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Berliner Zeitung 08.12.2018

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28 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 287 · 8 ./9. Dezember 2018<br />

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Feuilleton<br />

Esbegann mit einer SMS: Ob<br />

man sich mal zu einem Gespräch<br />

treffen könne, über<br />

den Wohnungsmangel in<br />

Berlin und die Zukunft der Stadt, fragten<br />

wir den Architekten, Designer<br />

und Wohnraum-Visionär VanBoLe-<br />

Mentzel. Binnen Minuten rief er zurück:<br />

Er halte zu diesem Thema in<br />

den nächsten Tagen einen Vortragan<br />

der Uni, da könnten wir doch vorbeischauen.<br />

Und als wir gerade freudig<br />

zusagten, fügte er noch hinzu: Er erwarte<br />

mich am Montag um drei in der<br />

Akademie für Illustration und Design<br />

in der Ritterstraße –allerdings nicht<br />

als Gasthörer, sondern vor den Studenten:<br />

Das Interview sei dann der<br />

Vortrag. Die Studenten der AID, die<br />

die Aufgabe hatten, das Gespräch als<br />

„Graphic Recording“ live zuvisualisieren,<br />

mögen entschuldigen, dass es<br />

hier etwas verkürzt dokumentiertist.<br />

Herr Le-Menzel, Ihre Losung lautet<br />

„Konstruieren statt Konsumieren“. Ist<br />

diese Losung auch die Lösung für die<br />

wachsendeWohnungsnot?<br />

Beim Wohnen würden wahrscheinlich<br />

die wenigsten von Konsum<br />

spreche. Für mich ist das aber<br />

eine Form des Konsums –soähnlich<br />

wie man Burger in sich hineinfrisst,<br />

so fressen viele Wohnraum in sich<br />

hinein. Siewissen gar nicht, wie man<br />

mit Wohnraum umgeht, sie wollen<br />

aber alles haben: Möbel, Waschmaschinen,<br />

Tiefkühlschränke und den<br />

größten Fernseher, den es gibt, Fließen<br />

aus Italien, Lampen aus Skandinavien<br />

–sie wollen die ganzeWelt in<br />

ihren vierWänden haben …<br />

Mein Heim ist meine Welt: Wer will<br />

dies jemandem verdenken?<br />

Genau. Es ist eine ideologische Sache,<br />

die wir „wohnen“ nennen. Vielleicht<br />

braucht man aber,gerade in der<br />

jetzigen Zeit, eine andereIdee davon.<br />

Eine,inder es nicht darum geht, dass<br />

jemand möglichst viel Glück anhäuft,<br />

sondern dass wir uns viel mehr aufeinander<br />

beziehen, Dinge teilen,<br />

Raum und Ressourcen miteinander<br />

neu verhandeln.<br />

Raum neu verhandeln? Wo soll man<br />

da anfangen?<br />

Zum Beispiel mit der Erkenntnis,<br />

dass immer weiter steigender Wohnraumkonsum<br />

unsereLebensgrundlagen<br />

zerstört. Zuallererst die der Ärmsten,<br />

derjenigen, denen zwar der Zugang<br />

nach Europa verwehrtwird, die<br />

aber für unsereMöbel und unser Parkett<br />

die Bäume in den Regenwäldern<br />

fällen und die Erze aus den Stollen<br />

kratzen, damit unserer Hardware ein<br />

technisches Innenleben eingehaucht<br />

werden kann. So einWahnsinn für ein<br />

bisschen Wohnsinn. Und weil wir<br />

nicht die Fantasie haben, mit dem<br />

kostbarenWohnraum vernünftig umzugehen.<br />

Aufdiese Erkenntnis hat Sieangeblich<br />

Ihr kleiner Sohn gebracht.<br />

Es gab einen Streit zwischen meiner<br />

Frau und mir,als sich mein Sohn<br />

ankündigte. Die Frage war, müssen<br />

wir umziehen? Wirwohnen in Kreuzberg<br />

ineiner Zweizimmerwohnung,<br />

56 Quadratmeter für unter 400 Euro<br />

warm. Der Reflex meiner Frau war:<br />

Wir müssen uns vergrößern. Das<br />

hieße aber: 1000 Euro aufwärts, ich<br />

müsste mehr arbeiten, noch mehr<br />

Zeit fremdbestimmt verbringen. Das<br />

