Stadtmagazin CLP Ausgabe 28

14.01.2019 Aufrufe

eportage Volkskundlerin Christina Hemken durchforstete drei Jahre lang Unmengen von Akten und Inventarlisten auf der Suche nach Raubgut im Museumsdorf und präsentiert nun den beeindruckenden Band „Im Schatten des totalen Krieges: Raubgut, Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit“. Christina Hemken – Auf der Suche nach geraubten Kulturgütern Beim Bummel durch das Cloppenburger Museumsdorf bewundern die Besucher die alten historischen Bauernhäuser, Windmühlen, Werkstätten, Wirtschaftsgebäuden und sogar einen Adelssitz. Leben wird den historischen Gebäuden allerdings erst durch die authentische Einrichtung eingehaucht: alte Bauernschränke in der Wohnstube, landwirtschaftliche Gerätschaften oder altes Geschirr, das in den Schränken und auf den Tischen steht. Drei Jahre lang beschäftigte sich die Volkskundlerin Christina Hemken im Rahmen der Provenienzforschung (Herkunftsforschung) mit der Frage, ob auch geraubtes jüdisches Kulturgut in den Ausstellungen und Depots des 1934 eröffneten Museumsdorfes zu finden ist. Das Museumsdorf wurde dabei als erstes Freilichtmuseum vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert und die Ergebnisse wurden nun in einem umfangreichen Katalog vorgestellt. Die Provenienzforschung setzt sich mit der Herkunft von Kunstwerken und Kulturgütern vor allem in Museen und öffentlichen Einrichtungen auseinander. Die Forscher begeben sich dabei auf die schwierige und oft sehr zeitaufwendige Suche nach der Herkunft und den Vorbesitzern der Sammlungsobjekte um festzustellen, ob sie aus ehemals jüdischem Eigentum stammen und in der Zeit des Nationalsozialismus unrechtmäßig entzogen wurden. Darunter fallen auch die Objekte, die von jüdischen Familien oft weit unter Wert verkauft oder auf der Flucht beziehungsweise aufgrund ihrer Deportation zurückgelassen werden mussten. Schnell wurde klar, dass sich auch im Museumsdorf geraubtes jüdisches Kulturgut befinden könnte. Eine eher unscheinbare Suppenterrine steht symbolisch für ein ganz besonderes, von der Forschung nur schwer zu erfassendes Raubgut – alltägliche Gebrauchsgüter. Die Terrine wurde in den vierziger Jahren von einer Familie aus dem Osnabrücker Land bei den sogenannten „Hollandgut“-Verkäufen erworben, die im großen Umfang auch in Nordwestdeutschland durchgeführt wurden. Da den neuen Besitzern aber durchaus bewusst war, woher diese Ware stammte, nämlich aus dem Besitz deportierter jüdischer Familien, war sie niemals benutzt worden. Schließlich wurde die Terrine von der Erbin im vergangenen Jahr dem Museumsdorf übergeben. „Wir wussten einfach nicht, was wir damit machen sollten“, sagte sie sichtlich erleichtert bei der Übergabe. Aber nicht alle Käufer hatten ein schlechtes Gewissen, weiß Christina Hemken aus zahlreichen Gesprächen, die sie im Rahmen ihres Forschungsprojektes geführt hat. So wurde ihr vom guten Wohnzimmer der Großeltern berichtet, das – ausgestattet mit besonders schönen und kostbaren Möbeln – ganz offen „Omas Juden-Stube“ genannt wurde. „Es ist erschreckend in welchen unvorstellbaren Mengen Möbel und komplette Haushaltseinrichtungen als sogenanntes ´Hollandgut` aus den Niederlanden vor allem in den Weser-Ems-Raum gebracht wurden“, erklärt sie, die Unmengen von Akten sowie Einkaufs- und Inventarlisten im eigenen Museum und in verschiedenen Archiven auf der Suche nach versteckten Hinweisen durchforstete. Dabei wurde deutlich, mit welch kaltblütiger Systematik die Plünderungen in den besetzten Gebieten von eigens eingesetzten „Hausraterfassungskommissionen“ im Rahmen der sogenannten „M-Aktion“ durchgeführt wurden. Die 26 Das Stadtmagazin für Cloppenburg & umzu | Reportage

