Zwischen den Welten
Ethnotourismus in Westneuguinea
Ethnotourismus in Westneuguinea
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ZWISCHEN DEN WELTEN<br />
Ethnotourismus in Westneuguinea<br />
Josef Blaschko
Josef Blaschko<br />
ZWISCHEN DEN WELTEN<br />
Ethnostourismus in Westneuguinea<br />
Diplomarbeit<br />
Jahrgang 2018|19<br />
Prager Fotoschule Österreich<br />
Eigenverlag
IMPRESSUM<br />
<strong>Zwischen</strong> <strong>den</strong> <strong>Welten</strong>. Ethnotourismus in Westneuguinea.<br />
Diplomarbeit an der Prager Fotoschule Österreich<br />
(c) 2018 Eigenverlag. Alle Rechte vorbehalten.<br />
Herausgeber: Josef Blaschko, Auerbach 43, A - 4242 Hirschbach<br />
Internet: fotografie.blaschko.at<br />
Bild, Text und Satz: Josef Blaschko<br />
Lektorinnen: Marlies Blaschko M.A., Julia Kopler<br />
Projektbegleitung: Frank Robert, Alexandra Grill und Reinhard Reidinger<br />
Schrift: Garamond Regular, Italic und Bold sowie Nonesuch Regular<br />
Ausführung: 4/4c Hardcover Fotobuch gebun<strong>den</strong><br />
Papier Innenteil: 135 g Bilderdruckpapier matt<br />
Bindung: Klebebindung<br />
Druck und Bindung: online-druck.biz<br />
Auflage: 10 Stück<br />
Printed in Germany 2018
INHALTSVERZEICHNIS<br />
Einleitung 7<br />
Neuguinea 39<br />
Blutrache und Schweinekochfest 39<br />
Urlaub bei <strong>den</strong> Wil<strong>den</strong> 40<br />
Auf der Suche nach Authentizität 42<br />
Wie authentisch ist das Echte? 43<br />
Wie echt ist das Ursprüngliche? 43<br />
Das Ursprüngliche festhalten 44<br />
Das Foto als Trophäe 45<br />
Ausbruch aus der Tourismusmaschinerie 46<br />
Sich und anderen begegnen 47<br />
Das Alltagsleben der Dani 48<br />
Der Beginn am Ende 51<br />
Literaturverzeichnis 82<br />
Internetquellen 83
EINLEITUNG<br />
Westneuguinea. In diesem Buch erzähle<br />
ich von meiner Begegnung mit Melius<br />
Walalua, der in einer Welt zwischen<br />
Steinzeit und digitaler Zukunft zuhause<br />
ist. Er gehört dem Stamm der Dani an,<br />
lebt im Baliem Valley und ist Häuptling<br />
des Dorfes Osilimo. In dieser Welt ist<br />
Melius ein geachteter Mann. Er agiert<br />
umsichtig als stolzer Krieger, geschickter<br />
Jäger und fleißiger Bauer. Er ist Versorger<br />
der Sippe, Baumeister und Handwerker.<br />
In der anderen, der fortschrittlichen Welt<br />
wird der Ureinwohner und bekennende<br />
Christ als Person kaum wahrgenommen.<br />
Melius arbeitet gelegentlich im Tourismus.<br />
Mit der Machete bahnt er <strong>den</strong> Weg<br />
durch das Buschland, trägt <strong>den</strong> Rucksack<br />
für die Gäste und übersetzt <strong>den</strong> lokalen<br />
Dialekt ins Indonesische. Das<br />
Familienoberhaupt ist gefordert, sich <strong>den</strong><br />
Veränderungen des modernen Zeitalters<br />
zu stellen und dabei seine indigenen<br />
Wurzeln nicht zu verlieren.<br />
Auf diesen unverfälschten Erhalt von<br />
längst Vergangenem hoffe auch ich als<br />
weitgereister <strong>Welten</strong>bummler. Suche ich<br />
doch das archaisch Wilde und Unverdorbene<br />
als Szenerie für meine bilderbuchhafte<br />
Trophäensammlung. Ich<br />
erwarte mir, Erlebenswertes in ansprechendem<br />
Urlaubsambiente authentisch<br />
teilhabend am Alltag der Einheimischen<br />
geboten zu bekommen. Deswegen<br />
nehme ich die Strapazen der Reise auf<br />
mich. In Wirklichkeit aber bewege ich<br />
mich in <strong>den</strong> <strong>Zwischen</strong>welten des<br />
Ethnotourismus und hoffe auf etwas,<br />
was sich bei genauerem Hinsehen<br />
gegenseitig ausschließt.<br />
Ich lade Sie ein, mich auf der Reise in<br />
eine Welt zwischen Wunschvorstellung<br />
und realem Leben zu begleiten und lasse<br />
Melius <strong>den</strong> ‚roten Fa<strong>den</strong>‘ durch meine<br />
Geschichte in Hän<strong>den</strong> halten.<br />
7
Melius Walalua
NEUGUINEA<br />
Neuguinea zählt zu <strong>den</strong> mythischsten<br />
Gegenen<strong>den</strong> und gilt als das Ende der<br />
besiedelten Welt. Es ist nach Grönland<br />
die zweitgrößte Insel und weist trotz<br />
Einsatz modernster Vermessungstechniken<br />
noch viele weißen Flecken auf<br />
der Landkarte auf. Der Dschungel<br />
