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Berliner Zeitung 08.12.2018

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 287 · 8 ./9. Dezember 2018 3 *<br />

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Die Entscheidung in der CDU<br />

Dokumentiert<br />

„Wir haben<br />

uns nicht irre<br />

machen lassen“<br />

Angela Merkel und ihre<br />

letzte Rede als Vorsitzende<br />

Mit einer für ihre Verhältnisse<br />

emotionalen Rede hat sich<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />

nach 18 Jahren als Parteivorsitzende<br />

der CDU verabschiedet. Nachfolgend<br />

die wichtigsten Zitate aus der<br />

gut halbstündigen Rede:<br />

Zweimal mussten die ehemalige CDU-Vorsitzende Angela Merkelund der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ralph Brinkhaus ihr Votum in die fliegende Wahlurne werfen.<br />

Das Wir-Gefühl<br />

Auf dem Parteitag in Hamburg wählen die Delegierten Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen CDU-Vorsitzenden.<br />

VonMarina Kormbaki<br />

und Daniela Vates, Hamburg<br />

Der erste Schrei kommt<br />

bei der Zahl 482. „Auf<br />

Friedrich Merz entfielen<br />

482 Stimmen“, sagt der<br />

Tagungsleiter Daniel Günther auf<br />

dem Podium. Vorne links springen<br />

die Delegierten des Saarlands auf<br />

und jubeln. 482 Stimmen. Dasreicht<br />

nicht für einen CDU-Vorsitzenden.<br />

517 für Annegret Kramp-Karrenbauer,<br />

die bisherige CDU-Generalsekretärin<br />

und früheresaarländische<br />

Ministerpräsidentin, ergänzt Günther.<br />

Es ist ein knappes Ergebnis,<br />

aber es ist klar: Kramp-Karrenbauer<br />

ist die neue CDU-Chefin. Wieder<br />

eine Frau. Wieder jemand aus einem<br />

kleinen Landesverband. Kramp-Karrenbauer<br />

lacht und wischt sich ein<br />

paar Tränen aus dem Gesicht. Die<br />

Anspannung ist wegund gleichzeitig<br />

wächst eine neue.<br />

Und spannend ist es gewesen in<br />

der CDU: Sechs Wochen Wettbewerb<br />

ohne klareTendenz, ein ausgeglichen<br />

klatschender Parteitag. Und dann<br />

noch ein zweiter Wahlgang. DieCDU<br />

hat einen Krimi gemacht aus dieser<br />

Vorsitzendenwahl. Und eskann gut<br />

sein, dass der nicht zu Ende ist mit<br />

diesem Parteitag. Die Überschrift<br />

passt dazu. Merkel hat sie sich ausgesucht,<br />

sie hat das Motto ihres letzten<br />

Parteitags als CDU-Chefin bestimmt.<br />

„Zusammenführen. Und zusammen<br />

führen.“ In großen Lettern steht das<br />

wie eine Mahnung über der Bühne,<br />

schwarzauf weiß und mit den Farben<br />

der Deutschlandfahne im Hintergrund.<br />

Es ist das, was als Erstes ins<br />

Auge fällt in der Halle.Esist das,worauf<br />

alle blicken. Es ist das, was klappen<br />

muss, aber schiefgehen kann.<br />

Unversöhnlicher sind die Lager geworden,<br />

und manch unfreundliches<br />

Wort ist gefallen hinter den Kulissen.<br />

Angela Merkel ist die, die diese<br />

Spannung am Vormittag bricht, zumindest<br />

vorübergehend. Eine gute<br />

Stunde läuft der Parteitag da. Dann<br />

ist der Tagesordnungspunkt 8ander<br />

Reihe: der Bericht der Vorsitzenden.<br />

Es ist nicht irgendein Bericht. Ein<br />

paar Stunden später wirdMerkel von<br />

Ihre Vorgängerin Angela Merkel verabschiedet sich –und wird mit minutenlangem Applaus gefeiert<br />

