06.12.2018 Aufrufe

Mixology - Magazin für Barkultur 6-18

Das Jahr geht zu Ende und wir hören auf den Cognac – gleich zwei Mal! Denn die traditionsreiche und früher einmal wohl prestigeträchtigste Spirituose kämpft: Mit sinkenden Absatzzahlen in den alten Märkten, mit zu wenig Beachtung durch Bartender und Genießer sowie mit dem immer mehr anwachsenden Ruf, zu einer Bling-Bling-Spirituose reicher Asiaten zu verkommen. Zeit also zu schauen, was den Cognac im Jahre 2018 eigentlich auszeichnet, was ihn bewegt und in welche Drinks er hinein möchte. Dafür hat sich einerseits Reinhard Pohorec, weltweit jüngster BNIC-zertifizierter Cognac-Educator, dem Destillat in einer Aufstellung von zehn Fakten genähert. Und wir sehen: Es tut sich durchaus Einiges in der vermeintlich staubigen Kategorie. Andererseits haben wir gemeinsam mit unserem Autor Peter Eichhorn und renommierten Berliner Bartendern erforscht, wie sich unterschiedliche Cognacs eigentlich in einigen der klassischen American-Whiskey-Cocktails machen. Ist sich doch die Forschung einig, dass viele der archetypischen Bourbon- und Rye-Drinks in ihren Gründungszeiten mit der französischen Spirituose entwickelt und genossen wurden. Die Ergebnisse sind in ihrer Vielfalt geradezu verblüffend! Aber auch abseits dessen hat die Weihnachtsausgabe allerhand zu bieten: So ermittelt unser unabhängiges MIXOLOGY TASTE FORUM den besten Blanco Tequila – inklusive Überraschungssieger. Für die „Trinkwelt“ hat Markus Orschiedt sich vor und hinter südafrikanischen Tresen umgesehen: Der Autor und frühere MIXOLOGY-Chefredakteur kennt das Land nicht nur durch mehrere Reisen, sondern hat zusätzlich mit führenden Kennern der dortigen Szene gesprochen. Und in einem ausführlichen Dossier beleuchtet Joely Ketterer nicht nur die soziologischen Aspekte des Nicht-Trinkens, sondern gibt außerdem ausführlich Einblick in die aktuellen Statistiken zum Thema Alkoholmissbrauch. Wir wünschen Ihnen eine besinnliche Adventszeit, einen guten Start ins neue Jahr und natürlich viel Freude mit der MIXOLOGY 6/2018! Weitere Themen: Die besten Bars in Athen, der „neue, alte“ Curtain Club im Berliner Ritz-Carlton, Säurepulver als Zukunftsthema der Bar, der Stand der Dinge beim Pilsner und ein ausführliches Gespräch mit Wolfgang Bogner aus der Zürcher Tales Bar.

Das Jahr geht zu Ende und wir hören auf den Cognac – gleich zwei Mal! Denn die traditionsreiche und früher einmal wohl prestigeträchtigste Spirituose kämpft: Mit sinkenden Absatzzahlen in den alten Märkten, mit zu wenig Beachtung durch Bartender und Genießer sowie mit dem immer mehr anwachsenden Ruf, zu einer Bling-Bling-Spirituose reicher Asiaten zu verkommen.

Zeit also zu schauen, was den Cognac im Jahre 2018 eigentlich auszeichnet, was ihn bewegt und in welche Drinks er hinein möchte. Dafür hat sich einerseits Reinhard Pohorec, weltweit jüngster BNIC-zertifizierter Cognac-Educator, dem Destillat in einer Aufstellung von zehn Fakten genähert. Und wir sehen: Es tut sich durchaus Einiges in der vermeintlich staubigen Kategorie.

Andererseits haben wir gemeinsam mit unserem Autor Peter Eichhorn und renommierten Berliner Bartendern erforscht, wie sich unterschiedliche Cognacs eigentlich in einigen der klassischen American-Whiskey-Cocktails machen. Ist sich doch die Forschung einig, dass viele der archetypischen Bourbon- und Rye-Drinks in ihren Gründungszeiten mit der französischen Spirituose entwickelt und genossen wurden. Die Ergebnisse sind in ihrer Vielfalt geradezu verblüffend!

Aber auch abseits dessen hat die Weihnachtsausgabe allerhand zu bieten: So ermittelt unser unabhängiges MIXOLOGY TASTE FORUM den besten Blanco Tequila – inklusive Überraschungssieger. Für die „Trinkwelt“ hat Markus Orschiedt sich vor und hinter südafrikanischen Tresen umgesehen: Der Autor und frühere MIXOLOGY-Chefredakteur kennt das Land nicht nur durch mehrere Reisen, sondern hat zusätzlich mit führenden Kennern der dortigen Szene gesprochen. Und in einem ausführlichen Dossier beleuchtet Joely Ketterer nicht nur die soziologischen Aspekte des Nicht-Trinkens, sondern gibt außerdem ausführlich Einblick in die aktuellen Statistiken zum Thema Alkoholmissbrauch.

Wir wünschen Ihnen eine besinnliche Adventszeit, einen guten Start ins neue Jahr und natürlich viel Freude mit der MIXOLOGY 6/2018!

Weitere Themen: Die besten Bars in Athen, der „neue, alte“ Curtain Club im Berliner Ritz-Carlton, Säurepulver als Zukunftsthema der Bar, der Stand der Dinge beim Pilsner und ein ausführliches Gespräch mit Wolfgang Bogner aus der Zürcher Tales Bar.

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Säurepulver<br />

Kristalle <strong>für</strong> den Drink: Exakt.<br />

Effektiv. Ehrlich?<br />

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Das Taste Forum kürt den<br />

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APERITIF<br />

VEREHRTE LESER!<br />

Ab und an darf man ein Editorial wohl nutzen,<br />

um sozusagen im Interesse der eigenen Zunft zu<br />

sprechen. Es gibt diesen einen permanenten Vorwurf,<br />

der sich durch das Leben jedes Journalisten<br />

zieht, insbesondere jedes Journalisten, der nicht<br />

nur Bericht erstattet, sondern Meinung bezieht.<br />

Der Vorwurf lautet: Arroganz ist der Antrieb. Die<br />

Unterstellung, Presse sei arrogant, ist wahrscheinlich<br />

so alt wie die Presse selbst. Denn die Presse<br />

erlaubt sich gewissermaßen ohne fremde Legitimation,<br />

über Dinge, Orte, Personen und Sachverhalte<br />

nicht nur zu sprechen, sondern teilweise auch über<br />

sie zu urteilen. Das führt oft zu Missgunst unter<br />

den Besprochenen oder den ihnen wohlgesonnen<br />

Gegenüberstehenden, sobald man Skepsis oder<br />

Nichtübereinstimmung äußert; oder schlicht einen<br />

Standpunkt artikuliert, der jemandem so nicht gefällt.<br />

Genau in diesem Moment kommt es dann – insbesondere<br />

in allen Presseformen, die feuilletonistisch<br />

oder fachlich eine Auffassung kundtun – häufig zum erwähnten<br />

Arroganz-Vorwurf. Doch warum? Basiert ein großer Teil unserer Presse<br />

letztlich auf dem schäbigen Antrieb aus Arroganz? Um den Begriff<br />

einmal zu betrachten: Andere Worte <strong>für</strong> Arroganz wären »Hochmut«,<br />

»Vermessenheit« oder »Überheblichkeit«. Ganz gleich, welches dieser<br />

Worte man verwendet, man attestiert damit, dass jemand sich über das<br />

Besprochene stellt, ihm mit mangelndem Respekt begegnet oder ihn<br />

ungerechtfertigt bloßstellen möchte. Und der Vorwurf der Arroganz, er<br />

sitzt – gefühlt zumindest – in unserer Zeit lockerer denn je.<br />

Nils Wrage<br />

Chefredakteur<br />

sie tut etwas Notwendiges. Kritik an einer Sache<br />

oder einer Person hat nichts damit zu tun, sich<br />

selbst höher zu stellen. Kritik ist am Ende des Tages<br />

sogar eine große Bekundung des Respektes. Weil<br />

sie zeigt, dass man sich mit einer Sache beschäftigt<br />

hat. Und gilt das nicht sogar <strong>für</strong> meinungsstarke<br />

Texte, die spitz, schwungvoll und unterhaltsam geschrieben<br />

werden? Womöglich gar <strong>für</strong> jene, die ein<br />

nicht allzu gängiges Fremdwort enthalten?<br />

Das bedeutet nicht, dass der Journalismus nicht<br />

ebenso kritisiert werden darf, wie er selbst Dinge<br />

und Auffassungen hinterfragt, keinesfalls. Es bedeutet<br />

niemals, dass die Presse keine Fehler macht,<br />

ob nun stilistisch, fachlich oder durch mangelnde<br />

Recherche. Aber das Totschlagargument der Arroganz<br />

darf nicht so leicht in Stellung gebracht<br />

werden, wie es gern getan wird. Wer mit Arroganz<br />

argumentiert, der zeigt, dass er in Wirklichkeit gar<br />

keine Argumente hat.<br />

Natürlich gibt es auch in der Presse (wie in jeder Branche) selbstgerechte<br />

Widerlinge, Narzissten und Unsympathen, denen das Vermessensein<br />

Freude macht. Aber sie sind in der Minderheit. Der Großteil aller Journalisten<br />

ist Journalist (und zwar alle, nicht nur jene von <strong>Mixology</strong>),<br />

weil sie dem, worüber sie schreiben, Begeisterung und Respekt entgegenbringen.<br />