scheint undurchdringlich, der Himmel<br />
unentwegt wolkenverhangen. Politisch ist<br />
das Land zweigeteilt: in das eigenständige<br />
Papua-Neuguinea (PNG) und<br />
das zu Indonesien gehörende Westneuguinea<br />
(Papua und West-Papua).<br />
Meine Reise führte mich im Frühjahr<br />
2018 in das Baliem Valley, einem Hochtal<br />
inmitten des zentralen Maokegebirges<br />
der indonesischen Provinz Papua in<br />
Westneuguinea. Dieses Tal wird von drei<br />
indigenen Stämmen bewohnt, <strong>den</strong> Dani,<br />
Lani und Yani mit insgesamt rund 50.000<br />
Ureinwohnern.<br />
BLUTRACHE UND<br />
SCHWEINEKOCHFEST<br />
Papuas Stämme wer<strong>den</strong> als wild, primitiv<br />
und unzivilisiert wahrgenommen. Eine<br />
Reise dorthin hat <strong>den</strong> Ruf gefährlich zu<br />
sein, nicht zuletzt weil man noch einen<br />
praktizierten Kannibalismus vermutet.<br />
Die traditionellen Schweinekochfeste<br />
nähren das Bild der blutrünstigen<br />
Barbaren. Der Stamm der Dani lebt<br />
darin seine archaischen Rituale. Früher<br />
konnten bereits kleinste Kontroversen<br />
zu tödlichen Auseinandersetzungen und<br />
zu Praktiken der Blutrache führen.<br />
Die Papua glauben, dass der Geist eines<br />
Verstorbenen in der Sippe weiterlebt,<br />
womit eine Verpflichtung einhergeht,<br />
sich um diesen zu sorgen. Fast jeder<br />
Todesfall wird auf Zauberei zurückgeführt.<br />
Damit der Geist zur Ruhe<br />
kommen kann, ist es die heiligste Pflicht<br />
der Leben<strong>den</strong>, <strong>den</strong> Tod des Stammesangehörigen<br />
zu rächen. Durch Zauberhandlungen<br />
wird versucht, <strong>den</strong> ‚Mörder‘<br />
zu enttarnen. Dessen Sippe wird dann<br />
kurzerhand der Krieg erklärt (vgl 35).<br />
In früheren Zeiten hätte Häuptling<br />
Melius Walalua seine tapferen Krieger<br />
auf die Wiese vor dem Dorf geführt.<br />
Bewaffnet mit Pfeil & Bogen und langen<br />
Speeren treten sie mit protzigem<br />
Federschmuck, weißer Körperbemalung<br />
und Nasenringen aus Eberzähnen <strong>den</strong><br />
Fein<strong>den</strong> gegenüber. In einem wil<strong>den</strong> hin<br />
und her wird gekämpft bis jemand <strong>den</strong><br />
Tod findet. Das Töten führt zu einer<br />
Kettenreaktion, da die Getöteten wieder<br />
gerächt wer<strong>den</strong> müssen (vgl 35). Um<br />
dieser Gewaltspirale zu entkommen,<br />
kann Lösegeld in Schweinewährung<br />
ausverhandelt und der Streitschlichtungspakt<br />
bei einem Schweinekochfest<br />
besiegelt wer<strong>den</strong>.<br />
Melius übernimmt beim diesem Fest die<br />
wichtige Aufgabe des Feuermachens.<br />
Steinzeitlich mit Rattanschnur und<br />
Weichholzstück entzündet er ein Büschel<br />
trockenen Grases. Mit diesen Glimmstücken<br />
wird dann einem großen<br />
Holzstoß untergeheizt und gleich einmal<br />
eine allgemeine Rauchpause zur Feier des<br />
Anheizerfolges eingelegt.<br />
Danach helfen die Dorfbewohner<br />
zusammen. Eine große Menge an<br />
Steinen wird ins Feuer gelegt, die<br />
vorhan<strong>den</strong>e Erdgrube von <strong>den</strong> Resten<br />
der letzten Verwendung gesäubert und<br />
ein freilaufendes Ferkel eingefangen. Mit<br />
Pfeil und Bogen tötet Melius das junge<br />
Schwein aus nächster Nähe durch einen<br />
präzisen Schuss ins Herz. Am Dorfplatz<br />
herumtorkelnd blutet das Tier aus.<br />
Das anschließende Zerteilen erfolgt<br />
respektvoll und äußerst geschickt mit<br />
39
einem rasierklingenscharfen Bambusmesser.<br />
Alle Teil wer<strong>den</strong> sorgsam<br />
verwertet, nichts wird verschwendet. In<br />
ein Bambusblatt eingewickelt bewahrt<br />
Melius die Ohren und <strong>den</strong> Schwanz für<br />
eine spätere rituelle Verwendung in der<br />
Männerhütte auf. <strong>Zwischen</strong>zeitlich ist<br />
das Feuer abgebrannt, die Steine sind<br />
or<strong>den</strong>tlich heiß. Die Erdgrube wird mit<br />
Blättern ausgelegt und mit <strong>den</strong> Steinen<br />
befüllt. Darauf kommen in mehreren<br />
Lagen Schweineteile, verschie<strong>den</strong>es<br />
Gemüse, Süßkartoffeln, Pandanuss-<br />
Früchte und vor allem korbweise frische<br />
Kräuter. Zu guter Letzt verschließen die<br />