ihrem Platz auf der linken auf die<br />

rechte Seite des Rednerpults wechseln.<br />

Siewirdnicht mehrVorsitzende<br />

sein, nach 18 Jahren. Es bleibt ihr ein<br />

Platz im Präsidium, als „kooptiertes<br />

Mitglied“. Achja, und sie bleibt Bundeskanzlerin.<br />

Das erwähnt Merkel<br />

auch, nebenbei und wie zur Sicherheit.<br />

Bedeutungsschwere hängt also<br />

über diesem Augenblick. Angela<br />

Merkel fährterst mal das Rednerpult<br />

nach oben. „Ich bin klein, aber nicht<br />

so klein“, sagt sie.Die Delegierten lachen<br />

befreit.<br />

Aber es geht ja um etwas auf diesem<br />

Parteitag, auch um ihr Erbe.Merkel<br />

hat sich nicht festgelegt auf einen<br />

Nachfolger.Sie tut es auch jetzt nicht.<br />

Sie versucht, eine zuversichtliche<br />

Stimmung zu schaffen, sie tut es mit<br />

einer eindringlichen Rede.„Die Konservativen<br />

sind von Ihnen ihrer Heimat<br />

beraubt worden“, kritisiert der<br />

baden-württembergische Delegierte<br />

Eugen Adler. Hat Merkel irgendwie<br />

kommen sehen. „Konservativ kommt<br />

nicht vonKonserve“, sagt sie.<br />

Undals Vermächtnis wählt sie ein<br />

besonderes Motiv: „Nicht mit Missmut,<br />

Missgunst und Pessimismus,<br />

sondern immer mit Fröhlichkeit im<br />

Herzen“ müsse man Politik machen.<br />

DieDelegierten feiernsie,Merkel bekommt<br />

einen Taktstock des Star-Dirigenten<br />

Kent Nagano geschenkt und<br />

einen Fresskorb aus Rheinland-Pfalz.<br />

Ein Filmchen gibt es noch über Merkel.<br />

„Thank you for the dance“ –<br />

Danke für denTanz, haben sie als Musik<br />

darübergelegt. Geschafft, die 18<br />

Jahre. Aber es geht ja um die Neuen.<br />

Drei sind es geblieben. 20 Minuten<br />

Redezeit hat jeder vonihnen. Siehalten<br />

sie mehr oder weniger ein.<br />

„Heute,indieser Stunde,indiesem Moment bin ich voneinem einzigen,<br />

alles überragenden Gefühl erfüllt: von dem Gefühl der Dankbarkeit. Es<br />

war mir eine große Freude. Eswar mir eine Ehre!“<br />

Angela Merkel in ihrer letzten Rede als Vorsitzende der CDU<br />

Die Reden könnten viel entscheiden,<br />

hat es im Vorfeld in allen Lagern<br />

geheißen. Eine gute Rede macht einen<br />

Parteivorsitzenden. Eine<br />

schlechte kann die entscheidenden<br />

Stimmen kosten. Die Rednerreihenfolge<br />

bestimmt das Alphabet.<br />

Glück für Kramp-Karrenbauer,<br />

sagen manche.Die Erste habe einen<br />

Aufmerksamkeitsvorteil. Glück für<br />

Merz, der als Zweiter spricht, sagen<br />

andere. Der Zweite könne Leute<br />

wachrütteln. Glück für Spahn, den<br />

Dritten, das finden auch manche.<br />

Der letzte Redner bleibe schließlich<br />

am besten im Gedächtnis.<br />

Unddann ist es so: Kramp-Karrenbauer<br />

probiert esmit dem Wir-Gefühl.<br />

„Ich will, ich kann, ich werde“,<br />

das war das gefeierte Motto ihrer Bewerbungsrede<br />

als Generalsekretärin<br />

im Februar: Nun will sie Parteichefin<br />

werden und ruft: „Wir können das,<br />

wir wollen das,und wir werden das.“<br />

Einweiteres Bild hat sie sich überlegt.<br />

DieCDU sei als Volkspartei „so etwas<br />

wie das letzte Einhorn in Europa“,<br />

sagt sie. Manchmal gibt es auch auf<br />

einem Parteitag in einer riesigen Messehalle<br />

einen Hauch vonRomantik.<br />

Aber es steht noch etwas anderes<br />

im Raum: „Ich habe gelesen, was ich<br />

bin: Mini, eine Kopie, ein einfaches<br />

‚Weiter so‘“, sagt Kramp-Karrenbauer.„Ichstehe<br />

hier als das,was ich<br />

bin“, sagt sie. In 18 Jahren Regierungserfahrung<br />

im Saarland habe sie<br />

„gelernt, was es heißt zu führen“. Dabei<br />