Das sollte man niemals vergessen. Ist das nicht irgendwie<br />

auch ein weihnachtlicher Gedanke? Darauf einen Drink!<br />

Mit den herzlichsten Grüßen aus der Redaktion<br />

Doch das ist falsch. Es ist sogar Blödsinn und es ist am Ende kurzsichtig.<br />

Wenn die Presse sich skeptisch äußert, dann tut sie nichts Arrogantes,<br />

Ihr Nils Wrage<br />

Fotos: Katja Hiendlmayer und Natalia Kepesz<br />

DER ABEND ALLER ABENDE…<br />

…ist zumindest <strong>für</strong> uns jener, an dem die MIXOLOGY BAR AWARDS verliehen werden. Es mag im Vorfeld<br />

und danach Kritik geben, wer nominiert und ausgezeichnet worden ist – und kein Urteil ist endgültig<br />

oder über jeden Zweifel erhaben. Geradezu unumstößlich ist es allerdings, was diesen Abend jedes<br />

Jahr so wunderbar macht: Zu sehen, wie eine Szene gemeinsam (auch ein bisschen sich selbst) feiert.<br />

Freundschaftlich, emotional und ausgelassen. Die Fotos in der Bildstrecke am Beginn dieses Heftes<br />

mögen davon einen kleinen Eindruck vermitteln.<br />

5


Bars & Menschen<br />

MIXOLOGY INTERN<br />

Schwelgen in Erinnerungen an die Barwoche<br />

................................................................................ 8<br />

ZEHN<br />

Cognac: Was stimmt? Was nicht?<br />

............................................................................. 22<br />

STADTGESCHICHTEN<br />

Athen: mehr als Griechischer Wein<br />

.............................................................................. 26<br />

NEUE BARS<br />

Immer noch und immer wieder:<br />

der »neue« Curtain Club<br />

............................................................................. 36<br />

AUF EIN GLAS MIT …<br />

… Wolfgang Bogner<br />

.............................................................................. 40<br />

NACHTRAUSCHEN<br />

Bolzano im Endstadium<br />

............................................................................. 46<br />

26 STADTGESCHICHTEN<br />

Athen wird man sowieso nicht<br />

gerecht, in vielerlei Hinsicht. Nicht<br />

historisch, nicht kulturell und<br />

auch nicht kulinarisch. Nicht, ohne<br />

hier lange gelebt zu haben. Ein<br />

Überblick über die Barszene allerdings,<br />

der ist möglich. Willkommen<br />

in Athen, wo »Griechischer Wein«<br />

beileibe nicht alles ist,<br />

was man sich an Flüssigkeiten<br />

zuführen sollte.<br />

Flüssiges<br />

MIXTUR<br />

Produktneuheiten aus dem Baruniversum<br />

.............................................................................. 10<br />

MEINUNG<br />

Mit Bartendern in den Dry January<br />

............................................................................. 20<br />

MADE IN GSA-MIXTUR<br />

Frisches aus dem heimischen Barkosmos<br />

............................................................................. 24<br />

FOOD & DRINK<br />

Shake-Sensationen und Topping-Terror<br />

............................................................................. 44<br />

COCKTAIL<br />

Heiße Cocktails: Stiefkinder <strong>für</strong> den Winter?<br />

............................................................................. 48<br />

HOW TO COCKTAIL<br />

Hot Buttered Rum<br />

............................................................................. 55<br />

SPIRITUOSE<br />

Mix-Workshop: Cognac in Whiskey-Drinks<br />

............................................................................. 56<br />

TRINKWELT<br />

Südafrika, das Land der Regenbogensäufer<br />

............................................................................. 60<br />

ALCHEMIST<br />

Säure aus dem Baukasten: Eben viel mehr<br />

als nur sauer<br />

............................................................................. 66<br />

FOUR OF A KIND<br />

Manzanilla Sherry im Redaktionsvergleich<br />

............................................................................. 72<br />

MIXOLOGY TASTE FORUM<br />

Der beste Blanco Tequila im Test<br />

............................................................................. 74<br />

BACK TO BASICS<br />

Kräuter an der Bar: auch 20<strong>18</strong> noch interessant!<br />

66 ALCHEMIST<br />

Das Thema Säurepulver ist ein heikles<br />

und scheidet die Gemüter. Möglicherweise<br />

ist aber gar nicht immer alles,<br />

was nicht am Baum wächst, auch<br />

per se schlecht. Denn bei Säuren<br />

geht es um so viel mehr als nur<br />

um das, nun ja, das Saure.<br />

36 NEUE BARS<br />

Zeiten, in denen man so gar nicht<br />

über den Curtain Club spricht, hat<br />

es eigentlich noch nie gegeben. Entweder<br />

Herr Heißen tüftelt gerade<br />

an etwas Neuem oder oder er öffnet<br />

einmal wieder seine Türen. Adé,<br />

Herrenclub, willkommen in der<br />

Hacienda!


56 SPIRITUOSE<br />

Es ist doch ein seltsames Ding mit<br />

Cognac. Irgendwie erhaben und<br />

anmutig einerseits, aber auch vollkommen<br />

weg vom Bar-Radar. Etwas aus<br />

der Zeit und zugleich auf der ewigen<br />

Überholspur. Wir nähern uns der<br />

bernstein farbenen Spirituose auf dem<br />

praktischen Wege und überprüfen<br />

seine Kompetenz in den klassischen<br />

Whiskey-Cocktails.<br />

............................................................................. 80<br />

KLIMEKS KAUFBEFEHL<br />

Von der Besonderheit des Traminers<br />

.............................................................................. 84<br />

WHISK(E)Y NEWS<br />

Die wichtigsten Neuheiten der Whiskywelt<br />

............................................................................. 86<br />

KAFFEE<br />

After the Third Wave<br />

............................................................................. 90<br />

KAFFEENOTIZEN<br />

Novitäten zwischen Aeropress und Cold Brew<br />

............................................................................. 94<br />

BIERNOTIZEN<br />

Frische Hopfi gkeiten <strong>für</strong> genau jetzt<br />

............................................................................. 96<br />

BIER<br />

Hat es sich ausgepilst?<br />

............................................................................. 98<br />

40 AUF EIN GLAS MIT …<br />

… Wolfgang Bogner. Denn wer in<br />

der Barszene umhergeistert, kennt<br />

auch die Seelen, die sie ausmachen.<br />

Bogner und seine Zürcher Tales<br />

Bar gehören definitiv dazu. Und das<br />

nicht nur, weil er den Jail House<br />

Punch kreiert hat.<br />

48 COCKTAIL<br />

Heiße Cocktails haben<br />

in Deutschland einen<br />

schweren Stand, an dem<br />

das Phänomen Glühwein<br />

nicht unschuldig ist.<br />

Dass es anders geht,<br />

wollte unser Autor herausarbeiten<br />

– und es ist<br />

ihm auch gelungen.<br />

Wirtschaft & Kultur<br />

MARKENPORTRÄT<br />

Auchentoshans Master Distiller Ron Welsh<br />

im Gespräch<br />

............................................................................. 88<br />

DIE FLASCHE IN ZAHLEN<br />

Hennessy V.S<br />

........................................................................... 103<br />

GLOBAL PLAYER<br />

Alkoholfrei trinken: Stigma, Dogma und<br />

Vernunft<br />

........................................................................... 104<br />

HOMEBAR<br />

Gläser ohne Glas<br />

........................................................................... 110<br />

TIEFENRAUSCH<br />

Bohumil Hrabal: Ein Jahrhundertbuch<br />

wird Vierzig<br />

........................................................................... 112<br />

MUSIK<br />

Wie Nile Rodgers sich zurückgemeldet hat<br />

........................................................................... 114<br />

ESSENTIAL CULTURE<br />

Neue Schätze <strong>für</strong> Augen und Ohren<br />

........................................................................... 116<br />

Rubriken & Notizen<br />

MIXOLOGY IM DIREKTVERKAUF<br />

........................................................................... 117<br />

VERANSTALTUNGEN & WETTBEWERBE<br />

Alle wichtigen Termine der vergangenen<br />

und kommenden Wochen<br />

........................................................................... 1<strong>18</strong><br />

