Berliner Zeitung 08.12.2018
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2** <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 287 · 8 ./9. Dezember 2018<br />
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Die Entscheidung in der CDU<br />
IN KÜRZE<br />
Das ZDF hat sich mit einer Programmankündigung<br />
Spott in den<br />
sozialen Netzwerken eingehandelt.<br />
In der Nacht zu Freitag war auf der<br />
Website des Senders ein Hinweis auf<br />
eine Sendung mit dem Titel „Was<br />
nun, Herr Merz?“ angekündigt, der<br />
zugehörige Text beginnt mit den<br />
Worten „Friedrich Merz ist neuer<br />
Parteichef der CDU.“ MehrereTwitter-Nutzer<br />
amüsierten sich daraufhin<br />
über den Informationsvorsprung<br />
beim ZDF.Inzwischen hat<br />
der Sender den Eintrag wieder gelöscht<br />
und sich für die Panne entschuldigt.<br />
Auch für die anderen<br />
möglichen Wahlausgänge seien<br />
selbstverständlich bereits Sendungen<br />
vorbereitet worden.<br />
Horst Seehofer bedauertnach eigenen<br />
Worten, dass sich Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel vonder CDU-<br />
Spitzezurückzieht. „Sie ist die<br />
Beste“, sagte der CSU-Chef dem<br />
Spiegel. „Wir alle werden sie noch<br />
sehr vermissen.“ Er versicherte,dass<br />
er trotz vieler Differenzen in den vergangenen<br />
Jahren eine tiefe Sympathie<br />
für Merkel hege: „Wenn man so<br />
viel durchgestanden hat wie Angela<br />
Merkel und ich, dann bildet sich Verbundenheit,<br />
streckenweise sogar<br />
Zuneigung. Daskettet aneinander.“<br />
Seehofer seinerseits gibt den CSU-<br />
Vorsitz Anfang 2019 ab.<br />
Annegret Kramp-Karrenbauer liegt in<br />
der sogenannten Kanzlerfrage mit 50<br />
zu 14 Prozent weit vorSPD-Chefin<br />
Andrea Nahles und mit 43 zu 21 Prozent<br />
auch deutlich vorVizekanzler<br />
Olaf Scholz (SPD). Merz würde Nahles<br />
demnach ebenfalls schlagen, allerdings<br />
nur mit dem geringerenVorsprung<br />
von33zu24Prozent. Gegen<br />
Scholz hätte Merz dagegen mit 29 zu<br />
35 Prozent das Nachsehen. DasInstitut<br />
Forsa befragte zur Kanzlerfrage<br />
vonMontag bis Donnerstag 2006<br />
Wahlberechtigte.<br />
Angela Merkel wirdimMai eine Rede<br />
an der HarvardUniversity in den<br />
USA halten, einer der angesehensten<br />
Hochschulen der Welt. Wiedie Universität<br />
im Ostküstenstaat Massachusetts<br />
am Freitag mitteilte,ist die<br />
Bundeskanzlerin als Hauptrednerin<br />
bei der akademischen Abschlussfeier<br />
am 30. Maivorgesehen. Harvard-Präsident<br />
LarryBacowbezeichnete<br />
Merkel als eine der „am<br />
stärksten bewunderten und einflussreichsten“<br />
politischen Führungspersönlichkeiten<br />
unserer Zeit.<br />
Die Delegierten des Hamburger<br />
CDU-Parteitages konnten ihreStimmen<br />
für Annegret Kramp-Karrenbauer,Friedrich<br />
Merz und Jens Spahn<br />
hinter einem kleinen Sichtschutz auf<br />
den Tischen abgeben. Dieser voneinigen<br />
Rednernals„Tischwahlkabine“<br />
bezeichnete Papp-Gegenstand löste<br />
rasch Belustigung im Netz aus.<br />
„Kannste dir nicht ausdenken“, kommentierte<br />
etwa ZDF-Moderatorin<br />
Dunja Hayali auf Twitter dieWortneuschöpfung.<br />
Staatsministerin<br />
Dorothee Bär (CSU) bat die Delegierten<br />
scherzhaft, ihr eine der Mini-<br />
Wahlkabinen mitzubringen. Auch<br />
der Dudenverlag versicherte schnell,<br />
dasWort„Tischwahlkabine“ existiere<br />
in seinem Nachschlagewerknicht –<br />
und versah den Post mit einem zwinkernden<br />
Smiley.<br />
Volker Bouffier konnte sich bei der<br />
Würdigung der Verdienste der scheidenden<br />
CDU-Chefin Angela Merkel<br />
einen Seitenhieb auf den örtlichen<br />
Fußballbundesligisten HSV nicht<br />
verkneifen. In der mehr als 18-jährigen<br />
Amtszeit Merkels habe der Club<br />
„24 Trainer verbraucht“, witzelte der<br />
Parteivize.<br />
Bei der Wahl um den CDU-Vorsitz müssen sich die Männer Annegret Kramp-Karrenbauer geschlagen geben. Jens Spahn (Mitte) und Friedrich Merz verlassen die Bühne.<br />
