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Leipzig-Krimi «Nebel der Erinnerung« XXL-Leseprobe

Matthias Rabe entdeckt eine Leiche im Kulkwitzer See. Rasch finden die Ermittler um Hauptkommissarin Cornelia Sommer und ihren Partner Holger Andersson heraus, dass es sich bei dem Toten um den einstigen Oberst Reinhard von der Leipziger Bezirksbehörde des Ministeriums für Staatssicherheit handelt. Was hat der unbeliebte Kriminaldirektor, dem ein Verhältnis mit der Witwe nachgesagt wird, zu verbergen? Welche Rolle spielt Matthias’ Freundin Elfi und warum kann er sich selbst an einige Dinge nicht erinnern? Eine undurchsichtige Geschichte beginnt, deren Ursprung bis in die ehemalige DDR zurückreicht. +++ E-Book bei Amazon, Taschenbuch, 252 Seiten, bei allen Onlinehändlern und im Buchhandel bestellbar +++

Matthias Rabe entdeckt eine Leiche im Kulkwitzer See. Rasch finden die Ermittler um Hauptkommissarin Cornelia Sommer und ihren Partner Holger Andersson heraus, dass es sich bei dem Toten um den einstigen Oberst Reinhard von der Leipziger Bezirksbehörde des Ministeriums für Staatssicherheit handelt.
Was hat der unbeliebte Kriminaldirektor, dem ein Verhältnis mit der Witwe nachgesagt wird, zu verbergen? Welche Rolle spielt Matthias’ Freundin Elfi und warum kann er sich selbst an einige Dinge nicht erinnern?
Eine undurchsichtige Geschichte beginnt, deren Ursprung bis in die ehemalige DDR zurückreicht. +++ E-Book bei Amazon, Taschenbuch, 252 Seiten, bei allen Onlinehändlern und im Buchhandel bestellbar +++

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Axel Starke<br />

Nebel<br />

Der Erinnerung<br />

<strong>Krimi</strong>nalroman


. .<br />

. <strong>XXL</strong>-<strong>Leseprobe</strong> .<br />

Deutsche Erstausgabe Juni 2018<br />

Copyright: © Axel Starke, <strong>Leipzig</strong><br />

autoraxelstarke.blogspot.com<br />

Alle Rechte, einschließlich die <strong>der</strong> vollständigen o<strong>der</strong><br />

teilweisen Kopie in jeglicher Form, sind vorbehalten.<br />

Lektorat: Sandra Schmidt, www.text-theke.com<br />

Korrektorat & Buchsatz & <strong>Leseprobe</strong>: Petra Schmidt, www.lektorat-ps.com<br />

Covergestaltung: H.-S. Damaschke, www.sheep-black.com<br />

Coverbil<strong>der</strong>: pixabay<br />

Verlag & Druck: epubli – ein Unternehmen <strong>der</strong><br />

Neopubli GmbH, Köpenicker Str. 154a, 10997 Berlin<br />

Bibliografische Information <strong>der</strong> Deutschen Nationalbibliothek:<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in <strong>der</strong><br />

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />

Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.


Prolog<br />

Es war unnatürlich still und <strong>der</strong> Himmel färbte sich<br />

metallisch grau. Die Luft war frisch und die Tage wurden<br />

schnell kürzer. Vom See her blies ein eisiger Wind,<br />

<strong>der</strong> nach Herbst und Regen roch.<br />

Am gegenüberliegenden Ufer lag zäher Dunst über<br />

dem Wald, <strong>der</strong> auf den See hinabwaberte. Das Grau<br />

schien die Wipfel <strong>der</strong> alten Bäume zu berühren – ein<br />

groteskes Bild.<br />

Er stand am Ufer des Kulkwitzer Sees und hatte<br />

keinen Schimmer, wie er in aller Herrgottsfrühe an<br />

diesen Ort gelangt war. Es war Sonntag, und die meisten<br />

Menschen lagen noch schlafend in ihren Betten.<br />

Es gab keinen hinreichenden Grund, in dieser morgendlichen<br />

Frische einen Spaziergang zu machen, zumal<br />

es noch dunkel war.<br />

Ein Halbwüchsiger in ausgefransten Jeans und einem<br />

zerschlissenen, blass-blauen Pullover, <strong>der</strong> möglicherweise<br />

auch grau gewesen sein könnte, lief grußlos<br />

an Matthias vorüber. In seinem Schlepptau tänzelte<br />

ein Hund undefinierbarer Rasse. Beide schienen ihn<br />

nicht zu bemerken. Es war wohl wirklich noch zu früh<br />

am Tag, denn außer ihm und dem seltsamen Pärchen<br />

konnte Matthias keine Menschenseele in <strong>der</strong> Dämmerung<br />

ausmachen.<br />

Unschlüssig setzte er sich in Bewegung, er fröstelte<br />

und instinktiv zog er den Kragen seines Mantels hoch.<br />

3


Der eisige Wind trieb ihm den Geruch faulenden<br />

Laubs in die Nase. Wie ferngesteuert setzte er seinen<br />

Weg zum Göhrenzer Strand fort. Wobei die Bezeichnung<br />

Strand eher unzutreffend und irreführend war.<br />

Denn statt Sand befanden sich dort nur Kiesel und<br />

kleines Geröll, das schmerzhaft in die Füße piekste,<br />

wenn man ohne Schuhwerk darüber lief.<br />

Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite des Sees folgte er einem<br />