IMPRESSUM & KOMMENDE THEMEN<br />

........................................................................... 124


Baba au Rum<br />

Klitiou 6, 10560 Athen<br />

— babaaurum.com


STADTGESCHICHTEN<br />

DAS BILD DES<br />

YIA MAS<br />

Text Roland Graf<br />

Athen ist zweifellos der Lamborghini<br />

unter den europäischen<br />

Barstädten. In sechs Jahren<br />

von null auf hundert lautet die<br />

Tacho-Anzeige, wenn es um die<br />

globale Aufmerksamkeit geht.<br />

Lautstark zeigte eine ganze<br />

Branche dem Krisengerede den<br />

Stinkefinger. Und das Trinkstätten-ABC<br />

– mit A for Athens,<br />

Baba au Rum und Clumsies –<br />

ist noch lange nicht ausbuchstabiert,<br />

wie ein Besuch<br />

in der ägäischen Metropole<br />

schnell klarmacht.<br />

»Would you like to taste my balls?«, bekommt sich Aris Chatziantoniou<br />

auch beim fünften Mal nicht ein, wenn er diese Frage stellen kann. Der<br />

Charismatiker aus dem südlichen Athener Viertel Glyfada begleitet sie<br />

mit einem Griff zum überdimensionalen Martiniglas. Auf jedem der<br />

Tresen – es gibt sie indoor und im Hof – stehen die Mega-Coupettes<br />

bereit, damit die Schluckimpfung beginnen kann. Aus einem Löffel<br />

mit dem harzigen Likör Mastiha wird zunächst ein hydrostatisches Gel,<br />

das Aris dann mittels einer Spritze mit Bränden befüllt. Heute kommt<br />

Metaxa in seine »Balls«.<br />

Das Konzept von »MoMix« lautet molekulare Mixologie, und Chatziantoniou<br />

kann auch mit Kritik am ausgestorben geglaubten Ansatz aus<br />

der Sterneküche umgehen: »Es geht um Spaß und Überraschung.« Das<br />

signalisiert bereits der batteriebetriebene Würfel, der hier im »L.A. von<br />

Athen« genannten Stadtteil als Cocktail-Menü fungiert. Auch der benachbarte<br />