Dani die Grube mit Steinen und Blättern<br />
und lassen das Ganze rund eine Stunde<br />
garen.<br />
<strong>Zwischen</strong>durch wird gesungen, geraucht,<br />
gerastet und bei <strong>den</strong> Frauen im<br />
traditionellen Langhaus geplaudert bis<br />
das Warten auf das Essen endlich ein<br />
Ende hat. Die Aufteilung der<br />
Köstlichkeiten erfolgt nach klaren<br />
Regeln. Die Männer bekommen das<br />
Fleisch, die Frauen das Gemüse und das<br />
Grünzeug. Dabei sitzen sie buchstäblich<br />
im Essen. Wenn die Männer satt sind,<br />
teilen sie das restliche Fleisch in der<br />
Frauengruppe auf. Die Sippe hat<br />
offensichtlich Freude am Fest und der<br />
Gelegenheit zu Fleischkonsum.<br />
Bei <strong>den</strong> missionierten Christen gehört<br />
Blutrache vergangenen Zeiten an. Ein<br />
Schweinekochfest wird heute zur<br />
Besiegelung frisch geknüpfter<br />
Familienbande, zur Begrüßung neuer<br />
Er<strong>den</strong>bürger oder überwiegend auf<br />
Bestellung für Touristen zelebriert. Das<br />
Baliem Valley am Fuße der Jayawijaya-<br />
Berge ist, so wird behauptet, das Land<br />
der Schweine. Auch im Zeitalter von<br />
Plastikkreditkarten sind die wertvollen<br />
Haustiere immer noch Zahlungsmittel,<br />
Sühnegeld und als Mitgift für eine Braut<br />
ein männliches Statussymbol. Daher<br />
wer<strong>den</strong> sie nur zu besonderen Anlässen<br />
geschlachtet. Oder, wie in unserem Fall,<br />
extra für zahlende Touristen. Das bietet<br />
der Dorfgemeinschaft eine willkommene<br />
Abwechslung zum Alltagsleben und<br />
bringt ein gutes Einkommen.<br />
Doch auch in diesem Kontext ist es<br />
mehr als Verkleidung und Schauspiel. Es<br />
ist ein Auflebenlassen der jahrtausendealten<br />
Lebensform einer<br />
Subsistenzgesellschaft, ein Gewahr<br />
wer<strong>den</strong> der Unabhängigkeit von<br />
modernen Kulturtechniken. Im Alltag<br />
können sich die Indigene Neuguineas<br />
<strong>den</strong> Herausforderungen des Digitalzeitalters<br />
jedoch nicht entziehen. Das<br />
birgt in gleichem Maße eine Chance auf<br />
Entwicklung wie die Gefahr des<br />
Untergangs.<br />
URLAUB BEI DEN WILDEN<br />
Als Tourist weiß ich natürlich, dass das<br />
Schweinekochfest eine Folkloreveranstaltung<br />
ist. Ich weiß auch, dass zum<br />
Feuermachen normalerweise Streichhölzer<br />
verwendet wer<strong>den</strong>, die Hütten am<br />
Abend mit elektrischen Glühbirnen<br />
beleuchtet sind und die Kinder Games<br />
auf dem Smartphone von Häuptling<br />
Melius spielen. Doch im Augenblick des<br />
Erlebens sind mir diese Begleitumstände<br />
egal, für mich wirkt alles echt.<br />
Sehenswürdig ist, was man gesehen haben<br />
muss. Statt Sehenswürdigkeiten<br />
abzuklappern sollten wir selbst nach dem<br />
Schönen suchen. (4)<br />
Touristen begegnen in <strong>den</strong> seltensten<br />
Fällen einer frem<strong>den</strong> Kultur, sondern<br />
vielmehr deren Inszenierungen mit<br />
Echtheitszertifikat. Sie begnügen sich im<br />
40
mit dem als ‚sehenswert‘ Angepriesenen,<br />
auch wenn es sich um kulturelle<br />
Belanglosigkeiten handeln mag. Der Reiz<br />
liegt in der Verdichtung der Vielfalt und<br />
der Choreographie von Höhepunkten,<br />
die einen staunen lassen. Wenngleich von<br />
Außenstehen<strong>den</strong> nicht notwendigerweise<br />
begriffen wird, was vor sich geht. Der<br />
Tourismus lebt von der Verzauberung,<br />
Verführung und Illusion (vgl 20).<br />
Alle Beteiligten wissen aber, dass das<br />
Echte und Unverfälschte eine<br />
Mystifikation ist, weil die Einheimischen<br />
wie auf einer Bühne agieren, wenn sie<br />
sich beobachtet fühlen (vgl 20).<br />
Analog <strong>den</strong> theaterangelehnten Begriffen<br />
„Vorder- und Hinterbühne“ ist eine<br />
Interaktion zwischen Reisen<strong>den</strong> und<br />
Bereisten ein Wechselspiel zwischen<br />
veröffentlichten und verborgenen<br />
Handlungen. Der Darsteller ist bemüht,<br />
seinem Publikum einen authentischen<br />
Eindruck zu vermitteln. Dabei achtet er<br />
darauf, dass die Hinterbühne dem Blick<br />
der Öffentlichkeit verborgen bleibt.<br />
Umgekehrt versucht der Adressat der<br />