schlammigen Pfad. Er führte ihn inmitten eines Wäldchens<br />

direkt zu einer Lichtung, die er bereits aus <strong>der</strong><br />

Ferne wahrgenommen hatte.<br />

Matthias trat aus dem Wald heraus, als urplötzlich<br />

blendende Helligkeit seine empfindlichen Augen traf.<br />

War inzwischen wirklich so viel Zeit vergangen, dass<br />

die Sonne ihre wärmenden Strahlen durch den Dunst<br />

drücken konnte? O<strong>der</strong> hatte er nur getrödelt, sodass<br />

ihm jegliches Zeitgefühl abhandengekommen war? Einerlei.<br />

Er war irgendwie an diesen Platz gelangt, dem<br />

etwas Magisches anhaftete.<br />

Im Zentrum <strong>der</strong> Waldlichtung stand malerisch<br />

ein einzelner Baum, eine Rotbuche vermutlich, den<br />

er anfangs in seiner Schönheit nicht bemerkt hatte.<br />

Während sich seine Augen zögerlich an das Tageslicht<br />

gewöhnten, stieg er umständlich über hohe Gräser<br />

hinweg, hin zu dem Laubbaum. Mit seinen Armen<br />

umschlang Matthias dessen Stamm, als wolle er ihn<br />

herzen, und lehnte sich danach entkräftet an ihn.<br />

Er schaute ins Halbrund und fühlte die erstaunliche<br />

Stille, die nur von einem sachten Luftzug durchzogen<br />

wurde. Die Wipfel <strong>der</strong> umstehenden Pappeln bewegten<br />

sich dabei elegant im Takt. Die wenigen Geräusche in<br />

seiner Umgebung rührten von einzelnen, zaghaft zur<br />

Erde sinkenden Blättern. Deren Farbenreichtum, von<br />

gelben über hellbraune bis hin zu roten Tönen, hatte etwas<br />

Tröstliches und war großartig anzuschauen. Von allen<br />

Jahreszeiten war ihm <strong>der</strong> goldene Herbst die liebste.<br />

4


Ab und zu konnte er nun das melancholische Piepsen<br />

einiger Vögel wahrnehmen, die den späten Herbst<br />

besangen. Das farbenreiche Laubwerk im Gehölz<br />

stand im scharfen Gegensatz zu seinen Gefühlen.<br />

Trotz <strong>der</strong> langsam wärmenden Sonnenstrahlen<br />

kroch vom Boden eine Feuchte an seinen Beinen hoch,<br />

die in ihm ein unangenehmes Schau<strong>der</strong>n erzeugte.<br />

Ihm wurde es unbehaglich. Höchste Zeit, seinen zuvor<br />

eingeschlagenen Weg fortzusetzen.<br />

Matthias überwand also noch mal die hohen Gräser,<br />

um den Pfad zu erreichen, <strong>der</strong> ihn hergeführt hatte.<br />

Dabei drang er immer tiefer in den Wald ein. Wie<br />

im Rausch hastete er unbeirrt weiter.<br />

Er lief zwischen Sträuchern und Bäumen hindurch<br />

und fand sich irgendwann am Ufer des Sees wie<strong>der</strong>,<br />

auf den er hinunterblickte. Grau und träge erstreckte<br />

er sich vor ihm, vom Morgennebel verhangen, <strong>der</strong><br />

wie eine Decke über dem Wasser lag. Matthias schaute<br />

von einem baum- und sträucherfreien Standort auf das<br />

dunkle Gewässer hinab. Es war <strong>der</strong> gleiche Platz, den<br />

er von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite als kahlen Fleck hatte ausmachen<br />

können. Der Boden unter seinen Füßen war<br />

glitschig und matschig, an manchen Stellen auch glatt<br />

und rutschig. Obwohl Matthias keinen entsprechenden<br />

Geruch wahrnahm, tippte er auf Lehm.<br />

Wie er inmitten <strong>der</strong> üppigen Vegetation, <strong>der</strong>en<br />

Laub sich am Ufer allmählich von Mattgrün bis Braun<br />

und Orange verfärbte, ausgerechnet an diese unwirtliche<br />

Stelle geraten war, entzog sich seiner Kenntnis.<br />

Sein Unterbewusstsein musste wohl die treibende<br />

Kraft gewesen sein.<br />

Dankbar sog sein unterkühlter Körper die Wärme<br />

<strong>der</strong> weiter aufsteigenden Sonne auf. Über den Fel<strong>der</strong>n<br />

auf <strong>der</strong> Gegenseite hing Bodennebel, während die<br />

Sonne schon hoch stand. Der Tag konnte noch nicht<br />

alt sein. Unschlüssig sah er sich um, aber keine Wan-<br />

5


<strong>der</strong>er o<strong>der</strong> Jogger waren zu entdecken. Matthias war<br />

