Stadtmagazin CLP Ausgabe 28
eportage 100 Jahre Frauenwahlrecht Die MeToo-Bewegung, die mittlerweile weit über die sozialen Medien hinaus Wirkung zeigt und wichtige Diskussionen über Grenzverletzungen und Machtmissbrauch in Gang gesetzt hat, zeigt auf, wie wichtig es auch heute noch ist, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen. Im Rahmen dieser Debatten und Diskussionen ist auch ein Datum mit Diskussionsrunden, Ausstellungen und Schlagzeilen in den Fokus gerückt, das ansonsten vielleicht weniger Aufmerksamkeit erfahren hätte: Der 100. Jahrestag zur Einführung des Frauenwahlrechts. Ein wahrhaft historischer Meilenstein für die gesellschaftliche und politische Gleichberechtigung der Frau. Wählen gehen, für Ämter kandidieren und offen über Politik, Gesellschaft und andere Themen zu diskutieren, ist für Frauen heute eine Selbstverständlichkeit. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass Frauen für ihre Forderungen nach einem aktiven und passiven Wahlrecht nur Unverständnis ernteten und für ihre Rechte kämpfen mussten. Die SPD war die erste Partei die 1891 das allgemeine Frauenwahlrecht in ihr Programm aufnahm. Eine Forderung, die bei den übrigen Parteien nur auf Kopfschütteln stieß. Es folgte eine Zeit des politischen und sozialen Umbruchs: die Industrialisierung, der erste Weltkrieg und die politischen Kämpfe zwischen konservativen und revolutionären Gruppierungen. Am 9. November 1918 übergab der letzte kaiserliche Reichskanzler, Prinz Max von Baden, die Regierungsgeschäfte an den SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert. Dadurch wurde der Rat der Volksbeauftragten, die erste provisorische Regierung der jungen Weimarer Republik, gebildet. In ihrem Aufruf "An das deutsche Volk" vom 12. November 1918 wurde das neue Wahlrecht verkündet: "Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen." Damit war erstmals das aktive und passive Wahlrecht für Männer und Frauen ab dem 20. Lebensjahr gesetzlich verankert und am 19. Januar 1919 fand mit einer Wahlbeteiligung von 83 Prozent die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung statt. Von den insgesamt 423 Abgeordneten hielten 37 Frauen aus fünf Parteien Einzug in die Versammlung. Doch damit aber war die Gleichberechtigung noch nicht selbstverständlich. Als erste Frau sprach Marie Juchacz von der SPD in der Weimarer Nationalversammlung und erntete mit ihrer Anrede „Meine Herren und Damen!“ Gelächter. Sie machte aber deutlich: „Was die Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ Aber nicht nur im fernen Berlin waren Frauen politisch aktiv. Ebenfalls im Jahr 1919 wurde Maria Brand aus dem südoldenburgischen Essen die erste Abgeordnete des Oldenburgischen Landtages. Maria Brand führte gemeinsam mit ihrem Mann Josef Brand ein Geschäftshaus. Die Mutter von acht Kindern rückte als Nachfolgerin für den ausscheidenden Landtagsabgeordneten Wilhelm Griep aus Ramsloh in den oldenburgischen 62 Das Stadtmagazin für Cloppenburg & umzu | Reportage
eportage Landtag nach. In der lokalen Presse wurde dies allerdings folgendermaßen bekannt gegeben: „Frau Joseph Brand ist anstelle des Abgeordneten Griep in den Landtag eingetreten. Damit zieht zum ersten Male eine Frau in das oldenburgische Parlament und ist somit auch in dieser Hinsicht der neuen Zeit in etwa Genüge getan.“ Bei der Vorstellung von „Frau Joseph Brand“ handelte es sich nicht etwa um einen Rechtschreibfehler, da es damals noch durchaus üblich war, die Frau mit dem Namen ihres Mannes vorzustellen – und eben nicht „Frau Maria Brand“. Allerdings war ihre politische Karriere nur kurz. Im April 1920 löste sich der Landtag bereits wieder auf und Maria Brand kandidierte nicht erneut für ein Landtagsmandat. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa gingen die Frauen für das allgemeine Wahlrecht auf die Straße. Dabei ist die Geschichte des europäischen Frauenwahlrechts lang, voller Widerstände und weist einige nationale Besonderheiten auf. Neuseeland führte bereits 1893 das Frauenwahlrecht ein und 1906 folgte mit Finnland das erste europäische Land. Die Schweiz führte das Frauenwahlrecht erst 1971 ein, wobei einige Kantone das Stimmrecht für Frauen auf gemeinde- und kantonaler Ebene sogar bis 1989/1990 verwehrten. Schlusslicht in Europa ist Liechtenstein. Dort dürfen Frauen erst seit 1974 ihr Wahlrecht ausüben. Trotz 100 Jahre Frauenwahlrecht und der damit verbundenen politische