Society 363 / 2013
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deutschland<br />
Interview<br />
kulturellen Ereignissen. All dieses geschieht<br />
ständig zwischen unseren beiden<br />
Ländern, jeden Tag, auf hohem Niveau,<br />
geprägt von großem Vertrauen und gegenseitigem<br />
Respekt.<br />
Sie waren vor Ihrer Zeit als Botschafter<br />
in Österreich und Norwegen Leiter<br />
des Krisenreaktionszentrums des Auswärtigen<br />
Amtes. Wie kann man sich die<br />
Arbeit dieser Einrichtung vorstellen?<br />
Das Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen<br />
Amts in Berlin ist eine Dienstleistungseinrichtung,<br />
wie sie in dieser<br />
oder ähnlicher Form von jedem Auswärtigen<br />
Dienst unterhalten wird. Sie hat<br />
einen weit gespannten Aufgabenbereich.<br />
Eine wichtige Aufgabe ist es sicherzustellen,<br />
dass das Auswärtige Amt 24 Stunden<br />
und sieben Tage die Woche erreichbar<br />
und handlungsfähig ist. Eine weitere<br />
wichtige Aufgabe ist die Organisation des<br />
Bürgerservice, also der Stelle, an die man<br />
sich als Erstkontakt mit allfälligen Fragen<br />
an das Auswärtige Amt wenden kann.<br />
Dazu kommt die weltweite Krisenprävention<br />
in Zusammenarbeit mit unseren<br />
Auslandsvertretungen. Dabei wird sichergestellt,<br />
dass jede Auslandsvertretung für<br />
ihr Gastland über einen örtlich angepassten<br />
Krisenplan verfügt und auf mögliche<br />
Problemlagen im Gastland vorbereitet ist.<br />
Und letztlich ist das Krisenreaktionszentrum<br />
dafür zuständig, eine koordinierende<br />
Funktion bei Krisen im Ausland zu<br />
übernehmen, von denen deutsche Staatsangehörige<br />
betroffen sind. Dies umfasst<br />
einerseits die Koordination innerhalb des<br />
Auswärtigen Amts und mit den deutschen<br />
Auslandsvertretungen, zum anderen mit<br />
anderen betroffenen Stellen der Bundesregierung<br />
wie dem Innen- oder Verkehrsministerium,<br />
mit Polizeibehörden oder auch<br />
mit der Wirtschaft, insbesondere dem<br />
Tourismussektor, den großen Reiseunternehmen<br />
und Fluggesellschaften. Hinzu<br />
kommt die Zusammenarbeit mit Partnerregierungen,<br />
insbesondere unter den Mitgliedstaaten<br />
der Europäischen Union, wo<br />
es eine enge Zusammenarbeit gibt sowie<br />
mit den Regierungen anderer betroffener<br />
Staaten. Was eine Krise ist, bleibt dabei<br />
der Beurteilung im Einzelfall überlassen.<br />
Regelmäßig jedenfalls große Naturkatastrophen,<br />
innere Unruhen, große Unfälle<br />
aber auch etwa Terroranschläge, wenn<br />
deutsche Staatsangehörige betroffen sind.<br />
Deutschland ist nach wie vor wichtigster<br />
Handelspartner Österreichs, und<br />
Deutschland ist wichtigstes Herkunftsland<br />
touristischer Gäste hierzulande. Anteilsmäßig<br />
gehen die Zahlen seit Jahren<br />
»Bei der Verfolgung<br />
seiner<br />
Ziele ist<br />
Deutschland<br />
weder hochmütig<br />
noch mangelt<br />
es an Solidarität.<br />
«<br />
Detlev<br />
Rünger<br />
jedoch zurück. Worauf ist das zurückzuführen?<br />
Beim Tourismus hat es diesen Trend<br />
über einige Jahre gegeben. Inzwischen<br />
scheint er gebrochen. 2012 lag die Zahl<br />
der Übernachtungen Deutscher bei fast<br />
fünfzig Millionen und damit um über<br />
vier Prozent höher als im Vorjahr. 11,4 Millionen<br />
Reisende kamen aus Deutschland.<br />
Das sind Rekordzahlen.<br />
Im bilateralen Handel hält Österreich<br />
seit Jahren seine Position als siebtgrößter<br />
Handelspartner Deutschlands. Für 2012<br />
ist ein Minus von knapp ein Prozent zu<br />
verzeichnen. Dies ist, wenn man die konjunkturelle<br />