Club, vor dem im Rolls Royce ein Teddybär am Steuer sitzt,<br />

scheint diesen Humor zu teilen. Drei Stockwerke darüber liegt das Labor<br />

von Chatziantoniou. Wer seinen Porn Star Martini nicht unbedingt<br />

als Makrone einnehmen will, dem mixt Barmann Photis auch einen<br />

New York Sour mit 12-Sterne-Metaxa. Und genau dieser Drink an diesem<br />

Ort zeigt, was in Athen heute möglich ist. Chatziantoniou betreibt<br />

mittlerweile drei Standorte und eine Barschule – Cocktails haben in<br />

Athen also nicht nur die Theken-Weltstars von Baba au Rum und The<br />

Clumsies hervorgebracht.<br />

Foto: Baba Au Rum<br />

27


NEUE BARS<br />

NEUE<br />

SEELE,<br />

ALTER<br />

GLANZ<br />

Text Michaela Bavandi<br />

Fotos Tim Klöcker<br />

Die The Curtain Club Bar im<br />

Berliner Ritz-Carlton wurde<br />

wie das gesamte Haus renoviert.<br />

Passend zum Drink-<br />

Konzept präsentiert sich der<br />

ehemalige Gentlemen’s Club<br />

nun als lateinamerikanische<br />

Hacienda im Stil der 1920er.<br />

Und über allem schwebt als<br />

großer Geist das Gesicht<br />

des Hauses – Arnd Henning<br />

Heißen.<br />

Nach einem etappenweisen Umbau des gesamten<br />

Hauses erstrahlt das im Jahre 2004 eröffnete<br />

Ritz-Carlton Berlin bald als Ganzes in einem<br />

neuen Gesicht, das den Schwung des äußeren<br />

Art-Déco-Stils der goldenen 1920er-Jahre auch<br />

nach innen kehrt. Sein schwermütig anmutendes<br />

Innenleben im Hotel-Eingangsbereich ist<br />

einer strahlenden Leichtigkeit gewichen, die<br />

ihre Konzentration in der Lobby-Lounge ballt<br />

und sich in den beiden links- und rechtsseitigen<br />

Bars des Hauses kräftig niederschlägt.<br />

»Wenn man die Lobby betritt, lässt man den<br />

Großstadtdschungel hinter sich und wähnt<br />

sich auf einer Art Terrasse«, beschreibt Barmanager<br />

Arnd Henning Heißen die dem<br />

The Curtain Club und der Fragrances Bar<br />

vorgelagerte Tee-Lounge. Die Renovierung des<br />

Fünfsternehotels, das sich den Bedürfnissen<br />

des gemischten und im Laufe der Jahre veränderten<br />

Publikums angepasst haben will, sei<br />

nicht zwingend, aber zeitgemäß: »Bei seiner<br />

Eröffnung war es ein Ritz-Carlton, das nach<br />

Berlin gekommen ist. Heute ist es ein Ritz-<br />

Carlton, das in Berlin angekommen ist. Es hat<br />

sich zu einem Zuhause vieler Gäste und Berliner<br />

entwickelt, die uns besuchen, um einen<br />

schönen Abend zu haben. Wir werden verstanden.«<br />

Die Gäste sorgen <strong>für</strong> die Einweihung<br />

Ein komplettes Facelifting erfolgte dementsprechend<br />

auch <strong>für</strong> Heißens Curtain Club<br />

und die Fragrances Bar. Seit Ende Oktober besuchen<br />

internationale sowie Berliner Bargäste<br />

den neuen Curtain Club, dem erst im kommenden<br />

Frühjahr seine offizielle Eröffnung widerfahren<br />

wird. »Wenn alles routiniert und an<br />

seinem Platz sowie das Leder platt gesessen ist,<br />

die ersten Gäste von der Bühne gefallen sind.<br />

Dann ist die Bar eingeweiht«, freut Heißen<br />

sich darauf, endlich wieder »als Gastgeber in<br />

meinem Wohnzimmer« wirken zu können.<br />

Nach seiner Neugestaltung verströmt der Curtain<br />

Club erneut Wohnzimmeratmosphäre.<br />

Nicht im Stile eines Gentlemen’s Clubs, sondern<br />

einer südamerikanischen Hacienda. Die<br />

gemusterten Teppiche sind einem im Naturton<br />

geschliffenen Parkett, die voluminösen<br />

Fauteuils einer schlanken Lederbestuhlung<br />

in harmonischem Grau gewichen, die ehemals<br />

dunkelbraunen Holztafelelemente an der<br />

Decke wie die Wände in Crèmeweiß getüncht.<br />

Goldene Hängelampen und die rund um<br />

die neue Piano-Bühne gestaltete Ecke mit<br />

Schirmlichtern tauchen die Hotelbar in warmes<br />

Licht und untermauern jene Art-Déco-<br />

Atmosphäre der 20er-Jahre, die bisher nur das<br />

Hoteläußere vermittelt hat. Sogar der Kamin<br />

glänzt und wartet darauf, entflammt zu werden.<br />

Lateinamerikanische Musikklänge und<br />

Rhythmen animieren Besucher des zukünftig<br />

ab 15 Uhr geöffneten Clubs zum »Mitswingen<br />

und Musizieren«. Heißens bewährtes Arsenal<br />

an lateinamerikanischen Musikinstrumenten<br />

liegt bereit, um von dem Lateinamerika-Fan in<br />

gewohnter Manier an Gäste der zu später Stunde<br />

gut besuchten Bar ausgegeben zu werden.<br />

»Wenn man nur noch Menschen sieht«, die<br />

einen individuellen Beitrag zu einer ausgelassenen<br />

Stimmung leisten.<br />

Vom Champagnerspielplatz zu<br />

einem Ort <strong>für</strong> Interaktion<br />

Der Curtain Club begleitet das Grand Hotel<br />

seit seiner Eröffnung mit unterschiedlichen<br />

Trink-Konzepten. »Erst war es eine Bar mit<br />

Obstbränden, dann mit Champagner und folglich<br />

ein Spielplatz <strong>für</strong> Erwachsene mit Hollywoodschaukel<br />

und Foto-Box als einleitender<br />

Grundsatz <strong>für</strong> das lateinamerikanische Thema,<br />

das wir jetzt haben«, sagt Heißen. Durch die<br />

Verwandlung der Bar in einen kolonialen<br />

Hotspot passt sich das Ambiente den existenten<br />

Trinkgepflogenheiten an. Der Schwerpunkt<br />

ausgewählter Spirituosen im neuen<br />

Back-Buffet, das die besonderen Gefäße wie<br />

Tiki- oder Olmeca-Becher <strong>für</strong> Gäste anschaulicher<br />

macht, beruht weiterhin auf längst etablierten<br />

Fokus-Kategorien wie Rum, Pisco,<br />

Tequila, Cachaça oder Mezcal, die Heißen mit<br />

seinem Team inszeniert.<br />

»Ich liebe es, die Türe zu Spirituosen zu öffnen,<br />

die man nicht kennt. Wäre ich Fußballtrainer,<br />

würde ich dem Nachwuchs eine Chance<br />

geben und versuchen, Talente zu entdecken.<br />

36


37


AUF EIN GLAS MIT … WOLFGANG BOGNER<br />

»ICH WEISS NICHT, OB<br />

WIR HEUTE BESSER SIND«<br />

Wolfgang Bogner ist eine Institution<br />

der deutschsprachigen<br />

Szene, seine Tales Bar in Zürich<br />

mittlerweile ebenso. Wie man<br />

es so weit nach oben schafft?<br />

Für Bogner ist das einfach: mit<br />

Mühe, Fleiß und der Bescheidenheit<br />

zu wissen, dass das<br />

Optimum immer dem Auge des<br />

Betrachters und dem Spiegel<br />

der Zeit unterworfen ist.<br />

Text Michaela Bavandi<br />

Fotos Steven Kohl<br />

In der Tales Bar geht es selbstredend um Geschichten.<br />

Um solche, die das Leben schreibt.<br />

Geschichten, die bewegen oder schockieren, aber<br />

in jedem Fall bei einem gepflegten Drink von<br />

Wolfgang Bogner gehört werden wollen. Unsere<br />

Autorin, ehemals Wahlzürcherin, hatte bei ihrem<br />

vergangenen Besuch das Vergnügen, sich<br />

mit dem Barchef, der keineswegs als solcher<br />

agieren will, unterhalten zu dürfen. In seinem<br />

Cocktail-Wohnzimmer, dessen einziges Konzept<br />

ist, keins zu haben. Mit seiner stoischen Ruhe<br />

und positiven Lebens- und Berufseinstellung<br />

berührt der gebürtige Deutsche seine Gäste und<br />

schreibt selbst Geschichte.<br />

Schön, wieder hier zu sein, Wolfgang.<br />

Was darf ich denn bei dir trinken?<br />

Wolfgang Bogner: Kommt darauf an, was du<br />

trinken möchtest.<br />

40<br />

Ich lasse mich überraschen.<br />

Gut. Dann beginnen wir angesichts der frühen<br />

Stunde mit etwas Leichterem, um nicht<br />

so schwungvoll in den Abend zu starten. Mit<br />

einem Jail House Punch, einem Twist des Philadelphia<br />

Fish House Punches, den wir von<br />

der Sommerkarte in die Oktoberkarte übernehmen,<br />

weil wir ihn sehr lecker finden und<br />

er auch bei den Gästen gut ankommt. Es ist<br />

ein schöner Mezcal-Drink mit Amalfi-Zitrone,<br />

Bergamotte, Limettensaft und Oleo Saccharum,<br />

ein bisschen Säure. Einfach lecker und ein<br />

Drink mit Charakter. Außerdem ist Mezcal ein<br />

sehr schönes Thema.<br />

Mezcal scheint nach wie vor eher ein<br />

reines Bar-Thema. Könnte sich das ändern,<br />

ein Trend daraus werden?<br />

Heute bemühen wir schnell den Begriff<br />

»Trend«, der bei Bartendern anfängt und<br />

zu den Gästen übergeht. Es gibt viele Spirituosen,<br />

die vor allem bei unseren Gästen ein<br />

bisschen aus dem Radar fallen. Als normaler<br />

Barbesucher kommt man erst durch Werbung,<br />

Empfehlung von Freunden oder in der Bar in<br />

Berührung mit bestimmten Produkten. Diesen<br />

Einfluss braucht es, um jene zu probieren,<br />

einem Trend zu folgen. Seit ungefähr zwei Jahren<br />

wird Mezcal häufiger verwendet und die<br />

Leute fragen mehr danach, weil sie öfter darauf<br />

aufmerksam gemacht worden sind. Mezcal hat<br />

seinen Stand in der Bar, aber im Trend, würde<br />

ich sagen, liegt er nicht. Auch weil er nicht so<br />

einfach, wandelbar und zugänglich ist wie Gin.<br />

Warum nicht?<br />

Mezcal ist durch sein rauchiges Geschmacksprofil<br />

eine Spirituose, die einigen nicht<br />

schmeckt und daher nicht so zugänglich ist.<br />

Whisky zum Beispiel mag auch nicht jeder.<br />

Man muss immer einen Weg suchen, um eine<br />

Spirituose massentauglich zu machen. Gin hat<br />

man immer getrunken, und im Hinblick auf<br />

Gin & Tonic ist Gin konsumentenfreundlicher,<br />

weil es einfach ist, dieses Getränk mit verschiedenen<br />

Produkten auszuprobieren. Diese Experimentiermöglichkeit<br />

macht Gin wandelbar,<br />

veränderbar. Mezcal hat nicht die Voraussetzung,<br />

ein Produkt zu werden, das man in vergleichbarer<br />

Menge konsumieren wird. Er ist<br />

auch teurer und seine Vielfalt ist nicht so präsent.<br />

Aber er ist spannend. Gäste, die ihn nicht<br />

kennen, erleben ein Überraschungsmoment.<br />

Wer hat den Jail House Punch kreiert<br />

und warum?<br />

Ich, weil ich den Philadelphia Fish House<br />

Punch <strong>für</strong> einen unwahrscheinlich guten<br />

Drink halte und auch das Punch-Thema sehr<br />

interessant finde. Ein Punch braucht viel Vorbereitung<br />

und ist ein Sipping-Drink, der verwässern<br />

darf. Daher arbeitet man mit Ölen,<br />

Gewürzen und Kräutern, um die Aromen zu<br />

erhalten, wenn man mit Soda aufgießt. Man<br />

kann ihn dadurch leichter oder kräftiger gestalten.<br />

Aber die dahinterstehende wunderbare<br />

Idee eines Punches hat mit Teilen, Gemeinsamkeit<br />

und Gastlichkeit zu tun.<br />

Womit wir bei den Idealen der Tales Bar<br />

angelangt sind?<br />

Darum geht es doch in erster Linie. Früher<br />

haben sich Menschen vor dem Indianerzelt<br />

oder auf dem Marktplatz getroffen, um sich<br />

auszutauschen. Heute ist alles schnelllebiger,<br />

und man muss sich nicht zwingend mit jemandem<br />

einmal im Monat treffen, weil man<br />

sowieso von Facebook weiß, dass er im Urlaub<br />

gewesen ist. Aber der Austausch ist die Grundidee<br />

einer Bar und ein wichtiger Bestandteil<br />

unseres Lebens. Man trifft sich mit jemandem,<br />

den man gerne hat, und nimmt den einen oder<br />

anderen Drink. Aber bestimmt nicht, um bloß<br />

ein Grundbedürfnis nach Durst zu stillen.


