaft gehandelt<br />

<strong>und</strong> den für die Kündigung relevanten Sachverhalt<br />

unzureichend ermittelt hat. Stützt<br />

der Arbeitgeber die Kündigung auf ein (angebliches)<br />

Fehlverhalten <strong>und</strong> sieht das Integrationsamt<br />

dessen Ursachen auch in der<br />

Behinderung selbst, muss die Behörde den<br />

Zusammenhang zwischen der Behinderung<br />

<strong>und</strong> dem konkreten Fehlverhalten näher aufklären.<br />

Maßgeblich ist dabei, ob sich das Verhalten<br />

des betroffenen schwerbehinderten<br />

Menschen aus der Behinderung ergibt <strong>und</strong><br />

ein Zusammenhang zwischen dem vorgeworfenen<br />

Verhalten <strong>und</strong> der Behinderung nicht<br />

völlig fern liegt. Dem Verwaltungsvorgang<br />

ließ sich nicht entnehmen, ob das Integrationsamt<br />

diese Fragen selbst ermittelt hat. Das<br />

muss die Behörde nun in einem neuen Verfahren<br />

tun. v<br />

hintergr<strong>und</strong><br />

Die Vertrauensperson der schwerbehinderten<br />

Menschen besitzt den gleichen<br />

Kündigungsschutz wie ein Mitglied des<br />

Betriebsrats (§ 179 Abs. 3 SGB IX). Das<br />

bedeutet, dass der Betriebsrat im Falle<br />

der außerordentlichen Kündigung zustimmen<br />

muss (§ 103 Abs. 1 BetrVG). Das<br />

BAG hat bestätigt, dass es auch bei der<br />

Vertrauensperson auf die Zustimmung des<br />

Betriebsrats ankommt, nicht auf die der<br />

SBV (BAG 19.7.2012 – 2 AZR 989/11).<br />

Stelios Tonikidis,<br />

Jurist mit Schwerpunkt Arbeitsrecht, Mannheim.<br />

HINTERGRUND<br />

Spruchreife bedeutet<br />

in Gerichtsverfahren,<br />

dass der Sachverhalt<br />

nicht weiter aufgeklärt<br />

werden muss<br />

<strong>und</strong> das Gericht<br />

abschließend entscheiden<br />

kann (§ 113<br />

VwGO). Da der Sachverhalt<br />

hier noch<br />

nicht aufge klärt war,<br />

muss das Integrationsamt<br />

das Verfahren<br />

neu führen.<br />

EXPERTENRAT<br />

Das Integrationsamt<br />

prüft nicht, ob eine<br />

Kündigung arbeitsrechtlich<br />

zulässig ist;<br />

das ist Aufgabe der<br />

Arbeitsgerichte. Mit<br />

einer Ausnahme:<br />

Drängt sich jedem<br />

K<strong>und</strong>igen auf, dass<br />

die Kündigung<br />

unwirksam sein<br />

muss, kann das Amt<br />

den Antrag, ohne<br />

Zusammenhang mit<br />

der Behinderung<br />

ablehnen.<br />

HINWEIS<br />

Bestandteile dieser<br />

Ermittlungen des<br />

Integrationsamts<br />

können sein: Vorlage<br />

von ärztlichen<br />

Un ter lagen,<br />

Unterla gen, die der<br />

Fest stellung der<br />

Schwerbehinderung<br />

zugr<strong>und</strong>e lagen usw.<br />

7


echtsprechung recht-<br />

INFORMATIONSDIENST 12 | 2018<br />

sprechung<br />

8<br />

EXPERTENRAT<br />

Die Beteiligung<br />

des Betriebs- oder<br />

Personalrats darf<br />

zeitgleich oder<br />

später erfolgen,<br />

aber keinesfalls vor<br />

der Anhörung der<br />

SBV (mehr dazu<br />

auf S. 3 bis 4 dieser<br />

Ausgabe).<br />

GESETZ<br />

Der Arbeitgeber<br />

muss die SBV informieren,<br />

wenn er<br />

nach ihrer Anhörung<br />

eine Entscheidung<br />

getroffen hat (§ 178<br />

Abs. 2 S. 1 SGB IX).<br />

Nach bis heriger<br />

Rechtsprechung<br />

wird die Kündigung<br />

aber nicht unwirksam,<br />

wenn er dies<br />

unterlässt.<br />

HINWEIS<br />

Das Urteil ist noch<br />

nicht rechtskräftig.<br />

Die Berufung ist<br />

beim LAG Hamm<br />

unter dem Aktenzeichen<br />

15 Sa 426/18<br />

anhängig.<br />

Anhörung zur rechten Zeit<br />

ArbG Hagen, 6.3.2018 – 5 Ca 1902/17<br />

kündigung Der Arbeitgeber muss die SBV zur geplanten Kündigung eines schwerbehinderten<br />

