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Berliner Zeitung 08.12.2018

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2 8./9. DEZEMBER 2018<br />

Howard Carpendale betritt die<br />

Lounge des Palace Hotels, blonder<br />

als in der Jugend, den Schal<br />

über der schwarzen Lederjacke,<br />

blickt sich um, wirkt lässig und trotzdem wie<br />

der Chef im Ring. Er hat seine Frau Donnice<br />

dabei, eine zierliche,sympathische Amerikanerin,<br />

daneben eine kleine Entourage,trotzdem<br />

weiß man gleich, wer hier das Sagen<br />

hat. Wenn Carpendale durch Straßen in Florida<br />

läuft, kennt ihn kein Mensch, doch die<br />

Leute halten ihn für einen Star, berichtete<br />

Thomas Gottschalk mal aus eigener Erfahrung.<br />

Diese vielleicht unbewusste Anmutung,<br />

die sich nicht mal an herrischen Gesten<br />

festmachen lässt, kann der Sänger auf der<br />

Bühne bewusst zu einem ziemlichen Charisma<br />

ausbauen. Er steht dann einfach da<br />

wie ein Champion, wortlos, und lässt sich<br />

feiern. Nach den Konzerten liegt ihm sein<br />

Publikum zu Füßen. Eine Erscheinungsform,<br />

die neben Beharrlichkeit und Wandel<br />

zum ewigen Erfolg des Sängers beitrug. Musikalisch<br />

hat er die schlimmen Stampf-<br />

Rhythmen der Anfänge wie in dem Titel„Das<br />

schöne Mädchen von Seite 1“ längst abgelegt.<br />

Carpendale passt sich an. Die neuen<br />

Songs schreibt ihm ein junges Kreativteam –<br />

ein aufwendig arrangierter Schlagerpop ist<br />

das,mit rockigen Einschlägen bis zum Elektrosound,<br />

griffig und melodiös.<br />

Im Alter von 72feiert Carpendale Ende<br />

Dezember sein 50. Bühnenjubiläum in Berlin:<br />

„Die Show meines Lebens“. Vorher sorgt<br />

er dafür, dass die Welt davon erfährt, reist<br />

aus der Umgebung von München an, gibt<br />

Interviews.Beim Fototermin lässt er die Fotografen<br />

anweisen, ihn nur von vorn zufotografieren.<br />

Die kleine Showeinlage für die<br />

Presse, die sich der Veranstalter so schön<br />

dachte,streicht er ganz aus dem Programm.<br />

Er weiß, was gut für ihn ist –soetwas bestimmt<br />

nicht.<br />

Vordem Gespräch gibt es den Hinweis,<br />

Herr Carpendale schätze gut vorbereitete<br />

Journalisten. Na denn –erscheint für jede<br />

Frage gerüstet. Er setzt sich tief in den<br />

Loungesessel und lehnt sich zurück, geht auf<br />

Distanz. Es wirdeine ganzeWeile dauern, bis<br />

er sich aufrichtet, nach vorn rückt und endlich<br />

an dem Gespräch Gefallen findet. Jemand,<br />

der sich sein halbes Leben lang mit<br />

der Anrede Howie rumärgern musste und<br />

mit der Bezeichnung Schnulzensänger,<br />

kommt vielleicht in Plauderlaune, bleibt<br />

aber auf der Hut. Man merkt, sein schwerer,<br />

weicher Akzent, die Angewohnheit, das Ich<br />

zu einem Isch zu machen, ist kein Gehabe.Es<br />

ist das Deutsch eines Südafrikaners, der privatgrundsätzlich<br />

englisch spricht, ohne ch.<br />

Herr Carpendale, ich staune über Ihre Großzügigkeit.<br />

Um 12 500 Leute zu erreichen, spielen<br />

Siefünf Malinder neuen VertiMusic Hall<br />

mit 2500 Plätzen statt einmal die Mercedes-<br />

Benz-Halle nebenan zu mieten. Nur, um dem<br />

Publikum näher zu kommen?<br />

Wieso nur? Mir ist das wichtig. Ich hatte<br />