„Koalitionsvertrag gilt ohne Wenn und Aber“<br />
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil kündigt an, seine Partei werde die Entwicklung der Union genau beobachten<br />
Herr Klingbeil, was schätzen Sie an<br />
der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret<br />
Kramp-Karrenbauer?<br />
Erst einmal möchte ich meiner<br />
bisherigen Generalsekretärs-Kollegin<br />
Annegret Kramp-Karrenbauer<br />
herzlich zu ihrer Wahl gratulieren.<br />
Ich habe mit ihr als Generalsekretärin<br />
der CDU gut zusammengearbeitet<br />
und habe sie immer als konstruktive<br />
und vertrauensvolle Gesprächspartnerin<br />
erlebt und kennenlernen<br />
dürfen.<br />
In der Union gibt es jetzt eine Trennung<br />
zwischen Kanzlerschaft und<br />
Parteivorsitz. Wird die Zusammenarbeit<br />
in der Koalition damit schwieriger?<br />
Die CDU hat eine Personalentscheidung<br />
getroffen. Wir werden als<br />
SPD genau hinschauen, in welche<br />
Richtung sich die Union jetzt inhaltlich<br />
entwickelt. Das wird sich in den<br />
kommenden Monaten zeigen. Es<br />
gibt eine klareGrundlage für die Zusammenarbeit<br />
in der Regierung: Das<br />
ist der Koalitionsvertrag, auf den sich<br />
CDU, CSU und SPD verständigt<br />
haben. Auf dieser Basis bieten wir<br />
Frau Kramp-Karrenbauer eine konstruktiveZusammenarbeit<br />
an.<br />
Dieneue CDU-Vorsitzende steht jetzt<br />
unter Druck, auch das konservative<br />
Profil der Partei zu stärken. Lässt das<br />
der SPD mehr Raum, Wähler in der<br />
Mitte zu gewinnen?<br />
Angela Merkel hat in ihrer Zeit als Vorsitzende die CDU inhaltlich<br />
stark verändert. Allgemein wird der Prozess als Öffnung<br />
zur politischen Mitte hin beschrieben. Dazu zählen<br />
Themen, die langeZeit in der Union als unveränderbar galten.<br />
Hier die wichtigsten Wegmarken der vergangenen 18<br />
Jahren der Vorsitzenden Merkel:<br />
Atomausstieg: Gegen erbitterte rot-grüne Proteste setzt<br />
Merkel im Bündnis mit der FDP 2010 zunächst eine Verlängerung<br />
der Laufzeiten vonAtomkraftwerken durch. Die waren<br />
zuvor vonder früheren rot-grünen Bundesregierung mit<br />
den Betreibernausgehandelt worden. Doch 2011 –nach<br />
der Tsunami-Katastrophe im Atomkraftwerk vonFukushima<br />
mit einem GAU–verkündet sie abrupt die Kehrtwende zum<br />
Atomausstieg.<br />
„Das Schicksal der SPD hängt nicht vom CDU-Vorsitzenden ab“: LarsKlingbeil.<br />
Lars Klingbeil kam 1978 in Soltau zur Welt<br />
und wuchs in Munster auf. Er studierte Politik,<br />
Soziologie und Geschichte in Hannover.<br />
Seit 2002 ist er Mitglied der SPD.Ergehört<br />
dem Seeheimer Kreis an.<br />
ZUR PERSON<br />
BLZ/WÄCHTER<br />
Er arbeitete u.a. im Wahlkreisbüro vonGerhard<br />
Schröder und als Jugendbildungsreferent<br />
im Landesverband Nordrhein-Westfalen.<br />
2017 wurde Klingbeil zum Generalsekretär<br />
der SPD gewählt.<br />
Bundeswehr: Mit der Aussetzung derWehrpflicht 2011<br />
greift die UnioneineForderung auf, die SPDund Grüne<br />
schonlangeerhoben,inihrerRegierungszeit aber nicht<br />
mehrdurchgesetzt hatten.Zuletzt lehnte Merkel im Zusammenhang<br />
mit derDiskussion über eine allgemeine Dienstpflicht<br />
eine Wiedereinführung der Wehrpflicht klarab.<br />
Frauenquote: Das eher traditionelle, konservativeGesellschaftsbild<br />
der CDU hat Merkel auf breiter Front modernisiert,<br />
etwa bei der Rolle vonFrauen. 2016 tritt die im Koalitionsvertrag<br />
mit der SPD verabredete, gesetzlich festgelegte<br />
Frauenquote von30Prozent für die Aufsichtsräte der größten<br />
Börsen-Unternehmen in Deutschland in Kraft. Im CDU-<br />
Wirtschaftsrat gibt es bis zur Abstimmung im Bundestag Unmut<br />
über die Regelung.<br />
WEGMARKEN<br />
Frau Kramp-Karrenbauer ist mit<br />
einem sehr knappen Ergebnis zur<br />
CDU-Vorsitzenden gewählt worden.<br />
Das zeigt, wie unterschiedlich die<br />
Stimmungslagen in der Union sind.<br />
Das hat sich ja schon in den letzten<br />
