Berliner Zeitung 08.12.2018
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8./9. DEZEMBER 2018 3<br />
Ich rauche vielleicht mal einen Joint.<br />
Aber Marihuana ist verboten. Begreif ich nicht. Wemgehen Sie auf der Straße lieber<br />
entgegen –zwanzig grölenden Besoffenen oder zwanzig kichernden Bekifften? Na also.<br />
nicht mehr zu. DieVerteilung des Reichtums<br />
nimmt immer krassereFormen an. Dashalte<br />
ich für ein schrecklich unmenschliches<br />
Problem, dass die einen Milliarden horten<br />
und andere nichts zu essen haben. Fünf<br />
Männer in Amerika besitzen so viel Geld wie<br />
50 Prozent der anderen Amerikaner –das lassen<br />
wir alles zu. Ichbin Botschafter der Welthungerhilfe.<br />
Aber einen Ausweg sehe ich<br />
nicht. Keine Lichtgestalt, die das Ruder rumreißen<br />
kann, denn sie müsste zu viele unpopuläre<br />
Entscheidungen treffen. Ich erlebe<br />
gerade in Amerika eine Polarisierung, ein<br />
Abdriften in Schwarzund Weiß, und da rede<br />
ich nicht von Hautfarben. Wobei, die USA<br />
sind auch ein rassistisches Land, nur eher<br />
verdeckt.<br />
Das sagt jemand, der aus einem Apartheid-<br />
Staat stammt. Mich wundert, dass Sie inIhremBuch<br />
gar nicht darauf eingehen. Diesonnige<br />
Kindheit mit viel Sport und Surfen am<br />
Strand hätte auch in Florida so aussehen können.<br />
Die Rassentrennung muss Sie doch geprägt<br />
haben.<br />
Natürlich, aber diese Herrschaft gibt es ja<br />
nicht mehr. Und leider auch nicht die Hoffnung,<br />
dass Südafrika nach dem Ende der<br />
Apartheid zeigen würde, wie es besser geht<br />
mit dem Zusammenleben. Ein Irrtum, das<br />
Land versinkt immer mehr in Korruption<br />
und Kriminalität. Ich habe nur noch wenige<br />
Beziehungen da hin. Aber natürlich, die Prägung<br />
war schon stark. Als Kind hielt ich es für<br />
normal, dass Schwarze hinten im Bus einstiegen,<br />
eigene Strände, Schulen und Viertel<br />
hatten. Ich wusste aber auch gar nichts von<br />
der Welt, in Südafrika gab es ja noch nicht<br />
einmal Fernseher. In London gelandet, sah<br />
ich eine schwarze Frau und einen weißen<br />
Mann Hand in Hand und dachte nur: Oh,<br />
was ist das! Aber nun bist du hier, hast dir<br />
London selbst ausgesucht! Ich konnte nicht<br />
mit einer schwarzen Frau ins Bett gehen, in<br />
Südafrika stand auf Sex mit Schwarzen eine<br />
Strafe vonsechs Monaten Gefängnis.Immorality<br />
Acthieß das Gesetz dazu. So etwas verinnerlicht<br />
man.<br />
Sie mussten einige Dinge umdenken. Lustig<br />
ist auch ein frühes Interview, in demSie über<br />
Ihre Zukunft plaudern: „Ich will zwei, drei<br />
Kinder und eine Hausfrau. Keine, die immer<br />
arbeitet.“ Das hat Ihnen also in Deutschland<br />
missfallen, dass Frauen arbeiten?<br />
Na, ich kannte esgar nicht. Der Platz der<br />
Frau war in der Küche.Aber schauen Siesich<br />
die Fotos von damals an. Schon an den Augen<br />
sieht man meine Einfalt. Ichkam hierher<br />
als völlig naiver Südafrikaner, dachte, die<br />
Welt ist ein Ort voller Sonne, Musik und<br />
