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Society 363 / 2013

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deutschland<br />

Interview<br />

Foto: Österreichische Botschaft in Berlin<br />

auch eine Art Freilichtmuseum der wechselhaften<br />

Geschichte des 20. Jahrhunderts ist. In den letzten<br />

Jahrzehnten hat sich Berlin zu einer modernen<br />

und sehr lebendigen Metropole entwickelt, die vor<br />

allem jungen Menschen und Künstlern durch ein<br />

günstiges Preisniveau attraktive Angebote macht.<br />

Die größte Gruppe ausländischer Staatsbürger<br />

in Österreich sind die Deutschen. Wie<br />

sieht es in umgekehrter Richtung aus? Wie<br />

viele Österreicher leben in Deutschland? Was<br />

sind die Beweggründe, nach Deutschland zu<br />

gehen?<br />

Wie bereits erwähnt leben geschätzte 210.000<br />

Österreicher in Deutschland, zu einem Großteil<br />

in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch im<br />

entfernten Berlin (10.000 Österreicher). Es gibt<br />

zwar keine Statistiken über ihre Beweggründe,<br />

nach Deutschland zu kommen; es dürfte sich aber<br />

in der Mehrzahl der Fälle um berufliche (gute Karrierechancen<br />

für unsere gut ausgebildeten Leute)<br />

und zwischenmenschliche Gründe (viele binationale<br />

Ehen) handeln. In der deutschen Wirtschaft<br />

werden zahlreiche wichtige Managementpositionen<br />

von Österreichern besetzt. In der deutschen<br />

Wirtschaft werden zahlreiche wichtige Managementpositionen<br />

von Österreichern besetzt. Ich<br />

erwähne beispielsweise Peter Löscher (Vorstandsvorsitzender<br />

Siemens), Paul Achleitner (Aufsichtsratsvorsitzender<br />

Deutsche Bank), Wolfgang Mayrhuber<br />

(Aufsichtsratsvorsitzender der Lufthansa),<br />

oder etwa Ferdinand Piëch, ein großer Pionier der<br />

modernen Automobilindustrie.<br />

»Die Beziehungen<br />

zwischen<br />

Österreich und<br />

Deutschland<br />

sind von einer<br />

besonderen<br />

Dichte und<br />

Qualität.<br />

«<br />

Ralph<br />

Scheide<br />

curriculum<br />

vitae<br />

otschafter Dr. Ralph<br />

Scheide ist am 15.<br />

BFebruar 1951 in Wien<br />

geboren. Nach dem Studium<br />

der Rechtswissenschaften<br />

an der Universität Wien<br />

und einem Sprachstudium<br />

an der Universität Lausanne<br />

trat er 1975 in den diplomatischen<br />

Dienst ein. Er war u.<br />

a. in Moskau und Genf tätig,<br />

war Leiter des Generalsekretariates<br />

des Außenministeriums,<br />

Botschafter in Ankara<br />

(1998-2001), Abteilungsleiter<br />

für den Nahen und<br />

Mittleren Osten und Afrika,<br />

und ist seit 2009 Botschafter<br />

in Berlin. In den 1990er<br />

Jahren war Dr. Scheide<br />

Kabinettsvizedirektor der<br />

Österreichischen Präsidentschaftskanzlei.<br />

Was sind die Hauptanliegen von Österreichern,<br />

die sich an die Botschaft wenden?<br />

Die Botschaft ist eine Universalanlaufstelle<br />

für unterschiedlichste Anfragen aller Art. Unsere<br />

Generalkonsulate in Berlin und München sowie<br />

unsere ehrenamtlichen Honorarkonsulate in elf<br />

weiteren Städten beschäftigen sich vorrangig mit<br />

Reisepässen, Personalausweisen und Staatsbürgerschaftsangelegenheiten,<br />

unterstützt die Österreicher<br />

aber auch bei Unfällen oder anderen<br />

Problemen, wobei die Zusammenarbeit mit den<br />

deutschen Behörden in den meisten Fällen sehr<br />

gut funktioniert.<br />

Außenminister Guido Westerwelle hat die<br />

sog. „Zukunftsgruppe“ von zehn EU-Außenministern<br />

ins Leben gerufen, die über Europapläne,<br />

etwa ein bundesstaatliches Modell der<br />

EU, nachdenkt. Welchen Stellenwert haben<br />

diese Gespräche, da nicht alle Außenminister<br />

daran teilnehmen?<br />

Die Zukunftsgruppe hat sich im letzten Jahr<br />

insgesamt fünf Mal zu einer vertraulichen Grundsatzdebatte<br />

über aktuelle Herausforderungen<br />

und die künftige Ausgestaltung der Europäischen<br />

Union getroffen. Sie hat sich als Avantgarde verstanden,<br />

deren Beitrag dann im größeren Rahmen<br />

unter Einbindung aller diskutiert werden soll.<br />

Deshalb wurde am 18. September letzten Jahres<br />

ein öffentlicher Abschlussbericht mit Vorschlägen<br />

vorgelegt, der in der Folge mit den europäischen<br />

Institutionen diskutiert wurde. Der Bericht stellte<br />

die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion<br />

in den Mittelpunkt und forderte mehr Europa<br />

bei Bankenaufsicht, Wirtschaftskoordinierung<br />

und der Gestaltung nationaler Budgets zur Einhaltung<br />

europäischer Verpflichtungen, stärkere<br />

demokratische Kontrolle durch das Europäische<br />

Parlament und die nationalen Parlamente, ein kohärenteres<br />

Auftreten der Union nach außen und<br />

eine direktere demokratische Legitimation des<br />

Präsidenten der Europäischen Kommission, um<br />

nur ein paar Beispiele zu nennen. Vieles davon ist<br />

derzeit in Umsetzung begriffen. Die Ergebnisse<br />

der Zukunftsgruppe sind in den Bericht der vier<br />

Präsidenten zur Vollendung der Wirtschafts- und<br />

Währungsunion für den Europäischen Rat eingeflossen<br />

und stellen einen wesentlichen Beitrag in<br />

der gegenwärtigen Zukunftsdebatte dar.<br />

Deutschland und Österreich zählen bezüglich<br />

des EU-Beitritts der Türkei zu den großen<br />

Skeptikern. Sie haben als ehemaliger österreichischer<br />

Botschafter in Ankara guten Einblick<br />

in die Beziehungen zur Türkei. Welche Faktoren<br />

sind es, die Deutschland und Österreich<br />

gegen einen Türkei-Beitritt sprechen lassen?<br />

Aus unserer Sicht ist die Türkei als Schnittstelle<br />

zwischen westlicher und muslimischer Welt,<br />

als Energiedrehscheibe und als bedeutender<br />

Wirtschaftsakteur einer der wichtigsten strategischen<br />

Partner der EU. Österreich befürwortet<br />

daher eine weitere EU-Annäherung. Der Grad der<br />

Annäherung wird aber immer von den Reformbemühungen<br />

der Türkei selbst und von der Aufnahmefähigkeit<br />

der Union abhängen. Zudem werden<br />

insbesondere eine Normalisierung der Beziehungen<br />

zur Republik Zypern und die Fortsetzung des<br />

internen gesellschaftlichen Reformprozesses zu<br />

einer Gleichstellung aller Teile der Gesellschaft<br />

weitere entscheidende Voraussetzungen in den<br />

Verhandlungen sein.<br />

•<br />

<strong>Society</strong> 1_<strong>2013</strong> | 49

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