Betriebsrat und Mitbestimmung

Betriebsrat und Mitbestimmung | Praxiswissen für kleine Gremien und nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder Betriebsrat und Mitbestimmung | Praxiswissen für kleine Gremien und nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder

19.02.2019 Aufrufe

aktuelles INFORMATIONSDIENST 12 | 2018 Urlaub verfällt nicht immer urlaubsrecht Bis zum Jahresende muss jeder seinen Urlaub genommen haben. Sonst verfällt er. Ein Übertragen auf das Folgejahr ist die Ausnahme. Nun hat der EuGH entschieden: Hat der Beschäftigte gar keinen Urlaubsantrag gestellt, so bleibt der Urlaub erhalten. EXPERTENRAT Durch das neue EuGH- Urteil (siehe Infokasten) ist die Beweislage zu Guns ten der Beschäf tig ten deutlich besser geworden. Solange der Arbeit geber sie nicht explicit aufge fordert hat, den Urlaub auch zu nehmen, sind sie auf der sicheren Seite. Denn automatisch erlischt der Anspruch nicht mehr! Dass der Urlaub im laufenden Jahr zu nehmen ist, steht so in § 7 Abs. 3 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG). Der Urlaub dient der physischen und psychischen Regeneration der Arbeitnehmer. Daher ist wichtig, dass jeder seinen vollen Urlaub in jedem Jahr nimmt und sich erholt. Ein Übertragen des Urlaubs auf das Folgejahr ist – geht man streng nach Gesetz – nur im Ausnahmefall möglich. Es müssen »dringende betriebliche oder persönliche Gründe« vorliegen, damit Urlaub übertragen werden kann. Auch dann verfällt der Urlaub spätestens am 31. März. Gesetzliche Übertragungsgründe An die »dringenden betrieblichen Gründe« ist ein strenger Maßstab anzulegen. Es gelten: • Plötzlicher Arbeitsanfall • Hoher Krankenstand • Termin- oder saisongebundene Aufträge, die dem Urlaub entgegen stehen • Technische Probleme im Betriebsablauf Aber auch »persönliche Gründe« des Arbeitnehmers können ein Übertragen notwendig und sinnvoll erscheinen lassen. Der alleinige Wunsch des Arbeitnehmers auf Übertragung reicht nicht aus. Persönliche Gründe sind beispielsweise: aktuelles Wichtiges EuGH-Urteil Was passiert, wenn der Arbeitnehmer gar keinen Urlaubsantrag gestellt hat? Bisher verfiel auch dann der Urlaub. Nun hat der EuGH die Rechte der Arbeitnehmer deutlich gestärkt. Der Urlaubsanspruch verfällt nur dann, wenn der Arbeit geber nachweisen kann, dass er seine Angestellten aufgeklärt hat und in die Lage versetzt hat, den Urlaub zu nehmen. Ist das nicht der Fall, bleiben der Urlaubsanspruch – oder bei Ausscheiden aus dem Betrieb – der Abgeltungsanspruch erhalten (EuGH 6.11.2018 – C-684/16). • Arbeitsunfähigkeit • Niederkunft der Ehefrau • Familienurlaub • Erkrankung eines Angehörigen • Erkrankung eines Partners, mit dem der Urlaub verbracht werden sollte Abweichende Regelungen sind möglich Allerdings gibt es – vor allem in der Praxis – vielfältige Ausnahmen von dieser gesetzlich relativ strengen Regelung. Die Arbeitsvertragsparteien (also Arbeitgeber und Arbeitnehmer) können beispielsweise ohne weiteres vereinbaren, dass der Arbeitnehmer auch ohne Vorliegen bestimmter Gründe den Urlaub im gesamten Folgejahr noch nehmen kann. Damit ist auch die gesetzliche Vorgabe, dass der Urlaub allerspätestens bis zum 31. März des Folgejahres zu nehmen ist, hinfällig. Viele Tarifverträge sehen Übertragungsmöglichkeiten vor, ohne dass besondere Gründe vorliegen müssen. Da im Arbeitsrecht das Günstigkeitsprinzip gilt, muss dann – gegenüber der strengen gesetzlichen Regelung – immer die für den Arbeitnehmer günstige Regelung herangezogen werden. Bei Krankheit gibt es weitere Ausnahmen Große Probleme ergeben sich immer dann, wenn ein Arbeitnehmer dauerhaft erkrankt und deshalb den Urlaub nicht nehmen kann. Jahrelang hatte die deutsche Rechtsprechung die Meinung vertreten, dass der Urlaub auch bei Krankheit bis zum 31. März genommen werden muss und sonst verfällt. Diese Rechtsprechung ist vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippt worden. Seither gilt: Kann der Arbeitnehmer seinen Urlaub aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums nicht nehmen, bleibt der Urlaubsanspruch als Freizeitanspruch zunächst erhalten. Dieser muss allerdings bis 15 Monate nach Ablauf des entsprechenden Urlaubsjahrs genommen werden, damit er nicht ins Unermessliche anwächst. v Bettina Frowein, Volljuristin, Programmleitung, Bund-Verlag, Frankfurt am Main. 8