Selbstbestimmung wird beim Blick in die politischen Gremien – von der Gemeinde bis zur Bundesebene – deutlich, dass sich noch immer relativ wenige Frauen aktiv in der Politik engagieren. Aktuell liegt der Frauenanteil im Deutschen Bundestag bei circa 30 Prozent. Im niedersächsischen Landtag ist er sogar auf knapp unter 28 Prozent gesunken – so niedrig wie zuletzt vor 20 Jahren. Das wird sich in Zukunft ändern – allein im Cloppenburger Jugendparlament sitzen neun junge Frauen – von 21 Abgeordneten. Ein Anteil, der sich in allen Nachwuchsparteien Deutschlands bestätigt. Man kann also sicher sein, dass es keine weiteren hundert Jahre dauern wird, bis Frauen auch in der Politik ebenso dominant sind wie ihre männlichen Kollegen. Und das ist gut so! Sigrid Lünnemann Das Stadtmagazin für Cloppenburg & umzu | Reportage 63
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100 Jahre Frauenwahlrecht<br />
Die MeToo-Bewegung, die mittlerweile weit über die sozialen<br />
Medien hinaus Wirkung zeigt und wichtige Diskussionen<br />
über Grenzverletzungen und Machtmissbrauch in Gang<br />
gesetzt hat, zeigt auf, wie wichtig es auch heute noch ist, sich<br />
für die Rechte der Frauen einzusetzen.<br />
Im Rahmen dieser Debatten und Diskussionen ist auch ein<br />
Datum mit Diskussionsrunden, Ausstellungen und Schlagzeilen<br />
in den Fokus gerückt, das ansonsten vielleicht weniger<br />
Aufmerksamkeit erfahren hätte: Der 100. Jahrestag zur<br />
Einführung des Frauenwahlrechts. Ein wahrhaft historischer<br />
Meilenstein für die gesellschaftliche und politische Gleichberechtigung<br />
der Frau.<br />
Wählen gehen, für Ämter kandidieren und offen über Politik,<br />
Gesellschaft und andere Themen zu diskutieren, ist für<br />
Frauen heute eine Selbstverständlichkeit. Dabei ist es noch<br />
gar nicht so lange her, dass Frauen für ihre Forderungen nach<br />
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ernteten und für ihre Rechte kämpfen mussten.<br />
Die SPD war die erste Partei die 1891 das allgemeine Frauenwahlrecht<br />
in ihr Programm aufnahm. Eine Forderung, die<br />
bei den übrigen Parteien nur auf Kopfschütteln stieß. Es<br />
folgte eine Zeit des politischen und sozialen Umbruchs: die<br />
Industrialisierung, der erste Weltkrieg und die politischen<br />
Kämpfe zwischen konservativen und revolutionären Gruppierungen.<br />
Am 9. November 1918 übergab der letzte kaiserliche<br />
Reichskanzler, Prinz Max von Baden, die Regierungsgeschäfte<br />
an den SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert. Dadurch wurde<br />
der Rat der Volksbeauftragten, die erste provisorische Regierung<br />
der jungen Weimarer Republik, gebildet. In ihrem Aufruf<br />
"An das deutsche Volk" vom 12. November 1918 wurde<br />
das neue Wahlrecht verkündet: "Alle Wahlen zu öffentlichen<br />
Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen,<br />
direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen<br />
Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen<br />
und weiblichen Personen zu vollziehen."<br />
Damit war erstmals das aktive und passive Wahlrecht für<br />
Männer und Frauen ab dem 20. Lebensjahr gesetzlich verankert<br />
und am 19. Januar 1919 fand mit einer Wahlbeteiligung<br />
von 83 Prozent die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung<br />
statt. Von den insgesamt 423 Abgeordneten hielten 37<br />
Frauen aus fünf Parteien Einzug in die Versammlung.<br />
Doch damit aber war die Gleichberechtigung noch nicht<br />
selbstverständlich. Als erste Frau sprach Marie Juchacz von<br />
der SPD in der Weimarer Nationalversammlung und erntete<br />
mit ihrer Anrede „Meine Herren und Damen!“ Gelächter. Sie<br />
machte aber deutlich: „Was die Regierung getan hat, das war<br />
eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was<br />
ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“<br />
Aber nicht nur im fernen Berlin waren Frauen politisch aktiv.<br />
Ebenfalls im Jahr 1919 wurde Maria Brand aus dem südoldenburgischen<br />
Essen die erste Abgeordnete des Oldenburgischen<br />
Landtages.<br />
Maria Brand führte gemeinsam mit ihrem Mann Josef<br />
Brand ein Geschäftshaus. Die Mutter von acht Kindern rückte<br />
als Nachfolgerin für den ausscheidenden Landtagsabgeordneten<br />
Wilhelm Griep aus Ramsloh in den oldenburgischen<br />
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