Berliner Kurier 06.11.2018
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SERIE<br />
Teil 3<br />
Geheimnisvolle<br />
Orte der Stadt<br />
UNTER<br />
BERLIN<br />
Unter Berlin, da liegt<br />
eine geheimnisvolle<br />
Welt der Tunnel und<br />
Gewölbe, der Bunker<br />
und Keller. Es ist das<br />
Reich verborgener<br />
Stadtgeschichten, die<br />
dem tiefen Vergessen<br />
anheimgefallen sind,<br />
und unterirdischer<br />
Anlagen, die, von der<br />
breiten Bevölkerung<br />
gänzlich unbemerkt,<br />
einem öffentlichen<br />
Zweck dienen. Jeden<br />
Besucher versetzen<br />
diese Unterwelten<br />
in ungläubiges<br />
Erstaunen, manch<br />
einen in inbrünstige<br />
Begeisterung. Diese<br />
Serie bringt Licht in<br />
das Dunkel einiger<br />
besonderer Orte<br />
dieser Welt und<br />
offenbart ihre<br />
Geheimnisse.<br />
Das<br />
unsichtbare Herz<br />
Die Gebäudetechnik unter dem Museum für Naturkunde<br />
Von<br />
MICHAEL BRETTIN<br />
Hinter den Glasscheiben,<br />
da ist ein<br />
Schwimmen, ein<br />
Schlängeln, ein Stehen.<br />
Alles umgibt und durchdringt<br />
ein scheinbar überirdisches<br />
Licht. Hier ist, auch ohne<br />
Beschriftung, für Laien erkennbar,<br />
ein Hammerhai, und<br />
dort... ja, was? Dr. Peter<br />
Bartsch mustert das einen halben<br />
Meter lange Objekt und<br />
sagt: „Das ist eine Clupea finta,<br />
auch genannt Alosa fallax oder<br />
kurz Finte, sehr schmackhaft.“<br />
Menschlich betrachtet wirkt<br />
die Finte mit ihrem leicht geöffneten<br />
Maul verdutzt, als<br />
frage sie sich, wie in Neptuns<br />
Namen sie hier landen konnte,<br />
über beide Kiemen hinaus eingetaucht<br />
in Alkohol.<br />
Ein Grad Celsius mehr hinter<br />
der Glasscheibe wäre bedenklich.<br />
Die Finte, deren Art früher<br />
zahlreich war, auch in der<br />
Oder, ist Teil der „Nass-Sammlung“<br />
im Ostflügel des <strong>Berliner</strong><br />
Naturkundemuseums. Und<br />
Dr. Bartsch, der das Schuppentier<br />
aus der Familie der Heringe<br />
in dem vasenähnlichen Behältnis<br />
bestimmte, ist Kustos<br />
der Fischsammlung und nebenbei<br />
Beauftragter für Bauprojekte<br />
des Museums.<br />
Über drei Etagenverteilt sich<br />
diese weltweit einzigartige<br />
Sammlung: eine Million Objekte<br />
aus allen Tiergruppen,<br />
aufbewahrt in 276000 Gläsern<br />
auf 12,6 Kilometer Regalfläche,<br />
eingelegt in 80 Tonnen<br />
Ethanol. Darunter befinden<br />
sich Tausende Typusexemplare,<br />
Erstbeschreibungen ihrer<br />
Art. Es ist ein Archiv der Natur,<br />
ein Gedächtnis für die<br />
Menschheit.<br />
Zwei Grad Celsius mehr hinter<br />
der Scheibe wären furchterregend.<br />
Öffentlich zugänglich ist nur<br />
das Erdgeschoss des Ostflügels,<br />
wo auch die Finte in einem<br />
Gemisch aus 70 Prozent<br />
Alkohol und 30 Prozent Wasser<br />
eine besondere letzte Ruhe<br />
gefunden hat. Im Saal steht ein<br />
nur für Museumsmitarbeiter<br />
oder Gastwissenschaftler zugängliches<br />
Glashaus, dreißig<br />
Meter lang, fünfzehn Meter<br />
breit, sechs Meter hoch.<br />
Drumherum führt ein Gang,<br />
von dem aus Museumsbesucher<br />
die konservierten Objekte<br />
bestaunen können. Hinter der<br />
Scheibe beträgt die Temperatur<br />
exakt 15 Grad Celsius.<br />
Drei Grad Celsius mehr wären<br />
katastrophal.<br />
„Der Flammpunkt von Ethanol<br />
liegt bei 18 Grad Celsius“,<br />
sagt Peter Bartsch. Aber es gebe<br />
keinen Anlass zur Sorge:<br />
Modernste Technik halte die<br />
Temperatur konstant. Und<br />
selbst wenn sich wider aller<br />
Wahrscheinlichkeit etwas entzünden<br />
sollte, würde der<br />
Raum in Bruchteilen von Sekunden<br />
mit Stickstoff geflutet,<br />
sodass das Feuer erstickte.<br />
Dass sich Museumsbesucher<br />
in Sicherheit wiegen können,<br />
darüber wacht unter dem Saal,<br />
unsichtbar für die Öffentlichkeit,<br />
ein Organismus.<br />
Ein Fahrstuhl, so geräumig,<br />
dass sechs Personen bequem<br />
neben- und hintereinander<br />
stehen können, sinkt vom Erdgeschoss<br />
der Nass-Sammlung<br />
in den Keller. Die Schiebetüren<br />
öffnen sich und geben den<br />
Blick auf einen Vorraum frei,<br />
in dem der Kentrosaurus, der<br />
oben im Sauriersaal steht,<br />
Platz fände. Es geht durch eine<br />
Brandschutztür, die nur widerwillig<br />
Eintritt gewährt, so<br />
schwerfällig ist sie. Dahinter<br />
zeigt sich ein verblüffend<br />
schmaler und langer Raum.<br />
Für Peter Bartsch gleicht er<br />
dem Maschinenraum eines U-<br />
Boots. Eine siebenstufige<br />
Leichtmetalltreppe führt hinein:<br />
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