Society 363 / 2013
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kosovo<br />
Interview<br />
tungen und unterstreicht die nach wie vor gültige<br />
Anziehungskraft des europäischen Friedensprojektes.<br />
Nun geht es darum, in einer gemeinsamen<br />
Anstrengung der Konfliktparteien und unter Einbeziehung<br />
der betroffenen Bevölkerung im Nordkosovo<br />
auch die Umsetzung voran zu treiben. Angesichts<br />
des gezeigten politischen Engagements<br />
der Verantwortungsträger in Prishtina und Belgrad<br />
bin ich optimistisch.<br />
Was den Norden des Kosovo betrifft, wo<br />
die serbische Mehrheit den Kosovo nicht anerkennt,<br />
zeichnet sich aber keine Lösung ab.<br />
Was muss geschehen?<br />
Der Kosovo hat etwa die Größe Oberösterreichs<br />
mit ca. 1,8 Millionen Einwohnern, und ein Drittel<br />
der Einwohner des Kosovo befinden sich im Ausland<br />
(Schweiz, Österreich, Deutschland). In diesem<br />
kleinen Land gibt es einen kleinen Ausschnitt von<br />
rund 50.000 Einwohnern im Norden, nördlich<br />
der Stadt Mitrovica, der zum überwiegenden Teil<br />
serbisch bewohnt ist. Im Süden des Kosovo leben<br />
70.000 Serben, die sich weitgehend mit der Verwaltung<br />
in Prishtina arrangiert haben. Solch eine<br />
Lösung wurde nun mit der Grundsatzvereinbarung<br />
vom 19. April auch für den Norden gefunden, die<br />
es für die Serben akzeptabel machen soll, unter<br />
der Verwaltung von Prishtina zu stehen und trotzdem<br />
weitgehend sich selbst verwalten zu können.<br />
Basierend auf dem Ahtisaari-Plan werden den<br />
serbischen Gemeinden weitreichende autonome<br />
Rechte zugestanden. Sie werden die Möglichkeit<br />
haben, die Bildungs- und Gesundheitsdienste in<br />
serbischer Sprache in Anspruch zu nehmen. Polizei<br />
und Gerichte werden in Zukunft entsprechend der<br />
ethnischen Zusammensetzung im Norden besetzt<br />
werden, was bedeutet, dass auch in diesen sensiblen<br />
Bereichen der Kontakt zu serbisch-sprachigen<br />
Institutionen sicher gestellt wird, was für die langfristige<br />
Akzeptanz unerlässlich ist. Dennoch muss<br />
man sich keinen Illusionen hingeben. Das Gewinnen<br />
der Herzen der Menschen im Norden bedarf<br />
großer Anstrengungen und ausreichend Geduld.<br />
Es geht im Norden des Kosovo auch um Sicherheitsgarantien…<br />
Ein zentraler Teil der Vereinbarung vom 19.<br />
April ist die sukzessive Ausdehnung der staatlichen<br />
Gewalt Prishtinas auch in den Norden. Dies<br />
betrifft vor allem die Justiz- und Sicherheitskräfte.<br />
Hier ist ein sukzessiver Übergang von bisher<br />
de facto aktiven serbischen Sicherheitskräften<br />
zu Prishtina unterstellten Sicherheitskräften erforderlich.<br />
Die internationalen Kräfte von KFOR<br />
(inklusive eines starken österreichischen Kontingents)<br />
und EULEX werden in dieser Übergangsphase<br />
eine zentrale Rolle spielen müssen und sorgen<br />
für vertrauensbildende Maßnahmen. Wie bereits<br />
erwähnt, wird im Auswahlprozess des Sicherheitspersonals<br />
großes Augenmerk auf eine entsprechende<br />
ethnische Zusammensetzung gelegt werden,<br />
die den Verhältnissen vor Ort entspricht. Das<br />
soll Vertrauen schaffen.<br />
»Der Kosovo<br />
ist der einzige<br />
Staat am Balkan,<br />
dessen<br />
Bürger nicht<br />
ohne Visum in<br />
die EU reisen<br />
dürfen.<br />
«<br />
Johann<br />
Brieger<br />
curriculum<br />
vitae<br />
B<br />
otschafter Dr. Johann<br />
Brieger wurde am 7.<br />
Juli 1962 geboren. Er<br />
ist verheiratet und hat zwei<br />
