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Hinz&Kunzt 309 November 2018

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Das Hamburger<br />

Straßenmagazin<br />

Seit 1993<br />

N O <strong>309</strong><br />

Nov.18<br />

2,20 Euro<br />

Davon 1,10 Euro<br />

für unsere Verkäufer<br />

Happy<br />

Birthday!<br />

Extra stark: Unsere<br />

Jubiläums-Ausgabe zum<br />

25. Geburtstag


Neues Leben<br />

im Exil<br />

groothuis.de Foto: Körber-Stiftung/Friedrun Reinhold<br />

Die Körber-Stiftung engagiert sich für Menschen,<br />

die in Deutschland im Exil leben. In Veranstaltungen,<br />

Publikationen und Videos erzählen sie vom Verlust<br />

der Heimat, vom Ankommen in unserer Gesellschaft<br />

und wie sie die neue Freiheit nutzen.<br />

www.koerber-stiftung.de/exil<br />

Faisal Hamdo,<br />

Autor und Physiotherapeut<br />

aus Syrien<br />

@gesichterdesexils<br />

auf Instagram<br />

folgen<br />

Körber-Stiftung<br />

Kehrwieder 12 | 20457 Hamburg


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Inhalt<br />

Inhalt –<br />

extra stark<br />

TITELBILD: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Hinz&Künztler<br />

6 Besuch bei Verkäufern an ihren<br />

Stammplätzen<br />

16 Hamburger Mutmacher: Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Initiator Stephan Reimers<br />

28 Betten aus Beton: Verkäufer zeigen<br />

ihre Platte<br />

82 Ein kleines Stückchen Glück:<br />

Haus besuche bei Hinz&Künztlern<br />

90 Unsere frühere Herausgeberin<br />

Annegrethe Stoltenberg gratuliert<br />

92 Unser Herausgeber Dirk Ahrens wagt<br />

einen Ausblick<br />

100 Umfrage unter Hinz&Künztlern und<br />

Teammitgliedern: Was bedeutet dir<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>?<br />

Lebenslinien<br />

40 Hinz&Künztler Ralf findet wieder mit<br />

seiner Familie zusammen<br />

64 Stark: Elena aus Rumänien ist nie<br />

zur Schule gegangen. Jetzt lernt sie<br />

Lesen und Schreiben – auf Deutsch<br />

98 Der reuige Bankräuber<br />

Seit 20 Jahren obdachlos: Ein richtiges Zuhause hatte<br />

Michael noch nie – er zeigt uns seine Platte (S. 28).<br />

Freunde<br />

44 Unsere Leser sagen:<br />

„Ich lese Hinz&<strong>Kunzt</strong>, weil …“<br />

68 Im Museum der Arbeit entsteht eine<br />

neue Postkarten-Edition<br />

80 Eine Erfolgsgeschichte: Der Grüne<br />

Punkt und unsere Pfandbeauftragten<br />

am Flughafen Hamburg<br />

96 Unser Beirat bekennt Farbe:<br />

„Ich engagiere mich, weil …“<br />

Stadtgespräch<br />

18 Rückblick auf ein Vierteljahrhundert<br />

Winternotprogramm<br />

24 Hinz&<strong>Kunzt</strong>: 25 Jahre in Zahlen<br />

76 Neue Studie: Obdachlose sterben<br />

mit durchschnittlich 49 Jahren<br />

78 Kommentar: Vier Wände sind die<br />

beste Medizin gegen frühen Tod<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

50 Gustav Peter Wöhler im Gespräch<br />

54 Hinz&Künztler zeigen ihre<br />

Lieblingsbilder in der Kunsthalle<br />

62 Zwei Comics mit<br />

Dodo Dronte<br />

72 Das Hamburger<br />

Ärzteorchester spielt<br />

für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Rubriken<br />

74 Meldungen<br />

106 Tschüss&Impressum<br />

Powerfrau: Elena<br />

arbeitet als Reini gungskraft<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> (S. 64).<br />

Freunde fürs Leben:<br />

Kumpel Dieter (links) freut<br />

sich, dass Ralf wieder bei<br />

seiner Familie lebt (S. 40).<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk


Ein Montag, 9.30 Uhr in der<br />

Altstädter Twiete: Ein paar<br />

Teammitglieder und Verkäufer<br />

posieren für ein Gruppenfoto.<br />

Ganz vorne Chefredakteurin<br />

Birgit Müller (Mitte) und<br />

Geschäftsführer Jens Ade.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Editorial<br />

Danke, Hamburg!<br />

FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Nicht zu glauben, dass seit unserem Verkaufsstart am 6. <strong>November</strong><br />

1993 wirklich 25 Jahre vergangen sind. Ein Vierteljahrhundert!<br />

Wie zuversichtlich wir damals waren und wie<br />

optimistisch! Und ehrlich gesagt: In weiten Teilen sind wir das<br />

immer noch. Jeden Tag erleben wir, wie eine Geschichte, die<br />

wir als total verfahren eingestuft haben, zu einem Happy End<br />

führt. Gerade haben wir das wieder bei Ralf erlebt. Der Lkw-<br />

Fahrer hatte die Trennung von seiner Familie nicht verkraftet,<br />

war von einem Tag auf den anderen verschwunden. Doch<br />

seine Lebensgefährtin und die Kinder haben sich auf die<br />

Suche nach ihm gemacht – und ihn wiedergefunden (Seite 40).<br />

Oder Elena aus Rumänien, die mit ihrem Mann und ihren<br />

Kindern in Hamburg obdachlos war. Die keinen Tag in ihrem<br />

Leben zur Schule ging – und die jetzt eine Wohnung hat und<br />

bei uns als Reinigungskraft arbeitet. Und die es „nebenbei“<br />

schafft, Lesen, Schreiben und Deutsch<br />

zu lernen (Seite 64). Dazu unsere täglichen<br />

Erfahrungen mit Verkäufern, die<br />

auf einem Stammplatz stehen: Die meisten<br />

fühlen sich dort zugehörig und gebraucht,<br />

haben sich eine Art Freundeskreis<br />

aufgebaut (Seite 6).<br />

Aber wir waren auch naiv. Wir<br />

glaubten damals allen Ernstes, dass wir<br />

„die Obdachlosigkeit“ in Hamburg binnen<br />

zwei Jahren überwinden könnten.<br />

Leider sind wir heute davon weiter entfernt<br />

als 1993. Als wir damals von einer Stiftung Wohncontainer<br />

für Obdachlose angeboten bekamen, waren wir fast empört.<br />

Menschen in Containern? Geht ja gar nicht! Die<br />

brauchen doch Wohnungen (Seite 82)! Die waren damals<br />

knapp, aber heute sind sie auch für Menschen mit Arbeit<br />

Mangelware. Heute würden wir jeden Container nehmen –<br />

mit Kusshand, vor allem, wenn es einen Stellplatz dafür gäbe.<br />

Weil es allerorten an Unterkünften fehlt, ist die Stadt quasi<br />

zu einer großen Platte geworden. Jeden Tag müssen wir alle<br />

miterleben, wie Menschen auf der Straße verelenden.<br />

Ein für alle Hamburgerinnen und Hamburger kaum erträglicher<br />

und deprimierender Zustand. Und weil sich viele<br />

hilflos fühlen, versuchen sie, dieses Elend nicht mehr an sich<br />

herankommen zu lassen. Auch unter den Obdachlosen selbst<br />

wird der Ton rauer, die Gewalt wächst. Manchmal deshalb,<br />

weil der eine dem anderen den trockenen Schlafplatz neidet;<br />

in einem Fall ging es um einen Platz in einer Tiefgarage. Dass<br />

der Konkurrenzdruck steigt, merken wir auch bei uns: Verkäufer<br />

ohne Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausweis betteln mit dem Magazin<br />

und bringen so die Kollegen und uns in Bedrängnis. Und<br />

schaden dem guten Ruf, den wir uns in all den Jahren aufgebaut<br />

haben.<br />

„Wir lassen uns<br />

nicht unterkriegen.<br />

Hoffentlich<br />

spüren Sie das.“<br />

Vielleicht sind wir immer noch naiv, wenn wir fordern: Eine<br />

derartige Verrohung und Verelendung darf es in unserer<br />

Stadt, in unserer Gesellschaft nicht geben! Und wenn wir uns<br />

wünschen: Es muss für alle ein Dach über dem Kopf geben.<br />

Im Winter schafft die Stadt Abhilfe, da gibt es immerhin<br />

ein Winternotprogramm (Seite 18). Seit Jahren fordern wir zusammen<br />

mit unseren Kollegen der Wohnungslosenhilfe, dass<br />

dieses Notprogramm auch tagsüber geöffnet wird – und zwar<br />

für alle. Vergeblich. Osteuropäer bekommen sogar gar kein<br />

Bett. Nach dem Winter geht’s für die meisten wieder zurück<br />

auf die Straße. Dabei weiß man: Ein Leben als Obdachloser<br />

ist so ungesund, dass er im Durchschnitt 30 Jahre früher stirbt<br />

als ein „normaler“ Bundesbürger (Seite 76).<br />

Trotzdem: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Hoffentlich<br />

spüren Sie das, wenn Sie unser Jubiläumsmagazin durchblättern.<br />

Wir wünschen uns sehr, dass<br />

wir weiterhin positive Zeichen setzen,<br />

die Mut machen. Zu diesem Zweck hat<br />

uns Stephan Reimers damals ja auch<br />

gegründet (Seite 16). Die Projekte „Brot-<br />

Retter“ und „Spende Dein Pfand“ (Seite<br />

80) sind ja schon ein Anfang. Da haben<br />

wir mit unseren Kooperationspartnern<br />

Jobs für Hinz&Künztler geschaffen.<br />

Oder mit der „<strong>Kunzt</strong>Küche“, unserem<br />

Restaurant auf Zeit, in dem zwölf<br />

Hinz&Künztler als Küchenhelfer fest<br />

angestellt waren. Jetzt erscheint unser Kochbuch mit Rezepten<br />

von allen Köchen, die mitgemacht haben (Seite 39). Übrigens:<br />

Die aktiven Hinz&Künztler bekommen vom Erlös 25<br />

Magazine dieser Jubiläumsausgabe zum Geburtstag geschenkt.<br />

In Zukunft wollen wir noch viel mehr kleine Leuchtturmprojekte<br />

gründen – und sehr gern würden wir das werden,<br />

was uns unser Herausgeber Dirk Ahrens (Seite 92)<br />

wünscht: ein soziales Innovationslabor.<br />

Jetzt aber wollen wir erst mal Danke sagen: Allen Hamburgerinnen<br />

und Hamburgern, die uns immer die Treue<br />

gehalten haben. Allen ehemaligen und derzeitigen Mitarbeitern<br />

und Kooperationspartnern, die dieses Projekt überhaupt<br />

möglich machen. Allen 6555 Hinz&Künztlern, die bisher bei<br />

uns mitgemacht haben: Allen, die den Absprung geschafft<br />

h aben – hoffentlich in ein besseres Leben, und allen 530<br />

aktuellen Verkäuferinnen und Verkäufern, die auch in harten<br />

Zeiten einen super Job machen und unsere gemeinsame Idee<br />

als unsere Botschafter auf der Straße repräsentieren – bei<br />

Sonne, Wind und Regen. •<br />

Ihre Birgit Müller für das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />

(Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />

5


Mein<br />

Stammplatz<br />

Rund 350 der insgesamt 530 Hinz&Künztler verkaufen unser Magazin<br />

seit Monaten, teilweise gar seit Jahrzehnten, an ein und demselben Ort.<br />

Mit der Zeit hat sich bei vielen eine große Verbundenheit mit<br />

Kunden, Marktleitern und -mitarbeitern entwickelt. Redakteur<br />

Jonas Füllner und Fotograf Mauricio Bustamante haben<br />

Hinz&Künztler an ihren Stammplätzen besucht.<br />

Der Marktschreier vom Isemarkt<br />

Mit den umliegenden Händlern auf<br />

dem Isemarkt ist Holger per Du. „Holger<br />

und ich kennen uns seit bald vier<br />

Jahren“, sagt „Gürtelmann“ Dirk Wiese<br />

(links). „Wenn mal weniger los ist, dann<br />

quatschen wir auch ein bisschen über<br />

Gott und die Welt“, sagt Holger, der<br />

seinen Stammplatz auf der Verkehrsinsel<br />

an der Ecke Jungfrauenthal hat.<br />

Aber dass wenig los ist, das kommt<br />

auf dem Isemarkt dann doch selten vor.<br />

Schließlich lenkt Holger auf seiner kleinen<br />

„Insel“ auch alle Aufmerksamkeit<br />

auf sich: „Ich mache hier auf Marktschreier“,<br />

erzählt der 54-Jährige stolz,<br />

und dann setzt er auch schon wieder<br />

an: „Die neue Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist da. Heiß<br />

und fettig.“<br />

6


Theo Daniel (rechts vor der Säule) vom<br />

benachbarten Aromagarten muss lachen.<br />

„Wir verstehen uns super, und bei<br />

den Kunden kommt Holgers Art hervorragend<br />

an.“ Dass ein ehemaliger<br />

Obdachloser seinen Platz gleich nebenan<br />

hat, stört die beiden keineswegs. Im<br />

Gegenteil: „Viele bleiben bei Holger<br />

stehen und gucken sich dann ja auch<br />

um“, sagt Wiese schmunzelnd.<br />

Teil der „Verkäufergemeinschaft“<br />

auf dem Isemarkt ist auch Anita Wulff<br />

7<br />

(links vorne im Bild). Im Rücken der<br />

Kamera hat sie ihren Blumenstand mit<br />

einer sensationellen Vielfalt unterschiedlicher<br />

Heidekräuter. Auch sie<br />

sagt: „Holger gehört dazu. Ich finde es<br />

gut, dass er hier bei uns steht.“ •


Die „Kiezgröße“ von St. Pauli<br />

Jeder Leser hat in der Regel einen<br />

„Stammverkäufer“. Für Fotograf Mauricio<br />

Bustamante und Redakteur Jonas<br />

Füllner ist das Krzysztof. Die Macher<br />

dieser Fotostrecke leben seit vielen Jahren<br />

auf St. Pauli. Mit zum Foto shooting<br />

haben sie ihre Familien gebracht: Jonas’<br />

Freundin Nina Fabricius mit der gemeinsamen<br />

Tochter Leo auf dem Arm<br />

und Mauricios Frau Angie mit den<br />

Töchtern Valentina (im Ladeneingang))<br />

und Sofia (vorne). Sie alle treffen den<br />

Hinz&Künztler mehrmals die Woche<br />

beim Einkauf. Der 59-Jährige gehört<br />

dazu. Ohne ihn würde etwas fehlen.<br />

Das sieht auch Filialleiterin Verena<br />

Haupt so, die seit rund 35 Jahren den<br />

Edeka-Markt in der Paul-Roosen-Stra-<br />

8


ße unweit der Reeperbahn leitet: „Wir<br />

mögen Krzysztof und es läuft alles gut.“<br />

Sie kann sich immerhin noch an eine<br />

Zeit erinnern, als Krzysztof noch nicht<br />

da war. „Aber das ist lange, lange her.<br />

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht mehr,<br />

wann er hier angefangen hat.“ Auch ihr<br />

langjähriger Kollege Claus Weise zuckt<br />

mit den Schultern.<br />

Kein Wunder: Krzysztof hat seit 18<br />

Jahren seinen Stammplatz auf dem<br />

Kiez. Und logischerweise kennt er die<br />

9<br />

Familien von Mauricio Bustamante und<br />

Jonas Füllner, aber er wusste nichts über<br />

die beruflichen Zusammenhänge. So<br />

war er beim Shooting überrascht: „Seid<br />

ihr jetzt alle bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>?“, fragte<br />

er scherzhaft. •


Hinz&Künztler<br />

WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Der Computerexperte aus Volksdorf<br />

Albert hatte wenig Mühe, Kunden für das Fotoshooting an seinem Stammplatz zu<br />

versammeln. Gekommen sind: Anna-Maria Siegert, Evelin Scheiblich, Susanne<br />

Krebs, Gisela von Waldow, Renate Wohlert, Christine Havelmann, Barbara Sanmann<br />

(von links) und Marktleiter Heiko Böhmermann vom benachbarten Simon<br />

Frischemarkt. Sie wohnen oder arbeiten fast alle in den Häusern rund um die beliebte<br />

Fußgängerzone in Volksdorf. Fast täglich begegnen sie dem Hinz&Künztler.<br />

Marktleiter Heiko Böhmermann ist froh, dass Albert an seinem Markt verkauft:<br />

„Wir kennen uns jetzt seit sieben Jahren, und Albert ist immer freundlich und nett<br />

zu den Kunden.“ Der 56-Jährige ist ein beliebter Gesprächspartner. Und er ist für<br />

seine Hilfsbereitschaft bekannt: „Bei uns Alten ist es ja so, dass immer mal wieder<br />

ein Blumentopf oder Einkauf zu schwer ist“, sagt Kundin Susanne Krebs, die nur<br />

wenige Meter von Alberts Verkaufsplatz entfernt wohnt. Albert springt dann gerne<br />

ein: Egal ob es darum geht, einen Schrank zusammenzuschrauben, Plastiktüten<br />

hochzutragen oder ein neues Programm auf dem Computer zu installieren.<br />

„Albert ist unser Computerexperte“, freut sich Gisela von Waldow. Bei so viel Lob<br />

läuft Albert rot an. Dann sagt er: „Ich möchte meinen Kunden gerne etwas zurückgeben<br />

für die Unterstützung, die ich durch sie erhalte.“ Seine Kunden schätzen<br />

das: „Ich freue mich immer, Albert hier anzutreffen“, sagt Susanne Krebs. •<br />

Der hilfsbereite Schenefelder<br />

Seit vielen Jahren kauft Jobst Böhning (hinten rechts mit Fahrrad) seine<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> bei Jan in Schenefeld. Sein Stammverkäufer ist dem ehemaligen Vorsitzenden<br />

des Hamburger Spendenparlaments ans Herz gewachsen. Beim Einkauf<br />

klönen sie in der Regel kurz. Man tauscht sich aus. Und Jan erzählt auch von seinen<br />

Problemen. So kam es, dass sich Böhning vor etwa fünf Jahren zusammen mit<br />

anderen Kunden für Jan eingesetzt hat, als der in Schwierigkeiten war. Jan hat das<br />

nicht vergessen. „Ich mag meine Kunden sehr“, sagt er. Und er ist dankbar. Für<br />

die Unterstützung, die er immer wieder erfährt. Auch dass er eine kleine Wohnung<br />

fand, verdankt er einem seiner Stammkunden. „Ich brauche mit dem Fahrrad nur<br />

wenige Minuten bis hierher“, sagt Jan. „Alles ist perfekt. Da hatte ich großes<br />

Glück.“ An seinem Verkaufsplatz ist der 67-Jährige vollständig akzeptiert und man<br />

schätzt seine Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber den Kunden. Obwohl<br />

der Markt längere Zeit umgebaut wurde, konnte er danach zurückkehren.<br />

„Es gibt seitdem keinen Tag, an dem Jan nicht vor dem Aldi steht“, sagt Bernd<br />

Wittenberg (vorne im Bild), der mit seiner Frau Karin regelmäßig in dem Geschäft<br />

in der Friedrich-Ebert-Allee in Schenefeld einkauft. „Man kennt sich, grüßt sich,<br />

und er ist der Verkäufer, bei dem wir eben auch sehr gerne unsere Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

kaufen.“ •<br />

11


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Hinz&Künztler<br />

Gute Beratung<br />

ist die halbe Miete<br />

Unsere Juristen beraten Sie<br />

professionell und engagiert<br />

Die Parkbank-Wächterin von Rissen<br />

Mieter helfen Mietern<br />

Hamburger Mieterverein e. V.<br />

www.mhmhamburg.de<br />

040 / 431 39 40<br />

Karens Stammplatz ist außergewöhnlich: Kein Geschäft, kein Marktplatz, sondern<br />

eine öffentliche Parkbank. Mitten in der Einkaufsstraße von Rissen – der Wedeler<br />

Landstraße. Für Karen hängen viele Erinnerungen an diesem Ort. „Mein<br />

pix & pinsel . madle@pixundpinsel.de . +49 (0<br />

Freund Jörg stand hier früher Tag für Tag und verkaufte Hinz&<strong>Kunzt</strong>“, erzählt die<br />

46-Jährige. Doch vor vier Jahren verstarb Jörg nach langer Krankheit. Daraufhin<br />

Die<br />

fing Karen selbst an, Hinz&<strong>Kunzt</strong> an demselben Ort zu verkaufen. „Ich hatte Großuhrwerkstatt<br />

einen Burn-out, war arbeitslos und mir wäre sonst wohl die Decke auf den Kopf<br />

Bent Borwitzky<br />

gefallen“, sagt sie. Bei den Kunden ihres Partners fand sie Halt und Zuspruch.<br />

Uhrmachermeister<br />

Über die Jahre wurden sie Freunde. Sie kennen daher auch die Geschichte der<br />

Telefon: 040/298 34 274<br />

kleinen goldenen Plakette auf der Parkbank. Die hat Karen in Erinnerung an Jörg<br />

www.grossuhrwerkstatt.de<br />

dort angebracht. Lange musste sie darum mit dem zuständigen Bezirk ringen.<br />

Verkauf und Reparatur<br />

von mechanischen Tisch-,<br />

Auch dabei konnte sie auf die Hilfe ihrer Kunden bauen. Zwei ihrer liebsten<br />

Wand- und Standuhren<br />

Kunden sind Ingeborg Zerna und Jelle Baur. „Karen steht unter meiner ständigen<br />

Kontrolle“, sagt Jelle Baur mit einem Augenzwinkern. Von seinem Büro aus kann<br />

der Hausverwalter auf Karens Stammplatz herunterblicken. „Aber Spaß beiseite“,<br />

fügt er dann an. „Wir sind für Karen da.“ Und Ingeborg Zerna sagt: „Wenn<br />

sie Hilfe oder einfach mal jemanden zum Reden braucht, kann sie sich immer an<br />

uns wenden.“ •<br />

Endlich wieder glücklich in Niendorf<br />

Damit sie nicht den ganzen Tag stehen muss, hat Sonja an ihrem Verkaufsplatz in<br />

der Kollaustraße einen Stuhl. Den darf sie nach Feierabend im Supermarkt unterstellen.<br />

„Mit den Verkäufern bei Lidl verstehe ich mich gut“, sagt Sonja. Und vor<br />

dem Geschäft kann sie auf ihre treuen Stammleser bauen. Kirsten Schatte-<br />

Kuckuck (links) und Renate Dieckmann nehmen sich extra Zeit für das Fotoshooting.<br />

Dass sie echte Stammkundinnen sind, merkt man daran, dass sie gleich die<br />

Gelegenheit nutzen, den Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kalender zu erwerben. „Ich lese gerne<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Eine richtig gute Zeitung, und außerdem unterstütze ich damit meine<br />

Stammverkäuferin“, sagt Kirsten Schatte-Kuckuck. Renate Dieckmann hingegen<br />

hält sich im Hintergrund. Dabei sei vor allem sie eine ganz wichtige Stütze, verrät<br />

Sonja. Vor ein paar Jahren erlitt die Hinz&Künztlerin auf der Arbeit einen Burnout.<br />

Es hätte nicht viel gefehlt und sie wäre auf der Straße gelandet, erinnert sie<br />

sich. Durch den Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkauf gewann die 57-Jährige wieder Stabilität.<br />

Als es darum ging, ihre Frühverrentung durchzusetzen, nahm Rechtsanwaltsgehilfin<br />

Dieckmann sie mit in die Kanzlei und stand ihr zur Seite. „Ich bin unfassbar<br />

glücklich, dass ich solch eine tolle Kundin habe“, sagt Sonja. „Für mich ist es<br />

deswegen eben auch eine Selbstverständlichkeit, jeden Tag von morgens bis zum<br />

späten Nachmittag an meinem Stammplatz zu stehen.“ •<br />

13


Hinz&Künztler<br />

Der Nikolaus von Krupunder<br />

Edeka Töpfert in Krupunder ohne Hinz&Künztler Peter?<br />

Das kann sich Kundin Anne-Margret Ockelmann nicht vorstellen.<br />

Seit mehr als 50 Jahren lebt die Rentnerin im Stadtteil<br />

und geht praktisch täglich in dem Edeka-Markt einkaufen.<br />

Sei es, um nur ein Brot zu holen. Dabei begegnet sie stets<br />

Hinz&Künztler Peter. Seit 1997 hat der 60-Jährige vor dem<br />

Supermarkt seinen Stammplatz. Kein Wunder also, dass ihn<br />

viele Kunden beim Namen kennen und grüßen. Richtig eng<br />

ist das Verhältnis zwischen Peter und Filialleiter Sven Töpfert<br />

(links im Bild). Der war noch Auszubildender, als Peter seinen<br />

Stammplatz erhielt. Später übernahm der junge Töpfert<br />

das Geschäft seines Vaters. „Peter ist ein verrückter Typ, der<br />

gerne ein wenig provoziert“, erzählt Sven Töpfert. Vor einem<br />

Länderspiel zwischen den Niederlanden und Deutschland<br />

schmückte Peter beispielsweise seinen Verkaufsstand mit einer<br />

Oranje-Fahne. Das sorgte natürlich für Diskussionen.<br />

Aber Peter macht nicht nur mit ungewöhnlichen Aktionen<br />

oder frechen Sprüchen auf sich aufmerksam, sondern ist zudem<br />

ein wichtiger Teil des Supermarktes, pflichtet ihm Supermarkt-Kollegin<br />

Susanne Wuver bei. Ein Beispiel? „Als vor<br />

ein paar Jahren niemand mehr den Nikolaus für die Kinder<br />

spielen wollte, hat Peter das übernommen“, so Sven Töpfert.<br />

„Das kam richtig gut an.“ Am 6. Dezember ist er wieder im<br />

Einsatz. Sein Kostüm hat Peter sich schon zurechtgelegt. •<br />

Raus aus der Hölle in Heimfeld<br />

Der Weg von Harburg bis Rellingen ist weit. Hinz&Künztlerin<br />

Loredana tingelt trotzdem gerne mit Bus und Bahn quer<br />

durch die Stadt. Der Aldi-Markt an der Krupunder Heide ist<br />

seit drei Jahren ihr Platz. Die Verkäufer Marcel Ambrosins,<br />

Corinna Damm, Marina Schade und die stellvertretende<br />

Marktleiterin Thekla Schulz (von links an der Säule) finden<br />

nur lobende Worte für die junge Rumänin. „Wir sind glücklich,<br />

dass wir so eine sympathische Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäuferin<br />

bei unserem Markt haben“, sagt Thekla Schulz. Beliebt<br />

ist Loredana auch bei ihren Stammkunden: Heike Dehn,<br />

Rosemarie Thiele, Doris Hönemann, Horst Behnsen und<br />

Martina Genge (von links nach rechts vorne) kaufen jeden<br />

Monat ihr Magazin bei der 26-Jährigen. „Loredana hat es<br />

nicht leicht, deswegen unterstützen wir sie gerne“, sagt Doris<br />

Hönemann. Tatsächlich hat Loredana mit ihrer Familie erst<br />

vor einem Jahr ein richtiges Zuhause gefunden. Ein Aufstieg<br />

für die junge Rumänin, die zuvor in einem überfüllten<br />

Haus in der Seehafenstraße in Heimfeld lebte. Im September<br />

2017 führte die Sozialbehörde eine Razzia durch, um den<br />

Vermieter der Abzocke zu überführen. An den Zuständen<br />

veränderte sich aber wenig, sagt Loredana. „Ich bin glücklich,<br />

dass wir inzwischen eine neue Wohnung gefunden<br />

haben.“ Um die jetzt deutlich höhere Miete zahlen zu können,<br />

arbeitet sie zudem als Reinigungskraft. •<br />

15


Hinz&Künztler<br />

Stephan Reimers war<br />

von 1992 bis 1999<br />

Landespastor und<br />

Chef des Diakonischen<br />

Werkes in Hamburg.<br />

Außerdem war er<br />

Gründer und Herausgeber<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Hamburger Mutmacher<br />