Präsentation, diese mit einem erhaschten<br />
Blick hinter die Fassade auf<br />
Authentizität zu überprüfen (vgl 16).<br />
Auf der Vorderbühne wollen die<br />
Einheimischen <strong>den</strong> Erwartungsvorstellungen<br />
entsprechen, um vom<br />
Touristenbesuch in finanzieller und<br />
sozialer Weise zu profitieren (vgl 16).<br />
Dabei steht die Arbeitswelt der Bereisten<br />
der Freizeitwelt des Reisen<strong>den</strong> gegenüber,<br />
die von einem demonstrativen<br />
Erfahrungskonsum bestimmt ist (22).<br />
Melius hat im benachbarten Ferien-<br />
Resort einen Gelegenheitsjob als ‚local<br />
guide‘, führt die Gäste auf Wanderungen<br />
durch <strong>den</strong> Bergregenwald und übersetzt<br />
für <strong>den</strong> nicht ortsansässigen Reiseleiter<br />
<strong>den</strong> Stammesdialekt auf Indonesisch.<br />
Mehrmals im Jahr wird sein Dorf vom<br />
Reiseveranstalter für eine Schweinekochfestvorführung<br />
ausgewählt. Dann<br />
darf er seine traditionelle Rolle als<br />
Häuptling in prachtvoller Dekoration<br />
ausleben. Manchmal muss seine Familie<br />
auch bei Touristenaktivitäten in <strong>den</strong><br />
Nachbardörfern aushelfen.<br />
Auf der Hinterbühne ist Melius<br />
Vorsteher des Dorfes Osilimo und<br />
einflussreiches Mitglied der Christengemeinde.<br />
Die Familie lebt von der<br />
Feldarbeit. Die Beschäftigungen im<br />
Frem<strong>den</strong>verkehr liefern Zusatzeinkünfte<br />
zur noch intakten Subsistenzwirtschaft.<br />
Auf die Frage, wofür das Geld<br />
verwendet wird, antwortet Melius: „für<br />
die Ausbildung der Kinder“. Natürlich<br />
auch für Werkzeuge aus Metall, westliche<br />
Kleidung, Salz, Zigaretten und<br />
Betelnüsse. Am Gelände des Ferien-<br />
Resorts stehen eine Kirche, ein Gemeinschaftshaus<br />
und eine Schule. Die Kinder<br />
können hier die Grundschule absolvieren.<br />
Eine weiterführende Schule gibt<br />
es in der Hauptstadt Jayapura, die ausschließlich<br />
per Flugzeug erreicht wer<strong>den</strong><br />
kann. Eine kostspielige Angelegenheit,<br />
die sich nur Familien mit Jobs im<br />
Frem<strong>den</strong>verkehr leisten können.<br />
Für das Spiel auf unterschiedlichen<br />
Bühnen muss sich Melius mehrere<br />
soziale I<strong>den</strong>titäten konstruieren und<br />
widersprüchliche Herausforderungen der<br />
Gegenwart bewältigen. Alltagskultur und<br />
Lebensstile verändern sich, neue<br />
Nutzungsformen der Landschaft und<br />
bisher unbekannte Berufsfelder wer<strong>den</strong><br />
erschlossen. Tourismus modernisiert<br />
Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft,<br />
<strong>den</strong>n im Reisen wer<strong>den</strong> die Grenzen von<br />
Raum, Zeit und Kultur überschritten (6).<br />
Dabei hat Melius zu entschei<strong>den</strong>, wie<br />
nahe er die Besucher kommen lässt,<br />
41
ohne dass diese zur Bedrohung seines<br />
Lebensraumes wer<strong>den</strong>.<br />
AUF DER SUCHE NACH<br />
AUTHENTIZITÄT<br />
Den Besuchern kann es nicht nahe<br />
genug sein, sie möchten die ‚Magie der<br />
Nähe zum Frem<strong>den</strong>‘ erfahren. Sie<br />
möchten Teil der örtlichen Lebenswelt<br />
sein, dort angenommen wer<strong>den</strong> und<br />
dazu gehören (vgl 13). Sie möchten die<br />
Praktiken einer anderen Kultur aus erster<br />
Hand erleben (17) und sind dabei auf<br />
naiver Suche nach Authentizität.<br />
Die Einfachheit des modernen Reisens hat uns<br />
masslos gemacht. (4)<br />
Die Besucher sind keine Urlauber, die<br />
sich nur Ausgleich und Erholung und<br />
damit einen Gegenpol zur Arbeitswelt<br />
erhoffen. Sie sind vielmehr Ethnotouristen,<br />
die sich eine lustvolle<br />
I<strong>den</strong>titätserweiterung erwarten (19). Ihr<br />
Ziel ist der Aufenthalt bei einer ethnisch<br />
frem<strong>den</strong>, scheinbar noch unberührten,<br />
politisch und ökonomisch marginalen,<br />
oft tribalen Gemeinschaft (1). Die Exotik<br />
und die Einzigartigkeit der Menschen<br />
sowie die traditionellen Aktivitäten der<br />
Gastkultur stehen im Mittelpunkt, egal<br />
ob diese vor <strong>den</strong> Touristen inszeniert<br />
wer<strong>den</strong> oder nicht (vgl 2). Im Gegensatz<br />
