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CMS Stiftungsmagazin RADAR Nr. 6: Wie wohnen im Alter?

Dieses RADAR vermittelt Ihnen einen Überblick über Forschungsresultate zum Thema «Leben und Wohnen im Alter, lässt Expertinnen und Experten zu Wort kommen – und hat sechs ganz unterschiedliche Menschen aus drei Generationen zu ihren Vorstellungen befragt.

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Forschung<br />

ALTER IST NICHT<br />

GLEICH ALTER<br />

Die Vorstellung davon, wie wir <strong>im</strong> <strong>Alter</strong><br />

leben und <strong>wohnen</strong> wollen, hat sich<br />

in den letzten Jahren grundlegend<br />

verändert. Das hat nicht nur, aber<br />

auch Konsequenzen für die Wohnungswirtschaft<br />

und die Planung und<br />

Gestaltung von Wohnraum für ältere<br />

Generationen. Die <strong>CMS</strong> hat sich<br />

bei der Neuausrichtung ihrer <strong>Alter</strong>ssiedlungen<br />

auf aktuellste Erkenntnisse<br />

gestützt. Eine Übersicht.<br />

‹Wohnen <strong>im</strong> <strong>Alter</strong>› ist zu einer Formel geworden, die so geläufig wie un-<br />

präzise ist. ‹Wohnen <strong>im</strong> <strong>Alter</strong>› umfasst vom selbstständigen Wohnen älterer<br />

Menschen in ihrer angestammten Wohnung bis hin zur Vollbetreuung in<br />

einem Pflegehe<strong>im</strong> die unterschiedlichsten Wohnformen.<br />

Denn <strong>Alter</strong> ist nicht gleich <strong>Alter</strong>. Die Grenze be<strong>im</strong> AHV-<strong>Alter</strong> um das<br />

65. Lebensjahr anzusetzen ist wenig hilfreich, weil <strong>Alter</strong>nsprozesse vielfältig<br />

und mehrd<strong>im</strong>ensional sind. Der bekannte <strong>Alter</strong>sforscher François<br />

Höpflinger 1 hat vor mehr als zwanzig Jahren eine Einteilung verschiedener<br />

<strong>Alter</strong>nsphasen vorgenommen, die unter Fachleuten noch heute anerkannt<br />

und auch für die Abklärung der Lebens- und Wohnbedürfnisse älterer<br />

Menschen nützlich ist:<br />

1. <strong>Alter</strong>nsphase<br />

Noch Erwerbstätige (50+) beginnen sich mit dem Übergang in die nachberufliche<br />

Phase zu beschäftigen. Viele überprüfen ihre Wohnsituation.<br />

2. <strong>Alter</strong>nsphase<br />

Menschen <strong>im</strong> gesunden Rentenalter (65+) erleben heute dank moderner<br />

Medizin und gesunder, aktiver Lebensführung eine lange Phase behinderungsfreier<br />

Lebensjahre, oft für zwanzig Jahre und länger. Dank der<br />

heutigen <strong>Alter</strong>svorsorge können sie diese Phase oft autonom gestalten.<br />

3. <strong>Alter</strong>nsphase<br />

Verstärkte Fragilisierung. Gesundheitliche Beschwerden und funktionale<br />

Einschränkungen (Hören, Sehen, Gehen) können ein selbstständiges<br />

Leben erschweren oder verunmöglichen. Ein geeignetes Wohnumfeld ist<br />

jetzt wichtig – und oft auch Hilfe <strong>im</strong> Alltag (Putzen, Einkaufen).<br />

4. <strong>Alter</strong>nsphase<br />

Pflegebedürftigkeit. Mehr als ein Drittel der über 85-Jährigen in der<br />

Schweiz ist pflegebedürftig. Über vierzig Prozent von ihnen sind an De-<br />

menz erkrankt. Wohnen sie noch zu Hause, benötigen sie meist tägliche<br />

Betreuung und Pflege durch Angehörige oder professionelle ambulante<br />

Dienste, oder sie sind in einem <strong>Alter</strong>s- und Pflegehe<strong>im</strong>.<br />