„M-Aktion“ – wobei M für Möbel steht – war der systematische und gut organisierte, massenhafte Raub von jüdischem Privatbesitz vor allem aus den besetzten Beneluxländern und Frankreich während der Zeit des Nationalsozialismus. Zahlreiche jüdische Familien waren vor den Nationalsozialisten ins vermeintlich sichere Nachbarland geflüchtet und saßen dort nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in der Falle. Einigen von ihnen gelang noch die weitere Flucht, aber die Mehrzahl wurde gefangen genommen, in Konzentrationslager deportiert und ermordet. Ihre leer stehenden Wohnungen wurden anschließend systematisch geplündert. Als besonders effektiv erwiesen sich dabei die Hausraterfassungsteams unter der Leitung von Reichsleiter Rosenberg, die mit bürokratischer Akribie den gesamten Hausrat erfassen ließen. Die wertvollen Kunstschätze wurden direkt beschlagnahmt, während der Rest zu großen Sammelstellen gebracht und nach Deutschland abtransportiert wurde. Ein Großteil gelangte per Lastkahn oder mit Güterzügen in den Weser-Ems-Raum. So wurden auch in der Cloppenburger Münsterlandhalle, in Gaststätten und anderen geeigneten Räumlichkeiten der Region die Waren angeboten. Die großen Verkaufsaktionen wurden in der örtlichen Presse beworben. Wie im Delmenhorster Kreisblatt im April 1943, als per Annonce der Verkauf von 30 Klavieren angekündigt wurde. Die Bevölkerung deckte sich fleißig und zu Schleuderpreisen mit dem so genannten „Hollandgut“ ein, obwohl dem Großteil der Käufer durchaus bewusst sein musste, woher die Sachen stammten. Auch durch Schenkungen oder Ankäufe von Privatpersonen könnte ehemaliges jüdisches Eigentum vom Museumsdorf unwissentlich erworben worden sein. „Heute gibt es kaum noch Augenzeugen. Wer weiß heute noch, wo Omas Sekretär oder das schöne alte Geschirr herstammen? Da ist leider viel Wissen verloren gegangen“, so Christina Hemken und betont, wie wichtig es sei, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Drei Fundstücke wurden bisher vom Museumsdorf beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gemeldet und in der „Lost Art-Datenbank“ veröffentlicht: die oben genannte Terrine sowie ein Kamin-Besteck und ein Tablett aus der Delfter Porzellanmanufaktur. Diese beiden Gegenstände wurden dem Museumsdorf im Januar 1945 vom Wirtschaftsamt Cloppenburg übergeben. Die Gegenstände werden im Museumsdorf sorgsam verwahrt. Aber eines sei selbstverständlich, betont die Volkskundlerin, wenn heute ein Objekt eindeutig seinem Besitzer zugeordnet werden könnte, würde es sofort zurückgegeben! Sigrid Lünnemann Der 330 Seiten starke Katalog „Im Schatten des totalen Krieges: Raubgut, Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit“ herausgegeben von Christina Hemken und Karl- Heinz Ziessow ist für 19.80 Euro im Museumsdorf Cloppenburg sowie im Buchhandel erhältlich. Für den Weser-Ems-Raum konnte die Forscherin, allein anhand der erhalten gebliebenen Archivakten, circa 7.000 Verkaufsaktionen feststellen und der Gesamterlös für den Weser-Ems-Raum wird auf ca. 3,3 Millionen Reichsmark geschätzt. Nach dem Krieg begab sich die britische Militärregierung auf die Suche den geraubten Kulturgütern und führte Befragungen und Hausdurchsuchungen durch. In Cloppenburg wurde diese Aufforderung sogar von der Kanzel gelesen, anderorts schickte man Gemeindediener von Tür zu Tür, auf der Suche nach dem „Hollandgut“. In den Listen ist auch das Museumsdorf mit dem Kauf einer Kommode und einer Standuhr zu finden. Diese Stücke sollen allerdings beim Brand des Quatmannshofes im April 1945 zerstört worden seien. Allerdings konnte Christina Hemken bei ihren Recherchen die beiden Gegenstände weder in Eingangsbuch des Museums noch auf der Liste des beim Brand zerstörten Inventars finden. Aufgrund der überproportionalen Belieferung des Weser-Ems-Raumes ist es nach ihrer Ansicht sehr wahrscheinlich, dass noch geraubtes jüdisches Eigentum unerkannt in den Ausstellungen und Depots des Museumsdorfes lagert. Das „Hollandgut“ gelangte in den Nachkriegsjahren zum Teil in den Antiquitätenhandel, wovon auch das Museumsdorf Objekte bezog. Eine Riesenhilfe bei Gesundheitsfragen: persönliche Beratung Zum Beispiel, wenn es um Ihre Reha geht. Ob ambulant oder stationär, unser Beratungsservice hilft Ihnen, die passende Einrichtung zu finden – online, telefonisch oder direkt vor Ort. Die Gesundheitskasse. aok.de Das Stadtmagazin für Cloppenburg & umzu | Reportage 27