zu anderen Reiseformen, bei <strong>den</strong>en die<br />
Einheimischen lediglich als Arbeitskräfte<br />
eingesetzt wer<strong>den</strong>, ist hier die lokale<br />
Bevölkerung nicht einfach austauschbar<br />
(19).<br />
Das Fremde hat es so an sich, dass es<br />
fremder aussieht als es ist. Je weniger<br />
man von dem Frem<strong>den</strong> und<br />
Unbekannten weiß, desto größer wird<br />
die Furcht sein, umso zurückhaltender<br />
der Umgang und umso geringer der<br />
Aktionsraum. Die Annäherung an das<br />
Fremde beginnt mit dem ständigen<br />
Vergleich. Die Gegensätzlichkeit und<br />
damit die unvermeidliche Anziehungskraft<br />
von Eigenem und Fremdem,<br />
Bekanntem und Vorgestelltem liegen in<br />
der menschlichen Natur. Das eigene<br />
Bezugssystem, die eigene kulturelle<br />
Ordnung dient als Bezugsrahmen, das<br />
Gewohnte als Maß der Dinge (vgl 20).<br />
Der Ethnotourist färbt sich die Welt<br />
schön. Ingrid Thurner hat diese Aussage<br />
in ihrem Artikel etwas überspitzt<br />
zusammengefasst: „So haben keineswegs<br />
alle indigenen Gesellschaften die<br />
Aussicht, zum Zielgebiet zu wer<strong>den</strong>. Ihre<br />
Eigenständigkeit muss sichtbar und<br />
fotografierbar sein, sie soll fremd, aber<br />
auf keinen Fall befremdlich wirken.<br />
Fischerdörfer sind wegen der Gerüche<br />
weniger geeignet. Auch sollen die<br />
bereisten Gemeinschaften ihre Ehen<br />
nicht arrangieren und ihre Töchter nicht<br />
beschnei<strong>den</strong>. Ferner möchten Ethnotouristen<br />
keine Wellbleche auf <strong>den</strong><br />
Häusern sehen, keinen Schmutz, keinen<br />
Müll. Die Reisen<strong>den</strong> bedauern, dass die<br />
Menschen in diesen Dörfern keine<br />
medizinische Versorgung haben. Und<br />
dass die Kinder nicht zur Schule gehen,<br />
ist ein Skandal. Praktisch wäre es, wenn<br />
einer von ihnen zumindest Englisch<br />
spräche. Er könnte erzählen, wie schön<br />
es ist, arm, aber glücklich zu sein. Von<br />
Sozialromantik zum Sozialkitsch ist nur<br />
ein kleiner Schritt.“ (5)<br />
Der Ethnotourismus lebt von der<br />
Illusion, ganz nah an <strong>den</strong> Alltag des<br />
Reiselandes heranzukommen. Er bietet<br />
seinen Kun<strong>den</strong> keine konventionell<br />
konfektionierte Ferienwelt, die<br />
Annehmlichkeiten der westlichen<br />
Zivilisation in die Fremde exportiert hat,<br />
sondern das Versprechen einer<br />
interkulturellen Begegnung mit hoher<br />
42
Intensität (5). Diese beschränkt sich<br />
jedoch auf einige Minuten, manchmal<br />
Stun<strong>den</strong> und maximal auf wenige Tage.<br />
Ein vollständiges Kennenlernen der<br />
frem<strong>den</strong> Kultur ist nicht möglich. Da<br />
wird die Qualität interkultureller<br />
Kommunikation im Tourismus oft<br />
überschätzt (vgl 20). Vielmehr geht es<br />
<strong>den</strong> Veranstaltern um die Vermittlung<br />
gewisser Einblicke in <strong>den</strong> Alltag der<br />
frem<strong>den</strong> ethnischen Gruppe und um <strong>den</strong><br />
Konsum von attraktiven und exotisch<br />
anmuten<strong>den</strong> Subjekten, Objekten und<br />
Darbietungen (vgl 15).<br />
Im Umgekehrten wird <strong>den</strong> Bereisten die<br />
Einsicht in das Alltagsleben und die<br />
Kultur der Besucher in der Regel nicht<br />
ermöglicht, obwohl dies eine<br />
Grundbedingung interkulturellen<br />
Austausches wäre (vgl 15). Hier zeigt<br />
sich die Machtungleichheit zwischen<br />
indigenen Völkern, <strong>den</strong> mitteln<strong>den</strong><br />
Reiseagenturen und <strong>den</strong> Touristen (2).<br />
Für uns als Gäste wäre es relativ einfach,<br />
mit Hilfe eines Fotobüchleins Eindrücke<br />
aus der eigenen Lebenswelt <strong>den</strong> Gastgebern<br />
zu vermitteln. Nach eigener<br />
Erfahrung sind willkommene Anknüpfungspunkte<br />
Kinder, Familie, Beruf und<br />
Wohnsituation. Fotos vom Schifahren<br />
auf weißem Schnee sind in Tropenregionen<br />
immer Ausgangspunkt für<br />
heitere wie erkenntnisreiche Gespräche.<br />
WIE AUTHENTISCH IST DAS<br />
ECHTE?<br />
Was die verschie<strong>den</strong>en Akteure im<br />
Ethnotourismus unter ‚authentisch‘<br />