komme es „mehr auf die innere<br />

Stärke als auf die äußere Lautstärke<br />

an“, sagt sie. Esist ein Haken gegen<br />

Merz. Dessen Unterstützer haben<br />

lautstark getrommelt in den letzten<br />

Tagen. Sogar Bundestagspräsident<br />

Wolfgang Schäuble hat sich eingeschaltet<br />

für Merz.ImKramp-Karrenbauer-Lager<br />

wich die Gelassenheit<br />

der offenen Empörung. Peter Altmaier,<br />

der sonst so emsig fröhliche<br />

Wirtschaftsminister, warf Schäuble<br />

einen Dammbruch vor. Andere berichteten,<br />

das Merz-Lager arbeite<br />

mit Drohungen, um Delegierte umzustimmen.<br />

In jedem Fall haben beide Lager<br />

emsig gezählt: Merz’ Leute führten<br />

die großen Landesverbände an: Baden-Württemberg,<br />

die Hälfte von<br />

Nordrhein-Westfalen, ein guter Teil<br />

von Hessen und Niedersachsen sei<br />

für Merz. Die AKK-Leute versuchten,<br />

diese Rechnung zu zerlöchern: Die<br />

Frauen-Union. Der Sozialflügel. Die<br />

andereHälfte vonNRW.Baden-Württemberg<br />

–Merz-Land? Sogar der als<br />

konservativ geltende Innenexperte<br />

der Unionsfraktion Armin Schuster<br />

habe sich doch zu Kramp-Karrenbauer<br />

bekannt. Im Übrigen könne<br />

auch Spahn kein Interesse an einem<br />

Parteichef Merz haben: „Der hat ja<br />

dasselbe Geschäftsmodell wie er.“<br />

Merz bedient in seiner Rede seinen<br />

Rufals Mann klarerWorte.„Ohne<br />

klare Positionen bekommen wir<br />

keine besseren Wahlergebnisse“, sagt<br />

er. Merz gibt sich als Kämpfer gegen<br />

die AfD, erkritisiert Grüne, SPD und<br />

FDP gleich mit. Ein Grundsatzprogramm<br />

reiche nicht aus,umdiese Positionierung<br />

darzustellen, verkündet<br />

er auch – es ist das Rückspiel an<br />

Kramp-Karrenbauer. Merz beteuert,<br />

sowohl Kramp-Karrenbauer als auch<br />

Spahn würden mit ihm als Vorsitzenden<br />

eine führende Rolle in der CDU<br />

behalten. „Ich will der Vorsitzende eines<br />

Teams sein“, beteuertMerz. Es ist<br />

DPA/RAINER JENSEN<br />

das Bedenken, das es in der CDU gibt<br />

beim Namen Merz –dass er auf einem<br />

Egotrip ist, auf einem Rachefeldzug<br />

gegen Merkel, die ihn einst aus<br />

dem Amt des Unions-Fraktionschefs<br />

gekippt hat. Kann er mit Merkel zusammenarbeiten?<br />

„Natürlich geht<br />

das gut“, sagt Merz.<br />

Es könnte sein, dass an dieser<br />

Stelle des Parteitags schon alles klar<br />

ist, weil es Begeisterungsstürme gibt<br />

für den einen oder die andere. Aber<br />

die CDU bleibt geheimnisvoll. Bei<br />

Merz klatschen sie sechs Sekunden<br />

länger, dafür bei Kramp-Karrenbauer<br />

etwas lauter. Ein Plädoyer für<br />

eine Doppelspitze, das könnte man<br />

daraus ableiten. Aber das fordert<br />

nun wirklich keiner in der CDU.<br />

Es ist dann auch noch Spahn an<br />

der Reihe, der tapfer sagt, er wolle<br />

Parteichef werden, weil er weder für<br />

das „Weiter so“ stehe noch für die<br />

Vergangenheit. Er bekommt höflichen<br />

Applaus.<br />

Am Nachmittag verschwinden<br />

dann die Delegierten an ihren Tischen<br />

zwei Mal hinter schwarz-rotgelben<br />

Pappkartons, den sogenannten<br />

Tischwahlkabinen.<br />

Im ersten Wahlgang liegt Kramp-<br />

Karrenbauer vorne mit 450 Stimmen,<br />

Merz an zweiter Stelle mit 392<br />

Stimmen. Für Spahn votieren 157<br />

Delegierte und damit so viele, dass<br />

alles offen bleibt. Ein zweites Mal<br />

Pappkarton aufstellen also.<br />

Und dann kommt das Ergebnis,<br />

der Schrei aus dem Saarland. UndAnnegret<br />

Kramp-Karrenbauer marschiertals<br />