Der Gründer von Hinz&<strong>Kunzt</strong> heißt Stephan Reimers. Jetzt hat der<br />

ehemalige Diakoniechef und Landespastor ein Buch über all die Projekte geschrieben,<br />

die er ins Leben rief. In einigen Kapiteln geht es auch um uns. Ein Auszug.<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Die starke Zuwanderung der 1990er-Jahre traf auf<br />

eine Stadt, die bereits von einer Aufspaltung in<br />

arme und reiche Stadtteile geprägt war. Entweder<br />

tendierten Ortsteile dazu, sich zu sogenannten<br />

besseren Wohnlagen zu entwickeln, oder sie rutschten ab<br />

in Richtung eines neuen sozialen Brennpunkts mit vielen<br />

Arbeitslosen und Menschen, die von Sozialhilfe abhängig und<br />

oft zugewandert sind. Segregation nennen Soziologen diese<br />

Auseinanderentwicklung einer Stadtgesellschaft. Das Gefährliche<br />

an dieser Entwicklung ist, dass die Menschen sich so weit<br />

aus den Augen verlieren, dass das Gefühl für das Gemeinsame<br />

schwindet und Ängste voreinander entstehen. Dabei<br />

aber geht Toleranz verloren, die Fähigkeit, das Anderssein des<br />

anderen auszuhalten.<br />

Im Winter 1992 waren in Hamburg obdachlose Menschen<br />

nicht zu übersehen. Sie sammelten sich in kleinen<br />

Grüppchen an vielen Stellen der Innenstadt. Die Vorbeigehenden<br />

sahen sie in der Regel nicht an, sondern schauten<br />

in einer Mischung aus Mitleid und Unbehagen geflissentlich<br />

an ihnen vorbei.<br />

Der Verkauf von Hinz&<strong>Kunzt</strong> aber eröffnete nun eine<br />

neue Möglichkeit. Man konnte miteinander sprechen,<br />

Anteilnahme ausdrücken und Vertrauen gewinnen. Der<br />

„Das soziale Klima der<br />

Stadt erwärmte sich.“<br />

STEPHAN REIMERS<br />

Weihnachtsverkauf der Zeitung war begleitet von Zigtausenden<br />

Dialogen, manchmal nur aus einem freundlichen<br />

Wunsch bestehend oder einem bedauernden „Ich hab schon<br />

eine“. Oft aber entspannen sich längere Gespräche aus der<br />

16


Hinz&Künztler<br />

ersten Kontaktaufnahme. Schlagfertigkeit, Witz und Humor<br />

wurden gegenseitig entdeckt. Begegnungen von Mensch zu<br />

Mensch, geprägt von echtem Interesse – für beide Seiten eine<br />

ungewohnte Erfahrung. Eine Käuferin schrieb mir: „Ich<br />

sprach mit einigen begeisterten Verkäufern. Sie sind glücklich,<br />

nicht nur so zu betteln, sondern was zu tun zu haben.<br />

Sie sind stolz auf neue Schuhe und Jacken, stolz darauf, nicht<br />

überall herauszufliegen, wo sie gern mal einkehren möchten.“<br />

Viele Verkäufer haben ihre ersten Verdienste tatsächlich<br />

in Kleidung investiert. Gegen die Kälte, aber auch, um<br />

der neuen Rolle gerecht zu werden. Es geht um die Augenhöhe<br />

für die vielen Gespräche mit interessierten und engagierten<br />

Käufern. Eine andere Leserin lobte: „Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist<br />

sehr gut als ‚Mitbringsel‘ geeignet, um eine Diskussion über<br />

dieses Thema in Gang zu setzen. Aber das ist nicht die<br />

Hauptsache. Wichtig ist für mich ganz persönlich der<br />

Kontakt zu den Verkäufern. Das hilft mir, mit dem Obdachlosenproblem,<br />

vor dem man inzwischen die Augen wirklich<br />

nicht mehr verschließen kann, besser, natürlicher, toleranter<br />

und verständnisvoller umzugehen. Ich habe nicht mehr das<br />

Bedürfnis, die Straßenseite zu wechseln, sondern ich nehme<br />

mir jetzt oft die Zeit, mit den Obdachlosen zu reden.“<br />

Um zwei Dialoge aus dieser Zeit zu nennen: Adrienne<br />

Göhler, die Präsidentin der Kunsthochschule, erzählte mir lachend:<br />

„Ihr habt aber schlagfertige Verkäufer. Ich sage zu<br />

e inem: ‚Ich habe schon eine Zeitung bei einem Ihrer Kollegen<br />

gekauft.‘ Da sieht er mich an und sagt: ‚So, was steht<br />

denn drin?‘ Eine andere Frau erzählte mir, dass ihr beim<br />

Bezahlen plötzlich klar wurde: „Hoppla, jetzt kann ich mir<br />

keine Tasse Kaffee mehr kaufen.“ – „Macht nichts, dann<br />

lade ich Sie eben ein“, sagte der Verkäufer. Sprach’s und tat’s.<br />

Solche Ge-schichten und Briefe signalisierten ein Aufatmen,<br />

dass die Zeit des Schweigens vorüber war. Beziehungen<br />

zwischen Menschen konnten sich verändern. Das soziale<br />

Klima der Stadt erwärmte sich. •<br />

OBDACHLOSE<br />

VERTREIBEN?<br />

NICHT MIT UNS!<br />

Gratulation zu<br />

25 Jahren Hinz & <strong>Kunzt</strong>!<br />

KLARE KANTE – AUS LIEBE ZU HAMBURG<br />

Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Stephan Reimers: Hamburger Mutmacher,<br />

Ellert & Richter Verlag, 144 Seiten, 9,90 Euro<br />

Stephan Reimers präsentiert sein Buch im Gespräch mit Ivo<br />

Banek (erster Chefredakteur von Hinz&<strong>Kunzt</strong>), Chefredakteurin<br />

Birgit Müller, Landespastor Dirk Ahrens und Hauptpastorin<br />

Astrid Kleist am 23. <strong>November</strong> um 18 Uhr in der Jacobikirche,<br />

Jakobikirchhof 22; Eintritt frei<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> wünscht seinen Geschwistern, die auch von<br />

Stephan Reimers an einem 6. <strong>November</strong> aus der Taufe<br />

gehoben wurden, das Allerbeste: der Hamburger<br />

Tafel (1994), dem Hamburger Spendenparlament (1995),<br />

den Kirchenkaten (1996), dem Mitternachtsbus (1996)<br />

und der Rathauspassage (1997).<br />

17<br />

HAMBURG 1918/19<br />

25.04.<strong>2018</strong> – 25.02.2019<br />

#hamburg18_19<br />

www.hamburg-18-19.de


Ein Vierteljahrhundert<br />

Erfrierungsschutz<br />

Seit 1992 öffnet die Stadt jeden Winter Notunterkünfte für Obdachlose. Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

hat immer berichtet: über Wohnschiffe, Turnhallen und marode Gebäude, Überbelegung,<br />

Zwei-Klassen-System und Abschreckungspolitik. Ein Blick ins Archiv.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

18


Versifft, verseucht,<br />

menschenunwürdig:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> hat<br />

maßgeblich dazu<br />

beigetragen, dass<br />

der 2010 für Obdachlose<br />

geöffnete<br />

Bunker unter dem<br />

Hachmannplatz nach<br />

wenigen Wochen<br />

geschlossen wurde.<br />

Da war dieses Loch, mitten in der<br />

Wand. Faustgroß, eins davon in jedem<br />

Raum. Weil die Fenster sich nicht mehr<br />

öffnen ließen, sollten die Zimmer dadurch<br />

gelüftet werden, aber von draußen<br />

drangen statt frischer Luft vor<br />

allem Straßenlärm und beißende Kälte<br />

durch das Loch. Man könnte es pragmatisch<br />

nennen, wie die Stadt die Notunterkunft<br />

für Obdachlose hergerichtet<br />

hatte. Aber war das auch würdig? Sehr<br />

viel Mühe hatte man sich jedenfalls<br />

nicht gegeben: In die Räume mit den<br />

vergilbten Wänden hatte man ein paar<br />

Bettgestelle und für jeden Bewohner einen<br />

Stuhl gestellt. Es gab keine Tische,<br />

keine Schränke – und auch keine Privatsphäre:<br />

Insgesamt kamen hier 230<br />

Menschen unter, bis zu sechs in einem<br />

Zimmer. Hinter den milchigen Fenstern<br />

19<br />

die vielbefahrene Spaldingstraße. So<br />

bringt Hamburg also seine Obdachlosen<br />

unter? Bei meinem ersten Besuch<br />

im Winternotprogramm 2012 war ich<br />

erschüttert. Doch meine Kollegen hatten<br />

schon Schlimmeres gesehen …<br />

Seit ich bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> arbeite, ist<br />

der 1. <strong>November</strong> ein fester Termin: Das<br />

Winternotprogramm beginnt! In der<br />

kalten Jahreszeit nimmt es stets viel


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

Raum in den Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausgaben<br />

ein. Aus einem einfachen Grund: Am<br />

gefährlichsten ist das Leben auf der<br />

Straße im Winter. Den Obdachlosen<br />

drohen Erfrierungen und andere lebensgefährliche<br />

Erkrankungen. Die<br />

Stadt ist in der Pflicht, ihr Leben zu<br />

schützen. Sie tut das seit 1992 in unterschiedlichen<br />

Großunterkünften und<br />

durch die Finanzierung von Wohncontainern,<br />

die Kirchengemeinden auf ihren<br />

Grundstücken aufstellen. Wir wollen<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> darauf achten,<br />

dass die Würde der Schutzbedürftigen<br />

dabei gewahrt bleibt.<br />

Frühmorgens fahren wir deshalb zu<br />

Beginn des Programms in die Eimsbütteler<br />

Bundesstraße in das Zentrum für<br />

Wohnungslose der Diakonie, wo die<br />

begehrten Containerplätze vergeben<br />

werden. Jedes Mal sind schon Dutzende<br />

Obdachlose vor uns da, viele bereits<br />

seit dem Vorabend, manche warten<br />

bereits tagelang trotz Kälte und Regen<br />

vor der Tür. Denn für die Obdachlosen<br />

geht es um viel: Hier entscheidet<br />

sich, wer in den nächsten Monaten eine<br />

Tür bekommt, die er hinter sich<br />

schließen kann. Einen warmen Raum,<br />

den er sich nur mit einem Mitbewohner<br />

teilen muss und in dem er auch<br />

tagsüber bleiben kann. Die von der<br />

Sozialbehörde finanzierten Wohncontainer,<br />

die Kirchengemeinden auf<br />

ihren Grundstücken aufstellen, sind<br />

der Jackpot im Winternotprogramm.<br />

Mal gibt es 130 Plätze, mal nur 80. Es<br />

kommen so oder so jedes Jahr viel<br />

mehr Bewerber in die Bundesstraße,<br />

als es Plätze gibt. Jedes Mal ziehen verzweifelte<br />

Menschen mit ihrem Hab<br />

und Gut davon, die Kälte im Nacken.<br />

Ihre Geschichten wollen wir unseren<br />

Leserinnen und Lesern erzählen, darum<br />

sind wir dort.<br />

Wohncontainer<br />

sind der<br />

Jackpot im<br />

Notprogramm.<br />

Die, die keinen der begehrten Plätze<br />

bekommen haben, müssen sich nachmittags<br />

vor den Großunterkünften<br />

anstellen, die die Sozialbehörde den<br />

Winter über vorhält. Unvergessen ist<br />

mir der 1. <strong>November</strong> 2015. In der<br />

Münzstraße hatte der Unterkunftsbetreiber<br />

fördern&wohnen (f&w) ein Containerdorf<br />

mit 450 Plätzen aufgebaut.<br />

Circa 100 Obdachlose haben sich zur<br />

Eröffnung vor dem Bauzaun versammelt,<br />

der das Gelände umgibt. Als die<br />

Wachleute die Unterkunft nicht wie angekündigt<br />

um 17 Uhr öffnen, werden sie<br />

nervös. Manche drängeln und schubsen,<br />

andere rütteln am Zaun. Die Stimmung<br />

ist aggressiv. Es sind die Ärmsten<br />

Versiegelte Fenster: Für frische Luft sorgte in der Spaldingstraße ein Loch in der Wand.<br />

der Armen, die Angst davor haben,<br />

nicht mal nachts ein Dach über dem<br />

Kopf zu haben. Zum Glück bekommt<br />

am Ende jeder von ihnen einen Platz.<br />

Tagsüber müssen die Obdachlosen<br />

raus aus den Notunterkünften. Das ist<br />

eine der wenigen Konstanten in der<br />

Geschichte des Winternotprogramms:<br />

Der Erfrierungsschutz gilt nur nachts.<br />

Immer wieder erzählen uns Obdachlose,<br />

wie schlimm sie das finden. Schon<br />

im Jahr 2000 forderte Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

daher die ganztägige Öffnung – ohne<br />

Erfolg. Die verantwortliche Sozialbehörde<br />

begründet das unter anderem<br />

damit, dass die Obdachlosen tagsüber<br />

Beratungsstellen aufsuchen sollen. Aber<br />

niemand muss sich jeden Tag beraten<br />

lassen, erst recht nicht am Wochenende.<br />

Doch auch 100.000 Unterschriften,<br />

die wir zusammen mit Hinz&Künztler<br />

Jörg vergangenen Winter für eine<br />

Onlinepetition sammelten, konnten<br />

den Senat nicht umstimmen. „Man<br />

wird da behandelt wie Nutzvieh“, kommentiert<br />

das der Hinz&Künztler Michael.<br />

„Abends kannst du in den Stall,<br />

und morgens wirst du wieder auf die<br />

Weide geschickt.“ Da schläft Michael<br />

lieber gleich draußen.<br />

Trotz des Winternotprogramms<br />

übernachten immer auch zahlreiche<br />

Obdachlose im Freien. Glaubt man den<br />

Behörden, aus freien Stücken: „In<br />

Hamburg muss niemand auf der Straße<br />

übernachten!“ So oder so ähnlich sagen<br />

das alle Sozialsenatorinnen und -senatoren<br />

immer wieder. Das zeigt ein Blick<br />

in die Archive. Subtext: Wer nicht draußen<br />

schlafen muss und es trotzdem<br />

tut, der will es so. Stimmt nicht, hält<br />

unser Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer<br />

in Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausgabe 214 dagegen:<br />

„Die meisten Obdachlosen halten<br />

es in den großen Zimmern kaum<br />

aus, in denen bis zu acht einander fremde<br />

Menschen untergebracht werden.“<br />

Stephan ist empört: Auslöser für seinen<br />

Kommentar war der Beinahe-Tod eines<br />

Obdachlosen, der in einem Altpapiercontainer<br />

Schutz vor der Kälte gesucht<br />

hatte und fast der Müllpresse zum Opfer<br />

gefallen wäre. Da wirkten die Kommentare<br />

der Politiker wie Hohn.<br />

Die Größe der Unterkünfte sind<br />

immer wieder Thema bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

„Es wäre schön, wenn wir mehr Räume<br />

20


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Seefahrerromantik? Fehlanzeige: 1996 zwingt die Wohnungsnot in<br />

Hamburg die Menschen in Massenschlafsäle auf Wohnschiffen.<br />

hätten, die man intimer gestalten könnte“,<br />

sagt uns im März 1996 Unterkunftsleiter<br />

Dieter Norton. „Damit das<br />

Ganze nicht den Charakter einer<br />

Massenunterkunft hat.“ Damals übernachten<br />

in einem Schlafsaal auf dem<br />

Wohnschiff „Bibby Kalmar“, das in<br />

Neumühlen vor Anker liegt, bis zu 50<br />

Menschen in der zum Schlafsaal umfunktionierten<br />

Kantine. Später kommt<br />

ein zweites Schiff hinzu, die „Bibby<br />

Challenge“, mit 40 Plätzen im Schlafsaal<br />

und immerhin 60 in Zweierkabinen.<br />

Es helfe nicht, die Bettenzahl in<br />

den Unterkünften immer weiter aufzustocken,<br />

beklagt 2002 Sozialarbeiter<br />

Karrenbauer: „Wir brauchen kleinere<br />

Unterkünfte, um die Menschen von der<br />

Straße zu holen.“ Das Winternotprogramm<br />

war auf 113 Plätze, zuzüglich<br />

72 in den Kirchencontainern, gewachsen.<br />

Mit der Zeit verschieben sich die<br />

Maßstäbe weiter: 15 Jahre später sind<br />

es 900 Plätze, die in der Münzstraße<br />

und im Schaarsteinweg für Obdachlose<br />

zur Verfügung stehen. Die Forderung<br />

nach kleinteiligen Unterkünften, am<br />

liebsten über die Stadt verteilt, scheint<br />

2016 utopisch. Bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> sind<br />

Tagsüber müssen<br />

die Obdachlosen<br />

raus aus den<br />

Unterkünften.<br />

21<br />

wir schon froh, dass die vielen Obdachlosen<br />

überhaupt eine Möglichkeit haben,<br />

der Kälte zu entkommen.<br />

2010 verliert jedoch der damalige<br />

Senator Dietrich Wersich (CDU) die<br />

Qualität des Erfrierungsschutzes völlig<br />

aus den Augen. Angesichts großer Kälte<br />

und komplett überfüllter Notunterkünfte<br />

wie die in der Sportallee am Flughafen<br />

(2003–2011) öffnet er spontan den<br />

Weltkriegsbunker unter dem Hachmannplatz<br />

für bis zu 74 Obdachlose. So<br />

könne man „die Obdachlosen unserer<br />

Stadt auch in diesen sehr kalten Tagen<br />

gut versorgen“, wird Wersich in einer<br />

Pressemitteilung der Sozialbehörde von<br />

damals zitiert. Sie müssten die Schlafplätze<br />

aber auch annehmen. Da war er<br />

wieder, der kaum versteckte Vorwurf<br />

an die Obdachlosen. Dass es gute<br />

Gründe dafür gab, den Bunker zu meiden,<br />

fand unser Kollege Hanning Voigts<br />

heraus: Er verbrachte eine Nacht im<br />

Bunker und schrieb eine Reportage<br />

darüber. Mir wird beim Lesen ganz anders:<br />

„Niemand, der diesen Bunker<br />

kennt, kann ihn für eine Lösung halten“,<br />

steht dort. „Mehr als 30 Menschen<br />

in einem Raum ohne Fenster,<br />

Feldbetten ohne Laken, unzureichende<br />

Waschräume und Toiletten ohne Tür –<br />

das ist unerträglich.“ Einen Obdachlosen<br />

zitiert er in seiner Reportage mit<br />

den Worten: „Überleg doch mal, was du<br />

an Bakterien einatmest, wenn du hier<br />

pennst.“ Um politisch Druck zu machen,<br />

gibt Chefredakteurin Birgit<br />

Müller den Text zum Abdruck im Hamburger<br />

Abendblatt frei. Vier Wochen<br />

später schließt der Senat den Bunker<br />

wieder, die Obdachlosen werden in ein<br />

angehendes Seniorenheim umquartiert.<br />

Wersichs Nachfolger Detlef Scheele<br />

(SPD) will dessen Fehler nicht wiederholen,<br />

sagt im Herbst 2011 im Interview<br />

mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>: „Der Bunker ist


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

Schlange stehen vor dem Winternotprogramm in der Spaldingstraße 2012. Damals kamen hier<br />

auch noch obdachlose Osteuropäer unter. Heute werden sie zumeist abgewiesen.<br />

unwirtlich und für Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter unzumutbar, und was<br />

für Mitarbeiter unzumutbar ist, ist auch<br />

für die Menschen, die da übernachten<br />

sollen, unzumutbar.“ Unter seiner Ägide<br />

eröffnet die Behörde dann die Unterkunft<br />

in dem maroden Gebäude an<br />

der Spaldingstraße. Drei Winter lang<br />

übernachten bis zu 230 Obdachlose<br />

gleichzeitig in den Zimmern mit den<br />

faustgroßen Löchern in der Wand. Immerhin<br />

gibt es hier erstmals eine Etage<br />

eigens für Frauen und Paare. Auch<br />

Scheele sagt: „In Hamburg muss niemand<br />

auf der Straße schlafen – erst<br />

recht nicht im Winter.“<br />

Scheele sagt damals auch, dass das<br />

Winternotprogramm allen offenstehen<br />

solle. Angesichts von immer mehr Osteuropäern,<br />

die in Hamburg auf der<br />

Straße landen, ist das plötzlich nicht<br />

mehr selbstverständlich. Für Scheele<br />

jedoch schon: „Kalt ist kalt, da spielt<br />

Nationalität keine Rolle“, sagt er zunächst.<br />

Ein Jahr später klingt das schon<br />

anders: Die osteuropäischen Obdachlosen<br />

würden „in der Regel über skrupellose<br />

Schlepper mit falschen Versprechungen<br />

nach Hamburg gelockt“, sagt<br />

Scheele. Belege dafür bleibt er schuldig.<br />

Eine neue Beratungsstelle soll sich um<br />

diese Menschen kümmern und sie nach<br />

Möglichkeit ins Heimatland schicken.<br />

2013 dann der Paradigmenwechsel<br />

im Winternotprogramm: Obdachlose<br />

werden in welche mit und ohne einen<br />

„Kalt ist kalt, da<br />

spielt Nationalität<br />

keine Rolle.“<br />

DER DAMALIGE SENATOR DETLEF SCHEELE, 2012.<br />

EIN JAHR SPÄTER SAH ER DAS ANDERS.<br />

sogenannten Rechtsanspruch auf eine<br />

Unterkunft eingeteilt – mit gravierenden<br />

Folgen. Hinz&<strong>Kunzt</strong> spricht von<br />

einem „Erfrierungsschutz 2. Klasse“.<br />

Absurd: Die 1. Klasse ist die heruntergekommene<br />

Unterkunft in der Spaldingstraße.<br />

Die 2. Klasse, in der die<br />

aussortierten, meist osteuropäischen<br />

Obdachlosen untergebracht werden,<br />

sind Klassenzimmer in leer stehenden<br />

22<br />

Schulen und eine Turnhalle, in denen<br />

Feld- oder Stockbetten aufgestellt<br />

werden. Im ersten Winter finden dort<br />

380 Menschen notdürftig Schutz, im<br />

zweiten 560. Offensichtlich will man es<br />

ihnen so ungemütlich wie gerade noch<br />

vertretbar machen.<br />

Zuletzt gibt es einen richtigen Fortschritt<br />

im Winternotprogramm: Unter<br />

Sozialsenatorin Melanie Leonhard<br />

(SPD) nutzt fördern&wohnen 2016<br />

erstmals ein Gebäude in der Friesenstraße<br />

als Notunterkunft für Obdachlose.<br />

Und ist damit sehr zufrieden: „Wir<br />

haben hier den höchsten Standard im<br />

Winternotprogramm seit dessen Beginn<br />

Anfang der 1990er-Jahre erreicht“, sagt<br />

Martin Leo, f&w-Bereichsleiter bei der<br />

Vorstellung des Gebäudes. Auch wir bei<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> sind angetan, schwärmen<br />

vom Aufenthaltsraum, dem Fahrstuhl<br />

und den behindertengerechten Sanitäranlagen:<br />

„Und insgesamt 400 Betten in<br />

hellen Zimmern, die alle abschließbare<br />

Schränke haben, in denen die Obdachlosen<br />

ihr Hab und Gut aufbewahren<br />

können. Angst vor Diebstählen müssen<br />

sie nicht mehr haben.“ Auch gibt es<br />

mehr Zweibettzimmer als zuvor.


Stadtgespräch<br />

Doch es gibt eine Kehrseite: Auch in diese Unterkunft<br />

dürfen nicht mehr alle Obdachlosen rein. Osteuropäer,<br />

die angeblich im Herkunftsland eine<br />

Unterkunft haben, aber in Hamburg auf der Straße<br />

leben, werden abgewiesen. Mitarbeiter von f&w<br />

schicken sie in eine Tagesaufenthaltsstätte, in der sie<br />

auf dem Fußboden schlafen müssen – der niedrigste<br />

Standard in der Geschichte des Winternotprogramms.<br />

Viele schreckt das ab, sie schlafen im Freien.<br />

Im vergangenen Winter springen der Boxverein<br />

Hamburg Giants und der FC St. Pauli ein, öffnen<br />

ihre Hallen – und retten so womöglich Leben: Die<br />

Obdachlosen sind gesundheitlich schwer angeschlagen,<br />

ein Arzt stellt bei ihnen Erfrierungen an Händen<br />

und Füßen fest. Dennoch gibt es bislang keine<br />

Anzeichen, dass sich an der Politik der Sozialbehörde<br />

in diesem Winter etwas ändern wird.<br />

Jedes Jahr im März endet das Winternotprogramm<br />

– und unsere Schlagzeilen ähneln stets denen<br />

aus den Vorjahren. „Für Hunderte Obdachlose heißt<br />

es jetzt: Zurück auf die Straße“, schreibt Redakteurin<br />

Petra Neumann im Jahr 2003 in Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Ausgabe 123. „Denn selten zuvor schienen die Aussichten<br />

auf eine eigene Wohnung so schlecht zu sein,<br />

wie in diesem Jahr.“ Das war vor 15 Jahren – heute<br />

sind die Aussichten noch viel schlechter. Zwar gelingt<br />

es den Sozialarbeitern im Winternotprogramm inzwischen,<br />

zahlreiche Obdachlose in Dauerunterkünfte<br />

(2017/18: 283, das war Rekord), einige wenige<br />

davon gar in Wohnungen (2017/18: 6) zu<br />

vermitteln. Das bedeutet aber auch, dass Hunderte<br />

andere leer ausgehen und zurück auf die Straße<br />

müssen. Wenn wir am letzten Morgen vor den Unterkünften<br />

stehen, oft im kalten Nieselregen, erzählen<br />

sie uns jedes Mal ihre Geschichten von Verzweiflung<br />

und Hoffnungslosigkeit. Wir werden sie auch<br />

2019 wieder aufschreiben. Sie können Sie in unserer<br />

Mai-Ausgabe lesen. •<br />

WENN ROBOTER<br />

UND KI FÜR UNS ARBEITEN<br />

07.11.<strong>2018</strong> – 19.05.2019<br />

outofoffice.hamburg<br />

shmh.de<br />

Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

Winternotprogramm in Zahlen<br />

Im vergangenen Winter sind die 760 Betten in den<br />

Notunterkünften in der Friesenstraße und dem<br />

Schaarsteinweg durchschnittlich von 584 Obdachlosen<br />

pro Nacht genutzt worden, gab die Sozialbehörde<br />

bekannt. Insgesamt haben dort 3358 Menschen<br />

mindestens eine Nacht verbracht, das sind 375 weniger<br />

als im Jahr zuvor. Ein Grund: Nicht alle durften rein.<br />

Von 377 Abgewiesenen (vorwiegend aus Rumänien,<br />

Bulgarien und Afrika) haben 116 Schutzsuchende<br />

notgedrungen in der Wärmestube übernachtet – auf<br />

dem Fußboden. Durchschnittlich schliefen dort pro<br />

Nacht 17 Menschen, während der Kältewelle im März<br />

waren es bis zu 61.<br />

23


w<br />

25 Jahre Hinz&<strong>Kunzt</strong> –<br />

eine Erfolgsgeschichte in Zahlen<br />

In einem Vierteljahrhundert ist bei unserem Straßenmagazin vieles<br />

zusammengekommen. Hätten Sie’s gewusst?<br />

REDAKTION: SYBILLE ARENDT, ULRICH JONAS<br />

ILLUSTRATIONEN: GRAFIKDEERNS<br />

530 Menschen<br />

verkaufen derzeit Hinz&<strong>Kunzt</strong> auf Hamburgs<br />

Straßen, darunter rund 100 Frauen.<br />

6555 Verkäuferausweise haben wir seit<br />

Gründung des Projekts ausgestellt.<br />

Unsere Verkäufer stammen aktuell aus<br />

30 unterschiedlichen Ländern.<br />

Slowakei<br />

1%<br />

Sonstige<br />

24 Länder<br />

8%<br />

Rumänien<br />

16 %<br />

Bulgarien<br />

1%<br />

Deutschland<br />

49 %<br />

Rund 250 Brote<br />

rettet das BrotRetter-Team jeden Tag. In dem<br />

Projekt von Bäckerei Junge und Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

werden Backwaren vom Vortag günstig verkauft.<br />

Das rettet nicht nur Lebensmittel:<br />

Drei Hinz&Künztler haben einen Teilzeit-Job<br />

bekommen. Wo? Filiale Alte Holstenstraße 12<br />

in Lohbrügge, Mo–Sa, ab 8 Uhr, solange<br />

der Vorrat reicht.<br />

Polen<br />

23 %<br />

19 Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Mitarbeiter<br />

haben früher mal auf der Straße<br />

gelebt. Insgesamt arbeiten<br />

36 Festangestellte bei<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>, die meisten in Teilzeit.<br />

Indien<br />

2%<br />

Für 25 ehemals<br />

Obdachlose<br />

übernimmt Hinz&<strong>Kunzt</strong> die<br />

Mietbürgschaft oder verwaltet<br />

ihre Wohnung. Wenn das Projekt<br />

2020 in neue Räume ziehen wird,<br />

kommen sechs Wohnungen für<br />

24 Menschen hinzu.<br />

334 Verkäuferinnen<br />

und Verkäufer<br />

sind in den vergangenen<br />

25 Jahren verstorben.<br />

An sie erinnern wir mit dem<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Gedenkbaum<br />

auf dem Öjendorfer<br />

Friedhof (siehe Seite 78).<br />

24


69 Dezibel<br />

beträgt der Lärmpegel<br />

der Geldzählmaschine in<br />

unserem Vertriebsraum.<br />

Das entspricht in etwa<br />

der Lautstärke eines<br />

Staubsaugers.<br />

80 Verkäufern<br />

hilft Hinz&<strong>Kunzt</strong> bei der Geldverwaltung.<br />

Hintergrund: Ämter zahlen staatliche<br />

Hilfe nur in Notfällen bar aus.<br />

Wer kein eigenes Girokonto besitzt,<br />

muss deshalb jeden Monat<br />

fünf Euro bezahlen,<br />

wenn er seinen Scheck bei<br />

einer Bank einlöst.<br />

1.183.255 Pfandflaschen und -dosen<br />

haben unsere Pfandbeauftragten am Hamburg Airport seit dem<br />

Start von „Spende Dein Pfand!“ 2015 gesammelt. Das<br />

entspricht 295.806,25 Euro Pfand, das sonst im Müll<br />

gelandet wäre. Von dem gesammelten Geld finanzieren<br />

wir drei sozialversicherungspflichtige Stellen (siehe Seite 80).<br />

3000<br />

Stadtrundgänge<br />

haben ehemals obdachlose<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Mitarbeiter in<br />

den vergangenen 15 Jahren<br />

angeboten und so rund<br />

60.000 Interessierten<br />

gezeigt, wie Menschen<br />

in Hamburg auf der Straße<br />

leben und überleben.<br />

6500 MAL HAT UNS<br />

DIE HAMBURGER TAFEL<br />

SEIT BESTEHEN MIT<br />

NAHRUNGSMITTELN<br />

BELIEFERT – FÜR UNSERE<br />

VERKÄUFER EINE<br />

WICHTIGE HILFE.<br />

100 Hinz&Künztler<br />

besuchen uns an einem normalen Tag,<br />

trinken Tee oder Kaffee in unserem<br />

Vertriebsraum, waschen oder duschen<br />

sich, surfen im Internet oder tauschen<br />

sich mit anderen Verkäufern aus.<br />

105.000<br />

Tassen Kaffee<br />

pro Jahr trinken Obdach- und<br />

Wohnungslose in unseren Räumen.<br />

Vergangenes Jahr wurden dafür<br />

840 Kilogramm Kaffee benötigt.<br />

25


unseres Magazins<br />

haben Hinz&Künztler<br />

seit der Gründung auf<br />

Hamburgs Straßen<br />

verkauft.<br />

Knapp 20 Millionen Exemplare<br />

9 Sondermagazine<br />

zu unterschiedlichen Themen<br />

wie Kochen, Literatur und einen<br />

Stadtführer haben wir seit<br />

Bestehen herausgegeben.<br />

Unsere Verkäufer haben immer<br />

kräftig mitgeholfen, so auch bei<br />

unserem ersten richtigen<br />

Kochbuch „Willkommen in der<br />

<strong>Kunzt</strong>Küche!“, das am<br />

6. <strong>November</strong> erscheint (S. 39).<br />

150<br />

Beratungsgespräche<br />

0 PROZENT<br />

öffentliche Förderung erhält<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Das Projekt finanziert<br />

sich ausschließlich durch den<br />

Verkauf des Straßenmagazins,<br />

durch Spenden und Anzeigenerlöse.<br />

führen unsere drei Sozialarbeiter<br />

pro Woche (übrigens: Sie alle<br />

arbeiten in Teilzeit!). Sie helfen<br />

bei der Wohnungssuche,<br />

klären Probleme mit Ämtern<br />

und haben immer ein<br />

offenes Ohr für die Anliegen<br />

unserer Verkäufer.<br />

2600<br />

Freundinnen<br />

und Freunde<br />

zählt der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis.<br />

Mit ihrer regelmäßigen<br />

Spende helfen die Mitglieder,<br />

unser Projekt langfristig abzusichern.<br />

30 bis 40<br />

Benefizveranstaltungen<br />

zu unseren Gunsten – viele kleine<br />

und einige größere – finden<br />

pro Jahr statt. Hinzu kommen<br />

50 bis 60 private<br />

Spendenaktionen jährlich,<br />

etwa anlässlich eines Geburtstags.<br />

26


Herzlichen Glückwunsch<br />

zum 25. Jubiläum!<br />

Für die Zukunft alles Gute und weiterhin viel Erfolg wünscht Ihre<br />

A. Beig Druckerei und Verlag GmbH & Co. KG aus Pinneberg.<br />

Moderne Drucktechnik vor den Toren Hamburgs<br />

Der A. Beig Verlag ist ein mittelständisches Druck- und Verlagshaus mit über 120 Mitarbeitern im Kreis Pinneberg,<br />

welches zum Firmenverbund NOZ Medien/medien holding:nord, einer der größten Mediengruppen Norddeutschlands<br />