verstehen ist eine Frage der Macht (15).<br />
Authentizität meint die Echtheit von<br />
touristischen Orten, Gegenstän<strong>den</strong>,<br />
Szenerien und folkloristische Darbietungen<br />
sowie Interaktionen zwischen<br />
Touristen und der am Urlaubsort<br />
ansässigen Bevölkerung (25). Authentizität<br />
kann für je<strong>den</strong> etwas anderes<br />
bedeuten, muss sozial konstruiert und<br />
verhandelt wer<strong>den</strong>. Sie ist abhängig von<br />
<strong>den</strong> jeweiligen Handlungskontexten,<br />
Interessen, Motiven, Vorprägungen und<br />
persönlichen Einstellungen der Beteiligten<br />
(vgl 15).<br />
Wir meinen, wir wollen etwas erleben, suchen in<br />
Wahrheit vor allem aber Bestätigung. (4)<br />
In frem<strong>den</strong> ethnischen Gruppen und<br />
Kulturen glauben wir jene Echtheit<br />
wiederzufin<strong>den</strong>, die in unserer eigenen<br />
Gesellschaft abhan<strong>den</strong>gekommen ist.<br />
Die Suche nach Authentizität ist ein<br />
wichtiges Reisemotiv und im Ethnotourismus<br />
ein Konzept auf Grundlage<br />
von westlichen Werten und Normen. Es<br />
konstruiert eine Polarität von modern<br />
und primitiv sowie von entwickelt und<br />
unterentwickelt (vgl 15). Indem die<br />
anderen als rückständig eingeordnet<br />
wer<strong>den</strong>, macht man sie rückständiger als<br />
sie sind. Gleichzeitig wächst das<br />
Bewusstsein der eigenen Fortschrittlichkeit<br />
(vgl 26). Das Verlangen nach<br />
unberührten und fernab der Zivilisation<br />
liegen<strong>den</strong> Kulturen hat jedoch paradoxe<br />
Konsequenzen: Sobald mehr Touristen<br />
‚off the beaten track‘ reisen, führt dies<br />
unausweichlich dazu, dass genau diese<br />
Gebiete abseits von touristischen<br />
Trampelpfa<strong>den</strong> mehr und mehr<br />
erschlossen wer<strong>den</strong>. Da aber die<br />
Nachfrage nach Ursprünglichkeit und<br />
Echtheit größer ist als das Angebot,<br />
muss Authentizität inszeniert wer<strong>den</strong><br />
(15).<br />
WIE ECHT IST DAS<br />
URSPRÜNGLICHE?<br />
Inszenierung gilt als eine marktgerechte<br />
Umsetzung eines tourismusrelevanten<br />
Themas mit einer Handlungsanweisung<br />
43
(vgl 36). Indem man es durch<br />
Inszenierung kenntlich macht und<br />
strukturiert umsetzt, verliert etwas<br />
Echtes jedoch sein ursprüngliches Wesen<br />
(37). Trotzdem kann die gestellte<br />
Szenerie auch ehrlich sein, <strong>den</strong>n alles<br />
Authentische hat auch eine Geschichte<br />
(vgl 13). Für die bereiste Bevölkerung ist<br />
Entwicklung im Sinne von verbesserter<br />
formaler Ausbildung, Gesundheitsversorgung<br />
oder Infrastruktur kein<br />
Gegensatz zur eigenen Tradition, auch<br />
wenn sich Ethnotouristen ein Verharren<br />
in unberührter Steinzeit wünschen.<br />
Daher dürfen entwicklungsbedingte<br />
Veränderungen nicht automatisch mit<br />
Authentizitätsverlust oder einer<br />
Schwächung ethnischer I<strong>den</strong>titäten<br />
gleichgesetzt wer<strong>den</strong> (vgl 15).<br />
Die öffentliche Zurschaustellung ist der<br />
Preis, der für die Einforderung eines<br />
legitimen Anrechts auf Teilhabe am<br />
westlichen Reichtum, für <strong>den</strong> Wunsch<br />
nach materieller Sicherheit und Bildung<br />
von <strong>den</strong> Indigenen zu bezahlen ist (3).<br />
Neue Werte wer<strong>den</strong> in die bisherige<br />
Subsistenzwirtschaft übernommen, wie<br />
etwa der Zeitbegriff oder das Konzept<br />
des Vorsorgens. Die ersten Schritte in<br />
<strong>den</strong> Kapitalismus beginnen mit dem<br />
Erwirtschaften über <strong>den</strong> augenblicklichen<br />
Bedarf hinaus. Mit allen<br />
Nachteilen einer zivilisierten Gesellschaft,<br />
wie überbor<strong>den</strong>der Ressourcenverbrauch<br />
und soziale Differenzierung<br />
zwischen Arm und Reich (vgl 3).<br />
DAS URSPRÜNGLICHE<br />
FESTHALTEN<br />
Diese Zurschaustellung wird dann<br />
abfotografiert. In manchen Ländern, in<br />
<strong>den</strong>en es wenig Tourismus gibt, fühlen<br />
sich die Bewohner geehrt, wenn sie<br />
fotografiert wer<strong>den</strong>. Doch die Menschen<br />
im Baliem Valley sind anders. Bei ihnen<br />
geht es darum, mit Bildern Geld zu<br />
