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Society 363 / 2013

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Kosovo<br />

Kommentar<br />

Ein politischer<br />

Marathonlauf<br />

spielte sich jüngst<br />

in Brüssel ab.<br />

Zweijährige Kosovo-Gespräche<br />

unter EU-Vermittlung gingen<br />

ab März in die Intensivphase.<br />

An ein Aufgeben war nicht<br />

zu denken. Für die Nachfolgestaaten<br />

des früheren Jugoslawien<br />

stand viel auf dem Spiel.<br />

Serbien hatte ohne Einigung<br />

keine Aussicht auf ein Datum<br />

für EU-Beitrittsverhandlungen,<br />

der Kosovo keine Chance auf<br />

eine Assoziierung mit der EU.<br />

Die Balkan-Nachbarn wussten:<br />

Ohne Einigung kommen wir in<br />

Europa nicht vorwärts.<br />

Die Zeit drängte. Weder Verhandlungspartner<br />

noch EU-Vermittler<br />

konnten bei ihrem Ritt<br />

Richtung Zukunft des Nordkosovo<br />

die Pferde wechseln. Kaum<br />

hatte eine Verhandlung erfolglos<br />

geendet, wurde schon die<br />

nächste geplant, ungeachtet<br />

aller Schuldzuweisungen. Die<br />

EU-Außenbeauftragte Catherine<br />

Ashton setzte immer wieder<br />

neue Termine an. Die Gespräche<br />

mit Pristina müssten notfalls<br />

ohne Vermittler fortgesetzt<br />

worden, ließ sich zuletzt<br />

der serbische Ministerpräsident<br />

Ivica Dacic vernehmen.<br />

Ein Scheitern der Verhandlungen<br />

konnte und wollte<br />

keine Seite auf ihr Konto buchen.<br />

Auch Europa musste<br />

das begonnene Werk zu Ende<br />

bringen. Großes diplomatisches<br />

Geschick ließ den Dialog<br />

zwischen Belgrad und Pristina<br />

nicht abbrechen. EU-Erweiterungskommissar<br />

Stefan Füle<br />

stellte die Präsentation des<br />

Fortschrittsberichts zurück. Es<br />

galt jede Marge zu nützen. Die<br />

Mühe lohnte sich, ein Durchbruch<br />

wurde erzielt. Fazit: Der<br />

Kompromiss bringt den Serben<br />

im Kosovo ein Höchstmaß an<br />

Autonomie. Der Weg zur EU-<br />

Annäherung ist frei.<br />

Kosovo-Serbien:<br />

Verhandlungsmarathon<br />

Serbien und der Kosovo haben sich nach zähem<br />

Ringen unter dem EU-Schirm auf eine Normalisierung<br />

ihrer Beziehungen geeinigt. Als Lohn winken<br />

die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen<br />

bzw. ein Assoziierungsabkommen mit der EU.<br />

Analyse von Hermine Schreiberhuber<br />

zur person<br />

ag. Hermine Schreiberhuber<br />

war stellver-<br />

Ressortleiterin Mtretende<br />

für Außenpolitik bei der Austria<br />

Presse Agentur (APA). Ferner<br />

verfasst sie Reportagen für Wochenzeitungen<br />

wie „Die Furche“<br />

und wirkt an politischen Büchern<br />

mit.<br />

•<br />

Serbische Minderheit<br />

im Brennpunkt<br />

Konkret ging es im Brüsseler<br />

„Verhandlungskrimi“ um<br />

die Absicherung der serbischen<br />

Bevölkerung im Nordkosovo.<br />

Rund 40.000 Serben stellen<br />

dort die lokale Mehrheit.<br />

Dazu kommen in der früheren<br />

serbischen Provinz Enklaven<br />

mit 80.000 Serben. Serbien finanzierte<br />

im Nordkosovo ein<br />

Parallelsystem. Gerichte, Polizei,<br />

Schul-, Gesundheits- und<br />

Kommunalsektor funktionieren<br />

nicht nach kosovarischen<br />