(Tageszeitungen, Anzeigenblätter, Magazine, Druck, Radio etc.) gehört.<br />

Mit moderner Technik werden auf einer MAN Colorman XXL wöchentlich knapp 40 Tages- und Wochenzeitungen<br />

mit einer Gesamtauflage von 2,5 Millionen Stück für den eigenen Verlag aber auch für zahlreiche Kunden gedruckt .<br />

Die neu in Betrieb genommene Versandanlage sorgt dafür, dass pro Jahr bis zu 350 Millionen Beilagen in hoher<br />

Qualität den Produkten zugesteckt werden können.<br />

A. Beig<br />

Druckerei und Verlag<br />

GmbH & Co. KG<br />

Damm 9–19, 25421 Pinneberg<br />

Tel. 0 41 01 / 5 35-0, Fax 0 41 01 / 5 35-6236<br />

www.a-beig.de


Vasile mit seinen beiden<br />

Hunden Jack und Lilly.<br />

Er ist ein Getriebener.<br />

War immer unterwegs,<br />

schon in Rumänien,<br />

dann in England,<br />

Spanien und jetzt hier.<br />

28


Betten<br />

auf Beton<br />

Viele Hinz&Künztler leben auf der Straße. Fast alle sehnen<br />

sich nach einer eigenen Wohnung. Wir haben ein paar von ihnen<br />

auf Platte besucht – und Szenen eines harten Alltags erlebt.<br />

FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

29


Ins Winternotprogramm<br />

kann Michael nicht.<br />

„Ich bin zu labil“, sagt er.<br />

Er hat Angst, dann<br />

noch mehr zu trinken.<br />

MICHAEL, 51, VERKAUFT AM BALLINDAMM<br />

Klar hätte Michael gern eine Wohnung.<br />

„Ein Zimmer mit Bett, Stuhl,<br />

Tisch, Schrank.“ Seit 20 Jahren ist er<br />

schon obdachlos. Oder andersrum:<br />

Erst zweimal hatte er eine eigene Wohnung.<br />

Die eine wurde dann abgerissen,<br />

die andere hatte er nur befristet. Ein<br />

Zuhause hatte er sowieso nie. „Was gut<br />

an mir ist, das hab ich von meiner<br />

Oma“, sagt der 51-jährige Rheinland-<br />

Pfälzer. Bei ihr ist er aufgewachsen. Seine<br />

Mutter, sein Vater? Michael winkt<br />

nur ab. „Kannste vergessen.“ Als er<br />

neun Jahre alt war, erinnerte sich die<br />

Mutter wieder an ihn, holte ihn bei der<br />

Oma weg nach Norddeutschland. „Gegen<br />

meinen Willen, nur weil sie das<br />

Kindergeld haben wollte.“ Drei Monate<br />

lebte er bei ihr, dann kam er ins<br />

Heim. Danach hörte er so gut wie<br />

nichts mehr von ihr, „nicht zu Ostern<br />

oder Weihnachten, schon gar nicht<br />

zum Geburtstag“. Sein Leben im<br />

Heim: „Kannste dir ja vorstellen, was<br />

passiert: klauen, prügeln, saufen. Was<br />

anderes lernst du da nicht“, sagt er. „Im<br />

Heim nimmt dich keiner auf den Arm<br />

und schaukelt dich.“<br />

Mit 16 durfte er endlich wieder zur<br />

Oma. Aber das lief nicht mehr. „Ich<br />

war längst drauf“, auf harten Drogen.<br />

Die Oma wurde nicht mehr mit ihm<br />

fertig. Er landete auf der Straße und im<br />

Knast. Insgesamt verbringt er da 15<br />

Jahre – wegen Körperverletzung, Widerstand<br />

gegen die Staatsgewalt, Diebstahl,<br />

Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz,<br />

alles Mögliche. „Aber nie<br />

irgendwas gegen Frauen oder Tiere.“<br />

30


„Im Heim nimmt dich<br />

keiner auf den Arm und<br />

schaukelt dich.“ MICHAEL<br />

Das ist Michael wichtig. Und immer<br />

spielten Drogen eine große Rolle.<br />

Dann die Wende: „Ich hab mich<br />

nackt im Spiegel gesehen und mich total<br />

erschrocken.“ Sieben Jahre ist das<br />

her. Nur noch 36 Kilo habe er damals<br />

gewogen. Aber sterben wollte er nicht.<br />

„Von heute auf morgen habe ich aufgehört.“<br />

Seitdem nimmt er keine harten<br />

Drogen mehr. „Aber ich trinke – zu<br />

viel“, wie er selbst zugibt. Und er<br />

raucht Cannabis. „Das beruhigt mich.“<br />

Ins Winternotprogramm, in eine große<br />

Einrichtung mit vielen Menschen mit<br />

vielen Problemen, will er nicht – oder<br />

besser: kann er nicht. „Ich bin labil. Ich<br />

glaube auch nicht, dass ein Alkoholiker<br />

jeden Tag in die Kneipe gehen sollte.“<br />

Da bleibt er lieber auf der Straße. Und<br />

tut alles, um nicht mehr in den Knast<br />

zu kommen. „Da geh ich nicht mehr<br />

rein“, sagt er vehement. „Und das hat<br />

viel mit Hinz&<strong>Kunzt</strong> zu tun. Damit<br />

kann ich Geld verdienen. Ich muss<br />

nicht kriminell sein.“ An dem Abend,<br />

an dem wir ihn besuchen, machen wir<br />

31<br />

auch ein Foto von seinen paar Habseligkeiten:<br />

ein kleines Transistorradio<br />

und ein Jutebeutel mit Magazinen sind<br />

darunter. Vor seiner Isomatte hat er eine<br />

Plastikschale geparkt. Wenn er nicht<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> verkauft, stellt er die bei<br />

sich auf. Elf Euro und ein paar Zerquetschte<br />

sind drin. Am Morgen nach<br />

dem Fototermin ist er etwas geknickt:<br />

Nachts sind ihm das Transistorradio<br />

und die Hefte geklaut worden. „Was<br />

komisch ist: Die Schale mit dem Geld<br />

stand noch da, unberührt.“ •


„Eine große Maus<br />

hat mich gebissen in<br />

Gesicht.“ VALERIE<br />

VALERIE, 47, VERKAUFT AN DER U-BAHN-STATION MESSBERG<br />

Irgendwie hat Valerie gerade eine<br />

Pechsträhne. „Ich bin geschimpft worden“,<br />

sagt sie traurig. Und das kam so:<br />

In der Bäckerei, in der sie immer frühstückt<br />

– „und ich bezahle!“, kam sie<br />

von der Toilette. Da hatte sie sich die<br />

Zähne geputzt und eine Katzenwäsche<br />

gemacht. „Ich alles sauber.“<br />

Trotzdem war der Bäckereiverkäufer<br />

sauer. Dann wollte sie sich in der Toilette<br />

am Bahnhof ihre Haare färben.<br />

„Ich alles sauber gemacht“, trotzdem:<br />

„Ich wurde geschimpft.“<br />

Und nachts wurde die 47-Jährige<br />

von einem Geräusch wach – und einem<br />

Schmerz. Dann sah sie ein Tier<br />

weglaufen. „Eine große Maus“, sagt<br />

sie und zeichnet das Tier in die Luft.<br />

Eindeutig eine Ratte, „hat mich gebissen<br />

in Gesicht“, sagt die Ungarin. Es<br />

ist das erste Mal, dass sie an ihrem<br />

Schlafplatz Ratten gesehen hat. Die<br />

kommen wahrscheinlich von der neuen<br />

Baustelle. Bisher war es „der beste<br />

Schlafplatz, den ich je hatte“. Es ist<br />

die niedrige, aber breite Fensterbank<br />

eines Geschäftes. „Das ist so sauber, so<br />

schön“, sagt sie in gebrochenem<br />

Deutsch und streicht mit der Hand<br />

über den Marmor. Drei Jahre macht<br />

die Ungarin schon Platte. Erst in einer<br />

Abfahrt zu einer Tiefgarage, dann<br />

hier. Für Außenstehende etwas makaber:<br />

Hinter der Fensterscheibe steht<br />

ein gemütliches Sofa neben dem anderen.<br />

Und draußen liegt eine Frau<br />

auf dem harten Boden, Marmor hin,<br />

Marmor her.<br />

Angefangen hat ihre Obdachlosigkeit<br />

fast romantisch. Sie hatte einen<br />

Freund in Wien. Zu dem zog sie. Doch<br />

der verlor seine Wohnung, und die beiden<br />

wurden buchstäblich auf die Straße<br />

gesetzt. „Es war Sommer, wir fanden<br />

schönen Platz im Park.“ Dass sie<br />

danach jahrelang auf der Straße leben<br />

würde, war ihr damals nicht klar. Das<br />

Paar ging nach Deutschland.<br />

Ihr Freund fand immer wieder Arbeit,<br />

aber die beiden haben eine Beziehung,<br />

die mal klappt und mal gar nicht.<br />

Jetzt ist ihr Freund nach Süddeutschland<br />

gegangen, hat dort Arbeit und eine<br />

Wohnung. Alle paar Tage ruft er an<br />

und will wissen, wie es ihr geht. Aber<br />

sie bleibt erst mal hier, auch wenn es<br />

ganz schön kalt wird.<br />

Sie hofft, im Winter wieder einen<br />

Container im Winternotprogramm für<br />

Frauen zu bekommen. Und dass sie die<br />

Ratten los wird. „Vielleicht mit Speck<br />

und Gift?“ Aber erst mal muss sie zum<br />

Arzt. Tetanus auffrischen lassen. •<br />

32


33<br />

So eine „schöne“<br />

Platte hatte Valerie<br />

noch nie. Die<br />

Fensterbank eines<br />

Einrichtungshauses<br />

ist aus Marmor.


KAI D., 45, VERKAUFT IN DER LANGEN REIHE; LEMMY, 55, VERKAUFT VOR DEM PASSAGE KINO;<br />

Die beiden Kais saßen schon an ihrem<br />

Schlafplatz, hatten Isomatten und<br />

Schlafsäcke ausgerollt. Da sahen sie<br />

einen großen Mann mit Brille und<br />

Hund, der ein kleines Köfferchen hinter<br />

sich herzog. In der Nähe des Bahnhofs<br />

eigentlich nichts Ungewöhnliches.<br />

Eigentlich. „Er wirkte so orientierungslos“,<br />

sagt Kai Sch. Und bekannt kam<br />

er ihnen auch vor. Tatsächlich hatten<br />

sich die drei schon mal bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gesehen. Denn der Mann, der Holger<br />

heißt und Lemmy genannt wird, war<br />

2001 schon mal obdachlos gewesen,<br />

hatte dann aber Arbeit und eine Wohnung<br />

bekommen. „Was ist denn los mit<br />

dir?“, fragte Kai D. Aus Lemmy brach<br />

es nur so heraus: Dass seine Freundin<br />

ihn nach neun Jahren Beziehung rausgeschmissen<br />

habe. Außer seiner Tasche<br />

und seinem Hund habe er nichts<br />

mehr. „Leg dich zu uns heute Nacht“,<br />

sagte der eine Kai. Und der andere:<br />

„Am besten sogar zwischen uns.“<br />

Denn eines war klar für die beiden:<br />

„Wir wollten auf ihn aufpassen.“ Und:<br />

34<br />

„Das siehst du einem Menschen sofort<br />

an, ob jemand auf die Straße gehört<br />

oder nicht“, sagt Kai D. Und Kai Sch.<br />

fügt hinzu: „Und dieser Typ würde mit<br />

Sicherheit kaputtgehen auf der<br />

Straße.“<br />

Ein paar Wochen ist das jetzt her.<br />

Immer noch konnte Lemmy nicht in<br />

die Wohnung seiner Ex zurückkehren,<br />

um zumindest ein paar Sachen rauszuholen.<br />

Die beiden Kais haben ihn aber<br />

gedrängt, ins Pik As zu gehen. „Ich<br />

hatte Glück“, sagt Lemmy. Der 55-Jäh-


„Dieser Typ würde kaputtgehen<br />

auf der Straße.“ KAI SCH. ÜBER LEMMY<br />

Kai D., Lemmy und<br />

Kai Sch. (von links):<br />

Die beiden Kais<br />

haben sich um Lemmy<br />

gekümmert, als seine<br />

Freundin ihn auf die<br />

Straße gesetzt hatte.<br />

KAI SCH., 43, VERKAUFT IN DER SPITALER STRASSE<br />

rige ist nämlich nicht in einem Mehrbettzimmer<br />

gelandet, sondern in einem<br />

der heißbegehrten Zimmer für<br />

Obdachlose mit Hund. „Von hier aus<br />

kann ich mir eine Wohnung suchen.“<br />

Die drei haben sich inzwischen angefreundet.<br />

„Ich habe den beiden viel zu<br />

verdanken“, sagt Lemmy. Sie reden<br />

viel zusammen, haben ganz ähnliche<br />

Geschichten: Auch die beiden Kais<br />

wurden obdachlos, weil ihre Freundinnen<br />

sie rausgeschmissen haben. Und<br />

alle hätten gerne bald wieder ein Dach<br />

über dem Kopf. „Man müsste den<br />

Arsch hochkriegen“, sagt Kai Sch.<br />

Und den kriegt der 43-Jährige derzeit<br />

nicht hoch, „weil ich wahnsinnig<br />

hohe Mietschulden habe“. Noch ist er<br />

nicht in der Lage, sich damit auseinanderzusetzen.<br />

„So lange akzeptiere ich<br />

das Leben auf der Straße, wie es ist.“<br />

Ein paar Tage später sind wir zum<br />

Fototermin verabredet. Kai Sch., Lemmy<br />

und wir sind zu früh. Kai D. ist<br />

noch nicht da. Kai Sch. glaubt sogar,<br />

dass er nicht kommen wird. „Der<br />

macht gerade kalten Entzug vom Alkohol“,<br />

sagt er besorgt. „Da kann man<br />

leicht einen epileptischen Anfall kriegen.“<br />

Aber dann – auf die Minute<br />

pünktlich – taucht Kai D. auf. Etwas<br />

blass um die Nase, aber guter Dinge.<br />

Vier Tage ist er schon trocken. „Ich<br />

fühl mich gut“, sagt der 45-Jährige.<br />

Aber auf der Straße schläft er heute<br />

nicht. Eine Freundin hat ihm angeboten,<br />

dass er während des Entzugs bei<br />

ihr übernachten kann. Das Angebot<br />

hat er gerne angenommen. •<br />

35


„Ich bin kein<br />

Aggressor, eher ein<br />

Pazifist.“ DENNIS<br />

DENNIS, 43, VERKAUFT IN KNEIPEN AUF DER REEPERBAHN<br />

Dennis ist oft hundemüde. Das liegt<br />

daran, dass er abends in den Kneipen<br />

auf der Reeperbahn verkauft und erst<br />

spät zum Schlafen kommt. Deshalb<br />

hat er vor ein paar Tagen verschlafen<br />

und der Besitzer des Ladens, vor dem<br />

er Platte macht, musste ihn wecken.<br />

Damit das nicht wieder passiert,<br />

hat der 43-Jährige für eine Nacht unter<br />

einem Baum auf einer Verkehrsinsel<br />

geschlafen. Und obwohl die Autos um<br />

ihn herum brausten, hat er endlich<br />

richtig ausgeschlafen – bis vier Uhr<br />

nachmittags. Seinen Schlafplatz mag<br />

er. Ihm gefällt es, dass hinter den<br />

Schaufenstern im Laden so schöne alte<br />

Möbel stehen. „Ist doch besser als<br />

Ikea“, sagt er. Dass die Beleuchtung<br />

auch nachts nicht ausgeht, ist ihm gerade<br />

recht. „Dann kann ich noch lesen.“<br />

In der Bücherhalle gab es alte<br />

Fantasy-Romane, die er so liebt, für einen<br />

Euro. Einen richtig dicken Wälzer<br />

hat er auf seiner Bettdecke liegen. Genau:<br />

Dennis hat eine richtig bezogene<br />

Bettdecke und ein dazu passendes Kissen.<br />

„Da denkst du, du liegst wirklich<br />

im Bett“, sagt er. Sein Schlafsack war<br />

ihm nämlich geklaut worden. Meike<br />

aus dem Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Vertrieb fand<br />

dann noch das frische Bettzeug.<br />

Dennis ist alkohol- und drogenabhängig.<br />

Seit dem Tod seiner Mutter, als<br />

er 14 Jahre alt war. Ihr Tod war der<br />

Schock seines Lebens. So richtig überwunden<br />

hat er das nie. Inzwischen<br />

wird er substituiert und hat noch<br />

manchmal Beikonsum.<br />

Obdachlos ist er seit 23 Jahren.<br />

Das erste Mal „passierte es“, als er mit<br />

20 Jahren auf den Kanarischen Inseln<br />

war. Er versuchte sich mit Werbung für<br />

36


37<br />

Dass das Licht auch<br />

nachts brennt, ist Dennis<br />

ganz recht. Dann kann er<br />

abends noch lesen.<br />

Gemeinsam Obdachlose<br />

im Winter schützen<br />

Von <strong>November</strong> bis März bietet das Winternotprogramm<br />

von fördern und wohnen täglich<br />

über 650 warme Schlafplätze für obdachlose<br />

Frauen, Männer und Paare an.<br />

Helfen Sie mit!<br />

Wir brauchen Verstärkung, um Tee zu kochen,<br />

HASPA, IBAN: DE 03 2005 0550 1208 1225 62<br />

Kontakt: info@winternotprogramm.de<br />

Web: www.winternotprogramm.de<br />

www.facebook.com/winternotprogramm<br />

Interessiert?<br />

Dann registrieren Sie sich bitte unter<br />

www.winternotprogramm.de/helfen<br />

Hier finden Sie uns<br />

Ab <strong>November</strong> bis März, täglich 17:00 – 09:30 Uhr<br />

Friesenstraße 22 in Hamburg-Hammerbrook<br />

Timesharing über Wasser zu halten. „Da kann man<br />

Kollaustraße 15 in Hamburg-Lokstedt<br />

Hotelanteile kaufen und dann soundsoviel Tage im<br />

winternotprogramm@foerdernundwohnen.de<br />

Jahr Ferien machen.“ Aber es fiel ihm schwer, auf<br />

www.foerdernundwohnen.de<br />

Leute zuzugehen und ihnen so einen Vertrag<br />

schmackhaft zu machen.<br />

Ironie des Schicksals: Er, der Hotelanteile vertickte,<br />

machte Platte in einer der vielen Hotelruinen.<br />

Ein bisschen gruselig fand er das damals. „Du<br />

hörst, wie irgendwo im Haus Fensterscheiben zersplittern,<br />

und du weißt nicht, wer da ist.“ Aber es ist<br />

alles gut gegangen. „Ich habe keine Angst mehr auf<br />

der Straße“, sagt er. Obwohl es immer gefährlicher<br />

wird. Bisher hatte er immer Glück. „Ich bin auch<br />

kein Aggressor, eher ein Pazifist.“ •<br />

Unverzichtbar an unserer Seite: Engagierte Freiwillige,<br />

die sich um die Verpflegung mit belegten<br />

Broten und heißen Getränken kümmern, u. a.<br />

aus Spenden der Hamburger Tafel.<br />

Brote zu schmieren und Essen zuzubereiten.<br />

Geldspenden für den „Förderverein Winternotprogramm<br />

für Obdachlose e. V.“ sind willkommen,<br />

um zusätzliche Lebensmittel zu kaufen.<br />

Wir gratulieren Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

zu 25 Jahren Einsatz, Herz &<br />

Leidenschaft für obdachlose<br />

Menschen in Hamburg


„Die Hunde sind<br />

mein Leben. Sie<br />

beruhigen mich.“<br />

Mischling Jack ist schon seit<br />

vier Jahren der Begleiter von<br />

Vasile, Cocker Lilly hat<br />

Vasile einem Obdachlosen<br />

abgekauft – für teuer Geld.<br />

VASILE MIT JACK UND LILLY<br />

VASILE, 39, VERKAUFT VOR DER EUROPA PASSAGE<br />

Neulich sind zwei Frauen auf ihn zugekommen<br />

und haben ihn so komisch<br />

angesehen. Dann hat die eine ihr Handy<br />

gezückt und ein Foto von ihm und<br />

seinen Hunden Jack und Lilly gemacht.<br />

Kurze Zeit später tauchten andere<br />

Personen auf und haben ihn fotografiert.<br />

Ein paar Tage später kamen<br />

zwei Polizisten vorbei und wollten die<br />

Papiere von Jack und Lilly sehen. „Alles<br />

in Ordnung“, sagten die Polizisten.<br />

Aber das wusste Vasile ja selbst. Trotzdem<br />

war irgendwas komisch. Es war<br />

etwas im Gange gegen ihn. Er wusste<br />

nur nicht genau, was. Dann hörte er,<br />

dass eine Kampagne gegen ihn auf<br />

Facebook läuft. „Vielleicht denken die,<br />

ich habe meine Hunde geklaut, aber<br />

das stimmt ja nicht“, erzählt der<br />

Rumäne in der Redaktion in einem<br />

Sprachgemisch aus Englisch und Spanisch.<br />

Jack ist schon seit vier Jahren<br />

sein Begleiter, und Lilly hat er von einem<br />

Obdachlosen gekauft, mit Papieren<br />

und für teuer Geld.<br />

Wir recherchieren. Tatsächlich<br />

kursieren über Facebook Gerüchte, er<br />

würde die Hunde nicht artgerecht halten.<br />

Sturzbetrunken sei er gewesen.<br />

Das Ganze wird ohne Rücksprache<br />

und Prüfung der Fakten verbreitet.<br />

Und viele Leute machen sich auf, um<br />

sich den vermeintlichen Übeltäter anzuschauen.<br />

Dabei handelt es sich vermutlich<br />

nicht um Vasile. Der, der das<br />

Ganze auf Facebook losgetreten hat, ist<br />

selbst schockiert über die Auswirkungen<br />

und beendet die Kampagne.<br />

Vasile versucht, zur Ruhe zu kommen.<br />

„Die Hunde sind mein Leben“,<br />

sagt er. Er brauche sie. „Sie beruhigen<br />

mich, geben mir Frieden.“ Gerade weil<br />

Menschen ihn oft aufregen. Aber Ruhe<br />

zu bewahren ist für ihn nicht leicht. Er<br />

ist seelisch angeschlagen. Eigentlich seit<br />

seiner Kindheit. Seit sich seine Mutter<br />

vom Dach des Hauses gestürzt hat und<br />

er ins Heim kam. Er selbst hat schon als<br />

Kind mehrfach versucht, sich umzubringen.<br />

Denn im Heim, „das war kein<br />

Leben“. Viel geschlagen worden sei er.<br />

Und ja, das soll ich ruhig schreiben:<br />

„Ich bin vergewaltigt worden.“ Zu seinem<br />

Glück hat er seit einem Jahr zu<br />

Gott gefunden. Trotzdem bleibt er ein<br />

Getriebener. Erst ist er innerhalb Rumäniens<br />

gereist, dann war er in England<br />

und Spanien – und jetzt hier. Er<br />

bleibt, solange er Ruhe findet. Wenn<br />

das nicht mehr geht, zieht er weiter –<br />

irgendwohin. •<br />

Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />

38


25 Jahre Hinz&<strong>Kunzt</strong> – 25 Tage unser Restaurant auf Zeit:<br />

Ein kulinarisches Dankeschön an die Hamburger<br />

Mit 25 Drei-Gänge-Menüs von Sterneköchen, jungen Wilden<br />

und anderen Küchengöern<br />

Unser Kochbuch erscheint am 6. <strong>November</strong><br />

und kostet 25 Euro plus Versandkosten.<br />

Sie können es online bestellen unter<br />

www.hinzundkunzt.de/shop<br />

oder im Buchladen (ISBN 978-3-00-060526-0).<br />

Vom Erlös schenken wir jedem Hinz&Künztler<br />

zum Jubiläum 25 Monatsmagazine.