wollte ich nicht. Daswar der Konflikt.<br />

Wieging er aus?<br />

Wir einigten uns – gegen einen<br />

Auszug und für Fantasie. Ich baute<br />

ein raumhohes Wandregal mit integriertem<br />

Wickeltisch. Später tauschten<br />

wir die Couch gegen ein Bettsofa<br />

aus.Noch später,als ich dieTiny Houses<br />

entwickelt habe, hat meine Frau<br />

gesehen, dass es möglich ist, auf noch<br />

viel kleinerem Raum zu wohnen –indem<br />

man auch den Raum oben nutzt<br />

und sogenannte Split Levels einzieht,<br />

da wirddann zum Beispiel unten gekocht<br />

und oben geschlafen. So werden<br />

wir jetzt auch in der Küche für<br />

uns ein Hochbett bauen und unser<br />

Schlafzimmer in die Küche verlagern.<br />

Eine Schlafküche?<br />

Ichverwehre mich sowieso gegen<br />

Begriffe wie „Schlafzimmer“ und<br />

„Wohnzimmer“, weil es einen einschränkt.<br />

Viele können sich gar nicht<br />

vorstellen, dass die Küche auch<br />

gleichzeitig zum Beispiel eine Praxis<br />

sein kann, ein Restaurant, ein Friseurladen,<br />

ein Nachbarschaftsbegegnungsraum.<br />

Küche ist immer Küche<br />

und Schlafzimmer ist immer Schlafzimmer.Aber<br />

das ist eineVergeudung<br />

vonRessourcen.<br />

Wiewollen Siedas dem deutschen Michel<br />

beibringen? Der will seinen Balkon,<br />

sein <strong>Berliner</strong> Zimmer, seine<br />

Wohnwand.<br />

Dasist ja nicht genetisch angelegt.<br />

Grundsätzlich haben wir verlernt,<br />

Raum so zu nutzen, dass es unserem<br />

Lebensentwurf entspricht. Wir sind<br />

Wohnlegastheniker. Wir können<br />

nicht mit dem Vokabular von Raum<br />

und seinen Funktionen umgehen.<br />

Natürlich kannst du überall kochen.<br />

Wirkochen in den Tiny Houses auch,<br />

ohne auch nur eine Wasserleitung zu<br />

haben. Aber diese Fantasie haben die<br />

wenigsten Menschen.<br />

Sind die Menschen denn früher mit<br />

wenigerWohnraum ausgekommen?<br />

Da gibt es verschiedene Erhebungen.<br />

Nach dem zweiten Weltkrieg betrug<br />

die durchschnittliche Wohnfläche<br />

eines Deutschen nur 20 Quadratmeter,<br />

das war aber auch der besonderen<br />

Situation geschuldet.<br />

Inzwischen hat sich das aber verdoppelt.<br />

So wie eben alles größer wird: die<br />

Autos,die Fernseher,das iPhone.<br />

Berlin steuert auf vier Millionen Einwohner<br />

zu. Wenn man von 40Quadratmetern<br />

proKopf ausgeht, wirddas<br />

ein echtes Problem.<br />

Es ist schon jetzt eines.Denken Sie<br />

an die alten Leute,und unsereGesellschaft<br />

wirdjaimmer älter.Fragt man<br />

sie nach dem Wunsch für den Lebensabend,<br />

sagen alle das gleiche: 65<br />

Quadratmeter, anderthalb bis zwei<br />

Zimmer mit Balkon, ruhig, aber mitten<br />

in der Stadt. Wo soll es diese Wohnungen<br />

geben?<br />

Müssen alle ihreAnsprüche herunterfahren?<br />

Nein.Wirmüssen dasWohnen nur<br />

neu denken. Meine Frau und ich<br />

dachten auch, zu dritt auf 56 Quadratmetern,<br />

das geht nicht. Aber wir<br />

haben gesagt, wir bleiben hier, und<br />

wir verlegen den fehlenden Raum in<br />

der Wohnung einfach in die Öffent-<br />

„Wir sind<br />

Raumfresser“<br />

Der Architekt VanBoLe-Mentzel über das Problem<br />

des steigenden Platzkonsums beim Wohnen –und darüber,<br />

wie wir es in den Griff bekommen<br />

VanBoLe-Mentzel in einem seiner „TinyHouses“.<br />

VAN BO LE-MENTZEL ...<br />

SABINE GUDATH<br />

...kam 1977 in Laos zur Welt und 1979mit seinenElternnachDeutschland. Er wuchsinBerlin-Wedding<br />

auf und studierte Architektur an der Beuth-Hochschule für Technik. 2015 war er Gastprofessor an der<br />