Kinder. Seit Januar 2011 ist<br />
er österreichischer Botschafter<br />
im Kosovo. Zuvor<br />
war er im Außenministerium<br />
u. a. Leiter der Abteilung für<br />
die internationale Kooperation<br />
im Kampf gegen<br />
Terrorismus, Menschenhandel,<br />
organisierte Kriminalität<br />
etc., Leiter des Referates<br />
für Binnenmarktfragen, und<br />
während des österreichischen<br />
EU-Vorsitzes Leiter<br />
des Teams für die Arbeit mit<br />
dem Europäischen Parlament.<br />
Er studierte in Linz, an<br />
der University of Toronto/<br />
Kanada und an der Wirtschaftsuniversität<br />
Wien.<br />
Wer profitiert von dieser Situation?<br />
In diesem weitgehend rechtsfreien Raum im<br />
Norden gibt es starke Geschäftsinteressen einiger<br />
weniger, die keine Steuern zahlen und mit der organisierten<br />
Kriminalität zusammenarbeiten. Diese<br />
Leute fürchten, dass ihnen die Grundlage ihres<br />
wirtschaftlichen Erfolgs entzogen wird. Kommt<br />
es zu der erhofften verstärkten Zusammenarbeit<br />
zwischen kosovarischen und serbischen Institutionen,<br />
so wird dies auch den Aktionsradius dieser<br />
Personen stark einschränken. Ein sehr willkommener<br />
Nebeneffekt.<br />
Wie realistisch ist der EU-Beitritt des Kosovo?<br />
Der Wunsch nach Europa hat die Vereinbarung<br />
vom 19. April erst möglich gemacht. Die Menschen<br />
im Kosovo setzen eine große Hoffnung in eine europäische<br />
Zukunft des Landes. Es ist jedoch sicher<br />
ein langfristiges Projekt für die nächsten zehn bis<br />
zwanzig Jahre.<br />
Wann hat Österreich den Kosovo anerkannt?<br />
Österreich zählte 2008 neben Deutschland,<br />
Frankreich oder Italien zu den ersten Anerkennern<br />
des Kosovos.<br />
Gibt es namhafte wirtschaftliche Interessen<br />
aus dem Ausland oder konkrete Projekte?<br />
Der Kosovo ist natürlich ein schwieriges Umfeld.<br />
Österreich ist mit der Raiffeisen Bank vertreten<br />
sowie der Uniqa und der Wiener Städtischen.<br />
Porsche Österreich hat eine Niederlassung hier,<br />
Xella (Ytong) Baumaterial hat eine Produktionsstätte<br />
im Kosovo. Die KELAG investiert in Kleinwasserkraftwerke<br />
in Decan und bemüht sich um<br />
ein zweites Projekt mit einer Investition von rund<br />
200 Millionen Euro, was nicht so wenig ist, wenn<br />
man überlegt, dass der Kosovo zwischen 300 und<br />
400 Millionen Euro an ausländischen Investitionen<br />
im Jahr hat. Österreich liegt an vierter Stelle<br />
bei den Investitionen.<br />
Was ist ihr Fazit der vergangenen beiden<br />
Jahre?<br />
Mit der Vereinbarung vom 19. April konnte ein<br />
solider Baustein für eine dauerhafte Befriedung<br />
der Region unter Schirmherrschaft der EU gesetzt<br />
werden. Die sich damit abzeichnende prinzipielle<br />
Lösung des alles überlagernden politischen<br />
Problems mit Serbien muss nun Kapazitäten in<br />
anderen Bereichen freisetzen. Die größten Herausforderungen<br />
des Kosovo liegen sicherlich im<br />
Bemühen um mehr Rechtstaatlichkeit, wo es mit<br />
Hilfe von EULEX mittlerweile doch erste Erfolge<br />
gibt. Aber es gibt zu wenig Kapazitäten. Dies<br />
wäre eine notwendige Grundvoraussetzung für<br />
eine nachhaltige Belebung der Wirtschaft und ein<br />
Grundvertrauen der Menschen in funktionierende<br />
Institutionen. Viel Positives ist geschehen, aber<br />
es bedarf noch weiterer erheblicher Anstrengungen.<br />
Ein Weg, den wir als Österreich auch weiterhin<br />
nach Kräften unterstützen werden. •<br />
<strong>Society</strong> 1_<strong>2013</strong> | 73