offenbar allein im Wald.<br />

6<br />

*<br />

In jungen Jahren war er eine lebende Legende gewesen<br />

‒ als Musiker und als Liebhaber. In letztgenannter<br />

Kategorie trug er den schwarzen Gürtel horizontaler<br />

Kampfkunst. Groupies zogen mit von einem Ort zum<br />

an<strong>der</strong>en, um sich die Show anzusehen, tanzten mit irgendeinem<br />

armen Kerl und anschließend vögelten sie<br />

Matthias. Sie wollten Spaß und er verschaffte ihnen<br />

das Vergnügen. Danach empfahlen sie ihn weiter. Damals<br />

kam er sich noch nicht ausgenutzt vor.<br />

Seine Gedanken schweiften zu Elfi – mal wie<strong>der</strong>.<br />

Gestern Morgen hatte er nicht mutterseelenallein in<br />

diesem verdammten Wald gestanden, son<strong>der</strong>n die<br />

schlafende Frau neben sich betrachtet.<br />

Ihre glatten nackten Schenkel waren unter <strong>der</strong><br />

verrutschten Bettdecke zu sehen. Er beugte sich über<br />

sie und atmete das süßliche Aroma ihrer nach Weiblichkeit<br />

duftenden warmen Haut ein. Besorgt stellte<br />

Matthias fest, dass er inzwischen alle Grenzen seines<br />

Selbstschutzes überschritten hatte.<br />

Er begehrte diese Frau o<strong>der</strong> glaubte es zumindest. Er<br />

teilte mit ihr die intimsten Geheimnisse. Sie kannte seine<br />

Ängste, die ihn bis in die dunkelsten Träume verfolgten.<br />

Ihre Heimlichkeiten schlossen das Wissen um besagte<br />

Ängste, ihre Vorlieben und Abneigungen mit ein, die<br />

nötig waren, ihre sexuellen Begierden zu wecken.<br />

Matthias wusste, wie sehr es sie erregte, wenn seine<br />

Handflächen behutsam über ihre harten Brustwarzen<br />

rieben, während seine Zunge mit ihrer Klitoris spielte.<br />

Genussvoll erinnerte er sich an die Liebeskünste,<br />

mit denen Elfi ihm die größtmögliche Lust zu verschaffen<br />

wusste.


I<br />

Noch immer in Gedanken versunken senkte er seinen<br />

Blick erneut hinab auf die dunkle Wasseroberfläche –<br />

und erstarrte.<br />

Etwas schwamm in <strong>der</strong> Nähe des Ufers unter ihm.<br />

Es sah aus wie ein schlafen<strong>der</strong> Mensch. Aufgedunsen<br />

und in seltsamer Haltung trieb das Ding auf ihn zu. Er<br />

konnte nicht glauben, was er sah. Als es ihm bewusst<br />

wurde, jagte ein Schauer seinen Rücken hinab. Er hatte<br />

bisher nur einmal einen Ertrunkenen gesehen, als<br />

er noch ein Kind gewesen war. Damals war aus <strong>der</strong><br />

Pleiße eine Frau geborgen worden, <strong>der</strong>en Körper, vom<br />

Phenol dreckig lila aufgedunsen und zerstört, einen<br />

gruseligen Anblick geboten hatte. Das hatte gereicht,<br />

um ihm heute klarzumachen, was Wasser von außen<br />

und Verwesung von innen dem menschlichen Fleisch<br />

antun können.<br />

Mechanisch griff Matthias in die Manteltasche, um<br />

sein Handy zu suchen. Er wählte die 110, mit <strong>der</strong> eine<br />

sofortige Verbindung zustande kam, obwohl er inmitten<br />

einer Gegend stand, in <strong>der</strong> ein Empfang unmöglich<br />

schien.<br />

Stotternd äußerte er sein Anliegen, wo er sich ungefähr<br />

befand und warum polizeiliche Hilfe notwendig<br />

sei. Die Stimme am an<strong>der</strong>en Ende <strong>der</strong> Leitung bat ihn<br />

ruhig und besonnen, verfügbar zu bleiben, bis die Kollegen<br />

vor Ort seien. Nachdem die Verbindung abge-<br />

7


ochen war, hatte er unklare Vorstellungen darüber,<br />

wie bezeichnete Kollegen sich durch den Wald vorarbeiten<br />

wollten. Rasch an jener Stelle zu sein, wo er die<br />

Polizei gespannt und nervös erwarten sollte, erschien<br />

Matthias unmöglich.<br />

Plötzlich ergriff ihn ein mulmiges Gefühl, da seine<br />

Hose und die Schuhe durchnässt waren, was er erst in<br />

diesem Moment als störend empfand. Der Tau hatte<br />

die Wiese in einen Zustand versetzt, <strong>der</strong> einer Sumpflandschaft<br />

glich. In seiner gedanklichen Selbstzerfleischung<br />

hatte er das nicht früher wahrgenommen.<br />

Das traurige Ergebnis stand nun fröstelnd am Wasser<br />

und sah auf eine unter ihm treibende Männerleiche<br />

herab.<br />

Es war kaum zu glauben, aber die Polizei schaffte<br />

es tatsächlich, 15 Minuten nach seinem Anruf am<br />

beschriebenen Standort zu sein. Das lag vermutlich<br />

daran, dass sie nicht aus <strong>Leipzig</strong>, son<strong>der</strong>n aus Markranstädt<br />