Wohnbedürfnisse und gewünschte Wohnformen sind weiter abhängig<br />

vom Bildungshintergrund und den Einkommens- und Wohneigentumsverhältnissen.<br />

Auch regionale Faktoren spielen eine grosse Rolle, zum<br />

Beispiel ob jemand in einer städtischen oder ländlichen Umgebung lebt.<br />

Wohnbedürfnisse und Wohnästhetik sind schliesslich von der individuellen<br />

Lebensgeschichte geprägt. Jeder ältere Mensch trägt Spuren<br />

früherer Zeiten in sich. Die eigene Wohnung ist für sie oder ihn weit mehr<br />

als nur ein ‹Wohnraum›, sie ist vielmehr ein Ort persönlicher Erinnerungen<br />

und Gegenstände. Bei einem Wechsel in ein <strong>Alter</strong>s- oder Pflegehe<strong>im</strong> wollen<br />

Menschen deshalb oft nicht nur ‹Nützliches› mitnehmen, sondern das, was<br />

ihnen lebensgeschichtlich wichtig ist.<br />

Die neuere Forschung bestätigt die lebensgeschichtliche Prägung<br />

der Wohnbedürfnisse eindrücklich. Die <strong>Alter</strong>sforscherin Joëlle Z<strong>im</strong>merli 2<br />

hat nachgewiesen, dass unser Bild der heutigen älteren, pensionierten<br />

Generation noch <strong>im</strong>mer stark vom traditionellen Gesellschaftsmodell<br />

der Vorkriegsgeneration mit den Jahrgängen 1915 bis 1942 best<strong>im</strong>mt ist<br />

(Sparsamkeit, Bescheidenheit und traditionelle Rollenbilder). Die heute<br />

über 75-Jährigen werden jedoch bei besserer Gesundheit älter, sie möchten<br />

so lange wie möglich <strong>im</strong> privaten Zuhause <strong>wohnen</strong> und nicht in ein <strong>Alter</strong>she<strong>im</strong><br />

übersiedeln. Der Übertritt in ein Pflegehe<strong>im</strong> findet in dieser Generation,<br />

verglichen mit früheren Generationen, deutlich später oder gar<br />

nicht mehr statt und beschränkt sich auf wenige, aber pflegeintensive<br />

Jahre (4. <strong>Alter</strong>nsphase nach Höpflinger). Ihre Kinder wiederum, die heute<br />

55- bis 75-jährigen Babyboomer (Jahrgänge 1943 bis 1963), sind mobiler,<br />

trennen sich häufiger vom Lebenspartner und wechseln auch ihr Wohn-<br />

umfeld häufiger. Für die Wohnungswirtschaft hat dies zur Folge, dass der<br />

Anteil alter Mieterinnen und Mieter aus beiden Generationen steigt und<br />

<strong>im</strong>mer mehr alte Menschen zu Hause betreut werden möchten.<br />

Diesen Trend bestätigt auch die vom Kanton Basel-Stadt regelmässig<br />

durchgeführte ‹Befragung 55plus›. In der letzten von 2015 3 gaben rund<br />

achtzig Prozent der Befragten an, dass sie <strong>im</strong> <strong>Alter</strong> sicher oder eher zu<br />

Hause bleiben möchten, eventuell mit Unterstützung etwa durch die<br />

Spitex. Nur rund dreizehn Prozent konnten sich gut vorstellen, in eine<br />

Seniorenresidenz überzusiedeln. ‹Zu Hause bleiben› ist also ein zentrales<br />

Anliegen.<br />

Die unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen <strong>Alter</strong>ns-<br />

gruppen an Wohnformen hat die <strong>im</strong> <strong>Alter</strong>sbereich tätige Ökonomin Ruth<br />

