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Berliner Kurier 08.11.2018

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KULTUR<br />

SEITE17<br />

BERLINER KURIER, Donnerstag, 8. November 2018<br />

Deutschlands Schicksalstag<br />

Eine Ausstellung im Museum<br />

für Fotografie dokumentiert<br />

detailliertdas Geschehen<br />

der <strong>Berliner</strong> Revolution<br />

vom 9. November 1918<br />

Der 9. November ist<br />

Deutschlands Schicksalstag.<br />

Es war der Tag des<br />

Mauerfalls 1989, an dem das Volk<br />

der DDR nach 40 Jahren ein totalitäres<br />

Regime endgültig zu Fall<br />

brachte. Es war der Tag der<br />

„Reichskristallnacht“ 1938, an<br />

dem Nationalsozialisten jüdische<br />

Geschäfte zerstörten, Synagogen<br />

in Brand steckten. Und es war der<br />

Tag im Jahr 1918, an dem in Berlin<br />

die Revolution gegen das Kaiserreich<br />

und ein sinnloser Krieg entbrannte.<br />

An diese Zeit erinnert die Ausstellung<br />

„Berlin in der Revolution<br />

1918/1919. Fotografie, Film, Unterhaltungskultur“<br />

der Kunstbibliothek<br />

im Museum für Fotografie<br />

am <strong>Berliner</strong> Zoo. „Wir könneneine<br />

fotografische Bildgeschichte<br />

dieser Revolution erzählen, weil<br />

es viele Pressefotografen gab, die<br />

ihren Job sehr gut konnten“,sagt<br />

Ludger Derenthal, seit 2003 Leiter<br />

der Sammlung Fotografie der<br />

Kunstbibliothek und zusammen<br />

mit Evelin Förster und Enno<br />

Kaufhold Kurator der Ausstellung.<br />

Und wie genau. Die Pressefotografen,<br />

die ihre Bilder noch auf<br />

Glasplatten-Negative im Format<br />

13 mal 18 schossen, schickten ihre<br />

Kontaktkopien bereits am nächsten<br />

Tag in die Redaktionen –oder<br />

brachten sie als Postkarten für<br />

Touristen auf den Markt. Es hängen<br />

Lupen neben den Bildern.<br />

Denn es sind die Details, auf die es<br />

in diesen Fotografien ankommt.<br />

Das Erstaunliche ist das beinahe<br />

unberührte Nebeneinander zwischen<br />

Barrikadenkämpfen, Tod,<br />

Alltag und Unterhaltung zur gleichen<br />

Zeit.<br />

Während am Alexanderplatz<br />

und im Zeitungsviertel um die<br />

Kochstraße mit Maschinengewehren,<br />

Panzern und schwerer<br />

Artillerie gekämpft wurde und<br />

sogar Flugzeuge Bomben abwarfen,<br />

fanden im Theater Metropol<br />

oder am Kudamm Operetten<br />

statt. „An einem Tag wurden<br />

Schützengräben in den Straßen<br />

ausgehoben, am anderen Tag<br />

spielten die Kinder darin“, sagt<br />

Derenthal.<br />

Es sind vor allem drei Fotografen,<br />

deren Bilder das Museum<br />

hervorhebt. Willy Römer, dessen<br />

gesamtes Bildarchiv das Museum<br />

besitzt, und<br />

die Gebrüder<br />

Otto und Georg<br />

Haeckel.<br />

„Römer war<br />

in den ersten<br />

Tagen noch<br />

als Kriegsberichterstatter<br />

an der Front.<br />

Er war kein<br />

Kommunist,<br />

kein Rechter,<br />

er fotografierte<br />

alle,die<br />

da waren und<br />

versuchte<br />

neutral zu<br />

bleiben.“<br />

Den Gebrüdern<br />

Haeckel<br />

wiederum<br />

gelang es, mit<br />

kurzen Verschlusszeiten<br />

bis zu einer<br />

Tausendstel Sekunde Bewegungsabläufe<br />

messerscharf einzufrieren.<br />

Die Profis von damals beleuchten<br />

die Zeit zwischen dem 9. November<br />

1918 und März 1919. Demonstrationen,<br />

Schießereien,<br />

den Aufstand der Spartakisten.<br />

Andere Wände spiegeln die Filmund<br />

Unterhaltungskultur.<br />

So stehen Soldaten mit ihren<br />

Gewehren an einer Litfaßsäule,<br />

die für denselben Abend zur Revue<br />

lädt. Es gibt auch diese Überschneidungen.<br />

Senta Söneland<br />

machte Kabarett im Metropol-<br />

Theaterund stand im Januar auf<br />

einer Kiste am Bahnhof Zoo, um<br />

eine Rede für das Frauenwahlrecht<br />

zu halten.<br />

Die Chronologie der Revolution<br />

vor 100 Jahren: Schoninden ersten<br />

Novembertagen marschieren<br />

Kuhns<br />

Kulturstück<br />

Helmut Kuhn<br />

schaut,liest<br />

und hörtfür<br />

den KURIER.<br />

Tausende<br />

am Kurfürstendamm<br />

und in Mitte.<br />

Matrosenund Arbeiter,<br />

Angestellte, Frauen. Sie<br />

fordern die Abdankung des<br />

Kaisersund das Ende des Krieges.<br />

Am 9. November ruft der Sozialdemokrat<br />

Philipp Scheidemann<br />

vom Balkon des Reichstags die<br />

Republik aus. Wenige Stunden<br />

später verkündetder Kommunist<br />

Karl Liebknecht vor dem <strong>Berliner</strong><br />

Schloss die „freie sozialistische<br />

Republik“.<br />

Der Kaiser dankt ab, der Keim<br />

der Spaltung ist gesät. Die Regierung<br />

schickt das Militär. Es<br />

schießt auf Marinesoldaten, die<br />

ihren Sold wollen, und schlägt<br />

den Aufstand der Spartakisten<br />

nieder.Sind es zu Beginn ein paar<br />

Dutzend Opfer, werden es bis<br />

zum März über Tausend Tote.<br />

Auch Karl Liebknecht und Rosa<br />

Luxemburg werden ermordet.<br />

Das Ende bilden Trauerfeiern am<br />

Tempelhofer Feld –und standrechtliche<br />

Erschießungen mitten<br />

in den Straßen. „Am nächsten<br />

Tag wurden diese Szenen zu<br />

Postkarten für die Bevölkerung“,<br />

sagt Derenthal.<br />

„Berlin in der Revolution 1918/1919.<br />

Fotografie, Film, Unterhaltungskultur“,<br />

Ausstellung, Museum für Fotografie,<br />

Jebenstr. 2, 9.11. 2018 –3.3. 2019.<br />

Ludger<br />

Derenthal leitet<br />

seit 2003 die<br />

Sammlung<br />

Fotografie der<br />

Kunstbibliothek.<br />

Er ist auch<br />

Kurator.<br />

Foto: Wächter

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