Hinz&Kunzt 309 November 2018
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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O <strong>309</strong><br />
Nov.18<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Happy<br />
Birthday!<br />
Extra stark: Unsere<br />
Jubiläums-Ausgabe zum<br />
25. Geburtstag
Neues Leben<br />
im Exil<br />
groothuis.de Foto: Körber-Stiftung/Friedrun Reinhold<br />
Die Körber-Stiftung engagiert sich für Menschen,<br />
die in Deutschland im Exil leben. In Veranstaltungen,<br />
Publikationen und Videos erzählen sie vom Verlust<br />
der Heimat, vom Ankommen in unserer Gesellschaft<br />
und wie sie die neue Freiheit nutzen.<br />
www.koerber-stiftung.de/exil<br />
Faisal Hamdo,<br />
Autor und Physiotherapeut<br />
aus Syrien<br />
@gesichterdesexils<br />
auf Instagram<br />
folgen<br />
Körber-Stiftung<br />
Kehrwieder 12 | 20457 Hamburg
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Inhalt<br />
Inhalt –<br />
extra stark<br />
TITELBILD: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Hinz&Künztler<br />
6 Besuch bei Verkäufern an ihren<br />
Stammplätzen<br />
16 Hamburger Mutmacher: Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Initiator Stephan Reimers<br />
28 Betten aus Beton: Verkäufer zeigen<br />
ihre Platte<br />
82 Ein kleines Stückchen Glück:<br />
Haus besuche bei Hinz&Künztlern<br />
90 Unsere frühere Herausgeberin<br />
Annegrethe Stoltenberg gratuliert<br />
92 Unser Herausgeber Dirk Ahrens wagt<br />
einen Ausblick<br />
100 Umfrage unter Hinz&Künztlern und<br />
Teammitgliedern: Was bedeutet dir<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>?<br />
Lebenslinien<br />
40 Hinz&Künztler Ralf findet wieder mit<br />
seiner Familie zusammen<br />
64 Stark: Elena aus Rumänien ist nie<br />
zur Schule gegangen. Jetzt lernt sie<br />
Lesen und Schreiben – auf Deutsch<br />
98 Der reuige Bankräuber<br />
Seit 20 Jahren obdachlos: Ein richtiges Zuhause hatte<br />
Michael noch nie – er zeigt uns seine Platte (S. 28).<br />
Freunde<br />
44 Unsere Leser sagen:<br />
„Ich lese Hinz&<strong>Kunzt</strong>, weil …“<br />
68 Im Museum der Arbeit entsteht eine<br />
neue Postkarten-Edition<br />
80 Eine Erfolgsgeschichte: Der Grüne<br />
Punkt und unsere Pfandbeauftragten<br />
am Flughafen Hamburg<br />
96 Unser Beirat bekennt Farbe:<br />
„Ich engagiere mich, weil …“<br />
Stadtgespräch<br />
18 Rückblick auf ein Vierteljahrhundert<br />
Winternotprogramm<br />
24 Hinz&<strong>Kunzt</strong>: 25 Jahre in Zahlen<br />
76 Neue Studie: Obdachlose sterben<br />
mit durchschnittlich 49 Jahren<br />
78 Kommentar: Vier Wände sind die<br />
beste Medizin gegen frühen Tod<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
50 Gustav Peter Wöhler im Gespräch<br />
54 Hinz&Künztler zeigen ihre<br />
Lieblingsbilder in der Kunsthalle<br />
62 Zwei Comics mit<br />
Dodo Dronte<br />
72 Das Hamburger<br />
Ärzteorchester spielt<br />
für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Rubriken<br />
74 Meldungen<br />
106 Tschüss&Impressum<br />
Powerfrau: Elena<br />
arbeitet als Reini gungskraft<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> (S. 64).<br />
Freunde fürs Leben:<br />
Kumpel Dieter (links) freut<br />
sich, dass Ralf wieder bei<br />
seiner Familie lebt (S. 40).<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Ein Montag, 9.30 Uhr in der<br />
Altstädter Twiete: Ein paar<br />
Teammitglieder und Verkäufer<br />
posieren für ein Gruppenfoto.<br />
Ganz vorne Chefredakteurin<br />
Birgit Müller (Mitte) und<br />
Geschäftsführer Jens Ade.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Editorial<br />
Danke, Hamburg!<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Nicht zu glauben, dass seit unserem Verkaufsstart am 6. <strong>November</strong><br />
1993 wirklich 25 Jahre vergangen sind. Ein Vierteljahrhundert!<br />
Wie zuversichtlich wir damals waren und wie<br />
optimistisch! Und ehrlich gesagt: In weiten Teilen sind wir das<br />
immer noch. Jeden Tag erleben wir, wie eine Geschichte, die<br />
wir als total verfahren eingestuft haben, zu einem Happy End<br />
führt. Gerade haben wir das wieder bei Ralf erlebt. Der Lkw-<br />
Fahrer hatte die Trennung von seiner Familie nicht verkraftet,<br />
war von einem Tag auf den anderen verschwunden. Doch<br />
seine Lebensgefährtin und die Kinder haben sich auf die<br />
Suche nach ihm gemacht – und ihn wiedergefunden (Seite 40).<br />
Oder Elena aus Rumänien, die mit ihrem Mann und ihren<br />
Kindern in Hamburg obdachlos war. Die keinen Tag in ihrem<br />
Leben zur Schule ging – und die jetzt eine Wohnung hat und<br />
bei uns als Reinigungskraft arbeitet. Und die es „nebenbei“<br />
schafft, Lesen, Schreiben und Deutsch<br />
zu lernen (Seite 64). Dazu unsere täglichen<br />
Erfahrungen mit Verkäufern, die<br />
auf einem Stammplatz stehen: Die meisten<br />
fühlen sich dort zugehörig und gebraucht,<br />
haben sich eine Art Freundeskreis<br />
aufgebaut (Seite 6).<br />
Aber wir waren auch naiv. Wir<br />
glaubten damals allen Ernstes, dass wir<br />
„die Obdachlosigkeit“ in Hamburg binnen<br />
zwei Jahren überwinden könnten.<br />
Leider sind wir heute davon weiter entfernt<br />
als 1993. Als wir damals von einer Stiftung Wohncontainer<br />
für Obdachlose angeboten bekamen, waren wir fast empört.<br />
Menschen in Containern? Geht ja gar nicht! Die<br />
brauchen doch Wohnungen (Seite 82)! Die waren damals<br />
knapp, aber heute sind sie auch für Menschen mit Arbeit<br />
Mangelware. Heute würden wir jeden Container nehmen –<br />
mit Kusshand, vor allem, wenn es einen Stellplatz dafür gäbe.<br />
Weil es allerorten an Unterkünften fehlt, ist die Stadt quasi<br />
zu einer großen Platte geworden. Jeden Tag müssen wir alle<br />
miterleben, wie Menschen auf der Straße verelenden.<br />
Ein für alle Hamburgerinnen und Hamburger kaum erträglicher<br />
und deprimierender Zustand. Und weil sich viele<br />
hilflos fühlen, versuchen sie, dieses Elend nicht mehr an sich<br />
herankommen zu lassen. Auch unter den Obdachlosen selbst<br />
wird der Ton rauer, die Gewalt wächst. Manchmal deshalb,<br />
weil der eine dem anderen den trockenen Schlafplatz neidet;<br />
in einem Fall ging es um einen Platz in einer Tiefgarage. Dass<br />
der Konkurrenzdruck steigt, merken wir auch bei uns: Verkäufer<br />
ohne Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausweis betteln mit dem Magazin<br />
und bringen so die Kollegen und uns in Bedrängnis. Und<br />
schaden dem guten Ruf, den wir uns in all den Jahren aufgebaut<br />
haben.<br />
„Wir lassen uns<br />
nicht unterkriegen.<br />
Hoffentlich<br />
spüren Sie das.“<br />
Vielleicht sind wir immer noch naiv, wenn wir fordern: Eine<br />
derartige Verrohung und Verelendung darf es in unserer<br />
Stadt, in unserer Gesellschaft nicht geben! Und wenn wir uns<br />
wünschen: Es muss für alle ein Dach über dem Kopf geben.<br />
Im Winter schafft die Stadt Abhilfe, da gibt es immerhin<br />
ein Winternotprogramm (Seite 18). Seit Jahren fordern wir zusammen<br />
mit unseren Kollegen der Wohnungslosenhilfe, dass<br />
dieses Notprogramm auch tagsüber geöffnet wird – und zwar<br />
für alle. Vergeblich. Osteuropäer bekommen sogar gar kein<br />
Bett. Nach dem Winter geht’s für die meisten wieder zurück<br />
auf die Straße. Dabei weiß man: Ein Leben als Obdachloser<br />
ist so ungesund, dass er im Durchschnitt 30 Jahre früher stirbt<br />
als ein „normaler“ Bundesbürger (Seite 76).<br />
Trotzdem: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Hoffentlich<br />
spüren Sie das, wenn Sie unser Jubiläumsmagazin durchblättern.<br />
Wir wünschen uns sehr, dass<br />
wir weiterhin positive Zeichen setzen,<br />
die Mut machen. Zu diesem Zweck hat<br />
uns Stephan Reimers damals ja auch<br />
gegründet (Seite 16). Die Projekte „Brot-<br />
Retter“ und „Spende Dein Pfand“ (Seite<br />
80) sind ja schon ein Anfang. Da haben<br />
wir mit unseren Kooperationspartnern<br />
Jobs für Hinz&Künztler geschaffen.<br />
Oder mit der „<strong>Kunzt</strong>Küche“, unserem<br />
Restaurant auf Zeit, in dem zwölf<br />
Hinz&Künztler als Küchenhelfer fest<br />
angestellt waren. Jetzt erscheint unser Kochbuch mit Rezepten<br />
von allen Köchen, die mitgemacht haben (Seite 39). Übrigens:<br />
Die aktiven Hinz&Künztler bekommen vom Erlös 25<br />
Magazine dieser Jubiläumsausgabe zum Geburtstag geschenkt.<br />
In Zukunft wollen wir noch viel mehr kleine Leuchtturmprojekte<br />
gründen – und sehr gern würden wir das werden,<br />
was uns unser Herausgeber Dirk Ahrens (Seite 92)<br />
wünscht: ein soziales Innovationslabor.<br />
Jetzt aber wollen wir erst mal Danke sagen: Allen Hamburgerinnen<br />
und Hamburgern, die uns immer die Treue<br />
gehalten haben. Allen ehemaligen und derzeitigen Mitarbeitern<br />
und Kooperationspartnern, die dieses Projekt überhaupt<br />
möglich machen. Allen 6555 Hinz&Künztlern, die bisher bei<br />
uns mitgemacht haben: Allen, die den Absprung geschafft<br />
h aben – hoffentlich in ein besseres Leben, und allen 530<br />
aktuellen Verkäuferinnen und Verkäufern, die auch in harten<br />
Zeiten einen super Job machen und unsere gemeinsame Idee<br />
als unsere Botschafter auf der Straße repräsentieren – bei<br />
Sonne, Wind und Regen. •<br />
Ihre Birgit Müller für das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />
(Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />
5
Mein<br />
Stammplatz<br />
Rund 350 der insgesamt 530 Hinz&Künztler verkaufen unser Magazin<br />
seit Monaten, teilweise gar seit Jahrzehnten, an ein und demselben Ort.<br />
Mit der Zeit hat sich bei vielen eine große Verbundenheit mit<br />
Kunden, Marktleitern und -mitarbeitern entwickelt. Redakteur<br />
Jonas Füllner und Fotograf Mauricio Bustamante haben<br />
Hinz&Künztler an ihren Stammplätzen besucht.<br />
Der Marktschreier vom Isemarkt<br />
Mit den umliegenden Händlern auf<br />
dem Isemarkt ist Holger per Du. „Holger<br />
und ich kennen uns seit bald vier<br />
Jahren“, sagt „Gürtelmann“ Dirk Wiese<br />
(links). „Wenn mal weniger los ist, dann<br />
quatschen wir auch ein bisschen über<br />
Gott und die Welt“, sagt Holger, der<br />
seinen Stammplatz auf der Verkehrsinsel<br />
an der Ecke Jungfrauenthal hat.<br />
Aber dass wenig los ist, das kommt<br />
auf dem Isemarkt dann doch selten vor.<br />
Schließlich lenkt Holger auf seiner kleinen<br />
„Insel“ auch alle Aufmerksamkeit<br />
auf sich: „Ich mache hier auf Marktschreier“,<br />
erzählt der 54-Jährige stolz,<br />
und dann setzt er auch schon wieder<br />
an: „Die neue Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist da. Heiß<br />
und fettig.“<br />
6
Theo Daniel (rechts vor der Säule) vom<br />
benachbarten Aromagarten muss lachen.<br />
„Wir verstehen uns super, und bei<br />
den Kunden kommt Holgers Art hervorragend<br />
an.“ Dass ein ehemaliger<br />
Obdachloser seinen Platz gleich nebenan<br />
hat, stört die beiden keineswegs. Im<br />
Gegenteil: „Viele bleiben bei Holger<br />
stehen und gucken sich dann ja auch<br />
um“, sagt Wiese schmunzelnd.<br />
Teil der „Verkäufergemeinschaft“<br />
auf dem Isemarkt ist auch Anita Wulff<br />
7<br />
(links vorne im Bild). Im Rücken der<br />
Kamera hat sie ihren Blumenstand mit<br />
einer sensationellen Vielfalt unterschiedlicher<br />
Heidekräuter. Auch sie<br />
sagt: „Holger gehört dazu. Ich finde es<br />
gut, dass er hier bei uns steht.“ •
Die „Kiezgröße“ von St. Pauli<br />
Jeder Leser hat in der Regel einen<br />
„Stammverkäufer“. Für Fotograf Mauricio<br />
Bustamante und Redakteur Jonas<br />
Füllner ist das Krzysztof. Die Macher<br />
dieser Fotostrecke leben seit vielen Jahren<br />
auf St. Pauli. Mit zum Foto shooting<br />
haben sie ihre Familien gebracht: Jonas’<br />
Freundin Nina Fabricius mit der gemeinsamen<br />
Tochter Leo auf dem Arm<br />
und Mauricios Frau Angie mit den<br />
Töchtern Valentina (im Ladeneingang))<br />
und Sofia (vorne). Sie alle treffen den<br />
Hinz&Künztler mehrmals die Woche<br />
beim Einkauf. Der 59-Jährige gehört<br />
dazu. Ohne ihn würde etwas fehlen.<br />
Das sieht auch Filialleiterin Verena<br />
Haupt so, die seit rund 35 Jahren den<br />
Edeka-Markt in der Paul-Roosen-Stra-<br />
8
ße unweit der Reeperbahn leitet: „Wir<br />
mögen Krzysztof und es läuft alles gut.“<br />
Sie kann sich immerhin noch an eine<br />
Zeit erinnern, als Krzysztof noch nicht<br />
da war. „Aber das ist lange, lange her.<br />
Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht mehr,<br />
wann er hier angefangen hat.“ Auch ihr<br />
langjähriger Kollege Claus Weise zuckt<br />
mit den Schultern.<br />
Kein Wunder: Krzysztof hat seit 18<br />
Jahren seinen Stammplatz auf dem<br />
Kiez. Und logischerweise kennt er die<br />
9<br />
Familien von Mauricio Bustamante und<br />
Jonas Füllner, aber er wusste nichts über<br />
die beruflichen Zusammenhänge. So<br />
war er beim Shooting überrascht: „Seid<br />
ihr jetzt alle bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>?“, fragte<br />
er scherzhaft. •
Hinz&Künztler<br />
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Der Computerexperte aus Volksdorf<br />
Albert hatte wenig Mühe, Kunden für das Fotoshooting an seinem Stammplatz zu<br />
versammeln. Gekommen sind: Anna-Maria Siegert, Evelin Scheiblich, Susanne<br />
Krebs, Gisela von Waldow, Renate Wohlert, Christine Havelmann, Barbara Sanmann<br />
(von links) und Marktleiter Heiko Böhmermann vom benachbarten Simon<br />
Frischemarkt. Sie wohnen oder arbeiten fast alle in den Häusern rund um die beliebte<br />
Fußgängerzone in Volksdorf. Fast täglich begegnen sie dem Hinz&Künztler.<br />
Marktleiter Heiko Böhmermann ist froh, dass Albert an seinem Markt verkauft:<br />
„Wir kennen uns jetzt seit sieben Jahren, und Albert ist immer freundlich und nett<br />
zu den Kunden.“ Der 56-Jährige ist ein beliebter Gesprächspartner. Und er ist für<br />
seine Hilfsbereitschaft bekannt: „Bei uns Alten ist es ja so, dass immer mal wieder<br />
ein Blumentopf oder Einkauf zu schwer ist“, sagt Kundin Susanne Krebs, die nur<br />
wenige Meter von Alberts Verkaufsplatz entfernt wohnt. Albert springt dann gerne<br />
ein: Egal ob es darum geht, einen Schrank zusammenzuschrauben, Plastiktüten<br />
hochzutragen oder ein neues Programm auf dem Computer zu installieren.<br />
„Albert ist unser Computerexperte“, freut sich Gisela von Waldow. Bei so viel Lob<br />
läuft Albert rot an. Dann sagt er: „Ich möchte meinen Kunden gerne etwas zurückgeben<br />
für die Unterstützung, die ich durch sie erhalte.“ Seine Kunden schätzen<br />
das: „Ich freue mich immer, Albert hier anzutreffen“, sagt Susanne Krebs. •<br />
Der hilfsbereite Schenefelder<br />
Seit vielen Jahren kauft Jobst Böhning (hinten rechts mit Fahrrad) seine<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> bei Jan in Schenefeld. Sein Stammverkäufer ist dem ehemaligen Vorsitzenden<br />
des Hamburger Spendenparlaments ans Herz gewachsen. Beim Einkauf<br />
klönen sie in der Regel kurz. Man tauscht sich aus. Und Jan erzählt auch von seinen<br />
Problemen. So kam es, dass sich Böhning vor etwa fünf Jahren zusammen mit<br />
anderen Kunden für Jan eingesetzt hat, als der in Schwierigkeiten war. Jan hat das<br />
nicht vergessen. „Ich mag meine Kunden sehr“, sagt er. Und er ist dankbar. Für<br />
die Unterstützung, die er immer wieder erfährt. Auch dass er eine kleine Wohnung<br />
fand, verdankt er einem seiner Stammkunden. „Ich brauche mit dem Fahrrad nur<br />
wenige Minuten bis hierher“, sagt Jan. „Alles ist perfekt. Da hatte ich großes<br />
Glück.“ An seinem Verkaufsplatz ist der 67-Jährige vollständig akzeptiert und man<br />
schätzt seine Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber den Kunden. Obwohl<br />
der Markt längere Zeit umgebaut wurde, konnte er danach zurückkehren.<br />
„Es gibt seitdem keinen Tag, an dem Jan nicht vor dem Aldi steht“, sagt Bernd<br />
Wittenberg (vorne im Bild), der mit seiner Frau Karin regelmäßig in dem Geschäft<br />
in der Friedrich-Ebert-Allee in Schenefeld einkauft. „Man kennt sich, grüßt sich,<br />
und er ist der Verkäufer, bei dem wir eben auch sehr gerne unsere Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
kaufen.“ •<br />
11
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Hinz&Künztler<br />
Gute Beratung<br />
ist die halbe Miete<br />
Unsere Juristen beraten Sie<br />
professionell und engagiert<br />
Die Parkbank-Wächterin von Rissen<br />
Mieter helfen Mietern<br />
Hamburger Mieterverein e. V.<br />
www.mhmhamburg.de<br />
040 / 431 39 40<br />
Karens Stammplatz ist außergewöhnlich: Kein Geschäft, kein Marktplatz, sondern<br />
eine öffentliche Parkbank. Mitten in der Einkaufsstraße von Rissen – der Wedeler<br />
Landstraße. Für Karen hängen viele Erinnerungen an diesem Ort. „Mein<br />
pix & pinsel . madle@pixundpinsel.de . +49 (0<br />
Freund Jörg stand hier früher Tag für Tag und verkaufte Hinz&<strong>Kunzt</strong>“, erzählt die<br />
46-Jährige. Doch vor vier Jahren verstarb Jörg nach langer Krankheit. Daraufhin<br />
Die<br />
fing Karen selbst an, Hinz&<strong>Kunzt</strong> an demselben Ort zu verkaufen. „Ich hatte Großuhrwerkstatt<br />
einen Burn-out, war arbeitslos und mir wäre sonst wohl die Decke auf den Kopf<br />
Bent Borwitzky<br />
gefallen“, sagt sie. Bei den Kunden ihres Partners fand sie Halt und Zuspruch.<br />
Uhrmachermeister<br />
Über die Jahre wurden sie Freunde. Sie kennen daher auch die Geschichte der<br />
Telefon: 040/298 34 274<br />
kleinen goldenen Plakette auf der Parkbank. Die hat Karen in Erinnerung an Jörg<br />
www.grossuhrwerkstatt.de<br />
dort angebracht. Lange musste sie darum mit dem zuständigen Bezirk ringen.<br />
Verkauf und Reparatur<br />
von mechanischen Tisch-,<br />
Auch dabei konnte sie auf die Hilfe ihrer Kunden bauen. Zwei ihrer liebsten<br />
Wand- und Standuhren<br />
Kunden sind Ingeborg Zerna und Jelle Baur. „Karen steht unter meiner ständigen<br />
Kontrolle“, sagt Jelle Baur mit einem Augenzwinkern. Von seinem Büro aus kann<br />
der Hausverwalter auf Karens Stammplatz herunterblicken. „Aber Spaß beiseite“,<br />
fügt er dann an. „Wir sind für Karen da.“ Und Ingeborg Zerna sagt: „Wenn<br />
sie Hilfe oder einfach mal jemanden zum Reden braucht, kann sie sich immer an<br />
uns wenden.“ •<br />
Endlich wieder glücklich in Niendorf<br />
Damit sie nicht den ganzen Tag stehen muss, hat Sonja an ihrem Verkaufsplatz in<br />
der Kollaustraße einen Stuhl. Den darf sie nach Feierabend im Supermarkt unterstellen.<br />
„Mit den Verkäufern bei Lidl verstehe ich mich gut“, sagt Sonja. Und vor<br />
dem Geschäft kann sie auf ihre treuen Stammleser bauen. Kirsten Schatte-<br />
Kuckuck (links) und Renate Dieckmann nehmen sich extra Zeit für das Fotoshooting.<br />
Dass sie echte Stammkundinnen sind, merkt man daran, dass sie gleich die<br />
Gelegenheit nutzen, den Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kalender zu erwerben. „Ich lese gerne<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Eine richtig gute Zeitung, und außerdem unterstütze ich damit meine<br />
Stammverkäuferin“, sagt Kirsten Schatte-Kuckuck. Renate Dieckmann hingegen<br />
hält sich im Hintergrund. Dabei sei vor allem sie eine ganz wichtige Stütze, verrät<br />
Sonja. Vor ein paar Jahren erlitt die Hinz&Künztlerin auf der Arbeit einen Burnout.<br />
Es hätte nicht viel gefehlt und sie wäre auf der Straße gelandet, erinnert sie<br />
sich. Durch den Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkauf gewann die 57-Jährige wieder Stabilität.<br />
Als es darum ging, ihre Frühverrentung durchzusetzen, nahm Rechtsanwaltsgehilfin<br />
Dieckmann sie mit in die Kanzlei und stand ihr zur Seite. „Ich bin unfassbar<br />
glücklich, dass ich solch eine tolle Kundin habe“, sagt Sonja. „Für mich ist es<br />
deswegen eben auch eine Selbstverständlichkeit, jeden Tag von morgens bis zum<br />
späten Nachmittag an meinem Stammplatz zu stehen.“ •<br />
13
Hinz&Künztler<br />
Der Nikolaus von Krupunder<br />
Edeka Töpfert in Krupunder ohne Hinz&Künztler Peter?<br />
Das kann sich Kundin Anne-Margret Ockelmann nicht vorstellen.<br />
Seit mehr als 50 Jahren lebt die Rentnerin im Stadtteil<br />
und geht praktisch täglich in dem Edeka-Markt einkaufen.<br />
Sei es, um nur ein Brot zu holen. Dabei begegnet sie stets<br />
Hinz&Künztler Peter. Seit 1997 hat der 60-Jährige vor dem<br />
Supermarkt seinen Stammplatz. Kein Wunder also, dass ihn<br />
viele Kunden beim Namen kennen und grüßen. Richtig eng<br />
ist das Verhältnis zwischen Peter und Filialleiter Sven Töpfert<br />
(links im Bild). Der war noch Auszubildender, als Peter seinen<br />
Stammplatz erhielt. Später übernahm der junge Töpfert<br />
das Geschäft seines Vaters. „Peter ist ein verrückter Typ, der<br />
gerne ein wenig provoziert“, erzählt Sven Töpfert. Vor einem<br />
Länderspiel zwischen den Niederlanden und Deutschland<br />
schmückte Peter beispielsweise seinen Verkaufsstand mit einer<br />
Oranje-Fahne. Das sorgte natürlich für Diskussionen.<br />
Aber Peter macht nicht nur mit ungewöhnlichen Aktionen<br />
oder frechen Sprüchen auf sich aufmerksam, sondern ist zudem<br />
ein wichtiger Teil des Supermarktes, pflichtet ihm Supermarkt-Kollegin<br />
Susanne Wuver bei. Ein Beispiel? „Als vor<br />
ein paar Jahren niemand mehr den Nikolaus für die Kinder<br />
spielen wollte, hat Peter das übernommen“, so Sven Töpfert.<br />
„Das kam richtig gut an.“ Am 6. Dezember ist er wieder im<br />
Einsatz. Sein Kostüm hat Peter sich schon zurechtgelegt. •<br />
Raus aus der Hölle in Heimfeld<br />
