Berliner Kurier 06.11.2018
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18 SERIE BERLINER KURIER, Dienstag, 6. November 2018<br />
sich hellgraue, mit Technik<br />
vollgestopfte Blechschränke<br />
gen Decke. Im ebenfalls grauen<br />
Betonboden sind Gitterroste<br />
eingelassen; dorthin strecken<br />
sich graue Plastikrohre, die<br />
Kondenswasser abführen.<br />
Über Kopf schlängeln sich dicke<br />
und dünne Rohre, blitzblanke<br />
und silberfarbene, mit<br />
Alufolie ummantelt. In einer<br />
Ecke stehen schwarze Rohre:<br />
Rückschlagklappe, Schmutzfänger,<br />
Rücklauf Kaltwasser<br />
und Vorlauf Kaltwasser. Hier<br />
und da zeigen sich unterarmdicke<br />
Kabelstränge und dort eine<br />
Schalttafel mit Hunderten<br />
Lämpchen, die beruhigend<br />
grün leuchten.<br />
„Diese Anlage<br />
ist nur für<br />
den Ostflügel<br />
Als wären<br />
die Rohre<br />
Arterien<br />
gebaut worden“,<br />
sagt Peter Bartsch, „sie<br />
versorgt 3000 Quadratmeter<br />
Nutzungsfläche und sichert die<br />
Lämpchen 42<br />
leuchtet rot.<br />
Ein Problem?<br />
gleichmäßige Klimatisierung<br />
der wertvollen Exponate, auch<br />
dadurch, dass sie in den Betonwänden<br />
Flüssigkeitsströme zirkulieren<br />
lässt, und erfüllt alle<br />
modernen Brandschutzbestimmungen.“<br />
Vor Inbetriebnahme der Anlage<br />
mussten Bartsch und Kollegen<br />
einmal im Jahr das Ethanol<br />
in den Gläsern auffüllen,<br />
weil durch die Temperaturschwankungen<br />
so viel verdunstete.<br />
Das habe stets Witzeleien<br />
hervorgerufen, von wegen, haha,<br />
der Alkohol sei verdunstet.<br />
Der Ostflügel trug einst die<br />
Anatomische Sammlung der<br />
großen Säugetiere. Dann suchte<br />
der Krieg auch Berlin heim.<br />
Das Museum beschloss 1942,<br />
die Saurierskelette, deren Rekonstruktion<br />
erst fünf Jahre<br />
zuvor abgeschlossen worden<br />
war, im Keller zu verstauen. Im<br />
April 1943 kamen<br />
weitere<br />
Objekte dazu.<br />
Die ersten<br />
Bomben trafen<br />
das Museum<br />
in der Nacht vom 22. zum<br />
23. November 1943. Ein Luftangriff<br />
am 3. Februar 1945 forderte<br />
Tote und Verletzte. Eine<br />
Zehnzentnerbombe durchschlug<br />
den Ostflügel, der daraufhin<br />
bis in das Kellergeschoss<br />
zusammenfiel.<br />
Es tat sich über Jahrzehnte<br />
wenig, um das Museum zukunftsfähig<br />
zu machen. Inzwischen<br />
befindet es sich in einer<br />
Metamorphose: Die erste Bauphase<br />
(2004–2007) führte zur<br />
Sanierung des Sauriersaals und<br />
angrenzender Räume sowie zur<br />
Einbindung des westlichen<br />
Freitreppenhauses in den Ausstellungsbereich,<br />
die zweite<br />
Phase (2005–2010) zum Wiederaufbau<br />
des Ostflügels samt<br />
Keller, die dritte (2012–2018)<br />
zur Erweiterung der Ausstellungsfläche<br />
durch Öffnung von<br />
Sälen in den Obergeschossen<br />
für Besucher, womit 38 Prozent<br />
des Hauses saniert sind; eine<br />
vierte beginnt 2019.<br />
Modernste Gebäudetechnik<br />
ästelt sich vom Keller durch das<br />
Museum, als wäre es ein Herz-<br />
Kreislauf-System, mit Pumpen<br />
als Herzen, mit Rohren als Arterien<br />
und Kabeln als Kapillaren.<br />
„Früher war das Naturkundemuseum<br />
wie ein<br />
Termitenhügel<br />
konstruiert, mit<br />
Schächten, die<br />
das Haus kaminartig<br />
durchzogen<br />
und die über eine Dampfheizung<br />
Wärme verteilten“, sagt<br />
Peter Bartsch. „In den Sälen gab<br />
es keine konstanten Temperaturen<br />
und keine aktive Belüftung.“<br />
Heute sei das nicht mehr<br />
zeitgemäß, weder aus Sicht des<br />
Objekt- und Brandschutzes<br />
noch der Ökonomie und Ökologie.<br />