Sport. Ichglaube tatsächlich, dass sich kaum<br />
ein Mensch so sehr veränderthat wie ich. In<br />
Deutschland habe ich gelernt, Leuten zuzuhören,<br />
zu diskutieren, andereMeinungen zu<br />
akzeptieren. Eine Fähigkeit, die uns gerade<br />
wieder abhanden kommt. Diesem Land verdanke<br />
ich viel.<br />
HOWARD CARPENDALE ...<br />
... kam 1946 im südafrikanischen Durban<br />
zur Welt, ging 1964 nach London,<br />
1966 nach Deutschland und brachte<br />
1968 in Berlin mit Paul Kuhn seine erste<br />
Single heraus. 1970 gewann er den deutschen<br />
Schlagerwettbewerb mit „Das<br />
schöne Mädchen vonSeite 1“.<br />
... produzierte 700 Songs, gab2000<br />
Konzerte und verkaufte nach eigenen Angaben<br />
50 Millionen Tonträger.Seine Hits<br />
„Hello Again“, „Nachts, wenn alles<br />
schläft“ und „Dann gehdoch!“ schrieb er<br />
selbst.<br />
... hat zwei Kinder,Sohn Wayne aus erster<br />
Ehe und aus der 35-jährigen Verbindung<br />
mit seiner Frau Donnice Sohn Cass.<br />
... entschloss sich nach seinem Bühnenabschied<br />
von2003 fünf Jahre später zu<br />
einem Comeback, seitdem bringt er wieder<br />
Alben heraus.<br />
... tritt mit „Die Showmeines Lebens“<br />
vom27. bis 31.12. in der VertiMusic Hall<br />
auf.<br />
BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK<br />
Nach 35 Jahren haben Sie im März Ihre Frau<br />
Donnice geheiratet. Ich finde das sehr erfrischend.<br />
Ältere Männer in der Showbranche<br />
quälen uns sonst eher mit Schlagzeilen über<br />
ihre knackigen jungen Frauen und wie die<br />
neuen Kinder siefit halten.<br />
Ichbin glücklich über meinen Enkel. Aber<br />
diese Alkoholkrankheit von Donnice über<br />
mehr als zwanzig Jahre auszuhalten, immer<br />
bei ihr zu bleiben, halte ich für die vielleicht<br />
beste Tatmeines Lebens.Anderen Ausbruch<br />
war ich sicher nicht ganz unschuldig, aber<br />
wir haben dann viel durchgemacht, furchtbar.<br />
Bis sie eines Tages damit aufgehört hat,<br />
endlich! Zeit zu heiraten.<br />
Sietrinken auch nichts?<br />
Nein, ich hasse das Zeug mehr denn je.<br />
Finde es eine Schweinerei, wie diese Gesellschaft<br />
mit Alkohol umgeht –die Werbung,<br />
dieständige Präsenz, überall, an jederTankstelle.<br />
Ich rauche vielleicht mal einen Joint.<br />
Aber Marihuana ist verboten. Begreif ich<br />
nicht. Wemgehen Sie auf der Straße lieber<br />
entgegen –zwanzig grölenden Besoffenen<br />
oder zwanzig kichernden Bekifften?Naalso.<br />
Aber sonst gefällt es Ihnen in Deutschland?<br />
Gerade jetzt im kalten grauen November-Regen,<br />
fern Ihrer Grundsportarten Cricket und<br />
Rugby, fast ohne Golfplätze?<br />
Na, nun zählen Sie aber auch genau die<br />
drei Sachen auf, die mir wirklich fehlen, ja,<br />
darunter leide ich. Golf ist ein sehr geselliger,<br />
kommunikativer Sport. Aber dasWetter? Ich<br />
hatte 18 Jahre nur Sonnenschein in Südafrika,<br />
später dann 19 Jahre inFlorida. Ich<br />
finde den Wechsel gar nicht schlecht. Ist gut<br />
so.<br />
Birgit Walter fragt sich, warum ein<br />
Schlagersänger nie ein Schlagersänger<br />
genannt werden will.