kamen. Die an<strong>der</strong>e Seite des Sees, auf <strong>der</strong><br />

er sich nun befand, lag auf <strong>der</strong> Kulkwitzer Flur, einem<br />

Ortsteil von Markranstädt, womit auch die Wasserleiche<br />

automatisch zum Hoheitsgebiet <strong>der</strong> Polizeidirektion<br />

Westsachsen gehörte.<br />

Die Dienststelle <strong>der</strong> <strong>Leipzig</strong>er Polizeidirektion<br />

gehörte nachweislich nicht zu den schnellsten und<br />

tauchte auch manchmal bei erkennbar prekären Einsätzen<br />

erst sehr viel später am Ort des Geschehens auf.<br />

Oft sogar erst dann, wenn alle zu sichernden Spuren<br />

unkenntlich gemacht waren. Insofern konnte es <strong>der</strong><br />

Sache nur dienlich sein. Außerdem hätte Matthias<br />

dann vermutlich länger in diesem Gebiet zugebracht,<br />

als er es unter den Umständen für wünschenswert<br />

hielt. Und nebenbei hätte er sich wahrscheinlich noch<br />

eine deftige Erkältung eingefangen.<br />

8


II<br />

Eine hübsche Mittvierzigerin in schicken geländetauglichen<br />

Klamotten steuerte zielstrebig auf ihn zu. In<br />

ihrem Tross folgten einige Polizisten in Uniform sowie<br />

ein älterer Herr mit einem Köfferchen in <strong>der</strong> Hand.<br />

Ihre Fahrzeuge waren we<strong>der</strong> zu sehen noch hatte<br />

Matthias <strong>der</strong>en Ankunft hören können, was ihm sehr<br />

merkwürdig vorkam. Als hätten sie ganz in <strong>der</strong> Nähe<br />

nur darauf gewartet, endlich gerufen zu werden.<br />

Als die junge Frau direkt vor Matthias stand, erschien<br />

sie ihm doch nicht mehr so jung, wie er es aus<br />

<strong>der</strong> Entfernung betrachtet erwartet hatte. Er schätzte<br />

sie jetzt auf Ende vierzig, Anfang fünfzig, Lachfalten<br />

im Gesicht. Sie hatte einen makellos hellen Teint,<br />

kurze blonde Haare und dank Fitnessstudio eine perfekte<br />

Figur. Ihr Gesicht war braun gebrannt und auf<br />

<strong>der</strong> Nase hatte sie winzige Sommersprossen, die sie<br />

interessant machten. Aber am auffälligsten waren ihre<br />

Augen. Ozeanblau und durchdringend sah sie einen<br />

direkt an, im vollen Wissen um die Wirkung, die sie<br />

damit erzielte. Eine Mitarbeiterin <strong>der</strong> Polizei hatte<br />

Matthias sich irgendwie an<strong>der</strong>s vorgestellt, jedenfalls<br />

nicht so hübsch. Sie reichte ihm ihre Hand zum Gruß<br />

und stellte sich als Hauptkommissarin Cornelia Sommer<br />

von <strong>der</strong> Kripo aus <strong>Leipzig</strong> vor.<br />

Wieso Kripo <strong>Leipzig</strong>?, fragte sich Matthias. Und<br />

noch dazu schnell zur Stelle? Bevor er ihr seinen Na-<br />

9


men nannte, schaute er irritiert an <strong>der</strong> attraktiven Frau<br />

hinab, die ihm in ihrer tadellosen Kleidung in dieser<br />

Umgebung irreal vorkam.<br />

Die Kommissarin bemerkte seinen fragenden Blick<br />

und schien sich dafür entschuldigen zu wollen, dass<br />

sie an einer Feier mit Kollegen aus Markranstädt teilgenommen<br />

hatte, zu <strong>der</strong> sie eingeladen gewesen war.<br />

Aus Gefälligkeit half sie vertretungsweise einmal aus,<br />

wie sie ihm beiläufig sagte.<br />

Personalmangel und seine Alternativen. Die sich<br />

im Dienst befindlichen Kollegen vom Revier in Markranstädt<br />

könnten nun mal nicht an zwei Tatorten<br />

gleichzeitig sein. Also übernahm Hauptkommissarin<br />

Sommer die Vertretung für diesen Tatort, falls es sich<br />

überhaupt um einen solchen handeln sollte.<br />

Schicke blaue Jeans und ein schwarzes Top unter<br />

einer wärmenden, graublauen Fließjacke betonten ihre<br />

üppigen Formen, von <strong>der</strong>en Anblick sich Matthias<br />

kaum lösen konnte. Ihr festes Schuhwerk, blaue Stiefeletten<br />

mit flachen Absätzen, war für diesen Untergrund<br />

wie geschaffen und passte optimal zur Kleidung<br />

<strong>der</strong> Kommissarin.<br />

Ausführlich, so weit das überhaupt möglich war,<br />

klärte Matthias sie darüber auf, wie er den treibenden<br />

Körper im Wasser entdeckt hatte. Währenddessen versuchte<br />

Cornelia Sommer über ihr Mobiltelefon, Taucher<br />

<strong>der</strong> hiesigen Feuerwehr anzufor<strong>der</strong>n, die sich <strong>der</strong><br />