Der Weg von Harburg bis Rellingen ist weit. Hinz&Künztlerin<br />
Loredana tingelt trotzdem gerne mit Bus und Bahn quer<br />
durch die Stadt. Der Aldi-Markt an der Krupunder Heide ist<br />
seit drei Jahren ihr Platz. Die Verkäufer Marcel Ambrosins,<br />
Corinna Damm, Marina Schade und die stellvertretende<br />
Marktleiterin Thekla Schulz (von links an der Säule) finden<br />
nur lobende Worte für die junge Rumänin. „Wir sind glücklich,<br />
dass wir so eine sympathische Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäuferin<br />
bei unserem Markt haben“, sagt Thekla Schulz. Beliebt<br />
ist Loredana auch bei ihren Stammkunden: Heike Dehn,<br />
Rosemarie Thiele, Doris Hönemann, Horst Behnsen und<br />
Martina Genge (von links nach rechts vorne) kaufen jeden<br />
Monat ihr Magazin bei der 26-Jährigen. „Loredana hat es<br />
nicht leicht, deswegen unterstützen wir sie gerne“, sagt Doris<br />
Hönemann. Tatsächlich hat Loredana mit ihrer Familie erst<br />
vor einem Jahr ein richtiges Zuhause gefunden. Ein Aufstieg<br />
für die junge Rumänin, die zuvor in einem überfüllten<br />
Haus in der Seehafenstraße in Heimfeld lebte. Im September<br />
2017 führte die Sozialbehörde eine Razzia durch, um den<br />
Vermieter der Abzocke zu überführen. An den Zuständen<br />
veränderte sich aber wenig, sagt Loredana. „Ich bin glücklich,<br />
dass wir inzwischen eine neue Wohnung gefunden<br />
haben.“ Um die jetzt deutlich höhere Miete zahlen zu können,<br />
arbeitet sie zudem als Reinigungskraft. •<br />
15
Hinz&Künztler<br />
Stephan Reimers war<br />
von 1992 bis 1999<br />
Landespastor und<br />
Chef des Diakonischen<br />
Werkes in Hamburg.<br />
Außerdem war er<br />
Gründer und Herausgeber<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Hamburger Mutmacher<br />
Der Gründer von Hinz&<strong>Kunzt</strong> heißt Stephan Reimers. Jetzt hat der<br />
ehemalige Diakoniechef und Landespastor ein Buch über all die Projekte geschrieben,<br />
die er ins Leben rief. In einigen Kapiteln geht es auch um uns. Ein Auszug.<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Die starke Zuwanderung der 1990er-Jahre traf auf<br />
eine Stadt, die bereits von einer Aufspaltung in<br />
arme und reiche Stadtteile geprägt war. Entweder<br />
tendierten Ortsteile dazu, sich zu sogenannten<br />
besseren Wohnlagen zu entwickeln, oder sie rutschten ab<br />
in Richtung eines neuen sozialen Brennpunkts mit vielen<br />
Arbeitslosen und Menschen, die von Sozialhilfe abhängig und<br />
oft zugewandert sind. Segregation nennen Soziologen diese<br />
Auseinanderentwicklung einer Stadtgesellschaft. Das Gefährliche<br />
an dieser Entwicklung ist, dass die Menschen sich so weit<br />
aus den Augen verlieren, dass das Gefühl für das Gemeinsame<br />
schwindet und Ängste voreinander entstehen. Dabei<br />
aber geht Toleranz verloren, die Fähigkeit, das Anderssein des<br />
anderen auszuhalten.<br />
Im Winter 1992 waren in Hamburg obdachlose Menschen<br />
nicht zu übersehen. Sie sammelten sich in kleinen<br />
Grüppchen an vielen Stellen der Innenstadt. Die Vorbeigehenden<br />
sahen sie in der Regel nicht an, sondern schauten<br />
in einer Mischung aus Mitleid und Unbehagen geflissentlich<br />
an ihnen vorbei.<br />
Der Verkauf von Hinz&<strong>Kunzt</strong> aber eröffnete nun eine<br />
neue Möglichkeit. Man konnte miteinander sprechen,<br />
Anteilnahme ausdrücken und Vertrauen gewinnen. Der<br />
„Das soziale Klima der<br />
Stadt erwärmte sich.“<br />
STEPHAN REIMERS<br />
Weihnachtsverkauf der Zeitung war begleitet von Zigtausenden<br />
Dialogen, manchmal nur aus einem freundlichen<br />
Wunsch bestehend oder einem bedauernden „Ich hab schon<br />
eine“. Oft aber entspannen sich längere Gespräche aus der<br />
16
Hinz&Künztler<br />
ersten Kontaktaufnahme. Schlagfertigkeit, Witz und Humor<br />
wurden gegenseitig entdeckt. Begegnungen von Mensch zu<br />
Mensch, geprägt von echtem Interesse – für beide Seiten eine<br />
ungewohnte Erfahrung. Eine Käuferin schrieb mir: „Ich<br />
sprach mit einigen begeisterten Verkäufern. Sie sind glücklich,<br />
nicht nur so zu betteln, sondern was zu tun zu haben.<br />
Sie sind stolz auf neue Schuhe und Jacken, stolz darauf, nicht<br />
überall herauszufliegen, wo sie gern mal einkehren möchten.“<br />
Viele Verkäufer haben ihre ersten Verdienste tatsächlich<br />
in Kleidung investiert. Gegen die Kälte, aber auch, um<br />
der neuen Rolle gerecht zu werden. Es geht um die Augenhöhe<br />
für die vielen Gespräche mit interessierten und engagierten<br />
Käufern. Eine andere Leserin lobte: „Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist<br />
sehr gut als ‚Mitbringsel‘ geeignet, um eine Diskussion über<br />
dieses Thema in Gang zu setzen. Aber das ist nicht die<br />
Hauptsache. Wichtig ist für mich ganz persönlich der<br />
Kontakt zu den Verkäufern. Das hilft mir, mit dem Obdachlosenproblem,<br />
vor dem man inzwischen die Augen wirklich<br />
nicht mehr verschließen kann, besser, natürlicher, toleranter<br />
und verständnisvoller umzugehen. Ich habe nicht mehr das<br />
Bedürfnis, die Straßenseite zu wechseln, sondern ich nehme<br />
mir jetzt oft die Zeit, mit den Obdachlosen zu reden.“<br />
Um zwei Dialoge aus dieser Zeit zu nennen: Adrienne<br />
Göhler, die Präsidentin der Kunsthochschule, erzählte mir lachend:<br />
„Ihr habt aber schlagfertige Verkäufer. Ich sage zu<br />
e inem: ‚Ich habe schon eine Zeitung bei einem Ihrer Kollegen<br />
gekauft.‘ Da sieht er mich an und sagt: ‚So, was steht<br />
denn drin?‘ Eine andere Frau erzählte mir, dass ihr beim<br />
Bezahlen plötzlich klar wurde: „Hoppla, jetzt kann ich mir<br />
keine Tasse Kaffee mehr kaufen.“ – „Macht nichts, dann<br />
lade ich Sie eben ein“, sagte der Verkäufer. Sprach’s und tat’s.<br />
Solche Ge-schichten und Briefe signalisierten ein Aufatmen,<br />
dass die Zeit des Schweigens vorüber war. Beziehungen<br />
zwischen Menschen konnten sich verändern. Das soziale<br />
Klima der Stadt erwärmte sich. •<br />
OBDACHLOSE<br />
VERTREIBEN?<br />
NICHT MIT UNS!<br />
Gratulation zu<br />
25 Jahren Hinz & <strong>Kunzt</strong>!<br />
KLARE KANTE – AUS LIEBE ZU HAMBURG<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Stephan Reimers: Hamburger Mutmacher,<br />
Ellert & Richter Verlag, 144 Seiten, 9,90 Euro<br />
Stephan Reimers präsentiert sein Buch im Gespräch mit Ivo<br />
Banek (erster Chefredakteur von Hinz&<strong>Kunzt</strong>), Chefredakteurin<br />
Birgit Müller, Landespastor Dirk Ahrens und Hauptpastorin<br />
Astrid Kleist am 23. <strong>November</strong> um 18 Uhr in der Jacobikirche,<br />
Jakobikirchhof 22; Eintritt frei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> wünscht seinen Geschwistern, die auch von<br />
Stephan Reimers an einem 6. <strong>November</strong> aus der Taufe<br />
gehoben wurden, das Allerbeste: der Hamburger<br />
Tafel (1994), dem Hamburger Spendenparlament (1995),<br />
den Kirchenkaten (1996), dem Mitternachtsbus (1996)<br />
und der Rathauspassage (1997).<br />
17<br />
HAMBURG 1918/19<br />
25.04.<strong>2018</strong> – 25.02.2019<br />
#hamburg18_19<br />
www.hamburg-18-19.de
Ein Vierteljahrhundert<br />
Erfrierungsschutz<br />
Seit 1992 öffnet die Stadt jeden Winter Notunterkünfte für Obdachlose. Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
hat immer berichtet: über Wohnschiffe, Turnhallen und marode Gebäude, Überbelegung,<br />
Zwei-Klassen-System und Abschreckungspolitik. Ein Blick ins Archiv.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
18
Versifft, verseucht,<br />
menschenunwürdig:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> hat<br />
maßgeblich dazu<br />
beigetragen, dass<br />
der 2010 für Obdachlose<br />
geöffnete<br />
Bunker unter dem<br />
Hachmannplatz nach<br />
wenigen Wochen<br />
geschlossen wurde.<br />
Da war dieses Loch, mitten in der<br />
Wand. Faustgroß, eins davon in jedem<br />
Raum. Weil die Fenster sich nicht mehr<br />
öffnen ließen, sollten die Zimmer dadurch<br />
gelüftet werden, aber von draußen<br />
drangen statt frischer Luft vor<br />
allem Straßenlärm und beißende Kälte<br />
durch das Loch. Man könnte es pragmatisch<br />
nennen, wie die Stadt die Notunterkunft<br />
für Obdachlose hergerichtet<br />
hatte. Aber war das auch würdig? Sehr<br />
viel Mühe hatte man sich jedenfalls<br />
nicht gegeben: In die Räume mit den<br />
vergilbten Wänden hatte man ein paar<br />
Bettgestelle und für jeden Bewohner einen<br />
Stuhl gestellt. Es gab keine Tische,<br />
keine Schränke – und auch keine Privatsphäre:<br />
Insgesamt kamen hier 230<br />
Menschen unter, bis zu sechs in einem<br />
Zimmer. Hinter den milchigen Fenstern<br />
19<br />
die vielbefahrene Spaldingstraße. So<br />
bringt Hamburg also seine Obdachlosen<br />
unter? Bei meinem ersten Besuch<br />
im Winternotprogramm 2012 war ich<br />
erschüttert. Doch meine Kollegen hatten<br />
schon Schlimmeres gesehen …<br />
Seit ich bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> arbeite, ist<br />
der 1. <strong>November</strong> ein fester Termin: Das<br />
Winternotprogramm beginnt! In der<br />
kalten Jahreszeit nimmt es stets viel
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
Raum in den Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausgaben<br />
ein. Aus einem einfachen Grund: Am<br />
gefährlichsten ist das Leben auf der<br />
Straße im Winter. Den Obdachlosen<br />
drohen Erfrierungen und andere lebensgefährliche<br />
Erkrankungen. Die<br />
Stadt ist in der Pflicht, ihr Leben zu<br />
schützen. Sie tut das seit 1992 in unterschiedlichen<br />
Großunterkünften und<br />
durch die Finanzierung von Wohncontainern,<br />
die Kirchengemeinden auf ihren<br />
Grundstücken aufstellen. Wir wollen<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> darauf achten,<br />
dass die Würde der Schutzbedürftigen<br />
dabei gewahrt bleibt.<br />
Frühmorgens fahren wir deshalb zu<br />
Beginn des Programms in die Eimsbütteler<br />
Bundesstraße in das Zentrum für<br />
Wohnungslose der Diakonie, wo die<br />
begehrten Containerplätze vergeben<br />
werden. Jedes Mal sind schon Dutzende<br />
Obdachlose vor uns da, viele bereits<br />
seit dem Vorabend, manche warten<br />
bereits tagelang trotz Kälte und Regen<br />
vor der Tür. Denn für die Obdachlosen<br />
geht es um viel: Hier entscheidet<br />
sich, wer in den nächsten Monaten eine<br />
Tür bekommt, die er hinter sich<br />
schließen kann. Einen warmen Raum,<br />
den er sich nur mit einem Mitbewohner<br />
teilen muss und in dem er auch<br />
tagsüber bleiben kann. Die von der<br />
Sozialbehörde finanzierten Wohncontainer,<br />
die Kirchengemeinden auf<br />
ihren Grundstücken aufstellen, sind<br />
der Jackpot im Winternotprogramm.<br />
Mal gibt es 130 Plätze, mal nur 80. Es<br />
kommen so oder so jedes Jahr viel<br />
mehr Bewerber in die Bundesstraße,<br />
als es Plätze gibt. Jedes Mal ziehen verzweifelte<br />
Menschen mit ihrem Hab<br />
und Gut davon, die Kälte im Nacken.<br />
Ihre Geschichten wollen wir unseren<br />
Leserinnen und Lesern erzählen, darum<br />
sind wir dort.<br />
Wohncontainer<br />
sind der<br />
Jackpot im<br />
Notprogramm.<br />
Die, die keinen der begehrten Plätze<br />
bekommen haben, müssen sich nachmittags<br />
vor den Großunterkünften<br />
anstellen, die die Sozialbehörde den<br />
Winter über vorhält. Unvergessen ist<br />
mir der 1. <strong>November</strong> 2015. In der<br />
Münzstraße hatte der Unterkunftsbetreiber<br />
fördern&wohnen (f&w) ein Containerdorf<br />
mit 450 Plätzen aufgebaut.<br />
Circa 100 Obdachlose haben sich zur<br />
Eröffnung vor dem Bauzaun versammelt,<br />
der das Gelände umgibt. Als die<br />
Wachleute die Unterkunft nicht wie angekündigt<br />
um 17 Uhr öffnen, werden sie<br />
nervös. Manche drängeln und schubsen,<br />
andere rütteln am Zaun. Die Stimmung<br />
ist aggressiv. Es sind die Ärmsten<br />
Versiegelte Fenster: Für frische Luft sorgte in der Spaldingstraße ein Loch in der Wand.<br />
der Armen, die Angst davor haben,<br />
nicht mal nachts ein Dach über dem<br />
Kopf zu haben. Zum Glück bekommt<br />
am Ende jeder von ihnen einen Platz.<br />
Tagsüber müssen die Obdachlosen<br />
raus aus den Notunterkünften. Das ist<br />
eine der wenigen Konstanten in der<br />
Geschichte des Winternotprogramms:<br />
Der Erfrierungsschutz gilt nur nachts.<br />
Immer wieder erzählen uns Obdachlose,<br />
wie schlimm sie das finden. Schon<br />
im Jahr 2000 forderte Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
daher die ganztägige Öffnung – ohne<br />
Erfolg. Die verantwortliche Sozialbehörde<br />
begründet das unter anderem<br />
damit, dass die Obdachlosen tagsüber<br />
Beratungsstellen aufsuchen sollen. Aber<br />
niemand muss sich jeden Tag beraten<br />
lassen, erst recht nicht am Wochenende.<br />
Doch auch 100.000 Unterschriften,<br />
die wir zusammen mit Hinz&Künztler<br />
Jörg vergangenen Winter für eine<br />
Onlinepetition sammelten, konnten<br />
den Senat nicht umstimmen. „Man<br />
wird da behandelt wie Nutzvieh“, kommentiert<br />
das der Hinz&Künztler Michael.<br />
„Abends kannst du in den Stall,<br />
und morgens wirst du wieder auf die<br />
Weide geschickt.“ Da schläft Michael<br />
lieber gleich draußen.<br />
Trotz des Winternotprogramms<br />
übernachten immer auch zahlreiche<br />
Obdachlose im Freien. Glaubt man den<br />
Behörden, aus freien Stücken: „In<br />
Hamburg muss niemand auf der Straße<br />
übernachten!“ So oder so ähnlich sagen<br />
das alle Sozialsenatorinnen und -senatoren<br />
immer wieder. Das zeigt ein Blick<br />
in die Archive. Subtext: Wer nicht draußen<br />
schlafen muss und es trotzdem<br />
tut, der will es so. Stimmt nicht, hält<br />
unser Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer<br />
in Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausgabe 214 dagegen:<br />
„Die meisten Obdachlosen halten<br />
es in den großen Zimmern kaum<br />
aus, in denen bis zu acht einander fremde<br />
Menschen untergebracht werden.“<br />
Stephan ist empört: Auslöser für seinen<br />
Kommentar war der Beinahe-Tod eines<br />
Obdachlosen, der in einem Altpapiercontainer<br />
Schutz vor der Kälte gesucht<br />
hatte und fast der Müllpresse zum Opfer<br />
gefallen wäre. Da wirkten die Kommentare<br />
der Politiker wie Hohn.<br />
Die Größe der Unterkünfte sind<br />
immer wieder Thema bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
„Es wäre schön, wenn wir mehr Räume<br />
20
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Seefahrerromantik? Fehlanzeige: 1996 zwingt die Wohnungsnot in<br />
Hamburg die Menschen in Massenschlafsäle auf Wohnschiffen.<br />
hätten, die man intimer gestalten könnte“,<br />
sagt uns im März 1996 Unterkunftsleiter<br />
Dieter Norton. „Damit das<br />
Ganze nicht den Charakter einer<br />
Massenunterkunft hat.“ Damals übernachten<br />
in einem Schlafsaal auf dem<br />
Wohnschiff „Bibby Kalmar“, das in<br />
Neumühlen vor Anker liegt, bis zu 50<br />
Menschen in der zum Schlafsaal umfunktionierten<br />
Kantine. Später kommt<br />
ein zweites Schiff hinzu, die „Bibby<br />
Challenge“, mit 40 Plätzen im Schlafsaal<br />
und immerhin 60 in Zweierkabinen.<br />
Es helfe nicht, die Bettenzahl in<br />
den Unterkünften immer weiter aufzustocken,<br />
beklagt 2002 Sozialarbeiter<br />
Karrenbauer: „Wir brauchen kleinere<br />
Unterkünfte, um die Menschen von der<br />
Straße zu holen.“ Das Winternotprogramm<br />
war auf 113 Plätze, zuzüglich<br />
72 in den Kirchencontainern, gewachsen.<br />
Mit der Zeit verschieben sich die<br />
Maßstäbe weiter: 15 Jahre später sind<br />
es 900 Plätze, die in der Münzstraße<br />
und im Schaarsteinweg für Obdachlose<br />
zur Verfügung stehen. Die Forderung<br />
nach kleinteiligen Unterkünften, am<br />
liebsten über die Stadt verteilt, scheint<br />
2016 utopisch. Bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> sind<br />
Tagsüber müssen<br />
die Obdachlosen<br />
raus aus den<br />
Unterkünften.<br />
21<br />
wir schon froh, dass die vielen Obdachlosen<br />
überhaupt eine Möglichkeit haben,<br />
der Kälte zu entkommen.<br />
2010 verliert jedoch der damalige<br />
Senator Dietrich Wersich (CDU) die<br />
Qualität des Erfrierungsschutzes völlig<br />
aus den Augen. Angesichts großer Kälte<br />
und komplett überfüllter Notunterkünfte<br />
wie die in der Sportallee am Flughafen<br />
(2003–2011) öffnet er spontan den<br />
Weltkriegsbunker unter dem Hachmannplatz<br />
für bis zu 74 Obdachlose. So<br />
könne man „die Obdachlosen unserer<br />
Stadt auch in diesen sehr kalten Tagen<br />
gut versorgen“, wird Wersich in einer<br />
Pressemitteilung der Sozialbehörde von<br />
damals zitiert. Sie müssten die Schlafplätze<br />
aber auch annehmen. Da war er<br />
wieder, der kaum versteckte Vorwurf<br />
an die Obdachlosen. Dass es gute<br />
Gründe dafür gab, den Bunker zu meiden,<br />
fand unser Kollege Hanning Voigts<br />
heraus: Er verbrachte eine Nacht im<br />
Bunker und schrieb eine Reportage<br />
darüber. Mir wird beim Lesen ganz anders:<br />
„Niemand, der diesen Bunker<br />
kennt, kann ihn für eine Lösung halten“,<br />
steht dort. „Mehr als 30 Menschen<br />
in einem Raum ohne Fenster,<br />
Feldbetten ohne Laken, unzureichende<br />
Waschräume und Toiletten ohne Tür –<br />
das ist unerträglich.“ Einen Obdachlosen<br />
zitiert er in seiner Reportage mit<br />
den Worten: „Überleg doch mal, was du<br />
an Bakterien einatmest, wenn du hier<br />
pennst.“ Um politisch Druck zu machen,<br />
gibt Chefredakteurin Birgit<br />
Müller den Text zum Abdruck im Hamburger<br />
Abendblatt frei. Vier Wochen<br />
später schließt der Senat den Bunker<br />
wieder, die Obdachlosen werden in ein<br />
angehendes Seniorenheim umquartiert.<br />
Wersichs Nachfolger Detlef Scheele<br />
(SPD) will dessen Fehler nicht wiederholen,<br />
sagt im Herbst 2011 im Interview<br />
mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>: „Der Bunker ist
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
Schlange stehen vor dem Winternotprogramm in der Spaldingstraße 2012. Damals kamen hier<br />
auch noch obdachlose Osteuropäer unter. Heute werden sie zumeist abgewiesen.<br />
unwirtlich und für Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter unzumutbar, und was<br />
für Mitarbeiter unzumutbar ist, ist auch<br />
für die Menschen, die da übernachten<br />
sollen, unzumutbar.“ Unter seiner Ägide<br />
eröffnet die Behörde dann die Unterkunft<br />
in dem maroden Gebäude an<br />
der Spaldingstraße. Drei Winter lang<br />
übernachten bis zu 230 Obdachlose<br />
gleichzeitig in den Zimmern mit den<br />
faustgroßen Löchern in der Wand. Immerhin<br />
gibt es hier erstmals eine Etage<br />
eigens für Frauen und Paare. Auch<br />
Scheele sagt: „In Hamburg muss niemand<br />
auf der Straße schlafen – erst<br />
recht nicht im Winter.“<br />
Scheele sagt damals auch, dass das<br />
Winternotprogramm allen offenstehen<br />
solle. Angesichts von immer mehr Osteuropäern,<br />
die in Hamburg auf der<br />
Straße landen, ist das plötzlich nicht<br />
mehr selbstverständlich. Für Scheele<br />
jedoch schon: „Kalt ist kalt, da spielt<br />
Nationalität keine Rolle“, sagt er zunächst.<br />
Ein Jahr später klingt das schon<br />
anders: Die osteuropäischen Obdachlosen<br />
würden „in der Regel über skrupellose<br />
Schlepper mit falschen Versprechungen<br />
nach Hamburg gelockt“, sagt<br />
Scheele. Belege dafür bleibt er schuldig.<br />
Eine neue Beratungsstelle soll sich um<br />
diese Menschen kümmern und sie nach<br />
Möglichkeit ins Heimatland schicken.<br />
2013 dann der Paradigmenwechsel<br />
im Winternotprogramm: Obdachlose<br />
werden in welche mit und ohne einen<br />
„Kalt ist kalt, da<br />
spielt Nationalität<br />
keine Rolle.“<br />
DER DAMALIGE SENATOR DETLEF SCHEELE, 2012.<br />
EIN JAHR SPÄTER SAH ER DAS ANDERS.<br />
sogenannten Rechtsanspruch auf eine<br />
Unterkunft eingeteilt – mit gravierenden<br />
Folgen. Hinz&<strong>Kunzt</strong> spricht von<br />
einem „Erfrierungsschutz 2. Klasse“.<br />
Absurd: Die 1. Klasse ist die heruntergekommene<br />
Unterkunft in der Spaldingstraße.<br />
Die 2. Klasse, in der die<br />
aussortierten, meist osteuropäischen<br />
Obdachlosen untergebracht werden,<br />
sind Klassenzimmer in leer stehenden<br />
22<br />
Schulen und eine Turnhalle, in denen<br />
Feld- oder Stockbetten aufgestellt<br />
werden. Im ersten Winter finden dort<br />
380 Menschen notdürftig Schutz, im<br />
zweiten 560. Offensichtlich will man es<br />
ihnen so ungemütlich wie gerade noch<br />
vertretbar machen.<br />
Zuletzt gibt es einen richtigen Fortschritt<br />
im Winternotprogramm: Unter<br />
Sozialsenatorin Melanie Leonhard<br />
(SPD) nutzt fördern&wohnen 2016<br />
erstmals ein Gebäude in der Friesenstraße<br />
als Notunterkunft für Obdachlose.<br />
Und ist damit sehr zufrieden: „Wir<br />
haben hier den höchsten Standard im<br />
Winternotprogramm seit dessen Beginn<br />
Anfang der 1990er-Jahre erreicht“, sagt<br />
Martin Leo, f&w-Bereichsleiter bei der<br />
Vorstellung des Gebäudes. Auch wir bei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> sind angetan, schwärmen<br />
vom Aufenthaltsraum, dem Fahrstuhl<br />
und den behindertengerechten Sanitäranlagen:<br />
„Und insgesamt 400 Betten in<br />
hellen Zimmern, die alle abschließbare<br />
Schränke haben, in denen die Obdachlosen<br />
ihr Hab und Gut aufbewahren<br />
können. Angst vor Diebstählen müssen<br />
sie nicht mehr haben.“ Auch gibt es<br />
mehr Zweibettzimmer als zuvor.