Person<br />

Vor zwölf Jahren ist der gebürtige Münchner<br />

Wolfgang Bogner seiner Frau nach<br />

Zürich gefolgt. Während dieser Zeit ist<br />

den Eltern eines gemeinsamen Sohnes die<br />

Schweiz zu einem Stück Heimat geworden.<br />

Bogner ist gelernter Restaurantfachmann<br />

und zeichnete vor dem Schritt in die<br />

Selbstständigkeit etwa als Barchef <strong>für</strong> die<br />

Onyx Bar im Park Hyatt Zürich verantwortlich,<br />

mit der er einen MIXOLOGY BAR<br />

AWARD gewinnen konnte. Seit drei Jahren<br />

ist er selbst Juror der Awards.<br />

41


COCKTAIL<br />

(SO NOT) HOT IN<br />

HERRE!<br />

Text Stefan Adrian Fotos Tim Klöcker<br />

Heiße Cocktails, Warmgetränke, Hot Drinks – wie immer man sie<br />

auch nennt, die Bar-Renaissance tut sich schwer damit. Warum?<br />

Oder zu Recht?<br />

»Wenn man zu Kolonialzeiten in den USA in<br />

eine Taverne ging und einen Drink verlangt<br />

hat, hat der Eigentümer einen Flip gemacht:<br />

eine Kombination aus Bier oder Cider mit einer<br />

Spirituose und Zucker, die er erhitzt hat,<br />

indem er das dicke Ende eines glühend heißen<br />

Schüreisens in die Flüssigkeit eingetaucht<br />

hat«, eröffnet Dave Arnold in seinem Standardwerk<br />

Liquid Intelligence das Kapitel namens,<br />

nun ja, Glühend Heiße Schüreisen.<br />

In England hießen diese Gegenstände auch<br />

Loggerheads, und das Eintauchen von heißem<br />

Metall in eine kalte Flüssigkeit hat einen<br />

spektakulären Effekt. Im ersten Augenblick<br />

passiert nichts, dann schäumt das Getränk auf,<br />

als hätte man einen Sprudel implementiert.<br />

Grund da<strong>für</strong> ist das Leidenfrost-Phänomen, benannt<br />

nach dem deutschen Mediziner Johann<br />

Gottlob Leidenfrost, mit dem der physikalische<br />

Effekt beschrieben wird, dem die zeitlich<br />

verzögerte Änderung des Aggregatzustandes<br />

zugrunde liegt. Aus dem gleichen Grund tanzt<br />

beispielsweise ein Tropfen Wasser kurz über<br />

eine heiße Herdplatte.<br />

48<br />

»Gleichzeitig sprechen wir aber von einer<br />

hochgradig effektiven Methode, Aromen zu<br />

erzeugen«, so Übertüftler Dave Arnold. »Das<br />

Glüheisen schafft einen wunderbar toastigen,<br />

rauchigen und karamelligen Geschmack, den<br />

man ansonsten in Flüssigkeiten nur schwer erzeugen<br />

kann.«<br />

Kickstarter in die Gegenwart<br />

Dass die Wiederbelebung einer so alten Tradition<br />

ein logisches Mosaik in der Bar-Renaissance<br />

sein müsste, dachten sich auch zwei Amerikaner,<br />

die 2016 in Portland ein Kickstarter-Programm<br />

<strong>für</strong> Loggerheads ins Leben riefen. Bei<br />

all der Cocktail-Tüftelei, dem Eisgeschnitze<br />

und der Suche nach neuen Aromenwelten<br />

würden ihnen Bartender die zeitgenössischen<br />

Brenneisen aus den Händen reißen, oder?<br />

Der von ihnen entwickelte Loggerhead entspricht<br />

mit drei verschiedenfarbigen Holzgriffen<br />

aktuellen Designvorstellungen und ist<br />

durch den Einsatz moderner Materialien relativ<br />

einfach zu benutzen. Die Kampagne kam<br />

auf 77 Unterstützer, die Twitter-Seite auf 13<br />

Follower. Heute steht die Domain TheLoggerhead.com<br />

wieder zum Verkauf. Ein paar Prototypen<br />

wurden wohl ausgeliefert, wenn man<br />

den Kommentaren glaubt. Aber es schien, als<br />

sei am Ende nicht jeder bereit gewesen, die<br />

Cocktail-Renaissance mit dem Glüheisen anzufassen.<br />

Das ist vielleicht wenig überraschend. Die<br />

Entrepreneure hätten nur einen genaueren<br />

Blick auf Barkarten werfen müssen. Auf diesen<br />

finden sich in der Sektion »Heißgetränke«<br />

nach wie vor großteils die üblichen Verdächtigen:<br />

Irish Coffee, Hot Buttered Rum, Grog<br />

oder Hot Toddy. So es denn überhaupt eine<br />

Sektion <strong>für</strong> Heißgetränke gibt.<br />

»Wir haben auch keine warmen Cocktails auf<br />

der Karte«, gesteht Arnd Henning Heißen,<br />

Bar Manager des The Curtain Club und der<br />

Fragrances Bar im Berliner Ritz-Carlton Hotel.<br />

»Im Winter werden Hot Toddys zwar wie<br />

verrückt bestellt, und ein warmer Whisky Sour<br />

ist ein Evergreen, den ich seit meiner Ausbildung<br />

immer wieder gerne empfehle. Aber der


Stadtbrenner’s Winterpunch<br />

49


SPIRITUOSE<br />

KLASSIK ODER<br />

KATASTROPHE?<br />

56


Cognac war immer zuerst da. Doch an der Bar scheint er fast verschwunden.<br />

Zeit <strong>für</strong> ein paar Mix-Experimente, die Erhellung bringen wollen: Wie<br />

funktionieren heutige Cognacs in jenen Whiskey-Drinks, die zu einem<br />

großen Teil ursprünglich auf Weinbränden basierten? Ein Werkstattbericht.<br />

Text Peter Eichhorn<br />

Cognac hat es nicht leicht in diesen Zeiten. Nur wenige Bartender<br />

setzen sich intensiv mit dem Destillat auseinander. Eine Flasche<br />

VS oder VSOP steht oft eher aus Pflichtgefühl im Regal,<br />

weniger aus Überzeugung. Überhaupt hatte Cognac es nie leicht.<br />

Naturkatastrophen, Revolutionen, Reblausplage, gesetzliche Einschränkungen.<br />

Gäbe es die Rapszene nicht, die dem Henny, Remmi<br />

und N’yak oder schlicht Yak mehr als 100 Songs widmete, wäre<br />

die Delikatesse aus dem Westen Frankreichs vermutlich mit der<br />

Großvätergeneration verblasst und greise Kellner würden riesige<br />

Cognacschwenker noch immer ritualhaft-unsinnig erhitzen.<br />

Dabei ist die Spirituose aus den fruchtbaren Weinbergen zwischen<br />

Bordeaux und La Rochelle allemal zwei Blicke wert. Sei es<br />

um historische Rezepturen zu rekonstruieren oder um neue Gaumengenüsse<br />

zu kreieren. Im Rahmen eines Vortrags auf den Tales<br />

of the Cocktail in New Orleans im Jahre 2012 sprach der Spirituosenexperte<br />

und Getränkeautor Dave Broom die mahnenden<br />

Worte an seine Zuhörerschaft: »Cognac war immer zuerst da!«<br />

In New Orleans leuchtet das natürlich auf Anhieb ein, schließlich<br />

sitzt man im French Quarter, und der Sazerac, der offizielle<br />

Drink des nach dem französischen König Louis XIV. benannten<br />

Bundesstaates Louisiana, wird sehr gerne mit Cognac serviert.<br />

Und eben nicht mit amerikanischem Whiskey oder Rye.<br />

Cognac. Der Ausgangspunkt.<br />

Ähnlich blickt auch Cocktaillegende und Gründer des »Museum<br />

of the American Cocktail« Dale DeGroff auf die Ursprünge der<br />

<strong>Barkultur</strong> zurück: »Cognac begleitete die Geburt des Cocktails in<br />

Antoine Peychauds Apotheke in New Orleans und ist seither eine<br />

wichtige Basis <strong>für</strong> gemixte Getränke geblieben. Die ursprünglichen<br />

Juleps basierten auf Cognac oder Brandy.«<br />

Gedanken, die <strong>Mixology</strong>-Chefredakteur Nils Wrage und den<br />

Autor dieser Zeilen dazu inspirierten, mit einigen Bartendern<br />

das Experiment durchzuführen, wie sich Cognac als Basis in einigen<br />

Whiskey-Cocktail-Klassikern denn heute so macht. In der<br />

Hildegard Bar in Berlin trafen sich Kai Wolschke aus der<br />

Goldfisch Bar, Yukon Isik aus der Provocateur Bar und<br />

Hildegard-Gastgeber Thomas Pflanz zu einer Verkostungs- und<br />

Mixrunde.<br />

Vier Cognacs mit verschiedener Charakteristik dienten dem Vergleich.<br />

Zunächst pur und dann in Old Fashioned, Manhattan und<br />

Mint Julep verkostete die Runde:<br />

1. H by Hine VSOP Fine Champagne Cognac, 40 % Vol.<br />

2. Prince Hubert de Polignac Cognac VSOP, 40 % Vol.<br />

3. Courvoisier VSOP, 40 % Vol.<br />

4. Pierre Ferrand <strong>18</strong>40 Original Formula, 45 % Vol.<br />

Welche Rolle spielt Cognac derzeit an der Bar?<br />

Die anwesenden Bartender sind sich einig: Cognac bleibt eine<br />

schöne Spirituose, doch nur wenige Gäste fragen von sich aus<br />

danach. Kai Wolschke berichtet: »Wir verkaufen sehr gerne den<br />

›Jimmie Roosevelt‹ mit Cognac, Zucker, Chartreuse, Bitters und<br />

Champagner, müssen ihn aber aktiv den Gästen nahebringen.«<br />

Und Thomas Pflanz ergänzt: »Natürlich bleibt der Sidecar ein<br />

Klassiker, den jede Bar zubereiten können muss. Ich denke, zahlreiche<br />

Bartender arbeiten lieber mit trendigeren Spirituosen<br />

oder scheuen den etwas höheren Preis.« Einige Wettbewerbe<br />

sorgen <strong>für</strong> Aufmerksamkeit, wie die Courvoisier »Toast of Paris«<br />