Lebenslinien<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kollege<br />

Dieter (links) war für<br />

Ralf da, als es ihm<br />

richtig schlecht ging.<br />

Gesucht und endlich<br />

wiedergefunden<br />

Die Geschichte von Ralf, der von heute auf morgen<br />

alles stehen und liegen ließ und verschwand. Und den seine Familie<br />

auf Hamburgs Straßen aufgespürt hat.<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS: MIGUEL FERRAZ<br />

40


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Lebenslinien<br />

Malente, 2014. Nichts<br />

ging mehr. Ralf hielt es<br />

einfach nicht mehr aus.<br />

Der 51-Jährige parkte<br />

den Lastwagen sauber ein. Schloss zum<br />

letzten Mal ab und warf die Papiere<br />

ordnungsgemäß in den Briefkasten seiner<br />

Firma. Dann nahm er seine Tasche<br />

mit den Klamotten, die er auf der<br />

Fahrt dabeigehabt hatte. Mehr brauchte<br />

er nicht mehr. Ihm war alles egal. Im<br />

Park fand er ein ruhiges Plätzchen für<br />

die Nacht. Am nächsten Morgen ging<br />

er zum Bahnhof. Setzte sich in den<br />

nächsten Zug nach Hamburg. Er meldete<br />

sich nicht ab, bei niemandem. Er<br />

wollte einfach verschwinden, sich in<br />

Luft auflösen. Seine Lebensgefährtin<br />

Christine, die ihn betrogen und ihn<br />

verlassen hatte, sollte gar nicht erst wissen,<br />

wo er war. Dass er dann auch seine<br />

Kinder, Fabian und Paulina, nicht<br />

mehr sehen würde, erleichterte ihn fast.<br />

Nach der Trennung hatte er sie regelmäßig<br />

gesehen. Das hatte die Wunde<br />

immer von Neuem aufgerissen.<br />

In Hamburg hatte Ralf eine Anlaufstelle:<br />

Er ging zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Zehn Jahre zuvor war er schon mal obdachlos<br />

gewesen. Und bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gilt der Spruch: Wenn du wieder in<br />

Not gerätst, kannst du jederzeit<br />

wiederkommen. Jetzt war es so weit.<br />

„Am Anfang stand ich mit den Zeitungen<br />

ganz schüchtern da“, sagt er. Erst<br />

später taute er langsam auf, an seinem<br />

Platz beim Passage Kino in der<br />

Mönckebergstraße.<br />

Dass es ihm nach und nach wieder<br />

besser ging, lag an Dieter, einem anderen<br />

Hinz&Künztler. Der machte hinter<br />

Karstadt Platte und nahm Ralf<br />

quasi bei sich auf. Abends, wenn Ralf<br />

in seinem Schlafsack lag, versuchte er,<br />

die Gedanken an Christine und die<br />

Kinder zu verscheuchen. „Ich wollte<br />

einen Schlussstrich ziehen“, sagt er.<br />

Von sich aus hätte er sich wohl nicht<br />

mehr bei seiner Familie gemeldet.<br />

Christine hatte ihren Mann nicht vergessen.<br />

„Vielleicht habe ich nie aufgehört,<br />

Ralf zu lieben“, sagt sie. Wa rum<br />

das überhaupt passiert war mit dem<br />

Fremdgehen? „Abends saß er die ganze<br />

Zeit vor dem Computer und ich vor<br />

dem Fernseher, jeder für sich allein“,<br />

sagt die 35-Jährige, als wir uns in Hamburg<br />

treffen. Immer wieder hatte sie<br />

Ralf gesagt, dass sie mehr zusammen<br />

machen müssten. Aber zu diesem Zeitpunkt<br />

war er dafür taub. Und dann<br />

„Vielleicht habe<br />

ich ja nie<br />

aufgehört, Ralf<br />

zu lieben.“ CHRISTINE<br />

hatte Christine ihre Jugendliebe wiedergetroffen<br />

– und sich verliebt. Für<br />

Ralf untragbar. „Sie hat mich betrogen.<br />

Ich konnte ihr einfach nicht verzeihen“,<br />

sagt er. So kam es zur Trennung.<br />

Christine war allerdings sehr<br />

daran gelegen, dass Ralf die Kinder<br />

jederzeit sehen konnte. „Ich wollte<br />

ihnen doch nicht den Vater wegnehmen“,<br />

sagt sie. Und dem Vater nicht<br />

die Kinder.<br />

Die Trennung der Eltern war für<br />

Fabian und Paulina, die damals erst<br />

acht und drei Jahre alt waren, schon<br />

schlimm. Noch schlimmer war, dass<br />

Ralf Knall auf Fall verschwunden war<br />

und sie nicht mal wussten, ob er überhaupt<br />

noch lebte. „Die Kinder haben<br />

oft geweint“, sagt Christine. Sie selbst<br />

hat allerdings die Hoffnung nie verloren.<br />

„Ich wollte ihn suchen und finden,<br />

allein schon für die Kinder“, sagt sie.<br />

Wie eine Detektivin machte sich<br />

die Hauswirtschaftsgehilfin auf die Suche<br />

nach Ralf. Sie kriegte raus, dass er<br />

41<br />

in Hamburg lebte und auf der Mönckebergstraße<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> verkaufte.<br />

Sonntag, der 25. September 2016.<br />

„Es war Ralfs Geburtstag, und ich hielt<br />

es einfach nicht mehr aus“, sagt Christine.<br />

„Ich habe die Kinder gefragt, ob<br />

wir es wagen sollten, ob wir Ralf in<br />

Hamburg suchen sollten.“<br />

Fabian und Pauline, inzwischen<br />

zehn und fünf Jahre alt, wollten – ganz<br />

unbedingt sogar.<br />

„Mein Geburtstag lag auf einem<br />

Sonntag“, erinnert sich Ralf. Seitdem<br />

er obdachlos war, feierte er seinen Geburtstag<br />

nicht mehr. Er fühlte sich<br />

höchstens noch ein bisschen einsamer<br />

als sonst. „Und sonntags arbeite ich<br />

nicht.“ Er wollte deshalb gar nicht erst<br />

zu seinem Verkaufsplatz gehen.<br />

„Ich war mir auf einmal ganz<br />

sicher, dass wir ihn finden würden“,<br />

sagt Christine. Sie setzte sich mit den<br />

Kindern in den Zug nach Hamburg.<br />

Mehrfach liefen Christine, Fabian<br />

und Paulina über die Mönckebergstraße<br />

– rauf und runter. Erst vergeblich.<br />

„Und dann sah ich ihn plötzlich“, sagt<br />

Christine. Ralf hatte seine Meinung<br />

nämlich doch noch geändert. „Es war<br />

ja verkaufsoffener Sonntag.“<br />

Und Ralf sah sie. Fassungslos<br />

schaute er auf seine Exfrau und die<br />

Kinder. „Ich war geschockt. Mir ging<br />

so viel durch den Kopf. Dass sie mich<br />

in diesem Zustand sehen, dass ich erst<br />

20 Minuten dastehe – und noch keinen<br />

Euro verdient hatte und sie nicht mal<br />

einladen konnte …“<br />

Mehr denken konnte er nicht,<br />

denn Fabian und Paulina kamen auf<br />

ihn zugerast und umarmten ihn. „Wir<br />

haben nur geweint“, sagt Christine, als<br />

sie fast genau zwei Jahre später in der<br />

Redaktion ihre Geschichte erzählen.<br />

„Und dann sind wir zusammen durch<br />

die Stadt gegangen, haben geredet“,<br />

sagt Ralf. „Und wir waren bei McDonald’s“,<br />

sagt Paulina. Abends hat Ralf<br />

seine Familie wieder zum Zug ge-


Lebenslinien<br />

Menschen. Und wo es um Menschen<br />

geht, da geht es um Fehler und ums<br />

Verzeihen. Ralf konnte auf einmal<br />

sein eigenes Leben in einem anderen<br />

Licht betrachten. Wie sehr er Christine<br />

geliebt hatte, wie sehr er von ihr enttäuscht<br />

war. Er konnte auch sich und<br />

„Ich habe<br />

gesehen, wie<br />

allen die Tränen<br />

runterliefen.“ RALF<br />

Nie hätten Christine und Ralf damit gerechnet, dass sie ihre Liebe<br />

neu finden könnten. Heute leben sie wieder als Paar zusammen und auch<br />

die beiden Kinder haben wieder Vertrauen zu ihrem Papa gefasst.<br />

bracht. „Ich habe gesehen, wie allen<br />

die Tränen runterliefen“, sagt Ralf.<br />

Was er nicht so recht zugeben will:<br />

„Als der Zug anfuhr, hab ich gesehen,<br />

dass du auch geweint hast“, sagt Fabian.<br />

Und es klingt fast stolz.<br />

Seit diesem Tag ist viel passiert.<br />

Fabian ist heute zwölf, Paulina sieben<br />

Jahre alt, Christine 35 und Ralf 54.<br />

Die vier leben wieder als Familie<br />

zusammen. Haben viel hinter sich.<br />

Im Oktober <strong>2018</strong> kommen sie uns<br />

besuchen und erzählen. Ralf hatte<br />

Christine damals noch auf der Mönckebergstraße<br />

gesagt: „Nicht dass du<br />

denkst, wir kommen noch mal zusammen!“<br />

Christine fand das okay. „Mir<br />

ging es darum, dass die Kinder wieder<br />

ihren Vater haben – und umgekehrt.“<br />

Sie bot Ralf sogar an, dass sie und<br />

die Kinder einmal im Monat nach<br />

Hamburg kommen würden und sie<br />

sich regelmäßig sehen könnten.<br />

Ralf dagegen war angespannt und<br />

misstrauisch, aber natürlich wollte er<br />

auch, irgendwie.<br />

Dass sich irgendwas in seinem<br />

Kopf und Herz veränderte, das hat<br />

ganz viel damit zu tun, dass Ralf mit<br />

vielen Hinz&Künztlern und Obdachlosen<br />

im <strong>November</strong> 2016 nach Rom<br />

fuhr. „Es war gar nicht unbedingt der<br />

Papst“, sagt Ralf, der sich selbst als<br />

nicht gläubig bezeichnet. „Eher die<br />

ganze Atmosphäre.“<br />

Bei der Reise ging es viel um Liebe,<br />

nicht unbedingt um die zwischen<br />

Mann und Frau, aber um die zwischen<br />

seine Fehler sehen – und dass er den<br />

Kindern unendlich wehgetan hatte.<br />

„Jedenfalls kam Ralf aus Rom<br />

wieder und war viel entspannter und<br />

offener“, sagt Christine. Weihnachten<br />

2016 fährt Ralf nach Malente, um das<br />

Fest mit seiner Familie zu feiern. Drei<br />

Monate später zieht er wieder ganz<br />

nach Hause. „Damit hatte ich nicht<br />

gerechnet!“, sagt Christine – und Ralf<br />

und sie lächeln sich glücklich an. „Ich<br />

auch nicht!“, sagt Ralf. Aber Fakt ist:<br />

Die beiden sind auch als Paar wieder<br />

zusammengekommen. Geholfen hat<br />

ihnen, dass sie sich Hilfe geholt haben.<br />

Die vier haben fast zwei Jahre lang eine<br />

Familientherapie gemacht. Jetzt<br />

sagt Ralf: „Die Kinder haben immer<br />

noch nicht das gleiche Vertrauen zu<br />

mir wie früher, da ist noch eine Distanz.“<br />

„Das stimmt nicht, Papa!“, sagt<br />

Paulina fast empört und streckt ihm<br />

ihre Hand entgegen. Und Fabian legt<br />

seinen Arm um ihn. „Doch, doch“,<br />

sagt Ralf. „Das ist auch in Ordnung.“<br />

Ralf weiß sehr wohl, was er seinen<br />

Kindern angetan hat. „Aber ich lass<br />

euch nicht mehr allein“, sagt er und<br />

nimmt die beiden in seine Arme. „Nie<br />

mehr.“ •<br />

Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />

42


Wir gratulieren!<br />

Vielen Dank für 25 bewegte Jahre mit viel Unterstützung<br />

und Hilfe für die Menschen unserer Stadt.<br />

„Gut für Hamburg“ zeigt das vielfältige gesellschaftliche<br />

Engagement der Haspa und ist zugleich ein Ort für alle,<br />

die sich in Ihrer Region engagieren wollen.<br />

www.haspa-gut-fuer-hamburg.de


...weil die einen besonderen<br />

Blick auf Hamburg haben.<br />

Michel Abdollahi, Künstler<br />

… weil mit<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> mein<br />

Hamburg mir so nah ist!<br />

Gilda Winter aus<br />

Mammoißel im Wendland<br />

… weil die Beiträge,<br />

die anders sind als in<br />

sonstigen Zeitungen,<br />

mich zum Nachdenken<br />

bringen – und ich seit<br />

15 Jahren Mitglied im<br />

Freundeskreis bin.<br />

Susanne Dinter


… weil Geschichten<br />

auf der Straße<br />

beginnen und es eine<br />

tolle Möglichkeit<br />

ist, den Menschen<br />

sinnvoll zu helfen.<br />

Victoria Keller<br />

Ich lese<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>,<br />

weil<br />

… Der<br />

Künstler Michel Abdollahi hat mitgemacht,<br />

Koch Tim Mälzer, Tagesschausprecherin Judith Rakers,<br />

die Gebrüder Braun vom Miniatur Wunderland und<br />

TV-Entertainer Jorge González. Wir wollten von ihnen<br />

wissen, warum sie Hinz&<strong>Kunzt</strong> lesen – und haben<br />

daraus eine Werbekampagne zum Jubiläum unseres<br />

Projektes gemacht. Aber nicht nur auf die Antworten<br />

der Promis waren wir neugierig. Auch unsere<br />

Leserinnen und Leser haben wir gebeten, den Satz<br />

zu beenden und uns ein Foto von sich mit einer<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> in Händen zu schicken.<br />

45


… weil die Welt kein<br />

Wunderland ist!<br />

Frederik und Gerrit Braun,<br />

Miniatur Wunderland<br />

...weil die wichtigsten Nachrichten<br />

auf der Straße beginnen.<br />

Judith Rakers, Moderatorin<br />

… weil mich nichts mehr mit Hamburg verbindet als ihr!<br />

Elfi Steffen aus Pforzheim<br />

46


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Freunde<br />

… weil keiner bessere Rezepte hat<br />

für ein wirklich soziales Hamburg!<br />

Tim Mälzer, Koch<br />

... weil die Zeitschrift<br />

neben den unfassbar guten<br />

Themen einfach auch so<br />

gut gemacht ist. Die Bilder,<br />

die Anordnung der<br />

Texte. Sie ist ehrlich,<br />

wichtig und reflektiert. Sie<br />

ist Alltag, den wir oft<br />

nicht sehen. Sie ist Kultur,<br />

Hoffnung und Hamburg.<br />

Sie ist einfach gut!<br />

Laura Steinhaus<br />

… weil nicht nur Zäune<br />

verbinden.<br />

Sarah Lena Goos und<br />

Reni Möckel vom<br />

Hamburger Gabenzaun<br />

(hier hängen Hamburger<br />

Sachspenden für Obdachlose<br />

an einen Zaun am<br />

Hauptbahnhof, die Red.)<br />

… weil ich das Konzept liebe, dass<br />

ich jemandem helfe, indem ich die<br />

Zeitschrift lese. Gleichzeitig hilft<br />

es mir, mein Deutsch zu verbessern.<br />

Aparajita Bose<br />

47


…weil ich Toleranz und<br />

Respekt zu schätzen weiß.<br />

Jorge González, TV-Entertainer<br />

… weil es nicht<br />

nur die schöne<br />

heile Welt zeigt,<br />

sondern ohne<br />

Polemik sachlich<br />

klar die sozialen<br />

Schattenseiten<br />

der Hansestadt<br />

aufzeigt.<br />

Kapitän Jürgen<br />

Schwandt<br />

… von der ersten Ausgabe an, weil ich es super finde,<br />

dass die Verkäuferinnen und Verkäufer so<br />

wieder mehr Selbstbewusstsein haben und auch<br />

finanziell etwas eigenständiger werden können.<br />

Dörte Laschinsky


Freunde<br />

Die Patriotische Gesellschaft<br />

von 1765<br />

gratuliert Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

zum 25-jährigen Jubiläum!<br />

Patriotische Gesellschaft von 1765<br />

Stolzer Gesellschafter von Hinz&<strong>Kunzt</strong> seit 1996<br />

… weil die Möglichkeit zu helfen<br />

und zu unterstützen direkt<br />

vor meiner Tür zu finden ist!<br />

Gertrude Weinert<br />

www.patriotische-gesellschaft.de<br />

… weil ich die<br />

Beiträge in dem<br />

Straßenmagazin<br />

als sehr authentisch<br />

empfinde<br />

und nebenbei mit<br />

dem Kauf des<br />

Magazins ein<br />

lokales soziales<br />

Projekt unterstütze,<br />

das mir sehr<br />

am Herzen liegt.<br />

René Mentschke<br />

Dankeschön<br />

Wir danken allen Leserinnen und Lesern,<br />

die den Satz vervollständigt haben.<br />

Danke auch an alle, die pro bono zur Plakatkampagne<br />

beigetragen haben: dem Fotografen Philipp Rathmer,<br />

der Postproduktion Harvest, Plakat Hansen,<br />

Kultur-Medien Hamburg und<br />

Ströer Außenwerbung Hamburg.<br />

Wir gratulieren Hinz & <strong>Kunzt</strong><br />

und wünschen weitere 25<br />

erfolgreiche Jahre!<br />

abasto<br />

ökologische Energietechnik<br />

Für mehr soziale Wärme<br />

und eine klimaschonende<br />

Strom- und Wärme -<br />

versorgung.<br />

www.abasto.de<br />

49


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

Ausdrucksstark und<br />

wandlungsfähig:<br />

Gustav Peter Wöhler<br />

beim Fototermin im<br />

Hotel Reichshof.<br />

50


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

„Musik hat<br />

mich immer<br />

wieder getröstet“<br />

Gustav Peter Wöhler ist ein Mann mit vielen Qualitäten: Er spielt, er singt,<br />

er tanzt. Kurz: Der Mann hängt sich rein. Am 6. <strong>November</strong> tritt er mit seiner<br />

Band bei der Feier zum 25. Geburtstag von Hinz&<strong>Kunzt</strong> auf. Ein Gespräch<br />

über die Musikbox seiner Eltern, Selbstzweifel und seine große Liebe.<br />

INTERVIEW: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: ANDREAS HORNOFF (PORTRÄTS), CHARLIE SPIEKER<br />

Oh, das ist aber voll heute<br />

hier“, sagt Gustav Peter<br />

Wöhler. Im Foyer des von<br />

ihm als Treffpunkt ausgesuchten Hotel<br />

Reichshof tummeln sich Touristengruppen<br />

und Businessleute. Eine halbe<br />

Treppe höher, in einer kleinen Lounge,<br />

ist noch Platz. Wöhler lässt sich in<br />

einen Sessel fallen und erzählt beim<br />

Cappuccino, dass er früher gegen die<br />

Modernisierung des Hotels demonstriert<br />

hat.<br />

Nebenan, am Schauspielhaus, begann<br />

1982 seine Theaterkarriere. Bis<br />

heute hat er in vielen Kino- und<br />

TV-Filmen und Serien mitgewirkt<br />

(„Bin ich schön?“ / „Soko Köln“).<br />

Oft wird der 62-Jährige, der in<br />

Eickum bei Herford aufgewachsen ist,<br />

als „Durchschnitts typ“ besetzt. Fans,<br />

die seine Energie auf der Bühne schätzen,<br />

bezeichnen Wöhler hingegen als<br />

„sexiest man alive“.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Herr Wöhler, wie sind Sie<br />

musikalisch sozialisiert worden?<br />

GUSTAV PETER WÖHLER: Zuerst Musik gehört<br />

habe ich bei uns in der Kneipe meiner<br />

Eltern in der Musikbox. Da kamen so<br />

Sachen raus wie „Da sprach der alte<br />

Häuptling der Indianer“ von Gus Backus<br />

und „Es hängt ein Pferdehalfter<br />

an der Wand“, all dieser Blödsinn. Damals<br />

fand man das lustig.<br />

Sie nicht so?<br />

Nein, vor allem einen Song habe ich<br />

gehasst, von Freddy Quinn: „Hundert<br />

Mann und ein Befehl“, dieses schreckliche<br />

Soldatenlied. Gegen die Hippies,<br />

gegen die Gammler! Ich habe gemerkt,<br />

ich tendiere eher zu denen.<br />

Später bin ich auf dem Radiosender<br />

BFBS (British Forces Broadcasting Service,<br />

d. Red.) gestoßen. Ich komme ja aus<br />

Herford, da lief immer „Nightflight“<br />

mit Alan Bangs. Da habe ich all die<br />

Sachen gehört, die ich jetzt auch noch<br />

höre und spiele. Wir fangen die Shows<br />

zum Beispiel mit dem Nick-Drake-<br />

Song „From The Morning“ an.<br />

51<br />

Sie und Ihre Band spielen nur<br />

Coverversionen: von Nena über The Police<br />

bis zu U2. Wann kommt denn das erste<br />

selbst geschriebene Album?<br />

Das müssen Sie meine Band fragen.<br />

Ich wäre sofort dabei, aber seit 22 Jahren<br />

rede ich mir den Mund fusselig.<br />

Ich kann ja leider kein Instrument<br />

spielen, sonst würde ich selber Songs<br />

schreiben, aber ich bin zu blöd dazu.<br />

Sie sind ganz schön selbstkritisch.<br />

Ich bin sehr selbstkritisch, ja. Ich werde<br />

auch dauernd angesprochen, wann<br />

ich denn endlich mein erstes Buch<br />

schreibe? Ich sage: „Ich hoffe, nie!“<br />

Ich habe so einen hohen Anspruch<br />

an Literatur, dass ich dem selbst nicht<br />

genügen könnte. Mir reicht mein<br />

Tagebuch.<br />

Zurück zur Musik. Sie haben<br />

einmal gesagt, dass die Musik Sie<br />

gerettet hat – wovor?<br />

Vor der Einsamkeit. Vor der Verzweiflung.<br />

Musik hat mich gerettet davor,<br />

nicht durchzudrehen. Meine Eltern<br />

sind ja sehr früh gestorben und ich bin<br />

in so einem Umfeld aufgewachsen, wo<br />

ich sehr früh gemerkt habe, ich bin anders.<br />

In dem Dorf haben fast alle<br />

CDU gewählt. Ich habe meine Homosexualität<br />

zu einem sehr frühen Zeitpunkt<br />

entdeckt. Damals war das noch<br />

verboten. Es ist immer wieder so ge-


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

wesen, dass ich durch Musik getröstet<br />

worden bin.<br />

Durch Songs, bei denen klar war, Sie<br />

sind nicht der Einzige, der einsam und<br />

verzweifelt ist?<br />

So ist es.<br />

Sie sind schon sehr lange mit Albert<br />

Wiederspiel, dem Direktor des Filmfestes<br />

Hamburg, zusammen.<br />

Wir haben uns 2004 kennengelernt,<br />

durch Doris Dörrie. Ihr Film „Der Fischer<br />

und seine Frau“, in dem ich mitspiele,<br />

hatte Premiere auf dem Filmfest<br />

und meine Band hat da gespielt.<br />

Albert kannte mich gar nicht, aber ich<br />

habe mich sofort in ihn verknallt. Diese<br />

Reden, die er gehalten hat! So gefühlvoll,<br />

so menschlich, so witzig.<br />

Sie leben heute mit ihm abwechselnd in<br />

Hamburg und Berlin.<br />

Ja, das ist schon pervers, so was zu<br />

sagen, aber Albert ist passionierter Berliner<br />

und ich bin passionierter Hamburger.<br />

Er wollte unbedingt seine Wohnung<br />

in Berlin behalten, denn wenn er hier<br />

aufhört, werden wir nach Berlin ziehen.<br />

Die meisten Menschen kennen Sie als<br />

Schauspieler. Sie gelten als „König der<br />

Nebenrollen“. Fühlen Sie sich treffend<br />

beschrieben?<br />

Was heißt „König der Nebenrollen“?<br />

Ich habe halt Nebenrollen, da gibt es<br />

aber viele Kollegen ... Ich darf voller<br />

Stolz sagen, dass ich hier am Schauspielhaus<br />

viele Nebenrollen gespielt<br />

habe und immer sehr gut besprochen<br />

wurde. „Egal, was er macht, er ist<br />

präsent“, hieß es damals in der Kritik.<br />

Das hat mich sehr gefreut. Ich bin<br />

ansonsten eher der faule Mensch und<br />

lasse alles auf mich zukommen.<br />

Ursprünglich wollten Sie auch gar nicht<br />

Schauspieler werden?<br />

Nein, ich wollte eigentlich Sozialpädagoge<br />

werden. Oder Sänger. Vor der<br />

Sozialpädagogik hat mich dann aber<br />

mein Religionslehrer gewarnt.<br />

Der hat Sie zur Schauspielschule geschickt.<br />

Ja, für jeden Menschen gibt es diese<br />

Begegnungen, die Türen öffnen. Von<br />

sich aus etwas zu entwickeln, so etwas<br />

Konzerte mit vollem Körper einsatz: Gustav Peter Wöhler und<br />

seine Band (von links): Kai Fischer, Olaf Casimir und Mirko Michalzik.<br />

habe ich nie gelernt. Das fehlt mir<br />

heute noch oft. Ich habe nicht umsonst<br />

22 Jahre in einer Band hinter mir, ich<br />

habe auch 35 Jahre Therapie hinter<br />

mir.<br />

Wie kam es dazu?<br />

Ich habe halt irgendwann gemerkt, ich<br />

muss Therapie machen, weil ich zu<br />

viele Dinge in meinem Kopf und in<br />

meiner Seele habe, die mich belasten,<br />

die mich nicht freilassen. Das hat sich<br />

durch die Therapie total geändert.<br />

Woran merken Sie das?<br />

Mein größtes Problem war früher die<br />

Angst vorm Publikum. Die Angst,<br />

nicht angenommen zu werden,<br />

schlecht beurteilt zu werden. Ich habe<br />

mal ein Konzert in den Fliegenden<br />

Bauten gehabt, und da saß ein Mensch<br />

immer mit geschlossenen Augen und<br />

Kopf in der Hand da und ich dachte:<br />

O Gott, Scheiße! Er kam anschließend<br />

zum CD-Verkauf und hatte seine Frau<br />

dabei. Der war blind. Der hat da so<br />

gesessen, weil er genau zugehört hat.<br />

Da habe ich mich so geschämt für<br />

mich selbst! Und habe gedacht, wieso<br />

bist du eigentlich so blöd? Wieso stellst<br />

du dich so an? Heute ist das komplett<br />

vorbei.<br />

Sie haben sich nicht nur in dem Film<br />

„Erleuchtung garantiert“ (1999) mit<br />

Meditation beschäftigt, sondern auch<br />

privat. Meditieren Sie heute noch?<br />

Nicht mehr so oft, aber vor Konzerten.<br />

So eine halbe Stunde, bevor es losgeht,<br />

setze ich mich hin. Um mich zu<br />

erden, eine Klarheit zu bekommen,<br />

dass man nicht voller Nervosität da<br />

rausstürzt. Aber im Moment ist meine<br />

Stimme so toll, wenn ich das mal so<br />

ganz blöd sagen darf. Ich bin viel<br />

freier.<br />

Sie treten bei unserer 25-Jahr-Feier auf.<br />

Wo haben Sie in Ihrem Alltag Berührungspunkte<br />

mit Obdachlosigkeit?<br />

52


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Ich muss nur morgens von meiner<br />

Wohnung in St. Georg zum Hauptbahnhof<br />

gehen, dann habe ich mehrere<br />

Kontakte mit Obdachlosen. Ich<br />

kenne einen Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />

sehr gut, der steht vorm Kaufhof, wir<br />

grüßen uns auch immer. Das sind ja<br />

Stamm verkäufer. Und dann gibt es<br />

auch viele Leute, wo man sich fragt,<br />

wo kriegen die ihre Hinz&<strong>Kunzt</strong> her?<br />

Die haben meistens nur ein Heft dabei<br />

„Früher hatte<br />

ich große Angst,<br />

schlecht beurteilt<br />

zu werden.“<br />

GUSTAV PETER WÖHLER<br />

und das sieht auch nicht mehr so gut<br />

aus. Da bin ich gehemmt: Soll ich denen<br />

Geld geben oder schade ich damit<br />

Leuten, die das richtig machen?<br />

Das Problem der nicht-offiziellen Verkäufer<br />

hat sich verstärkt in den vergangenen<br />

Monaten. Wir bitten die Leser, nur bei<br />

Menschen mit Verkaufsausweis zu kaufen.<br />

Aber letztlich machen die Leute, die mit<br />

einer Hinz&<strong>Kunzt</strong> betteln, das ja auch<br />

nicht aus Spaß …<br />

… sondern weil sie es müssen, ja. Viele<br />

Leute haben ihr Leben auf der Reihe<br />

gehabt. Plötzlich wird die Reihe gekappt<br />

und dann stehst du auf der<br />

Straße.<br />

Kennen Sie selbst Existenzangst?<br />

Nein, weil ich als Kind gelernt habe,<br />

mit ganz wenig auszukommen. Ich habe<br />

mir eins vorgenommen in meinem<br />

Leben: Egal, wie gut es dir geht, du<br />

wirst diese Zeit immer in dir spüren.<br />

Ich hätte kein Problem, meine jetzige<br />

Wohnung aufzugeben oder kürzerzutreten.<br />

Das habe ich gelernt. •<br />

Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />

Wir feiern Geburtstag:<br />

Di, 6.11., Markthalle, Klosterwall 11,<br />

18.30 Uhr: Moderator Michel Abdollahi<br />

im Gespräch mit Hinz&Künztlern und<br />

Gästen.<br />

Danach: Release unseres Kochbuches<br />

„Willkommen in der <strong>Kunzt</strong>Küche!“<br />

(siehe Anzeige Seite 39),<br />

20 Uhr: Gustav Peter Wöhler Band;<br />

Eintritt frei, Spenden erbeten<br />

<br />

MACY GRAY<br />

<br />

ÜBERJAZZ<br />

<br />

PETER CETERA<br />

<br />

CHVRCHES<br />

<br />

KLAUS HOFFMANN & BAND<br />

<br />

NIGHTMARES ON WAX<br />

<br />

THE IRISH FOLK FESTIVAL<br />

<br />

DAVID AUGUST<br />

<br />

TREMONTI<br />

<br />

BERNHOFT AND<br />

THE FASHION BRUISES<br />

<br />

KYLIE MINOGUE<br />

<br />

NICOLA CONTE &<br />

SPIRITUAL GALAXY<br />

<br />

HOZIER<br />

<br />

NILS LANDGREN:<br />

CHRISTMAS WITH MY FRIENDS<br />

<br />

JUDITH HOLOFERNES<br />

<br />

WLADIMIR KAMINER<br />

<br />

4U: A SYMPHONIC<br />

CELEBRATION OF PRINCE<br />

<br />

GIORA FEIDMAN TRIO<br />

<br />

CYPRESS HILL<br />

<br />

TORFROCK<br />

<br />

STAATLICHES RUSSISCHES<br />

BALLETT MOSKAU<br />

<br />

GOOD CHARLOTTE<br />

<br />

ERSTE ALLGEMEINE<br />

VERUNSICHERUNG<br />

<br />

MAX GIESINGER<br />

<br />

SLASH<br />

<br />

LOREENA MCKENNITT<br />

<br />

MAX RAABE & PALAST<br />

ORCHESTER<br />

<br />

TEDESCHI TRUCKS BAND<br />

<br />

HERMAN VAN VEEN<br />

53<br />

TICKETS: KJ.DE


Wilde Tiere,<br />

einsame Orte und<br />

ein Farbenmeer<br />

Hinz&Künztler und ihre Lieblingsbilder in der Hamburger Kunsthalle.<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Wir sind mal wieder unterwegs in der<br />

Kunsthalle. Ein Highlight für uns.<br />

Hier können sechs Hinz&Künztler<br />

zumindest für ein paar Stunden in<br />

eine völlig andere Welt eintauchen. Zusammen<br />

streifen wir durch die Räume, und jeder sucht sich<br />

ein Bild, das ihn besonders anspricht und erzählt<br />

warum: Birgit ist schockverliebt in ein eigentlich<br />

unspektakuläres Landschaftsbild von Caspar David<br />

Friedrich. Ulf fotografiert an die 60 Bilder, bleibt<br />

aber distanziert. Timo ist fasziniert von einem Löwen<br />

und hofft, dass der nur mit dem Alligator spielt.<br />

Petra findet endlich ein buntes Bild, das gegen ihre<br />

Winterstimmung hilft. Fred schaut tief in Courbets<br />

Grotte und könnte sich vorstellen, dort seinen<br />

Schlafplatz zu haben. Und Gerrit landet zumindest<br />

vorübergehend wieder in der Psychiatrie. Begleitet<br />

werden wir bei unserem Rundgang von Christoph<br />

Martin Vogtherr, dem Chef der Kunsthalle persönlich.<br />

Auch er hat derzeit ein Lieblingsbild: einen gefolterten<br />

Jesus. •<br />

„Ob die wohl schmusen?“<br />

Eugène Delacroix, Löwe und Alligator, Öl auf Eichenholz, 1863<br />

Das sieht doch aus, als würde der Löwe den Alligator putzen. Ob die schmusen? Aber der Löwe will den Alligator wohl doch fressen, weil<br />

seine rote Zunge schon zu sehen ist. Und der Löwe hat ja seine Krallen draußen, zart wirkt das nicht. Auf den ersten Blick sieht man das<br />

allerdings nicht so genau. Aber wer weiß. Vielleicht haben sie sich doch zusammengetan. Man kennt doch so verrückte Sachen. Katzen und<br />

Hunde, die sich gut verstehen, Pinguine und Bären. Aber so richtig glaube ich nicht daran. Es ist ein schönes und faszinierendes Bild, so<br />

was würde ich mir sofort hinhängen. Ich liebe Tiere und habe selbst viele Tiere gehabt. Meine letzte Hündin haben sie mir allerdings geklaut.<br />

Ein Kollege ist damit nach Amsterdam abgehauen, da war sie noch ganz klein. Jetzt ist sie wieder in Bremen, aber es ist zu spät. Sie würde<br />

sich ja nicht mehr an mich erinnern. Und da will ich sie nicht rausreißen.<br />

Timo, 42, wohnt im Wohncontainer. Er hat noch keinen festen Verkaufsplatz.<br />

C. M. Vogtherr: Das ist auch ein sehr besonderes Bild für mich. Ich mag Delacroix. Und ich habe mir gewünscht, dass wir hier noch mehr von<br />

ihm zeigen können, deshalb haben wir als Museum gerade noch eine Zeichnung von ihm gekauft. Es geht bei ihm immer auch um große<br />

Leidenschaft und Gewalt. Selbst die Natur ist nicht harmlos, sondern es passiert gerade etwas Grundlegendes und Existenzielles. Dass der<br />

Löwe nicht etwa mit einer Gazelle kämpft, sondern mit einem Alligator, ist eine ungewöhnliche Kombination, die die Spannung noch mal<br />

verstärkt. Dazu ist der Abendhimmel hell gemalt – und so sehen wir den Löwen genau und sehen, wie groß er ist und wie viel Kraft er hat.<br />

55


„Ich mag, wenn es bunt ist“<br />

Sam Francis, As for the Open,<br />

Öl auf Leinwand, 1962-63<br />

Die meisten Bilder hier waren mir zu düster.<br />

Vielleicht liegt das auch an meiner Winterstimmung.<br />

Dieses Bild mag ich. Es ist bunt,<br />

von mir aus könnte es sogar noch bunter und<br />

greller sein. Ich würde mir so was sofort hinhängen.<br />

Das ist schön, wenn es draußen grau<br />

wird. Da lässt sich nichts in eine Form pressen,<br />

genau wie ich. Ich mag keine weißen Wände.<br />

Momentan wohne ich in einem Container, und<br />

der ist von innen grau. Deshalb habe ich überall<br />

an den Wänden etwas Buntes aufgehängt:<br />

eine grün-weiße Werder-Fahne, einen pinken<br />

Hut mit LEDs – und ein hellblau-gelbes Batiktuch<br />

von meiner Tochter. Ich mag es hell und<br />

fröhlich.<br />

Petra, 57, wohnt in einem Wohncontainer.<br />

Sie verkauft am Mühlenkamp in Winterhude.<br />

C. M. Vogtherr: Ein besonderes Bild: Es ist das<br />

Eingangsbild der Kunsthalle seit zwei Jahren.<br />

Das Bild steht für einen Neuanfang nach dem<br />

Krieg, den Beginn einer neuen Zeit. Die weiße<br />

Oberfläche und darauf eine einfache Bildsprache,<br />

die alle weltweit verstehen. Man sieht<br />

Energie, wie der Maler sich abgearbeitet hat,<br />

nichts ist abgezirkelt, alles elegant und kraftvoll.