Monaten bemerkbar gemacht. Klar<br />
ist: Dasist eine große Aufgabe,die sie<br />
als CDU-Vorsitzende antritt.<br />
Gilt der vereinbarte Koalitionsvertrag<br />
bedingungslos –oder ist jetzt der Zeitpunkt,<br />
an dem beide Seiten neue<br />
Wünsche vorbringen können?<br />
Wir haben mit der Union im Koalitionsvertrag<br />
vereinbart, dass wir<br />
gemeinsam das Leben der Menschen<br />
im Land besser machen wollen.<br />
Diese Aufgabe ist sehr groß: Wir<br />
wollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt<br />
stärken, wir wollen<br />
Deutschland modernisieren, und –<br />
das ist ein ganz wichtiger Punkt –wir<br />
wollen Europa voranbringen. Jetzt<br />
geht es darum, das alles kraftvoll<br />
umzusetzen. Diese Vereinbarung gilt<br />
ohne Wenn und Aber.<br />
Die SPD will Hartz IVüberwinden.<br />
Glauben Sie, Siekönnen Kramp-Karrenbauer<br />
überreden, da mitzumachen?<br />
Die SPD wird im kommenden<br />
Jahr ein umfassendes Konzept für<br />
den Sozialstaat der Zukunft vorlegen.<br />
Danach werden wir zügig mit<br />
der Union sprechen und schauen,<br />
wie weit wir gemeinsam kommen.<br />
Homosexuellen-Ehe: Im Sommer 2017 rückt Merkel vom<br />
klaren Nein der CDU zur Öffnung der Ehe ab.Sie überlässt,<br />
etwas überraschend, den Unions-Abgeordneten in der Sache<br />
eine freie „Gewissensentscheidung“. Der Bundestag<br />
beschließt daraufhin, dass Schwule und Lesben heiraten<br />
und gemeinsam Kinder adoptieren dürfen. Merkel selbst votiertallerdings<br />
dagegen.<br />
Flüchtlinge: Im Sommer 2015 entscheidet Merkel, die<br />
deutschen Grenzen nicht für die Flüchtlingezuschließen,<br />
die in Budapest auf dem Bahnhof gestrandet sind. Sie setzt<br />
sich für deren Integration ein. Verteidigen muss sie ihren<br />
Kurs gegenKonservativeinder Union, die Deutschland stärkerabschirmen<br />
wollen. Mittlerweile sind Regeln für Flüchtlingeunter<br />
Schwarz-Rot verschärft worden.<br />
SEBASTIAN WELLS<br />
Also wollen Siedoch über den Koalitionsvertrag<br />
hinausgehen?<br />
DerSPD geht es bei der Modernisierung<br />
des Sozialstaats darum, den<br />
Zusammenhalt im Land zu stärken,<br />
Deutschland für den digitalen Wandel<br />
fit zu machen und Menschen Abstiegsängste<br />
zu nehmen. Ich bin mir<br />
sehr sicher, die Union wird sich diesem<br />
Wegnicht vollkommen verweigern.<br />
Vieles setzen wir in der Koalition<br />
ja bereits um, zum Beispiel den<br />
sozialen Arbeitsmarkt.<br />
Kramp-Karrenbauer ist Merkel vom<br />
Politikstil her ähnlich. Sind Sie mit<br />
ihrer Wahl zuversichtlicher, was den<br />
Fortbestand der großen Koalition angeht,<br />
als Sieesbei einem CDU-Vorsitzenden<br />
Merz gewesen wären?<br />
Das Schicksal der SPD und die<br />
Weichenstellungen, die wir in unserer<br />
Partei zu klären haben, hängen<br />
nicht davon ab,wer Vorsitzender der<br />
Union ist. Jede der Parteien muss<br />
sich für sich selbst ordnen.<br />
Die CDU hat sich personell erneuert.<br />
Wächst der Druck auf die SPD, esgenauso<br />
zu tun?<br />
Wir haben erst vor wenigen<br />
Monaten mit Andrea Nahles eine<br />
neue Vorsitzende gewählt. Deshalb<br />
gibt es bei der SPD keinen Bedarf,<br />
über personelle Veränderungen zu<br />
reden.<br />
DasGespräch führte Tobias Peter.<br />
Mindestlohn: In der vergangenen Legislaturperiode wird ein<br />
linkes Herzensprojekt der SPD wahr:der gesetzliche Mindestlohn.<br />
Bildung: Nach langem Ringen löst sich die CDU 2011 von<br />
der Tradition des dreigliedrigen Schulsystems. Neben dem<br />
Gymnasium sollen unter dem Dach einer „Oberschule“<br />
Haupt- und Realschulen vereint werden. Als Grund werden<br />
sinkende Schülerzahlen genannt.<br />
Doppelpass: Merkel hält 2016, gegendasVotum eines CDU-<br />
Parteitags, an der doppelten Staatsbürgerschaft fest. Diese war<br />
2014 mit der SPD vereinbartworden. In Deutschland geborene<br />
Kinder ausländischer Elternkönnen neben der deutschen auch<br />
die Staatsbürgerschaftihrer Elternbehalten.