International Competition; und BNIC-zertifizierte (Bureau<br />

National Interprofessionnel du Cognac) Cognac-Botschafter wie<br />

Reinhard Pohorec und Jürgen Deibel tragen leidenschaftlich<br />

die Faszination Cognac an eine breitere Öffentlichkeit.<br />

Im April trat die neue Regelung in Kraft, dass bei einem XO-<br />

Cognac die jüngsten Destillate nun zehn Jahre alt sein müssen.<br />

Zuvor reichten sechs Jahre. Aber die Auswirkungen dieser Regelung<br />

sind überschaubar. Experten erklären einhellig: »Die neue<br />

Gesetzgebung hilft, minderwertige XO-Qualitäten zu eliminieren.<br />

Die renommierten Häuser verwenden in ihren XOs schon lange<br />

durchweg Qualitäten, die deutlich älter als sechs Jahre sind.«<br />

Foto: Nils Wrage<br />

57


60


TRINKWELT<br />

DIE REGEN-<br />

BOGENSÄUFER<br />

Text Markus Orschiedt<br />

Südafrika ist Hoffnung und immer wieder Enttäuschung.<br />

Hoffnung <strong>für</strong> die Entwicklung Afrikas als Zugpferd <strong>für</strong><br />

eine bessere Zukunft, aber immer wieder durch Gewalt und<br />

Korruption zurückgeworfen. Ethnisch und kulturell ist das<br />

Land ein Füllhorn, das aus dem Vollen schöpfen kann.<br />

Der Reichtum liegt nicht nur im Boden vergraben, sondern<br />

zeigt sich darin, wie die Menschen trotz der Widrigkeiten<br />

leben. Und vor allem das Trinken gehört zu diesem Leben.<br />

Illustrationen: Inga Israel<br />

61


SÄURE<br />

ZWEIPUNKTNULL.<br />

Oder ZweiKommaNull?<br />

66


ALCHEMIST<br />

Das Säurepulver aus dem<br />

Labor hat viel von seinem<br />

schlechten Ruf eingebüßt. So<br />

ist das nun mal: Auf Revolution<br />

folgt Konter revolution. Denn<br />

Säure bereichert die tägliche<br />

Arbeit an der Bar und gewährt<br />

ein Maß an Kontrollierbarkeit,<br />

das man mit keiner frischen<br />

Frucht erreicht. Es geht um<br />

Texturen, Reize, Geschmäcker<br />

und Kombinationen, die sich<br />

ganz individuell anpassen<br />

lassen. Nicht um hübsche<br />

Flaschen, die man kaufen kann.<br />

67


FOUR OF A KIND<br />

VALDESPINO<br />

MANZANILLA<br />

AUSSEN ›››››› Die Flasche des Valdespino gibt<br />

sich in Form und Gestaltung betont traditionell:<br />

Mit Wappen, einem Schreib-Schriftzug und<br />

der Verzeichnung aller errungenen Medaillen<br />

spricht das Design eine konservative Sprache.<br />

INNEN ›››››› Der strohgelbe Manzanilla duftet<br />

jugendlich und fruchtig nach Apfel, Quitte sowie<br />

Mirabelle, die durch eine zarte Mineralität<br />

flankiert werden. Im Mund gibt er sich schlank,<br />

fein salzig, sehr weinig mit leichten Fermentationstönen<br />

und anregend zartbitter.<br />

750 ml — 15 % Vol.<br />

— ca. € 16,50<br />

BODEGAS BARON<br />

MANZANILLA<br />

MICAELA<br />

AUSSEN ›››››› Die geradlinige, schlichte Weinflasche<br />

mit Stopfen erhält durch das farbige<br />

Etikett mit Blumendekor eine frische, verspielte<br />

Eleganz. Die Fortsetzung des Designs auf der<br />

Kapsel vermittelt einen wertigen Eindruck. Der<br />

Sherry glänzt blassgelb im Glas.<br />

INNEN ›››››› Filigrane Aromen von jungem Apfel<br />

und Veilchen vermitteln einen belebenden Eindruck,<br />

dazu kommen buttrige Noten aus frisch<br />

gebackenem Hefezopf. Auf der Zunge leicht<br />

herzhaft mit schlanker Säure und maritimem<br />

Einschlag. Nach hinten raus mit deutlichen<br />

Tönen von Bittermandel.<br />

750 ml — 15 % Vol.<br />

— ca. € 10,00<br />

LUSTAU MANZANILLA<br />

PAPIRUSA<br />

AUSSEN ›››››› Durch die sorgsam ausdefinierte<br />

Flaschenform bekommt der Lustau Papirusa<br />

ein sehr elegantes Erscheinungsbild, das durch<br />

das zurückhaltende Label-Design extrem hochwertig<br />

wirkt – daran kann auch der <strong>für</strong> Sherry<br />

unübliche Schraubverschluss nichts ändern.<br />

INNEN ›››››› Opulente Nase aus Butterbrioche<br />

mit viel Mandel und deutlichen Röstaromen,<br />

erzeugt der Lustau einen starken Kontrast<br />

zum salzig-hefigen Geschmacksbild und der<br />

rassigen Säurestruktur. Eine cremige Bindung<br />

und herbe Stachelbeere runden das komplexe<br />

Gesamtbild ab.<br />

750 ml — 15 % Vol.<br />

— ca. € 13,99<br />

WILLIAMS<br />

& HUMBERT<br />

DON ZOILO<br />

MANZANILLA<br />

AUSSEN ›››››› Die klassische, maskuline Flasche<br />

vermittelt mit ihrer Prägung einen validen Auftritt.<br />

Das minimalistische Labelling schlägt die<br />

Brücke in die Moderne. Die Farbe des Don Zoilo<br />

Manzanilla ist charakteristisches Strohgelb.<br />

INNEN ›››››› Zunächst sehr blumig mit etwas<br />

Honigmelone und sehr viel reifer Birne, nach<br />

etwas Zeit mit feiner Hefe. Voluminöser Antrunk,<br />

lebendige Säure mit einer komplexen Spannung<br />

aus Noten von Granny Smith-Apfel und nassem<br />

Stein. Leicht adstringentes Finish.<br />

750 ml — 15 % Vol.<br />

— ca. € 10,99<br />

72


KLIMEKS KAUFBEFEHL<br />

Der anarchische<br />

österreichisch-berlinerische<br />

Wein messias Manfred Klimek erteilt<br />

exklusiv in jeder Ausgabe einen<br />

könig lichen Weinbefehl. Also: Kaufen!<br />

Weingut Frühwirth<br />

Gelber Traminer<br />

Zwei Rieden 2017<br />

€ 12 ab Weingut<br />

— fruehwirth.at<br />

KLOTZEN IN<br />

KLÖCH<br />

Die Weinwelt ist riesig. Und sie hat viele winzige Inseln.<br />

Eine davon ist Klöch in der Steiermark, wo man fast zur<br />

Gänze nur Traminer anbaut. Eine Aromasorte, die eigentlich<br />

in die Barwelt gehört.<br />

Spirituosen und Cocktails mögen eine Welt <strong>für</strong> sich sein. Eine Welt großer<br />

Auswahl zudem, durch die man sich ein Leben lang trinken kann,<br />

ohne dass es langweilig wird. Es wird in diesem Spirituosen-Cocktail-Leben<br />

aber sehr wohl Wiederholungen geben. Und Gin und Vodka können<br />

zwar mit vielen Geschmackskomponenten angereichert werden,<br />

irgendwann jedoch ist man durch damit, und Gin und Vodka bleiben<br />

das, was sie sind: recht einfache alkoholische Getränke. Anders waren<br />

sie auch nie gedacht.<br />

Wer jedoch sicher sein will, eine alkoholische Welt zu erforschen, die<br />

er nie im Leben zu Gänze trinken kann, in der er nie im Leben zur Gänze<br />

ertrinken kann, der muss auf Wein setzen. Ich habe in meinem Leben<br />

schon einige Hektoliter verschiedenster Weine aus allen Weinbauländern<br />

der Welt durch Mund, Magen, Niere und Blase laufen lassen und<br />

weiß, dass ich – auch wenn ich nie den gleichen Wein wieder trinken<br />

würde, auch wenn ich jeden verbleibenden Tag meines Lebens mittags<br />

und abends je eine andere, stets neue Flasche Wein öffnen und den<br />

Inhalt verkosten würde – nie die ganze Bandbreite der Welt der Weine<br />

getrunken hätte. Das ist irgendwie auch tröstlich: Man betritt oder lebt<br />

in einem Land, das man nie in vollem Ausmaß kennenlernen kann.<br />

Reif <strong>für</strong> die Insel<br />

Der Grund da<strong>für</strong> sind die hunderten Rebsorten und die abertausenden<br />

Weinbaugebiete; die meisten davon irre kleine Inseln, auf denen die<br />

Einwohner ihre Weine meist selber saufen und <strong>für</strong> den Export kaum<br />

Flaschen überbleiben.<br />

Eine solche, seltene Weininsel ist die Gemeinde Klöch im steirischen<br />

Österreich. Klöch liegt an der südlichsten Grenze der deutschen<br />

Sprache, nur vier Kilometer weiter östlich und zehn Kilometer weiter<br />

südlich beginnt Slowenien und damit der slawische Sprachraum. Diese<br />

Sprachgrenze nimmt auch Einfluss auf den Weinbau in und um die<br />

Weininsel Klöch, denn hier lebt und überlebt das Klein-Klein des osteuropäischen<br />