verdienen. Im Normalfall sind 10.000<br />
Indonesische Rupiah, rund 60 Cent für<br />
ein Foto zu bezahlen. Unser Reiseleiter<br />
meint, diese Geschäftstüchtigkeit haben<br />
sie von <strong>den</strong> Touristen gelernt. Zuerst um<br />
Erlaubnis fragen, <strong>den</strong> Preis verhandeln<br />
(was geraume Zeit in Anspruch nimmt)<br />
und dann erst fotografieren. Da brauche<br />
ich das Foto nicht mehr, <strong>den</strong>n die<br />
interessanten Szenen sind sowieso längst<br />
vorbei und das Bild wirkt gekünstelt.<br />
Weicht man von der Standardprozedur<br />
ab und macht unerlaubte Fotos,<br />
reagieren die Dani meist unangemessen<br />
und gehen gleich auf Konfrontation.<br />
Nicht verwunderlich, <strong>den</strong>n es ist<br />
Diebstahl was ich da tue. In so manch<br />
heikler Situation wurde ich von unserem<br />
Guide und seinem Verhandlungsgeschick<br />
gerettet.<br />
Bisher habe ich noch nie für ein Foto<br />
bezahlt, da ich der Meinung war, ich<br />
zahle ohnedies genug für die Reise. Und<br />
ich reise um zu fotografieren. Die neue<br />
Situation mit <strong>den</strong> Dani hat mich anfangs<br />
irritiert und verärgert. Doch nach<br />
Überwindung meiner Trotzphase, habe<br />
ich für mich eine stimmige Lösung<br />
gefun<strong>den</strong>: ich fotografiere nur in<br />
ausgewählten Dörfern, frage das<br />
Oberhaupt um Erlaubnis und verhandle<br />
<strong>den</strong> Preis für no-limit-Fotos. Ich bleibe<br />
eine Weile bevor ich zu fotografieren<br />
beginne. Dann bemerkt man mich kaum<br />
mehr und ich kann wieder nahezu<br />
ungestellte Schnappschüsse machen. Ich<br />
finde, ein Foto, unbemerkt mitten aus<br />
dem Leben gegriffen, hat eine andere<br />
Energie als ein inszeniertes Bild. Und<br />
mit dieser Vorgehensweise ist es nicht<br />
gestohlen.<br />
Alternativ dazu kann man natürlich auch<br />
heimlich Fotos machen, ohne dass der<br />
44
Betroffene es merkt. Das Fotografieren<br />
ist das wahrscheinlich prägnanteste<br />
Beispiel dafür, wie sich touristisches<br />
Handeln über ethische, moralische und<br />
religiöse Empfindungen der Bewohner<br />
des Reiselandes hinwegsetzt. In einem<br />
bestimmten religiös-kulturellen Kontext<br />
kann Fotografiert-wer<strong>den</strong> eine existentielle<br />
Bedrohung darstellen.<br />
In der touristischen Fotografie wird dies<br />
allzu oft aus Unkenntnis, Unverständnis<br />
oder Gedankenlosigkeit ignoriert.<br />
Unbedacht stiehlt man <strong>den</strong> Bereisten die<br />
Seele. Deren Angst wird deshalb als<br />
unbegründet betrachtet, weil sie selbst<br />
nicht empfun<strong>den</strong> wird. Es gibt Touristen,<br />
die die Gefühle der Betroffenen<br />
respektieren und auf eine Aufnahme<br />
verzichten. Im Allgemeinen aber wird<br />
zugunsten des Fotos die Bedrohung des<br />
Fotografierten ignoriert, die nicht als<br />
real, sondern als fiktiv interpretiert wird.<br />
Im Grunde jedoch ist solches Abfotografieren<br />
ein Eindringen in <strong>den</strong><br />
persönlichen Bereich des Fotografierten,<br />
weil ungefragt ein Stück von ihm für sich<br />
beansprucht wird. Hier zeigt sich die<br />
voyeuristische Seite der Fotografie.<br />
Intimsphäre und Freiheit wird missachtet.<br />
Der Fotografierte wird nicht als<br />
Individuum respektiert, sondern als<br />
Objekt genommen (vgl 14). Folgerichtig<br />
wird auch der Kontakt zwischen<br />
Fotograf und Fotografiertem mit dem<br />
Herrschaftsverhältnis des Kolonialismus<br />
verglichen (31). Der Fotograf offenbart<br />
hier die Wertvorstellungen seines<br />
sozialen Umfeldes: das Anders-Sein der<br />
anderen wird nicht als gleichwertig<br />
akzeptiert, sondern die eigene<br />
Überzeugung als die einzig objektiv<br />
gültige betrachtet (vgl 14).<br />
Fotolegende für dieses Buch:<br />
a. bezahlte Fotos:<br />
alle vom Schweinekochfest, Titelbild,<br />
die Gruppenbilder, # 4/14/15/17<br />
b. geschenkte Fotos: # 1/7<br />
c. gestohlene Fotos: # 2/3/6/8 bis 12<br />
d. ohne schlechtem Gewissen<br />
fotografiert: # 5/13/16/18<br />
DAS FOTO ALS TROPHÄE<br />
Der Fotograf erweckt <strong>den</strong> Anschein der<br />
Teilnahme dadurch, dass er das Motiv<br />