Stadtgespräch<br />
Doch es gibt eine Kehrseite: Auch in diese Unterkunft<br />
dürfen nicht mehr alle Obdachlosen rein. Osteuropäer,<br />
die angeblich im Herkunftsland eine<br />
Unterkunft haben, aber in Hamburg auf der Straße<br />
leben, werden abgewiesen. Mitarbeiter von f&w<br />
schicken sie in eine Tagesaufenthaltsstätte, in der sie<br />
auf dem Fußboden schlafen müssen – der niedrigste<br />
Standard in der Geschichte des Winternotprogramms.<br />
Viele schreckt das ab, sie schlafen im Freien.<br />
Im vergangenen Winter springen der Boxverein<br />
Hamburg Giants und der FC St. Pauli ein, öffnen<br />
ihre Hallen – und retten so womöglich Leben: Die<br />
Obdachlosen sind gesundheitlich schwer angeschlagen,<br />
ein Arzt stellt bei ihnen Erfrierungen an Händen<br />
und Füßen fest. Dennoch gibt es bislang keine<br />
Anzeichen, dass sich an der Politik der Sozialbehörde<br />
in diesem Winter etwas ändern wird.<br />
Jedes Jahr im März endet das Winternotprogramm<br />
– und unsere Schlagzeilen ähneln stets denen<br />
aus den Vorjahren. „Für Hunderte Obdachlose heißt<br />
es jetzt: Zurück auf die Straße“, schreibt Redakteurin<br />
Petra Neumann im Jahr 2003 in Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Ausgabe 123. „Denn selten zuvor schienen die Aussichten<br />
auf eine eigene Wohnung so schlecht zu sein,<br />
wie in diesem Jahr.“ Das war vor 15 Jahren – heute<br />
sind die Aussichten noch viel schlechter. Zwar gelingt<br />
es den Sozialarbeitern im Winternotprogramm inzwischen,<br />
zahlreiche Obdachlose in Dauerunterkünfte<br />
(2017/18: 283, das war Rekord), einige wenige<br />
davon gar in Wohnungen (2017/18: 6) zu<br />
vermitteln. Das bedeutet aber auch, dass Hunderte<br />
andere leer ausgehen und zurück auf die Straße<br />
müssen. Wenn wir am letzten Morgen vor den Unterkünften<br />
stehen, oft im kalten Nieselregen, erzählen<br />
sie uns jedes Mal ihre Geschichten von Verzweiflung<br />
und Hoffnungslosigkeit. Wir werden sie auch<br />
2019 wieder aufschreiben. Sie können Sie in unserer<br />
Mai-Ausgabe lesen. •<br />
WENN ROBOTER<br />
UND KI FÜR UNS ARBEITEN<br />
07.11.<strong>2018</strong> – 19.05.2019<br />
outofoffice.hamburg<br />
shmh.de<br />
Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
Winternotprogramm in Zahlen<br />
Im vergangenen Winter sind die 760 Betten in den<br />
Notunterkünften in der Friesenstraße und dem<br />
Schaarsteinweg durchschnittlich von 584 Obdachlosen<br />
pro Nacht genutzt worden, gab die Sozialbehörde<br />
bekannt. Insgesamt haben dort 3358 Menschen<br />
mindestens eine Nacht verbracht, das sind 375 weniger<br />
als im Jahr zuvor. Ein Grund: Nicht alle durften rein.<br />
Von 377 Abgewiesenen (vorwiegend aus Rumänien,<br />
Bulgarien und Afrika) haben 116 Schutzsuchende<br />
notgedrungen in der Wärmestube übernachtet – auf<br />
dem Fußboden. Durchschnittlich schliefen dort pro<br />
Nacht 17 Menschen, während der Kältewelle im März<br />
waren es bis zu 61.<br />
23
w<br />
25 Jahre Hinz&<strong>Kunzt</strong> –<br />
eine Erfolgsgeschichte in Zahlen<br />
In einem Vierteljahrhundert ist bei unserem Straßenmagazin vieles<br />
zusammengekommen. Hätten Sie’s gewusst?<br />
REDAKTION: SYBILLE ARENDT, ULRICH JONAS<br />
ILLUSTRATIONEN: GRAFIKDEERNS<br />
530 Menschen<br />
verkaufen derzeit Hinz&<strong>Kunzt</strong> auf Hamburgs<br />
Straßen, darunter rund 100 Frauen.<br />
6555 Verkäuferausweise haben wir seit<br />
Gründung des Projekts ausgestellt.<br />
Unsere Verkäufer stammen aktuell aus<br />
30 unterschiedlichen Ländern.<br />
Slowakei<br />
1%<br />
Sonstige<br />
24 Länder<br />
8%<br />
Rumänien<br />
16 %<br />
Bulgarien<br />
1%<br />
Deutschland<br />
49 %<br />
Rund 250 Brote<br />
rettet das BrotRetter-Team jeden Tag. In dem<br />
Projekt von Bäckerei Junge und Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
werden Backwaren vom Vortag günstig verkauft.<br />
Das rettet nicht nur Lebensmittel:<br />
Drei Hinz&Künztler haben einen Teilzeit-Job<br />
bekommen. Wo? Filiale Alte Holstenstraße 12<br />
in Lohbrügge, Mo–Sa, ab 8 Uhr, solange<br />
der Vorrat reicht.<br />
Polen<br />
23 %<br />
19 Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Mitarbeiter<br />
haben früher mal auf der Straße<br />
gelebt. Insgesamt arbeiten<br />
36 Festangestellte bei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>, die meisten in Teilzeit.<br />
Indien<br />
2%<br />
Für 25 ehemals<br />
Obdachlose<br />
übernimmt Hinz&<strong>Kunzt</strong> die<br />
Mietbürgschaft oder verwaltet<br />
ihre Wohnung. Wenn das Projekt<br />
2020 in neue Räume ziehen wird,<br />
kommen sechs Wohnungen für<br />
24 Menschen hinzu.<br />
334 Verkäuferinnen<br />
und Verkäufer<br />
sind in den vergangenen<br />
25 Jahren verstorben.<br />
An sie erinnern wir mit dem<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Gedenkbaum<br />
auf dem Öjendorfer<br />
Friedhof (siehe Seite 78).<br />
24
69 Dezibel<br />
beträgt der Lärmpegel<br />
der Geldzählmaschine in<br />
unserem Vertriebsraum.<br />
Das entspricht in etwa<br />
der Lautstärke eines<br />
Staubsaugers.<br />
80 Verkäufern<br />
hilft Hinz&<strong>Kunzt</strong> bei der Geldverwaltung.<br />
Hintergrund: Ämter zahlen staatliche<br />
Hilfe nur in Notfällen bar aus.<br />
Wer kein eigenes Girokonto besitzt,<br />
muss deshalb jeden Monat<br />
fünf Euro bezahlen,<br />
wenn er seinen Scheck bei<br />
einer Bank einlöst.<br />
1.183.255 Pfandflaschen und -dosen<br />
haben unsere Pfandbeauftragten am Hamburg Airport seit dem<br />
Start von „Spende Dein Pfand!“ 2015 gesammelt. Das<br />
entspricht 295.806,25 Euro Pfand, das sonst im Müll<br />
gelandet wäre. Von dem gesammelten Geld finanzieren<br />
wir drei sozialversicherungspflichtige Stellen (siehe Seite 80).<br />
3000<br />
Stadtrundgänge<br />
haben ehemals obdachlose<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Mitarbeiter in<br />
den vergangenen 15 Jahren<br />
angeboten und so rund<br />
60.000 Interessierten<br />
gezeigt, wie Menschen<br />
in Hamburg auf der Straße<br />
leben und überleben.<br />
6500 MAL HAT UNS<br />
DIE HAMBURGER TAFEL<br />
SEIT BESTEHEN MIT<br />
NAHRUNGSMITTELN<br />
BELIEFERT – FÜR UNSERE<br />
VERKÄUFER EINE<br />
WICHTIGE HILFE.<br />
100 Hinz&Künztler<br />
besuchen uns an einem normalen Tag,<br />
trinken Tee oder Kaffee in unserem<br />
Vertriebsraum, waschen oder duschen<br />
sich, surfen im Internet oder tauschen<br />
sich mit anderen Verkäufern aus.<br />
105.000<br />
Tassen Kaffee<br />
pro Jahr trinken Obdach- und<br />
Wohnungslose in unseren Räumen.<br />
Vergangenes Jahr wurden dafür<br />
840 Kilogramm Kaffee benötigt.<br />
25
unseres Magazins<br />
haben Hinz&Künztler<br />
seit der Gründung auf<br />
Hamburgs Straßen<br />
verkauft.<br />
Knapp 20 Millionen Exemplare<br />
9 Sondermagazine<br />
zu unterschiedlichen Themen<br />
wie Kochen, Literatur und einen<br />
Stadtführer haben wir seit<br />
Bestehen herausgegeben.<br />
Unsere Verkäufer haben immer<br />
kräftig mitgeholfen, so auch bei<br />
unserem ersten richtigen<br />
Kochbuch „Willkommen in der<br />
<strong>Kunzt</strong>Küche!“, das am<br />
6. <strong>November</strong> erscheint (S. 39).<br />
150<br />
Beratungsgespräche<br />
0 PROZENT<br />
öffentliche Förderung erhält<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Das Projekt finanziert<br />
sich ausschließlich durch den<br />
Verkauf des Straßenmagazins,<br />
durch Spenden und Anzeigenerlöse.<br />
führen unsere drei Sozialarbeiter<br />
pro Woche (übrigens: Sie alle<br />
arbeiten in Teilzeit!). Sie helfen<br />
bei der Wohnungssuche,<br />
klären Probleme mit Ämtern<br />
und haben immer ein<br />
offenes Ohr für die Anliegen<br />
unserer Verkäufer.<br />
2600<br />
Freundinnen<br />
und Freunde<br />
zählt der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis.<br />
Mit ihrer regelmäßigen<br />
Spende helfen die Mitglieder,<br />
unser Projekt langfristig abzusichern.<br />
30 bis 40<br />
Benefizveranstaltungen<br />
zu unseren Gunsten – viele kleine<br />
und einige größere – finden<br />
pro Jahr statt. Hinzu kommen<br />
50 bis 60 private<br />
Spendenaktionen jährlich,<br />
etwa anlässlich eines Geburtstags.<br />
26
Herzlichen Glückwunsch<br />
zum 25. Jubiläum!<br />
Für die Zukunft alles Gute und weiterhin viel Erfolg wünscht Ihre<br />
A. Beig Druckerei und Verlag GmbH & Co. KG aus Pinneberg.<br />
Moderne Drucktechnik vor den Toren Hamburgs<br />
Der A. Beig Verlag ist ein mittelständisches Druck- und Verlagshaus mit über 120 Mitarbeitern im Kreis Pinneberg,<br />
welches zum Firmenverbund NOZ Medien/medien holding:nord, einer der größten Mediengruppen Norddeutschlands<br />
(Tageszeitungen, Anzeigenblätter, Magazine, Druck, Radio etc.) gehört.<br />
Mit moderner Technik werden auf einer MAN Colorman XXL wöchentlich knapp 40 Tages- und Wochenzeitungen<br />
mit einer Gesamtauflage von 2,5 Millionen Stück für den eigenen Verlag aber auch für zahlreiche Kunden gedruckt .<br />
Die neu in Betrieb genommene Versandanlage sorgt dafür, dass pro Jahr bis zu 350 Millionen Beilagen in hoher<br />
Qualität den Produkten zugesteckt werden können.<br />
A. Beig<br />
Druckerei und Verlag<br />
GmbH & Co. KG<br />
Damm 9–19, 25421 Pinneberg<br />
Tel. 0 41 01 / 5 35-0, Fax 0 41 01 / 5 35-6236<br />
www.a-beig.de
Vasile mit seinen beiden<br />
Hunden Jack und Lilly.<br />
Er ist ein Getriebener.<br />
War immer unterwegs,<br />
schon in Rumänien,<br />
dann in England,<br />
Spanien und jetzt hier.<br />
28
Betten<br />
auf Beton<br />
Viele Hinz&Künztler leben auf der Straße. Fast alle sehnen<br />
sich nach einer eigenen Wohnung. Wir haben ein paar von ihnen<br />
auf Platte besucht – und Szenen eines harten Alltags erlebt.<br />
FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
29
Ins Winternotprogramm<br />
kann Michael nicht.<br />
„Ich bin zu labil“, sagt er.<br />
Er hat Angst, dann<br />
noch mehr zu trinken.<br />
MICHAEL, 51, VERKAUFT AM BALLINDAMM<br />
Klar hätte Michael gern eine Wohnung.<br />
„Ein Zimmer mit Bett, Stuhl,<br />
Tisch, Schrank.“ Seit 20 Jahren ist er<br />
schon obdachlos. Oder andersrum:<br />
Erst zweimal hatte er eine eigene Wohnung.<br />
Die eine wurde dann abgerissen,<br />
die andere hatte er nur befristet. Ein<br />
Zuhause hatte er sowieso nie. „Was gut<br />
an mir ist, das hab ich von meiner<br />
Oma“, sagt der 51-jährige Rheinland-<br />
Pfälzer. Bei ihr ist er aufgewachsen. Seine<br />
Mutter, sein Vater? Michael winkt<br />
nur ab. „Kannste vergessen.“ Als er<br />
neun Jahre alt war, erinnerte sich die<br />
Mutter wieder an ihn, holte ihn bei der<br />
Oma weg nach Norddeutschland. „Gegen<br />
meinen Willen, nur weil sie das<br />
Kindergeld haben wollte.“ Drei Monate<br />
lebte er bei ihr, dann kam er ins<br />
Heim. Danach hörte er so gut wie<br />
nichts mehr von ihr, „nicht zu Ostern<br />
oder Weihnachten, schon gar nicht<br />
zum Geburtstag“. Sein Leben im<br />
Heim: „Kannste dir ja vorstellen, was<br />
passiert: klauen, prügeln, saufen. Was<br />
anderes lernst du da nicht“, sagt er. „Im<br />
Heim nimmt dich keiner auf den Arm<br />
und schaukelt dich.“<br />
Mit 16 durfte er endlich wieder zur<br />
Oma. Aber das lief nicht mehr. „Ich<br />
war längst drauf“, auf harten Drogen.<br />
Die Oma wurde nicht mehr mit ihm<br />
fertig. Er landete auf der Straße und im<br />
Knast. Insgesamt verbringt er da 15<br />
Jahre – wegen Körperverletzung, Widerstand<br />
gegen die Staatsgewalt, Diebstahl,<br />
Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz,<br />
alles Mögliche. „Aber nie<br />
irgendwas gegen Frauen oder Tiere.“<br />
30
„Im Heim nimmt dich<br />
keiner auf den Arm und<br />
schaukelt dich.“ MICHAEL<br />
Das ist Michael wichtig. Und immer<br />
spielten Drogen eine große Rolle.<br />
Dann die Wende: „Ich hab mich<br />
nackt im Spiegel gesehen und mich total<br />
erschrocken.“ Sieben Jahre ist das<br />
her. Nur noch 36 Kilo habe er damals<br />
gewogen. Aber sterben wollte er nicht.<br />
„Von heute auf morgen habe ich aufgehört.“<br />
Seitdem nimmt er keine harten<br />
Drogen mehr. „Aber ich trinke – zu<br />
viel“, wie er selbst zugibt. Und er<br />
raucht Cannabis. „Das beruhigt mich.“<br />
Ins Winternotprogramm, in eine große<br />
Einrichtung mit vielen Menschen mit<br />
vielen Problemen, will er nicht – oder<br />
besser: kann er nicht. „Ich bin labil. Ich<br />
glaube auch nicht, dass ein Alkoholiker<br />
jeden Tag in die Kneipe gehen sollte.“<br />
Da bleibt er lieber auf der Straße. Und<br />
tut alles, um nicht mehr in den Knast<br />
zu kommen. „Da geh ich nicht mehr<br />
rein“, sagt er vehement. „Und das hat<br />
viel mit Hinz&<strong>Kunzt</strong> zu tun. Damit<br />
kann ich Geld verdienen. Ich muss<br />
nicht kriminell sein.“ An dem Abend,<br />
an dem wir ihn besuchen, machen wir<br />
31<br />
auch ein Foto von seinen paar Habseligkeiten:<br />
ein kleines Transistorradio<br />
und ein Jutebeutel mit Magazinen sind<br />
darunter. Vor seiner Isomatte hat er eine<br />
Plastikschale geparkt. Wenn er nicht<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> verkauft, stellt er die bei<br />
sich auf. Elf Euro und ein paar Zerquetschte<br />
sind drin. Am Morgen nach<br />
dem Fototermin ist er etwas geknickt:<br />
Nachts sind ihm das Transistorradio<br />
und die Hefte geklaut worden. „Was<br />
komisch ist: Die Schale mit dem Geld<br />
stand noch da, unberührt.“ •
„Eine große Maus<br />
hat mich gebissen in<br />
Gesicht.“ VALERIE<br />
VALERIE, 47, VERKAUFT AN DER U-BAHN-STATION MESSBERG<br />
Irgendwie hat Valerie gerade eine<br />
Pechsträhne. „Ich bin geschimpft worden“,<br />
sagt sie traurig. Und das kam so:<br />
In der Bäckerei, in der sie immer frühstückt<br />
– „und ich bezahle!“, kam sie<br />
von der Toilette. Da hatte sie sich die<br />
Zähne geputzt und eine Katzenwäsche<br />
gemacht. „Ich alles sauber.“<br />
Trotzdem war der Bäckereiverkäufer<br />
sauer. Dann wollte sie sich in der Toilette<br />
am Bahnhof ihre Haare färben.<br />
„Ich alles sauber gemacht“, trotzdem:<br />
„Ich wurde geschimpft.“<br />
Und nachts wurde die 47-Jährige<br />
von einem Geräusch wach – und einem<br />
Schmerz. Dann sah sie ein Tier<br />
weglaufen. „Eine große Maus“, sagt<br />
sie und zeichnet das Tier in die Luft.<br />
Eindeutig eine Ratte, „hat mich gebissen<br />
in Gesicht“, sagt die Ungarin. Es<br />
ist das erste Mal, dass sie an ihrem<br />
Schlafplatz Ratten gesehen hat. Die<br />
kommen wahrscheinlich von der neuen<br />
Baustelle. Bisher war es „der beste<br />
Schlafplatz, den ich je hatte“. Es ist<br />
die niedrige, aber breite Fensterbank<br />
eines Geschäftes. „Das ist so sauber, so<br />
schön“, sagt sie in gebrochenem<br />
Deutsch und streicht mit der Hand<br />
über den Marmor. Drei Jahre macht<br />
die Ungarin schon Platte. Erst in einer<br />
Abfahrt zu einer Tiefgarage, dann<br />
hier. Für Außenstehende etwas makaber:<br />
Hinter der Fensterscheibe steht<br />
ein gemütliches Sofa neben dem anderen.<br />
Und draußen liegt eine Frau<br />
auf dem harten Boden, Marmor hin,<br />
Marmor her.<br />
Angefangen hat ihre Obdachlosigkeit<br />
fast romantisch. Sie hatte einen<br />
Freund in Wien. Zu dem zog sie. Doch<br />
der verlor seine Wohnung, und die beiden<br />
wurden buchstäblich auf die Straße<br />
gesetzt. „Es war Sommer, wir fanden<br />
schönen Platz im Park.“ Dass sie<br />
danach jahrelang auf der Straße leben<br />
würde, war ihr damals nicht klar. Das<br />
Paar ging nach Deutschland.<br />
Ihr Freund fand immer wieder Arbeit,<br />
aber die beiden haben eine Beziehung,<br />
die mal klappt und mal gar nicht.<br />
Jetzt ist ihr Freund nach Süddeutschland<br />
gegangen, hat dort Arbeit und eine<br />
Wohnung. Alle paar Tage ruft er an<br />
und will wissen, wie es ihr geht. Aber<br />
sie bleibt erst mal hier, auch wenn es<br />
ganz schön kalt wird.<br />
Sie hofft, im Winter wieder einen<br />
Container im Winternotprogramm für<br />
Frauen zu bekommen. Und dass sie die<br />
Ratten los wird. „Vielleicht mit Speck<br />
und Gift?“ Aber erst mal muss sie zum<br />
Arzt. Tetanus auffrischen lassen. •<br />
32
33<br />
So eine „schöne“<br />
Platte hatte Valerie<br />
noch nie. Die<br />
Fensterbank eines<br />
Einrichtungshauses<br />
ist aus Marmor.
KAI D., 45, VERKAUFT IN DER LANGEN REIHE; LEMMY, 55, VERKAUFT VOR DEM PASSAGE KINO;<br />
Die beiden Kais saßen schon an ihrem<br />
Schlafplatz, hatten Isomatten und<br />
Schlafsäcke ausgerollt. Da sahen sie<br />
einen großen Mann mit Brille und<br />
Hund, der ein kleines Köfferchen hinter<br />
sich herzog. In der Nähe des Bahnhofs<br />
eigentlich nichts Ungewöhnliches.<br />
Eigentlich. „Er wirkte so orientierungslos“,<br />
sagt Kai Sch. Und bekannt kam<br />
er ihnen auch vor. Tatsächlich hatten<br />
sich die drei schon mal bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gesehen. Denn der Mann, der Holger<br />
heißt und Lemmy genannt wird, war<br />
2001 schon mal obdachlos gewesen,<br />
hatte dann aber Arbeit und eine Wohnung<br />
bekommen. „Was ist denn los mit<br />
dir?“, fragte Kai D. Aus Lemmy brach<br />
es nur so heraus: Dass seine Freundin<br />
ihn nach neun Jahren Beziehung rausgeschmissen<br />
habe. Außer seiner Tasche<br />
und seinem Hund habe er nichts<br />
mehr. „Leg dich zu uns heute Nacht“,<br />
sagte der eine Kai. Und der andere:<br />
„Am besten sogar zwischen uns.“<br />
Denn eines war klar für die beiden:<br />
„Wir wollten auf ihn aufpassen.“ Und:<br />
34<br />
„Das siehst du einem Menschen sofort<br />
an, ob jemand auf die Straße gehört<br />
oder nicht“, sagt Kai D. Und Kai Sch.<br />
fügt hinzu: „Und dieser Typ würde mit<br />
Sicherheit kaputtgehen auf der<br />
Straße.“<br />
Ein paar Wochen ist das jetzt her.<br />
Immer noch konnte Lemmy nicht in<br />
die Wohnung seiner Ex zurückkehren,<br />
um zumindest ein paar Sachen rauszuholen.<br />
Die beiden Kais haben ihn aber<br />
gedrängt, ins Pik As zu gehen. „Ich<br />
hatte Glück“, sagt Lemmy. Der 55-Jäh-
„Dieser Typ würde kaputtgehen<br />
auf der Straße.“ KAI SCH. ÜBER LEMMY<br />
Kai D., Lemmy und<br />
Kai Sch. (von links):<br />
Die beiden Kais<br />
haben sich um Lemmy<br />
gekümmert, als seine<br />
Freundin ihn auf die<br />
Straße gesetzt hatte.<br />
KAI SCH., 43, VERKAUFT IN DER SPITALER STRASSE<br />
rige ist nämlich nicht in einem Mehrbettzimmer<br />
gelandet, sondern in einem<br />
der heißbegehrten Zimmer für<br />
Obdachlose mit Hund. „Von hier aus<br />
kann ich mir eine Wohnung suchen.“<br />
Die drei haben sich inzwischen angefreundet.<br />
„Ich habe den beiden viel zu<br />
verdanken“, sagt Lemmy. Sie reden<br />
viel zusammen, haben ganz ähnliche<br />
Geschichten: Auch die beiden Kais<br />
wurden obdachlos, weil ihre Freundinnen<br />
sie rausgeschmissen haben. Und<br />
alle hätten gerne bald wieder ein Dach<br />
über dem Kopf. „Man müsste den<br />
Arsch hochkriegen“, sagt Kai Sch.<br />
Und den kriegt der 43-Jährige derzeit<br />
nicht hoch, „weil ich wahnsinnig<br />
hohe Mietschulden habe“. Noch ist er<br />
nicht in der Lage, sich damit auseinanderzusetzen.<br />
„So lange akzeptiere ich<br />
das Leben auf der Straße, wie es ist.“<br />
Ein paar Tage später sind wir zum<br />
Fototermin verabredet. Kai Sch., Lemmy<br />
und wir sind zu früh. Kai D. ist<br />
noch nicht da. Kai Sch. glaubt sogar,<br />
dass er nicht kommen wird. „Der<br />
macht gerade kalten Entzug vom Alkohol“,<br />
sagt er besorgt. „Da kann man<br />
leicht einen epileptischen Anfall kriegen.“<br />
Aber dann – auf die Minute<br />
pünktlich – taucht Kai D. auf. Etwas<br />
blass um die Nase, aber guter Dinge.<br />
Vier Tage ist er schon trocken. „Ich<br />
fühl mich gut“, sagt der 45-Jährige.<br />
Aber auf der Straße schläft er heute<br />
nicht. Eine Freundin hat ihm angeboten,<br />
dass er während des Entzugs bei<br />
ihr übernachten kann. Das Angebot<br />
hat er gerne angenommen. •<br />
35
„Ich bin kein<br />
Aggressor, eher ein<br />
Pazifist.“ DENNIS<br />
DENNIS, 43, VERKAUFT IN KNEIPEN AUF DER REEPERBAHN<br />
Dennis ist oft hundemüde. Das liegt<br />
daran, dass er abends in den Kneipen<br />
auf der Reeperbahn verkauft und erst<br />
spät zum Schlafen kommt. Deshalb<br />
hat er vor ein paar Tagen verschlafen<br />
und der Besitzer des Ladens, vor dem<br />
er Platte macht, musste ihn wecken.<br />
Damit das nicht wieder passiert,<br />
hat der 43-Jährige für eine Nacht unter<br />
einem Baum auf einer Verkehrsinsel<br />
geschlafen. Und obwohl die Autos um<br />
ihn herum brausten, hat er endlich<br />
richtig ausgeschlafen – bis vier Uhr<br />
nachmittags. Seinen Schlafplatz mag<br />
er. Ihm gefällt es, dass hinter den<br />
Schaufenstern im Laden so schöne alte<br />
Möbel stehen. „Ist doch besser als<br />
Ikea“, sagt er. Dass die Beleuchtung<br />
auch nachts nicht ausgeht, ist ihm gerade<br />
recht. „Dann kann ich noch lesen.“<br />
In der Bücherhalle gab es alte<br />
Fantasy-Romane, die er so liebt, für einen<br />
Euro. Einen richtig dicken Wälzer<br />
hat er auf seiner Bettdecke liegen. Genau:<br />
Dennis hat eine richtig bezogene<br />
Bettdecke und ein dazu passendes Kissen.<br />
„Da denkst du, du liegst wirklich<br />
im Bett“, sagt er. Sein Schlafsack war<br />
ihm nämlich geklaut worden. Meike<br />
aus dem Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Vertrieb fand<br />
dann noch das frische Bettzeug.<br />
Dennis ist alkohol- und drogenabhängig.<br />
Seit dem Tod seiner Mutter, als<br />
er 14 Jahre alt war. Ihr Tod war der<br />
Schock seines Lebens. So richtig überwunden<br />
hat er das nie. Inzwischen<br />
wird er substituiert und hat noch<br />
manchmal Beikonsum.<br />
Obdachlos ist er seit 23 Jahren.<br />
Das erste Mal „passierte es“, als er mit<br />
20 Jahren auf den Kanarischen Inseln<br />
war. Er versuchte sich mit Werbung für<br />
36
37<br />
Dass das Licht auch<br />
nachts brennt, ist Dennis<br />
ganz recht. Dann kann er<br />
abends noch lesen.<br />
Gemeinsam Obdachlose<br />
im Winter schützen<br />
Von <strong>November</strong> bis März bietet das Winternotprogramm<br />
von fördern und wohnen täglich<br />
über 650 warme Schlafplätze für obdachlose<br />
Frauen, Männer und Paare an.<br />
Helfen Sie mit!<br />
Wir brauchen Verstärkung, um Tee zu kochen,<br />
HASPA, IBAN: DE 03 2005 0550 1208 1225 62<br />
Kontakt: info@winternotprogramm.de<br />
Web: www.winternotprogramm.de<br />
www.facebook.com/winternotprogramm<br />
Interessiert?<br />
Dann registrieren Sie sich bitte unter<br />
www.winternotprogramm.de/helfen<br />
Hier finden Sie uns<br />
Ab <strong>November</strong> bis März, täglich 17:00 – 09:30 Uhr<br />
Friesenstraße 22 in Hamburg-Hammerbrook<br />
Timesharing über Wasser zu halten. „Da kann man<br />
Kollaustraße 15 in Hamburg-Lokstedt<br />
Hotelanteile kaufen und dann soundsoviel Tage im<br />
winternotprogramm@foerdernundwohnen.de<br />
Jahr Ferien machen.“ Aber es fiel ihm schwer, auf<br />
www.foerdernundwohnen.de<br />
Leute zuzugehen und ihnen so einen Vertrag<br />
schmackhaft zu machen.<br />
Ironie des Schicksals: Er, der Hotelanteile vertickte,<br />
machte Platte in einer der vielen Hotelruinen.<br />
Ein bisschen gruselig fand er das damals. „Du<br />
hörst, wie irgendwo im Haus Fensterscheiben zersplittern,<br />
und du weißt nicht, wer da ist.“ Aber es ist<br />
alles gut gegangen. „Ich habe keine Angst mehr auf<br />
der Straße“, sagt er. Obwohl es immer gefährlicher<br />
wird. Bisher hatte er immer Glück. „Ich bin auch<br />
kein Aggressor, eher ein Pazifist.“ •<br />
Unverzichtbar an unserer Seite: Engagierte Freiwillige,<br />
die sich um die Verpflegung mit belegten<br />
Broten und heißen Getränken kümmern, u. a.<br />
aus Spenden der Hamburger Tafel.<br />
Brote zu schmieren und Essen zuzubereiten.<br />
Geldspenden für den „Förderverein Winternotprogramm<br />
für Obdachlose e. V.“ sind willkommen,<br />
um zusätzliche Lebensmittel zu kaufen.<br />
Wir gratulieren Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
zu 25 Jahren Einsatz, Herz &<br />
Leidenschaft für obdachlose<br />
Menschen in Hamburg
„Die Hunde sind<br />
mein Leben. Sie<br />
beruhigen mich.“<br />
Mischling Jack ist schon seit<br />
vier Jahren der Begleiter von<br />
Vasile, Cocker Lilly hat<br />
Vasile einem Obdachlosen<br />
abgekauft – für teuer Geld.<br />
VASILE MIT JACK UND LILLY<br />
VASILE, 39, VERKAUFT VOR DER EUROPA PASSAGE<br />
Neulich sind zwei Frauen auf ihn zugekommen<br />
und haben ihn so komisch<br />
angesehen. Dann hat die eine ihr Handy<br />
gezückt und ein Foto von ihm und<br />
seinen Hunden Jack und Lilly gemacht.<br />
Kurze Zeit später tauchten andere<br />
Personen auf und haben ihn fotografiert.<br />
Ein paar Tage später kamen<br />
zwei Polizisten vorbei und wollten die<br />
Papiere von Jack und Lilly sehen. „Alles<br />
in Ordnung“, sagten die Polizisten.<br />
Aber das wusste Vasile ja selbst. Trotzdem<br />
war irgendwas komisch. Es war<br />
etwas im Gange gegen ihn. Er wusste<br />
nur nicht genau, was. Dann hörte er,<br />
dass eine Kampagne gegen ihn auf<br />
Facebook läuft. „Vielleicht denken die,<br />
ich habe meine Hunde geklaut, aber<br />
das stimmt ja nicht“, erzählt der<br />
Rumäne in der Redaktion in einem<br />
Sprachgemisch aus Englisch und Spanisch.<br />
Jack ist schon seit vier Jahren<br />
sein Begleiter, und Lilly hat er von einem<br />
Obdachlosen gekauft, mit Papieren<br />
und für teuer Geld.<br />
Wir recherchieren. Tatsächlich<br />
kursieren über Facebook Gerüchte, er<br />
würde die Hunde nicht artgerecht halten.<br />
Sturzbetrunken sei er gewesen.<br />
Das Ganze wird ohne Rücksprache<br />
und Prüfung der Fakten verbreitet.<br />
Und viele Leute machen sich auf, um<br />
sich den vermeintlichen Übeltäter anzuschauen.<br />
Dabei handelt es sich vermutlich<br />
nicht um Vasile. Der, der das<br />
Ganze auf Facebook losgetreten hat, ist<br />
selbst schockiert über die Auswirkungen<br />
und beendet die Kampagne.<br />
Vasile versucht, zur Ruhe zu kommen.<br />
„Die Hunde sind mein Leben“,<br />
sagt er. Er brauche sie. „Sie beruhigen<br />
mich, geben mir Frieden.“ Gerade weil<br />
Menschen ihn oft aufregen. Aber Ruhe<br />
zu bewahren ist für ihn nicht leicht. Er<br />
ist seelisch angeschlagen. Eigentlich seit<br />
seiner Kindheit. Seit sich seine Mutter<br />
vom Dach des Hauses gestürzt hat und<br />
er ins Heim kam. Er selbst hat schon als<br />
Kind mehrfach versucht, sich umzubringen.<br />
Denn im Heim, „das war kein<br />
Leben“. Viel geschlagen worden sei er.<br />
Und ja, das soll ich ruhig schreiben:<br />
„Ich bin vergewaltigt worden.“ Zu seinem<br />
Glück hat er seit einem Jahr zu<br />
Gott gefunden. Trotzdem bleibt er ein<br />
Getriebener. Erst ist er innerhalb Rumäniens<br />
gereist, dann war er in England<br />
und Spanien – und jetzt hier. Er<br />
bleibt, solange er Ruhe findet. Wenn<br />
das nicht mehr geht, zieht er weiter –<br />
irgendwohin. •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
38
25 Jahre Hinz&<strong>Kunzt</strong> – 25 Tage unser Restaurant auf Zeit:<br />
Ein kulinarisches Dankeschön an die Hamburger<br />
Mit 25 Drei-Gänge-Menüs von Sterneköchen, jungen Wilden<br />
und anderen Küchengöern<br />
Unser Kochbuch erscheint am 6. <strong>November</strong><br />
und kostet 25 Euro plus Versandkosten.<br />
Sie können es online bestellen unter<br />
www.hinzundkunzt.de/shop<br />
oder im Buchladen (ISBN 978-3-00-060526-0).<br />
Vom Erlös schenken wir jedem Hinz&Künztler<br />
zum Jubiläum 25 Monatsmagazine.