eportage<br />

Volkskundlerin Christina<br />

Hemken durchforstete drei<br />

Jahre lang Unmengen von<br />

Akten und Inventarlisten auf<br />

der Suche nach Raubgut im<br />

Museumsdorf und präsentiert<br />

nun den beeindruckenden<br />

Band „Im Schatten des<br />

totalen Krieges: Raubgut,<br />

Kriegsgefangenschaft<br />

und Zwangsarbeit“.<br />

Christina Hemken –<br />

Auf der Suche nach geraubten Kulturgütern<br />

Beim Bummel durch das Cloppenburger Museumsdorf<br />

bewundern die Besucher die alten historischen Bauernhäuser,<br />

Windmühlen, Werkstätten, Wirtschaftsgebäuden<br />

und sogar einen Adelssitz. Leben wird den historischen<br />

Gebäuden allerdings erst durch die authentische Einrichtung<br />

eingehaucht: alte Bauernschränke in der Wohnstube, landwirtschaftliche<br />

Gerätschaften oder altes Geschirr, das in den<br />

Schränken und auf den Tischen steht.<br />

Drei Jahre lang beschäftigte sich die Volkskundlerin Christina<br />

Hemken im Rahmen der Provenienzforschung (Herkunftsforschung)<br />

mit der Frage, ob auch geraubtes jüdisches<br />

Kulturgut in den Ausstellungen und Depots des 1934<br />

eröffneten Museumsdorfes zu finden ist. Das Museumsdorf<br />

wurde dabei als erstes Freilichtmuseum vom Deutschen Zentrum<br />

Kulturgutverluste gefördert und die Ergebnisse wurden<br />

nun in einem umfangreichen Katalog vorgestellt.<br />

Die Provenienzforschung setzt sich mit der Herkunft von<br />

Kunstwerken und Kulturgütern vor allem in Museen und öffentlichen<br />

Einrichtungen auseinander. Die Forscher begeben<br />

sich dabei auf die schwierige und oft sehr zeitaufwendige<br />

Suche nach der Herkunft und den Vorbesitzern der Sammlungsobjekte<br />

um festzustellen, ob sie aus ehemals jüdischem<br />

Eigentum stammen und in der Zeit des Nationalsozialismus<br />

unrechtmäßig entzogen wurden. Darunter fallen auch die<br />

Objekte, die von jüdischen Familien oft weit unter Wert verkauft<br />

oder auf der Flucht beziehungsweise aufgrund ihrer<br />

Deportation zurückgelassen werden mussten.<br />

Schnell wurde klar, dass sich auch im Museumsdorf geraubtes<br />

jüdisches Kulturgut befinden könnte. Eine eher<br />

unscheinbare Suppenterrine steht symbolisch für ein ganz<br />

besonderes, von der Forschung nur schwer zu erfassendes<br />

Raubgut – alltägliche Gebrauchsgüter. Die Terrine wurde in<br />

den vierziger Jahren von einer Familie aus dem Osnabrücker<br />

Land bei den sogenannten „Hollandgut“-Verkäufen erworben,<br />

die im großen Umfang auch in Nordwestdeutschland<br />

durchgeführt wurden.<br />

Da den neuen Besitzern aber durchaus bewusst war, woher<br />

diese Ware stammte, nämlich aus dem Besitz deportierter<br />

jüdischer Familien, war sie niemals benutzt worden.<br />

Schließlich wurde die Terrine von der Erbin im vergangenen<br />

Jahr dem Museumsdorf übergeben. „Wir wussten einfach<br />

nicht, was wir damit machen sollten“, sagte sie sichtlich erleichtert<br />

bei der Übergabe. Aber nicht alle Käufer hatten ein<br />

schlechtes Gewissen, weiß Christina Hemken aus zahlreichen<br />

Gesprächen, die sie im Rahmen ihres Forschungsprojektes<br />

geführt hat. So wurde ihr vom guten Wohnzimmer der Großeltern<br />

berichtet, das – ausgestattet mit besonders schönen<br />

und kostbaren Möbeln – ganz offen „Omas Juden-Stube“ genannt<br />

wurde.<br />

„Es ist erschreckend in welchen unvorstellbaren Mengen<br />

Möbel und komplette Haushaltseinrichtungen als sogenanntes<br />

´Hollandgut` aus den Niederlanden vor allem in den<br />

Weser-Ems-Raum gebracht wurden“, erklärt sie, die Unmengen<br />

von Akten sowie Einkaufs- und Inventarlisten im eigenen<br />

Museum und in verschiedenen Archiven auf der Suche<br />

nach versteckten Hinweisen durchforstete.<br />

Dabei wurde deutlich, mit welch kaltblütiger Systematik<br />

die Plünderungen in den besetzten Gebieten von eigens<br />

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der sogenannten „M-Aktion“ durchgeführt wurden. Die<br />

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