Wasserleiche annehmen sollten.<br />

Normalerweise waren Hobbytaucher in diesem Teil<br />

des Sees anzutreffen, aber an diesem Sonntag schien<br />

alles an<strong>der</strong>s, nicht einer war zu sehen.<br />

Die Polizisten sicherten inzwischen die Fundstelle<br />

ab und hofften, in <strong>der</strong> Umgebung auf brauchbare Spuren<br />

zu stoßen. Cornelia Sommer notierte sich indes<br />

die Fakten zu seinen Beobachtungen in ein kleines<br />

Notizbuch. Zwischendurch stellte sie ihm immer wie-<br />

10


<strong>der</strong> Fragen, die er ihr aber nicht zu beantworten wusste<br />

– etwa ob er den Leichnam erkannte o<strong>der</strong> ihn je zuvor<br />

gesehen hatte. Beides war nicht <strong>der</strong> Fall.<br />

Die Leiche schwamm auf dem Wasser, also konnte<br />

er bestenfalls Vermutungen anstellen. Aus ihrer sachlichen<br />

Fragestellung konnte die Kommissarin bis dahin<br />

keine Details verwerten, da zuerst die Leiche untersucht<br />

werden musste. Um Spekulationen vorzubeugen,<br />

sollte geklärt werden, ob es sich hierbei um einen<br />

Unfall handelte, einen Fall von Suizid o<strong>der</strong> gar einen<br />

Mord.<br />

Cornelia Sommer überreichte Matthias ihre Karte<br />

und bat ihn, sich bei ihr zu melden, falls ihm noch<br />

etwas Wichtiges einfallen sollte, das zur Aufklärung<br />

des Falles beitragen könne. Seine Daten, Festnetz- und<br />

Handynummer hatte sie sich notiert. Von nun an<br />

kümmerte sie sich um die Leiche und entließ ihn mit<br />

einem warmen, festen Händedruck. Ein verbindliches<br />

Lächeln auf den wohlgeformten Lippen, das eine Frage<br />

zu stellen schien, diente wohl einzig dazu, Matthias<br />

zu verunsichern.<br />

„Herr Rabe, Sie finden mich in <strong>der</strong> Polizeidirektion<br />

Dimitroffstraße. Sollten Sie in <strong>der</strong> Nähe sein, schauen<br />

Sie einfach mal rein. Wir können dann ein Protokoll<br />

anfertigen, damit unsere Unterlagen vollständig sind,<br />

wenn wir den Fall <strong>der</strong> Polizei in Markranstädt übergeben!“<br />

Wie ein geprügelter Hund verdrückte er sich und<br />

hatte dabei ein miserables Gefühl in <strong>der</strong> Magengegend.<br />

Bei <strong>der</strong> Verabschiedung hatte ihn die Polizistin<br />

mit seltsamem Blick gemustert, den er aber nicht zu<br />

deuten vermochte und <strong>der</strong> alles ausdrücken konnte:<br />

Bestimmt werden wir uns wie<strong>der</strong>sehen, unter welchen<br />

Umständen auch immer.<br />

Auf demselben Weg, von dem er glaubte, hergekommen<br />

zu sein, lief Matthias wie<strong>der</strong> zurück. Unter-<br />

11


wegs traf er auf die Feuerwehr und ihre Taucher, die<br />

ihn misstrauisch musterten, als träfe ihn die Schuld an<br />

ihrem verkorksten Sonntag.<br />

Schnellstens wollte er diesen Ort verlassen, <strong>der</strong> ihn<br />

an diesem Morgen nur Scherereien gebracht hatte.<br />

Zielstrebig begab er sich in die Richtung seiner vertrauten<br />

Wohngegend.<br />

Inzwischen war es beinahe Mittag geworden und<br />

viele Menschen gingen spazieren, allein o<strong>der</strong> in Begleitung.<br />