Lebenslinien<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kollege<br />
Dieter (links) war für<br />
Ralf da, als es ihm<br />
richtig schlecht ging.<br />
Gesucht und endlich<br />
wiedergefunden<br />
Die Geschichte von Ralf, der von heute auf morgen<br />
alles stehen und liegen ließ und verschwand. Und den seine Familie<br />
auf Hamburgs Straßen aufgespürt hat.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: MIGUEL FERRAZ<br />
40
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Lebenslinien<br />
Malente, 2014. Nichts<br />
ging mehr. Ralf hielt es<br />
einfach nicht mehr aus.<br />
Der 51-Jährige parkte<br />
den Lastwagen sauber ein. Schloss zum<br />
letzten Mal ab und warf die Papiere<br />
ordnungsgemäß in den Briefkasten seiner<br />
Firma. Dann nahm er seine Tasche<br />
mit den Klamotten, die er auf der<br />
Fahrt dabeigehabt hatte. Mehr brauchte<br />
er nicht mehr. Ihm war alles egal. Im<br />
Park fand er ein ruhiges Plätzchen für<br />
die Nacht. Am nächsten Morgen ging<br />
er zum Bahnhof. Setzte sich in den<br />
nächsten Zug nach Hamburg. Er meldete<br />
sich nicht ab, bei niemandem. Er<br />
wollte einfach verschwinden, sich in<br />
Luft auflösen. Seine Lebensgefährtin<br />
Christine, die ihn betrogen und ihn<br />
verlassen hatte, sollte gar nicht erst wissen,<br />
wo er war. Dass er dann auch seine<br />
Kinder, Fabian und Paulina, nicht<br />
mehr sehen würde, erleichterte ihn fast.<br />
Nach der Trennung hatte er sie regelmäßig<br />
gesehen. Das hatte die Wunde<br />
immer von Neuem aufgerissen.<br />
In Hamburg hatte Ralf eine Anlaufstelle:<br />
Er ging zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Zehn Jahre zuvor war er schon mal obdachlos<br />
gewesen. Und bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gilt der Spruch: Wenn du wieder in<br />
Not gerätst, kannst du jederzeit<br />
wiederkommen. Jetzt war es so weit.<br />
„Am Anfang stand ich mit den Zeitungen<br />
ganz schüchtern da“, sagt er. Erst<br />
später taute er langsam auf, an seinem<br />
Platz beim Passage Kino in der<br />
Mönckebergstraße.<br />
Dass es ihm nach und nach wieder<br />
besser ging, lag an Dieter, einem anderen<br />
Hinz&Künztler. Der machte hinter<br />
Karstadt Platte und nahm Ralf<br />
quasi bei sich auf. Abends, wenn Ralf<br />
in seinem Schlafsack lag, versuchte er,<br />
die Gedanken an Christine und die<br />
Kinder zu verscheuchen. „Ich wollte<br />
einen Schlussstrich ziehen“, sagt er.<br />
Von sich aus hätte er sich wohl nicht<br />
mehr bei seiner Familie gemeldet.<br />
Christine hatte ihren Mann nicht vergessen.<br />
„Vielleicht habe ich nie aufgehört,<br />
Ralf zu lieben“, sagt sie. Wa rum<br />
das überhaupt passiert war mit dem<br />
Fremdgehen? „Abends saß er die ganze<br />
Zeit vor dem Computer und ich vor<br />
dem Fernseher, jeder für sich allein“,<br />
sagt die 35-Jährige, als wir uns in Hamburg<br />
treffen. Immer wieder hatte sie<br />
Ralf gesagt, dass sie mehr zusammen<br />
machen müssten. Aber zu diesem Zeitpunkt<br />
war er dafür taub. Und dann<br />
„Vielleicht habe<br />
ich ja nie<br />
aufgehört, Ralf<br />
zu lieben.“ CHRISTINE<br />
hatte Christine ihre Jugendliebe wiedergetroffen<br />
– und sich verliebt. Für<br />
Ralf untragbar. „Sie hat mich betrogen.<br />
Ich konnte ihr einfach nicht verzeihen“,<br />
sagt er. So kam es zur Trennung.<br />
Christine war allerdings sehr<br />
daran gelegen, dass Ralf die Kinder<br />
jederzeit sehen konnte. „Ich wollte<br />
ihnen doch nicht den Vater wegnehmen“,<br />
sagt sie. Und dem Vater nicht<br />
die Kinder.<br />
Die Trennung der Eltern war für<br />
Fabian und Paulina, die damals erst<br />
acht und drei Jahre alt waren, schon<br />
schlimm. Noch schlimmer war, dass<br />
Ralf Knall auf Fall verschwunden war<br />
und sie nicht mal wussten, ob er überhaupt<br />
noch lebte. „Die Kinder haben<br />
oft geweint“, sagt Christine. Sie selbst<br />
hat allerdings die Hoffnung nie verloren.<br />
„Ich wollte ihn suchen und finden,<br />
allein schon für die Kinder“, sagt sie.<br />
Wie eine Detektivin machte sich<br />
die Hauswirtschaftsgehilfin auf die Suche<br />
nach Ralf. Sie kriegte raus, dass er<br />
41<br />
in Hamburg lebte und auf der Mönckebergstraße<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> verkaufte.<br />
Sonntag, der 25. September 2016.<br />
„Es war Ralfs Geburtstag, und ich hielt<br />
es einfach nicht mehr aus“, sagt Christine.<br />
„Ich habe die Kinder gefragt, ob<br />
wir es wagen sollten, ob wir Ralf in<br />
Hamburg suchen sollten.“<br />
Fabian und Pauline, inzwischen<br />
zehn und fünf Jahre alt, wollten – ganz<br />
unbedingt sogar.<br />
„Mein Geburtstag lag auf einem<br />
Sonntag“, erinnert sich Ralf. Seitdem<br />
er obdachlos war, feierte er seinen Geburtstag<br />
nicht mehr. Er fühlte sich<br />
höchstens noch ein bisschen einsamer<br />
als sonst. „Und sonntags arbeite ich<br />
nicht.“ Er wollte deshalb gar nicht erst<br />
zu seinem Verkaufsplatz gehen.<br />
„Ich war mir auf einmal ganz<br />
sicher, dass wir ihn finden würden“,<br />
sagt Christine. Sie setzte sich mit den<br />
Kindern in den Zug nach Hamburg.<br />
Mehrfach liefen Christine, Fabian<br />
und Paulina über die Mönckebergstraße<br />
– rauf und runter. Erst vergeblich.<br />
„Und dann sah ich ihn plötzlich“, sagt<br />
Christine. Ralf hatte seine Meinung<br />
nämlich doch noch geändert. „Es war<br />
ja verkaufsoffener Sonntag.“<br />
Und Ralf sah sie. Fassungslos<br />
schaute er auf seine Exfrau und die<br />
Kinder. „Ich war geschockt. Mir ging<br />
so viel durch den Kopf. Dass sie mich<br />
in diesem Zustand sehen, dass ich erst<br />
20 Minuten dastehe – und noch keinen<br />
Euro verdient hatte und sie nicht mal<br />
einladen konnte …“<br />
Mehr denken konnte er nicht,<br />
denn Fabian und Paulina kamen auf<br />
ihn zugerast und umarmten ihn. „Wir<br />
haben nur geweint“, sagt Christine, als<br />
sie fast genau zwei Jahre später in der<br />
Redaktion ihre Geschichte erzählen.<br />
„Und dann sind wir zusammen durch<br />
die Stadt gegangen, haben geredet“,<br />
sagt Ralf. „Und wir waren bei McDonald’s“,<br />
sagt Paulina. Abends hat Ralf<br />
seine Familie wieder zum Zug ge-
Lebenslinien<br />
Menschen. Und wo es um Menschen<br />
geht, da geht es um Fehler und ums<br />
Verzeihen. Ralf konnte auf einmal<br />
sein eigenes Leben in einem anderen<br />
Licht betrachten. Wie sehr er Christine<br />
geliebt hatte, wie sehr er von ihr enttäuscht<br />
war. Er konnte auch sich und<br />
„Ich habe<br />
gesehen, wie<br />
allen die Tränen<br />
runterliefen.“ RALF<br />
Nie hätten Christine und Ralf damit gerechnet, dass sie ihre Liebe<br />
neu finden könnten. Heute leben sie wieder als Paar zusammen und auch<br />
die beiden Kinder haben wieder Vertrauen zu ihrem Papa gefasst.<br />
bracht. „Ich habe gesehen, wie allen<br />
die Tränen runterliefen“, sagt Ralf.<br />
Was er nicht so recht zugeben will:<br />
„Als der Zug anfuhr, hab ich gesehen,<br />
dass du auch geweint hast“, sagt Fabian.<br />
Und es klingt fast stolz.<br />
Seit diesem Tag ist viel passiert.<br />
Fabian ist heute zwölf, Paulina sieben<br />
Jahre alt, Christine 35 und Ralf 54.<br />
Die vier leben wieder als Familie<br />
zusammen. Haben viel hinter sich.<br />
Im Oktober <strong>2018</strong> kommen sie uns<br />
besuchen und erzählen. Ralf hatte<br />
Christine damals noch auf der Mönckebergstraße<br />
gesagt: „Nicht dass du<br />
denkst, wir kommen noch mal zusammen!“<br />
Christine fand das okay. „Mir<br />
ging es darum, dass die Kinder wieder<br />
ihren Vater haben – und umgekehrt.“<br />
Sie bot Ralf sogar an, dass sie und<br />
die Kinder einmal im Monat nach<br />
Hamburg kommen würden und sie<br />
sich regelmäßig sehen könnten.<br />
Ralf dagegen war angespannt und<br />
misstrauisch, aber natürlich wollte er<br />
auch, irgendwie.<br />
Dass sich irgendwas in seinem<br />
Kopf und Herz veränderte, das hat<br />
ganz viel damit zu tun, dass Ralf mit<br />
vielen Hinz&Künztlern und Obdachlosen<br />
im <strong>November</strong> 2016 nach Rom<br />
fuhr. „Es war gar nicht unbedingt der<br />
Papst“, sagt Ralf, der sich selbst als<br />
nicht gläubig bezeichnet. „Eher die<br />
ganze Atmosphäre.“<br />
Bei der Reise ging es viel um Liebe,<br />
nicht unbedingt um die zwischen<br />
Mann und Frau, aber um die zwischen<br />
seine Fehler sehen – und dass er den<br />
Kindern unendlich wehgetan hatte.<br />
„Jedenfalls kam Ralf aus Rom<br />
wieder und war viel entspannter und<br />
offener“, sagt Christine. Weihnachten<br />
2016 fährt Ralf nach Malente, um das<br />
Fest mit seiner Familie zu feiern. Drei<br />
Monate später zieht er wieder ganz<br />
nach Hause. „Damit hatte ich nicht<br />
gerechnet!“, sagt Christine – und Ralf<br />
und sie lächeln sich glücklich an. „Ich<br />
auch nicht!“, sagt Ralf. Aber Fakt ist:<br />
Die beiden sind auch als Paar wieder<br />
zusammengekommen. Geholfen hat<br />
ihnen, dass sie sich Hilfe geholt haben.<br />
Die vier haben fast zwei Jahre lang eine<br />
Familientherapie gemacht. Jetzt<br />
sagt Ralf: „Die Kinder haben immer<br />
noch nicht das gleiche Vertrauen zu<br />
mir wie früher, da ist noch eine Distanz.“<br />
„Das stimmt nicht, Papa!“, sagt<br />
Paulina fast empört und streckt ihm<br />
ihre Hand entgegen. Und Fabian legt<br />
seinen Arm um ihn. „Doch, doch“,<br />
sagt Ralf. „Das ist auch in Ordnung.“<br />
Ralf weiß sehr wohl, was er seinen<br />
Kindern angetan hat. „Aber ich lass<br />
euch nicht mehr allein“, sagt er und<br />
nimmt die beiden in seine Arme. „Nie<br />
mehr.“ •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
42
Wir gratulieren!<br />
Vielen Dank für 25 bewegte Jahre mit viel Unterstützung<br />
und Hilfe für die Menschen unserer Stadt.<br />
„Gut für Hamburg“ zeigt das vielfältige gesellschaftliche<br />
Engagement der Haspa und ist zugleich ein Ort für alle,<br />
die sich in Ihrer Region engagieren wollen.<br />
www.haspa-gut-fuer-hamburg.de
...weil die einen besonderen<br />
Blick auf Hamburg haben.<br />
Michel Abdollahi, Künstler<br />
… weil mit<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> mein<br />
Hamburg mir so nah ist!<br />
Gilda Winter aus<br />
Mammoißel im Wendland<br />
… weil die Beiträge,<br />
die anders sind als in<br />
sonstigen Zeitungen,<br />
mich zum Nachdenken<br />
bringen – und ich seit<br />
15 Jahren Mitglied im<br />
Freundeskreis bin.<br />
Susanne Dinter
… weil Geschichten<br />
auf der Straße<br />
beginnen und es eine<br />
tolle Möglichkeit<br />
ist, den Menschen<br />
sinnvoll zu helfen.<br />
Victoria Keller<br />
Ich lese<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>,<br />
weil<br />
… Der<br />
Künstler Michel Abdollahi hat mitgemacht,<br />
Koch Tim Mälzer, Tagesschausprecherin Judith Rakers,<br />
die Gebrüder Braun vom Miniatur Wunderland und<br />
TV-Entertainer Jorge González. Wir wollten von ihnen<br />
wissen, warum sie Hinz&<strong>Kunzt</strong> lesen – und haben<br />
daraus eine Werbekampagne zum Jubiläum unseres<br />
Projektes gemacht. Aber nicht nur auf die Antworten<br />
der Promis waren wir neugierig. Auch unsere<br />
Leserinnen und Leser haben wir gebeten, den Satz<br />
zu beenden und uns ein Foto von sich mit einer<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> in Händen zu schicken.<br />
45
… weil die Welt kein<br />
Wunderland ist!<br />
Frederik und Gerrit Braun,<br />
Miniatur Wunderland<br />
...weil die wichtigsten Nachrichten<br />
auf der Straße beginnen.<br />
Judith Rakers, Moderatorin<br />
… weil mich nichts mehr mit Hamburg verbindet als ihr!<br />
Elfi Steffen aus Pforzheim<br />
46
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Freunde<br />
… weil keiner bessere Rezepte hat<br />
für ein wirklich soziales Hamburg!<br />
Tim Mälzer, Koch<br />
... weil die Zeitschrift<br />
neben den unfassbar guten<br />
Themen einfach auch so<br />
gut gemacht ist. Die Bilder,<br />
die Anordnung der<br />
Texte. Sie ist ehrlich,<br />
wichtig und reflektiert. Sie<br />
ist Alltag, den wir oft<br />
nicht sehen. Sie ist Kultur,<br />
Hoffnung und Hamburg.<br />
Sie ist einfach gut!<br />
Laura Steinhaus<br />
… weil nicht nur Zäune<br />
verbinden.<br />
Sarah Lena Goos und<br />
Reni Möckel vom<br />
Hamburger Gabenzaun<br />
(hier hängen Hamburger<br />
Sachspenden für Obdachlose<br />
an einen Zaun am<br />
Hauptbahnhof, die Red.)<br />
… weil ich das Konzept liebe, dass<br />
ich jemandem helfe, indem ich die<br />
Zeitschrift lese. Gleichzeitig hilft<br />
es mir, mein Deutsch zu verbessern.<br />
Aparajita Bose<br />
47
…weil ich Toleranz und<br />
Respekt zu schätzen weiß.<br />
Jorge González, TV-Entertainer<br />
… weil es nicht<br />
nur die schöne<br />
heile Welt zeigt,<br />
sondern ohne<br />
Polemik sachlich<br />
klar die sozialen<br />
Schattenseiten<br />
der Hansestadt<br />
aufzeigt.<br />
Kapitän Jürgen<br />
Schwandt<br />
… von der ersten Ausgabe an, weil ich es super finde,<br />
dass die Verkäuferinnen und Verkäufer so<br />
wieder mehr Selbstbewusstsein haben und auch<br />
finanziell etwas eigenständiger werden können.<br />
Dörte Laschinsky
Freunde<br />
Die Patriotische Gesellschaft<br />
von 1765<br />
gratuliert Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
zum 25-jährigen Jubiläum!<br />
Patriotische Gesellschaft von 1765<br />
Stolzer Gesellschafter von Hinz&<strong>Kunzt</strong> seit 1996<br />
… weil die Möglichkeit zu helfen<br />
und zu unterstützen direkt<br />
vor meiner Tür zu finden ist!<br />
Gertrude Weinert<br />
www.patriotische-gesellschaft.de<br />
… weil ich die<br />
Beiträge in dem<br />
Straßenmagazin<br />
als sehr authentisch<br />
empfinde<br />
und nebenbei mit<br />
dem Kauf des<br />
Magazins ein<br />
lokales soziales<br />
Projekt unterstütze,<br />
das mir sehr<br />
am Herzen liegt.<br />
René Mentschke<br />
Dankeschön<br />
Wir danken allen Leserinnen und Lesern,<br />
die den Satz vervollständigt haben.<br />
Danke auch an alle, die pro bono zur Plakatkampagne<br />
beigetragen haben: dem Fotografen Philipp Rathmer,<br />
der Postproduktion Harvest, Plakat Hansen,<br />
Kultur-Medien Hamburg und<br />
Ströer Außenwerbung Hamburg.<br />
Wir gratulieren Hinz & <strong>Kunzt</strong><br />
und wünschen weitere 25<br />
erfolgreiche Jahre!<br />
abasto<br />
ökologische Energietechnik<br />
Für mehr soziale Wärme<br />
und eine klimaschonende<br />
Strom- und Wärme -<br />
versorgung.<br />
www.abasto.de<br />
49
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
Ausdrucksstark und<br />
wandlungsfähig:<br />
Gustav Peter Wöhler<br />
beim Fototermin im<br />
Hotel Reichshof.<br />
50
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
„Musik hat<br />
mich immer<br />
wieder getröstet“<br />
Gustav Peter Wöhler ist ein Mann mit vielen Qualitäten: Er spielt, er singt,<br />
er tanzt. Kurz: Der Mann hängt sich rein. Am 6. <strong>November</strong> tritt er mit seiner<br />
Band bei der Feier zum 25. Geburtstag von Hinz&<strong>Kunzt</strong> auf. Ein Gespräch<br />
über die Musikbox seiner Eltern, Selbstzweifel und seine große Liebe.<br />
INTERVIEW: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: ANDREAS HORNOFF (PORTRÄTS), CHARLIE SPIEKER<br />
Oh, das ist aber voll heute<br />
hier“, sagt Gustav Peter<br />
Wöhler. Im Foyer des von<br />
ihm als Treffpunkt ausgesuchten Hotel<br />
Reichshof tummeln sich Touristengruppen<br />
und Businessleute. Eine halbe<br />
Treppe höher, in einer kleinen Lounge,<br />
ist noch Platz. Wöhler lässt sich in<br />
einen Sessel fallen und erzählt beim<br />
Cappuccino, dass er früher gegen die<br />
Modernisierung des Hotels demonstriert<br />
hat.<br />
Nebenan, am Schauspielhaus, begann<br />
1982 seine Theaterkarriere. Bis<br />
heute hat er in vielen Kino- und<br />
TV-Filmen und Serien mitgewirkt<br />
(„Bin ich schön?“ / „Soko Köln“).<br />
Oft wird der 62-Jährige, der in<br />
Eickum bei Herford aufgewachsen ist,<br />
als „Durchschnitts typ“ besetzt. Fans,<br />
die seine Energie auf der Bühne schätzen,<br />
bezeichnen Wöhler hingegen als<br />
„sexiest man alive“.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Herr Wöhler, wie sind Sie<br />
musikalisch sozialisiert worden?<br />
GUSTAV PETER WÖHLER: Zuerst Musik gehört<br />
habe ich bei uns in der Kneipe meiner<br />
Eltern in der Musikbox. Da kamen so<br />
Sachen raus wie „Da sprach der alte<br />
Häuptling der Indianer“ von Gus Backus<br />
und „Es hängt ein Pferdehalfter<br />
an der Wand“, all dieser Blödsinn. Damals<br />
fand man das lustig.<br />
Sie nicht so?<br />
Nein, vor allem einen Song habe ich<br />
gehasst, von Freddy Quinn: „Hundert<br />
Mann und ein Befehl“, dieses schreckliche<br />
Soldatenlied. Gegen die Hippies,<br />
gegen die Gammler! Ich habe gemerkt,<br />
ich tendiere eher zu denen.<br />
Später bin ich auf dem Radiosender<br />
BFBS (British Forces Broadcasting Service,<br />
d. Red.) gestoßen. Ich komme ja aus<br />
Herford, da lief immer „Nightflight“<br />
mit Alan Bangs. Da habe ich all die<br />
Sachen gehört, die ich jetzt auch noch<br />
höre und spiele. Wir fangen die Shows<br />
zum Beispiel mit dem Nick-Drake-<br />
Song „From The Morning“ an.<br />
51<br />
Sie und Ihre Band spielen nur<br />
Coverversionen: von Nena über The Police<br />
bis zu U2. Wann kommt denn das erste<br />
selbst geschriebene Album?<br />
Das müssen Sie meine Band fragen.<br />
Ich wäre sofort dabei, aber seit 22 Jahren<br />
rede ich mir den Mund fusselig.<br />
Ich kann ja leider kein Instrument<br />
spielen, sonst würde ich selber Songs<br />
schreiben, aber ich bin zu blöd dazu.<br />
Sie sind ganz schön selbstkritisch.<br />
Ich bin sehr selbstkritisch, ja. Ich werde<br />
auch dauernd angesprochen, wann<br />
ich denn endlich mein erstes Buch<br />
schreibe? Ich sage: „Ich hoffe, nie!“<br />
Ich habe so einen hohen Anspruch<br />
an Literatur, dass ich dem selbst nicht<br />
genügen könnte. Mir reicht mein<br />
Tagebuch.<br />
Zurück zur Musik. Sie haben<br />
einmal gesagt, dass die Musik Sie<br />
gerettet hat – wovor?<br />
Vor der Einsamkeit. Vor der Verzweiflung.<br />
Musik hat mich gerettet davor,<br />
nicht durchzudrehen. Meine Eltern<br />
sind ja sehr früh gestorben und ich bin<br />
in so einem Umfeld aufgewachsen, wo<br />
ich sehr früh gemerkt habe, ich bin anders.<br />
In dem Dorf haben fast alle<br />
CDU gewählt. Ich habe meine Homosexualität<br />
zu einem sehr frühen Zeitpunkt<br />
entdeckt. Damals war das noch<br />
verboten. Es ist immer wieder so ge-
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
wesen, dass ich durch Musik getröstet<br />
worden bin.<br />
Durch Songs, bei denen klar war, Sie<br />
sind nicht der Einzige, der einsam und<br />
verzweifelt ist?<br />
So ist es.<br />
Sie sind schon sehr lange mit Albert<br />
Wiederspiel, dem Direktor des Filmfestes<br />
Hamburg, zusammen.<br />
Wir haben uns 2004 kennengelernt,<br />
durch Doris Dörrie. Ihr Film „Der Fischer<br />
und seine Frau“, in dem ich mitspiele,<br />
hatte Premiere auf dem Filmfest<br />
und meine Band hat da gespielt.<br />
Albert kannte mich gar nicht, aber ich<br />
habe mich sofort in ihn verknallt. Diese<br />
Reden, die er gehalten hat! So gefühlvoll,<br />
so menschlich, so witzig.<br />
Sie leben heute mit ihm abwechselnd in<br />
Hamburg und Berlin.<br />
Ja, das ist schon pervers, so was zu<br />
sagen, aber Albert ist passionierter Berliner<br />
und ich bin passionierter Hamburger.<br />
Er wollte unbedingt seine Wohnung<br />
in Berlin behalten, denn wenn er hier<br />
aufhört, werden wir nach Berlin ziehen.<br />
Die meisten Menschen kennen Sie als<br />
Schauspieler. Sie gelten als „König der<br />
Nebenrollen“. Fühlen Sie sich treffend<br />
beschrieben?<br />
Was heißt „König der Nebenrollen“?<br />
Ich habe halt Nebenrollen, da gibt es<br />
aber viele Kollegen ... Ich darf voller<br />
Stolz sagen, dass ich hier am Schauspielhaus<br />
viele Nebenrollen gespielt<br />
habe und immer sehr gut besprochen<br />
wurde. „Egal, was er macht, er ist<br />
präsent“, hieß es damals in der Kritik.<br />
Das hat mich sehr gefreut. Ich bin<br />
ansonsten eher der faule Mensch und<br />
lasse alles auf mich zukommen.<br />
Ursprünglich wollten Sie auch gar nicht<br />
Schauspieler werden?<br />
Nein, ich wollte eigentlich Sozialpädagoge<br />
werden. Oder Sänger. Vor der<br />
Sozialpädagogik hat mich dann aber<br />
mein Religionslehrer gewarnt.<br />
Der hat Sie zur Schauspielschule geschickt.<br />
Ja, für jeden Menschen gibt es diese<br />
Begegnungen, die Türen öffnen. Von<br />
sich aus etwas zu entwickeln, so etwas<br />
Konzerte mit vollem Körper einsatz: Gustav Peter Wöhler und<br />
seine Band (von links): Kai Fischer, Olaf Casimir und Mirko Michalzik.<br />
habe ich nie gelernt. Das fehlt mir<br />
heute noch oft. Ich habe nicht umsonst<br />
22 Jahre in einer Band hinter mir, ich<br />
habe auch 35 Jahre Therapie hinter<br />
mir.<br />
Wie kam es dazu?<br />
Ich habe halt irgendwann gemerkt, ich<br />
muss Therapie machen, weil ich zu<br />
viele Dinge in meinem Kopf und in<br />
meiner Seele habe, die mich belasten,<br />
die mich nicht freilassen. Das hat sich<br />
durch die Therapie total geändert.<br />
Woran merken Sie das?<br />
Mein größtes Problem war früher die<br />
Angst vorm Publikum. Die Angst,<br />
nicht angenommen zu werden,<br />
schlecht beurteilt zu werden. Ich habe<br />
mal ein Konzert in den Fliegenden<br />
Bauten gehabt, und da saß ein Mensch<br />
immer mit geschlossenen Augen und<br />
Kopf in der Hand da und ich dachte:<br />
O Gott, Scheiße! Er kam anschließend<br />
zum CD-Verkauf und hatte seine Frau<br />
dabei. Der war blind. Der hat da so<br />
gesessen, weil er genau zugehört hat.<br />
Da habe ich mich so geschämt für<br />
mich selbst! Und habe gedacht, wieso<br />
bist du eigentlich so blöd? Wieso stellst<br />
du dich so an? Heute ist das komplett<br />
vorbei.<br />
Sie haben sich nicht nur in dem Film<br />
„Erleuchtung garantiert“ (1999) mit<br />
Meditation beschäftigt, sondern auch<br />
privat. Meditieren Sie heute noch?<br />
Nicht mehr so oft, aber vor Konzerten.<br />
So eine halbe Stunde, bevor es losgeht,<br />
setze ich mich hin. Um mich zu<br />
erden, eine Klarheit zu bekommen,<br />
dass man nicht voller Nervosität da<br />
rausstürzt. Aber im Moment ist meine<br />
Stimme so toll, wenn ich das mal so<br />
ganz blöd sagen darf. Ich bin viel<br />
freier.<br />
Sie treten bei unserer 25-Jahr-Feier auf.<br />
Wo haben Sie in Ihrem Alltag Berührungspunkte<br />
mit Obdachlosigkeit?<br />
52
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Ich muss nur morgens von meiner<br />
Wohnung in St. Georg zum Hauptbahnhof<br />
gehen, dann habe ich mehrere<br />
Kontakte mit Obdachlosen. Ich<br />
kenne einen Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />
sehr gut, der steht vorm Kaufhof, wir<br />
grüßen uns auch immer. Das sind ja<br />
Stamm verkäufer. Und dann gibt es<br />
auch viele Leute, wo man sich fragt,<br />
wo kriegen die ihre Hinz&<strong>Kunzt</strong> her?<br />
Die haben meistens nur ein Heft dabei<br />
„Früher hatte<br />
ich große Angst,<br />
schlecht beurteilt<br />
zu werden.“<br />
GUSTAV PETER WÖHLER<br />
und das sieht auch nicht mehr so gut<br />
aus. Da bin ich gehemmt: Soll ich denen<br />
Geld geben oder schade ich damit<br />
Leuten, die das richtig machen?<br />
Das Problem der nicht-offiziellen Verkäufer<br />
hat sich verstärkt in den vergangenen<br />
Monaten. Wir bitten die Leser, nur bei<br />
Menschen mit Verkaufsausweis zu kaufen.<br />
Aber letztlich machen die Leute, die mit<br />
einer Hinz&<strong>Kunzt</strong> betteln, das ja auch<br />
nicht aus Spaß …<br />
… sondern weil sie es müssen, ja. Viele<br />
Leute haben ihr Leben auf der Reihe<br />
gehabt. Plötzlich wird die Reihe gekappt<br />
und dann stehst du auf der<br />
Straße.<br />
Kennen Sie selbst Existenzangst?<br />
Nein, weil ich als Kind gelernt habe,<br />
mit ganz wenig auszukommen. Ich habe<br />
mir eins vorgenommen in meinem<br />
Leben: Egal, wie gut es dir geht, du<br />
wirst diese Zeit immer in dir spüren.<br />
Ich hätte kein Problem, meine jetzige<br />
Wohnung aufzugeben oder kürzerzutreten.<br />
Das habe ich gelernt. •<br />
Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />
Wir feiern Geburtstag:<br />
Di, 6.11., Markthalle, Klosterwall 11,<br />
18.30 Uhr: Moderator Michel Abdollahi<br />
im Gespräch mit Hinz&Künztlern und<br />
Gästen.<br />
Danach: Release unseres Kochbuches<br />
„Willkommen in der <strong>Kunzt</strong>Küche!“<br />
(siehe Anzeige Seite 39),<br />
20 Uhr: Gustav Peter Wöhler Band;<br />
Eintritt frei, Spenden erbeten<br />
<br />
MACY GRAY<br />
<br />
ÜBERJAZZ<br />
<br />
PETER CETERA<br />
<br />
CHVRCHES<br />
<br />
KLAUS HOFFMANN & BAND<br />
<br />
NIGHTMARES ON WAX<br />
<br />
THE IRISH FOLK FESTIVAL<br />
<br />
DAVID AUGUST<br />
<br />
TREMONTI<br />
<br />
BERNHOFT AND<br />
THE FASHION BRUISES<br />
<br />
KYLIE MINOGUE<br />
<br />
NICOLA CONTE &<br />
SPIRITUAL GALAXY<br />
<br />
HOZIER<br />
<br />
NILS LANDGREN:<br />
CHRISTMAS WITH MY FRIENDS<br />
<br />
JUDITH HOLOFERNES<br />
<br />
WLADIMIR KAMINER<br />
<br />
4U: A SYMPHONIC<br />
CELEBRATION OF PRINCE<br />