auch schöne Erfolge in riesigen Hallen. Da<br />

sitzen die Leute weit weg, und wir brauchen<br />

Leinwände –dieses Mal nicht. Ich will eine<br />

Personality-Show, wie ich sie aus Las Vegas<br />

kenne, mit den Leuten in Kontakt kommen,<br />

reden, vonfrüher erzählen –eswirdschließlich<br />

ein Abend über mein Leben.<br />

Ich dachte,<br />

die Welt ist<br />

ein Ort<br />

voller<br />

Sonne,<br />

Musik und<br />

Sport<br />

Howard Carpendale kam einst als naiver Südafrikaner nach<br />

Europa. Er ahnte nicht, dass er in Deutschland ein<br />

Schlagerstar werden würde. Ein Gespräch über Zufälle, zu<br />

frühe Bühnenabschiede und seine Jubiläumsshow in Berlin<br />

Da gibt es schon ein paar Harmonien mehr,<br />

auch andere Texte. Essind keine schlichten<br />

Drei-Minuten-Songs mehr, sondern komplexe<br />

große Shows. Udo Jürgens und Peter<br />

Maffay haben sich ihr Leben lang gegen dieses<br />

Schlagerimage gewehrt, zu Recht!<br />

Udo Jürgens wurde von aller Welt angebetet<br />

als Sänger und Autor.Aber was war sein Streben,<br />

was erklärte er zu seinem größten Erfolg<br />

–ein Dirigat mit den <strong>Berliner</strong> Philharmonikern.<br />

Als würde ein Klassik-Konzert einen<br />

Makel von ihm abwaschen –endlich Anerkennung,<br />

auch vonder Familie! Dashat doch<br />

was Dünkelhaftes.<br />

Ach, wissen Sie, warum wir Sänger auf die<br />

Bühne gehen?<br />

AusSpaß an der Freude? Am Singen?<br />

Wir wollen Respekt! In der Köln-Arena<br />

gab ich 2003 eigentlich mein letztes Konzert.<br />

Das war unglaublich, die Leute weinten,<br />

wollten nicht nach Hause. Weil einer aufhörte,<br />

der sie begleitet hatte. Der vielleicht<br />

schönste Abend meines Lebens war das.<br />

Seitdem ist Respekt da. Und keiner nennt<br />

mich mehr Howie,was ich nie leiden konnte,<br />

schon gar nicht jetzt, als 72-Jähriger.<br />

Aber dieser zeitige Bühnenabschied endete<br />

beinahe tödlich. In Ihrem Buch „Das ist meine<br />

Zeit“ erzählen Sievon den Jahren danach, als<br />

Sie letztlich planten, sich mit dem Auto in<br />

eine Schlucht zu stürzen. Gedanken in einer<br />

langen schweren Depression waren das. Ihr<br />

Rückzug war doch übereilt.<br />

Damals fühlte er sich richtig an. Alles wiederholte<br />

sich ständig. Ichdachte,hör auf, der<br />

Höhepunkt ist vorbei! Kohle brauchst du<br />

nicht. Chris Roberts, Rex Gildo, Roy Black<br />

hatten die Branche nicht überlebt. Ichwollte<br />

nicht langsam in der Versenkung verschwinden.<br />

Mich interessierte auch die Reaktion –<br />

die war ja dann unglaublich. Aber es stimmt.<br />

Bald folgte die schlimmste Zeit meines Lebens.<br />

Damals lebte ich in Florida, ich hatte<br />

eine todkranke Frau und Probleme mit meinem<br />

Sohn Cass, der auch darunter litt.<br />

Schließlich betrog mich noch ein vermeintlich<br />

guter Freund um einen Haufen Geld.<br />

Ein Betrüger, anden Sie einen siebenstelligen<br />

Betrag verloren. Ein Show-Profi wie Sie, der<br />

jahrzehntelang auf sein Geld aufpasste, sich<br />

Finanzjongleuren stets verweigerte und sich<br />

als öffentliche Person eine solide Menschenkenntnis<br />

angeeignet hatte. Wie passiert denn<br />

so was?<br />

Ich habe ihn angerufen. Er war mir in einer<br />

Fernsehsendung mit lauter Großmäulern<br />

