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Berliner Kurier 08.11.2018

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SEITE21<br />

BERLINER KURIER, Donnerstag, 8. November 2018<br />

Rick Minnich, Deutsch-<br />

Amerikaner aus Berlin,<br />

hat den Film über Greenfield<br />

gemacht.<br />

Fotos: Wächter,MDR,dpa<br />

Dann wussten die Söhne, dass<br />

ihn die Erinnerungen belasteten,<br />

aber er sprach nicht darüber.<br />

Vor zehn Jahren trat er dann<br />

plötzlich in einer Fernsehsendung<br />

als Holocaust-Überlebender<br />

auf und erzählte Dinge,<br />

die er seinen Kindern nie hatte<br />

sagen können. Im Jahr 2014 ist<br />

sein Buch erschienen. Der Titel<br />

lautet „Measure of a Man.<br />

From Auschwitz Survivor to<br />

Presidents’ Tailor“. Es ist Martin<br />

Greenfields Autobiografie,<br />

es gibt sie nur auf Englisch.<br />

„Der Schneider der Präsidenten“<br />

läuft in der Sendereihe „Lebensläufe“<br />

am 8.11.18 um 23.05 Uhr im MDR.<br />

„Many days inside Auschwitz I<br />

was afraid Iwould die –and<br />

then afraid I wouldn’t“,<br />

schreibt Martin Greenfield<br />

darin. Die Angst zu sterben gepaart<br />

mit der Angst, nicht zu<br />

sterben. Er schildert, wie es<br />

war, SS-Hemden zu nähen,<br />

selbst eins zu tragen, den Vater<br />

aus den Augen zu verlieren,<br />

Hunger und Prügel auszuhalten,<br />

in Selektionsreihen zu stehen,<br />

ständig den Tod vor Augen<br />

zu haben und nicht zu wissen,<br />

was als nächstes passiert.<br />

Das Interesse von Rick Minnich<br />

an Greenfields Leben ist<br />

nicht persönlich motiviert und<br />

auch nicht historisch. „Ich interessiere<br />

mich eher für die Gegenwart.<br />

Ich möchte wissen,<br />

wie der Holocaust vererbt<br />

wird, wie Erinnerung weitergegeben<br />

wird“, sagt Rick Minnich.<br />

Eine interessante Frage.<br />

Wie prägt das Leiden die nachfolgenden<br />

Generationen einer<br />

Familie?<br />

„Bei Jay undTod, den beiden<br />

Söhnen, ist das schon sehr offensichtlich.<br />

Sie sind 58 und 60<br />

Jahre alt, aber lange nicht so<br />

charismatisch wie ihr Vater.<br />

Sie leben immer noch in seinem<br />

Schatten. Da ist der berühmte<br />

Vater, und dass er berühmt<br />

wurde, hat auch damit<br />

zu tun, dass er den Holocaust<br />

überlebte. Er ist der Präsidentenschneider,<br />

der den Holocaust<br />

überlebt hat“, sagt Rick<br />

Minnich.<br />

Er interessiert sich auch für<br />

die zweite Besonderheit dieser<br />

Familie. In ihr wird das Schneiderhandwerk<br />

weitergegeben.<br />

Nicht nur die beiden Söhne<br />

folgten dem Vater nach. Sie<br />

sind heute die Geschäftsführer<br />

im Greenfield-Unternehmen.<br />

Gerade überlegt auch der 25<br />

Jahre alte Enkelsohn, ins Geschäft<br />

einzusteigen.<br />

Rick Minnich lebt seit 1990 in<br />

Berlin. Nach einem Auslandssemester<br />

in Wien fing er an, in<br />

Berlin und Potsdam Regie zu<br />

studieren. Seitdem arbeitet er<br />

von Berlin aus als freischaffender<br />

Regisseur.<br />

Seine Filme folgen thematisch<br />

keinem Muster. Er hat einen<br />

über den verschwundenen<br />

Kopf der Lenin-Statue aus<br />

Friedrichshain gemacht und<br />

einige über amerikanische<br />

Themen. Gerade beschäftigt er<br />

sich mit dem Eisenbahnbau<br />

unter der Beringsee von Russland<br />

nach Alaska.<br />

Auf Martin Greenfield ist<br />

Rick Minnich zufällig gestoßen.<br />

Ein Journalist in Leipzig,<br />

erzählte ihm von einem Mann<br />

mit dem Namen Maximilian<br />

Grünfeld, der den Holocaust<br />

überlebte und in Amerika als<br />

Martin Greenfield ein berühmter<br />

Schneider wurde. Er war<br />

bei einer Recherche in Buchenwald<br />

auf den Namen gestoßen.<br />

Im Februar 2017 rief Rick<br />

Minnich bei Greenfields Söhnen<br />

an und fragte sie, ob er sie<br />

besuchen könne. Sie sagten zu.<br />

Der MDR interessierte sich für<br />

die Geschichte, weil sich ein<br />

Teil um das Konzentrationslager<br />

Buchenwald dreht, und finanzierte<br />

die Reise. „Wir<br />

haben in der Schneiderei gedreht<br />

und bei den Greenfields<br />

zu Hause. Es war nicht immer<br />

ganz einfach. Martin hört nicht<br />

mehr gut, und er geistert eher<br />

durch die Werkstatt, als dass er<br />

dort nützlich wäre. Er fährt jeden<br />

Tag in die Firma und<br />

nimmt auch noch Maß für Anzüge,<br />

aber die Chefschneiderin<br />

steht immer neben ihm und<br />

schaut auf das Maßband. Die<br />

Kunden wollen ihn allerdings<br />

immer sehen, wenn sie einen<br />

Anzug bestellen“, sagt Rick<br />

Minnich.<br />

Auch er besitzt jetzt einen<br />

Maßanzug aus dem Hause<br />

Greenfield. Einen echten Martin-Greenfield-Anzug.<br />

Es ist<br />

sein einziger Anzug. „Ich dachte,<br />

wenn ich einen Film über<br />

Martin mache, muss ich auch<br />

einen seiner Anzüge tragen“,<br />

sagt er. Dummerweise hat er<br />

nicht viele Gelegenheiten dazu.<br />

Auf dem 90. Geburtstag von<br />

Greenfield im August hat er ihn<br />

angehabt.

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