<br />
GIORA FEIDMAN TRIO<br />
<br />
CYPRESS HILL<br />
<br />
TORFROCK<br />
<br />
STAATLICHES RUSSISCHES<br />
BALLETT MOSKAU<br />
<br />
GOOD CHARLOTTE<br />
<br />
ERSTE ALLGEMEINE<br />
VERUNSICHERUNG<br />
<br />
MAX GIESINGER<br />
<br />
SLASH<br />
<br />
LOREENA MCKENNITT<br />
<br />
MAX RAABE & PALAST<br />
ORCHESTER<br />
<br />
TEDESCHI TRUCKS BAND<br />
<br />
HERMAN VAN VEEN<br />
53<br />
TICKETS: KJ.DE
Wilde Tiere,<br />
einsame Orte und<br />
ein Farbenmeer<br />
Hinz&Künztler und ihre Lieblingsbilder in der Hamburger Kunsthalle.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Wir sind mal wieder unterwegs in der<br />
Kunsthalle. Ein Highlight für uns.<br />
Hier können sechs Hinz&Künztler<br />
zumindest für ein paar Stunden in<br />
eine völlig andere Welt eintauchen. Zusammen<br />
streifen wir durch die Räume, und jeder sucht sich<br />
ein Bild, das ihn besonders anspricht und erzählt<br />
warum: Birgit ist schockverliebt in ein eigentlich<br />
unspektakuläres Landschaftsbild von Caspar David<br />
Friedrich. Ulf fotografiert an die 60 Bilder, bleibt<br />
aber distanziert. Timo ist fasziniert von einem Löwen<br />
und hofft, dass der nur mit dem Alligator spielt.<br />
Petra findet endlich ein buntes Bild, das gegen ihre<br />
Winterstimmung hilft. Fred schaut tief in Courbets<br />
Grotte und könnte sich vorstellen, dort seinen<br />
Schlafplatz zu haben. Und Gerrit landet zumindest<br />
vorübergehend wieder in der Psychiatrie. Begleitet<br />
werden wir bei unserem Rundgang von Christoph<br />
Martin Vogtherr, dem Chef der Kunsthalle persönlich.<br />
Auch er hat derzeit ein Lieblingsbild: einen gefolterten<br />
Jesus. •<br />
„Ob die wohl schmusen?“<br />
Eugène Delacroix, Löwe und Alligator, Öl auf Eichenholz, 1863<br />
Das sieht doch aus, als würde der Löwe den Alligator putzen. Ob die schmusen? Aber der Löwe will den Alligator wohl doch fressen, weil<br />
seine rote Zunge schon zu sehen ist. Und der Löwe hat ja seine Krallen draußen, zart wirkt das nicht. Auf den ersten Blick sieht man das<br />
allerdings nicht so genau. Aber wer weiß. Vielleicht haben sie sich doch zusammengetan. Man kennt doch so verrückte Sachen. Katzen und<br />
Hunde, die sich gut verstehen, Pinguine und Bären. Aber so richtig glaube ich nicht daran. Es ist ein schönes und faszinierendes Bild, so<br />
was würde ich mir sofort hinhängen. Ich liebe Tiere und habe selbst viele Tiere gehabt. Meine letzte Hündin haben sie mir allerdings geklaut.<br />
Ein Kollege ist damit nach Amsterdam abgehauen, da war sie noch ganz klein. Jetzt ist sie wieder in Bremen, aber es ist zu spät. Sie würde<br />
sich ja nicht mehr an mich erinnern. Und da will ich sie nicht rausreißen.<br />
Timo, 42, wohnt im Wohncontainer. Er hat noch keinen festen Verkaufsplatz.<br />
C. M. Vogtherr: Das ist auch ein sehr besonderes Bild für mich. Ich mag Delacroix. Und ich habe mir gewünscht, dass wir hier noch mehr von<br />
ihm zeigen können, deshalb haben wir als Museum gerade noch eine Zeichnung von ihm gekauft. Es geht bei ihm immer auch um große<br />
Leidenschaft und Gewalt. Selbst die Natur ist nicht harmlos, sondern es passiert gerade etwas Grundlegendes und Existenzielles. Dass der<br />
Löwe nicht etwa mit einer Gazelle kämpft, sondern mit einem Alligator, ist eine ungewöhnliche Kombination, die die Spannung noch mal<br />
verstärkt. Dazu ist der Abendhimmel hell gemalt – und so sehen wir den Löwen genau und sehen, wie groß er ist und wie viel Kraft er hat.<br />
55
„Ich mag, wenn es bunt ist“<br />
Sam Francis, As for the Open,<br />
Öl auf Leinwand, 1962-63<br />
Die meisten Bilder hier waren mir zu düster.<br />
Vielleicht liegt das auch an meiner Winterstimmung.<br />
Dieses Bild mag ich. Es ist bunt,<br />
von mir aus könnte es sogar noch bunter und<br />
greller sein. Ich würde mir so was sofort hinhängen.<br />
Das ist schön, wenn es draußen grau<br />
wird. Da lässt sich nichts in eine Form pressen,<br />
genau wie ich. Ich mag keine weißen Wände.<br />
Momentan wohne ich in einem Container, und<br />
der ist von innen grau. Deshalb habe ich überall<br />
an den Wänden etwas Buntes aufgehängt:<br />
eine grün-weiße Werder-Fahne, einen pinken<br />
Hut mit LEDs – und ein hellblau-gelbes Batiktuch<br />
von meiner Tochter. Ich mag es hell und<br />
fröhlich.<br />
Petra, 57, wohnt in einem Wohncontainer.<br />
Sie verkauft am Mühlenkamp in Winterhude.<br />
C. M. Vogtherr: Ein besonderes Bild: Es ist das<br />
Eingangsbild der Kunsthalle seit zwei Jahren.<br />
Das Bild steht für einen Neuanfang nach dem<br />
Krieg, den Beginn einer neuen Zeit. Die weiße<br />
Oberfläche und darauf eine einfache Bildsprache,<br />
die alle weltweit verstehen. Man sieht<br />
Energie, wie der Maler sich abgearbeitet hat,<br />
nichts ist abgezirkelt, alles elegant und kraftvoll.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
„Je tiefer, desto angenehmer“<br />
Gustave Courbet, Die Grotte der Loue, Öl auf Leinwand, 1864<br />
Meine Platte ist überschwemmt, denke ich da. Alleine diese Wuchtigkeit.<br />
Es ist ein schöner Ort, auch wenn da Wasser drum herum ist. Ich<br />
bin ja der geborene Einzelgänger, ich brauche meine Rückzugsorte.<br />
Dieses Stillleben sagt mir mehr, als wenn noch Tausend Leute rumstehen<br />
würden. Normalerweise würde ich mir natürlich Orte aussuchen,<br />
wo nicht so viel Wasser drum herum ist. Wasser zieht ja Kälte an, aber<br />
bei diesem Bild vielleicht nicht so, weil es vermutlich in einer wärmeren<br />
Region liegt. Beruhigend und angenehm. Auch wenn man nicht schwimmen<br />
kann, da komm ich wieder raus. Und du kannst ja ellenweit reingucken,<br />
deswegen finde ich das interessant. Ich würde weiter nach hinten<br />
reingehen, je tiefer, desto angenehmer. Dahinten wäre es trocken,<br />
davon gehe ich jedenfalls aus. Und es gibt mit Sicherheit noch ein<br />
Hochplateau, auf das ich mich zurückziehen kann. Das sieht man natürlich<br />
nicht auf dem Bild.<br />
Fred, 54, ist obdachlos. Er verkauft auf dem Markt in Ahrensburg.<br />
C. M. Vogtherr: Das ist ein sehr berühmtes Bild von Courbet. Und tatsächlich<br />
geht es auch um Rückzug: Courbet hat ja in Paris gewohnt und<br />
ist dort verurteilt worden, weil er an der Revolution 1870 teilgenommen<br />
hat. Er musste flüchten, und die Gegend, in die er sich zurückgezogen<br />
hat, wenn es in Paris brenzlig wurde, ist an der Grenze zur Schweiz hin,<br />
östlich von Paris. Das Bild ist auch unter Kunsthistorikern berühmt: Courbet<br />
trägt die Farbe für die Steine mit Spachtel und Stöcken ganz grob auf,<br />
er hat sie richtig draufgehauen. Merkwürdig und ungewöhnlich an dem<br />
Bild: dass in der Mitte gar nichts ist. Hier ist das Wichtige das Nichts.<br />
Auf Entdeckungstour in der Kunsthalle (von links): Gerrit,<br />
Timo, Fred, Petra, Ulf. Vorne: Birgit, Chefredakteurin<br />
Birgit Müller, Sybille Arendt (Öffentlichkeitsarbeit).<br />
57
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong>
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
„Ein Gefühl von Heimat!“<br />
Caspar David Friedrich, Sturzacker, Öl auf Leinwand, um 1830<br />
Das ist genau, was ich jeden Morgen sehe, wenn ich in meinem<br />
Camper aufstehe. Alles drum herum ist Land, Naturschutzgebiet.<br />
Das verbinde ich mit Ruhe, zu Hause und dem Gefühl von Heimat.<br />
Wenn ich mir das Bild ansehe, dann weiß ich, dass ich die beste<br />
Entscheidung meines Lebens getroffen habe, da zu wohnen. Hier<br />
habe ich Natur. Wir haben Pferdeweiden, Äcker und Bauern, aber<br />
auch ’ne Bushaltestelle. Das ist absolut wichtig. Ich komme einfach<br />
aus der Großstadt und muss da auch immer wieder hin. Aber<br />
ich finde die Großstadt erdrückend. Gerade aus der Perspektive,<br />
wenn du selbst auf der Straße geschlafen hast und ganz viele<br />
Menschen zu dir runtergucken. Jetzt bin ich auf einer Ebene mit<br />
allen. Auf dem Land ist es einfach anders. Da interessiert es<br />
keinen, wo du herkommst. Du wirst genommen, wie du bist. In der<br />
Stadt wollen alle immer wissen, wo du herkommst, was du machst.<br />
Das Bild würde ich sofort aufhängen. Aber nicht zwangsläufig mit<br />
diesem Rahmen. Ein dezenterer Rahmen wäre cooler, dann würde<br />
das Bild mehr zur Geltung kommen.<br />
Birgit, 49, lebt im Wohnwagen. Sie verkauft derzeit unregelmäßig.<br />
C. M. Vogtherr: Dieser Raum ist ja fast das Herzstück der Kunsthalle,<br />
das kennen wir alle gut, die wir hier arbeiten. Ich mag den<br />
„Sturzacker“ so sehr, weil er so unspektakulär ist. Es ist fast<br />
nichts drauf, aber durch das wunderbare Licht und den weiten<br />
Blick ist es eine schöne Szene. Caspar David Friedrich hat damals<br />
in Dresden gewohnt und ist viel um Dresden herumgewandert.<br />
Das Bild ist aus dieser direkten Beobachtung entstanden.<br />
„Das erinnert mich an die Psychiatrie“<br />
Ilya Kabakov, Healing with Paintings, Rauminstallation,<br />
Mixed Media, 1996<br />
Als wir kamen, war die Tür angelehnt. Ich wusste erst gar nicht, ob<br />
man da durch darf. Aber ich hab die Tür natürlich aufgemacht,<br />
kennst mich ja. Dann das Knarren der Dielen und das Quietschen<br />
der Türen – und diese Musik! Was derjenige, der das gemacht hat,<br />
sich wohl dabei gedacht hat? Ich habe gleich gedacht: Dass man<br />
sich ins Bett legen soll und die Kunst betrachten. Ist mir schon<br />
klar, dass man sich hier nicht ins Bett legen darf. Aber das Ganze<br />
erinnert mich an die Psychiatrie. Da standen im Keller auch solche<br />
alten, ausgemusterten Betten. Zum Glück bin ich seit vier Jahren<br />
und elf Monaten da raus.<br />
Gerrit, 43, wohnt in einer Zweizimmerwohnung.<br />
Er verkauft am Forum Winterhude.<br />
C. M. Vogtherr: Die Räume von Kabakov sind bedrückend und<br />
trostlos. Die Beschriftung behauptet ja, dass hier durch Kunst<br />
geheilt werden soll. Glauben kann man das nicht. Wenn es in einer<br />
solchen Zelle nicht funktioniert, kann Kunst dann im Museum<br />
wirken und helfen? Gerrits und meine eigene Reaktion zeigt aber<br />
in jedem Fall: Ein Werk wie diese Installation kann beeindrucken.<br />
59<br />
Das Thalia Theater er gratuliert<br />
t Hinz&<strong>Kunzt</strong> zt zum<br />
25-jährigen Jubiläum!<br />
175 Jahre Thalia Theater<br />
er<br />
175 Jahre Gegenwart<br />
Die Jubiläumsfestwoche<br />
2. – 11. 11. <strong>2018</strong><br />
thalia-theater.de/175jahre<br />
heat<br />
ater<br />
e re
Ulf ist oft im Museum, meistens in Altona. Mit seinem Handy fotografiert<br />
der 53-Jährige, der seinen Verkaufsplatz in der Bahrenfelder Straße und im Zeise<br />
Kino hat, bei unserem Ausflug mindestens 60 Gemälde. „Viele finde ich richtig<br />
interessant“, sagt er. Aber ein Lieblingsbild kann er heute nicht entdecken.
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
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„Ein Gast aus meiner Heimat“<br />
Hendrick Goltzius, Christus im Elend, Öl auf Holz, 1616<br />
Dieses Bild hat für mich eine persönliche Geschichte. Es hat mir<br />
immer schon gut gefallen, ich bin mit ihm aufgewachsen. Schon<br />
als junger Mensch bin ich in die Kirche gegangen, um es mir anzugucken.<br />
Es hängt normalerweise in einer Kirche in Uelzen, der<br />
Stadt, in der ich groß geworden bin. Ich habe mich immer für<br />
Kunst interessiert, und es war das interessanteste Bild, das es in<br />
der Stadt zu sehen gab. Ich war froh, dass ich es entdeckt hatte.<br />
Die Kirche wird gerade restauriert und ist deshalb geschlossen.<br />
Als ich das letzte Mal da war, habe ich gefragt, ob sie es uns in dieser<br />
Zeit eventuell als Leihgabe geben würden. Jetzt ist es tatsächlich<br />
als Gast bis Januar hier – ein Stück aus meiner Heimatstadt<br />
hierhergeholt in die Kunsthalle für ein paar Monate.<br />
Objektiv sieht man einen Schmerzensmann: Christus ist kurz<br />
vor der Kreuzigung geschlagen, misshandelt und gefoltert worden.<br />
Er wird von den Menschen, die ihn gefoltert haben, als König<br />
ausstaffiert, um ihn zu verspotten, mit Dornen auf dem Kopf anstelle<br />
einer echten Krone. Mit einem Schilfrohr in der Hand anstelle<br />
eines Zepters. Eine ganz brutale Szene, noch mal zugespitzt<br />
durch das ungewöhnliche Format. Es ist in der ganzen Kunsthalle<br />
das einzige Bild, das auf der Spitze<br />
steht. Dadurch<br />
wirkt Jesus umso<br />
mehr eingezwängt in dieser<br />
fürchterlichen Situation. Als<br />
14-Jähriger konnte ich mit<br />
dem Thema Folter und<br />
Verspottung noch nichts<br />
anfangen, das war<br />
sehr abstrakt. Erst<br />
später ist mir klar<br />
geworden, was<br />
das alles in der<br />
Realität heißen kann.<br />
Prof. Dr. Christoph Martin<br />
Vogtherr, 53, Direktor der<br />
Hamburger Kunsthalle<br />
61<br />
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<strong>Kunzt</strong>&Comic – zwei Folgen zum Jubiläum<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
62
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<strong>Kunzt</strong>&Comic – zwei Folgen zum Jubiläum<br />
63
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Lebenslinien<br />
„Ich bin froh über das,<br />
was ich erreicht habe“<br />
Elena Pacuraru hat mehrere Jahre in Hamburg auf der Straße gelebt.<br />
Heute ist die Rumänin bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> als Reinigungskraft angestellt.<br />
Ihr nächstes großes Ziel: Lesen und Schreiben lernen – auch auf Deutsch.<br />
Die Geschichte einer Frau, die nicht aufhört zu kämpfen.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
HILFE BEI DER ÜBERSETZUNG: ANA-MARIA ILISIU<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
M<br />
ein Kopf …“, seufzt Elena Pacuraru und<br />
wischt sich mit der Hand über die Augen.<br />
„Ich alles immer vergessen!“ Müde schaut<br />
sie auf einen DIN-A4-Zettel. Darauf<br />
stehen deutsche Sätze, in denen immer das Verb fehlt.<br />
Das soll sie einsetzen. Erst mal muss sie also den Text lesen.<br />
„M – U – S – I – K“, buchstabiert die Hinz&Künztlerin –<br />
und schaut ratlos. Noch mal … „Ahhh! Musik!“ Elena<br />
lacht und freut sich. Sie wirkt dann wie ein junges<br />
Mädchen, dabei ist sie schon 49 Jahre alt. Seit April 2016<br />
ist die Rumänin bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> als<br />
Reinigungskraft fest angestellt. Und sie<br />
kann stolz auf sich sein. Denn Elena ist<br />
Analphabetin. Sie ist nie in ihrem Leben<br />
zur Schule gegangen. Nicht einen<br />
Tag. Und sie spricht nur gebrochen<br />
Deutsch. Mit fast 50 Jahren lernt sie<br />
zum ersten Mal Buchstaben kennen,<br />
lernt, sie zu Worten zusammenzusetzen<br />
und die Worte zu ganzen Sätzen. Und<br />
das nicht mal in ihrer Muttersprache.<br />
Ein Kraftakt, der für Menschen mit<br />
normaler Schulbildung kaum vorstellbar ist. Aber Elena<br />
ist stark. Sie kämpft. Ihr ganzes Leben schon.<br />
Elena stammt aus der Gemeinde Titesti im Kreis<br />
Arges, das ist etwa 140 Kilometer nordwestlich von der<br />
Hauptstadt Bukarest entfernt. Sie ist eines von fünf Kindern.<br />
Der Vater ist ständig betrunken, die Mutter schuftet<br />
in einem landwirtschaftlichen Kollektiv, um die Familie<br />
durchzubringen. „Wir hatten oft nicht mal etwas anzuziehen“,<br />
erzählt Elena. Deshalb hätten die Kinder auch<br />
nicht zur Schule gehen können. „Aber ich bin groß geworden“,<br />
sagt Elena und lacht. „Und ich habe geheiratet.“<br />
Als Elena 16 ist, bekommt sie ihr erstes Kind. Obwohl<br />
… War sie 16? Elena ist sich nicht sicher, auch nicht darüber,<br />
wie alt ihr ältester Sohn ist. Zahlen sind fast so schwer zu<br />
behalten wie Buchstaben, wenn man nie etwas lernen durfte.<br />
Egal. Jedenfalls kommt von da an ein Kind nach dem<br />
anderen zur Welt. Sämtliche Verhütungsmethoden und<br />
Abtreibung waren für Frauen unter 40 Jahren unter Nicolae<br />
Ceau escu verboten. Erst mit dem Sturz des Diktators 1989<br />
wurde dessen Dekret abgeschafft. Trotzdem bekommt Elena<br />
zwei weitere Kinder. Sechs sind es insgesamt.<br />
Damals leben Elena und ihr Mann in einem Lastwagen.<br />
Den parken sie auf einem kleinen Grundstück, das sie kaufen<br />
konnten. Ihr Mann arbeitet ebenfalls<br />
in der Landwirtschaft, aber das<br />
„Ich hab immer<br />
Angst gehabt,<br />
dass uns jemand<br />
was antut.“ ELENA<br />
Geld reicht nie. Jobs, die die Existenz<br />
sichern könnten, gibt es nur für Menschen<br />
mit zumindest einem Minimum<br />
an Schulbildung.<br />
Doch zum Glück sind inzwischen<br />
die Grenzen geöffnet, und so beschließt<br />
das Paar, nach Österreich zu gehen.<br />
„Wir haben gebettelt und überall gefragt,<br />
ob wir vielleicht ein Treppenhaus<br />
saubermachen können“, erinnert sich<br />
Elena. So seien sie einigermaßen über die Runden gekommen.<br />
Vor allem konnten sie die Kinder zur Schule schicken,<br />
die bei Elenas Mutter in Rumänien geblieben waren. „Dafür<br />
danke ich Gott“, sagt sie. „Immer, wenn ich die Kinder gesehen<br />
habe, hab’ ich zu ihnen gesagt: ,Macht eure Aufgaben.<br />
Hier, lies mir das vor. Erkläre mir das hier.‘“ Die Kinder<br />
sollen es einmal besser haben. Dafür arbeitet Elena.<br />
Sie und ihr Mann fangen sogar an, in Rumänien ein kleines<br />
Haus zu bauen. Zweieinhalb Zimmer, ganz bescheiden.<br />
„Aber es ist immer noch nicht fertig“, erzählt sie und zuckt<br />
resigniert mit den Schultern. Denn irgendwann gibt es auch<br />
in Österreich keine Arbeit mehr. Immer mehr Ungelernte<br />
aus den ehemaligen Ostblockstaaten konkurrieren um<br />
65
20 Stunden pro Woche arbeitet Elena als Reinigungskraft bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Der Job ist für die 49-Jährige wie<br />
ein Sechser im Lotto: Endlich konnte sie mit ihrem kranken Mann in eine eigene Wohnung ziehen.<br />
niedrigschwellige Jobs. Und so zieht das Paar 2010 weiter<br />
nach Deutschland. „Wir hatten gehört, dass es hier besser<br />
ist“, erinnert sie sich. „Wir haben immer gedacht, wir machen<br />
ein bisschen Geld und dann gehen wir wieder zurück.“<br />
Schon allein der Kinder wegen. „Sie haben sich immer so<br />
gefreut, wenn ich komme. Dann konnte ich ihnen auch mal<br />
etwas kaufen“, erzählt Elena. Dafür wurde der Abschied von<br />
Mal zu Mal schwerer. „Irgendwann habe ich es nicht mehr<br />
übers Herz gebracht, ihnen zu sagen, dass<br />
wir wieder fahren müssen. Ab da sind wir<br />
immer einfach verschwunden.“<br />
In Hamburg angekommen, findet<br />
das Paar keine Bleibe. Elena und ihr<br />
Mann landen auf der Straße. Tagsüber<br />
gehen sie betteln, nachts liegen sie wach.<br />
„Wir haben uns ruhige Ecken in Parks<br />
gesucht“, erzählt sie. „Ich hab’ immer<br />
Angst gehabt, dass jemand kommt und<br />
uns etwas antut.“ Dazu die ewige Sorge<br />
um die Kinder. „Ich hatte Panik, dass ihnen<br />
etwas passiert“ – obwohl die meisten da schon volljährig<br />
waren. Aber in dieser Zeit wurde Elenas jüngste Tochter entführt.<br />
Zwölf Jahre war sie damals alt. Eine Woche war das<br />
Mädchen verschwunden. Nachbarn hatten beobachtet, wie<br />
sie von einem Mann mitgenommen worden war. „Ich bin<br />
krank geworden vor Angst“, sagt Elena. Zum Glück konnte<br />
das Mädchen von der Polizei in Österreich aufgespürt und<br />
zurück nach Rumänien gebracht werden. Der Mann, vermutlich<br />
ein Menschenhändler, kam ins Gefängnis.<br />
„Ich war<br />
eine gute und<br />
zuverlässige<br />
Verkäuferin.“<br />
66<br />
Mehrere Jahre leben Elena und ihr Mann auf der Straße.<br />
Das Geld, das das Paar verdient, schickt es zum größten Teil<br />
nach Rumänien zu Elenas Mutter. Schließlich kümmert die<br />
sich zunächst um die Kinder. In dieser Zeit beobachtet Elena<br />
immer wieder die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer. Irgendwann fasst<br />
sie sich ein Herz und spricht einen polnischen Hinz&Künztler<br />
an. So kommt Elena 2011 zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>. „Da war Jens<br />
(Hinz&<strong>Kunzt</strong> Geschäftsführer, die Red.), und Gott muss mir geholfen<br />
haben in dem Moment, denn ich<br />
habe ihm auf Deutsch erklärt, warum<br />
ich so dringend einen Ausweis brauche.“<br />
Elena lacht. „Ich konnte doch gar kein<br />
Deutsch!“ Immer noch ungläubig, als<br />
habe sie damals ein Wunder erlebt,<br />
schüttelt sie den Kopf. Und regelrecht<br />
stolz schiebt sie hinterher: „Ich bin die<br />
vierte Rumänin, die einen Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Ausweis bekommen hat.“<br />
Ein paar Jahre verkauft Elena das<br />
Straßenmagazin vor Aldi in Rahlstedt.<br />
„Ich war eine gute und zuverlässige Verkäuferin“, sagt Elena<br />
stolz. Wegen der ständigen Angst um die Kinder holt das<br />
Paar die drei jüngsten nach Hamburg. Zwei Töchter und ein<br />
Sohn, alle noch minderjährig, leben zunächst mit ihren<br />
Eltern gemeinsam auf der Straße. Anfang 2015 wird die<br />
Familie in Stade in einer Notunterkunft für Obdachlose aufgenommen.<br />
Doch damit will sich Elena nicht zufriedengeben.<br />
Regelmäßig steht sie bei der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiterin<br />
Isabel Kohler auf der Matte und trägt ihre Bitte
Lebenslinien<br />
vor: „Wenn du von einer Arbeit hörst, sag mir Bescheid.<br />
Ich brauche eine richtige Arbeit!“ Als die 20-Stunden-Stelle<br />
einer Reinigungskraft bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> frei wird, bekommt<br />
Elena den Zuschlag – und das Paar kann aus der Notunterkunft<br />
in eine eigene Wohnung in Stade ziehen. Zwei<br />
Zimmer, Küche, Bad. Ein großer Schritt ist getan.<br />
Nun also noch richtig Deutsch lernen. Der Kurs wird<br />
vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bezahlt.<br />
Täglich außer freitags geht Elena am Nachmittag in die<br />
Sprachschule. Wenn sie doch nur nicht immer so müde<br />
wäre … Um fünf Uhr klingelt der Wecker, um sechs<br />
fährt sie mit dem Metronom nach Hamburg, um sieben<br />
putzt sie bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Um zwölf Uhr macht Elena<br />
Hausaufgaben. Dabei helfen ihr manchmal andere<br />
Hinz&Künztler. Elena liest, probiert, wird freundlich<br />
korrigiert. „Ich vergesse alles!“, sagt sie frustriert. „Es ist so<br />
schwer.“<br />
Dann schnell Mittag essen und ein bisschen schlafen.<br />
Dafür schiebt sie sich in einem Büro Stühle zusammen und<br />
legt sich darauf. „Nur zehn, 20 Minuten“, sagt Elena.<br />
Nicht immer bleibt ihr die Zeit, um 14.30 Uhr beginnt der<br />
Unterricht. „Wenn ich nicht kurz schlafen konnte, sitze ich<br />
manchmal so in der Schule“, sagt sie, stützt ihren Kopf in<br />
die Hände und schließt die Augen. „Dann ruft Lehrer:<br />
,Hey, Elena!‘ Und ich sage: ,Lehrer, lass mich doch bitte<br />
bisschen einschlafen …‘“ So kaputt ist sie. Denn wenn sie<br />
um 19.30 Uhr zurück in Stade ist, muss sie noch kochen<br />
und aufräumen. Und am nächsten Morgen wieder früh<br />
hoch. Zwar verkauft inzwischen auch Elenas Mann<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Doch er ist schwer an Diabetes erkrankt.<br />
Elena macht sich Sorgen – und muss doch stark sein, denn<br />
auf ihr lastet die Hauptverantwortung.<br />
Trotzdem ist Elena zufrieden. „Ich bin froh über das,<br />
was ich erreicht habe.“ Nur eines wünscht sie sich noch:<br />
Dass ihre Kinder, die inzwischen fast alle in Deutschland leben,<br />
mitsamt den Enkelkindern gut über die Runden kommen.<br />
Ach ja, und dass sie vielleicht ihr Haus in Rumänien<br />
fertig bauen können. Um dann eines Tages zurückzukehren<br />
in die Heimat. •<br />
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Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />
Rumänische Verkäufer bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>:<br />
120 Rumänen sind offizielle Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer.<br />
Wir versuchen jeden, zum Besuch eines Deutschkurses<br />
zu motivieren. Dienstags findet in Kooperation mit Diakonie,<br />
Sprachbrücke-Hamburg und Hinz&<strong>Kunzt</strong> in der Tagesaufenthaltsstätte<br />
Bundesstraße ein Kurs statt. Eine Herausforderung:<br />
Viele waren nur kurz in der Schule oder sind<br />
Analpha beten. Elena besucht eine Sprachschule. Derzeit<br />
nehmen wir keine rumänischen Verkäufer mehr auf, weil<br />
dafür unsere Ressourcen nicht ausreichen.<br />
67
Uli Lau und Gerd Laufenberg (von rechts) sind gelernte Schriftsetzer. Sie und Werkstattleiterin Anne von Karstedt zeigen Astrid Froese (Artlit),<br />
Meike Cattarius (Leiterin Museumsshop Kunsthalle), Hinz&Künztler Jan und Gabi Koch (Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Spendenmarketing), wie Druck gemacht wird.<br />
Nichts für<br />
Ungeduldige<br />
Ortsbesuch im Museum für Arbeit: In der Druckwerkstatt entsteht in aufwändiger<br />
Handarbeit eine Postkarten-Edition für Hinz&<strong>Kunzt</strong> – mit beweglichen Lettern.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Blitzsauber ist es in der Druckwerkstatt. Das ist<br />
Pflicht. „Immer die Hände waschen, wenn man<br />
mit Blei arbeitet“, sagt Anne von Karstedt, sie ist<br />
die Chefin hier und muss es wissen. Früher tranken<br />
Setzer täglich einen halben Liter Milch, erzählt sie. Das<br />
Calcium sollte vor der gefürchteten Bleivergiftung schützen,<br />