Weinbaus der Donaumonarchie. Und dieses Klein-Klein<br />

beherbergt eine große Romantik. Soll heißen: Orte wie Klöch sind wunderschöne<br />

Reiseziele <strong>für</strong> all jene, die alte, nahezu winzige Kulturlandschaften<br />

suchen und in deren Tradition selig aufgehen wollen. Ich kann<br />

nur sagen: Es gibt selten Schöneres.<br />

Die Weinbaugemeinde Klöch ist auch eine Ausnahmegemeinde in<br />

der Steiermark. Der dortige Qualitätsweinbau, wo es – und das ist wirklich<br />

selten – keine durchschnittlichen oder schlechten Winzer und Weine<br />

gibt, ist ja vornehmlich den Sorten Sauvignon-Blanc, Muskateller,<br />

Welschriesling, Weißburgunder und Morillion (die steirische Bezeichnung<br />

<strong>für</strong> Chardonnay) gewidmet. In Klöch aber baut man als Weißwein<br />

(die meisten Weine der Steiermark sind Weißweine) fast ausschließlich<br />

Traminer an. Und zwar die drei gängigsten Traminersorten Gewürztraminer,<br />

Gelber Traminer und Roter Traminer. Das ist vergleichsweise so,<br />

als würde es in Franken eine Ortschaft geben, und nur diese Ortschaft<br />

alleine, in der die Winzer ausschließlich Chenin-Blanc-Rebstöcke stehen<br />

hätten. Man würde sich verwundert die Augen reiben. Und hinfahren,<br />

um zu kosten.<br />

So ein Österreich-Ungarisches Ding…<br />

Das Traminer-Ding in Klöch kommt wiederum aus dem nahen Ungarn<br />

(rund 40 Kilometer entfernt), wo man Traminer gerne anbaut, aber nirgendwo<br />

so konzentriert wie in Klöch. Klöch profitiert auch vom heißen,<br />

pannonischen Klima, das hier über die slowenische Puszta ungehindert<br />

einströmt. Klöch hat also öfter Badewetter als Wien oder Salzburg. Und<br />

man kann im Herbst noch lange in Hemd und Jacke draußen sitzen,<br />

derweil es im Westen der Alpenrepublik schon zu schneien beginnt.<br />

Die Reben der Klöcher Traminer stehen auf Vulkanböden. Auch das<br />

ist wieder eine Einzigartigkeit und ein weiteres As dieser Weininsel.<br />

Warmes Klima, warme Böden, im Herbst jedoch durch Hügelland und<br />

Bewaldung auch kühle Nächte (kühler als in Ungarn und Slowenien),<br />

die den Traminern eine frische, animierende Note garantieren.<br />

Ich trinke aus Klöch gerne den Gelben Traminer Zwei Rieden des<br />

Weinguts Frühwirth aus 2016 und 2017. Er riecht Bombe nach Rosenwasser,<br />

Himbeere und auch leicht nach Haselnuss. Im Mund dann<br />

dieser vollfruchtige, aromatische Traminergeschmack, der einem das Erkennen<br />

der Sorte immer sehr leicht macht. Dahinter etwas Orange und<br />

auch Grapefruit. Auch ein klein bisschen Mandeln im tiefen Schluck.<br />

Dazu eine recht stabile Säure, ein Wein – <strong>für</strong> wenig Geld – den man<br />

auch lange weglegen kann. Traminer ist, wie schon erwähnt, eine sehr<br />

aromatische Sorte und ein Wein, den Frauen sehr, sehr gerne trinken.<br />

Wenn man etwas weiter denkt, könnte er auch eine intensive Zutat eines<br />

Cocktails sein. Ist nur noch keiner draufgekommen. Glaube ich. __<br />

84


KAFFEE<br />

Gefangen in der »First Wave«: Iggy Pop und Tom Waits in »Coffee & Cigarettes«<br />

WELLEN -<br />

BEWEGUNG<br />

90


Bild: Moviestore Collection LTD<br />

Wo soll das nur hinführen? Hochklassiger<br />

Kaffee à la »Third Wave« wird immer<br />

bekannter und berührt den Mainstream.<br />

Für die Avantgarde könnte das bald heißen,<br />

dass sie sich neue Themen suchen<br />

muss. Was kommt nach der Dritten<br />

Welle? Ein lautes Nachdenken.<br />

Text Timon Kaufmann<br />

Auch wenn die »Third Wave« noch nicht komplett in den Mainstream<br />

gespült wurde, so ist doch Kaffee zumindest sprichwörtlich<br />

in aller Munde. Kaum eine Bar, die nicht einen Drink auf der<br />

Karte hat, der in irgendeiner mehr oder weniger gelungenen Form<br />

Kaffee beinhaltet. Aber wie konnte es dazu kommen? Und wo soll<br />

das Ganze noch hinführen? Werfen wir einen kleinen Blick in die<br />

Vergangenheit und in die mögliche Zukunft des Kaffees.<br />

Kaffee als Kulturprodukt ist bereits rund 1000 Jahre lang bekannt.<br />

Legenden sagen, dass Hirten im heutigen Äthiopien und Südsudan<br />

auf seine Wirkung aufmerksam geworden sind, nachdem ihre<br />

Ziegen nach reichlichem Konsum der Kaffeekirsche dem Schlaf<br />

erstaunlich lang trotzten. Anfänglich wurde Kaffee mit Fett und<br />

Gewürzen vermischt als hipper Superfood-Riegel zur Energiegewinnung<br />

konsumiert. Später dann als Tee getrunken, bis ein paar<br />

findige Hirten bemerkten, dass ein angenehmer Geruch entsteht,<br />

wenn man die Kaffeekirschkerne ins Feuer spuckt. Die ersten Röstungen<br />

entstanden und der Kaffee, wie wir ihn heute kennen und<br />

schätzen, nahm allmählich Gestalt an. Von dort an war sein Siegeszug<br />

nicht mehr aufzuhalten und er machte sich auf den Weg in<br />

die weite Welt. Interessanterweise hat er es jedoch erst vor etwas<br />

mehr als 300 Jahren nach Europa geschafft. Eine durchaus überschaubare<br />

Zeitspanne in Anbetracht der Geschichte europäischer<br />

Kulinarik.<br />

Von Luxus und Wirkungstrinken: Nummer 1<br />

Kaffee galt lange Zeit als Luxusgut, das nur dem oberen Ende der<br />

Gesellschaft vergönnt war. Durch die ambitionierten Expansionsbedürfnisse<br />

lokaler Monarchen und deren Übersee-Departements<br />

wurde er jedoch bald leichter zugänglich und somit auch bezahlbarer.<br />

Es entwickelte sich eine, wenn auch noch junge, Kaffeekultur.<br />

Die sogenannte »Erste Welle« war ins Rollen geraten.<br />

Diese Entwicklung nahm jedoch ein jähes Ende, als man sich<br />

dazu entschied, die 1930er und 40er des 20. Jahrhunderts in die<br />

Geschichts bücher zu zementieren. Das führte dazu, dass lange<br />

Zeit danach schlechter Kaffee als kleinstes Übel galt. Ganz darauf<br />

verzichten wollte man jedoch auch nicht. Die Antwort: Caro- und<br />

Blümchenkaffee. Ersteres war ein Kaffee-Substitut aus Malz, was<br />

nicht wirklich viel mit Kaffee zu tun hatte, außer dass es heiß<br />

getrunken wurde.<br />

Blümchenkaffee hingegen beinhaltete zwar echten Kaffee, jedoch<br />

so zaghaft dosiert, dass man durch ihn hindurch das berühmte<br />

Blümchen-Dekor der Meissner Porzellanmanufaktur am Boden<br />

der vollen Tasse erblicken konnte. Seither gilt man gemeinhin als<br />

geizig, wird einem nachgesagt, man würde Blümchenkaffee servieren.<br />

Auch das schlechte Image, das Filterkaffee bis heute anhaftet,<br />

kann teilweise hierauf zurückgeführt werden. Was im Übrigen absolut<br />

ungerechtfertigt ist!<br />

Mit der Zeit normalisierte sich das Leben wieder und Kaffee<br />

wurde schrittweise zur Massenware. Nach dem jahrelangen Verzicht<br />

griff man nun auch gerne beherzt zu. Wer sich schon einmal<br />

einen Kaffee von den Großeltern hat brühen lassen, weiß, was das<br />

bedeutet: Heiß, schwarz und kräftig muss er sein! Ein Manifest des<br />

deutschen Kaffeetrinkers, das bis heute Gewicht hat. Aber das Gemäuer<br />

fängt an zu bröckeln. Eingeleitet durch die »Zweite Welle«<br />

in den 1960ern.<br />

»Craft« und Bella Italia schreiben die Geschichte fort<br />

Nachdem die Koffeinspeicher gefüllt waren, konnte man sich wieder<br />

etwas stärker auf die Qualität besinnen. Überall eröffneten Lokale<br />

und Cafés, die Espresso und Kaffeespezialitäten anboten. Auf<br />

einmal wurde aus schnödem Kaffee ein 100 % Arabica, den man<br />

gezielt genoss.<br />

Die ersten großen Kaffeeketten entstanden und machten zumindest<br />

die Idee vom hochwertigen Kaffee dem Mainstream zugänglich.<br />

Selbst die bekannteste aller Kaffeeketten, die Kaffeekenner<br />

auch heute gerne noch <strong>für</strong> freies WiFi und einen Toilettengang<br />