Siegerin nach oben auf die<br />

Bühne,wosie vonder Kanzlerin umarmt<br />

wird. Kramp-Karrenbauer bittet<br />

ihre Konkurrenten, weiter mitzuarbeiten<br />

in der CDU. Sieholt sie auf die<br />

Bühne. Man sei in den letzten Wochen<br />

zusammen durch die Republik<br />

gezogen „wie eine Rockband“, sagt<br />

sie.Und so sollte man doch irgendwie<br />

weiter auftreten.<br />

Friedrich Merz sagt: „Herzlichen<br />

Glückwunsch.“ Und erbittet seine<br />

Fans um Unterstützung für Kramp-<br />

Karrenbauer. Er tut es mit einem<br />

sehr freundlichen Lächeln. Zumindest<br />

für diesen Augenblick sieht es<br />

nach HappyEnd aus.<br />

„Mein erstes Parteitags-Motto<br />

nach der Spendenaffäre als neu gewählte<br />

Vorsitzende der CDU<br />

Deutschlands in Essen im Jahr 2000<br />

lautete: ‚Zur Sache‘. Daswar für viele<br />

gewöhnungsbedürftig. Wo steht hier<br />

Deutschland? Nirgends. Wo steht<br />

hier Zukunft? Nirgends.Wosteht hier<br />

etwas vongestalten, vonWerten, von<br />

Sicherheit? Nirgends. Nur: ‚Zur Sache‘.<br />

Damit fing es an. Typisch Merkel.“<br />

„Eine Schicksalsstunde der<br />

Christlich Demokratischen Union<br />

Deutschlands –die haben wir vor18<br />

Jahren erlebt. Das war die Bewältigung<br />

der Spendenaffäre, als die CDU<br />

politisch, moralisch und nicht zu<br />

vergessen finanziell vor dem Aus<br />

stand, als nicht wenige ihr ein<br />

Schicksal wie das der italienischen<br />

Democrazia Cristiana vorhergesagt<br />

hatten. Doch wir haben nicht klein<br />

beigegeben. Wirhaben uns nicht irre<br />

machen lassen. Wir haben einen<br />

kühlen Kopf bewahrt. Wirhaben uns<br />

auf unsere eigenen Stärken besonnen.<br />

Wir haben unseren eigenen<br />

Stärken vertraut und wir haben es allen<br />

gezeigt.“<br />

„Was hat Sie und mich als CDU-<br />

Vorsitzende vor über 18 Jahren eigentlich<br />

zusammengeführt? Damals<br />

nach der uns so sehr zusetzenden<br />

Spendenaffäre war es sicher –vorsichtig<br />

gesprochen – ein kleines<br />

Wagnis. Vor allem aber ein unerschütterlicher<br />

Glaube an die Zukunft,<br />

mit dem wir uns aufeinander<br />

eingelassen haben.“<br />

Zu 50 Jahren Regierungsbeteiligung<br />

von CDU/CSU im Bund: „Gelungen<br />

ist das, weil wir immer auf<br />

beides geachtet haben: Politik zu gestalten<br />

auf der Grundlage unserer<br />

Werte – aber auch mit der Bereitschaft<br />

wahrzunehmen, was um uns<br />

herum geschieht. [...] Weil wir immer<br />

wussten, dass konservativ nicht von<br />

Konserve kommt, sonderndavon, zu<br />

bewahren, was uns starkmacht, und<br />

zu verändern, was uns hindert.“<br />

„Bei all dem haben wir uns gegenseitig<br />

nicht geschont. Wirhaben<br />

uns gefordert. Wir haben uns auch<br />

gegenseitig etwas zugemutet. Ich<br />

Euch. Aber ich erlaube mir zu sagen,<br />

dass es auch –ganz, ganz selten natürlich<br />

–auch mal umgekehrt war.<br />

(…) Was haben wir uns vorenthalten?<br />

Sie haben mir gar nichts vorenthalten.<br />

Ich habe intensiv darüber<br />

nachgedacht –mir ist nichts<br />

eingefallen. Ichhabe umgekehrtIhnen<br />

und Euch manchen richtig deftigen,<br />

scharfen Angriff auf den politischen<br />

Gegner –obvon links oder<br />

rechts –vorenthalten und stattdessen<br />

das Florett gewählt oder es vorgezogen,<br />

zu schweigen und gar<br />

nicht erst über das Stöckchen zu<br />

springen, das man mir hin hielt. Ich<br />

weiß sehr wohl, dass ich Eure Nervendamit<br />

sehr auf die Probe gestellt<br />

habe.“

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