Hochschule für bildende Künste in Hamburg.Seit 2017 dozierterander Akademie für Illustration und<br />

Design Berlin. Er lebt mit seiner Frau und zwei KinderninKreuzberg.<br />

... profiliert sich seit Jahren als radikaler Denker in der Wohnraumdebatte. Sei es mit seinen kostenlosen<br />

Bauanleitungen sogenannter „Hartz-IV-Möbel“, oder mit seinen „100-Euro-Wohnungen“, die in 6,4<br />

Quadratmeter großen „TinyHouses“ Schlafen, Bad und Küche vereinen. 2015 wurde Le-Mentzel mit<br />

dem Zeitwissen-Preis für Mut zur Nachhaltigkeit ausgezeichnet.<br />

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VonTorsten Wahl<br />

Auch wenn der himmlische Titel<br />

Besinnliches assoziiertund rings<br />

um Ludwigshafen und Mannheim<br />

schon etwas Schnee liegt, so soll er<br />

natürlich in die Irre führen. „Vom<br />

Himmel hoch“ kommt hier nicht der<br />

Weihnachtsmann mit Geschenken<br />

her, sondern eskommen Drohnen,<br />

die den Todbringen. Zuerst im fernen<br />

Irak, dann mitten in Deutschland.<br />

EinPsychiater hatte sowohl die<br />

Lenker militärischer US-Drohnen<br />

als auch die Opfer des Drohnenkriegs<br />

betreut –nun liegt er erschlagen<br />

unter seinem Schreibtisch.<br />

Während die Kommissarinnen<br />

Lena Odenthal (Ulrike Folkerts im<br />

68. Fall) und Johanna Stern(Lisa Bitter)<br />

noch die Spuren sichten, begleitet<br />

TomBohn (Buch und Regie) mit<br />

seinem Film parallel schon die Verdächtigen.<br />

Zwei kurdische Brüder<br />

(Cuco und Diego Wallraff), die im<br />

Irak nahe Angehörige verloren haben,<br />

trainieren mit Drohnen für einen<br />

Anschlag auf ranghohe US-Militärs<br />

und Politiker, die sich mit dem<br />

deutschen Verteidigungsminister<br />

treffen wollen. Eine traumatisierte<br />

Drohnenlenkerin der US-Army<br />

(stark: Lena Drieschner), die zur Ordonnanz<br />

degradiert wurde, plagt<br />

sich mit ihren Psychosen und Alpträumen.<br />

Die Spannung um die Täterfrage<br />

ist also von vornherein begrenzt.<br />

DieDualität derVerdächtigen<br />

betont Tom Bohns politische Botschaft:<br />

Der Drohnenkrieg ist genauso<br />

schmutzig und brutal wie jeder<br />

andere, auch er tötet unschuldige<br />

Kinder –und wer aus der Ferne<br />

auf den Abschussknopf drückt, muss<br />

sich damit genauso auseinandersetzen<br />

wie ein Soldat, der im Gefecht<br />

den Abzug einer MPi betätigt.<br />

DerKrieg ist also der Täter,wie es<br />

der Titel schon erklärt. Um diesem<br />

Statement mehr Nachdruck zu verleihen,<br />

hätte TomBohn in seinem<br />

Film aber nicht nur verzweifelte und<br />

mahnende Videobotschaften aufsagen<br />

lassen sollen, sondern hätte seinem<br />

Film wesentlich mehr Tempo<br />

geben müssen. Doch dieser „Tatort“,<br />

vom Ansatz her ja ein Polit-Thriller,<br />

kommt nur schwer in Gang, und wie<br />

er schließlich aufgelöst wird, ist auch<br />

nicht besonders originell. Wenigstens<br />

müssen sich die Kommissarinnen<br />

Odenthal und Sternglücklicherweise<br />

nicht mehr anzicken, sondern<br />

dürfen sich annähernund sogar mal<br />

drücken. Die eigensinnige, lange arrogant<br />

wirkende Profilerin Stern gerät<br />

hier erstmals starkinBedrängnis.<br />

Doch dem ausgeschiedenen Kollegen<br />

Mario Kopper trauert nicht nur<br />

Lena Odenthal hinterher –die Figur<br />

von Andreas Hoppe hätte dem Ludwigshafener<br />

Krimi weiterhin mehr<br />

Perspektiven gegeben, auch und gerade<br />

bei diesem Thema.<br />

Tatort–VomHimmel hoch So, 20.15 Uhr, ARD

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