aufsuchen, hat in den 60ern als »Craft«-Café seine Pforten geöffnet.<br />

Bis die Nachfrage exponentiell anstieg und das große Geld<br />

winkte.<br />

In Deutschland war von großen Ketten zu dieser Zeit noch nichts<br />

zu merken. Hier machten sich in Sachen Kaffee erst mal die Italiener<br />

breit. Kaffee Made in Italy ist daher bis heute ein Prädikat<br />

<strong>für</strong> beste Kaffeequalität. Und das ist so tief in den Köpfen der<br />

deutschen Kaffeetrinker verankert, dass selbst das Management<br />

der deutschen Automobilindustrie daran nichts ändern könnte.<br />

Sicherlich ist das Image nicht ganz unberechtigt. Nicht nur haben<br />

die Italiener den Espresso erfunden, sie waren strategisch auch<br />

sehr gut gelegen, um die besten Kaffees aus Afrika auf ihrem Handelsweg<br />

nach Europa abzugreifen. Auch heute stammen viele der<br />

besten Qualitäten noch immer von diesem Kontinent.<br />

Aber der hohe Konsum ging auch an den Italienern nicht spurlos<br />

vorbei. Man mischte immer häufiger auch günstigeren Robusta<br />

unter, und auch die Röstungen wurden zunehmend dunkler – um<br />

91


DIGESTIF<br />

WERTE LESER,<br />

Es ist jedes Mal wieder verwunderlich, wie<br />

schnell ein Jahr sich schließt – war doch eben<br />

noch Rekordsommer und Terrassensaison,<br />

haben die Bars nun Hochbetrieb und es geht<br />

von Weihnachtsfeier zu Weihnachtsfeier. Für<br />

das kommende Heft schweifen wir daher in<br />

sonnigere Gefilde: Die israelische Trinkkultur<br />

hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung<br />

genommen. Begleiten Sie uns mit ins gelobte<br />

Land, um zu schauen, ob es dort mehr als<br />

Messwein gibt.<br />

Längst über jeden Zweifel erhaben ist hingegen<br />

Robert Potthoff. Der meinungsstarke<br />

Gastronom betreibt mit der Ellington Bar eine<br />

der Düsseldorfer Trinkadressen schlechthin.<br />

Wir treffen ihn zum Gespräch. Und unser<br />

<strong>Mixology</strong> Taste Forum widmet sich einer<br />

Königsdisziplin: den klassischen Single Malts<br />

aus den Highlands und der Speyside. Wer<br />

macht das Rennen?<br />

Kommende Themen<br />

TROLLFREIE ZONE<br />

Text Nils Wrage<br />

Normalerweise würde ich mich über Portale<br />

wie TripAdvisor eher skeptisch äußern. Nicht<br />

falsch verstehen: Die Demokratisierung, ja gar<br />

Emanzipation der Kundenmeinung durch<br />

solche Bewertungsseiten ist grundsätzlich ein<br />

Segen. Sie hat die öffentliche Deutungshoheit<br />

darüber, was gut und was schlecht ist, dem<br />

abgeriegelt schreibenden Zirkel entrissen und<br />

sie jenen gegeben, die wirklich etwas zu sagen<br />

haben – den normalen Verbrauchern.<br />

Doch mit Bewertungen auf TripAdvisor,<br />

Google oder Facebook ist auch der sprichwörtliche<br />

Fluch einhergegangen. Denn der Schwarm,<br />

dem man Intelligenz unterstellt, ist zwar nicht<br />

dumm. Aber er ist unreflektiert, hitzköpfig, in<br />

unschöner Weise subjektiv und oft unsachlich.<br />

In einer Zeit, in der immer mehr Menschen<br />

anhand solcher Seiten entscheiden, welchem<br />

Gastronom, welchem Hotelier sie ihr Geld<br />

anvertrauen, gewinnen derartige Portale und<br />

deren Nutzer eine Macht, die nicht nur Gutes<br />

verheißt. Deshalb hege ich Skepsis gegen sie.<br />

Deshalb bewerte ich dort nie selbst und deshalb<br />

gebe ich auch nichts auf die Bewertungen,<br />

die man dort findet. Wenn sowieso alles<br />

unter viereinhalb von fünf Sternen angeblich<br />

nichts zählt, kann ich damit ohnehin nicht viel<br />

anfangen.<br />

Das alles ist ärgerlich, aber wohl ein Zeichen<br />

unserer Zeit. Der Ungestüm, er steht noch immer<br />

(oder gar mehr denn je) im Zentrum aller<br />

Geschehnisse der Sozialen Medien. Schlimm<br />

aber wird es, wenn sich Gruppen zusammenrotten,<br />

um mit schlechten Bewertungen einem<br />

Unternehmen zu schaden, weil sie angebliches<br />

Fehlverhalten abstrafen wollen. So, wie<br />

es etwa vor ein paar Wochen der Goldenen<br />

Bar in München widerfuhr, fraglos eine der<br />

besten Bars des Landes. Dort hatte Mitbetreiberin<br />

Leonie von Carnap der bayerischen AfD-<br />

Fraktionsvorsitzenden Katrin Ebner-Steiner<br />

und deren Begleitung die Bewirtung verweigert<br />

und sie des Hauses verwiesen; ihr gutes<br />

Recht. Für die Politikerin Grund genug, um<br />

eine offizielle Pressemitteilung zu versenden.<br />

In der Folge machten sich Horden von AfD-<br />

Anhängern auf, um es mit schlechten Bewertungen<br />

auf die Goldene Bar hageln zu lassen,<br />

auf allen Portalen, teilweise skurrilerweise mit<br />

Verweis auf »Nazimethoden«. Der Punkteschnitt<br />

sank rapide ab. Das Berliner Restaurant<br />

Nobelhart & Schmutzig kann von dieser<br />

Geschichte auch ein Lied singen.<br />

Und in diesem Moment tat das mit Skepsis<br />

beäugte Portal TripAdvisor folgendes: Die<br />

Seite sperrte die Bewertungsfunktion vorübergehend<br />

– mit der Begründung, dass offensichtlich<br />

zahllose Einreichungen von Menschen kamen,<br />

die die Goldene Bar nie besucht hatten.<br />

Und das ist großartig. Denn ganz egal, warum<br />

dort Fake-Bewertungen kamen: TripAdvisor<br />

sah den Missbrauch und hat ihn eingedämmt,<br />

quasi ein kleines Fünkchen Anstand verordnet.<br />

Und das ist in einer Zeit, in der Traffic<br />

alles ist, eine Wohltat. Da<strong>für</strong> muss<br />

man sich mal bedanken.<br />

Beim Cocktail-Köbes<br />

Der Stand der Dinge in<br />

den Kölner Bars<br />

Nitro, Nitro, Nitro<br />

Stickstoff als Zutat:<br />

Da geht noch was!<br />

Jamaikanischer Rum<br />

Ester, Pot Stills, Spontanvergärung:<br />

Mehr als nur Terroir<br />

Foto: fl ickr/A_Peach<br />

IMPRESSUM<br />

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AUTOREN: Helmut Adam, Stefan Adrian, Michaela Bavandi<br />

(MB), Kathrin Bischoff, Martin Bornemann, Gabriel Daun,<br />

Peter Eichhorn, Roland Graf (RG), Dirk Hoplitschek, Jan<br />

Jehli, Timon Kaufmann, Joely Ketterer, Manfred Klimek,<br />

Samir H. Köck, Linda Le, Markus Orschiedt, Stevan Paul,<br />

Reinhard Pohorec, Juliane E. Reichert, Janna Strauss,<br />

Natascha Wiese, Nils Wrage (NW)<br />

MANAGING DIRECTOR: Jens Hasenbein<br />

HERAUSGEBER: Helmut Adam<br />

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REDAKTIONSMANAGEMENT: Kathrin Bischoff<br />

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BILDER: Jill Furmanovsky (S. 114), Moviestore<br />

Collection LTD (S. 90), Parkhotel Laurin (S. 46),<br />

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von Miserony (S. 99), ullstein bild – United<br />

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© 20<strong>18</strong> <strong>Mixology</strong> <strong>Magazin</strong>, Berlin<br />

ISSN 1613-6020<br />

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2019<br />

124


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