Sie kümmerten sich nur um sich selbst.<br />

Als er wie<strong>der</strong> an seinem Ausgangspunkt angelangt<br />

war, von dem aus Matthias die Tour zur an<strong>der</strong>en Seite<br />

des Sees begonnen hatte, sah er noch einmal zurück<br />

und konnte erkennen, wie <strong>der</strong> leblose Körper von den<br />

Tauchern aus dem Wasser gezogen wurde. Staunend<br />

nahmen die Menschen auf seiner Uferseite die Szenerie<br />

zur Kenntnis und begannen zu diskutieren, was<br />

sich dort wohl abgespielt haben konnte. Die vielen Polizisten<br />

und ihre gerufenen Anweisungen wurden ihm<br />

zuwi<strong>der</strong>. Das alles passierte ausgerechnet an einem<br />

Ort, den er auch heute sehr gemocht hätte, wären die<br />

Umstände an<strong>der</strong>e gewesen. Rasch zog er sich zurück,<br />

er wollte alleine sein.<br />

12


III<br />

Heftige Stöße gegen seine Wohnungstür, die sich wie<br />

Schläge in seinem Kopf anfühlten, weckten Matthias.<br />

Die Klingel funktioniert wohl mal wie<strong>der</strong> nicht, dachte<br />

er noch im Halbschlaf, während er sich fluchend aufraffte,<br />

den Platz unter seiner warmen Decke zu verlassen.<br />

„Komm ja schon!“, rief er von seinem Bett aus, bevor<br />

er aufstand, um die Tür zu öffnen.<br />

„Sie sind nicht zu mir in die Dienststelle gekommen!“,<br />

sagte sie, während er schlaftrunken in das Gesicht<br />

<strong>der</strong> Kommissarin blickte.<br />

Sie trug eine Bluse aus champagnerfarbenem Satinstoff,<br />

<strong>der</strong> sich eng an ihre Haut schmiegte und eine<br />

von einer Gänsehaut überzogene Schulter entblößte.<br />

Ihre braune Le<strong>der</strong>jacke hatte sie sich unter den Arm<br />

geklemmt, ein Zeichen dafür, dass es draußen wärmer<br />

zu sein schien als um diese Jahreszeit üblich.<br />

„Kommen Sie rein, ich wollte gerade Kaffee kochen.<br />

Darf ich Ihnen auch einen anbieten?“<br />

Sie nickte und setzte sich auf die Eckbank in <strong>der</strong><br />

Küche. Sie sah sich in seiner bescheidenen Wohnung<br />

um und konnte sich eine abschätzige Bemerkung nicht<br />

verkneifen:<br />

„Wer hat heutzutage einzelne Stühle in seiner Wohnung<br />

stehen?“<br />

„Mehr Leute, als Sie denken“, erwi<strong>der</strong>te er. „Solche,<br />

die gerade geschieden sind, eine Pechsträhne<br />

13


haben o<strong>der</strong> ein einsames Leben in einer Einzimmerwohnung<br />

im Südwesten <strong>der</strong> Stadt beginnen müssen.<br />

Wobei manche dieser Buden so winzig sind, dass nur<br />

ein Stuhl reinpasst, <strong>der</strong> Platz vielleicht noch für einen<br />

Schreibtisch reicht, <strong>der</strong> zugleich als Esstisch herhalten<br />

muss.“<br />

„Okay“, sagte sie. „Das klingt plausibel; ich wollte<br />

Ihnen nicht zu nahetreten.“<br />

Tatsächlich herrschte in <strong>der</strong> Wohnung die für einen<br />

geschiedenen Mann in fortgeschrittenem Alter<br />

charakteristische sterile Atmosphäre. Ein alter Flachbildfernseher,<br />

ein Bett und ein Sessel mit Fußteil.<br />

Nachdem Matthias das Kaffeepulver eingefüllt und<br />

die Maschine mit Wasser aufgefüllt hatte, fragte er sie,<br />

welchen Tag sie denn hätten.<br />

„Mittwoch, warum?“ Ihre Arme lagen auf den<br />

Tisch gestützt vor ihr.<br />

Er zuckte mit den Schultern, um auszudrücken,<br />

dass es ihm eigentlich egal war, welchen Tag sie hätten.<br />

„Was haben Sie inzwischen über die Wasserleiche<br />

rausgekriegt?“, fragte er, um etwas zu sagen und die<br />

unangenehme Situation zu überspielen.<br />

„Wir stochern noch im Dunkeln. Wir wissen aber,<br />

dass <strong>der</strong> Fundort nicht <strong>der</strong> Tatort ist und <strong>der</strong> Mann<br />