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<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

„Je tiefer, desto angenehmer“<br />

Gustave Courbet, Die Grotte der Loue, Öl auf Leinwand, 1864<br />

Meine Platte ist überschwemmt, denke ich da. Alleine diese Wuchtigkeit.<br />

Es ist ein schöner Ort, auch wenn da Wasser drum herum ist. Ich<br />

bin ja der geborene Einzelgänger, ich brauche meine Rückzugsorte.<br />

Dieses Stillleben sagt mir mehr, als wenn noch Tausend Leute rumstehen<br />

würden. Normalerweise würde ich mir natürlich Orte aussuchen,<br />

wo nicht so viel Wasser drum herum ist. Wasser zieht ja Kälte an, aber<br />

bei diesem Bild vielleicht nicht so, weil es vermutlich in einer wärmeren<br />

Region liegt. Beruhigend und angenehm. Auch wenn man nicht schwimmen<br />

kann, da komm ich wieder raus. Und du kannst ja ellenweit reingucken,<br />

deswegen finde ich das interessant. Ich würde weiter nach hinten<br />

reingehen, je tiefer, desto angenehmer. Dahinten wäre es trocken,<br />

davon gehe ich jedenfalls aus. Und es gibt mit Sicherheit noch ein<br />

Hochplateau, auf das ich mich zurückziehen kann. Das sieht man natürlich<br />

nicht auf dem Bild.<br />

Fred, 54, ist obdachlos. Er verkauft auf dem Markt in Ahrensburg.<br />

C. M. Vogtherr: Das ist ein sehr berühmtes Bild von Courbet. Und tatsächlich<br />

geht es auch um Rückzug: Courbet hat ja in Paris gewohnt und<br />

ist dort verurteilt worden, weil er an der Revolution 1870 teilgenommen<br />

hat. Er musste flüchten, und die Gegend, in die er sich zurückgezogen<br />

hat, wenn es in Paris brenzlig wurde, ist an der Grenze zur Schweiz hin,<br />

östlich von Paris. Das Bild ist auch unter Kunsthistorikern berühmt: Courbet<br />

trägt die Farbe für die Steine mit Spachtel und Stöcken ganz grob auf,<br />

er hat sie richtig draufgehauen. Merkwürdig und ungewöhnlich an dem<br />

Bild: dass in der Mitte gar nichts ist. Hier ist das Wichtige das Nichts.<br />

Auf Entdeckungstour in der Kunsthalle (von links): Gerrit,<br />

Timo, Fred, Petra, Ulf. Vorne: Birgit, Chefredakteurin<br />

Birgit Müller, Sybille Arendt (Öffentlichkeitsarbeit).<br />

57


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong>


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

„Ein Gefühl von Heimat!“<br />

Caspar David Friedrich, Sturzacker, Öl auf Leinwand, um 1830<br />

Das ist genau, was ich jeden Morgen sehe, wenn ich in meinem<br />

Camper aufstehe. Alles drum herum ist Land, Naturschutzgebiet.<br />

Das verbinde ich mit Ruhe, zu Hause und dem Gefühl von Heimat.<br />

Wenn ich mir das Bild ansehe, dann weiß ich, dass ich die beste<br />

Entscheidung meines Lebens getroffen habe, da zu wohnen. Hier<br />

habe ich Natur. Wir haben Pferdeweiden, Äcker und Bauern, aber<br />

auch ’ne Bushaltestelle. Das ist absolut wichtig. Ich komme einfach<br />

aus der Großstadt und muss da auch immer wieder hin. Aber<br />

ich finde die Großstadt erdrückend. Gerade aus der Perspektive,<br />

wenn du selbst auf der Straße geschlafen hast und ganz viele<br />

Menschen zu dir runtergucken. Jetzt bin ich auf einer Ebene mit<br />

allen. Auf dem Land ist es einfach anders. Da interessiert es<br />

keinen, wo du herkommst. Du wirst genommen, wie du bist. In der<br />

Stadt wollen alle immer wissen, wo du herkommst, was du machst.<br />

Das Bild würde ich sofort aufhängen. Aber nicht zwangsläufig mit<br />

diesem Rahmen. Ein dezenterer Rahmen wäre cooler, dann würde<br />

das Bild mehr zur Geltung kommen.<br />

Birgit, 49, lebt im Wohnwagen. Sie verkauft derzeit unregelmäßig.<br />

C. M. Vogtherr: Dieser Raum ist ja fast das Herzstück der Kunsthalle,<br />

das kennen wir alle gut, die wir hier arbeiten. Ich mag den<br />

„Sturzacker“ so sehr, weil er so unspektakulär ist. Es ist fast<br />

nichts drauf, aber durch das wunderbare Licht und den weiten<br />

Blick ist es eine schöne Szene. Caspar David Friedrich hat damals<br />

in Dresden gewohnt und ist viel um Dresden herumgewandert.<br />

Das Bild ist aus dieser direkten Beobachtung entstanden.<br />

„Das erinnert mich an die Psychiatrie“<br />

Ilya Kabakov, Healing with Paintings, Rauminstallation,<br />

Mixed Media, 1996<br />

Als wir kamen, war die Tür angelehnt. Ich wusste erst gar nicht, ob<br />

man da durch darf. Aber ich hab die Tür natürlich aufgemacht,<br />

kennst mich ja. Dann das Knarren der Dielen und das Quietschen<br />

der Türen – und diese Musik! Was derjenige, der das gemacht hat,<br />

sich wohl dabei gedacht hat? Ich habe gleich gedacht: Dass man<br />

sich ins Bett legen soll und die Kunst betrachten. Ist mir schon<br />

klar, dass man sich hier nicht ins Bett legen darf. Aber das Ganze<br />

erinnert mich an die Psychiatrie. Da standen im Keller auch solche<br />

alten, ausgemusterten Betten. Zum Glück bin ich seit vier Jahren<br />

und elf Monaten da raus.<br />

Gerrit, 43, wohnt in einer Zweizimmerwohnung.<br />

Er verkauft am Forum Winterhude.<br />

C. M. Vogtherr: Die Räume von Kabakov sind bedrückend und<br />

trostlos. Die Beschriftung behauptet ja, dass hier durch Kunst<br />

geheilt werden soll. Glauben kann man das nicht. Wenn es in einer<br />

solchen Zelle nicht funktioniert, kann Kunst dann im Museum<br />

wirken und helfen? Gerrits und meine eigene Reaktion zeigt aber<br />

in jedem Fall: Ein Werk wie diese Installation kann beeindrucken.<br />

59<br />

Das Thalia Theater er gratuliert<br />

t Hinz&<strong>Kunzt</strong> zt zum<br />

25-jährigen Jubiläum!<br />

175 Jahre Thalia Theater<br />

er<br />

175 Jahre Gegenwart<br />

Die Jubiläumsfestwoche<br />

2. – 11. 11. <strong>2018</strong><br />

thalia-theater.de/175jahre<br />

heat<br />

ater<br />

e re


Ulf ist oft im Museum, meistens in Altona. Mit seinem Handy fotografiert<br />

der 53-Jährige, der seinen Verkaufsplatz in der Bahrenfelder Straße und im Zeise<br />

Kino hat, bei unserem Ausflug mindestens 60 Gemälde. „Viele finde ich richtig<br />

interessant“, sagt er. Aber ein Lieblingsbild kann er heute nicht entdecken.


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

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„Ein Gast aus meiner Heimat“<br />

Hendrick Goltzius, Christus im Elend, Öl auf Holz, 1616<br />

Dieses Bild hat für mich eine persönliche Geschichte. Es hat mir<br />

immer schon gut gefallen, ich bin mit ihm aufgewachsen. Schon<br />

als junger Mensch bin ich in die Kirche gegangen, um es mir anzugucken.<br />

Es hängt normalerweise in einer Kirche in Uelzen, der<br />

Stadt, in der ich groß geworden bin. Ich habe mich immer für<br />

Kunst interessiert, und es war das interessanteste Bild, das es in<br />

der Stadt zu sehen gab. Ich war froh, dass ich es entdeckt hatte.<br />

Die Kirche wird gerade restauriert und ist deshalb geschlossen.<br />

Als ich das letzte Mal da war, habe ich gefragt, ob sie es uns in dieser<br />

Zeit eventuell als Leihgabe geben würden. Jetzt ist es tatsächlich<br />

als Gast bis Januar hier – ein Stück aus meiner Heimatstadt<br />

hierhergeholt in die Kunsthalle für ein paar Monate.<br />

Objektiv sieht man einen Schmerzensmann: Christus ist kurz<br />

vor der Kreuzigung geschlagen, misshandelt und gefoltert worden.<br />

Er wird von den Menschen, die ihn gefoltert haben, als König<br />

ausstaffiert, um ihn zu verspotten, mit Dornen auf dem Kopf anstelle<br />

einer echten Krone. Mit einem Schilfrohr in der Hand anstelle<br />

eines Zepters. Eine ganz brutale Szene, noch mal zugespitzt<br />

durch das ungewöhnliche Format. Es ist in der ganzen Kunsthalle<br />

das einzige Bild, das auf der Spitze<br />

steht. Dadurch<br />

wirkt Jesus umso<br />

mehr eingezwängt in dieser<br />

fürchterlichen Situation. Als<br />

14-Jähriger konnte ich mit<br />

dem Thema Folter und<br />

Verspottung noch nichts<br />

anfangen, das war<br />

sehr abstrakt. Erst<br />

später ist mir klar<br />

geworden, was<br />

das alles in der<br />

Realität heißen kann.<br />

Prof. Dr. Christoph Martin<br />

Vogtherr, 53, Direktor der<br />

Hamburger Kunsthalle<br />

61<br />

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<strong>Kunzt</strong>&Comic – zwei Folgen zum Jubiläum<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

62


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Comic – zwei Folgen zum Jubiläum<br />

63


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Lebenslinien<br />

„Ich bin froh über das,<br />

was ich erreicht habe“<br />

Elena Pacuraru hat mehrere Jahre in Hamburg auf der Straße gelebt.<br />

Heute ist die Rumänin bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> als Reinigungskraft angestellt.<br />

Ihr nächstes großes Ziel: Lesen und Schreiben lernen – auch auf Deutsch.<br />

Die Geschichte einer Frau, die nicht aufhört zu kämpfen.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />

HILFE BEI DER ÜBERSETZUNG: ANA-MARIA ILISIU<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

M<br />

ein Kopf …“, seufzt Elena Pacuraru und<br />

wischt sich mit der Hand über die Augen.<br />

„Ich alles immer vergessen!“ Müde schaut<br />

sie auf einen DIN-A4-Zettel. Darauf<br />

stehen deutsche Sätze, in denen immer das Verb fehlt.<br />

Das soll sie einsetzen. Erst mal muss sie also den Text lesen.<br />

„M – U – S – I – K“, buchstabiert die Hinz&Künztlerin –<br />

und schaut ratlos. Noch mal … „Ahhh! Musik!“ Elena<br />

lacht und freut sich. Sie wirkt dann wie ein junges<br />

Mädchen, dabei ist sie schon 49 Jahre alt. Seit April 2016<br />

ist die Rumänin bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> als<br />

Reinigungskraft fest angestellt. Und sie<br />

kann stolz auf sich sein. Denn Elena ist<br />

Analphabetin. Sie ist nie in ihrem Leben<br />

zur Schule gegangen. Nicht einen<br />

Tag. Und sie spricht nur gebrochen<br />

Deutsch. Mit fast 50 Jahren lernt sie<br />

zum ersten Mal Buchstaben kennen,<br />

lernt, sie zu Worten zusammenzusetzen<br />

und die Worte zu ganzen Sätzen. Und<br />

das nicht mal in ihrer Muttersprache.<br />

Ein Kraftakt, der für Menschen mit<br />

normaler Schulbildung kaum vorstellbar ist. Aber Elena<br />

ist stark. Sie kämpft. Ihr ganzes Leben schon.<br />

Elena stammt aus der Gemeinde Titesti im Kreis<br />

Arges, das ist etwa 140 Kilometer nordwestlich von der<br />

Hauptstadt Bukarest entfernt. Sie ist eines von fünf Kindern.<br />

Der Vater ist ständig betrunken, die Mutter schuftet<br />

in einem landwirtschaftlichen Kollektiv, um die Familie<br />

durchzubringen. „Wir hatten oft nicht mal etwas anzuziehen“,<br />

erzählt Elena. Deshalb hätten die Kinder auch<br />

nicht zur Schule gehen können. „Aber ich bin groß geworden“,<br />

sagt Elena und lacht. „Und ich habe geheiratet.“<br />

Als Elena 16 ist, bekommt sie ihr erstes Kind. Obwohl<br />

… War sie 16? Elena ist sich nicht sicher, auch nicht darüber,<br />

wie alt ihr ältester Sohn ist. Zahlen sind fast so schwer zu<br />

behalten wie Buchstaben, wenn man nie etwas lernen durfte.<br />

Egal. Jedenfalls kommt von da an ein Kind nach dem<br />

anderen zur Welt. Sämtliche Verhütungsmethoden und<br />

Abtreibung waren für Frauen unter 40 Jahren unter Nicolae<br />

Ceau escu verboten. Erst mit dem Sturz des Diktators 1989<br />

wurde dessen Dekret abgeschafft. Trotzdem bekommt Elena<br />

zwei weitere Kinder. Sechs sind es insgesamt.<br />

Damals leben Elena und ihr Mann in einem Lastwagen.<br />

Den parken sie auf einem kleinen Grundstück, das sie kaufen<br />

konnten. Ihr Mann arbeitet ebenfalls<br />

in der Landwirtschaft, aber das<br />

„Ich hab immer<br />

Angst gehabt,<br />

dass uns jemand<br />

was antut.“ ELENA<br />

Geld reicht nie. Jobs, die die Existenz<br />

sichern könnten, gibt es nur für Menschen<br />

mit zumindest einem Minimum<br />

an Schulbildung.<br />

Doch zum Glück sind inzwischen<br />

die Grenzen geöffnet, und so beschließt<br />

das Paar, nach Österreich zu gehen.<br />

„Wir haben gebettelt und überall gefragt,<br />

ob wir vielleicht ein Treppenhaus<br />

saubermachen können“, erinnert sich<br />

Elena. So seien sie einigermaßen über die Runden gekommen.<br />

Vor allem konnten sie die Kinder zur Schule schicken,<br />

die bei Elenas Mutter in Rumänien geblieben waren. „Dafür<br />

danke ich Gott“, sagt sie. „Immer, wenn ich die Kinder gesehen<br />

habe, hab’ ich zu ihnen gesagt: ,Macht eure Aufgaben.<br />

Hier, lies mir das vor. Erkläre mir das hier.‘“ Die Kinder<br />

sollen es einmal besser haben. Dafür arbeitet Elena.<br />

Sie und ihr Mann fangen sogar an, in Rumänien ein kleines<br />

Haus zu bauen. Zweieinhalb Zimmer, ganz bescheiden.<br />

„Aber es ist immer noch nicht fertig“, erzählt sie und zuckt<br />

resigniert mit den Schultern. Denn irgendwann gibt es auch<br />

in Österreich keine Arbeit mehr. Immer mehr Ungelernte<br />

aus den ehemaligen Ostblockstaaten konkurrieren um<br />

65


20 Stunden pro Woche arbeitet Elena als Reinigungskraft bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Der Job ist für die 49-Jährige wie<br />

ein Sechser im Lotto: Endlich konnte sie mit ihrem kranken Mann in eine eigene Wohnung ziehen.<br />

niedrigschwellige Jobs. Und so zieht das Paar 2010 weiter<br />

nach Deutschland. „Wir hatten gehört, dass es hier besser<br />

ist“, erinnert sie sich. „Wir haben immer gedacht, wir machen<br />

ein bisschen Geld und dann gehen wir wieder zurück.“<br />

Schon allein der Kinder wegen. „Sie haben sich immer so<br />

gefreut, wenn ich komme. Dann konnte ich ihnen auch mal<br />

etwas kaufen“, erzählt Elena. Dafür wurde der Abschied von<br />

Mal zu Mal schwerer. „Irgendwann habe ich es nicht mehr<br />

übers Herz gebracht, ihnen zu sagen, dass<br />

wir wieder fahren müssen. Ab da sind wir<br />

immer einfach verschwunden.“<br />

In Hamburg angekommen, findet<br />

das Paar keine Bleibe. Elena und ihr<br />

Mann landen auf der Straße. Tagsüber<br />

gehen sie betteln, nachts liegen sie wach.<br />

„Wir haben uns ruhige Ecken in Parks<br />

gesucht“, erzählt sie. „Ich hab’ immer<br />

Angst gehabt, dass jemand kommt und<br />

uns etwas antut.“ Dazu die ewige Sorge<br />

um die Kinder. „Ich hatte Panik, dass ihnen<br />

etwas passiert“ – obwohl die meisten da schon volljährig<br />

waren. Aber in dieser Zeit wurde Elenas jüngste Tochter entführt.<br />

Zwölf Jahre war sie damals alt. Eine Woche war das<br />

Mädchen verschwunden. Nachbarn hatten beobachtet, wie<br />

sie von einem Mann mitgenommen worden war. „Ich bin<br />

krank geworden vor Angst“, sagt Elena. Zum Glück konnte<br />

das Mädchen von der Polizei in Österreich aufgespürt und<br />

zurück nach Rumänien gebracht werden. Der Mann, vermutlich<br />

ein Menschenhändler, kam ins Gefängnis.<br />

„Ich war<br />

eine gute und<br />

zuverlässige<br />

Verkäuferin.“<br />

66<br />

Mehrere Jahre leben Elena und ihr Mann auf der Straße.<br />

Das Geld, das das Paar verdient, schickt es zum größten Teil<br />

nach Rumänien zu Elenas Mutter. Schließlich kümmert die<br />

sich zunächst um die Kinder. In dieser Zeit beobachtet Elena<br />

immer wieder die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer. Irgendwann fasst<br />

sie sich ein Herz und spricht einen polnischen Hinz&Künztler<br />

an. So kommt Elena 2011 zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>. „Da war Jens<br />

(Hinz&<strong>Kunzt</strong> Geschäftsführer, die Red.), und Gott muss mir geholfen<br />

haben in dem Moment, denn ich<br />

habe ihm auf Deutsch erklärt, warum<br />

ich so dringend einen Ausweis brauche.“<br />

Elena lacht. „Ich konnte doch gar kein<br />

Deutsch!“ Immer noch ungläubig, als<br />

habe sie damals ein Wunder erlebt,<br />

schüttelt sie den Kopf. Und regelrecht<br />

stolz schiebt sie hinterher: „Ich bin die<br />

vierte Rumänin, die einen Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Ausweis bekommen hat.“<br />

Ein paar Jahre verkauft Elena das<br />

Straßenmagazin vor Aldi in Rahlstedt.<br />

„Ich war eine gute und zuverlässige Verkäuferin“, sagt Elena<br />

stolz. Wegen der ständigen Angst um die Kinder holt das<br />

Paar die drei jüngsten nach Hamburg. Zwei Töchter und ein<br />

Sohn, alle noch minderjährig, leben zunächst mit ihren<br />

Eltern gemeinsam auf der Straße. Anfang 2015 wird die<br />

Familie in Stade in einer Notunterkunft für Obdachlose aufgenommen.<br />

Doch damit will sich Elena nicht zufriedengeben.<br />

Regelmäßig steht sie bei der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiterin<br />

Isabel Kohler auf der Matte und trägt ihre Bitte


Lebenslinien<br />

vor: „Wenn du von einer Arbeit hörst, sag mir Bescheid.<br />

Ich brauche eine richtige Arbeit!“ Als die 20-Stunden-Stelle<br />

einer Reinigungskraft bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> frei wird, bekommt<br />

Elena den Zuschlag – und das Paar kann aus der Notunterkunft<br />

in eine eigene Wohnung in Stade ziehen. Zwei<br />

Zimmer, Küche, Bad. Ein großer Schritt ist getan.<br />

Nun also noch richtig Deutsch lernen. Der Kurs wird<br />

vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bezahlt.<br />

Täglich außer freitags geht Elena am Nachmittag in die<br />

Sprachschule. Wenn sie doch nur nicht immer so müde<br />

wäre … Um fünf Uhr klingelt der Wecker, um sechs<br />

fährt sie mit dem Metronom nach Hamburg, um sieben<br />

putzt sie bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Um zwölf Uhr macht Elena<br />

Hausaufgaben. Dabei helfen ihr manchmal andere<br />

Hinz&Künztler. Elena liest, probiert, wird freundlich<br />

korrigiert. „Ich vergesse alles!“, sagt sie frustriert. „Es ist so<br />

schwer.“<br />

Dann schnell Mittag essen und ein bisschen schlafen.<br />

Dafür schiebt sie sich in einem Büro Stühle zusammen und<br />

legt sich darauf. „Nur zehn, 20 Minuten“, sagt Elena.<br />

Nicht immer bleibt ihr die Zeit, um 14.30 Uhr beginnt der<br />

Unterricht. „Wenn ich nicht kurz schlafen konnte, sitze ich<br />

manchmal so in der Schule“, sagt sie, stützt ihren Kopf in<br />

die Hände und schließt die Augen. „Dann ruft Lehrer:<br />

,Hey, Elena!‘ Und ich sage: ,Lehrer, lass mich doch bitte<br />

bisschen einschlafen …‘“ So kaputt ist sie. Denn wenn sie<br />

um 19.30 Uhr zurück in Stade ist, muss sie noch kochen<br />

und aufräumen. Und am nächsten Morgen wieder früh<br />

hoch. Zwar verkauft inzwischen auch Elenas Mann<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Doch er ist schwer an Diabetes erkrankt.<br />

Elena macht sich Sorgen – und muss doch stark sein, denn<br />

auf ihr lastet die Hauptverantwortung.<br />

Trotzdem ist Elena zufrieden. „Ich bin froh über das,<br />

was ich erreicht habe.“ Nur eines wünscht sie sich noch:<br />

Dass ihre Kinder, die inzwischen fast alle in Deutschland leben,<br />

mitsamt den Enkelkindern gut über die Runden kommen.<br />

Ach ja, und dass sie vielleicht ihr Haus in Rumänien<br />

fertig bauen können. Um dann eines Tages zurückzukehren<br />

in die Heimat. •<br />

<br />

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Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />

Rumänische Verkäufer bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>:<br />

120 Rumänen sind offizielle Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer.<br />

Wir versuchen jeden, zum Besuch eines Deutschkurses<br />

zu motivieren. Dienstags findet in Kooperation mit Diakonie,<br />

Sprachbrücke-Hamburg und Hinz&<strong>Kunzt</strong> in der Tagesaufenthaltsstätte<br />

Bundesstraße ein Kurs statt. Eine Herausforderung:<br />

Viele waren nur kurz in der Schule oder sind<br />

Analpha beten. Elena besucht eine Sprachschule. Derzeit<br />

nehmen wir keine rumänischen Verkäufer mehr auf, weil<br />

dafür unsere Ressourcen nicht ausreichen.<br />

67


Uli Lau und Gerd Laufenberg (von rechts) sind gelernte Schriftsetzer. Sie und Werkstattleiterin Anne von Karstedt zeigen Astrid Froese (Artlit),<br />

Meike Cattarius (Leiterin Museumsshop Kunsthalle), Hinz&Künztler Jan und Gabi Koch (Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Spendenmarketing), wie Druck gemacht wird.<br />

Nichts für<br />

Ungeduldige<br />

Ortsbesuch im Museum für Arbeit: In der Druckwerkstatt entsteht in aufwändiger<br />

Handarbeit eine Postkarten-Edition für Hinz&<strong>Kunzt</strong> – mit beweglichen Lettern.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Blitzsauber ist es in der Druckwerkstatt. Das ist<br />

Pflicht. „Immer die Hände waschen, wenn man<br />

mit Blei arbeitet“, sagt Anne von Karstedt, sie ist<br />

die Chefin hier und muss es wissen. Früher tranken<br />

Setzer täglich einen halben Liter Milch, erzählt sie. Das<br />

Calcium sollte vor der gefürchteten Bleivergiftung schützen,<br />

die sich in heftigen Leibkrämpfen äußerte.<br />

Hinz&Künztler Jan hört aufmerksam zu. Er macht heute<br />

einen Crashkurs, lernt mit beweglichen Lettern Text zu<br />

setzen. Astrid Froese und Meike Cattarius sind auch da.<br />

Froese ist Inhaberin von Artlit, einem kleinen Verlag für<br />

Schriftkunst. Cattarius leitet den Museumsshop der Kunsthalle.<br />

Gemeinsam mit ihrer Freundin Anne von Karstedt<br />

hatten sie eine Idee: eine Serie von hochwertigen Postkarten<br />

mit literarischen Zitaten zum Thema „Arbeit“ herstellen.<br />

Und sie Hinz&<strong>Kunzt</strong> zum 25. Geburtstag zu schenken.<br />

Heute ist Testlauf.<br />

Setzen ist Fummelarbeit, das merken alle schnell. „Ich<br />

habe zwei linke Hände“, ächzt der 72-jährige Jan. Wo in den<br />

zig Fächern des hölzernen Setzkastens hat sich das „e“ ver-<br />

68


Profi Gerd Laufenberg gibt Jan noch ein paar Tipps. Alles korrekt gesetzt? Ein Handspiegel kann helfen.<br />

Im Setzkasten herrscht Ordnung. Fast fertig: Jan beim Auftragen der Farbe. Das teure Papier hat das Museum gespendet.<br />

steckt? Ah, da! Jan bekommt die filigranen Lettern nur<br />

schwer zu fassen. „Hier, nimm die Pinzette!“, rät Uli Lau, einer<br />

von zwei Ehrenamtlichen, die die Laien heute unterstützen.<br />

Nun muss Jan das „e“ nur noch exakt in den Winkelkasten<br />

setzen.<br />

Leichter gesagt als getan: Alles muss spiegelverkehrt<br />

und auf dem Kopf gesetzt werden, nur so ergibt sich später<br />

ein korrektes Druckbild. „Ich glaube, Frauen können so was<br />

besser“, sagt Jan und stöhnt. Astrid Froese winkt ab.<br />

Sie müht sich gerade selbst mit ihrem Prototyp ab, doch<br />

ihr Ehrgeiz ist geweckt: „Das ist ein bisschen wie Memory<br />

spielen“, sagt sie.<br />

„Setzer ist ein hochgradig anspruchsvoller Beruf“,<br />

bestätigt Anne von Karstedt. Man braucht Disziplin,<br />

Konzentrationsfähigkeit und Ordnungssinn, Letzteres vor<br />

allem: „Jemand, der schlampig ist, kann nicht setzen.“<br />

Trotzdem passiert es auch Profis, dass sie die Arbeit eines<br />

Tages zum Beispiel durch einen Hustenanfall zunichte<br />

machten. „Eierkuchen“ nannten die Setzer das, wenn alles<br />

durcheinander flog.<br />

„Setzer sind unglaublich pingelig“, sagt Gerd Laufenberg.<br />

Auch er hilft im Museum regelmäßig aus. Immer montags<br />

ist offene Werkstatt, aber auch viele Schulklassen nutzen<br />

das Angebot, selbst Hand anzulegen. Ursprünglich dauerte<br />

die Ausbildung zum Setzer drei Jahre. 1200 Buchstaben die<br />

Stunde musste man danach schon schaffen. Dafür wurde der<br />

anstrengende Job aber auch gut bezahlt. Und interessant sei<br />

er noch dazu gewesen, sagen sie. Weil man so viel zu Lesen<br />

„Setzer sind unglaublich<br />

pingelig.“ ANNE VON KARSTEDT<br />

bekam – oft auch vor allen anderen. Traurig, dass ihr Beruf<br />

in den späten 1980er-Jahren ausstarb und Computer ihre<br />

Arbeit übernahmen, sind beide trotzdem nicht. „Das hat die<br />

Arbeit enorm erleichtert“, sagt Laufenberg.<br />

Apropos: Jan geht das Setzen nach einer Stunde nun<br />

deutlich leichter von der Hand. „Ich glaube, da gibt es einen<br />

Schalter im Gehirn“, sagt er. Sich hetzen will er trotzdem<br />

nicht, schließlich muss am Ende alles ordentlich aussehen.<br />

Während Jan Letter für Letter vorsichtig in den Winkelkasten<br />

setzt, erzählt er, wie gern er selbst liest: Umberto Eco<br />

zum Beispiel. Und dass sein erster Nebenjob auch mit dem<br />

geschriebenen Wort zu tun hatte: „Ich habe Zeitungen aus-<br />

69


Hinz&Künztler Jan und Meike Cattarius schauen sich die Ergebnisse nach Stunden des<br />