die sich in heftigen Leibkrämpfen äußerte.<br />
Hinz&Künztler Jan hört aufmerksam zu. Er macht heute<br />
einen Crashkurs, lernt mit beweglichen Lettern Text zu<br />
setzen. Astrid Froese und Meike Cattarius sind auch da.<br />
Froese ist Inhaberin von Artlit, einem kleinen Verlag für<br />
Schriftkunst. Cattarius leitet den Museumsshop der Kunsthalle.<br />
Gemeinsam mit ihrer Freundin Anne von Karstedt<br />
hatten sie eine Idee: eine Serie von hochwertigen Postkarten<br />
mit literarischen Zitaten zum Thema „Arbeit“ herstellen.<br />
Und sie Hinz&<strong>Kunzt</strong> zum 25. Geburtstag zu schenken.<br />
Heute ist Testlauf.<br />
Setzen ist Fummelarbeit, das merken alle schnell. „Ich<br />
habe zwei linke Hände“, ächzt der 72-jährige Jan. Wo in den<br />
zig Fächern des hölzernen Setzkastens hat sich das „e“ ver-<br />
68
Profi Gerd Laufenberg gibt Jan noch ein paar Tipps. Alles korrekt gesetzt? Ein Handspiegel kann helfen.<br />
Im Setzkasten herrscht Ordnung. Fast fertig: Jan beim Auftragen der Farbe. Das teure Papier hat das Museum gespendet.<br />
steckt? Ah, da! Jan bekommt die filigranen Lettern nur<br />
schwer zu fassen. „Hier, nimm die Pinzette!“, rät Uli Lau, einer<br />
von zwei Ehrenamtlichen, die die Laien heute unterstützen.<br />
Nun muss Jan das „e“ nur noch exakt in den Winkelkasten<br />
setzen.<br />
Leichter gesagt als getan: Alles muss spiegelverkehrt<br />
und auf dem Kopf gesetzt werden, nur so ergibt sich später<br />
ein korrektes Druckbild. „Ich glaube, Frauen können so was<br />
besser“, sagt Jan und stöhnt. Astrid Froese winkt ab.<br />
Sie müht sich gerade selbst mit ihrem Prototyp ab, doch<br />
ihr Ehrgeiz ist geweckt: „Das ist ein bisschen wie Memory<br />
spielen“, sagt sie.<br />
„Setzer ist ein hochgradig anspruchsvoller Beruf“,<br />
bestätigt Anne von Karstedt. Man braucht Disziplin,<br />
Konzentrationsfähigkeit und Ordnungssinn, Letzteres vor<br />
allem: „Jemand, der schlampig ist, kann nicht setzen.“<br />
Trotzdem passiert es auch Profis, dass sie die Arbeit eines<br />
Tages zum Beispiel durch einen Hustenanfall zunichte<br />
machten. „Eierkuchen“ nannten die Setzer das, wenn alles<br />
durcheinander flog.<br />
„Setzer sind unglaublich pingelig“, sagt Gerd Laufenberg.<br />
Auch er hilft im Museum regelmäßig aus. Immer montags<br />
ist offene Werkstatt, aber auch viele Schulklassen nutzen<br />
das Angebot, selbst Hand anzulegen. Ursprünglich dauerte<br />
die Ausbildung zum Setzer drei Jahre. 1200 Buchstaben die<br />
Stunde musste man danach schon schaffen. Dafür wurde der<br />
anstrengende Job aber auch gut bezahlt. Und interessant sei<br />
er noch dazu gewesen, sagen sie. Weil man so viel zu Lesen<br />
„Setzer sind unglaublich<br />
pingelig.“ ANNE VON KARSTEDT<br />
bekam – oft auch vor allen anderen. Traurig, dass ihr Beruf<br />
in den späten 1980er-Jahren ausstarb und Computer ihre<br />
Arbeit übernahmen, sind beide trotzdem nicht. „Das hat die<br />
Arbeit enorm erleichtert“, sagt Laufenberg.<br />
Apropos: Jan geht das Setzen nach einer Stunde nun<br />
deutlich leichter von der Hand. „Ich glaube, da gibt es einen<br />
Schalter im Gehirn“, sagt er. Sich hetzen will er trotzdem<br />
nicht, schließlich muss am Ende alles ordentlich aussehen.<br />
Während Jan Letter für Letter vorsichtig in den Winkelkasten<br />
setzt, erzählt er, wie gern er selbst liest: Umberto Eco<br />
zum Beispiel. Und dass sein erster Nebenjob auch mit dem<br />
geschriebenen Wort zu tun hatte: „Ich habe Zeitungen aus-<br />
69
Hinz&Künztler Jan und Meike Cattarius schauen sich die Ergebnisse nach Stunden des<br />
Schriftsetzens an. Die gedruckten Postkarten sind bald in Museumsshops zu haben.<br />
getragen. Vor der Schule, um vier Uhr<br />
morgens musste ich aufstehen und los,<br />
auch bei Regen.“ Das, was er hier heute<br />
macht, ist aber viel anstrengender,<br />
findet Jan.<br />
„Erste!“, tönt es plötzlich<br />
durch die Werkstatt. Meike Cattarius<br />
hat ihr Zitat fertig gesetzt und<br />
strahlt. Sie wird dafür sorgen, dass<br />
die fertigen Postkarten später in vielen<br />
Museumsshops in Hamburg zu<br />
kaufen sind. Zunächst muss sie sich<br />
aber noch triezen lassen: „Bei der<br />
kleinen Schrift kann ich mir vorstellen,<br />
dass es schnell geht“, sagt Ehrenamtler<br />
Uli Lau und lacht. Setzer sind eben<br />
nicht nur pingelig, sie haben auch einen<br />
ganz speziellen Humor. An der<br />
Wand hängt ein DIN-A4-Blatt, auf<br />
dem in Abwandlung eines berühmten<br />
Songzitats von Bob Marley geschrieben<br />
steht: „I shot the Serif“. •<br />
Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />
Postkarten-Edition<br />
Die Postkarten aus handgeschöpftem<br />
Japankarton mit Zitaten zum Thema<br />
Arbeit, unter anderem von Erich Kästner<br />
und Sören Kierkegaard, kosten 1,50<br />
Euro pro Stück. Erhältlich sind sie in den<br />
Museumsshops von Museum der Arbeit<br />
und Kunsthalle (mehr Verkaufsstellen<br />
folgen) oder online unter www.artlit.de<br />
und www.hinzundkunzt.de/shop.<br />
Alle Erlöse gehen an Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Wir danken allen, die im Oktober an uns<br />
gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />
im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die<br />
Unterstützung unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
• IPHH<br />
• wk it services<br />
• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
• Hamburger Tafel<br />
Dankeschön<br />
• Axel Ruepp Rätselservice<br />
• Hamburger Kunsthalle<br />
• bildarchiv-hamburg.de<br />
• Röder-Stiftung St. Michaelis und<br />
den Hauptkantoren Christoph Schoener<br />
und Manuel Gera<br />
• die Gäste der Trauerfeier<br />
für Ingemaria Steller<br />
• Petra und Christian Stahl und ihren Gästen<br />
• dem Bucerius-Kunstforum<br />
• der Rathauspassage<br />
NEUE FREUNDE:<br />
• Axel Bode • Katja Eßlinger<br />
• Stefanie Jankuhn • Jessica Junge<br />
• Katharina Michel<br />
• Anu Lena Schaumlöffel<br />
• Regine und Rolf Schultz-Süchting<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
70
Probe nach einem<br />
langen Arbeitstag:<br />
Die Musiker des<br />
Ärzteorchesters sind<br />
alle in medizinischen<br />
Berufen tätig.<br />
„Es geht<br />
noch echter!“<br />
Das Hamburger Ärzteorchester spielt immer<br />
für einen guten Zweck. Demnächst für Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
TEXT: FRANK KEIL<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Thilo Jaques ist als Erster da. Er<br />
holt sich sein kleines Podest,<br />
nimmt vorsichtig den Taktstock<br />
aus einer länglichen Röhre heraus.<br />
Ein Blick auf die Uhr: 19.45. Eine<br />
Viertelstunde noch, dann füllt sich<br />
der Saal der Kassenärztlichen Vereinigung<br />
mit Pauke und Trompete, mit<br />
Streichern und Holzbläsern. Thilo<br />
Jaques ist seit 2004 der Dirigent des<br />
Hamburger Ärzteorchesters. Ein Orchester<br />
aus Klinik-, Fach- und Hausärzten,<br />
aber auch Logopäden oder<br />
Physiotherapeuten sind dabei: Hauptsache,<br />
was mit Medizin. Nur Jaques ist<br />
Profimusiker, hat Komposition an der<br />
Hamburger Musikhochschule studiert,<br />
und er leitet die wöchentliche Probe.<br />
„Es ist ein Laienorchester, allerdings<br />
ein sehr gutes“, erzählt er. Das etwas<br />
auszeichnet: Es gibt nur Benefizkonzerte.<br />
Der nächste Konzertabend<br />
findet zugunsten von Hinz&<strong>Kunzt</strong> statt.<br />
Dafür hat sich das Orchester einiges<br />
vorgenommen: Auf die erste Sinfonie<br />
von Ludwig van Beethoven folgt die<br />
neunte Sinfonie von Antonín Dvo ák.<br />
„Da musste schon ein bisschen diskutiert<br />
werden, denn die beiden Sinfonien<br />
sind ein ziemlicher Brocken“, gibt<br />
der Dirigent zu. Und die Musiker sind<br />
immer an den Entscheidungen beteiligt,<br />
was aufgeführt wird: „Bei uns ist<br />
das immer sehr schön demokratisch.“<br />
Er sagt mit Respekt: „Viele sitzen hier<br />
manchmal auf der Probe mit Streichhölzern<br />
in den Augen, denn sie hatten<br />
einen langen Tag im Krankenhaus<br />
oder in der Praxis hinter sich.“<br />
Rechtzeitig hat es Detlef Mathey<br />
aus seinem Herzkathederlabor zur<br />
Probe geschafft. Er spielt Querflöte,<br />
ihn hat Anfang der 1980er-Jahre ein<br />
Nuklearmediziner (einer der zweiten<br />
Geigen) aus dem UKE ins Orchester<br />
gelockt. „Musik hat eine unheimliche<br />
Kraft“, schwärmt er. Das werde sträflich<br />
unterschätzt, auch politisch. Er hat<br />
da eine Vision: „Wenn sich beim G20-<br />
Gipfel alle zu einem Orchester, einem<br />
Chor zusammengefunden hätten, hätten<br />
sich alle gut gefühlt und sie hätten<br />
alle Konflikte beigelegt.“ Er übt viel zu<br />
Hause, nimmt auch Stunden. „Wenn<br />
ich mal länger aussetze, merke ich<br />
gleich, wie die Feinmotorik leidet“,<br />
sagt er, spitzt und dehnt die Lippen.<br />
Jetzt eilt er zu seinem Platz, verschwindet<br />
hinter den Celli, den Geigen,<br />
sitzt noch vor den Klarinetten.<br />
Vor ihnen Thilo Jaques, der den Taktstock<br />
hebt und senkt, während sich die<br />
Musiker durch Dvo áks Neunte tasten.<br />
„Lauter werden, nicht schneller“, ruft<br />
er zwischendurch. Und: „Es geht noch<br />
echter!“ Und von Minute zu Minute<br />
wächst der Klang, fügen sich die Stimmen<br />
der Instrumente zusammen. •<br />
Benefizkonzert für Hinz&<strong>Kunzt</strong>:<br />
Freitag, 9.11., 19.30 Uhr<br />
Mozartsäle im Hamburger<br />
Logenhaus, Moorweidenstr. 36,<br />
Eintritt frei, Spenden erbeten<br />
72
„DER KIEZ<br />
IST WILD, DER KIEZ<br />
IST BUNT. ABER BITTE<br />
NICHT VERMÜLLT.“<br />
GÜLAY UND JANNES VOM SPENDENVEREIN CLUBKINDER E.V.<br />
MACHST DU MIT?<br />
www.sauberes.hamburg
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
Meldungen<br />
Politik & Soziales<br />
Hier steht viel Wohnraum<br />
leer – weil die Eigen tümerin<br />
sich nicht um die kaputte<br />
Elektrik kümmert.<br />
Statistik<br />
Mindestens 1910 Obdachlose<br />
Die Zahl der Obdachlosen in Hamburg<br />
ist in den vergangenen Jahren<br />
stark angestiegen: Im März haben<br />
Forscher 1910 Menschen gezählt, die<br />
hier auf der Straße leben. Mit der<br />
gleichen Methode waren sie 2009<br />
auf 1029 Obdachlose gekommen<br />
und hatten betont, dass das die „Untergrenze<br />
der Anzahl“ sei. In neun<br />
Jahren ist diese Zahl also um 86 Prozent<br />
angestiegen. Hinz&<strong>Kunzt</strong> fordert<br />
seit langem, Hilfsangebote für<br />
Obdachlose auszubauen. BELA<br />
•<br />
Bezirksamt Bergedorf: Wir können keinen Treuhänder einsetzen<br />
Weiter Stillstand im Reetwerder<br />
Auch fünf Monate nach Räumung des Reetwerder 3 sieht die Stadt keine Möglichkeit,<br />
den Leerstand zu beenden. Das Bezirksamt erklärte, es könne keinen<br />
Treuhänder einsetzen, denn: „Das Haus steht im rechtlichen Sinn nicht leer,<br />
weil die Wohnungen noch an die gegenwärtig ausgezogenen Mieter vermietet<br />
sind.“ Nach einem Schwelbrand Mitte Mai hatte das Amt den stattlichen Altbau<br />
für unbewohnbar erklärt. Die kaputte Elektrik hat die Eigentümerin trotz Androhung<br />
eines Zwangsgelds bis heute nicht reparieren lassen. Stattdessen versucht<br />
sie das Haus zu verkaufen. Gut 102 der 160 ehemaligen Bewohner – meist<br />
Menschen aus Rumänien und Bulgarien – müssen in städtischen Unterkünften<br />
leben. Auf den Zugang zu ihrem Hab und Gut warten sie weiterhin vergeblich –<br />
trotz mehrerer Gerichtsurteile öffnet die Vermieterin die Türen nicht. UJO<br />
•<br />
Städtische Unterkünfte<br />
Mehr Platz für Wohnungslose<br />
1500 neue Unterkunftsplätze für<br />
Wohnungslose wollte die Stadt bis<br />
Ende 2017 schaffen – gelungen ist<br />
ihr das erst mit neunmonatiger Verspätung<br />
im September <strong>2018</strong>. 4926<br />
Wohnungslose lebten Ende September<br />
in Hamburgs öffentlichen Unterkünften.<br />
Obdachlose profitierten<br />
nur in geringem Maße vom Ausbau:<br />
In den Einrichtungen leben laut<br />
Betreiber fördern&wohnen vor allem<br />
Familien und Alleinstehende, die<br />
zum Beispiel durch Mietschulden ihre<br />
Wohnung verloren hatten. SIM/BELA<br />
•<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
trostwerk - andere bestattungen<br />
Osterstraße 149, HH - Eimsbüttel ° 040/43 27 44 11
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Sozialer Wohnungsbau<br />
Freiwillige Selbstverpflichtung der Branche gescheitert?<br />
Günstiges Bauland vom Bund<br />
Der Bund bietet Kommunen vergünstigte<br />
Grundstücke an, wenn<br />
die Stadt darauf Sozialwohnungen<br />
bauen will. Auch für geplante Kitas<br />
oder Flüchtlingsunterkünfte gibt es<br />
Grundstücksrabatt vom Bund. Möglich<br />
macht das eine Gesetzesänderung,<br />
die der Bundestag im September<br />
beschlossen hatte. Seither darf<br />
die Bundesimmobilienanstalt Bima<br />
Kommunen und Ländern „alle entbehrlichen<br />
Liegenschaften“ unter<br />
Marktwert anbieten, wenn sie damit Seenotrettung im Mittelmeer<br />
einer öffentlichen Aufgabe nachkommen<br />
wollen. Von ihren 110 Grund-<br />
Die Bürgerschaft hat entschieden,<br />
Hamburg ist sicherer Hafen<br />
stücken in Hamburg betrachtet die Hamburg zum sicheren Hafen zu erklären:<br />
Der Senat solle dem Bundes-<br />
Bima 29 als „entbehrlich“. Finanzsenator<br />
Andreas Dressel (SPD) sieht innenministerium die Bereitschaft<br />
darin „eine Menge Potenzial für sig nalisieren, zusätzliche Flüchtlinge<br />
künftigen Wohnungsbau“, will sich aufzunehmen, die aus dem Mittelmeer<br />
gerettet wurden. Die Deutsche<br />
aber auf eine genaue Anzahl geplanter<br />
Wohnungen noch nicht festlegen. Seemannsmission hat unterdessen die<br />
Stattbau-Geschäftsführer Tobias EU aufgefordert, „sofort verbindliche<br />
Behrens begrüßt den Vorstoß. Er Regelungen“ für die Handelsschifffahrt<br />
zur Bergung von Geflüchteten<br />
mahnt aber an, dass im üblichen<br />
Drittelmix aus Eigentums-, Sozial-, in Seenot aufzustellen. Seeleute<br />
und frei finanzierten Mietwohnungen<br />
zu wenig Sozialwohnungen ent-<br />
riskieren, „dass sie möglicherweise<br />
würden bei ihrer Rettung inzwischen<br />
halten seien: „Wir müssten eigentlich kriminalisiert und gegebenenfalls<br />
einen Zweidrittelmix haben, um den sogar verhaftet werden“, kritisierte<br />
Bedarf zu befriedigen.“ BELA<br />
•<br />
Gewerkschaft: In der Fleischindustrie herrschen weiter Missstände<br />
Fehlerhafte Lohnabrechnungen, unbezahlte Überstunden, überteuerte Unterkünfte:<br />
Solche Missstände sind in deutschen Schlachthöfen „keine Ausnahmen“,<br />
beklagt die Gewerkschaft NGG. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Branche<br />
sei „gescheitert“. Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte den Kodex<br />
vor drei Jahren mit Arbeitgeberver bänden ausgehandelt. Darin verpflichten<br />
sich diese etwa, den Anteil ihrer Stammbelegschaften zu erhöhen. Laut NGG<br />
arbeiten aber weiterhin 60 bis 80 Prozent aller Beschäftigten für Subunternehmer.<br />
Wie diese Wanderarbeiter ausbeuten, hat Hinz&<strong>Kunzt</strong> im Mai 2014 in<br />
einem Report über eine norddeutsche Wurstfabrik beispielhaft erzählt. UJO<br />
•<br />
Die Geschichte zum Nachlesen: www.hinzundkunzt.de/ausbeutung-wurstfabrik/<br />
Präsidentin Clara Schlaich. BELA<br />
•<br />
Ungarn<br />
Obdachlose vor Gericht<br />
In Ungarn kommen Obdachlose seit<br />
Oktober vor Gericht, wenn sie sich<br />
auf öffentlichen Plätzen aufhalten.<br />
Ein Gesetz sieht sogar Haft vor. Kritik<br />
kommt von der UN: „Ohne ausreichende<br />
Unterkunftsplätze und<br />
langfristige Wohnmöglichkeiten für<br />
diese Menschen kriminalisiert die<br />
Regierung sie nicht nur, sondern verurteilt<br />
sie auch zu Krankheit, Traumatisierung<br />
und potenzieller Lebensgefahr“,<br />
sagte UN-Berichterstatterin<br />
Leilani Farha. BELA<br />
•<br />
Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
Ambulanter Pflegedienst<br />
antifaschistisch - antirassistisch<br />
seit 1996<br />
Lagerstr. 30-32, 20357 Hamburg<br />
Tel.: 040 – 38 68 66 -0<br />
Email: info@solihilfe.de<br />
www.solihilfe.de<br />
Betriebskostenkonfus?<br />
Unser Rat zählt.<br />
Beim Strohhause 20<br />
mieterverein-hamburg.de<br />
im Deutschen Mieterbund<br />
879 79-0<br />
Jetzt<br />
Mitglied<br />
werden<br />
20097 Hamburg
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
Nina Asseln (Mitte)<br />
hat die Todesursachen<br />
von Obdachlosen<br />
untersucht. Betreut<br />
wurde die Arbeit von<br />
Allgemeinmedizinerin<br />
Birgit Wulff und<br />
Rechtsmediziner<br />
Klaus Püschel.<br />
„Viele Obdachlose<br />
hätten nicht so früh sterben<br />
müssen.“ NINA ASSELN<br />
76
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Tod mit<br />
49 Jahren<br />
Obdach- und Wohnungslose sterben im Schnitt<br />
30 Jahre früher als „normale“ Bürger – ein Skandal,<br />
den eine Studie nun erneut dokumentiert.<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
Ein Wohnungsloser in Hamburg wird im Durchschnitt<br />
nur 49 Jahre alt. „Das ist bedrückend“,<br />
sagt Nina Asseln, die diese Zahl für ihre<br />
Doktorarbeit errechnet hat. Denn „Normalbürger“<br />
leben Statistiken zufolge rund 30 Jahre länger.<br />
Zwar ist die Lebenserwartung Obdach- und Wohnungsloser<br />
im Vergleich zu 2001 um viereinhalb Jahre gestiegen.<br />
Doch hat sich die Kluft zur „Normalbevölkerung“, die<br />
ebenfalls älter wird, nicht verringert: „30 Jahre sind eine<br />
enorme Differenz“, sagt Nina Asseln. „Da muss mehr gemacht<br />
werden.“<br />
Wie dramatisch die Zahl 49 ist, zeigt ein Vergleich mit<br />
Daten des Statistischen Bundesamts: Selbst in sehr armen<br />
Ländern wie Burkina Faso oder Angola werden die Menschen<br />
im Schnitt zehn Jahre älter.<br />
Grundlage von Nina Asselns Arbeit sind Daten von<br />
263 Obdach- und Wohnungslosen, deren<br />
Leichname zwischen 2007 und 2015 im Institut für Rechtsmedizin<br />
untersucht wurden. 162 wurden obduziert, weil der<br />
Grund des Versterbens unklar erschien oder ein gewaltsamer<br />
Tod nicht auszuschließen war.<br />
Erschreckendes Ergebnis: Mindestens acht Wohnungslose<br />
starben aus rechtsmedizinischer Sicht durch Gewalteinwirkung.<br />
„Nach meiner Einschätzung der Sektionsprotokolle<br />
lag in diesen Fällen Fremdverschulden vor“, sagt die<br />
Forscherin. „Beweisen kann ich das allerdings nicht, weil ich<br />
die Akten der Staatsanwaltschaft nicht einsehen konnte.“<br />
Klar sei, dass Gewalt eine deutlich größere Rolle spiele als<br />
bei „Normalbürgern“. Etwa jeder 2000. Einwohner starb<br />
2015 an den Folgen eines tätlichen Angriffs, so das Statistische<br />
Bundesamt. Wer keine eigenen vier Wände hat, wird<br />
dagegen 50-mal wahrscheinlicher von anderen Menschen<br />
ums Leben gebracht.<br />
Vergiftungen, so die Doktorarbeit, sind weiterhin die<br />
Todesursache Nummer eins – jeder vierte Sezierte starb an<br />
ihren Folgen. Allerdings hat es im Vergleich zu früheren Studien<br />
eine Verschiebung gegeben: Alkoholvergiftungen sind<br />
deutlich häufiger geworden, „harte“ Drogen dagegen haben<br />
an Bedeutung verloren. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
und Infektionen spielen eine große Rolle – Krankheiten, die<br />
in der Regel nicht zum Tod führen, wenn sie rechtzeitig und<br />
richtig behandelt werden.<br />
Unterkühlung dagegen wurde nur bei drei Obduktionen<br />
als Todesursache festgestellt. Das (kalte) Leben auf der<br />
Straße dürfte weitere Todesfälle jedoch mindestens begünstigt<br />
haben: So starben fast ein Drittel der untersuchten<br />
Obdach- und Wohnungslosen zwischen Dezember und Februar,<br />
also in den kältesten Monaten des Jahres.<br />
Erstmals geht eine Studie der Frage nach, an welchen<br />
Orten Wohnungslose ums Leben kommen. Demnach starb<br />
77
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
Hier finden Wohnungslose ärztliche Hilfe<br />
Hilfe für Hamburger Wohnungs- und Obdachlose bieten<br />
drei sogenannte Schwerpunktpraxen: eine ist in den<br />
Räumen des Pik As in der Hamburger Neustadt, eine<br />
zweite in der Norderstraße nahe des Hauptbahnhofes.<br />
Die dritte ist in der Straße Achterdwars in Hamburg-<br />
Bergedorf. Auf den Straßen unterwegs sind die Mobile<br />
Hilfe der Caritas, zwei Arztmobile und eine rollende<br />
Zahnarztpraxis. Öffnungszeiten und weitere Infos im<br />
Internet unter www.huklink.de/hilfsangebote<br />
annähernd jeder zweite in einer Notunterkunft oder im<br />
Wohnheim. Und immerhin jeder Fünfte, so<br />
Nina Asseln, im öffentlichen Raum, „etwa in einem<br />
Hauseingang oder einer Toilette“.<br />
Wer auf der Straße oder in einer Unterkunft lebt,<br />
hat wenig Möglichkeiten, sich hinreichend zu pflegen:<br />
Gut drei Viertel der Gestorbenen befanden sich „in<br />
einem mäßigen bis schlechten körperlichen Zustand“.<br />
Rund 15 Prozent waren sogar verelendet, also<br />
etwa von Parasiten befallen. Vergleichsdaten aus älteren<br />
Studien fehlen leider auch hier.<br />
Bemerkenswert: Die Herkunft Wohnungsloser hat<br />
sich stark verändert. Gut 40 Prozent der Toten<br />
stammten aus anderen Ländern, jeder zweite Nichtdeutsche<br />
aus Polen. Vor 15 Jahren lag der Migrantenanteil<br />
noch bei rund zehn Prozent. „Hier spiegeln sich<br />
die Osterweiterung der Europäischen Union und die<br />
damit verbundene Öffnung der Grenzen sicherlich<br />
wider.“<br />
Nina Asseln arbeitet als Zahnärztin. Sie habe ein<br />
Forschungsprojekt „mit Sinn“ gesucht, erklärt sie die<br />
Wahl des fachfremden Themas. Was ihr wichtig ist:<br />
„Viele hätten nicht so früh sterben müssen – auch<br />
wenn Wohnungslose oft schon in jüngeren Jahren<br />
schwerer krank sind als andere.“ Ihre Schlussfolgerungen:<br />
Die medizinische Versorgung muss besser werden,<br />
und: „Eine reiche Stadt wie Hamburg sollte<br />
sich stärker für ausreichend bezahlbaren Wohnraum<br />
einsetzen.“ •<br />
Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />
Innehalten<br />
an unserem<br />
Gedenkbaum<br />
Traditionell gedenken wir<br />
am Totensonntag unserer<br />
verstorbenen Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Verkäufer mit einer kleinen<br />
Andacht an unserem Gedenkbaum<br />
auf dem Öjendorfer<br />
Friedhof. Für alle, die<br />
dabei sein wollen:<br />
Wir treffen uns am 25.11.<br />
um 14 Uhr beim Feierraum<br />
Nord. Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />
Stephan Karrenbauer<br />
verliest die Namen,<br />
Pastorin Sabine Erler hält<br />
die Predigt. Im Anschluss ist<br />
Zeit für Gespräche bei Kaffee<br />
und Kuchen. •<br />
78
Kommentar<br />
„Vier Wände sind<br />
die beste Medizin!“<br />
von Stephan Karrenbauer<br />
25JAHRE<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wir gratuli<br />
eren herzli<br />
ch!<br />
WOHNUNG ZU VERMIETEN?<br />
ZIMMER FREI?<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE (S. 78), LENA MAJA WÖHLER<br />
In unserem Vertriebsraum hängt eine eng<br />
beschriebene Gedenktafel. Immer wenn ein<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer stirbt, schreiben wir<br />
seinen Namen darauf – im Schnitt 20-mal<br />
pro Jahr. Unsere Hinz&Künztler sterben<br />
meist früh. Dass ihre Lebenserwartung – im<br />
Schnitt 51 Jahre – etwas besser ist als die in<br />
der Studie ermittelte, dürfte vor allem einen<br />
Grund haben: Die Mehrzahl muss nicht<br />
mehr Platte machen, sondern hat eine Wohnung<br />
gefunden oder zumindest ein Zimmer.<br />
Wer im Winter mal einen Tag draußen<br />
verbringt, kann erahnen, wie ungesund das<br />
Leben auf der Straße ist. Wie schlimm es<br />
sich anfühlt, in einen klammen Schlafsack<br />
kriechen zu müssen. Wie Wind, Regen und<br />
Kälte krank und kränker machen.<br />
In Wohnheimen sind die Menschen zwar<br />
vor Wetter geschützt – nicht aber vor dem<br />
Einfluss von Zimmer- und Leidensgenossen.<br />
Oft leben mehr als über 100 Wohnungslose<br />
in einer Unterkunft zusammen: viele Menschen<br />
mit vielen Problemen auf wenig<br />
Raum. Manche warten seit Jahren auf die<br />
eigene Wohnung. Fühlen sich den Umständen<br />
ausgeliefert. Haben die Hoffnung verloren.<br />
Betäuben den Kummer mit Drogen.<br />
Wie aber soll etwa ein Alkoholkranker,<br />
der sich mit einem anderen Alkoholkranken<br />
das Zimmer teilt, seine Sucht erfolgreich bekämpfen?<br />
Unsere Erfahrungen zeigen klar:<br />
Eigene vier Wände sind für die meisten Menschen<br />
die beste Medizin. •<br />
Stephan Karrenbauer (56) arbeitet seit 23 Jahren<br />
als Sozialarbeiter bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Weil aller Anfang Wohnung ist.<br />
Unterstützen Sie unsere Arbeit für Menschen ohne Wohnraum mit<br />
Ihrem Angebot. Tel. 040 412 63 90 · www.lawaetz-ggmbh.de<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Wandkalender 2019<br />
Heimat, Helden,<br />
Hamburg<br />
Zwölf Hinz&Künztler waren auch in diesem Jahr mit unserer Fotografin<br />
Lena Maja Wöhler auf Fotosafari in Hamburg. Die besten Motive haben<br />
wir jetzt in einem Wandkalender im DIN-A4-Format verewigt.<br />
Ab sofort beim<br />
Hinz&Künztler Ihres Vertrauens!*<br />
* 4,80 Euro (davon 2,40 Euro für unsere Verkäufer)
Freunde<br />
Sechs Männer, eine Tonne und viele<br />
Pfandflaschen auf einem Foto von 2017<br />