Köppel 4 in einer richtungsweisenden Publikation von 2016 gebündelt. Sie<br />

definiert zwei Wohnmodelle der Zukunft:<br />

Wohn-Typ A<br />

<strong>Alter</strong>sgerechte Wohnungen für frühzeitigen Einzug für die 1. und 2. <strong>Alter</strong>ns-<br />

phase nach Höpflinger. In solche barrierefreien Wohnungen an möglichst<br />

zentraler und gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossener Wohnlage<br />

ziehen meist Paare, weil ihnen zum Beispiel ihre bisherige Wohnung<br />

zu gross oder zu teuer geworden ist oder weil sie das Einfamilienhaus den<br />

Kindern übergeben wollen. Der Wohnungsmix umfasst 2½- bis 4½-Z<strong>im</strong>mer-Wohnungen;<br />

wichtig ist die Möglichkeit, Parkplätze zu mieten. Wer<br />

einzieht, bleibt lange. Bei günstigen Mietzinsen kann es Jahre dauern, bis<br />

Interessierte oben auf der langen Warteliste angekommen sind. Die<br />

Bewohnerinnen und Bewohner brauchen weder Notruf noch Serviceleistungen<br />

und sind deshalb erst bereit, für diese zu zahlen, wenn sie sie auch<br />

beanspruchen.<br />

Wohn-Typ B<br />

Betreute Wohnungen für späten Einzug für die <strong>Alter</strong>nsphase 3 nach Höpflinger.<br />

Hier ziehen Hochbetagte (80 Jahre alt und älter) erst ein, wenn<br />

sie die gebotenen Leistungen inkl. Pflege auch wirklich benötigen. Die<br />

Betreuungspauschale beträgt oft mehrere hundert Franken monatlich.<br />

Der Anteil der Alleinstehenden ist hoch. Der Wohnungsmix besteht aus<br />

kleineren Wohnungen (oft 1½-Z<strong>im</strong>mer- bis höchstens 3½-Z<strong>im</strong>mer-Woh-<br />

nungen). Die Aufenthaltsdauer ist kürzer, und Wohnungen werden schneller<br />

frei. Parkplätze sind nur vereinzelt gefragt.<br />

Die Forschungsergebnisse und Analysen zeigen auf, dass es neue Wohnmodelle,<br />

Wohnformen und Wohnangebote für die ältere Generation<br />

braucht. Hier ist die Wohnwirtschaft gefordert – aber auch Stiftungen<br />

wie die <strong>CMS</strong>, welche die Herausforderung angenommen hat und ihre<br />

<strong>Alter</strong>ssiedlungen nach neuesten Erkenntnissen in Kooperation mit dem<br />

Bürgerspital Basel neu ausrichtet.<br />

Dr. Roland Wormser<br />

ROLAND WORMSER<br />

Roland Wormser ist Partner bei H Focus AG, einem privaten<br />

Kompetenz- und Beratungszentrum <strong>im</strong> Gesundheitswesen.<br />

Seit über zwanzig Jahren berät er Organisationen<br />

in der Strategie- und Organisationsentwicklung<br />

mit Schwerpunkt <strong>im</strong> <strong>Alter</strong>sbereich. Elf Jahre lang war<br />

er Verwaltungsratspräsident eines <strong>Alter</strong>szentrums. Die<br />

<strong>CMS</strong> hat er bei der Strategieentwicklung für ihre <strong>Alter</strong>ssiedlungen<br />

unterstützt.<br />

1 François Höpflinger/Joris Van Wezemael (Hg.): Age Report III, Wohnen in höherem Lebensalter. Grundlagen und Trends. Zürich/Genf 2014.<br />

2 Joëlle Z<strong>im</strong>merli: Wohnbedürfnisse und Wohnmobilität <strong>im</strong> <strong>Alter</strong> – heute und in Zukunft. Studie <strong>im</strong> Auftrag des Amts für Raumentwicklung Kanton Zürich. Zürich 2012,<br />

online: http://www.z<strong>im</strong>raum.ch/studien/wohnbeduerfnisse-und-wohnmobilitaet-<strong>im</strong>-alter-heute-und-in-zukunft<br />

3 Online: http://www.statistik.bs.ch/befragungen/kantonal/befragung-55plus.html<br />

4 Ruth Köppel: Was Betagte sich wünschen. In: Age-Stiftung (Hg.): Age Dossier 2016. Betreute Wohnungen mit He<strong>im</strong>vorteil. Zürich 2016, S. 5–10,<br />

online: https://www.age-stiftung.ch/fileadmin/user_upload/Publikationen/Age_Dossier/Age_Dossier_2016.pdf (alle abgerufen am: 08.11.2018).<br />

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