Schriftsetzens an. Die gedruckten Postkarten sind bald in Museumsshops zu haben.<br />

getragen. Vor der Schule, um vier Uhr<br />

morgens musste ich aufstehen und los,<br />

auch bei Regen.“ Das, was er hier heute<br />

macht, ist aber viel anstrengender,<br />

findet Jan.<br />

„Erste!“, tönt es plötzlich<br />

durch die Werkstatt. Meike Cattarius<br />

hat ihr Zitat fertig gesetzt und<br />

strahlt. Sie wird dafür sorgen, dass<br />

die fertigen Postkarten später in vielen<br />

Museumsshops in Hamburg zu<br />

kaufen sind. Zunächst muss sie sich<br />

aber noch triezen lassen: „Bei der<br />

kleinen Schrift kann ich mir vorstellen,<br />

dass es schnell geht“, sagt Ehrenamtler<br />

Uli Lau und lacht. Setzer sind eben<br />

nicht nur pingelig, sie haben auch einen<br />

ganz speziellen Humor. An der<br />

Wand hängt ein DIN-A4-Blatt, auf<br />

dem in Abwandlung eines berühmten<br />

Songzitats von Bob Marley geschrieben<br />

steht: „I shot the Serif“. •<br />

Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />

Postkarten-Edition<br />

Die Postkarten aus handgeschöpftem<br />

Japankarton mit Zitaten zum Thema<br />

Arbeit, unter anderem von Erich Kästner<br />

und Sören Kierkegaard, kosten 1,50<br />

Euro pro Stück. Erhältlich sind sie in den<br />

Museumsshops von Museum der Arbeit<br />

und Kunsthalle (mehr Verkaufsstellen<br />

folgen) oder online unter www.artlit.de<br />

und www.hinzundkunzt.de/shop.<br />

Alle Erlöse gehen an Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Wir danken allen, die im Oktober an uns<br />

gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />

im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die<br />

Unterstützung unserer Arbeit!<br />

DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />

• IPHH<br />

• wk it services<br />

• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

• Hamburger Tafel<br />

Dankeschön<br />

• Axel Ruepp Rätselservice<br />

• Hamburger Kunsthalle<br />

• bildarchiv-hamburg.de<br />

• Röder-Stiftung St. Michaelis und<br />

den Hauptkantoren Christoph Schoener<br />

und Manuel Gera<br />

• die Gäste der Trauerfeier<br />

für Ingemaria Steller<br />

• Petra und Christian Stahl und ihren Gästen<br />

• dem Bucerius-Kunstforum<br />

• der Rathauspassage<br />

NEUE FREUNDE:<br />

• Axel Bode • Katja Eßlinger<br />

• Stefanie Jankuhn • Jessica Junge<br />

• Katharina Michel<br />

• Anu Lena Schaumlöffel<br />

• Regine und Rolf Schultz-Süchting<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

70


Probe nach einem<br />

langen Arbeitstag:<br />

Die Musiker des<br />

Ärzteorchesters sind<br />

alle in medizinischen<br />

Berufen tätig.<br />

„Es geht<br />

noch echter!“<br />

Das Hamburger Ärzteorchester spielt immer<br />

für einen guten Zweck. Demnächst für Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

TEXT: FRANK KEIL<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Thilo Jaques ist als Erster da. Er<br />

holt sich sein kleines Podest,<br />

nimmt vorsichtig den Taktstock<br />

aus einer länglichen Röhre heraus.<br />

Ein Blick auf die Uhr: 19.45. Eine<br />

Viertelstunde noch, dann füllt sich<br />

der Saal der Kassenärztlichen Vereinigung<br />

mit Pauke und Trompete, mit<br />

Streichern und Holzbläsern. Thilo<br />

Jaques ist seit 2004 der Dirigent des<br />

Hamburger Ärzteorchesters. Ein Orchester<br />

aus Klinik-, Fach- und Hausärzten,<br />

aber auch Logopäden oder<br />

Physiotherapeuten sind dabei: Hauptsache,<br />

was mit Medizin. Nur Jaques ist<br />

Profimusiker, hat Komposition an der<br />

Hamburger Musikhochschule studiert,<br />

und er leitet die wöchentliche Probe.<br />

„Es ist ein Laienorchester, allerdings<br />

ein sehr gutes“, erzählt er. Das etwas<br />

auszeichnet: Es gibt nur Benefizkonzerte.<br />

Der nächste Konzertabend<br />

findet zugunsten von Hinz&<strong>Kunzt</strong> statt.<br />

Dafür hat sich das Orchester einiges<br />

vorgenommen: Auf die erste Sinfonie<br />

von Ludwig van Beethoven folgt die<br />

neunte Sinfonie von Antonín Dvo ák.<br />

„Da musste schon ein bisschen diskutiert<br />

werden, denn die beiden Sinfonien<br />

sind ein ziemlicher Brocken“, gibt<br />

der Dirigent zu. Und die Musiker sind<br />

immer an den Entscheidungen beteiligt,<br />

was aufgeführt wird: „Bei uns ist<br />

das immer sehr schön demokratisch.“<br />

Er sagt mit Respekt: „Viele sitzen hier<br />

manchmal auf der Probe mit Streichhölzern<br />

in den Augen, denn sie hatten<br />

einen langen Tag im Krankenhaus<br />

oder in der Praxis hinter sich.“<br />

Rechtzeitig hat es Detlef Mathey<br />

aus seinem Herzkathederlabor zur<br />

Probe geschafft. Er spielt Querflöte,<br />

ihn hat Anfang der 1980er-Jahre ein<br />

Nuklearmediziner (einer der zweiten<br />

Geigen) aus dem UKE ins Orchester<br />

gelockt. „Musik hat eine unheimliche<br />

Kraft“, schwärmt er. Das werde sträflich<br />

unterschätzt, auch politisch. Er hat<br />

da eine Vision: „Wenn sich beim G20-<br />

Gipfel alle zu einem Orchester, einem<br />

Chor zusammengefunden hätten, hätten<br />

sich alle gut gefühlt und sie hätten<br />

alle Konflikte beigelegt.“ Er übt viel zu<br />

Hause, nimmt auch Stunden. „Wenn<br />

ich mal länger aussetze, merke ich<br />

gleich, wie die Feinmotorik leidet“,<br />

sagt er, spitzt und dehnt die Lippen.<br />

Jetzt eilt er zu seinem Platz, verschwindet<br />

hinter den Celli, den Geigen,<br />

sitzt noch vor den Klarinetten.<br />

Vor ihnen Thilo Jaques, der den Taktstock<br />

hebt und senkt, während sich die<br />

Musiker durch Dvo áks Neunte tasten.<br />

„Lauter werden, nicht schneller“, ruft<br />

er zwischendurch. Und: „Es geht noch<br />

echter!“ Und von Minute zu Minute<br />

wächst der Klang, fügen sich die Stimmen<br />

der Instrumente zusammen. •<br />

Benefizkonzert für Hinz&<strong>Kunzt</strong>:<br />

Freitag, 9.11., 19.30 Uhr<br />

Mozartsäle im Hamburger<br />

Logenhaus, Moorweidenstr. 36,<br />

Eintritt frei, Spenden erbeten<br />

72


„DER KIEZ<br />

IST WILD, DER KIEZ<br />

IST BUNT. ABER BITTE<br />

NICHT VERMÜLLT.“<br />

GÜLAY UND JANNES VOM SPENDENVEREIN CLUBKINDER E.V.<br />

MACHST DU MIT?<br />

www.sauberes.hamburg


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

Meldungen<br />

Politik & Soziales<br />

Hier steht viel Wohnraum<br />

leer – weil die Eigen tümerin<br />

sich nicht um die kaputte<br />

Elektrik kümmert.<br />

Statistik<br />

Mindestens 1910 Obdachlose<br />

Die Zahl der Obdachlosen in Hamburg<br />

ist in den vergangenen Jahren<br />

stark angestiegen: Im März haben<br />

Forscher 1910 Menschen gezählt, die<br />

hier auf der Straße leben. Mit der<br />

gleichen Methode waren sie 2009<br />

auf 1029 Obdachlose gekommen<br />

und hatten betont, dass das die „Untergrenze<br />

der Anzahl“ sei. In neun<br />

Jahren ist diese Zahl also um 86 Prozent<br />

angestiegen. Hinz&<strong>Kunzt</strong> fordert<br />

seit langem, Hilfsangebote für<br />

Obdachlose auszubauen. BELA<br />

•<br />

Bezirksamt Bergedorf: Wir können keinen Treuhänder einsetzen<br />

Weiter Stillstand im Reetwerder<br />

Auch fünf Monate nach Räumung des Reetwerder 3 sieht die Stadt keine Möglichkeit,<br />

den Leerstand zu beenden. Das Bezirksamt erklärte, es könne keinen<br />

Treuhänder einsetzen, denn: „Das Haus steht im rechtlichen Sinn nicht leer,<br />

weil die Wohnungen noch an die gegenwärtig ausgezogenen Mieter vermietet<br />

sind.“ Nach einem Schwelbrand Mitte Mai hatte das Amt den stattlichen Altbau<br />

für unbewohnbar erklärt. Die kaputte Elektrik hat die Eigentümerin trotz Androhung<br />

eines Zwangsgelds bis heute nicht reparieren lassen. Stattdessen versucht<br />

sie das Haus zu verkaufen. Gut 102 der 160 ehemaligen Bewohner – meist<br />

Menschen aus Rumänien und Bulgarien – müssen in städtischen Unterkünften<br />

leben. Auf den Zugang zu ihrem Hab und Gut warten sie weiterhin vergeblich –<br />

trotz mehrerer Gerichtsurteile öffnet die Vermieterin die Türen nicht. UJO<br />

•<br />

Städtische Unterkünfte<br />

Mehr Platz für Wohnungslose<br />

1500 neue Unterkunftsplätze für<br />

Wohnungslose wollte die Stadt bis<br />

Ende 2017 schaffen – gelungen ist<br />

ihr das erst mit neunmonatiger Verspätung<br />

im September <strong>2018</strong>. 4926<br />

Wohnungslose lebten Ende September<br />

in Hamburgs öffentlichen Unterkünften.<br />

Obdachlose profitierten<br />

nur in geringem Maße vom Ausbau:<br />

In den Einrichtungen leben laut<br />

Betreiber fördern&wohnen vor allem<br />

Familien und Alleinstehende, die<br />

zum Beispiel durch Mietschulden ihre<br />

Wohnung verloren hatten. SIM/BELA<br />

•<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

trostwerk - andere bestattungen<br />

Osterstraße 149, HH - Eimsbüttel ° 040/43 27 44 11


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Sozialer Wohnungsbau<br />

Freiwillige Selbstverpflichtung der Branche gescheitert?<br />

Günstiges Bauland vom Bund<br />

Der Bund bietet Kommunen vergünstigte<br />

Grundstücke an, wenn<br />

die Stadt darauf Sozialwohnungen<br />

bauen will. Auch für geplante Kitas<br />

oder Flüchtlingsunterkünfte gibt es<br />

Grundstücksrabatt vom Bund. Möglich<br />

macht das eine Gesetzesänderung,<br />

die der Bundestag im September<br />

beschlossen hatte. Seither darf<br />

die Bundesimmobilienanstalt Bima<br />

Kommunen und Ländern „alle entbehrlichen<br />

Liegenschaften“ unter<br />

Marktwert anbieten, wenn sie damit Seenotrettung im Mittelmeer<br />

einer öffentlichen Aufgabe nachkommen<br />

wollen. Von ihren 110 Grund-<br />

Die Bürgerschaft hat entschieden,<br />

Hamburg ist sicherer Hafen<br />

stücken in Hamburg betrachtet die Hamburg zum sicheren Hafen zu erklären:<br />

Der Senat solle dem Bundes-<br />

Bima 29 als „entbehrlich“. Finanzsenator<br />

Andreas Dressel (SPD) sieht innenministerium die Bereitschaft<br />

darin „eine Menge Potenzial für sig nalisieren, zusätzliche Flüchtlinge<br />

künftigen Wohnungsbau“, will sich aufzunehmen, die aus dem Mittelmeer<br />

gerettet wurden. Die Deutsche<br />

aber auf eine genaue Anzahl geplanter<br />

Wohnungen noch nicht festlegen. Seemannsmission hat unterdessen die<br />

Stattbau-Geschäftsführer Tobias EU aufgefordert, „sofort verbindliche<br />

Behrens begrüßt den Vorstoß. Er Regelungen“ für die Handelsschifffahrt<br />

zur Bergung von Geflüchteten<br />

mahnt aber an, dass im üblichen<br />

Drittelmix aus Eigentums-, Sozial-, in Seenot aufzustellen. Seeleute<br />

und frei finanzierten Mietwohnungen<br />

zu wenig Sozialwohnungen ent-<br />

riskieren, „dass sie möglicherweise<br />

würden bei ihrer Rettung inzwischen<br />

halten seien: „Wir müssten eigentlich kriminalisiert und gegebenenfalls<br />

einen Zweidrittelmix haben, um den sogar verhaftet werden“, kritisierte<br />

Bedarf zu befriedigen.“ BELA<br />

•<br />

Gewerkschaft: In der Fleischindustrie herrschen weiter Missstände<br />

Fehlerhafte Lohnabrechnungen, unbezahlte Überstunden, überteuerte Unterkünfte:<br />

Solche Missstände sind in deutschen Schlachthöfen „keine Ausnahmen“,<br />

beklagt die Gewerkschaft NGG. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Branche<br />

sei „gescheitert“. Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte den Kodex<br />

vor drei Jahren mit Arbeitgeberver bänden ausgehandelt. Darin verpflichten<br />

sich diese etwa, den Anteil ihrer Stammbelegschaften zu erhöhen. Laut NGG<br />

arbeiten aber weiterhin 60 bis 80 Prozent aller Beschäftigten für Subunternehmer.<br />

Wie diese Wanderarbeiter ausbeuten, hat Hinz&<strong>Kunzt</strong> im Mai 2014 in<br />

einem Report über eine norddeutsche Wurstfabrik beispielhaft erzählt. UJO<br />

•<br />

Die Geschichte zum Nachlesen: www.hinzundkunzt.de/ausbeutung-wurstfabrik/<br />

Präsidentin Clara Schlaich. BELA<br />

•<br />

Ungarn<br />

Obdachlose vor Gericht<br />

In Ungarn kommen Obdachlose seit<br />

Oktober vor Gericht, wenn sie sich<br />

auf öffentlichen Plätzen aufhalten.<br />

Ein Gesetz sieht sogar Haft vor. Kritik<br />

kommt von der UN: „Ohne ausreichende<br />

Unterkunftsplätze und<br />

langfristige Wohnmöglichkeiten für<br />

diese Menschen kriminalisiert die<br />

Regierung sie nicht nur, sondern verurteilt<br />

sie auch zu Krankheit, Traumatisierung<br />

und potenzieller Lebensgefahr“,<br />

sagte UN-Berichterstatterin<br />

Leilani Farha. BELA<br />

•<br />

Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />

www.hinzundkunzt.de<br />

Ambulanter Pflegedienst<br />

antifaschistisch - antirassistisch<br />

seit 1996<br />

Lagerstr. 30-32, 20357 Hamburg<br />

Tel.: 040 – 38 68 66 -0<br />

Email: info@solihilfe.de<br />

www.solihilfe.de<br />

Betriebskostenkonfus?<br />

Unser Rat zählt.<br />

Beim Strohhause 20<br />

mieterverein-hamburg.de<br />

im Deutschen Mieterbund<br />

879 79-0<br />

Jetzt<br />

Mitglied<br />

werden<br />

20097 Hamburg


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

Nina Asseln (Mitte)<br />

hat die Todesursachen<br />

von Obdachlosen<br />

untersucht. Betreut<br />

wurde die Arbeit von<br />

Allgemeinmedizinerin<br />

Birgit Wulff und<br />

Rechtsmediziner<br />

Klaus Püschel.<br />

„Viele Obdachlose<br />

hätten nicht so früh sterben<br />

müssen.“ NINA ASSELN<br />

76


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Tod mit<br />

49 Jahren<br />

Obdach- und Wohnungslose sterben im Schnitt<br />

30 Jahre früher als „normale“ Bürger – ein Skandal,<br />

den eine Studie nun erneut dokumentiert.<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />

Ein Wohnungsloser in Hamburg wird im Durchschnitt<br />

nur 49 Jahre alt. „Das ist bedrückend“,<br />

sagt Nina Asseln, die diese Zahl für ihre<br />

Doktorarbeit errechnet hat. Denn „Normalbürger“<br />

leben Statistiken zufolge rund 30 Jahre länger.<br />

Zwar ist die Lebenserwartung Obdach- und Wohnungsloser<br />

im Vergleich zu 2001 um viereinhalb Jahre gestiegen.<br />

Doch hat sich die Kluft zur „Normalbevölkerung“, die<br />

ebenfalls älter wird, nicht verringert: „30 Jahre sind eine<br />

enorme Differenz“, sagt Nina Asseln. „Da muss mehr gemacht<br />

werden.“<br />

Wie dramatisch die Zahl 49 ist, zeigt ein Vergleich mit<br />

Daten des Statistischen Bundesamts: Selbst in sehr armen<br />

Ländern wie Burkina Faso oder Angola werden die Menschen<br />

im Schnitt zehn Jahre älter.<br />

Grundlage von Nina Asselns Arbeit sind Daten von<br />

263 Obdach- und Wohnungslosen, deren<br />

Leichname zwischen 2007 und 2015 im Institut für Rechtsmedizin<br />

untersucht wurden. 162 wurden obduziert, weil der<br />

Grund des Versterbens unklar erschien oder ein gewaltsamer<br />

Tod nicht auszuschließen war.<br />

Erschreckendes Ergebnis: Mindestens acht Wohnungslose<br />

starben aus rechtsmedizinischer Sicht durch Gewalteinwirkung.<br />

„Nach meiner Einschätzung der Sektionsprotokolle<br />

lag in diesen Fällen Fremdverschulden vor“, sagt die<br />

Forscherin. „Beweisen kann ich das allerdings nicht, weil ich<br />

die Akten der Staatsanwaltschaft nicht einsehen konnte.“<br />

Klar sei, dass Gewalt eine deutlich größere Rolle spiele als<br />

bei „Normalbürgern“. Etwa jeder 2000. Einwohner starb<br />

2015 an den Folgen eines tätlichen Angriffs, so das Statistische<br />

Bundesamt. Wer keine eigenen vier Wände hat, wird<br />

dagegen 50-mal wahrscheinlicher von anderen Menschen<br />

ums Leben gebracht.<br />

Vergiftungen, so die Doktorarbeit, sind weiterhin die<br />

Todesursache Nummer eins – jeder vierte Sezierte starb an<br />

ihren Folgen. Allerdings hat es im Vergleich zu früheren Studien<br />

eine Verschiebung gegeben: Alkoholvergiftungen sind<br />

deutlich häufiger geworden, „harte“ Drogen dagegen haben<br />

an Bedeutung verloren. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

und Infektionen spielen eine große Rolle – Krankheiten, die<br />

in der Regel nicht zum Tod führen, wenn sie rechtzeitig und<br />

richtig behandelt werden.<br />

Unterkühlung dagegen wurde nur bei drei Obduktionen<br />

als Todesursache festgestellt. Das (kalte) Leben auf der<br />

Straße dürfte weitere Todesfälle jedoch mindestens begünstigt<br />

haben: So starben fast ein Drittel der untersuchten<br />

Obdach- und Wohnungslosen zwischen Dezember und Februar,<br />

also in den kältesten Monaten des Jahres.<br />

Erstmals geht eine Studie der Frage nach, an welchen<br />

Orten Wohnungslose ums Leben kommen. Demnach starb<br />

77


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

Hier finden Wohnungslose ärztliche Hilfe<br />

Hilfe für Hamburger Wohnungs- und Obdachlose bieten<br />

drei sogenannte Schwerpunktpraxen: eine ist in den<br />

Räumen des Pik As in der Hamburger Neustadt, eine<br />

zweite in der Norderstraße nahe des Hauptbahnhofes.<br />

Die dritte ist in der Straße Achterdwars in Hamburg-<br />

Bergedorf. Auf den Straßen unterwegs sind die Mobile<br />

Hilfe der Caritas, zwei Arztmobile und eine rollende<br />

Zahnarztpraxis. Öffnungszeiten und weitere Infos im<br />

Internet unter www.huklink.de/hilfsangebote<br />

annähernd jeder zweite in einer Notunterkunft oder im<br />

Wohnheim. Und immerhin jeder Fünfte, so<br />

Nina Asseln, im öffentlichen Raum, „etwa in einem<br />

Hauseingang oder einer Toilette“.<br />

Wer auf der Straße oder in einer Unterkunft lebt,<br />

hat wenig Möglichkeiten, sich hinreichend zu pflegen:<br />

Gut drei Viertel der Gestorbenen befanden sich „in<br />

einem mäßigen bis schlechten körperlichen Zustand“.<br />

Rund 15 Prozent waren sogar verelendet, also<br />

etwa von Parasiten befallen. Vergleichsdaten aus älteren<br />

Studien fehlen leider auch hier.<br />

Bemerkenswert: Die Herkunft Wohnungsloser hat<br />

sich stark verändert. Gut 40 Prozent der Toten<br />

stammten aus anderen Ländern, jeder zweite Nichtdeutsche<br />

aus Polen. Vor 15 Jahren lag der Migrantenanteil<br />

noch bei rund zehn Prozent. „Hier spiegeln sich<br />

die Osterweiterung der Europäischen Union und die<br />

damit verbundene Öffnung der Grenzen sicherlich<br />

wider.“<br />

Nina Asseln arbeitet als Zahnärztin. Sie habe ein<br />

Forschungsprojekt „mit Sinn“ gesucht, erklärt sie die<br />

Wahl des fachfremden Themas. Was ihr wichtig ist:<br />

„Viele hätten nicht so früh sterben müssen – auch<br />

wenn Wohnungslose oft schon in jüngeren Jahren<br />

schwerer krank sind als andere.“ Ihre Schlussfolgerungen:<br />

Die medizinische Versorgung muss besser werden,<br />

und: „Eine reiche Stadt wie Hamburg sollte<br />

sich stärker für ausreichend bezahlbaren Wohnraum<br />

einsetzen.“ •<br />

Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />

Innehalten<br />

an unserem<br />

Gedenkbaum<br />

Traditionell gedenken wir<br />

am Totensonntag unserer<br />

verstorbenen Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Verkäufer mit einer kleinen<br />

Andacht an unserem Gedenkbaum<br />

auf dem Öjendorfer<br />

Friedhof. Für alle, die<br />

dabei sein wollen:<br />

Wir treffen uns am 25.11.<br />

um 14 Uhr beim Feierraum<br />

Nord. Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />

Stephan Karrenbauer<br />

verliest die Namen,<br />

Pastorin Sabine Erler hält<br />

die Predigt. Im Anschluss ist<br />

Zeit für Gespräche bei Kaffee<br />

und Kuchen. •<br />

78


Kommentar<br />

„Vier Wände sind<br />

die beste Medizin!“<br />

von Stephan Karrenbauer<br />

25JAHRE<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Wir gratuli<br />

eren herzli<br />

ch!<br />

WOHNUNG ZU VERMIETEN?<br />

ZIMMER FREI?<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE (S. 78), LENA MAJA WÖHLER<br />

In unserem Vertriebsraum hängt eine eng<br />

beschriebene Gedenktafel. Immer wenn ein<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer stirbt, schreiben wir<br />

seinen Namen darauf – im Schnitt 20-mal<br />

pro Jahr. Unsere Hinz&Künztler sterben<br />

meist früh. Dass ihre Lebenserwartung – im<br />

Schnitt 51 Jahre – etwas besser ist als die in<br />

der Studie ermittelte, dürfte vor allem einen<br />

Grund haben: Die Mehrzahl muss nicht<br />

mehr Platte machen, sondern hat eine Wohnung<br />

gefunden oder zumindest ein Zimmer.<br />

Wer im Winter mal einen Tag draußen<br />

verbringt, kann erahnen, wie ungesund das<br />

Leben auf der Straße ist. Wie schlimm es<br />

sich anfühlt, in einen klammen Schlafsack<br />

kriechen zu müssen. Wie Wind, Regen und<br />

Kälte krank und kränker machen.<br />

In Wohnheimen sind die Menschen zwar<br />

vor Wetter geschützt – nicht aber vor dem<br />

Einfluss von Zimmer- und Leidensgenossen.<br />

Oft leben mehr als über 100 Wohnungslose<br />

in einer Unterkunft zusammen: viele Menschen<br />

mit vielen Problemen auf wenig<br />

Raum. Manche warten seit Jahren auf die<br />

eigene Wohnung. Fühlen sich den Umständen<br />

ausgeliefert. Haben die Hoffnung verloren.<br />

Betäuben den Kummer mit Drogen.<br />

Wie aber soll etwa ein Alkoholkranker,<br />

der sich mit einem anderen Alkoholkranken<br />

das Zimmer teilt, seine Sucht erfolgreich bekämpfen?<br />

Unsere Erfahrungen zeigen klar:<br />

Eigene vier Wände sind für die meisten Menschen<br />

die beste Medizin. •<br />

Stephan Karrenbauer (56) arbeitet seit 23 Jahren<br />

als Sozialarbeiter bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Weil aller Anfang Wohnung ist.<br />

Unterstützen Sie unsere Arbeit für Menschen ohne Wohnraum mit<br />

Ihrem Angebot. Tel. 040 412 63 90 · www.lawaetz-ggmbh.de<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Wandkalender 2019<br />

Heimat, Helden,<br />

Hamburg<br />

Zwölf Hinz&Künztler waren auch in diesem Jahr mit unserer Fotografin<br />

Lena Maja Wöhler auf Fotosafari in Hamburg. Die besten Motive haben<br />

wir jetzt in einem Wandkalender im DIN-A4-Format verewigt.<br />

Ab sofort beim<br />

Hinz&Künztler Ihres Vertrauens!*<br />

* 4,80 Euro (davon 2,40 Euro für unsere Verkäufer)


Freunde<br />

Sechs Männer, eine Tonne und viele<br />

Pfandflaschen auf einem Foto von 2017<br />

(von links): Stephan Karrenbauer<br />

(Hinz&<strong>Kunzt</strong>), Uwe Tröger (Spende<br />

Dein Pfand), Johannes Scharnberg<br />

(Aviation Hamburg Airport), Herbert<br />

Kosecki (Spende Dein Pfand), Martin<br />

Lausmann (Der Grüne Punkt) und<br />

Klaus Petersdorf (Spende Dein Pfand).<br />

Pfand am Flughafen:<br />

Recyceln statt<br />

verbrennen<br />

Drei Hinz&Künztler sind seit drei Jahren Pfandbeauftragte<br />

am Hamburger Flughafen. Der Grüne Punkt<br />

unterstützt das Projekt – aus den gesammelten<br />

Flaschen werden neue Verpackungen.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />

