Stadtmagazin CLP Ausgabe 27
Das Stadtmagazin für Cloppenburg
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eportage<br />
Fotos: Ludger Heuer<br />
Bernd Winter bot Mario Dieringer in<br />
Langförden einige Tage Quartier<br />
Bäume der Erinnerung<br />
Gegen das Stigma des Suizides ankämpfen, denn „Menschen, die Suizid begehen,<br />
wollen nicht sterben. Sie können einfach nur nicht mehr leben.“<br />
Warum wirft ein Mann ein<br />
erfolgreiches Leben weg,<br />
trennt er sich von seinem<br />
Besitz und läuft mit einem Handkarren<br />
durch Deutschland? Nur, um Bäume<br />
zu pflanzen für Menschen, die Suizid<br />
begangen haben. Für Mario Dieringer<br />
(51) war es der einzige Weg. Der Frankfurter<br />
Fernsehjournalist hatte ein abwechslungsreiches<br />
und interessantes<br />
Leben. So jedenfalls schien es. In seiner<br />
Seele aber sah es anders aus.<br />
Seit Jahren kämpfte Dieringer mit<br />
Depressionen. Dass sein alkoholabhängiger<br />
Stiefvater, „der mich wirklich<br />
extrem geprügelt und mir nichts<br />
zugetraut hat“, dafür den Grundstein<br />
gelegt hat, wurde ihm erst im Erwachsenenalter<br />
klar. Als Kind hatte er es sich<br />
angewöhnt, immer besser zu sein, um<br />
diesem Mann zu gefallen. Vier Berufsausbildungen<br />
hat er daher gemacht.<br />
Ständig unruhig, ständig weiter. Doch<br />
dann hatte er einen Partner gefunden,<br />
für lange 12 jahre. Die Trennung von<br />
ihm aber hatte ihn für Monate halbtot<br />
gemacht. „Aber keiner hat bei mir<br />
Depressionen diagnostiziert“, sagt er.<br />
„Irgendwann bin ich im Supermarkt<br />
zusammengebrochen“. Freiwillig ging<br />
er in die Psychiatrie, dann für sechs<br />
Monate in die Uniklinik Frankfurt. Anschließend<br />
hatte auch seine zweite<br />
Beziehung keine Chance mehr und<br />
lief aus. „Am 28.12.2014 hat mir mein<br />
Gehirn eine Lösung vorgeschlagen,<br />
der ich mich nicht entziehen konnte.“<br />
Stundenlang heulte er. Dann nahm er<br />
Tabletten.<br />
Marios neuer Freund Jürgen war damals<br />
auf dem Weg in den Urlaub. Der<br />
Ingenieur kennt sich aus mit Depressionen,<br />
denn er selbst eine, war schon<br />
seit seinem 16. Lebensjahr von Suizidgedanken<br />
verfolgt. Marios Depressionen<br />
hatte er wohl wahrgenommen,<br />
war aber nicht darauf eingegangen.<br />
Doch dann, als Mario die Tabletten<br />
nahm, drehte Jürgen seinen Wagen auf<br />
der Autobahn um. Weil er wohl etwas<br />
geahnt hatte. Er fand Mario und holte<br />
ihn zurück ins Leben. „Ich war froh darüber“,<br />
sagt Mario heute. Zweieinhalb<br />
Jahre ist er danach noch mit Jürgen<br />
zusammen. Eine schöne Zeit, doch Jürgens<br />
Depressionen werden schlimmer,<br />
immer öfter ist er aggressiv. Irgendwann<br />
zieht Mario aus. Jürgen bombardiert<br />
ihn mit Nachrichten. Mario will,<br />
dass sein Freund zur Ruhe kommt und<br />
macht das Handy für einige Tage aus.<br />
Als er es wieder anschaltet, findet er<br />
über einhundert Sprachnachrichten<br />
vor. „Das ist der letzte Kuss für dich“,<br />
lautet die letzte. Verzweifelt versucht<br />
er, Jürgen anzurufen. Aber der ist seit<br />
zwei Tagen tot.<br />
Sechs Monate heulte sich Mario<br />
durch den Tag. Nahm Psychopharmaka<br />
zu sich anstatt Brot. Schuldgefühle<br />
plagten ihn. Und plötzlich der Gedankenblitz.<br />
„Lauf um die Welt und pflanze<br />
Bäume für Suizidopfer.“ Von da an gab<br />
es kein Zurück. Sechs Meter „sündhaft<br />
teure Klamotten“ verschenkte er, dazu<br />
seine Möbel, seine Kunst. Sein heutiger<br />
gesamter Besitz passt in einen Handkarren.<br />
„Man stellt damit die Existenz<br />
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