Die Wände der Säle wurden<br />
mit feuchtigkeitsregulierendem<br />
Lehm verputzt, dahinter<br />
wurde ein geothermisch betriebenes<br />
Heiz- und Kühlschleifensystem<br />
installiert. „Um Erdwärme<br />
zu nutzen, haben wir 16<br />
geothermische Bohrungen vorgenommen“,<br />
erzählt Bartsch.<br />
Im Hof zwischen Ostflügel und<br />
Mittelbau sei man 98 Meter tief<br />
gedrungen. „Dabei sind wir auf<br />
ein Braunkohleflöz gestoßen.<br />
Es hätte sich nicht gelohnt, es<br />
abzubauen.“ Er schmunzelt in<br />
seinen Bart hinein.<br />
Da leuchtet auf einer Schalttafel<br />
eines der über hundert<br />
Naturkundemuseum<br />
Berlin<br />
Lämpchen nicht<br />
beruhigend grün,<br />
sondern bedenklich<br />
rot: „Nummer<br />
42. Taupunktwächter<br />
Nord.“ Was bedeutet das? „Das<br />
ist ein Hinweis auf Kondenswasser“,<br />
sagt Peter Bartsch.<br />
„Sollte man mal checken.“ Er<br />
ist nicht beunruhigt.<br />
Das mehrflügelige Museumsgebäude<br />
ist voll unterkellert,<br />
mit Ausnahme des Sauriersaals,<br />
unter ihm liegt nur ein Gang:<br />
8600 Quadratmeter Raumfläche<br />
netto nimmt der Keller ein,<br />
eineinhalb bis zweieinhalb Meter<br />
geht er tief. „Dass wir keinen<br />
Tiefkeller haben, hängt mit<br />
dem Grundwasser zusammen“,<br />
erklärt Bartsch.<br />
Nur jedes hundertste aller seiner<br />
30 Millionen Objekte aus<br />
Zoologie, Paläontologie, Geologie<br />
und Mineralogie präsentiert<br />
das Museum in seinen Sälen,<br />
alles andere ist in angemieteten<br />
Lagern, im ersten und<br />
zweiten Stock des Hauses und<br />
auch im Keller untergebracht.<br />
Drei Kellerräume sind mit Gebäudetechnik,<br />
die 46000 Quadratmeter<br />
Nettoraumfläche des<br />
Museums versorgen, vollgestopft.<br />
In anderen Räumen befinden<br />
sich das Präparationslabor<br />
und die Sammlung der<br />
Großpräparate, eingelegt in Alkohol,<br />
Sammlungen der Paläontologie,<br />
der Mineralogie und<br />
der Geologie – alles, was zu<br />
schwer ist, um es in den oberen<br />
Etagen zu lagern.<br />
Bei so vielen Objekten kann<br />
man schon mal den Überblick<br />
verlieren. So stießen im Jahr<br />
2006 Museumsmitarbeiter auf<br />
einen Überseekoffer, der Tausende<br />
Schmetterlinge beinhaltete<br />
und dazu die Geschichte eines<br />
Naturforschers aus den<br />
1930ern.<br />
Drei Jahre später fanden sich<br />
in einer der Transporttrommeln<br />
der Tendaguru-Expedition,<br />
die kurz vor dem ersten<br />
Weltkrieg die 250 Tonnen an<br />
Saurierknochen aus Deutsch-<br />
Ostafrika herbeigeschafft hatte,<br />
Fruchthülsen des Affenbrotbaumes,<br />
darin unzählige kleine<br />
Saurierknochen und dazu eine<br />
Konservendose, in der statt<br />
„Ochsenfilet mit Trüffeln“, wie<br />
das Etikett verhieß, weitere<br />
Saurierknochen waren.<br />
Ob der Keller weitere Überraschungen<br />
birgt? So sehr es reizt,<br />
ihn bis in seine letzte Ecke,<br />
Staubschicht und Spinnwebe<br />
zu erkunden, auf etwas Sagenhaftes<br />
hoffend, das in Vergessenheit<br />
geraten ist, so strikt<br />
sind die Sicherheitsregeln. Den<br />
Raum mit der Sammlung der<br />
Großpräparate zum Beispiel<br />
darf nur betreten, wer vorher<br />
eine Kurzschulung bekommen<br />
hat. „Da ist Explosionsschutzzone<br />
1“, mahnt Peter Bartsch.<br />
„Schon ein Fotoapparat, elektrostatisch<br />
aufgeladen, könnte<br />
eine Katastrophe auslösen.“<br />
Neben dem Keller unter dem<br />
Ostflügel liegt der Keller unter<br />
dem Mittelbau Ost. Der Weg<br />
hinein geht über einen kleinen<br />
Flur in einem schmalen Treppenhaus<br />
voller Baustaub. Auf<br />
dem Boden liegen zwei Holzbretter.<br />
Die Wände sind unver-