INFORMATIONSDIENST 12 | 2018 7 fragen 7 Fragen zur Erreichbarkeit im Weihnachtsurlaub erholungsurlaub Weihnachten gehört der Familie und den Lieben. Niemand will in dieser Zeit von seinem Chef gestört werden. Doch was ist, wenn der Vorgesetzte im Urlaub anruft? Muss der Arbeitnehmer reagieren? Muss er das Diensthandy auch über die Feiertage einschalten? Wir haben Ihnen 7 wichtige Fragen beantwortet. 1. Müssen Beschäftigte im Urlaub erreichbar sein? Nein. Urlaub dient der Erholung. Jeder Beschäftigte hat nach § 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Eine Erholung ist dann nicht gewährleistet, wenn der Beschäftigte ständig damit rechnen muss, zur Arbeit abgerufen zu werden. Auch das Beantworten von Telefonaten und E-Mails ist Arbeit und beeinträchtigt die Erholung. Nach dem BUrlG müssen Beschäftigte an ihren freien Tagen von der Arbeit komplett entbunden sein. Fazit: Niemand muss im Urlaub erreichbar sein, auch dann nicht, wenn er ein Diensthandy hat. Urlaub ist Urlaub. 2. Was passiert, wenn im Arbeitsvertrag »ständige Erreichbarkeit« geregelt ist? Vermehrt finden sich in Arbeitsverträgen Klauseln, die eine permanente Erreichbarkeit des Beschäftigten auch an seinen freien Tagen zur Pflicht machen – oder jedenfalls für ein paar Stunden pro Urlaubstag. Eine gern verwendete Klausel besagt, dass der Beschäftige einmal täglich die Mailbox abhören oder in einer bestimmten Zeit telefonisch erreichbar sein muss. Diese Vorgehensweise ist nicht zulässig – so das BAG (20.6.2000 – 9 AZR 405/99). Dies gilt jedenfalls für die 24 Werktage, die jedem Angestellten als gesetzlicher Mindesturlaub zustehen. An allen zusätzlichen, vom Arbeitgeber freiwillig gewährten Urlaubstagen kann es allerdings vertraglich Sonderregeln geben. Klauseln im Arbeitsvertrag, die eine Erreichbarkeit an diesen Tagen vorsehen, sind nicht unzulässig. Der Chef dürfte dann permanente Erreichbarkeit verlangen. 3. Gilt etwas anders für Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst? Ja. In beiden Fällen muss der Beschäftigte permanent erreichbar sein, egal wo er sich gerade aufhält. Beides muss aber mit dem Arbeitgeber ausdrücklich vereinbart sein. Rufbereitschaft bedeutet, dass der Arbeitnehmer jederzeit für den Arbeitgeber erreichbar sein muss, um auf Abruf die Arbeit aufnehmen zu können. Bereitschaftsdienst ist dann gegeben, wenn sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufhalten muss, um bei Bedarf unverzüglich seine Arbeitstätigkeit aufnehmen zu können. In beiden Fällen dürfen die Mitarbeiter nicht im Urlaub sein. Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst und Urlaub schließen sich aus. 4. Kann der Chef den Arbeitnehmer in Notfällen kontaktieren? Ja. Es gibt ganz wenige Notfälle oder Ausnahmesituationen, in denen der Arbeitgeber den Mitarbeiter im Urlaub anrufen oder kontaktieren darf. Das ist der Fall, wenn der Beschäftigte ein Passwort kennt, das der Betrieb dringend benötigt oder wenn sonst irgendein echter Notfall eintritt. Allerdings gilt hier, dass die Zeit der Erledigung der Anfrage für den Beschäftigten Arbeitszeit ist. Die muss der Arbeitgeber vergüten. 5. Was gilt für Führungskräfte? Im Prinzip gilt auch für Führungskräfte rechtlich nichts anderes. Auch wenn sie ein Diensthandy haben, brauchen sie es im Urlaub nicht zu benutzen. Dienstliche Anrufe oder Mails können sie ignorieren. Auch für Führungskräfte gilt das Bundesurlaubsgesetz – und damit ist Urlaub arbeitsfreie Zeit. Allerdings kann es sein, dass es im Interesse der leitenden Angestellten oder Führungskräfte liegt, dass die Geschäfte auch während ihrer Abwesenheit weiter laufen. Aber das müssen sie dann selbst entscheiden – eine rechtliche Verpflichtung gibt es nicht. WICHTIG Rufbereitschaft gilt nur dann als Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich zur Ar beit kommen muss. Bereitschaftsdienst ist immer Arbeits zeit. 9