Gesetzen. Dieses Parallelsystem<br />

soll nun von einer weitreichenden<br />

Autonomie abgelöst<br />

werden.<br />

Die erzielte Einigung sichert<br />

der kleinen serbischen<br />

Gemeinschaft im Rahmen<br />

des jüngsten europäischen<br />

Staates eine Autonomie, die<br />

serbischen Einfluss auf Polizei<br />

und Gerichte zulässt. Auf<br />

eine Einflussnahme in Sachen<br />

Justiz und Polizei im Nordkosovo<br />

hatte Serbien bis zuletzt<br />

gepocht. Andererseits kann<br />

diese Region nun, fünf Jahre<br />

nach der Ausrufung der<br />

Unabhängigkeit, voll in den<br />

Kosovo eingegliedert werden.<br />

Der Status der kosovarischen<br />

Streitkräfte war bis zuletzt ein<br />

Streitpunkt gewesen.<br />

Die speziellen Autonomierechte<br />

für die Serben sollen<br />

ein eigenes Parlament, einen<br />

Präsidenten sowie eine Art Regierung<br />

beinhalten. Ein eigener<br />

regionaler Polizeikommandant<br />

soll für den Norden zuständig<br />

sein. Einen Kernpunkt des<br />

Abkommens bildet auch die<br />

Verpflichtung, die EU-Integrationsbemühungen<br />

der anderen<br />

Seite nicht zu blockieren. Die<br />

EU und die USA erreichten ihr<br />

Ziel, Serbien einen Rückzug<br />

aus dem Nordkosovo ohne Prestigeverlust<br />

zu ermöglichen.<br />

•<br />

Nationalisten<br />

protestieren<br />

Dass die internationale<br />

Gemeinschaft die Beilegung<br />

des jahrzehntelangen Streits<br />

zwischen Serbien und dem<br />

Kosovo begrüßt, verwundert<br />

ebenso wenig wie Proteste der<br />

Kosovo-Serben und Unmutsbekundungen<br />

nationalistischer<br />

Gruppen. Die EU würdigte die<br />

Vereinbarung als historischen<br />

Schritt, UNO-Generalsekretär<br />

Ban Ki-moon sprach von einem<br />

Meilenstein. Die NATO<br />

will bei der Umsetzung helfen.<br />

Die Kosovo-Serben hingegen<br />

kündigten in der Sache ein Referendum<br />

an.<br />

Zuhause in Belgrad und<br />

Pristina steht den Verhandlungspartnern,<br />

den Regierungschefs<br />

Ivica Dacic und<br />

Vizepremier Alexander Vucic<br />

auf der einen sowie Premier<br />

Hashim Thaci auf der anderen<br />

Seite, noch die Meisterprüfung<br />

bevor. Mit ihrer Dialogbereitschaft<br />

ist ihr persönliches politisches<br />

Schicksal ist verknüpft.<br />

Denn der zukunftweisende<br />

Kompromiss von Brüssel wird<br />

von führenden Regierungspolitkern,<br />

aber nicht von allen<br />

Oppositionsparteien im Kosovo<br />

und in Serbien goutiert.<br />

Gefährlich wäre es, wenn nationalistische<br />

Gruppierungen<br />

Auftrieb bekämen.<br />

Faktum ist: Die Anerkennung<br />

der Landesgrenzen war<br />

Voraussetzung für jegliche<br />

Verhandlungen in der EU<br />

und die Anerkennung durch<br />

die Vereinten Nationen. Nach<br />

den blutigen Balkan-Kriegen<br />

wünschen Europäer wie Amerikaner<br />

klare Verhältnissen<br />

in dieser Region, die berechtigterweise<br />

ihre Zukunft in<br />

Europa sieht. Das Europa-Parlament<br />

hatte von Anfang an<br />

klar gemacht: Ohne Einigung<br />

kein Beitrittsdatum und keine<br />

Assoziierung.<br />

Foto: Nelson<br />

78 | Societ 1_<strong>2013</strong>

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