als besonnener Finanzexperte aufgefallen.<br />

Underriet mir zunächst zu sehr soliden<br />

Anlagen. Sieahnen nicht, wie clever diese Typen<br />

sind. Es ging dann Schritt für Schritt, bis<br />

ich in einen Strudel geriet, viel Geld verlor.<br />

Underblieb verschwunden. Aber nicht dieser<br />

Verlust warf mich um, sondern dass ich<br />

sofort wusste: Um das zu bereinigen, verbringst<br />

du die nächsten Jahre mit Anwälten,<br />

Prozessen, Belegen, Nachweisen –schrecklich.<br />

Ich habe mich überall rausgekauft.<br />

Schließlich war es ein Arzt in Deutschland,<br />

der zu mir sagte, dumusst zurück auf die<br />

Bühne. Alles andere ist lebensgefährlich.<br />

Aber dieses Tief hat Jahregedauert.<br />

Die letzte Tournee war ziemlich aufwendig –<br />

mit Chor und großer Band. Ichhöre, man verdient<br />

fast nichts mehr mit dem Verkauf von<br />

Alben, nur das Live-Geschäft funktioniert<br />

noch. Reduzieren Sieden Aufwand in der kleineren<br />

Halle?<br />

Im Gegenteil, ich will es noch größer. Die<br />

Show gibt es ja noch nicht, sie entsteht gerade<br />

erst in meinem Kopf. Ichsag Ihnen was:<br />

Ichbin kein Sklavedes Geldes,ich bin in diesem<br />

Beruf, weil er Spaß macht. Klar würden<br />

wir nebenan mehr verdienen, aber dann ist<br />

es nicht die gleiche Show. Frag nicht zuerst<br />

nach dem Verdienst, sondern obduesgern<br />

machst, ist ein Gedanke, den ich auch meinen<br />

Söhnen mitgegeben habe. Der Abend<br />

soll nicht einfach Erwartungen bedienen,<br />

sondern auch mit ihnen brechen, anders<br />

werden, unvergesslich. Dasist mein Ziel.<br />

„Unglaublich“ nannten Sie beim letzten Mal<br />

das <strong>Berliner</strong> Publikum. Was soll an dem<br />

besonders sein? Ich kenne es auch hübsch<br />

ignorant, gerade im Mainstream, und im Musicalgeschäft<br />

hat es schon manchen Produzenten<br />

in die Flucht geschlagen.<br />

Also ich erlebe durchaus Begeisterung.<br />

Aber nicht die Städte machen den Unterschied,<br />

sonderndie Hallen.Wenn im Tempodrom<br />

mit Holzboden und Holzstühlen die<br />

Leute trampeln, kommt eine andere Stimmung<br />

auf als in einer Halle mit weichen Sesseln,<br />

wo alles still lauscht. Derletzte Konzert-<br />

Mitschnitt kam aus dem Tempodrom. Meine<br />

Beziehung zu Berlin ist schon deshalb besonders,<br />

weil ich hier 1968 mit Paul Kuhn<br />

meine erste Single „Lebenslänglich“ aufnahm.<br />

Da konnte ich kaum Deutsch, sang<br />

alles phonetisch, also nach dem Hören. Paul<br />

Kuhn verzweifelte,weil ich ständig fruchtbar<br />

sang statt furchtbar. Bestimmt tausend Mal<br />

bin ich dann nach Berlin eingeflogen, weil<br />

vonhier die „ZDF-Hitparade“ kam. Eine verrückte<br />

Zeit. Wobei wir uns damals mit unseren<br />

Drei-Minuten-Titeln gar nicht klar<br />

machten, dass da 20 Millionen Menschen an<br />

den Fernsehern saßen. Tatsächlich hat<br />

meine Karrierehier begonnen.<br />

Interview: Birgit Walter<br />

Eine Ersatzkarriere, weil Sieals Profi-Cricketspieler<br />

in England nicht gut genug waren.<br />

Aber Sie hatten Erfahrung als Elvis-Imitator.<br />

Wissen Sie, warum für IhreMusik ausgerechnet<br />

Deutsche so empfänglich sind?<br />

Die Wahrheit? In England oder Amerika<br />

hätte ich es nie zu einem Plattenerfolg gebracht.<br />