aktuelles<br />

INFORMATIONSDIENST 12 | 2018<br />

Urlaub verfällt nicht immer<br />

urlaubsrecht Bis zum Jahresende muss jeder seinen Urlaub genommen haben. Sonst<br />

verfällt er. Ein Übertragen auf das Folgejahr ist die Ausnahme. Nun hat der EuGH entschieden:<br />

Hat der Beschäftigte gar keinen Urlaubsantrag gestellt, so bleibt der Urlaub erhalten.<br />

EXPERTENRAT<br />

Durch das neue<br />

EuGH- Urteil (siehe<br />

Infokasten) ist<br />

die Beweislage<br />

zu Guns ten der<br />

Beschäf tig ten<br />

deutlich besser<br />

geworden. Solange<br />

der Arbeit geber<br />

sie nicht explicit<br />

aufge fordert hat,<br />

den Urlaub auch zu<br />

nehmen, sind sie auf<br />

der sicheren Seite.<br />

Denn automatisch<br />

erlischt der<br />

Anspruch nicht<br />

mehr!<br />

Dass der Urlaub im laufenden Jahr zu nehmen<br />

ist, steht so in § 7 Abs. 3 des B<strong>und</strong>esurlaubsgesetzes<br />

(BUrlG). Der Urlaub dient der<br />

physischen <strong>und</strong> psychischen Regeneration<br />

der Arbeitnehmer. Daher ist wichtig, dass jeder<br />

seinen vollen Urlaub in jedem Jahr nimmt<br />

<strong>und</strong> sich erholt. Ein Übertragen des Urlaubs<br />

auf das Folgejahr ist – geht man streng nach<br />

Gesetz – nur im Ausnahmefall möglich. Es<br />

müssen »dringende betriebliche oder persönliche<br />

Gründe« vorliegen, damit Urlaub übertragen<br />

werden kann. Auch dann verfällt der<br />

Urlaub spätestens am 31. März.<br />

Gesetzliche Übertragungsgründe<br />

An die »dringenden betrieblichen Gründe« ist<br />

ein strenger Maßstab anzulegen. Es gelten:<br />

• Plötzlicher Arbeitsanfall<br />

• Hoher Krankenstand<br />

• Termin- oder saisongeb<strong>und</strong>ene Aufträge,<br />

die dem Urlaub entgegen stehen<br />

• Technische Probleme im Betriebsablauf<br />

Aber auch »persönliche Gründe« des Arbeitnehmers<br />

können ein Übertragen notwendig<br />

<strong>und</strong> sinnvoll erscheinen lassen. Der alleinige<br />

Wunsch des Arbeitnehmers auf Übertragung<br />

reicht nicht aus. Persönliche Gründe sind beispielsweise:<br />

aktuelles<br />

Wichtiges EuGH-Urteil<br />

Was passiert, wenn der Arbeitnehmer<br />

gar keinen Urlaubsantrag gestellt hat?<br />

Bisher verfiel auch dann der Urlaub.<br />

Nun hat der EuGH die Rechte der Arbeitnehmer<br />

deutlich gestärkt. Der Urlaubsanspruch<br />

verfällt nur dann, wenn der<br />

Arbeit geber nachweisen kann, dass er seine<br />