(von links): Stephan Karrenbauer<br />
(Hinz&<strong>Kunzt</strong>), Uwe Tröger (Spende<br />
Dein Pfand), Johannes Scharnberg<br />
(Aviation Hamburg Airport), Herbert<br />
Kosecki (Spende Dein Pfand), Martin<br />
Lausmann (Der Grüne Punkt) und<br />
Klaus Petersdorf (Spende Dein Pfand).<br />
Pfand am Flughafen:<br />
Recyceln statt<br />
verbrennen<br />
Drei Hinz&Künztler sind seit drei Jahren Pfandbeauftragte<br />
am Hamburger Flughafen. Der Grüne Punkt<br />
unterstützt das Projekt – aus den gesammelten<br />
Flaschen werden neue Verpackungen.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
FOTO: MICHAEL PENNER<br />
Flasche für Flasche, Dose für Dose nehmen unsere<br />
Pfandbeauftragten am Flughafen aus den großen<br />
Sammeltonnen, entleeren sie und verpacken sie in<br />
große Säcke. Seit September 2015 sind sagenhafte 1.183.255<br />
Flaschen und Dosen durch die Hände von Uwe, Klaus und<br />
Herbert gegangen – Pfandgut im Wert von 295.806,25 Euro!<br />
Davon kann Hinz&<strong>Kunzt</strong> den ehemaligen Obdachlosen ihre<br />
Stellen finanzieren.<br />
„Am Anfang hätten wir<br />
nicht gedacht, dass so viel<br />
Geld zusammenkommt.“<br />
MARTIN LAUSMANN, GRÜNER PUNKT<br />
„Das ist eine geniale Idee!“, sagt Martin Lausmann, Großkundenbetreuer<br />
beim Grünen Punkt. „Am Anfang hätten<br />
wir alle nicht gedacht, dass so viel Geld zusammenkommt.“<br />
Sein Unternehmen unterstützt „Spende Dein Pfand“, indem<br />
es die Kosten für den Abtransport des Pfandguts übernimmt<br />
– das sind inzwischen immerhin fast 45.000 Euro.<br />
„Das Schöne an diesem Projekt ist, dass wir den Pfandbeauftragten<br />
die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben wieder<br />
ermöglichen“, erklärt er die Motivation hinter dem Engagement<br />
des Unternehmens.<br />
Die großen Säcke mit Flaschen und Dosen werden am Hamburger<br />
Flughafen in einen Lkw verladen und mit einem Barcode<br />
versehen. „Ab dem Moment weiß ich ganz genau, was<br />
mit welchem Sack und welcher Flasche passiert“, erklärt<br />
Lausmann. Der Lkw bringt sie in ein Zählzentrum, wo sie<br />
automatisch nach Materialien sortiert werden: Plastik, Alu<br />
und Weißblech. Eine Maschine scannt die Barcodes und erkennt,<br />
von welchem Hersteller die Gebinde stammen. Eine<br />
wichtige Information für den Grünen Punkt: So weiß Martin<br />
Lausmann, wem er eine Rechnung in welcher Höhe für das<br />
Pfand schicken muss – damit am Ende die Pfandbeauftragten<br />
am Flughafen bezahlt werden können.<br />
Dann wird recycelt: Der Grüne Punkt stellt ein Kunststoffgranulat<br />
aus den Plastikflaschen her, aus dem sich neue<br />
Gegenstände formen lassen. „Das kann alles Mögliche sein“,<br />
erklärt Lausmann. Verpackungsmaterialien zum Beispiel,<br />
aber auch Kunststofffasern für Kleidungsstücke. Bonus für<br />
die Umwelt: Anders als bei der herkömmlichen Kunststoffherstellung<br />
wird dabei kein Rohöl und deutlich weniger<br />
Energie verbraucht.<br />
Früher sind die Flaschen und Dosen der Flugreisenden<br />
vor den Sicherheitskontrollen größtenteils im Müll gelandet.<br />
Was Flaschensammler nicht aus den Tonnen angelten, entsorgte<br />
die Stadtreinigung in die Müllverbrennung. Darüber<br />
konnten sich höchstens Getränkehersteller und -händler<br />
freuen, die das Pfand, das ja die Kunden bezahlt hatten, nicht<br />
zurückerstatten mussten. Ein Millionengeschäft auf Kosten<br />
der Umwelt: Der sogenannte „Pfandschlupf“ gilt als Grund<br />
80
Freunde<br />
dafür, dass die Unternehmen nach der Einführung des Einwegpfands<br />
im Jahr 2006 nicht verstärkt auf Mehrweg flaschen<br />
gesetzt haben. Die nicht abgegebenen Pfandflaschen spülen<br />
einfach zu viel Geld in ihre Kassen.<br />
Inzwischen werden wenigstens die Flaschen vom Hamburg<br />
Airport recycelt. „Das ist auch umwelttechnisch eine super<br />
Sache“, freut sich Lausmann. Stimmt das? „Die Herstellung<br />
von PET-Einwegflaschen verbraucht große Mengen an<br />
fossilen Rohstoffen, die nach einmaliger Nutzung zerstört<br />
werden“, dämpft die Referentin für Umweltpolitik beim<br />
NABU, Verena Bax, seine Euphorie. Mehrwegsysteme wären<br />
nachhaltiger. Aber auch sie sagt: Sind die Flaschen erst mal<br />
in der Welt, ist recyceln ökologisch sinnvoller als verbrennen.<br />
Bald wird es auch am Nürnberger Flughafen ein Spende<br />
Dein Pfand-Projekt geben, das ist dann Nummer acht. Zu<br />
den bislang bundesweit 24 Arbeitsplätzen werden dann<br />
weitere dazukommen. Und noch ein paar Tausend Flaschen<br />
und Dosen, die recycelt und nicht verbrannt werden. •<br />
Danke für 25 pfandtastische Jahre!<br />
Auf das es noch viele mehr werden und wir<br />
uns zusammen weiterhin für Solidarität mit<br />
unseren Mitmenschen einsetzen, die zu oft<br />
vergessen werden.<br />
Danke für eure unermüdliche Arbeit und dass<br />
ihr uns allen zeigt, wie wichtig nachhaltige<br />
soziale Arbeit und Hilfe zur Selbsthilfe ist.<br />
Pfand gehört daneben ist eine soziale<br />
Initiative, die zum Daneben stellen der<br />
Pfandflaschen aufruft. Im Müll nach<br />
Pfand zu wühlen ist nicht nur demütigend,<br />
sondern birgt auch viele Verletzungsrisiken.<br />
Zudem schonen wir durch die Ruckführung<br />
von Pfandflaschen gleichzeitig unsere<br />
natürlichen Ressourcen.<br />
Weil man Geld nicht einfach wegwirft –<br />
Pfand gehört daneben!<br />
Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
Der Flughafen hilft mit<br />
Ohne die Unterstützung des Hamburg Airport wäre das Projekt<br />
„Spende Dein Pfand!“ nicht möglich. Nicht nur, dass wir die<br />
Sammeltonnen vor den Sicherheitskontrollen kostenlos aufstellen<br />
dürfen. Auch zwei große Räume zum Sortieren und Lagern der<br />
Flaschen und Dosen stellt der Airport pro bono zur Verfügung.<br />
Das Wichtigste: Alle Mitarbeiter des Flughafens ermöglichen es<br />
den Pfandbeauftragten, sich als vollwertige Kollegen zu fühlen.<br />
„Unbequem, beharrlich, menschlich“<br />
Ein Grußwort von Matthias Boxberger<br />
FOTO: WWW.OTZIPKA.DE<br />
Hamburg – die meisten Menschen denken<br />
dabei an den Hafen, den Michel, die<br />
Alster, die Elbphilharmonie. Hamburg<br />
steht für Weltläufigkeit und Schönheit,<br />
ein buntes Kulturleben und wirtschaftliche<br />
Stärke. Hamburg hat aber – wie jede<br />
Großstadt – auch eine andere Seite. Da<br />
sind Menschen, die vor dem Hauptbahnhof<br />
frieren, die in Mülleimern nach Pfandflaschen suchen<br />
und sich am Ende des Tages unter einer Brücke schlafen legen<br />
müssen. Doch kann man eine „Gute Nacht“ haben – ohne<br />
eigenes Bett, ohne eigene Wohnung? Seit 25 Jahren kämpft<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> deshalb für Menschen ohne Obdach, gibt ihnen<br />
eine Stimme, gibt ihnen Arbeit, ist ihr Anwalt und ihre Anlaufstelle.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist seit 25 Jahren unbequem, beharrlich,<br />
aber vor allem immer menschlich. Herzlichen Glückwunsch<br />
zum Jubiläum und: Machen Sie bitte weiter so! •<br />
Matthias Boxberger ist Vorstandsvorsitzender der HanseWerk AG.<br />
Die HanseWerk-Gruppe sponsert Hinz&<strong>Kunzt</strong> seit 18 Jahren.<br />
81<br />
WENN UNSERE UMWELT<br />
NICHT FÜR DIE RENDITE<br />
BEZAHLEN MUSS. DANN<br />
IST ES GUTES GELD.<br />
GUTESGELD.DE<br />
Interessiert an ethischer Geldanlage?<br />
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Förderkreis Norddeutschland e.V.<br />
Tel. 040 94 36 2800<br />
NACHHALTIGE GELDANLAGE SEIT 1975.
Ein kleines<br />
Stückchen<br />
Als Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor 25 Jahren angetreten ist, war für uns klar:<br />
Wir wollen alle Obdachlosen von der Straße und in eine eigene Wohnung bringen.<br />
Das haben wir bis heute nicht geschafft. Unsere Vision lebt trotzdem weiter –<br />
erst recht, wenn man Hinz&Künztler in ihren Wohnungen besucht und erlebt,<br />
wie wichtig ihnen ihr eigenes Reich ist.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE, LENA MAJA WÖHLER (1)<br />
82
„Ich kann meine Papiere einfach hinlegen, nichts wird geklaut.“<br />
Herberts Wohnzimmer in seiner Kirchenkate<br />
in Volksdorf ist winzig. Zweieinhalb<br />
mal zweieinhalb Meter ist es<br />
klein, aber trotzdem ist alles drin, was<br />
sich der Hinz&Künztler wünscht. Ein<br />
Fernseher, Regal, Schrank, Wohnzimmertisch,<br />
Schlafsofa und elf Zimmerpflanzen.<br />
„Wenn es ein bisschen größer<br />
wäre, wäre es perfekt“, sagt der 42-jährige<br />
gebürtige Pole, dessen Unterkunft<br />
inklusive Küche und Bad nur rund<br />
zwölf Quadratmeter misst. Für ihn sind<br />
das aber Luxusprobleme – Herbert<br />
würde sich nie beschweren. Schließlich<br />
war er bis vor Kurzem noch obdachlos.<br />
Die Kate ist sein Reich, nur für ihn.<br />
Zwei Jahre hat Herbert Platte gemacht.<br />
Weil er keine Arbeit hatte und<br />
keinerlei Einkommen, von dem er eine<br />
Wohnung hätte bezahlen können. Anspruch<br />
auf Leistungen vom Staat? Fehlanzeige.<br />
So schlief er erst vor Karstadt<br />
in der Mönckebergstraße, später im<br />
Park. Angst habe er nicht gehabt, aber<br />
gut schlafen konnte er trotzdem nie.<br />
„Schlimm“ sei diese Zeit gewesen.<br />
„Ganz schlimm, daran zu denken“, sagt<br />
er in gebrochenem Deutsch.<br />
Ende 2016 konnte Herbert im<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Winternotprogramm in<br />
einem leer stehenden Schwesternwohnheim<br />
unterkommen. Eine große Erleichterung.<br />
Als er nach dem Ende des<br />
Winters mithilfe von Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer in<br />
„seine“ Kirchenkate einziehen konnte,<br />
83<br />
war endlich „der Stress vorbei. Ich<br />
komme nach Hause, bisschen kochen,<br />
dann sitze ich hier ganz in Ruhe. Ich<br />
kann meine Papiere einfach hinlegen,<br />
nichts wird geklaut.“ Und dann ging<br />
alles ganz schnell: Herbert bekam eine<br />
Stelle als Pfandbeauftragter bei „Spende<br />
Dein Pfand“ (siehe Seite 80). „Mein Vertrag<br />
fest – jetzt werde ich nicht wieder<br />
obdachlos“, sagt er. „Ich jetzt bisschen<br />
sparen, bisschen kaufen, ganz langsam.“<br />
Für Zimmerpflanze Nummer<br />
zwölf wird es reichen. „Pflanzen müssen<br />
sein“, sagt Herbert und lacht. Die<br />
sind nämlich sein großes Hobby. •<br />
Herbert kam 2014 zu uns. Seit April<br />
2017 hat er eine volle Stelle bei Spende<br />
Dein Pfand am Hamburger Flughafen.
„Draußen, ohne waschen, ohne nichts – ich hab da angefangen zu saufen.“<br />
Reiner ist St.-Pauli-Fan. Das ist klar, sobald<br />
man sein Zimmer in der Wohnunterkunft<br />
von fördern und wohnen am<br />
Billbrookdeich betritt. St.-Pauli-Schal,<br />
-Caps, -Bettzeug und auf dem Kleiderschrank<br />
etliche der Pfandbecher, in die<br />
im Stadion Getränke ausgeschenkt werden.<br />
Reiner hat es sich auf seinen rund<br />
15 Quadratmetern gemütlich gemacht.<br />
Ob er sich eine eigene Wohnung<br />
wünscht? „Nee, wieso? Reicht doch!“,<br />
sagt der 60-Jährige, der bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
auf 20-Stunden-Basis fest angestellt ist.<br />
Nach der Trennung von seiner Frau<br />
hat der gebürtige Berliner in der Hauptstadt<br />
Platte gemacht. „Die Straße war<br />
nichts für mich“, erzählt Reiner. „Draußen,<br />
ohne waschen, ohne nichts – ich<br />
84<br />
hab da angefangen zu saufen.“ Mit drei<br />
Koffern „flüchtete“ er 1995 nach Hamburg<br />
– und kam zunächst im Hotel Mui<br />
auf dem Kiez unter, in einem von der<br />
Sozialbehörde angemieteten Zimmer.<br />
„Da war ich zu viert auf der Bude, mit<br />
Junkies. Da wurde geklaut und alles“,<br />
erinnert er sich. Zum Glück konnte<br />
Reiner bald an den Billbrookdeich um-
ziehen. Das war vor 14 Jahren. Seit<br />
2008 bewohnt er dort ein Einzelzimmer.<br />
Sein Rückzugsort. In einem Doppelzimmer<br />
zu leben, kann Reiner sich<br />
nicht mehr vorstellen. „Erst recht nicht,<br />
wenn du arbeiten gehst“, sagt er. „Du<br />
weißt ja nie, wen du auf die Bude<br />
kriegst. Und jeder kommt und geht zu<br />
anderen Zeiten.“<br />
85<br />
Dass sich Reiner Küche und Bad mit<br />
anderen teilen muss, stört ihn nicht. Im<br />
Gegenteil: „Ich brauch Leute um<br />
mich!“ Manchmal kocht er für seine<br />
„Mitbewohner“. Das Tollste ist für ihn<br />
aber der Clubraum im Erdgeschoss –<br />
ein Überbleibsel aus Zeiten, als der<br />
einstige Unterkunftsleiter das Haus zusammen<br />
mit den Bewohnern schick gemacht<br />
hatte. Dort hängen eine HSVund<br />
eine St.-Pauli-Flagge an der Wand.<br />
Gibt es wegen der rivalisierenden Vereine<br />
Stress? Reiner winkt ab: „Wir kieken<br />
hier alle schön zusammen Fußball.“ •<br />
Reiner ist mit Unterbrechung seit 1996<br />
bei uns. Sein Verkaufsplatz ist am S-Bahnhof<br />
Hammerbrook. 20 Stunden pro Woche<br />
arbeitet er fest im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Vertrieb.
„Alleine schlafen! Die Ruhe!“<br />
„Ihr könnt reinkommen!“, ruft die kleine<br />
Rachel. Hinz&Künztler Peter lacht.<br />
Er ist der Opa der Fünfjährigen, die<br />
aufgeregt im Zimmer herumhüpft. Die<br />
Enkelin und ihre Mama Patricia sind<br />
gerade bei Peter zu Besuch, da klingeln<br />
der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Fotograf und die Redakteurin<br />
an der Wohnungstür. Ein<br />
kleines Stückchen Glück tut sich hier<br />
auf. Denn dass Peter seine Tochter mitsamt<br />
der Lütten so unbeschwert treffen<br />
kann, liegt auch daran, dass er eine<br />
Wohnung hat. Sein eigenes Reich, zwei<br />
Zimmer, Küche, Balkon und Vollbad.<br />
„Über die Badewanne habe ich mich<br />
besonders gefreut“, so der 58-Jährige.<br />
Drei Jahre hatte Peter an der Elbe<br />
Platte gemacht. Seine Ehe war in die<br />
Brüche gegangen. Peter hatte angefangen<br />
zu trinken und war eines Tages einfach<br />
untergetaucht. Dann wohnte er eine<br />
Zeit lang im Männerwohnheim und<br />
schließlich in einer Kirchenkate in<br />
Volksdorf. Schon das Männerwohnheim<br />
war logischerweise besser als die<br />
Platte. Endlich ein Dach über dem<br />
Kopf! Aber „die Kirchenkate war für<br />
86
mich ein riesiger Schritt“, erinnert sich<br />
Peter. Er hatte einen Raum, den er<br />
nicht mehr mit anderen teilen musste.<br />
„Alleine schlafen! Die Ruhe!“<br />
Über die Lawaetz-Stiftung hat Peter<br />
schließlich vor vier Jahren seine<br />
Wohnung in Iserbrook bekommen. Die<br />
hatte die Saga-Wohnung zunächst angemietet<br />
und Peter ein Jahr lang dabei<br />
begleitet. Ein Jahr später durfte er den<br />
Mietvertrag übernehmen. Damit ist Peter<br />
komplett glücklich. „Ich kenne die<br />
Nachbarn hier alle“, erzählt Peter. „Die<br />
sind alle in Ordnung.“ Für einen älteren<br />
Herrn nebenan geht er auch ab<br />
und an einkaufen. Aber am schönsten<br />
ist es, wenn Tochter und Enkelin zu Besuch<br />
kommen.<br />
87<br />
Die kleine Rachel will jetzt gerne malen.<br />
Und dann mit Opa und Mama<br />
runter an die Elbe. Der Fotograf und<br />
die Redakteurin können jetzt gehen.<br />
„Ich bringe euch zur Tür!“, ruft sie und<br />
geleitet uns freundlich hinaus. •<br />
Peter ist seit 1995 bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Er hat seinen Stammplatz vor Erdkorn in<br />
der Sülldorfer Landstraße in Iserbrook.
„Ich bin einen Monat nicht vor die T r gegangen.“<br />
„Ich hab’ Kuchen gebacken!“, sagt Andreas<br />
zur Begrüßung. Apfelkuchen mit<br />
Streusel. Und Sahne hat er auch geschlagen!<br />
Köstlich. „Man ist doch ein<br />
guter Gastgeber“, freut sich der 46-Jährige<br />
über die Begeisterung des Besuchs.<br />
Wenn man eine Wohnung hat – und sei<br />
sie noch so klein –, kann man ja auch<br />
mal jemanden einladen.<br />
Andreas hatte riesiges Glück, denn<br />
er konnte die Harburger Wohnung von<br />
einem Hinz&Künztler übernehmen. Im<br />
April vergangenen Jahres bekam er den<br />
Mietvertrag, und sogar die Möbel seines<br />
88<br />
Vorgängers durfte er behalten. Damit<br />
endete für ihn eine Odyssee, die nach der<br />
Trennung von seiner Freundin aus wechselnden<br />
Betten bei Bekannten und zwei<br />
Jahren im Männerwohnheim bestand.<br />
„Nachdem ich hier eingezogen bin,<br />
bin ich erst mal einen ganzen Monat<br />
nicht vor die Tür gegangen“, erzählt<br />
Andreas. So sehr habe er die Ruhe seiner<br />
eigenen vier Wände genossen. „Ich<br />
hab’ nur ein bisschen umgeräumt und es<br />
mir schön gemacht.“ Im Wohnheim hatte<br />
er zwar auch schon ein Einzelzimmer,<br />
aber mit zehn Menschen auf einer Etage,<br />
mit geteilter Dusche und gemeinschaftlichem<br />
WC sei immer Trubel und<br />
es sei oft auch nicht besonders sauber gewesen.<br />
Bei Andreas ist dagegen alles picobello.<br />
Genial ist auch, dass seine Wohnung<br />
im Erdgeschoss liegt. Denn seit<br />
einer missglückten Hüftoperation kann<br />
er nur mit Krücken gehen.<br />
Mit der Ruhe ist es jetzt allerdings<br />
vorbei, aber das war dieses Mal Andreas’<br />
eigene Entscheidung: Seit September<br />
hat er eine Katze. 14 Wochen alt, frech<br />
und so süß, dass man ihr nichts übel<br />
nehmen kann. Abby heißt sie. „Wenn sie
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Dr. Jens Ade.<br />
Tel.: 040/32 10 84 03<br />
oder Mail: jens.ade@<br />
hinzundkunzt.de<br />
nicht hört, Abigail“, sagt Andreas und lacht.<br />
„Alleine war’s mir jetzt doch ein bisschen zu<br />
langweilig.“ Gerade hat es Abby auf die<br />
Schlagsahne auf dem Kuchen abgesehen.<br />
Aber nichts da: Den Kuchen bekommt jetzt<br />
der Besuch. •<br />
Andreas kam 1998 zum ersten Mal zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Nach längerer Unterbrechung ist er seit 2015<br />
wieder dabei. Vormittags verkauft er das Magazin<br />
in der Rindermarkthalle St. Pauli, an drei Nachmittagen<br />
die Woche, und samstagvormittags steht er<br />
vor Lidl in der Rönneburger Straße in Harburg.<br />
Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> bietet obdachlosen Menschen Halt. Eine Art Anker<br />
für diejenigen, deren Leben aus dem Ruder gelaufen ist. Möchten<br />
Sie uns dabei unterstützen und gleichzeitig den Menschen, die<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> Heimat und Arbeit gefunden haben, helfen? Dann<br />
hinterlassen Sie etwas Bleibendes – berücksichtigen Sie uns<br />
in Ihrem Testament! Als Testamentsspender wird Ihr Name auf<br />
Wunsch auf unserem Gedenk-Anker in der Hafencity graviert. Ein<br />
maritimes Symbol für den Halt, den Sie den sozial Benachteiligten<br />
mit Ihrer Spende geben.<br />
89
Hinz&Künztler<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
Vor zehn Jahren war<br />
dies unser Titelbild:<br />
Unsere damalige<br />
Herausgeberin<br />
Annegrethe Stoltenberg<br />
gratulierte<br />
uns mit Rosen zum<br />
15. Geburtstag. Gern<br />
nahm Hinz&Künztler<br />
Uwe ihre Glückwünsche<br />
entgegen.<br />
„Wurzeln und Flügel“<br />
Ein Geburtstagsgruß von Annegrethe Stoltenberg, die von 2000 bis 2013<br />
Landespastorin und Herausgeberin von Hinz&<strong>Kunzt</strong> war.<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Dieses Foto ist vor zehn Jahren, zum 15. Jubiläum, entstanden und<br />
erinnert damit an eines der vielen, vielen schönen Ereignisse, die das Leben<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong> seit Beginn begleiten, ja, auch ausmachen. Das ist nach<br />
wie vor so wichtig an Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Dass der klare Blick auf Unglück<br />
und Ungerechtigkeit nicht die Augen vor dem Guten und dem Schönen<br />
verschließt. So lese ich jedes Magazin wieder gern, mit diesem besonderen<br />
Blick auf Hamburg. Die Stimme des Magazins und die Präsenz der Verkäufer<br />
sind so wichtig, damit die konstruktive Haltung gegenüber wohnungslosen<br />
Menschen in Hamburg immer wieder bestärkt wird.<br />
Der Glückwunsch ist verbunden mit einem hochachtungsvollen<br />
Dankeschön: Ich bewundere, wie diese Haltung Jahr für Jahr, Tag für Tag in<br />
der Redaktion und in der Sozialarbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> gelebt wird!<br />
Wurzeln und Flügel soll man Kindern mit auf den Weg geben, das ist<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> gelungen: Es ist eine „verwurzelte“ Institution in Hamburg<br />
geworden und schwingt sich immer wieder zu neuen Projekten auf!<br />
Alles Gute für den weiteren Weg! •<br />
90
Hinz&Künztler<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
Ein<br />
Innovationslabor<br />
namens<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Geburtstagswünsche von Landespastor und Herausgeber Dirk Ahrens.<br />
FOTOS: ANNETTE SCHRADER,<br />
MAURICIO BUSTAMANTE (S. 94)<br />
Seit Anfang 2014<br />
ist Landespastor<br />
Dirk Ahrens<br />
Herausgeber von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
92
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Hinz&Künztler<br />
SCHNELL<br />
SCHALTEN<br />
Anzeigen: 040/28 40 94-0<br />
anzeigen@hinzundkunzt.de<br />
„Diese politische<br />
Stimme<br />
darf nicht<br />
verloren gehen.“<br />
L<br />
eider sehe ich auch zum 25. Jubiläum<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong> die<br />
Frage ungelöst, wie möglichst<br />
viele Menschen von der Straße in geeigneten<br />
und bezahlbaren Wohnraum vermittelt<br />
werden können. Bisher zeigt die<br />
intensive Wohnungsbaupolitik des Senats<br />
keine positiven Folgen für die Menschen,<br />
um die es uns geht. Die Politik ist<br />
nach wie vor zu zurückhaltend mit der<br />
Bereitstellung von Wohnraum für die<br />
Ärmsten der Gesellschaft, vertraut immer<br />
noch zu stark auf die Selbstregulierung<br />
des Marktes. Der Markt aber folgt<br />
dem Geld – und wer kein Geld hat, ist<br />
chancenlos. Der gleichzeitige Versuch,<br />
Armutsmigration aus den östlichen EU-<br />
Ländern einzudämmen, wirkt ebenso<br />
hilflos wie inhuman. Nur wer die Situation<br />
annimmt, wird sie politisch bewältigen<br />
können. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist deshalb leider<br />
weiterhin notwendig, um auf<br />
Missstände hinzuweisen, gute Ideen zu<br />
verbreiten und Lobby für die zu sein, die<br />
keine Stimme haben.<br />
Ob das aber nur in dem beliebten<br />
Printmagazin geschieht, ist auf die<br />
Dauer zumindest fraglich. Die Auflagenzahlen<br />
der Printmedien brechen<br />
teilweise radikal ein. Viele Menschen<br />
beziehen ihre Informationen zunehmend<br />
aus dem Internet. Und die wenigsten<br />
sind bereit, dafür zu zahlen.<br />
Leider geht diese Entwicklung auch an<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> nicht vorbei. Die Zahl der<br />
verkauften Magazine ist deshalb in den<br />
letzten Jahren gesunken. Gleichzeitig<br />
steigt die Wahrnehmung des Projektes<br />
online und in den sozialen Medien. Insbesondere<br />
junge Menschen interessieren<br />
sich für unsere Arbeit. Das ist ermutigend.<br />
Aber selbst wenn eine große<br />
Zahl von Leserinnen und Lesern bereit<br />
wäre, für die Online-Nutzung Geld zu<br />
bezahlen, dann fiele doch auf Dauer<br />
ein großer Teil der Verkäuferjobs weg.<br />
Und für die Verkäuferinnen und Verkäufer<br />
wurde das Magazin einst überhaupt<br />
erfunden.<br />
Das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team braucht also<br />
viel Kreativität und frischen Geist.<br />
Einerseits darf die politische und publizistische<br />
Stimme von Hinz&<strong>Kunzt</strong> in<br />
dieser Stadt keinesfalls verloren gehen!<br />
Dafür muss die Präsenz im Internet<br />
weiter ausgebaut werden. Und egal ob<br />
in der Printausgabe oder im Internet:<br />
Die Inhalte und die Präsentation müssen<br />
weiterhin stimmen! Das ist harte<br />
journalistische Arbeit.<br />
Andererseits muss das Straßenmagazin<br />
neue Ideen entwickeln, wie den<br />
Menschen auf der Straße ganz konkret<br />
geholfen werden kann. Leuchtturmprojekte<br />
wie die „<strong>Kunzt</strong>Küche“ in diesem<br />
Frühjahr, „Spende Dein Pfand“ in Zusammenarbeit<br />
mit den Kooperationspartnern<br />
Hamburg Airport und Grüner<br />
Punkt oder die „BrotRetter“ mit<br />
der Bäckerei Junge gehen in die richtige<br />
Richtung und erweitern das Jobangebot.<br />
Hier bekommen Hinz&Künztler<br />
sozialversicherungspflichtige Jobs und<br />
machen sinnvolle Arbeit. Unsere Leergutbeauftragten<br />
am Flughafen tun etwas<br />
für die Umwelt, und die BrotRetter<br />
verkaufen Brot vom Vortag billiger: So<br />
wird weniger Brot und Kuchen weggeschmissen,<br />
und die Käufer können<br />
ihren Geldbeutel schonen. Davon brauchen<br />
wir mehr! Ebenfalls ausgebaut<br />
werden muss das Wohnraumangebot<br />
für Wohnungslose. Bereits jetzt ermöglicht<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> 25 Verkäuferinnen<br />
und Verkäufern das Leben im eigenen<br />
Wohnraum. Im neuen Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Innere Kraft - für dich & andere<br />
Qigong<br />
Taijiquan Meditation<br />
Barmbek, Bahrenfeld, Eimsbüttel<br />
040-205129<br />
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ENGAGIEREN<br />
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PFLEGEN<br />
TRAUERN<br />
INFORMIEREN<br />
HEIRATEN<br />
Das Leben<br />
steckt voller<br />
Fragen.<br />
93<br />
Wie können wir Ihnen helfen?