Vielleicht in Las Vegas, aber da<br />

braucht man einen Hit, den ich nicht hatte.<br />

Hier kam ich zufällig zur richtigen Zeit an,<br />

alle Welt hörte Schlager.Mein Leben besteht<br />

aus solchen Zufällen, wurde manchmal in<br />

Sekunden in fremde Bahnen gelenkt. Ich<br />

probte in einem Londoner Club mit einer<br />

Band, ein Manager kam herein und sagte: Ich<br />

habe einen Auftritt im Angebot, in Düsseldorf.<br />

Düsseldorf? Nie gehört. So kam ich<br />

nach Deutschland und blieb.<br />

Und Sie hatten bald einen Hit: „Das schöne<br />

Mädchen von Seite 1“, ein Schlager reinsten<br />

Wassers, den bis heute viele Leute mitpfeifen<br />

können. Daswar 1970, und Siekündigten danach<br />

Ihre Teilnahme an der Hitparade auf.<br />

Siewollten was Besseres sein.<br />

Undblieb dann über Jahreerfolglos.Sehr<br />

lehrreich, die Zeit, und deprimierend. Ich<br />

wollte schon aufgeben und zurück nach<br />

Südafrika, probierte dann aber doch noch<br />

eine Platte mit eigenen Titeln und war zurück.<br />

EinJazzsänger ist dankbar für 150 Zuhörer in<br />

einem Club. Ein Schlagersänger macht große<br />

Hallen voll mit 15 000 Leuten, tritt ständig im<br />

Fernsehen auf, will aber kein Schlagersänger<br />

sein. Ist beleidigt, wenn das Feuilleton seine<br />

Musik nicht leiden kann. Das habe ich nie<br />

verstanden.<br />

Ichfinde,dawirdeine Entwicklung ignoriert.<br />

Ich singe ja auch in Schlagersendungen,<br />

aber meine Lieder heute haben doch<br />

nichts mehr mit denen von damals zu tun.<br />

Florida behagte Ihnen ohnehin nicht mehr.<br />

Sie erzählen vonVorgängen in Ihrer Golf-Residenz,<br />

in der die Superreichen versuchten,<br />

die einfachen Reichen rauszumobben. Etwa,<br />

indem sie ein Restaurant erweitern ließen für<br />

20 Millionen Dollar, zuzahlen von allen Bewohnern.<br />

Wiebleibt man denn immun gegen<br />

solche Formen der Gier?<br />

Ich habe grundsätzlich kein Interesse,<br />

mein Geld zu vermehren. Ichwohnte damals<br />

in einer schönen Hütte mit 600 Quadratmetern,<br />

aber neben den 20-Millionen-Villen<br />

wirkte sie klein. Undauf dem Golfplatz ging<br />

es immer nur um eins, umGeld und Börse.<br />

Gerade nervt mich wieder so eine Werbung,<br />

in der ein reicher Amerikaner erklärt: „Ich<br />

trinke meinen Kaffee für 18 Cent zu Hause<br />

und verschwende nicht 2,50 Dollar bei Starbucks,<br />

bin doch nicht verrückt. Den Rest investiereich.“<br />

So bin ich nicht. So ist Amerika.<br />

Aber ich sehe das auch in Deutschland kommen,<br />

wie alles Gute und Schlechte aus Amerika<br />

hier landet. Vielleicht nicht ganz so laut.<br />

Es fängt mit der High Five an und hört beim<br />

Geld auf.<br />

Ihre Frau ist Amerikanerin, stammt aus Mississippi.<br />

Sind Trump-Wähler unter Ihren<br />

Freunden?<br />

Ja, tatsächlich haben wir die Hälfte unserer<br />

Freunde verloren. Trump-Wähler gibt es<br />

in allen Schichten, viele vermehren durch<br />

die aktuelle Steuerpolitik gerade ihren Reichtum.<br />

Aber Trump ist das Symptom, nicht die<br />

Ursache für den Vertrauensverlust in der Gesellschaft.<br />

Wenn man sich nicht mal auf Fakten<br />

und Tatsachen verlassen kann, wird es<br />

gefährlich. Und die Leute hören einander

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