Angestellten aufgeklärt hat <strong>und</strong> in die<br />

Lage versetzt hat, den Urlaub zu nehmen.<br />

Ist das nicht der Fall, bleiben der Urlaubsanspruch<br />

– oder bei Ausscheiden aus dem<br />

Betrieb – der Abgeltungsanspruch erhalten<br />

(EuGH 6.11.2018 – C-684/16).<br />

• Arbeitsunfähigkeit<br />

• Niederkunft der Ehefrau<br />

• Familienurlaub<br />

• Erkrankung eines Angehörigen<br />

• Erkrankung eines Partners, mit dem der<br />

Urlaub verbracht werden sollte<br />

Abweichende Regelungen sind möglich<br />

Allerdings gibt es – vor allem in der Praxis –<br />

vielfältige Ausnahmen von dieser gesetzlich<br />

relativ strengen Regelung. Die Arbeitsvertragsparteien<br />

(also Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer)<br />

können beispielsweise ohne weiteres vereinbaren,<br />

dass der Arbeitnehmer auch ohne Vorliegen<br />

bestimmter Gründe den Urlaub im gesamten<br />

Folgejahr noch nehmen kann. Damit ist<br />

auch die gesetzliche Vorgabe, dass der Urlaub<br />

allerspätestens bis zum 31. März des Folgejahres<br />

zu nehmen ist, hinfällig. Viele Tarifverträge<br />

sehen Übertragungsmöglichkeiten vor, ohne<br />

dass besondere Gründe vorliegen müssen. Da<br />

im Arbeitsrecht das Günstigkeitsprinzip gilt,<br />

muss dann – gegenüber der strengen gesetzlichen<br />

Regelung – immer die für den Arbeitnehmer<br />

günstige Regelung herangezogen werden.<br />

Bei Krankheit gibt es weitere Ausnahmen<br />

Große Probleme ergeben sich immer dann,<br />

wenn ein Arbeitnehmer dauerhaft erkrankt<br />

<strong>und</strong> deshalb den Urlaub nicht nehmen kann.<br />

Jahrelang hatte die deutsche Rechtsprechung<br />

die Meinung vertreten, dass der Urlaub auch<br />

bei Krankheit bis zum 31. März genommen<br />

werden muss <strong>und</strong> sonst verfällt. Diese Rechtsprechung<br />

ist vom Europäischen Gerichtshof<br />

(EuGH) gekippt worden. Seither gilt: Kann<br />

der Arbeitnehmer seinen Urlaub aufgr<strong>und</strong><br />

einer Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des<br />

Übertragungszeitraums nicht nehmen, bleibt<br />

der Urlaubsanspruch als Freizeitanspruch zunächst<br />

erhalten. Dieser muss allerdings bis 15<br />

Monate nach Ablauf des entsprechenden Urlaubsjahrs<br />

genommen werden, damit er nicht<br />

ins Unermessliche anwächst. v<br />

Bettina Frowein, Volljuristin, Programmleitung,<br />

B<strong>und</strong>-Verlag, Frankfurt am Main.<br />

8

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!