Menschen anhören, bevor er den Antrag an das Integrationsamt stellt.<br />

Die Arbeitgeberin wollte der Klägerin, die<br />

einen GdB von 50 hat, im Rahmen einer<br />

Umorganisation eine Änderungskündigung<br />

aussprechen. Die Arbeitgeberin beantragte<br />

die dafür erforderliche Zustimmung beim Integrationsamt<br />

am 27.6.2017. Erst zwei Tage<br />

danach, am 29.6.2017, hörte die Arbeitgeberin<br />

die SBV zur beabsichtigten Kündigung an.<br />

Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage.<br />

Sie berief sich unter anderem auf eine fehlerhafte<br />

Anhörung der SBV.<br />

Das sagt das Gericht<br />

IMPRESSUM<br />

<strong>Schwerbehindertenrecht</strong> <strong>und</strong> <strong>Inklusion</strong><br />

Redaktion: Sigrid Britschgi,<br />

Christian Köhler<br />

Kontakt: redaktion@sui-web.de<br />

Autoren: Sigrid Britschgi, Kanzlei Bell &<br />

Windirsch, Britschgi & Koll., Düsseldorf;<br />

Stelios Tonikidis, B<strong>und</strong>-Verlag.<br />

Verleger: B<strong>und</strong>-Verlag GmbH<br />

Geschäftsführer: Rainer Jöde<br />

Geschäftsbereich Zeitschriften:<br />

Bettina Frowein (Leitung)<br />

ISSN 2511-5995<br />

Anschrift Verlag <strong>und</strong> Redaktion:<br />

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Tel. +49 (o)69/79 50 10-96<br />

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<strong>Schwerbehindertenrecht</strong> <strong>und</strong> <strong>Inklusion</strong><br />

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· Arbeitshilfen Online<br />

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einschließlich MwSt.<br />

Das Abonnement kann mit 6-wöchiger<br />

Frist zum Jahresende gekündigt werden.<br />

Der Arbeitgeber hat die SBV zu spät angehört.<br />

Die Anhörung der SBV muss vor dem<br />

Antrag auf Zustimmung des Integrationsamts<br />

zur Kündigung erfolgen. Die Kündigung war<br />

bereits aus diesem Gr<strong>und</strong> rechtsunwirksam.<br />

Der Arbeitgeber muss die SBV in allen Angelegenheiten<br />

schwerbehinderter Menschen<br />

unverzüglich <strong>und</strong> umfassend unterrichten<br />

<strong>und</strong> vor einer Entscheidung anhören; er hat<br />

ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich<br />

mitzuteilen (§ 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Neu<br />

geregelt wurde mit dem B<strong>und</strong>esteilhabegesetz<br />

(BTHG) darüber hinaus, dass die Kündigung<br />

eines schwerbehinderten oder gleichgestellten<br />

Menschen unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber<br />

die SBV nicht beteiligt hat (§ 178<br />

Abs. 2 S. 3 SGB IX). Sinn <strong>und</strong> Zweck der<br />

gesetzlichen Neuregelung sei, so das Arbeitsgericht,<br />

dass die SBV an der Willensbildung<br />

des Arbeitgebers vor Ausspruch der Kündigung<br />

mitwirken soll. Das kann sie nicht<br />

mehr, wenn der Arbeitgeber bereits zuvor den<br />

Antrag beim Integrationsamt gestellt hat <strong>und</strong><br />

damit der Willensbildungsprozess bereits verfestigt<br />

bzw. abgeschlossen ist.<br />

Der Arbeitgeber kann die unterbliebene<br />

Beteiligung der SBV auch nicht mehr nachholen.<br />

Nur Satz 2 von § 178 Abs. 2 SGB IX<br />

erlaubt die SBV nachträglich zu beteiligen,<br />

bevor der Arbeitgeber seine Entscheidung<br />

durchführt. Der neu eingefügte Satz 3 zur<br />

Anhörung bei Kündigungen verweist aber<br />

ausdrücklich nur auf Satz 1 von § 178 Abs. 2<br />

SGB IX, so dass der Arbeitgeber sein Versäumnis<br />

nicht mehr heilen kann.<br />

Das bedeutet die Entscheidung für Sie<br />

Die SBV sollte Beschäftigte immer darüber informieren,<br />

zu welchem Zeitpunkt sie angehört<br />

wurde <strong>und</strong> welche Angaben der Arbeitgeber<br />

gemacht hat. Der Arbeitnehmer kann dann<br />

entscheiden, wann er sich auf eine verspätete<br />

Anhörung der SBV beruft: Im Verfahren vor<br />

dem Integrationsamt oder erst später im Kündigungsschutzverfahren,<br />

falls das Integrationsamt<br />

der Kündigung zustimmt. v<br />

Sigrid Britschgi,<br />

Fachanwältin für Arbeitsrecht, Düsseldorf.<br />

Gestaltung <strong>und</strong> Satz:<br />

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