FOTO: MICHAEL PENNER<br />

Flasche für Flasche, Dose für Dose nehmen unsere<br />

Pfandbeauftragten am Flughafen aus den großen<br />

Sammeltonnen, entleeren sie und verpacken sie in<br />

große Säcke. Seit September 2015 sind sagenhafte 1.183.255<br />

Flaschen und Dosen durch die Hände von Uwe, Klaus und<br />

Herbert gegangen – Pfandgut im Wert von 295.806,25 Euro!<br />

Davon kann Hinz&<strong>Kunzt</strong> den ehemaligen Obdachlosen ihre<br />

Stellen finanzieren.<br />

„Am Anfang hätten wir<br />

nicht gedacht, dass so viel<br />

Geld zusammenkommt.“<br />

MARTIN LAUSMANN, GRÜNER PUNKT<br />

„Das ist eine geniale Idee!“, sagt Martin Lausmann, Großkundenbetreuer<br />

beim Grünen Punkt. „Am Anfang hätten<br />

wir alle nicht gedacht, dass so viel Geld zusammenkommt.“<br />

Sein Unternehmen unterstützt „Spende Dein Pfand“, indem<br />

es die Kosten für den Abtransport des Pfandguts übernimmt<br />

– das sind inzwischen immerhin fast 45.000 Euro.<br />

„Das Schöne an diesem Projekt ist, dass wir den Pfandbeauftragten<br />

die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben wieder<br />

ermöglichen“, erklärt er die Motivation hinter dem Engagement<br />

des Unternehmens.<br />

Die großen Säcke mit Flaschen und Dosen werden am Hamburger<br />

Flughafen in einen Lkw verladen und mit einem Barcode<br />

versehen. „Ab dem Moment weiß ich ganz genau, was<br />

mit welchem Sack und welcher Flasche passiert“, erklärt<br />

Lausmann. Der Lkw bringt sie in ein Zählzentrum, wo sie<br />

automatisch nach Materialien sortiert werden: Plastik, Alu<br />

und Weißblech. Eine Maschine scannt die Barcodes und erkennt,<br />

von welchem Hersteller die Gebinde stammen. Eine<br />

wichtige Information für den Grünen Punkt: So weiß Martin<br />

Lausmann, wem er eine Rechnung in welcher Höhe für das<br />

Pfand schicken muss – damit am Ende die Pfandbeauftragten<br />

am Flughafen bezahlt werden können.<br />

Dann wird recycelt: Der Grüne Punkt stellt ein Kunststoffgranulat<br />

aus den Plastikflaschen her, aus dem sich neue<br />

Gegenstände formen lassen. „Das kann alles Mögliche sein“,<br />

erklärt Lausmann. Verpackungsmaterialien zum Beispiel,<br />

aber auch Kunststofffasern für Kleidungsstücke. Bonus für<br />

die Umwelt: Anders als bei der herkömmlichen Kunststoffherstellung<br />

wird dabei kein Rohöl und deutlich weniger<br />

Energie verbraucht.<br />

Früher sind die Flaschen und Dosen der Flugreisenden<br />

vor den Sicherheitskontrollen größtenteils im Müll gelandet.<br />

Was Flaschensammler nicht aus den Tonnen angelten, entsorgte<br />

die Stadtreinigung in die Müllverbrennung. Darüber<br />

konnten sich höchstens Getränkehersteller und -händler<br />

freuen, die das Pfand, das ja die Kunden bezahlt hatten, nicht<br />

zurückerstatten mussten. Ein Millionengeschäft auf Kosten<br />

der Umwelt: Der sogenannte „Pfandschlupf“ gilt als Grund<br />

80


Freunde<br />

dafür, dass die Unternehmen nach der Einführung des Einwegpfands<br />

im Jahr 2006 nicht verstärkt auf Mehrweg flaschen<br />

gesetzt haben. Die nicht abgegebenen Pfandflaschen spülen<br />

einfach zu viel Geld in ihre Kassen.<br />

Inzwischen werden wenigstens die Flaschen vom Hamburg<br />

Airport recycelt. „Das ist auch umwelttechnisch eine super<br />

Sache“, freut sich Lausmann. Stimmt das? „Die Herstellung<br />

von PET-Einwegflaschen verbraucht große Mengen an<br />

fossilen Rohstoffen, die nach einmaliger Nutzung zerstört<br />

werden“, dämpft die Referentin für Umweltpolitik beim<br />

NABU, Verena Bax, seine Euphorie. Mehrwegsysteme wären<br />

nachhaltiger. Aber auch sie sagt: Sind die Flaschen erst mal<br />

in der Welt, ist recyceln ökologisch sinnvoller als verbrennen.<br />

Bald wird es auch am Nürnberger Flughafen ein Spende<br />

Dein Pfand-Projekt geben, das ist dann Nummer acht. Zu<br />

den bislang bundesweit 24 Arbeitsplätzen werden dann<br />

weitere dazukommen. Und noch ein paar Tausend Flaschen<br />

und Dosen, die recycelt und nicht verbrannt werden. •<br />

Danke für 25 pfandtastische Jahre!<br />

Auf das es noch viele mehr werden und wir<br />

uns zusammen weiterhin für Solidarität mit<br />

unseren Mitmenschen einsetzen, die zu oft<br />

vergessen werden.<br />

Danke für eure unermüdliche Arbeit und dass<br />

ihr uns allen zeigt, wie wichtig nachhaltige<br />

soziale Arbeit und Hilfe zur Selbsthilfe ist.<br />

Pfand gehört daneben ist eine soziale<br />

Initiative, die zum Daneben stellen der<br />

Pfandflaschen aufruft. Im Müll nach<br />

Pfand zu wühlen ist nicht nur demütigend,<br />

sondern birgt auch viele Verletzungsrisiken.<br />

Zudem schonen wir durch die Ruckführung<br />

von Pfandflaschen gleichzeitig unsere<br />

natürlichen Ressourcen.<br />

Weil man Geld nicht einfach wegwirft –<br />

Pfand gehört daneben!<br />

Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

Der Flughafen hilft mit<br />

Ohne die Unterstützung des Hamburg Airport wäre das Projekt<br />

„Spende Dein Pfand!“ nicht möglich. Nicht nur, dass wir die<br />

Sammeltonnen vor den Sicherheitskontrollen kostenlos aufstellen<br />

dürfen. Auch zwei große Räume zum Sortieren und Lagern der<br />

Flaschen und Dosen stellt der Airport pro bono zur Verfügung.<br />

Das Wichtigste: Alle Mitarbeiter des Flughafens ermöglichen es<br />

den Pfandbeauftragten, sich als vollwertige Kollegen zu fühlen.<br />

„Unbequem, beharrlich, menschlich“<br />

Ein Grußwort von Matthias Boxberger<br />

FOTO: WWW.OTZIPKA.DE<br />

Hamburg – die meisten Menschen denken<br />

dabei an den Hafen, den Michel, die<br />

Alster, die Elbphilharmonie. Hamburg<br />

steht für Weltläufigkeit und Schönheit,<br />

ein buntes Kulturleben und wirtschaftliche<br />

Stärke. Hamburg hat aber – wie jede<br />

Großstadt – auch eine andere Seite. Da<br />

sind Menschen, die vor dem Hauptbahnhof<br />

frieren, die in Mülleimern nach Pfandflaschen suchen<br />

und sich am Ende des Tages unter einer Brücke schlafen legen<br />

müssen. Doch kann man eine „Gute Nacht“ haben – ohne<br />

eigenes Bett, ohne eigene Wohnung? Seit 25 Jahren kämpft<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> deshalb für Menschen ohne Obdach, gibt ihnen<br />

eine Stimme, gibt ihnen Arbeit, ist ihr Anwalt und ihre Anlaufstelle.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist seit 25 Jahren unbequem, beharrlich,<br />

aber vor allem immer menschlich. Herzlichen Glückwunsch<br />

zum Jubiläum und: Machen Sie bitte weiter so! •<br />

Matthias Boxberger ist Vorstandsvorsitzender der HanseWerk AG.<br />

Die HanseWerk-Gruppe sponsert Hinz&<strong>Kunzt</strong> seit 18 Jahren.<br />

81<br />

WENN UNSERE UMWELT<br />

NICHT FÜR DIE RENDITE<br />

BEZAHLEN MUSS. DANN<br />

IST ES GUTES GELD.<br />

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Förderkreis Norddeutschland e.V.<br />

Tel. 040 94 36 2800<br />

NACHHALTIGE GELDANLAGE SEIT 1975.


Ein kleines<br />

Stückchen<br />

Als Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor 25 Jahren angetreten ist, war für uns klar:<br />

Wir wollen alle Obdachlosen von der Straße und in eine eigene Wohnung bringen.<br />

Das haben wir bis heute nicht geschafft. Unsere Vision lebt trotzdem weiter –<br />

erst recht, wenn man Hinz&Künztler in ihren Wohnungen besucht und erlebt,<br />

wie wichtig ihnen ihr eigenes Reich ist.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE, LENA MAJA WÖHLER (1)<br />

82


„Ich kann meine Papiere einfach hinlegen, nichts wird geklaut.“<br />

Herberts Wohnzimmer in seiner Kirchenkate<br />

in Volksdorf ist winzig. Zweieinhalb<br />

mal zweieinhalb Meter ist es<br />

klein, aber trotzdem ist alles drin, was<br />

sich der Hinz&Künztler wünscht. Ein<br />

Fernseher, Regal, Schrank, Wohnzimmertisch,<br />

Schlafsofa und elf Zimmerpflanzen.<br />

„Wenn es ein bisschen größer<br />

wäre, wäre es perfekt“, sagt der 42-jährige<br />

gebürtige Pole, dessen Unterkunft<br />

inklusive Küche und Bad nur rund<br />

zwölf Quadratmeter misst. Für ihn sind<br />

das aber Luxusprobleme – Herbert<br />

würde sich nie beschweren. Schließlich<br />

war er bis vor Kurzem noch obdachlos.<br />

Die Kate ist sein Reich, nur für ihn.<br />

Zwei Jahre hat Herbert Platte gemacht.<br />

Weil er keine Arbeit hatte und<br />

keinerlei Einkommen, von dem er eine<br />

Wohnung hätte bezahlen können. Anspruch<br />

auf Leistungen vom Staat? Fehlanzeige.<br />

So schlief er erst vor Karstadt<br />

in der Mönckebergstraße, später im<br />

Park. Angst habe er nicht gehabt, aber<br />

gut schlafen konnte er trotzdem nie.<br />

„Schlimm“ sei diese Zeit gewesen.<br />

„Ganz schlimm, daran zu denken“, sagt<br />

er in gebrochenem Deutsch.<br />

Ende 2016 konnte Herbert im<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Winternotprogramm in<br />

einem leer stehenden Schwesternwohnheim<br />

unterkommen. Eine große Erleichterung.<br />

Als er nach dem Ende des<br />

Winters mithilfe von Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer in<br />

„seine“ Kirchenkate einziehen konnte,<br />

83<br />

war endlich „der Stress vorbei. Ich<br />

komme nach Hause, bisschen kochen,<br />

dann sitze ich hier ganz in Ruhe. Ich<br />

kann meine Papiere einfach hinlegen,<br />

nichts wird geklaut.“ Und dann ging<br />

alles ganz schnell: Herbert bekam eine<br />

Stelle als Pfandbeauftragter bei „Spende<br />

Dein Pfand“ (siehe Seite 80). „Mein Vertrag<br />

fest – jetzt werde ich nicht wieder<br />

obdachlos“, sagt er. „Ich jetzt bisschen<br />

sparen, bisschen kaufen, ganz langsam.“<br />

Für Zimmerpflanze Nummer<br />

zwölf wird es reichen. „Pflanzen müssen<br />

sein“, sagt Herbert und lacht. Die<br />

sind nämlich sein großes Hobby. •<br />

Herbert kam 2014 zu uns. Seit April<br />

2017 hat er eine volle Stelle bei Spende<br />

Dein Pfand am Hamburger Flughafen.


„Draußen, ohne waschen, ohne nichts – ich hab da angefangen zu saufen.“<br />

Reiner ist St.-Pauli-Fan. Das ist klar, sobald<br />

man sein Zimmer in der Wohnunterkunft<br />

von fördern und wohnen am<br />

Billbrookdeich betritt. St.-Pauli-Schal,<br />

-Caps, -Bettzeug und auf dem Kleiderschrank<br />

etliche der Pfandbecher, in die<br />

im Stadion Getränke ausgeschenkt werden.<br />

Reiner hat es sich auf seinen rund<br />

15 Quadratmetern gemütlich gemacht.<br />

Ob er sich eine eigene Wohnung<br />

wünscht? „Nee, wieso? Reicht doch!“,<br />

sagt der 60-Jährige, der bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

auf 20-Stunden-Basis fest angestellt ist.<br />

Nach der Trennung von seiner Frau<br />

hat der gebürtige Berliner in der Hauptstadt<br />

Platte gemacht. „Die Straße war<br />

nichts für mich“, erzählt Reiner. „Draußen,<br />

ohne waschen, ohne nichts – ich<br />

84<br />

hab da angefangen zu saufen.“ Mit drei<br />

Koffern „flüchtete“ er 1995 nach Hamburg<br />

– und kam zunächst im Hotel Mui<br />

auf dem Kiez unter, in einem von der<br />

Sozialbehörde angemieteten Zimmer.<br />

„Da war ich zu viert auf der Bude, mit<br />

Junkies. Da wurde geklaut und alles“,<br />

erinnert er sich. Zum Glück konnte<br />

Reiner bald an den Billbrookdeich um-


ziehen. Das war vor 14 Jahren. Seit<br />

2008 bewohnt er dort ein Einzelzimmer.<br />

Sein Rückzugsort. In einem Doppelzimmer<br />

zu leben, kann Reiner sich<br />

nicht mehr vorstellen. „Erst recht nicht,<br />

wenn du arbeiten gehst“, sagt er. „Du<br />

weißt ja nie, wen du auf die Bude<br />

kriegst. Und jeder kommt und geht zu<br />

anderen Zeiten.“<br />

85<br />

Dass sich Reiner Küche und Bad mit<br />

anderen teilen muss, stört ihn nicht. Im<br />

Gegenteil: „Ich brauch Leute um<br />

mich!“ Manchmal kocht er für seine<br />

„Mitbewohner“. Das Tollste ist für ihn<br />

aber der Clubraum im Erdgeschoss –<br />

ein Überbleibsel aus Zeiten, als der<br />

einstige Unterkunftsleiter das Haus zusammen<br />

mit den Bewohnern schick gemacht<br />

hatte. Dort hängen eine HSVund<br />

eine St.-Pauli-Flagge an der Wand.<br />

Gibt es wegen der rivalisierenden Vereine<br />

Stress? Reiner winkt ab: „Wir kieken<br />

hier alle schön zusammen Fußball.“ •<br />

Reiner ist mit Unterbrechung seit 1996<br />

bei uns. Sein Verkaufsplatz ist am S-Bahnhof<br />

Hammerbrook. 20 Stunden pro Woche<br />

arbeitet er fest im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Vertrieb.


„Alleine schlafen! Die Ruhe!“<br />

„Ihr könnt reinkommen!“, ruft die kleine<br />

Rachel. Hinz&Künztler Peter lacht.<br />

Er ist der Opa der Fünfjährigen, die<br />

aufgeregt im Zimmer herumhüpft. Die<br />

Enkelin und ihre Mama Patricia sind<br />

gerade bei Peter zu Besuch, da klingeln<br />

der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Fotograf und die Redakteurin<br />

an der Wohnungstür. Ein<br />

kleines Stückchen Glück tut sich hier<br />

auf. Denn dass Peter seine Tochter mitsamt<br />

der Lütten so unbeschwert treffen<br />

kann, liegt auch daran, dass er eine<br />

Wohnung hat. Sein eigenes Reich, zwei<br />

Zimmer, Küche, Balkon und Vollbad.<br />

„Über die Badewanne habe ich mich<br />

besonders gefreut“, so der 58-Jährige.<br />

Drei Jahre hatte Peter an der Elbe<br />

Platte gemacht. Seine Ehe war in die<br />

Brüche gegangen. Peter hatte angefangen<br />

zu trinken und war eines Tages einfach<br />

untergetaucht. Dann wohnte er eine<br />

Zeit lang im Männerwohnheim und<br />

schließlich in einer Kirchenkate in<br />

Volksdorf. Schon das Männerwohnheim<br />

war logischerweise besser als die<br />

Platte. Endlich ein Dach über dem<br />

Kopf! Aber „die Kirchenkate war für<br />

86


mich ein riesiger Schritt“, erinnert sich<br />

Peter. Er hatte einen Raum, den er<br />

nicht mehr mit anderen teilen musste.<br />

„Alleine schlafen! Die Ruhe!“<br />

Über die Lawaetz-Stiftung hat Peter<br />

schließlich vor vier Jahren seine<br />

Wohnung in Iserbrook bekommen. Die<br />

hatte die Saga-Wohnung zunächst angemietet<br />

und Peter ein Jahr lang dabei<br />

begleitet. Ein Jahr später durfte er den<br />

Mietvertrag übernehmen. Damit ist Peter<br />

komplett glücklich. „Ich kenne die<br />

Nachbarn hier alle“, erzählt Peter. „Die<br />

sind alle in Ordnung.“ Für einen älteren<br />

Herrn nebenan geht er auch ab<br />

und an einkaufen. Aber am schönsten<br />

ist es, wenn Tochter und Enkelin zu Besuch<br />

kommen.<br />

87<br />

Die kleine Rachel will jetzt gerne malen.<br />

Und dann mit Opa und Mama<br />

runter an die Elbe. Der Fotograf und<br />

die Redakteurin können jetzt gehen.<br />

„Ich bringe euch zur Tür!“, ruft sie und<br />

geleitet uns freundlich hinaus. •<br />

Peter ist seit 1995 bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Er hat seinen Stammplatz vor Erdkorn in<br />

der Sülldorfer Landstraße in Iserbrook.


„Ich bin einen Monat nicht vor die T r gegangen.“<br />

„Ich hab’ Kuchen gebacken!“, sagt Andreas<br />

zur Begrüßung. Apfelkuchen mit<br />

Streusel. Und Sahne hat er auch geschlagen!<br />

Köstlich. „Man ist doch ein<br />

guter Gastgeber“, freut sich der 46-Jährige<br />

über die Begeisterung des Besuchs.<br />

Wenn man eine Wohnung hat – und sei<br />

sie noch so klein –, kann man ja auch<br />

mal jemanden einladen.<br />

Andreas hatte riesiges Glück, denn<br />

er konnte die Harburger Wohnung von<br />

einem Hinz&Künztler übernehmen. Im<br />

April vergangenen Jahres bekam er den<br />

Mietvertrag, und sogar die Möbel seines<br />

88<br />

Vorgängers durfte er behalten. Damit<br />

endete für ihn eine Odyssee, die nach der<br />

Trennung von seiner Freundin aus wechselnden<br />

Betten bei Bekannten und zwei<br />

Jahren im Männerwohnheim bestand.<br />

„Nachdem ich hier eingezogen bin,<br />

bin ich erst mal einen ganzen Monat<br />

nicht vor die Tür gegangen“, erzählt<br />

Andreas. So sehr habe er die Ruhe seiner<br />

eigenen vier Wände genossen. „Ich<br />

hab’ nur ein bisschen umgeräumt und es<br />

mir schön gemacht.“ Im Wohnheim hatte<br />

er zwar auch schon ein Einzelzimmer,<br />

aber mit zehn Menschen auf einer Etage,<br />

mit geteilter Dusche und gemeinschaftlichem<br />

WC sei immer Trubel und<br />

es sei oft auch nicht besonders sauber gewesen.<br />

Bei Andreas ist dagegen alles picobello.<br />

Genial ist auch, dass seine Wohnung<br />

im Erdgeschoss liegt. Denn seit<br />

einer missglückten Hüftoperation kann<br />

er nur mit Krücken gehen.<br />

Mit der Ruhe ist es jetzt allerdings<br />

vorbei, aber das war dieses Mal Andreas’<br />

eigene Entscheidung: Seit September<br />

hat er eine Katze. 14 Wochen alt, frech<br />

und so süß, dass man ihr nichts übel<br />

nehmen kann. Abby heißt sie. „Wenn sie


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Museumsfrachter auf große Fahrt ... unsere Fahrten<br />

unter Ihrem Weihnachtsbaum:<br />

Freitag, den 10. Mai 2019<br />

Einlaufparade zum<br />

830. Hafengeburtstag<br />

Samstag, den 15. Juni 2019<br />

Karibischer Abend mit<br />

brasilianischen Rhythmen<br />

Samstag, den 22. Juni 2019<br />

Technikfahrt - Erkunden Sie<br />

alles rund um die Schiffstechnik<br />

Freitag, den 12. Juli 2019<br />

Fahrt Hamburg - Cuxhaven<br />

(inkl. Busshuttle zurück)<br />

Sonntag, den 14. Juli 2019<br />

Fahrt Cuxhaven - Hamburg<br />

<br />

<br />

Fahrt Hamburg - Rendsburg<br />

(inkl. Busshuttle zurück)<br />

<br />

Fahrt Rendsburg - Hamburg<br />

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Romantische Abendfahrt<br />

Hamburg Cruise Days<br />

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der Rubrik „Fahrten“ oder telefonisch unter 040/36 42 09<br />

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DES LEBENS<br />

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ein persönliches<br />

Gespräch?<br />

Kontaktieren Sie<br />

unseren Geschäftsführer<br />

Dr. Jens Ade.<br />

Tel.: 040/32 10 84 03<br />

oder Mail: jens.ade@<br />

hinzundkunzt.de<br />

nicht hört, Abigail“, sagt Andreas und lacht.<br />

„Alleine war’s mir jetzt doch ein bisschen zu<br />

langweilig.“ Gerade hat es Abby auf die<br />

Schlagsahne auf dem Kuchen abgesehen.<br />

Aber nichts da: Den Kuchen bekommt jetzt<br />

der Besuch. •<br />

Andreas kam 1998 zum ersten Mal zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Nach längerer Unterbrechung ist er seit 2015<br />

wieder dabei. Vormittags verkauft er das Magazin<br />

in der Rindermarkthalle St. Pauli, an drei Nachmittagen<br />

die Woche, und samstagvormittags steht er<br />

vor Lidl in der Rönneburger Straße in Harburg.<br />

Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> bietet obdachlosen Menschen Halt. Eine Art Anker<br />

für diejenigen, deren Leben aus dem Ruder gelaufen ist. Möchten<br />

Sie uns dabei unterstützen und gleichzeitig den Menschen, die<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> Heimat und Arbeit gefunden haben, helfen? Dann<br />

hinterlassen Sie etwas Bleibendes – berücksichtigen Sie uns<br />

in Ihrem Testament! Als Testamentsspender wird Ihr Name auf<br />

Wunsch auf unserem Gedenk-Anker in der Hafencity graviert. Ein<br />

maritimes Symbol für den Halt, den Sie den sozial Benachteiligten<br />

mit Ihrer Spende geben.<br />

89


Hinz&Künztler<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

Vor zehn Jahren war<br />

dies unser Titelbild:<br />

Unsere damalige<br />

Herausgeberin<br />

Annegrethe Stoltenberg<br />

gratulierte<br />

uns mit Rosen zum<br />

15. Geburtstag. Gern<br />

nahm Hinz&Künztler<br />

Uwe ihre Glückwünsche<br />

entgegen.<br />

„Wurzeln und Flügel“<br />

Ein Geburtstagsgruß von Annegrethe Stoltenberg, die von 2000 bis 2013<br />

Landespastorin und Herausgeberin von Hinz&<strong>Kunzt</strong> war.<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Dieses Foto ist vor zehn Jahren, zum 15. Jubiläum, entstanden und<br />

erinnert damit an eines der vielen, vielen schönen Ereignisse, die das Leben<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong> seit Beginn begleiten, ja, auch ausmachen. Das ist nach<br />

wie vor so wichtig an Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Dass der klare Blick auf Unglück<br />

und Ungerechtigkeit nicht die Augen vor dem Guten und dem Schönen<br />

verschließt. So lese ich jedes Magazin wieder gern, mit diesem besonderen<br />

Blick auf Hamburg. Die Stimme des Magazins und die Präsenz der Verkäufer<br />

sind so wichtig, damit die konstruktive Haltung gegenüber wohnungslosen<br />

Menschen in Hamburg immer wieder bestärkt wird.<br />

Der Glückwunsch ist verbunden mit einem hochachtungsvollen<br />

Dankeschön: Ich bewundere, wie diese Haltung Jahr für Jahr, Tag für Tag in<br />

der Redaktion und in der Sozialarbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> gelebt wird!<br />

Wurzeln und Flügel soll man Kindern mit auf den Weg geben, das ist<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> gelungen: Es ist eine „verwurzelte“ Institution in Hamburg<br />

geworden und schwingt sich immer wieder zu neuen Projekten auf!<br />

Alles Gute für den weiteren Weg! •<br />

90


Hinz&Künztler<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

Ein<br />

Innovationslabor<br />

namens<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Geburtstagswünsche von Landespastor und Herausgeber Dirk Ahrens.<br />

FOTOS: ANNETTE SCHRADER,<br />

MAURICIO BUSTAMANTE (S. 94)<br />

Seit Anfang 2014<br />

ist Landespastor<br />

Dirk Ahrens<br />

Herausgeber von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

92


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Hinz&Künztler<br />

SCHNELL<br />

SCHALTEN<br />

Anzeigen: 040/28 40 94-0<br />

anzeigen@hinzundkunzt.de<br />

„Diese politische<br />

Stimme<br />

darf nicht<br />

verloren gehen.“<br />

L<br />

eider sehe ich auch zum 25. Jubiläum<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong> die<br />

Frage ungelöst, wie möglichst<br />

viele Menschen von der Straße in geeigneten<br />

und bezahlbaren Wohnraum vermittelt<br />

werden können. Bisher zeigt die<br />

intensive Wohnungsbaupolitik des Senats<br />

keine positiven Folgen für die Menschen,<br />

um die es uns geht. Die Politik ist<br />

nach wie vor zu zurückhaltend mit der<br />

Bereitstellung von Wohnraum für die<br />

Ärmsten der Gesellschaft, vertraut immer<br />

noch zu stark auf die Selbstregulierung<br />

des Marktes. Der Markt aber folgt<br />

dem Geld – und wer kein Geld hat, ist<br />

chancenlos. Der gleichzeitige Versuch,<br />

Armutsmigration aus den östlichen EU-<br />

Ländern einzudämmen, wirkt ebenso<br />

hilflos wie inhuman. Nur wer die Situation<br />

annimmt, wird sie politisch bewältigen<br />

können. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist deshalb leider<br />

weiterhin notwendig, um auf<br />

Missstände hinzuweisen, gute Ideen zu<br />

verbreiten und Lobby für die zu sein, die<br />

keine Stimme haben.<br />

Ob das aber nur in dem beliebten<br />

Printmagazin geschieht, ist auf die<br />

Dauer zumindest fraglich. Die Auflagenzahlen<br />

der Printmedien brechen<br />

teilweise radikal ein. Viele Menschen<br />

beziehen ihre Informationen zunehmend<br />

aus dem Internet. Und die wenigsten<br />

sind bereit, dafür zu zahlen.<br />

Leider geht diese Entwicklung auch an<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> nicht vorbei. Die Zahl der<br />

verkauften Magazine ist deshalb in den<br />

letzten Jahren gesunken. Gleichzeitig<br />

steigt die Wahrnehmung des Projektes<br />

online und in den sozialen Medien. Insbesondere<br />

junge Menschen interessieren<br />

sich für unsere Arbeit. Das ist ermutigend.<br />

Aber selbst wenn eine große<br />

Zahl von Leserinnen und Lesern bereit<br />

wäre, für die Online-Nutzung Geld zu<br />

bezahlen, dann fiele doch auf Dauer<br />

ein großer Teil der Verkäuferjobs weg.<br />

Und für die Verkäuferinnen und Verkäufer<br />

wurde das Magazin einst überhaupt<br />

erfunden.<br />

Das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team braucht also<br />

viel Kreativität und frischen Geist.<br />

Einerseits darf die politische und publizistische<br />

Stimme von Hinz&<strong>Kunzt</strong> in<br />

dieser Stadt keinesfalls verloren gehen!<br />

Dafür muss die Präsenz im Internet<br />

weiter ausgebaut werden. Und egal ob<br />

in der Printausgabe oder im Internet:<br />

Die Inhalte und die Präsentation müssen<br />

weiterhin stimmen! Das ist harte<br />

journalistische Arbeit.<br />

Andererseits muss das Straßenmagazin<br />

neue Ideen entwickeln, wie den<br />

Menschen auf der Straße ganz konkret<br />

geholfen werden kann. Leuchtturmprojekte<br />

wie die „<strong>Kunzt</strong>Küche“ in diesem<br />

Frühjahr, „Spende Dein Pfand“ in Zusammenarbeit<br />

mit den Kooperationspartnern<br />

Hamburg Airport und Grüner<br />

Punkt oder die „BrotRetter“ mit<br />

der Bäckerei Junge gehen in die richtige<br />

Richtung und erweitern das Jobangebot.<br />

Hier bekommen Hinz&Künztler<br />

sozialversicherungspflichtige Jobs und<br />

machen sinnvolle Arbeit. Unsere Leergutbeauftragten<br />

am Flughafen tun etwas<br />

für die Umwelt, und die BrotRetter<br />

verkaufen Brot vom Vortag billiger: So<br />

wird weniger Brot und Kuchen weggeschmissen,<br />

und die Käufer können<br />

ihren Geldbeutel schonen. Davon brauchen<br />

wir mehr! Ebenfalls ausgebaut<br />

werden muss das Wohnraumangebot<br />

für Wohnungslose. Bereits jetzt ermöglicht<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> 25 Verkäuferinnen<br />

und Verkäufern das Leben im eigenen<br />

Wohnraum. Im neuen Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Innere Kraft - für dich & andere<br />

Qigong<br />

Taijiquan Meditation<br />

Barmbek, Bahrenfeld, Eimsbüttel<br />

040-205129<br />

www.tai-chi-lebenskunst.de<br />

ENGAGIEREN<br />

TAUFEN<br />

SINGEN<br />

PFLEGEN<br />

TRAUERN<br />

INFORMIEREN<br />

HEIRATEN<br />

Das Leben<br />

steckt voller<br />

Fragen.<br />

93<br />

Wie können wir Ihnen helfen?