Hinz&Künztler<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
Auf diesem Gelände der Amalie<br />
Sieveking-Stiftung wird das<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Haus entstehen.<br />
Möglich machen das Holger<br />
Cassens (Mara & Holger Cassens-<br />
Stiftung, links) und Johannes Jörn<br />
(Amalie Sieveking-Stiftung, Mitte);<br />
rechts Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Geschäftsführer<br />
Jens Ade.<br />
Haus, das wir 2020 in St. Georg eröffnen<br />
werden, wird es nicht nur neuen<br />
Platz für Redaktion und Vertrieb geben,<br />
sondern auch Wohnraum für weitere<br />
25 Wohnungslose.<br />
Um Hinz&<strong>Kunzt</strong> herum werden<br />
weitere Projekte im Bereich von Kunst<br />
und Kultur entstehen. Ich sehe Benefizkonzerte,<br />
aber auch Ausstellungen und<br />
Theateraktionen vor mir. Und jede dieser<br />
Aktionen macht auf die Situation<br />
wohnungsloser Menschen aufmerksam,<br />
baut Brücken zwischen denen, die etwas<br />
haben, und denen, die nichts haben<br />
in unserer Stadt. Das ermöglicht einen<br />
neuen Blick auf unsere Gesellschaft.<br />
Kultur eröffnet Teilhabemöglichkeiten<br />
und bringt Hinz&Künztler und andere<br />
„Das Team hat<br />
seine Kreativität<br />
häufig unter<br />
Beweis gestellt.“<br />
Hamburger zusammen. Das ist besonders<br />
notwendig in unserer sich stark segregierenden<br />
Gesellschaft. Und Kunst<br />
und Kultur stehen bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
auch immer für Lebensfreude und<br />
Zuversicht.<br />
Und ich träume davon, dass<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ein richtiges Innovationslabor<br />
wird. Das Team hat seine Kreativität<br />
bereits häufig unter Beweis<br />
gestellt. Ebenso entscheidend ist Kommunikationskompetenz.<br />
Wem sollte<br />
man die zutrauen, wenn nicht den Machern<br />
einer angesehenen Zeitung?<br />
Dank Spenden und anderer Einnahmen<br />
könnten Projektentwickler bei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> arbeiten, die nichts anderes<br />
tun, als geeignete Beschäftigungsoder<br />
Wohnprojekte zu entwickeln, umzusetzen<br />
und auch an andere Träger<br />
der Wohnungslosenarbeit weiterzugeben.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> als Ort sprudelnder<br />
Ideen wäre sicher auch für die Publikationen<br />
der Redaktion interessant.<br />
Durch Verzicht auf Wissensegoismus<br />
könnte sich Hinz&<strong>Kunzt</strong> in den<br />
Dienst der gesamten Wohnungslosenarbeit<br />
stellen und unverzichtbare Bedeu-<br />
94<br />
„Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
war damals<br />
revolutionär<br />
innovativ.“<br />
tung erlangen. Die Szene hat in den<br />
vergangenen Jahren sehr unter der Ausweglosigkeit<br />
ihrer Arbeit gelitten.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> könnte anderen Projekten<br />
und Einrichtungen mit neuen<br />
Ideen Aufwind geben. Ganz in der Tradition<br />
von Landespastor Stephan Reimers.<br />
In seinen sogenannten „Spinnstuben“<br />
im Diakonischen Werk ist<br />
schließlich auch einmal Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
erdacht worden. Damals revolutionär<br />
innovativ.<br />
Und sicher hat es damals (auch<br />
fachlich versierte) Menschen gegeben,<br />
die ein solches Projekt für Spinnerei<br />
hielten. Davon sollten wir uns aber<br />
ebenso wenig aufhalten lassen wie<br />
von unserer individuell begrenzten<br />
Fantasie.<br />
Ich habe genug Gottvertrauen, zu<br />
glauben, dass Hinz&<strong>Kunzt</strong> ein notwendiges<br />
und vor allem ein gesegnetes Projekt<br />
ist. Sollte Hinz&<strong>Kunzt</strong> also eines<br />
Tages schließen, dann nur deshalb, weil<br />
niemand mehr auf der Straße leben<br />
muss. Und das wäre dann großartig. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de
Das 8. Lesen ohne Atomstrom – Der Prolog<br />
‚Protest & Widerstand‘ – so heißt das Programm des Literaturfestivals <strong>2018</strong>/19.<br />
Anlass: Der rot-grüne Senat hat 2017 tagelang elementare Grundrechte außer Kraft gesetzt,<br />
die Pressefreiheit beschränkt – um dem Gipfel der G20 die Bühne zu bieten.<br />
Diesen Tabubruch dokumentiert zum Festivalauftakt die Ausstellung ‚Die Diskreditierten‘,<br />
renommierte Verfassungsexperten ordnen die Ereignisse ein.<br />
Derweil steht der nächste G20 unmittelbar bevor – in Buenos Aires: Über den Protest dort<br />
berichtet Juan Martín Guevara, Bruder des Che. Im Gespräch mit Walter Sittler.<br />
15. <strong>November</strong><br />
FC St. Pauli Museum<br />
Millerntor-Stadion<br />
G20 –<br />
Der Rückblick<br />
Gerhart Baum<br />
Thomas Fischer<br />
Peter Schaar<br />
Gerhard Strate<br />
‚Die Diskreditierten‘<br />
16. <strong>November</strong><br />
Akademie<br />
der Künste<br />
G20 –<br />
Der Ausblick<br />
Juan Martín<br />
Guevara<br />
Walter Sittler<br />
Beginn 19.30 Uhr Eintritt frei!
Ich engagiere mich so gerne<br />
im Beirat, ...<br />
Freunde<br />
Unser Beirat berät Projekt<br />
und Redaktion, weil ein Blick<br />
von außen denen hilft, die<br />
manchmal zu nahe dran sind.<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
… weil die Anliegen von<br />
Obdachlosen Schutz und eine<br />
hörbare Stimme benötigen.<br />
… weil ich im Leben viel Glück<br />
gehabt habe und gerne ein<br />
bisschen was zurückgeben möchte.<br />
… weil Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
wohnungslosen Menschen<br />
in Hamburg ein Gesicht<br />
gibt und eine Stimme<br />
verleiht, die maßgeblich<br />
dazu beiträgt,<br />
ihre Lebensbedingungen<br />
zu verbessern.<br />
Prof. Dr. Harald Ansen,<br />
Armutsexperte HAW Hamburg<br />
Alexander Unverzagt, Medienanwalt<br />
Thomas Magold, BMW-Niederlassungsleiter i. R.<br />
… weil eine Wohnung nicht<br />
alles ist, aber alles<br />
ist nichts ohne Wohnung.<br />
Beate Behn, Lawaetz-Stiftung<br />
… weil ich das Projekt<br />
weiterhin sinnvoll finde und<br />
auch künftig gerne mit<br />
meiner Erfahrung<br />
unterstützen möchte.<br />
Olaf Köhnke, Ringdrei Media Network GmbH<br />
… weil ich helfen will, die<br />
Stadt menschlicher zu machen,<br />
und weil H&K zu Hamburg<br />
gehört wie Alster und Elbe.<br />
Dr. Bernd-Georg Spies, Russell Reynolds<br />
Associates<br />
… weil Engagement mehr<br />
Karma-Punkte bringt als nur<br />
reden oder liken.<br />
Dr. Marius Hoßbach, Rechtsanwalt<br />
… weil Hamburgs Straßen<br />
zwar schön sind – aber niemand<br />
darauf schlafen sollte.<br />
Oliver Wurm, Medienberater<br />
… weil Hinz&<strong>Kunzt</strong> die<br />
Verkäufer und Verkäuferinnen<br />
in die Lage versetzt,<br />
sich selbst zu helfen.<br />
Das ist besser, als ihnen nur<br />
Almosen zu geben.<br />
Karin Schmalriede, Lawaetz-Stiftung<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK, MAURICIO BUSTAMANTE (1), REGINE CHRISTIANSEN (1),<br />
MARION VON DER MEHDEN (1), HAMBURGER ABENDBLATT/HANNA KASTENDIECK (1)<br />
96
Freunde<br />
Engagement mit<br />
Herz für Hamburg:<br />
… weil die Innenstadt<br />
nicht nur aus schönen<br />
Fassaden besteht.<br />
Mathias Bach, Kaufmann<br />
Wir gratulieren<br />
Hinz & <strong>Kunzt</strong> zum<br />
25. Geburtstag.<br />
Ich bin Gesellschafterin, …<br />
… weil das Projekt eine<br />
perfekte Ergänzung zu<br />
unseren Hilfeangeboten für<br />
Menschen in Wohnungsnot<br />
ist – und dabei wunderbar<br />
zäh und lebendig bleibt.<br />
Gabi Brasch,<br />
Diakonisches Werk<br />
Ich bin Gesellschafter, …<br />
Wir trauern um …<br />
… weil ich so etwas<br />
gegen die soziale<br />
Spaltung in<br />
Hamburg tun kann.<br />
Johannes Jörn,<br />
Patriotische Gesellschaft<br />
von 1765<br />
97<br />
... Rüdiger Knott,<br />
unseren Freund und<br />
langjähriges Beiratsmitglied,<br />
der für die<br />
Redaktion ein steter<br />
Ansprechpartner war.<br />
Eine seiner letzten<br />
Ausstellungen fand<br />
bei uns statt –<br />
zu unseren Gunsten.<br />
Rüdiger Knott, ehemaliger<br />
Programmchef NDR 90,3<br />
und Künstler. Er gehörte<br />
dem Beirat von 2000 bis<br />
zu seinem Tod im Juni<br />
dieses Jahres an.<br />
Wir machen gern<br />
gemeinsame Sache:<br />
Für „Spende Dein Pfand“<br />
kooperiert Hamburg Airport mit<br />
dem Hamburger Straßenmagazin<br />
„Hinz & <strong>Kunzt</strong>“ und dem Unternehmen<br />
„Der Grüne Punkt – Duales<br />
System Deutschland<br />
GmbH“ (DSD).<br />
Das Unternehmen<br />
übernimmt die<br />
gesammelten Flaschen<br />
und gibt das Pfandgeld<br />
1:1 an<br />
„Hinz & <strong>Kunzt</strong>“.<br />
SPENDE<br />
DEIN<br />
PFAND<br />
www.hamburg-airport.de
Lebenslinien<br />
Der lange<br />
Schatten<br />
Vor mehr als 15 Jahren wird Kevin M. in Hamburg zum Bankräuber.<br />
Erwischt wird der Brite nie. Doch Kevin kann mit seiner Schuld<br />
nicht leben. Zwei Jahre später stellt er sich und wird verurteilt.<br />
Als Hinz&<strong>Kunzt</strong> darüber berichtet, nimmt die Geschichte gleich<br />
mehrere unerwartete Wendungen.<br />
TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Kevin ist verzweifelt. Der Brite<br />
hat keinen Job, kein Geld und<br />
nun ist auch noch der Strom in<br />
seiner Wohnung abgestellt worden, weil<br />
er die Rechnungen nicht mehr bezahlen<br />
kann. Der 30-Jährige weiß nur noch<br />
einen Ausweg: Er geht zu einer Filiale<br />
der HASPA in der Nähe seiner Wohnung,<br />
schiebt einen Zettel durch den<br />
Kassenschlitz, „Geld oder ich schieße“,<br />
und hält seinen Arm und die Hand so<br />
in der Jackentasche, dass die Kassiererin<br />
glauben muss, er sei bewaffnet. Sie<br />
gibt ihm das Geld, er haut ab. 10.000<br />
Mark Beute – das reicht erst mal für seine<br />
Schulden.<br />
Besser wird sein Leben dadurch nicht.<br />
Kevin trinkt, macht weiter Schulden, er<br />
ist frustriert und unglücklich. Bei seinen<br />
Gelegenheitsjobs auf dem Bau kommt<br />
nicht viel rein. Also macht er weiter mit<br />
den Banken. Noch weitere drei Mal<br />
geht er auf Raubzug, erbeutet jeweils<br />
zwischen 8000 und 10.000 Mark. Kevin<br />
hinterlässt keine Spuren und ist sich sicher,<br />
dass man ihn nie erwischen wird,<br />
auch wenn er sein Bild mehrfach in der<br />
Zeitung wiederfindet – Überwachungskameras<br />
hatten seine Überfälle aufgezeichnet.<br />
Niemand erkennt ihn.<br />
Doch Kevin schämt sich dafür, zum<br />
Kriminellen geworden zu sein. Immer<br />
mehr gerät er in eine Abwärtsspirale:<br />
kein Job, Alkoholprobleme, Schulden,<br />
keine Wohnung. Für ein paar Wochen ist<br />
er bei einem Freund untergekrochen.<br />
Die Schuld frisst ihn auf. Als er auf der<br />
Straße einen Streifenwagen sieht, spricht<br />
er die Beamten an: „Nehmen Sie mich<br />
fest, ich habe vier Banken überfallen.“<br />
Unsere Autorin Annette Scheld besucht<br />
Kevin damals im Untersuchungsgefängnis.<br />
Er erzählt ihr seine Geschichte.<br />
Wie er 1990, mit gerade 19<br />
Jahren, aus seiner Heimat Liverpool<br />
nach Deutschland kommt, der Liebe<br />
wegen. Er hat Gelegenheitsjobs, es läuft<br />
gut. 1995 heiratet er, sechs Jahre später<br />
geht die Ehe in die Brüche. Kevins<br />
Alkoholproblem eskaliert, er kommt<br />
nicht mehr auf die Füße. Die Abwärtsspirale<br />
dreht sich immer schneller – bis<br />
zu seiner Festnahme.<br />
Das Landgericht Hamburg verurteilt<br />
Kevin 2004 zu dreieinhalb Jahren<br />
Haft, obwohl die Staatsanwaltschaft nur<br />
zwei Jahre auf Bewährung beantragt<br />
hatte. Sie hatte vor allem sein Geständnis<br />
aus freien Stücken und den Umstand,<br />
dass keine Gewalt angewendet<br />
wurde, strafmildernd bewertet. Kevin<br />
kommt nach Santa Fu.<br />
Nachdem Hinz&<strong>Kunzt</strong> im Juli<br />
2004 über den reuigen Bankräuber berichtet,<br />
erhält die Redaktion einen ganz<br />
besonderen Leserbrief: Eine der Kassiererinnen,<br />
die Kevin überfallen hat, meldet<br />
sich. Juliane K. hat den Banküber-<br />
98
Lebenslinien<br />
Neukundenaktion bis 31.12.<strong>2018</strong>:<br />
<br />
fall damals erstaunlich gut weggesteckt. „Ich habe das gar<br />
nicht so richtig gecheckt“, sagt sie später. Als sie „ihren Bankräuber“<br />
bei der Gerichtsverhandlung wiedersieht, ist sie von<br />
seinem Geständnis, seiner Reue und vor allem seiner Entschuldigung<br />
bei seinen Opfern bewegt. Gern möchte sie ihm<br />
schreiben, weiß aber nicht wohin. Schließlich wendet sie sich<br />
an Hinz&<strong>Kunzt</strong> – sie will, dass er weiß, dass sie ihm verzeiht<br />
und wünscht ihm alles Gute für die Zukunft.<br />
Damit könnte die Geschichte zu Ende sein. Doch 13 Jahre<br />
später schreibt Kevin einen Kommentar auf der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Homepage: „Es ist solange her aber ich dank sie das sie mich<br />
verziehen hab“, schreibt er in holprigem Deutsch. „Ich lebe in<br />
England und hab mein Leben wieder in griff ich arbeit hab<br />
ein zuhause und wunsch dir auch alles gut nochmals sorry.“<br />
Was treibt ihn nach so langer Zeit dazu, sich wieder bei<br />
uns zu melden? Offenbar hat ihn seine Schuld immer noch<br />
nicht losgelassen. Über seine Mail-Adresse kommt der Kontakt<br />
zu Kevin zustande.<br />
„Nehmen<br />
Sie mich fest,<br />
ich habe<br />
vier Banken<br />
überfallen.“<br />
Zuerst freut er sich über<br />
das Interesse. Doch dann<br />
stellt er fest, wie schwer es<br />
ihm fällt, sich nochmals<br />
mit einem Kapitel seiner<br />
Vergangenheit zu beschäftigen,<br />
das einen langen<br />
Schatten auf sein Leben<br />
geworfen hat. 26 Monate<br />
hat er in Santa Fu abgesessen.<br />
„Im Gefängnis bin ich<br />
ganz gut zurechtgekommen,<br />
ich hab’s einfach irgendwie über mich ergehen lassen“,<br />
schreibt der heute 48-Jährige. 2006 wurde er nach England<br />
abgeschoben und ging zurück in seine Heimatstadt Liverpool.<br />
„Ich hab mich zuerst nicht getraut, Kontakt zu meiner Familie<br />
aufzunehmen. Ich war unsicher, ob es richtig wäre. Aber nach<br />
ungefähr einer Woche haben wir uns getroffen, und ich bin<br />
mit offenen Armen empfangen worden.“<br />
Die erste Zeit in Liverpool sei hart gewesen, erzählt er<br />
weiter. „Aber nach und nach wurde es viel leichter. Zuerst<br />
war es wegen meiner Vergangenheit im Gefängnis schwierig,<br />
eine Arbeit zu finden.“ Doch dann fand er eine Beschäftigung<br />
auf dem Bau. Nicht immer gab es Arbeit, aber zurzeit<br />
hat Kevin einen festen Job und ist zufrieden: „Es läuft gut.“<br />
Kevin ist dankbar, dass sein Opfer, die Kassiererin von<br />
damals, ihm verzeihen konnte. Wir haben vergeblich versucht,<br />
sie ausfindig zu machen. Vielleicht liest sie ja diesen<br />
Text über „ihren Bankräuber“ und meldet sich erneut bei<br />
uns. Kevin würde sich freuen, wenn sie erfahren würde, dass<br />
ihre guten Wünsche für ihn für die Zukunft zumindest zum<br />
Teil in Erfüllung gegangen sind. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Schnelle Hilfe<br />
auf Knopfdruck<br />
Malteser Hausnotruf<br />
<br />
<br />
JETZT<br />
SPENDEN<br />
Hamburger Sparkasse<br />
IBAN: DE56 200505501280167873<br />
BIC: HASPDEHHXXX<br />
„ICH WÜNSCHE MIR<br />
EINEN BRATEN UND EUCH<br />
SCHÖNE WEIHNACHTEN!“ HUND JACK<br />
Jack heißt unser diesjähriges Model für unseren Adventskalender.<br />
Er und sein Herrchen sind unzertrennlich. Deshalb ist Jack auch<br />
immer dabei, wenn Vasile Straßenmagazine verkauft. Hinter den<br />
24 Türchen verbergen sich allerdings keine Leckerlis für Hunde,<br />
sondern für Menschen.<br />
24 Türchen mit Bio-Fairtrade-Schokolade, ohne Plastikinlay, also<br />
komplett als Altpapier recycelbar. Von Postalo. Preis: 11,90 Euro.<br />
Schnell bestellen unter www.hinzundkunzt.de/shop<br />
99
Rubrik<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
„Ein gutes<br />
soziales Projekt.“<br />
HARALD-HEINZ (63, VERKÄUFER)<br />
100
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Hinz&Künztler<br />
„Die beste Familie<br />
der Welt!“<br />
Was bedeutet Hinz&<strong>Kunzt</strong> für dich?<br />
Eine Umfrage unter Verkäufern und Teammitgliedern.<br />
UMFRAGE: ULRICH JONAS<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
„Es macht mir viel Freude,<br />
Obdachlosen zu helfen. Die Menschen<br />
sind mir ans Herz gewachsen.<br />
Das spüre ich, wenn ich mal Urlaub habe:<br />
Dann vermisse ich sie.“<br />
„Leben<br />
und Überleben.“<br />
GABOR (40, VERKÄUFER)<br />
CRISTINA (36, DOLMETSCHERIN)<br />
101
„Ein Ort, der von einer großen<br />
Gemeinschaft geprägt ist –<br />
und einer Idee, wie Gemeinschaft<br />
gelebt werden kann.“<br />
CEDRIC (27, REDAKTIONSASSISTENT)
Hinz&Künztler<br />
„Hilfe für mich, meine<br />
Kinder und meine<br />
Enkelkinder. Zwei meiner<br />
Töchter leben noch in<br />
Lettland. Die Situation dort<br />
ist schwierig: wenig Arbeit,<br />
wenig Verdienst.“<br />
RAITIS (62, VERKÄUFER)<br />
„Ohne Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
würde meine Familie in<br />
Rumänien hungern.<br />
Meine Eltern sind krank<br />
und alt, und ihre Rente<br />
ist klein. Deshalb schicke<br />
ich ihnen, meiner<br />
Frau und meinen Kindern<br />
regelmäßig Geld.“<br />
CRISTIAN (41, VERKÄUFER)<br />
„Seitdem ich Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
verkaufe, habe ich einen<br />
Platz zum Schlafen und<br />
kann mir Essen kaufen.<br />
Vorher war ich sehr<br />
krank und habe sogar aus<br />
dem Müll essen müssen.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> hat mein<br />
Leben total verändert.“<br />
FLORIN (47, VERKÄUFER)<br />
103<br />
stilbruch.de
Rubrik<br />
Harald: „Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist<br />
mein Zuhause. Ich arbeite<br />
seit fünf Jahren als<br />
Stadtführer – und das<br />
ist wie ein Jackpot.“<br />
Chris: „Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist die<br />
beste Familie der Welt!“<br />
HARALD (53) UND<br />
CHRIS (47), BEIDE STADTFÜHRER<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
„Eine Chance,<br />
wieder auf die Beine<br />
zu kommen.“<br />
MARINA (59, VERKÄUFERIN)<br />
„Die Möglichkeit, mit<br />
Menschen, die nicht obdachlos<br />
sind, ins Gespräch zu kommen.“<br />
PETYO (27, VERKÄUFER)<br />
104
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
JA,<br />
ICH WERDE MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum, Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
„Sehr viel. Da ich aus gesundheitlichen<br />
Gründen nicht mehr voll arbeiten kann, hilft mir<br />
der Verkauf, über die Runden zu kommen.<br />
Ich bin gerne unter Menschen. Und meine<br />
Kundschaft ist immer sehr freundlich zu mir.“<br />
MICHAEL (52, VERKÄUFER)<br />
Ich bin damit einverstanden, dass mein Name in<br />
der Rubrik „Dankeschön“ in einer Ausgabe des<br />
Hamburger Straßenmagazins veröffentlicht wird:<br />
Ja<br />
Nein<br />
Wir garantieren einen absolut vertraulichen<br />
Umgang mit den von Ihnen gemachten Angaben.<br />
Die übermittelten Daten werden nur zu internen<br />
Zwecken im Rahmen der Spendenverwaltung<br />
genutzt. Die Mitgliedschaft im Freundeskreis ist<br />
jederzeit kündbar. Wenn Sie keine Informationen<br />
mehr von uns bekommen möchten, können Sie<br />
jederzeit bei uns der Verwendung Ihrer personenbezogenen<br />
Daten widersprechen.<br />
Unsere Datenschutzerklärung können Sie<br />
einsehen unter www.huklink.de/datenschutz<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
105<br />
HK <strong>309</strong>
Tschüss&Impressum<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />
Tschüss<br />
und auf bald!<br />
Und wenn Sie unseren Verkäufern ein<br />
Geburtstagsgeschenk machen wollen,<br />
dann haben wir eine Idee für Sie:<br />
Zwei Magazine kaufen, eins verschenken!<br />
Vielleicht an jemanden, der oder die uns noch nicht kennt<br />
oder das Magazin schon lange nicht mehr gelesen hat.<br />
Wir brauchen immer neue Leserinnen und Leser!<br />
Für dieses Mal sagen wir Tschüss. Besser gesagt:<br />
Auf Wiedersehen! Vielleicht ja in der Markthalle am<br />
6. <strong>November</strong> ab 18 Uhr (Seite 50) bei unserem Jubiläumsfest.<br />
Da können Sie uns treffen, und da können wir klönen<br />
und zusammen feiern. Zum Abschluss spielt auch noch<br />
Gustav Peter Wöhler mit Band. Wir freuen uns auf Sie! •<br />
Ihre Birgit Müller für das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />
Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann),<br />
Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH),<br />
Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt),<br />
Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (bim; Chefredakteurin, v.i.S.d.P.),<br />
Annette Woywode (abi; Stellv., CvD),<br />
Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof),<br />
Ulrich Jonas (ujo), Frank Keil (fk),<br />
Benjamin Laufer (bela), Misha Leuschen (leu),<br />
Korrektorat Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />
Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Cedric Horbach<br />
Online-Redaktion Simone Deckner,<br />
Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />
Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />
Anzeigenvertretung Caroline Lange,<br />
Wahring & Company, Tel. 040 284 09 418,<br />
c.lange@wahring.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 23 vom 1. Januar <strong>2018</strong><br />
Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />
Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann,<br />
Sergej Machov, Frank Nawatzki, Elena Pacuraru,<br />
Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />
Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />
Rechnungswesen/Systemadministration<br />
Frank Belchhaus<br />
Spendenmarketing Gabriele Koch<br />
Spendenverwaltung/Rechnungswesen<br />
Susanne Wehde<br />
Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Isabel Kohler<br />
Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer<br />
(Leitung), Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />
Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Stefan Calin, Ionel Lupu, Bianca Raducan<br />
Das Team von Spende Dein Pfand<br />
am Airport Hamburg<br />
Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger,<br />
Jonas Gengnagel, Klaus Peterstorfer, Herbert Kosecki<br />
Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />
Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing<br />
GmbH & Co. KG<br />
Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />
und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />
Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73<br />
BIC: HASPDEHHXXX<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch<br />
den aktuellen Freistellungsbescheid des Finanzamts<br />
Hamburg-Nord, Steuernummer 17/414/00797, vom<br />
15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />
des Körperschaftssteuergesetzes von der<br />
Körperschaftssteuer und nach §3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes<br />
von der Gewerbesteuer befreit.<br />
Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als gemeinnützige Verlags- und Vertriebs<br />
GmbH im Handelsregister beim Amtsgericht Hamburg<br />
HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen, dass wir<br />
Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />
Adressen werden nur intern verwendet und nicht an<br />
Dritte weitergegeben. Beachten Sie unsere<br />
Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt,<br />
das obdachlosen und ehemals obdachlosen Menschen<br />
Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben,<br />
Wohnungslose und ehemals Wohnungslose verkaufen es<br />
auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
FOTO: ANDREAS HORNOFF,<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 3. Quartal <strong>2018</strong>:<br />
61.666 Exemplare
KUNZT-<br />
KOLLEKTION<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />
www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale 4 Euro, Ausland auf Anfrage.<br />
Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />
2.<br />
1.<br />
3.<br />
1. Schürze „<strong>Kunzt</strong>Küche“<br />
100% GOTS zertifi zierte Bio-Baumwolle.<br />
Farbe: norddeutschgrau,<br />
Schürzenbreite ca. 80 cm, Länge ca. 86 cm,<br />
hautfreundlich, atmungsaktiv, langlebig,<br />
pfl egeleicht und knitterarm.<br />
Maschinenwäsche bis 60 Grad.<br />
Von Kaya & Kato GmbH, Firma für<br />
fair produzierte Arbeitskleidung aus Köln,<br />
www.kaya-kato.de<br />
Preis: 25 Euro<br />
2. „Macht auch wach!“<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />
100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel<br />
oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />
Mischung, kräftiger Geschmack,<br />
ungemahlen, 250-g-Beutel, exklusiv von<br />
der Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />
Preis: jeweils 5,95 Euro<br />
3. Frühstücksbrettchen<br />
Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
aus der Serie „Schöne Aussichten“,<br />
Pension für Produkte Hamburg.<br />
Design: Wolfgang Vogler,<br />
Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />
lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />
in Deutschland gefertigt.<br />
Preis: 15,90 Euro<br />
4. Tasse „Fischkopp“<br />
Sonderedition für Hinz&<strong>Kunzt</strong> von der<br />
Hamburger Firma AHOI MARIE.<br />
Qualitätsporzellan von Kahla aus Thüringen.<br />
Design: Jan-Hendrik Holst.<br />
Keramischer Siebdruck.<br />
Maße: D: 9 cm, H: 9 cm,<br />
mikrowellen- und spülmaschinentauglich.<br />
Preis: 13,90 Euro<br />
5. Jubiläumsbonbons von Lutschebuller<br />
Lutschbonbons in den Geschmacksrichtungen<br />
Vanille-Zimt und Kaffee-Vanille.<br />
Hergestellt in Hamburg nach dänischem Rezept.<br />
Vegan, aber nicht zuckerfrei.<br />
Preis pro Glas: 3,95 Euro<br />
6. Haftnotizen<br />
Haftnotizpapier mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Logo fürs<br />
Büro, Zuhause und alle Lebenslagen, in denen<br />
Gedanken schnell festgehalten werden müssen.<br />
5 Blocks à 50 Blatt, 7 x 7 cm.<br />
Preis: 6,50 Euro<br />
7. „Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte für Kinder<br />
über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />
illustriert von Jutta Bauer.<br />
Preis: 4,80 Euro<br />
4.<br />
6.<br />
7.<br />
5.
Wir möchten, dass Sie es warm haben.<br />
Als Spezialist für umweltfreundliche und hocheffiziente Wärmelösungen<br />
sorgt HanseWerk Natur seit Jahrzehnten für warme Wohnzimmer und<br />
Werkshallen im Norden. Und weil wir wissen, dass menschliche Wärme<br />
genauso wichtig ist wie eine warme Heizung, unterstützen wir seit vielen<br />
Jahren das Hamburger Straßenmagazin Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Energielösungen für den Norden