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GesamtkatalogBuschFunk2018-19

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IN BOOKLETS GEBLÄTTERT – MONOKEL ZWISCHEN DORFSAAL UND POLIZEI-<br />

ESKORTE<br />

Im Booklet geblättert: Michael Rauhut* wirft für die CD (+DVD) „40 Jahre Monokel + 70 Jahre Speiche“ einen<br />

Blick in einen typischen Dorfsaal des Jahres <strong>19</strong>81.<br />

Time was<br />

In meiner Erinnerung sitzt Frank Gahler auf einem wuchtigen, alten Kachelofen. Er wirkt leicht derangiert,<br />

strähniges Haar verschleiert den Blick. Und doch stimmt jeder Ton. „Gala“ jubelt und schreit, seine Stimme<br />

kriecht noch unter die letzte Kutte. Dann zieht er die Blues Harp aus dem Halfter und spielt ein irres Solo.<br />

Es ist Sonntag, wir schreiben das Jahr <strong>19</strong>81. Monokel feiert den fünften Geburtstag mit einem Konzert im<br />

Landhotel „Zum Stern“. Ein typischer Dorfsaal, wo das Bier in halbvollen Pappbechern über den Tresen gereicht<br />

wird. Broiler, Rotwein und Korn stehen ebenfalls auf der Karte. Der Kachelofen links neben der Bühne<br />

muss nicht geheizt werden.<br />

Schon früh zieht es uns auf die Piste. In der Mitropa des Cottbuser Hauptbahnhofes spielen sich erste Verbrüderungsszenen<br />

ab, dann geht es mit dem Bus weiter. Es ist voll, Flaschen werden herumgereicht, man<br />

raucht. Ist das noch die DDR? Polizei eskortiert den lärmenden Tross bis zur Endstation und dreht dann wieder<br />

ab. Wir sind in Werben, einem verschlafenen Dörfchen, in dem für ein paar Stunden die Anarchie regiert.<br />

An den rustikalen Holztischen der „Gaststätte Detlef Pank“ warten schon die Hartgesottenen. Pank wittert<br />

Morgenluft und schenkt Schwarzbier zum Frühschoppen aus. Ein Hauch „U Flek “ weht durch die brandenburgische<br />

Provinz.<br />

Gegen 16 Uhr schließt wenige Schritte entfernt „Stern“-Inhaber Dieter Schmidt seinen Tanzsaal auf. Ein<br />

fürchterliches Gedränge bricht los. Der für exakt 423 Personen ausgelegte Raum ächzt unter der dreifachen<br />

Menge. Auf dem Hof, vor der Latrine, verwandelt sich ein Mädchen in Janis Joplin, Mundharmonikas werden<br />

gezückt. „I’m counting on you, Lord, please don’t let me down.“ Dann betritt Monokel die Bühne, und der<br />

Rest des Abends versinkt im Rausch.<br />

Leuchtende Tage! Wer sie erlebt hat, wird ihr Echo noch spüren. Wir dachten damals, dass die Kraft, die<br />

man in Werben oder anderswo tankte, nur für die nächste Woche reichen muss. Die Jugend war schließlich<br />

auf unserer Seite. Dass sie bis heute nachklingt, weil sie Weltsichten formte,<br />

haben wir nicht geahnt. Monokel war zu DDR-Zeiten eine Band für jene, die<br />

gegen den Mainstream schwammen. Sie spielte großartige Musik und funktionierte<br />

als Folie für unsere eigenen Träume. In ihrem Blues, in ihrer Haltung<br />

erkannte man sich selbst. Ich glaube, dass die Songs für uns, die wir sie lieben,<br />

nie diese Qualität verloren haben. Selbst wenn die Besetzungen wechselten<br />

und Mauern fielen, wir älter geworden sind. Der Schrei nach Leben verhallt<br />

nicht.<br />

Wenn Monokel nun die Bühne verlässt, geht eine Ära zu Ende. Der Abschied<br />

fällt schwer und ist doch auch Trost: Hinter uns liegen vier Jahrzehnte mit steilen<br />

Höhen und Tiefen, voller Lust und Leidenschaft. Was wären wir ohne sie?<br />

*Michael Rauhut (geboren in Alt-Döbern) ist heute Professor für populäre Musik am Institut für Musik der<br />

Universität Agder in Kristiansand (Norwegen). Als Herausgeber und Autor u.a. von „Beat in der Grauzone“<br />

und von „Bye Bye Lübben-City“ (ab Oktober 2018 in einer Neuausgabe, 22.00 Euro) und dem „Kundenbuch“,<br />

die beide Bestseller-Status in unserem Konsum genießen.<br />

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