aus Connewitz stammt – ein gewisser Herr Reinhard,<br />

wie sich herausstellte. Haben Sie diesen Namen schon<br />

einmal gehört?“, fragte sie, während ihn ihre großen<br />

blauen Augen fixierten.<br />

Inzwischen war <strong>der</strong> Kaffee durchgelaufen. Matthias<br />

goss ihre Pötte voll, <strong>der</strong>weil sie die Milchdose öffnete.<br />

„Herr Rabe, o<strong>der</strong> darf ich Matthias zu Ihnen sagen?<br />

Sie sind irgendwie blass … Was haben Sie?“<br />

„Mir brummt <strong>der</strong> Schädel“, erklärte er im Stehen,<br />

unter ständigem Pusten seinen Kaffee schlürfend. Unterdessen<br />

arbeitete sein Hirn fieberhaft, um in irgendeinem<br />

verborgenen Winkel eine plausible Erklärung<br />

14


dafür zu finden, dass ihm <strong>der</strong> Name des Mannes nicht<br />

unbekannt sei.<br />

„Ist da etwas, das Sie mir nicht sagen wollen?“,<br />

fragte sie plötzlich. „Der Mann wurde umgebracht.<br />

Er ist nicht ertrunken, sonst wäre er blau!“ Tatsächlich<br />

nimmt die Haut von Ertrunkenen, auch wenn sie nur<br />

kurz im Wasser lagen, eine grässlich blaue Färbung an,<br />

wie Matthias wusste. „Sie kannten ihn!“, legte sie emotionslos<br />

nach.<br />

„Wollen Sie mir etwa einen Toten anhängen?“<br />

*<br />

Die Ereignisse des letzten Sonntags hatten seine Nerven<br />

angespannt und sein Hirn schneller arbeiten lassen.<br />

Und doch war er nicht dahintergekommen, woher<br />

er den Mann im Wasser zu kennen glaubte. Das<br />

sagte er ihr aber vorsichtshalber nicht, sonst wäre er<br />

womöglich noch ein Tatverdächtiger gewesen. Die<br />

waren ja immer schnell dabei, jemanden im Visier zu<br />

haben, wenn ihnen die Argumente ausgingen und sie<br />

auf <strong>der</strong> Stelle traten. Also schwieg Matthias.<br />

Doch jetzt, wo sie ihn mit dem Fall in Verbindung<br />

brachte, musste er sich <strong>der</strong> Tatsache stellen, dass er den<br />

Mann kannte. Zumindest aus früheren Erzählungen<br />

seines Vaters und aus <strong>der</strong> ehemals schönen Gegend,<br />

in <strong>der</strong> er gewohnt hatte. Dort hatte Reinhard jeden<br />

Montag am Wartehäuschen <strong>der</strong> Straßenbahn gestanden,<br />

eine Mappe unter dem Arm getragen und war<br />

vermutlich auf dem Weg zu einem konspirativen Treffen<br />

gewesen.<br />

Er war einst im verschwundenen Land, welches<br />

sich als DDR bezeichnete, ein hochrangiger Stasioffizier<br />

gewesen, <strong>der</strong> seinem Vater seinerzeit arg zugesetzt<br />

hatte. Einzelheiten hatte sein Vater ihm aber aus Sicherheitsgründen,<br />

wie er sich ausdrückte, nicht nen-<br />

15


nen wollen. In seiner Stellung als Chef <strong>der</strong> psychiatrischen<br />

Klinik in <strong>der</strong> Karl-Tauchnitz-Straße trug er die<br />

Verantwortung für seine Mitarbeiter und Patienten.<br />

Oberst Reinhard interessierte sich <strong>der</strong>weil zunehmend<br />

für gewisse Bürger, die in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

<strong>Leipzig</strong>s einen Namen hatten und in <strong>der</strong>en Vergangenheit<br />

er nach eventuellen Vergehen suchte, die da<br />

wären: Fehltritte mit jugendlichen Gespielinnen,<br />

unbedachte Äußerungen über die ignorante Parteiführung<br />

des Landes, seiner Mangelwirtschaft o<strong>der</strong> gar<br />

Witze, die über jene allmächtigen Staatsschützer gemacht<br />

wurden, die man im Volksmund vereinfacht als<br />

„Horch und Guck“ charakterisierte.<br />

Auf seinen Vater wurden die Häscher aus <strong>der</strong><br />

„Runden Ecke“ – wie sie von <strong>der</strong> Bevölkerung abfällig<br />

bezeichnet wurde und bei <strong>der</strong> es sich um die Bezirksverwaltung<br />

des Ministeriums für Staatssicherheit, MfS<br />

handelte – erst richtig aufmerksam, als drei seiner Kollegen<br />

von einer Dienstreise nach Kuba nicht mehr zurückkehrten.<br />

Sie waren im Golf vor Florida von Bord<br />

<strong>der</strong> MS Völkerfreundschaft ins Meer gesprungen, wo sie<br />

von einer Jacht, die sich rein zufällig dort in <strong>der</strong> Nähe<br />

zu befinden schien, aufgelesen und nach den USA verschifft<br />

wurden.<br />

Von alldem hätte sein Vater wohl damals kaum<br />

Informationen erhalten, wäre nicht ein Kamerateam<br />

des US-Fernsehens an Ort und Stelle gewesen, um die<br />

Flucht zu dokumentieren.<br />

Von da an hatte sein Vater Reinhard beständig in<br />

seiner Klinik. Nicht als Patient, son<strong>der</strong>n als Spion, <strong>der</strong><br />