Hinz&Künztler<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

Auf diesem Gelände der Amalie<br />

Sieveking-Stiftung wird das<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Haus entstehen.<br />

Möglich machen das Holger<br />

Cassens (Mara & Holger Cassens-<br />

Stiftung, links) und Johannes Jörn<br />

(Amalie Sieveking-Stiftung, Mitte);<br />

rechts Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Geschäftsführer<br />

Jens Ade.<br />

Haus, das wir 2020 in St. Georg eröffnen<br />

werden, wird es nicht nur neuen<br />

Platz für Redaktion und Vertrieb geben,<br />

sondern auch Wohnraum für weitere<br />

25 Wohnungslose.<br />

Um Hinz&<strong>Kunzt</strong> herum werden<br />

weitere Projekte im Bereich von Kunst<br />

und Kultur entstehen. Ich sehe Benefizkonzerte,<br />

aber auch Ausstellungen und<br />

Theateraktionen vor mir. Und jede dieser<br />

Aktionen macht auf die Situation<br />

wohnungsloser Menschen aufmerksam,<br />

baut Brücken zwischen denen, die etwas<br />

haben, und denen, die nichts haben<br />

in unserer Stadt. Das ermöglicht einen<br />

neuen Blick auf unsere Gesellschaft.<br />

Kultur eröffnet Teilhabemöglichkeiten<br />

und bringt Hinz&Künztler und andere<br />

„Das Team hat<br />

seine Kreativität<br />

häufig unter<br />

Beweis gestellt.“<br />

Hamburger zusammen. Das ist besonders<br />

notwendig in unserer sich stark segregierenden<br />

Gesellschaft. Und Kunst<br />

und Kultur stehen bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

auch immer für Lebensfreude und<br />

Zuversicht.<br />

Und ich träume davon, dass<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ein richtiges Innovationslabor<br />

wird. Das Team hat seine Kreativität<br />

bereits häufig unter Beweis<br />

gestellt. Ebenso entscheidend ist Kommunikationskompetenz.<br />

Wem sollte<br />

man die zutrauen, wenn nicht den Machern<br />

einer angesehenen Zeitung?<br />

Dank Spenden und anderer Einnahmen<br />

könnten Projektentwickler bei<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> arbeiten, die nichts anderes<br />

tun, als geeignete Beschäftigungsoder<br />

Wohnprojekte zu entwickeln, umzusetzen<br />

und auch an andere Träger<br />

der Wohnungslosenarbeit weiterzugeben.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> als Ort sprudelnder<br />

Ideen wäre sicher auch für die Publikationen<br />

der Redaktion interessant.<br />

Durch Verzicht auf Wissensegoismus<br />

könnte sich Hinz&<strong>Kunzt</strong> in den<br />

Dienst der gesamten Wohnungslosenarbeit<br />

stellen und unverzichtbare Bedeu-<br />

94<br />

„Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

war damals<br />

revolutionär<br />

innovativ.“<br />

tung erlangen. Die Szene hat in den<br />

vergangenen Jahren sehr unter der Ausweglosigkeit<br />

ihrer Arbeit gelitten.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> könnte anderen Projekten<br />

und Einrichtungen mit neuen<br />

Ideen Aufwind geben. Ganz in der Tradition<br />

von Landespastor Stephan Reimers.<br />

In seinen sogenannten „Spinnstuben“<br />

im Diakonischen Werk ist<br />

schließlich auch einmal Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

erdacht worden. Damals revolutionär<br />

innovativ.<br />

Und sicher hat es damals (auch<br />

fachlich versierte) Menschen gegeben,<br />

die ein solches Projekt für Spinnerei<br />

hielten. Davon sollten wir uns aber<br />

ebenso wenig aufhalten lassen wie<br />

von unserer individuell begrenzten<br />

Fantasie.<br />

Ich habe genug Gottvertrauen, zu<br />

glauben, dass Hinz&<strong>Kunzt</strong> ein notwendiges<br />

und vor allem ein gesegnetes Projekt<br />

ist. Sollte Hinz&<strong>Kunzt</strong> also eines<br />

Tages schließen, dann nur deshalb, weil<br />

niemand mehr auf der Straße leben<br />

muss. Und das wäre dann großartig. •<br />

Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de


Das 8. Lesen ohne Atomstrom – Der Prolog<br />

‚Protest & Widerstand‘ – so heißt das Programm des Literaturfestivals <strong>2018</strong>/19.<br />

Anlass: Der rot-grüne Senat hat 2017 tagelang elementare Grundrechte außer Kraft gesetzt,<br />

die Pressefreiheit beschränkt – um dem Gipfel der G20 die Bühne zu bieten.<br />

Diesen Tabubruch dokumentiert zum Festivalauftakt die Ausstellung ‚Die Diskreditierten‘,<br />

renommierte Verfassungsexperten ordnen die Ereignisse ein.<br />

Derweil steht der nächste G20 unmittelbar bevor – in Buenos Aires: Über den Protest dort<br />

berichtet Juan Martín Guevara, Bruder des Che. Im Gespräch mit Walter Sittler.<br />

15. <strong>November</strong><br />

FC St. Pauli Museum<br />

Millerntor-Stadion<br />

G20 –<br />

Der Rückblick<br />

Gerhart Baum<br />

Thomas Fischer<br />

Peter Schaar<br />

Gerhard Strate<br />

‚Die Diskreditierten‘<br />

16. <strong>November</strong><br />

Akademie<br />

der Künste<br />

G20 –<br />

Der Ausblick<br />

Juan Martín<br />

Guevara<br />

Walter Sittler<br />

Beginn 19.30 Uhr Eintritt frei!


Ich engagiere mich so gerne<br />

im Beirat, ...<br />

Freunde<br />

Unser Beirat berät Projekt<br />

und Redaktion, weil ein Blick<br />

von außen denen hilft, die<br />

manchmal zu nahe dran sind.<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

… weil die Anliegen von<br />

Obdachlosen Schutz und eine<br />

hörbare Stimme benötigen.<br />

… weil ich im Leben viel Glück<br />

gehabt habe und gerne ein<br />

bisschen was zurückgeben möchte.<br />

… weil Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

wohnungslosen Menschen<br />

in Hamburg ein Gesicht<br />

gibt und eine Stimme<br />

verleiht, die maßgeblich<br />

dazu beiträgt,<br />

ihre Lebensbedingungen<br />

zu verbessern.<br />

Prof. Dr. Harald Ansen,<br />

Armutsexperte HAW Hamburg<br />

Alexander Unverzagt, Medienanwalt<br />

Thomas Magold, BMW-Niederlassungsleiter i. R.<br />

… weil eine Wohnung nicht<br />

alles ist, aber alles<br />

ist nichts ohne Wohnung.<br />

Beate Behn, Lawaetz-Stiftung<br />

… weil ich das Projekt<br />

weiterhin sinnvoll finde und<br />

auch künftig gerne mit<br />

meiner Erfahrung<br />

unterstützen möchte.<br />

Olaf Köhnke, Ringdrei Media Network GmbH<br />

… weil ich helfen will, die<br />

Stadt menschlicher zu machen,<br />

und weil H&K zu Hamburg<br />

gehört wie Alster und Elbe.<br />

Dr. Bernd-Georg Spies, Russell Reynolds<br />

Associates<br />

… weil Engagement mehr<br />

Karma-Punkte bringt als nur<br />

reden oder liken.<br />

Dr. Marius Hoßbach, Rechtsanwalt<br />

… weil Hamburgs Straßen<br />

zwar schön sind – aber niemand<br />

darauf schlafen sollte.<br />

Oliver Wurm, Medienberater<br />

… weil Hinz&<strong>Kunzt</strong> die<br />

Verkäufer und Verkäuferinnen<br />

in die Lage versetzt,<br />

sich selbst zu helfen.<br />

Das ist besser, als ihnen nur<br />

Almosen zu geben.<br />

Karin Schmalriede, Lawaetz-Stiftung<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK, MAURICIO BUSTAMANTE (1), REGINE CHRISTIANSEN (1),<br />

MARION VON DER MEHDEN (1), HAMBURGER ABENDBLATT/HANNA KASTENDIECK (1)<br />

96


Freunde<br />

Engagement mit<br />

Herz für Hamburg:<br />

… weil die Innenstadt<br />

nicht nur aus schönen<br />

Fassaden besteht.<br />

Mathias Bach, Kaufmann<br />

Wir gratulieren<br />

Hinz & <strong>Kunzt</strong> zum<br />

25. Geburtstag.<br />

Ich bin Gesellschafterin, …<br />

… weil das Projekt eine<br />

perfekte Ergänzung zu<br />

unseren Hilfeangeboten für<br />

Menschen in Wohnungsnot<br />

ist – und dabei wunderbar<br />

zäh und lebendig bleibt.<br />

Gabi Brasch,<br />

Diakonisches Werk<br />

Ich bin Gesellschafter, …<br />

Wir trauern um …<br />

… weil ich so etwas<br />

gegen die soziale<br />

Spaltung in<br />

Hamburg tun kann.<br />

Johannes Jörn,<br />

Patriotische Gesellschaft<br />

von 1765<br />

97<br />

... Rüdiger Knott,<br />

unseren Freund und<br />

langjähriges Beiratsmitglied,<br />

der für die<br />

Redaktion ein steter<br />

Ansprechpartner war.<br />

Eine seiner letzten<br />

Ausstellungen fand<br />

bei uns statt –<br />

zu unseren Gunsten.<br />

Rüdiger Knott, ehemaliger<br />

Programmchef NDR 90,3<br />

und Künstler. Er gehörte<br />

dem Beirat von 2000 bis<br />

zu seinem Tod im Juni<br />

dieses Jahres an.<br />

Wir machen gern<br />

gemeinsame Sache:<br />

Für „Spende Dein Pfand“<br />

kooperiert Hamburg Airport mit<br />

dem Hamburger Straßenmagazin<br />

„Hinz & <strong>Kunzt</strong>“ und dem Unternehmen<br />

„Der Grüne Punkt – Duales<br />

System Deutschland<br />

GmbH“ (DSD).<br />

Das Unternehmen<br />

übernimmt die<br />

gesammelten Flaschen<br />

und gibt das Pfandgeld<br />

1:1 an<br />

„Hinz & <strong>Kunzt</strong>“.<br />

SPENDE<br />

DEIN<br />

PFAND<br />

www.hamburg-airport.de


Lebenslinien<br />

Der lange<br />

Schatten<br />

Vor mehr als 15 Jahren wird Kevin M. in Hamburg zum Bankräuber.<br />

Erwischt wird der Brite nie. Doch Kevin kann mit seiner Schuld<br />

nicht leben. Zwei Jahre später stellt er sich und wird verurteilt.<br />

Als Hinz&<strong>Kunzt</strong> darüber berichtet, nimmt die Geschichte gleich<br />

mehrere unerwartete Wendungen.<br />

TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />

ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />

Kevin ist verzweifelt. Der Brite<br />

hat keinen Job, kein Geld und<br />

nun ist auch noch der Strom in<br />

seiner Wohnung abgestellt worden, weil<br />

er die Rechnungen nicht mehr bezahlen<br />

kann. Der 30-Jährige weiß nur noch<br />

einen Ausweg: Er geht zu einer Filiale<br />

der HASPA in der Nähe seiner Wohnung,<br />

schiebt einen Zettel durch den<br />

Kassenschlitz, „Geld oder ich schieße“,<br />

und hält seinen Arm und die Hand so<br />

in der Jackentasche, dass die Kassiererin<br />

glauben muss, er sei bewaffnet. Sie<br />

gibt ihm das Geld, er haut ab. 10.000<br />

Mark Beute – das reicht erst mal für seine<br />

Schulden.<br />

Besser wird sein Leben dadurch nicht.<br />

Kevin trinkt, macht weiter Schulden, er<br />

ist frustriert und unglücklich. Bei seinen<br />

Gelegenheitsjobs auf dem Bau kommt<br />

nicht viel rein. Also macht er weiter mit<br />

den Banken. Noch weitere drei Mal<br />

geht er auf Raubzug, erbeutet jeweils<br />

zwischen 8000 und 10.000 Mark. Kevin<br />

hinterlässt keine Spuren und ist sich sicher,<br />

dass man ihn nie erwischen wird,<br />

auch wenn er sein Bild mehrfach in der<br />

Zeitung wiederfindet – Überwachungskameras<br />

hatten seine Überfälle aufgezeichnet.<br />

Niemand erkennt ihn.<br />

Doch Kevin schämt sich dafür, zum<br />

Kriminellen geworden zu sein. Immer<br />

mehr gerät er in eine Abwärtsspirale:<br />

kein Job, Alkoholprobleme, Schulden,<br />

keine Wohnung. Für ein paar Wochen ist<br />

er bei einem Freund untergekrochen.<br />

Die Schuld frisst ihn auf. Als er auf der<br />

Straße einen Streifenwagen sieht, spricht<br />

er die Beamten an: „Nehmen Sie mich<br />

fest, ich habe vier Banken überfallen.“<br />

Unsere Autorin Annette Scheld besucht<br />

Kevin damals im Untersuchungsgefängnis.<br />

Er erzählt ihr seine Geschichte.<br />

Wie er 1990, mit gerade 19<br />

Jahren, aus seiner Heimat Liverpool<br />

nach Deutschland kommt, der Liebe<br />

wegen. Er hat Gelegenheitsjobs, es läuft<br />

gut. 1995 heiratet er, sechs Jahre später<br />

geht die Ehe in die Brüche. Kevins<br />

Alkoholproblem eskaliert, er kommt<br />

nicht mehr auf die Füße. Die Abwärtsspirale<br />

dreht sich immer schneller – bis<br />

zu seiner Festnahme.<br />

Das Landgericht Hamburg verurteilt<br />

Kevin 2004 zu dreieinhalb Jahren<br />

Haft, obwohl die Staatsanwaltschaft nur<br />

zwei Jahre auf Bewährung beantragt<br />

hatte. Sie hatte vor allem sein Geständnis<br />

aus freien Stücken und den Umstand,<br />

dass keine Gewalt angewendet<br />

wurde, strafmildernd bewertet. Kevin<br />

kommt nach Santa Fu.<br />

Nachdem Hinz&<strong>Kunzt</strong> im Juli<br />

2004 über den reuigen Bankräuber berichtet,<br />

erhält die Redaktion einen ganz<br />

besonderen Leserbrief: Eine der Kassiererinnen,<br />

die Kevin überfallen hat, meldet<br />

sich. Juliane K. hat den Banküber-<br />

98


Lebenslinien<br />

Neukundenaktion bis 31.12.<strong>2018</strong>:<br />

<br />

fall damals erstaunlich gut weggesteckt. „Ich habe das gar<br />

nicht so richtig gecheckt“, sagt sie später. Als sie „ihren Bankräuber“<br />

bei der Gerichtsverhandlung wiedersieht, ist sie von<br />

seinem Geständnis, seiner Reue und vor allem seiner Entschuldigung<br />

bei seinen Opfern bewegt. Gern möchte sie ihm<br />

schreiben, weiß aber nicht wohin. Schließlich wendet sie sich<br />

an Hinz&<strong>Kunzt</strong> – sie will, dass er weiß, dass sie ihm verzeiht<br />

und wünscht ihm alles Gute für die Zukunft.<br />

Damit könnte die Geschichte zu Ende sein. Doch 13 Jahre<br />

später schreibt Kevin einen Kommentar auf der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Homepage: „Es ist solange her aber ich dank sie das sie mich<br />

verziehen hab“, schreibt er in holprigem Deutsch. „Ich lebe in<br />

England und hab mein Leben wieder in griff ich arbeit hab<br />

ein zuhause und wunsch dir auch alles gut nochmals sorry.“<br />

Was treibt ihn nach so langer Zeit dazu, sich wieder bei<br />

uns zu melden? Offenbar hat ihn seine Schuld immer noch<br />

nicht losgelassen. Über seine Mail-Adresse kommt der Kontakt<br />

zu Kevin zustande.<br />

„Nehmen<br />

Sie mich fest,<br />

ich habe<br />

vier Banken<br />

überfallen.“<br />

Zuerst freut er sich über<br />

das Interesse. Doch dann<br />

stellt er fest, wie schwer es<br />

ihm fällt, sich nochmals<br />

mit einem Kapitel seiner<br />

Vergangenheit zu beschäftigen,<br />

das einen langen<br />

Schatten auf sein Leben<br />

geworfen hat. 26 Monate<br />

hat er in Santa Fu abgesessen.<br />

„Im Gefängnis bin ich<br />

ganz gut zurechtgekommen,<br />

ich hab’s einfach irgendwie über mich ergehen lassen“,<br />

schreibt der heute 48-Jährige. 2006 wurde er nach England<br />

abgeschoben und ging zurück in seine Heimatstadt Liverpool.<br />

„Ich hab mich zuerst nicht getraut, Kontakt zu meiner Familie<br />

aufzunehmen. Ich war unsicher, ob es richtig wäre. Aber nach<br />

ungefähr einer Woche haben wir uns getroffen, und ich bin<br />

mit offenen Armen empfangen worden.“<br />

Die erste Zeit in Liverpool sei hart gewesen, erzählt er<br />

weiter. „Aber nach und nach wurde es viel leichter. Zuerst<br />

war es wegen meiner Vergangenheit im Gefängnis schwierig,<br />

eine Arbeit zu finden.“ Doch dann fand er eine Beschäftigung<br />

auf dem Bau. Nicht immer gab es Arbeit, aber zurzeit<br />

hat Kevin einen festen Job und ist zufrieden: „Es läuft gut.“<br />

Kevin ist dankbar, dass sein Opfer, die Kassiererin von<br />

damals, ihm verzeihen konnte. Wir haben vergeblich versucht,<br />

sie ausfindig zu machen. Vielleicht liest sie ja diesen<br />

Text über „ihren Bankräuber“ und meldet sich erneut bei<br />

uns. Kevin würde sich freuen, wenn sie erfahren würde, dass<br />

ihre guten Wünsche für ihn für die Zukunft zumindest zum<br />

Teil in Erfüllung gegangen sind. •<br />

Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Schnelle Hilfe<br />

auf Knopfdruck<br />

Malteser Hausnotruf<br />

<br />

<br />

JETZT<br />

SPENDEN<br />

Hamburger Sparkasse<br />

IBAN: DE56 200505501280167873<br />

BIC: HASPDEHHXXX<br />

„ICH WÜNSCHE MIR<br />

EINEN BRATEN UND EUCH<br />

SCHÖNE WEIHNACHTEN!“ HUND JACK<br />

Jack heißt unser diesjähriges Model für unseren Adventskalender.<br />

Er und sein Herrchen sind unzertrennlich. Deshalb ist Jack auch<br />

immer dabei, wenn Vasile Straßenmagazine verkauft. Hinter den<br />

24 Türchen verbergen sich allerdings keine Leckerlis für Hunde,<br />

sondern für Menschen.<br />

24 Türchen mit Bio-Fairtrade-Schokolade, ohne Plastikinlay, also<br />

komplett als Altpapier recycelbar. Von Postalo. Preis: 11,90 Euro.<br />

Schnell bestellen unter www.hinzundkunzt.de/shop<br />

99


Rubrik<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

„Ein gutes<br />

soziales Projekt.“<br />

HARALD-HEINZ (63, VERKÄUFER)<br />

100


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Hinz&Künztler<br />

„Die beste Familie<br />

der Welt!“<br />

Was bedeutet Hinz&<strong>Kunzt</strong> für dich?<br />

Eine Umfrage unter Verkäufern und Teammitgliedern.<br />

UMFRAGE: ULRICH JONAS<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

„Es macht mir viel Freude,<br />

Obdachlosen zu helfen. Die Menschen<br />

sind mir ans Herz gewachsen.<br />

Das spüre ich, wenn ich mal Urlaub habe:<br />

Dann vermisse ich sie.“<br />

„Leben<br />

und Überleben.“<br />

GABOR (40, VERKÄUFER)<br />

CRISTINA (36, DOLMETSCHERIN)<br />

101


„Ein Ort, der von einer großen<br />

Gemeinschaft geprägt ist –<br />

und einer Idee, wie Gemeinschaft<br />

gelebt werden kann.“<br />

CEDRIC (27, REDAKTIONSASSISTENT)


Hinz&Künztler<br />

„Hilfe für mich, meine<br />

Kinder und meine<br />

Enkelkinder. Zwei meiner<br />

Töchter leben noch in<br />

Lettland. Die Situation dort<br />

ist schwierig: wenig Arbeit,<br />

wenig Verdienst.“<br />

RAITIS (62, VERKÄUFER)<br />

„Ohne Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

würde meine Familie in<br />

Rumänien hungern.<br />

Meine Eltern sind krank<br />

und alt, und ihre Rente<br />

ist klein. Deshalb schicke<br />

ich ihnen, meiner<br />

Frau und meinen Kindern<br />

regelmäßig Geld.“<br />

CRISTIAN (41, VERKÄUFER)<br />

„Seitdem ich Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

verkaufe, habe ich einen<br />

Platz zum Schlafen und<br />

kann mir Essen kaufen.<br />

Vorher war ich sehr<br />

krank und habe sogar aus<br />

dem Müll essen müssen.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> hat mein<br />

Leben total verändert.“<br />

FLORIN (47, VERKÄUFER)<br />

103<br />

stilbruch.de


Rubrik<br />

Harald: „Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist<br />

mein Zuhause. Ich arbeite<br />

seit fünf Jahren als<br />

Stadtführer – und das<br />

ist wie ein Jackpot.“<br />

Chris: „Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist die<br />

beste Familie der Welt!“<br />

HARALD (53) UND<br />

CHRIS (47), BEIDE STADTFÜHRER<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

„Eine Chance,<br />

wieder auf die Beine<br />

zu kommen.“<br />

MARINA (59, VERKÄUFERIN)<br />

„Die Möglichkeit, mit<br />

Menschen, die nicht obdachlos<br />

sind, ins Gespräch zu kommen.“<br />

PETYO (27, VERKÄUFER)<br />

104


Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

JA,<br />

ICH WERDE MITGLIED<br />

IM HINZ&KUNZT-<br />

FREUNDESKREIS.<br />

Damit unterstütze ich die<br />

Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Meine Jahresspende beträgt:<br />

60 Euro (Mindestbeitrag für<br />

Schüler/Studenten/Senioren)<br />

100 Euro<br />

Euro<br />

Datum, Unterschrift<br />

Ich möchte eine Bestätigung<br />

für meine Jahresspende erhalten.<br />

(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />

Meine Adresse:<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Nr.<br />

PLZ, Ort<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

Einzugsermächtigung:<br />

Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />

Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />

Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />

IBAN<br />

BIC<br />

Bankinstitut<br />

„Sehr viel. Da ich aus gesundheitlichen<br />

Gründen nicht mehr voll arbeiten kann, hilft mir<br />

der Verkauf, über die Runden zu kommen.<br />

Ich bin gerne unter Menschen. Und meine<br />

Kundschaft ist immer sehr freundlich zu mir.“<br />

MICHAEL (52, VERKÄUFER)<br />

Ich bin damit einverstanden, dass mein Name in<br />

der Rubrik „Dankeschön“ in einer Ausgabe des<br />

Hamburger Straßenmagazins veröffentlicht wird:<br />

Ja<br />

Nein<br />

Wir garantieren einen absolut vertraulichen<br />

Umgang mit den von Ihnen gemachten Angaben.<br />

Die übermittelten Daten werden nur zu internen<br />

Zwecken im Rahmen der Spendenverwaltung<br />

genutzt. Die Mitgliedschaft im Freundeskreis ist<br />

jederzeit kündbar. Wenn Sie keine Informationen<br />

mehr von uns bekommen möchten, können Sie<br />

jederzeit bei uns der Verwendung Ihrer personenbezogenen<br />

Daten widersprechen.<br />

Unsere Datenschutzerklärung können Sie<br />

einsehen unter www.huklink.de/datenschutz<br />

Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />

Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />

105<br />

HK <strong>309</strong>


Tschüss&Impressum<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>309</strong>/NOVEMBER <strong>2018</strong><br />

Tschüss<br />

und auf bald!<br />

Und wenn Sie unseren Verkäufern ein<br />

Geburtstagsgeschenk machen wollen,<br />

dann haben wir eine Idee für Sie:<br />

Zwei Magazine kaufen, eins verschenken!<br />

Vielleicht an jemanden, der oder die uns noch nicht kennt<br />

oder das Magazin schon lange nicht mehr gelesen hat.<br />

Wir brauchen immer neue Leserinnen und Leser!<br />

Für dieses Mal sagen wir Tschüss. Besser gesagt:<br />

Auf Wiedersehen! Vielleicht ja in der Markthalle am<br />

6. <strong>November</strong> ab 18 Uhr (Seite 50) bei unserem Jubiläumsfest.<br />

Da können Sie uns treffen, und da können wir klönen<br />

und zusammen feiern. Zum Abschluss spielt auch noch<br />

Gustav Peter Wöhler mit Band. Wir freuen uns auf Sie! •<br />

Ihre Birgit Müller für das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />

Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />

Impressum<br />

Redaktion und Verlag<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />

Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />

Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />

Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />

E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />

Herausgeber<br />

Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />

Externer Beirat<br />

Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />

Mathias Bach (Kaufmann),<br />

Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />

Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />

Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />

Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH),<br />

Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />

Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />

Alexander Unverzagt (Medienanwalt),<br />

Oliver Wurm (Medienberater)<br />

Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />

Redaktion Birgit Müller (bim; Chefredakteurin, v.i.S.d.P.),<br />

Annette Woywode (abi; Stellv., CvD),<br />

Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof),<br />

Ulrich Jonas (ujo), Frank Keil (fk),<br />

Benjamin Laufer (bela), Misha Leuschen (leu),<br />

Korrektorat Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />

Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Cedric Horbach<br />

Online-Redaktion Simone Deckner,<br />

Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />

Artdirektion grafikdeerns.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />

Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />

Anzeigenvertretung Caroline Lange,<br />

Wahring & Company, Tel. 040 284 09 418,<br />

c.lange@wahring.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 23 vom 1. Januar <strong>2018</strong><br />

Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />

Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann,<br />

Sergej Machov, Frank Nawatzki, Elena Pacuraru,<br />

Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />

Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />

Rechnungswesen/Systemadministration<br />

Frank Belchhaus<br />

Spendenmarketing Gabriele Koch<br />

Spendenverwaltung/Rechnungswesen<br />

Susanne Wehde<br />

Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />

Isabel Kohler<br />

Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer<br />

(Leitung), Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />

Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />

Stefan Calin, Ionel Lupu, Bianca Raducan<br />

Das Team von Spende Dein Pfand<br />

am Airport Hamburg<br />

Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger,<br />

Jonas Gengnagel, Klaus Peterstorfer, Herbert Kosecki<br />

Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />

Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />

Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />

Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing<br />

GmbH & Co. KG<br />

Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />

und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />

Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73<br />

BIC: HASPDEHHXXX<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch<br />

den aktuellen Freistellungsbescheid des Finanzamts<br />

Hamburg-Nord, Steuernummer 17/414/00797, vom<br />

15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />

des Körperschaftssteuergesetzes von der<br />

Körperschaftssteuer und nach §3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes<br />

von der Gewerbesteuer befreit.<br />

Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als gemeinnützige Verlags- und Vertriebs<br />

GmbH im Handelsregister beim Amtsgericht Hamburg<br />

HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen, dass wir<br />

Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />

Adressen werden nur intern verwendet und nicht an<br />

Dritte weitergegeben. Beachten Sie unsere<br />

Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt,<br />

das obdachlosen und ehemals obdachlosen Menschen<br />

Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />

Das Magazin wird von Journalisten geschrieben,<br />

Wohnungslose und ehemals Wohnungslose verkaufen es<br />

auf der Straße. Sozialarbeiter<br />

unterstützen die Verkäufer.<br />

Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />

FOTO: ANDREAS HORNOFF,<br />

ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />

Gesellschafter<br />

Durchschnittliche monatliche<br />

Druckauflage 3. Quartal <strong>2018</strong>:<br />

61.666 Exemplare


KUNZT-<br />

KOLLEKTION<br />

BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />

www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale 4 Euro, Ausland auf Anfrage.<br />

Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />

2.<br />

1.<br />

3.<br />

1. Schürze „<strong>Kunzt</strong>Küche“<br />

100% GOTS zertifi zierte Bio-Baumwolle.<br />

Farbe: norddeutschgrau,<br />

Schürzenbreite ca. 80 cm, Länge ca. 86 cm,<br />

hautfreundlich, atmungsaktiv, langlebig,<br />

pfl egeleicht und knitterarm.<br />

Maschinenwäsche bis 60 Grad.<br />

Von Kaya & Kato GmbH, Firma für<br />

fair produzierte Arbeitskleidung aus Köln,<br />

www.kaya-kato.de<br />

Preis: 25 Euro<br />

2. „Macht auch wach!“<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />

100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel<br />

oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />

Mischung, kräftiger Geschmack,<br />

ungemahlen, 250-g-Beutel, exklusiv von<br />

der Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />

Preis: jeweils 5,95 Euro<br />

3. Frühstücksbrettchen<br />

Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

aus der Serie „Schöne Aussichten“,<br />

Pension für Produkte Hamburg.<br />

Design: Wolfgang Vogler,<br />

Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />

lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />

in Deutschland gefertigt.<br />

Preis: 15,90 Euro<br />

4. Tasse „Fischkopp“<br />

Sonderedition für Hinz&<strong>Kunzt</strong> von der<br />

Hamburger Firma AHOI MARIE.<br />

Qualitätsporzellan von Kahla aus Thüringen.<br />

Design: Jan-Hendrik Holst.<br />

Keramischer Siebdruck.<br />

Maße: D: 9 cm, H: 9 cm,<br />

mikrowellen- und spülmaschinentauglich.<br />

Preis: 13,90 Euro<br />

5. Jubiläumsbonbons von Lutschebuller<br />

Lutschbonbons in den Geschmacksrichtungen<br />

Vanille-Zimt und Kaffee-Vanille.<br />

Hergestellt in Hamburg nach dänischem Rezept.<br />

Vegan, aber nicht zuckerfrei.<br />

Preis pro Glas: 3,95 Euro<br />

6. Haftnotizen<br />

Haftnotizpapier mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Logo fürs<br />

Büro, Zuhause und alle Lebenslagen, in denen<br />

Gedanken schnell festgehalten werden müssen.<br />

5 Blocks à 50 Blatt, 7 x 7 cm.<br />

Preis: 6,50 Euro<br />

7. „Ein mittelschönes Leben“<br />

Eine Geschichte für Kinder<br />

über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />

illustriert von Jutta Bauer.<br />

Preis: 4,80 Euro<br />

4.<br />

6.<br />

7.<br />

5.


Wir möchten, dass Sie es warm haben.<br />

Als Spezialist für umweltfreundliche und hocheffiziente Wärmelösungen<br />

sorgt HanseWerk Natur seit Jahrzehnten für warme Wohnzimmer und<br />

Werkshallen im Norden. Und weil wir wissen, dass menschliche Wärme<br />

genauso wichtig ist wie eine warme Heizung, unterstützen wir seit vielen<br />

Jahren das Hamburger Straßenmagazin Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Energielösungen für den Norden

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