Schwäche in vielen Ländern<br />
der EU in Betracht zieht, immer noch ein<br />
sehr beachtliches und erfreuliches Ergebnis.<br />
Seit 2009 stellen deutsche Staatsbürger<br />
die Gruppe der meisten Ausländer<br />
in Österreich und die Zahl ist stetig im<br />
Wachsen. Weshalb sind derzeit 180.000<br />
Deutsche nach Österreich gezogen, um<br />
hier zu leben?<br />
Insgesamt zählen wir sogar über<br />
250.000 Deutsche in Österreich: 170.000<br />
mit Erst- und 86.000 mit Zweitwohnsitz.<br />
Umgekehrt und relativ gesehen ist übrigens<br />
Deutschland für Österreich mit<br />
175.000 gemeldeten Österreichern als Einwanderungsland<br />
sogar noch populärer.<br />
Bei den deutschen Auswanderern gehört<br />
Österreich seit Jahren zu den vier<br />
Hauptzielländern. Nur die Schweiz und<br />
die Vereinigten Staaten von Amerika sind<br />
noch beliebter. Sicher hat jeder individuelle<br />
Gründe, warum er sich für einen Umzug<br />
nach Österreich entscheidet. Aber die<br />
EU-Regelungen und die gemeinsame Sprache<br />
machen einen Wechsel im Vergleich<br />
zu anderen Ländern besonders leicht.<br />
Dies gilt naturgemäß sowohl für die Deutschen,<br />
die hierher kommen, als auch für<br />
die Österreicher, die nach Deutschland<br />
übersiedeln. Der Hauptgrund für den Umzug<br />
sind Arbeitsmöglichkeiten. Deutsche<br />
Arbeitnehmer kommen nach Österreich,<br />
wenn sie hier einen Arbeitsplatz gefunden<br />
haben. Andere führt die Liebe hierher.<br />
Viele Deutsche verlegen ihren Wohnsitz<br />
nach Österreich, weil die Partnerin oder<br />
der Partner hier lebt. Uns schließlich gibt<br />
es auch viele Pensionisten, die hier ihren<br />
Lebensabend verbringen. Auch deutsche<br />
Studenten zieht es in größerer Zahl an österreichische<br />
Universitäten.<br />
Die Zukunft Europas hängt auch<br />
davon ab, wie die Wirtschafts- und Finanzkrise<br />
bewältigt wird, und wie die<br />
politischen Institutionen verändert werden.<br />
Deutschland zeigt als größte Volkswirtschaft<br />
in der EU Verantwortungsbewusstsein.<br />
Dennoch - oder gerade<br />
deswegen? - hat das Bild der Deutschen<br />
in Europa in jüngster Zeit einige Kratzer<br />
abbekommen bzw. sind alte Vorurteile<br />
wieder hochgekommen. Was sagen Sie<br />
zu dem Vorwurf, Deutschland würde<br />
sich als Krisenmanager gegenüber anderen<br />
Staaten hochmütig verhalten und<br />
nicht genug Solidarität zeigen?<br />
Deutschland verfolgt einen umfassenden<br />
Ansatz, um die Probleme in der Euro-<br />
Zone zu lösen. Wettbewerbsfähigkeit ist<br />
dabei die Voraussetzung für Wachstum<br />
und Beschäftigung. Wir wünschen uns,<br />
dass alle Länder in der Euro-Zone dauerhaft<br />
wettbewerbsfähig sind. Strukturreformen<br />
sind dazu unerlässlich.<br />
Deutschland strebt eine Vertiefung der<br />
Wirtschaftsunion und des Binnenmarkts<br />
mit dem Ziel an, sowohl Wachstum als<br />
auch Beschäftigung zu fördern. Wir wünschen<br />
uns eine Vertiefung der Fiskalunion<br />
zur nachhaltigen Konsolidierung der<br />
Staatsfinanzen, eine Bankenunion zur<br />
besseren Kontrolle systemisch relevanter<br />
Banken, und wir streben eine Vertiefung<br />
der politischen Union zur Legitimierung<br />
der weitergehenden Integration an.<br />
Bei der Verfolgung seiner Ziele ist<br />
Deutschland weder hochmütig noch mangelt<br />
es an Solidarität. Ziel ist ja gerade die<br />
Erholung der wirtschaftlich geschwächten<br />
Länder der Euro-Zone. Notwendige<br />
wirtschaftliche Anpassungsmaßnahmen<br />
<strong>Society</strong> 1_<strong>2013</strong> | 45