ihn dafür verantwortlich machen wollte, dass er die<br />

Reise <strong>der</strong> Flüchtigen unterstützt hatte! So misstrauisch<br />

konnten wohl nur verquer denkende Stasileute sein.<br />

Mehr erfuhr Matthias nicht. Sein Vater verschanzte<br />

sich, den drängenden Fragen seines Sohnes ausweichend,<br />

hinter seiner ärztlichen Schweigepflicht.<br />

16


Heute, mehr als zwanzig Jahre sind seit <strong>der</strong> Zerschlagung<br />

<strong>der</strong> DDR vergangen, wurde er mit dieser<br />

alten Geschichte erneut konfrontiert, während sein<br />

Vater vor vielen Jahren verstorben war. Das machte<br />

ihm Angst.<br />

Irgendein benachteiligter o<strong>der</strong> vom totalitären System<br />

eines so genannten real existierenden Sozialismus<br />

für dessen Zwecke benutzter Mensch musste sich seine<br />

späte Rache an Oberst Reinhard aufgespart haben. Im<br />

Nachhinein hatte er o<strong>der</strong> sie sich für all die üblen Taten<br />

gerächt, die dieser Fanatiker im Namen seiner Firma,<br />

die Hitlers Gestapo in nichts nachstand, zu verantworten<br />

hatte. Solchen Typen sollte nichts erspart bleiben!<br />

Jahrelang friedlich lebende Bürger bespitzelt zu haben,<br />

die in ihrem Leben beeinträchtigt und manipuliert<br />

wurden. So einer hat das Schlimmste verdient, sinnierte<br />

Matthias, behielt es aber für sich.<br />

*<br />

„Warum suchen Sie mich eigentlich allein auf, Sie haben<br />

doch sicher einen Partner?“, fragte er unsicher, nur<br />

um etwas zu sagen.<br />

Cornelia Sommer hielt ihren Kaffeepott mit beiden<br />

Händen umfasst und trank in kleinen Schlucken,<br />

während sie abwesend wirkte.<br />

„Darf ich mir eine Zigarette anzünden o<strong>der</strong> muss<br />

ich dazu auf den Balkon gehen?“<br />

Matthias nickte in Richtung Balkon.<br />

Sie erhob sich und ging hinaus. Er füllte Kaffee<br />

nach, während sie gierig den warmen Rauch ihrer Zigarette<br />

tief in ihre Lungen sog. Eine schöne Frau, die<br />

einen schlimmen Beruf ausübte, bei dem sie mit all <strong>der</strong><br />

nutzlosen Masse, dem Müll <strong>der</strong> Straße sowie den gescheiterten<br />

Existenzen ihren Lebensunterhalt bestritt.<br />

Und doch schien sie dabei ihren Humor nicht verloren<br />

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zu haben. Seine Gedanken wurden unterbrochen, als<br />

sie zurückkehrte und wie<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Eckbank Platz<br />

nahm.<br />

„Eigentlich wohnen Sie in einer ruhigen Gegend!<br />

Den ganzen Tag Sonne, wenn sie mal scheint, dazu<br />

eine gewisse Anonymität zu Ihren Nachbarn“, sagte sie<br />

etwas wehmütig.<br />

Er nickte und setzte sich auf seinen Stuhl ihr gegenüber.<br />

Kurzzeitig sahen sie sich schweigsam in die<br />

Augen.<br />

Cornelia Sommer trank ihren Kaffee aus und stand<br />

auf, um zu gehen. Auf seinen fragenden Blick reagierte<br />

sie etwas ungehalten:<br />

„Ich komme wie<strong>der</strong>, lassen Sie sich bis dahin eine<br />

Erklärung einfallen, mit <strong>der</strong> ich auch etwas anfangen<br />

kann! O<strong>der</strong> wäre es Ihnen lieber, meine Dienststelle<br />

mit einer Vorladung von innen kennenzulernen?“<br />

Matthias schüttelte den Kopf und gab ihr zu verstehen,<br />

dass ihr Besuch ihm stets willkommen sei.<br />

Mit einem schelmischen Lächeln bedankte sie sich<br />

für den Kaffee und lief rasch die Treppe hinab, von<br />

wo aus sie sich verabschiedete, nicht ohne ihren Duft<br />

nach unaufdringlicher Frische in seiner Bude zu hinterlassen.<br />

Weiber, dachte er, sie sind ausnahmslos gesegnet<br />

mit <strong>der</strong> Gabe <strong>der</strong> Zwietracht, setzen sich nach <strong>der</strong><br />

flüchtigsten Begegnung im Kopf jedes Mannes fest,<br />

um zu entzweien und zu herrschen. In diesem Augenblick<br />

wurde ihm bewusst, dass er unter die Dusche<br />

gehen sollte.<br />

Er lehnte noch am Türrahmen und versuchte, seine<br />

Gedanken zu ordnen, als Cornelia Sommer längst das<br />

Haus verlassen hatte. Jetzt bemerkte er auch, dass ihm<br />

fast die Blase platzte.<br />

Beim ersten Blick in den Spiegel sah er sich mit einem<br />

Monster konfrontiert, das ihm entfernt bekannt<br />

18


vorkam. Angewi<strong>der</strong>t wandte er sich ab und drehte die<br />

Dusche auf. Während das heiße Wasser an seinem Nacken<br />

herunterlief, versuchte er sich den Schmutz, die<br />

Gemeinheit und alles Hässliche von <strong>der</strong> Haut zu spülen,<br />

das sich in den letzten Tagen angesammelt hatte.<br />

Auf einmal trübte sich sein Blick und er merkte,<br />

dass er weinte. Es war wohl eine Mischung aus Enttäuschung,<br />

Wut und Ohnmacht, die seinen Tränen freien<br />

Lauf ließ. Matthias weinte um Elfi und um sich selbst<br />

und all die Fehler, die er gemacht hatte, sowie um geplatzte<br />

Träume und Hoffnungen!<br />

Tränen sind ein Vorwand verzweifelter Kin<strong>der</strong> o<strong>der</strong><br />

unverstandener Ehefrauen und außerdem vergeblich.<br />

Niemals möchte ich wie<strong>der</strong> weinen und niemand soll<br />

mich je wie<strong>der</strong> verletzen können, schlussfolgerte er, als<br />

er den Wasserhahn wie<strong>der</strong> zudrehte.<br />

+++ Ende <strong>der</strong> <strong>Leseprobe</strong> +++<br />

Wie diese undurchsichtige Geschichte weitergeht und<br />

welches Ende sie nimmt, erfahren Sie hier:<br />

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