ausgewählt hat und <strong>den</strong> Anschein des<br />
Eingebun<strong>den</strong>seins, wenn er mit aufs Bild<br />
kommt. Er lebt jedoch nicht mit,<br />
sondern registriert, ist nicht Teilnehmer,<br />
sondern Zuseher (vgl 40). Das<br />
eigentliche Erlebnis der Begegnung mit<br />
<strong>den</strong> Menschen des bereisten Landes hat<br />
der Fotograf, wenn er zu Hause das Foto<br />
ansieht. Nicht das Ereignis ist das<br />
Erlebnis für ihn, sondern das<br />
Dokumentieren des Ereignisses, die<br />
fotografische Abbildung (vgl 14). Das<br />
Foto ist gleichzeitig Konserve und<br />
Trophäe, wie das Souvenir (vgl 20).<br />
Als Außenstehender ist der Fotograf<br />
<strong>den</strong>noch ein Teil der Situation, die er<br />
eigentlich unbeeinflusst festhalten<br />
möchte, aber durch sein Verhalten stört<br />
(vgl 38). Indem er fotografiert schafft<br />
sich der Reisende eine Rolle. Er<br />
i<strong>den</strong>tifiziert sich als ‚der, der Bilder sucht'<br />
(vgl 39). Mit dieser Rolle, dem Akt des<br />
Fotografierens an sich und der Kamera<br />
selbst schafft er sich Werkzeuge zur<br />
Bewältigung der Angst vor dem<br />
Frem<strong>den</strong> und gleichzeitig dessen<br />
Aneignung (26).<br />
Die touristische Fotografie ist zuallerletzt<br />
ein Medium um Reales zu reproduzieren,<br />
ein Abbild des Frem<strong>den</strong> zu liefern und<br />
ferne Wirklichkeiten <strong>den</strong> zu Hause<br />
Gebliebenen zu vermitteln (26).<br />
Vordergründig nährt das Fotografieren<br />
45
die Illusion, das schöpferische Bedürfnis<br />
des Touristen zu befriedigen (28) und<br />
seinen Drang nach materieller Fixierung<br />
seiner Reiseerinnerungen (27). Dabei<br />
kommt es zu einer Verleugnung<br />
negativer Wirklichkeiten und zur<br />
selektiven Wahrnehmung einer heilen<br />
Welt (vgl 14). Für <strong>den</strong> Fotografen geht es<br />
darum, möglichst Fotos zu produzieren,<br />
die noch nicht existieren (26). Es geht<br />
um Selbstverwirklichung und um<br />
Zerstreuung auf der Jagd nach<br />
Traumwelten (20). Die Idealisierung der<br />
Welt in der touristischen Fotografie ist<br />
Ausdruck einer Fluchtbewegung aus dem<br />
Alltag (14) bei gleichzeitigem Realitätsverlust<br />
(30). Jedes Foto ist daher weniger<br />
Abbild als vielmehr Ausschnitt der<br />
Wirklichkeit, beschnitten durch Auge<br />
und Hirn der Person hinter der Kamera<br />
(vgl 34).<br />
Auf Reisen wird fotografiert, was es im<br />
eigenen Alltag nicht gibt, was<br />
ungewöhnlich und als sehenswert<br />
ausgezeichnet ist, was idyllisch und<br />
herausgeputzt, arm und rückständig ist.<br />
Vor allem, was in der eigenen Lebenswelt<br />
der Vergangenheit angehört, im<br />
touristischen Sinne also ursprünglich<br />
erscheint (vgl 14). Fotografien als<br />
Zeugnisse von demonstrativem Erfahrungskonsum.<br />
Einer Anhäufung von<br />
Erlebnissen, für die man von <strong>den</strong><br />
anderen Beachtung, Anerkennung und<br />
Bewunderung erwarten kann (vgl 41).<br />
Betont wird immer die Distanz zum<br />
Eigenen, hervorgehoben wird das<br />
Trennende, nicht das Verbin<strong>den</strong>de.<br />
Denn wer sucht, was er in seinem<br />
Alltagsumfeld findet, kann sich die Reise<br />
sparen (vgl 14).<br />
AUSBRUCH AUS DER<br />
TOURISMUSMASCHINERIE<br />
Die Fantasien der Besucher bauen auf<br />
jenen Bildern auf, die von <strong>den</strong><br />
Hochglanzprodukten der Tourismusindustrie<br />
in Umlauf gebracht wor<strong>den</strong><br />
sind. Aus diesem Schema brechen nur<br />
gut vorbereitete und reiseerfahrene<br />
Touristen aus, die ökologisch und<br />
kulturell sensibilisiert ihre Umwelt<br />
kritisch betrachten und erhebliche<br />
Abweichungen vom Versprochenen<br />
feststellen (vgl. 20).<br />
Der zwanglos anmutende Arbeitsalltag,<br />
die Anspruchslosigkeit, die unbesorgte<br />
Daseinsfreude, die soziale Gleichheit<br />
ohne Besitzstreben oder der von der<br />
Natur bestimmte Lebensrhythmus<br />
stellen sich polemisch der neuzeitlichen<br />
Kultur entgegen (vgl 42). Insbesondere<br />
der entspannte Umgang mit der Zeit und<br />
die deutlich geringere Geschwindigkeit<br />
des Alltagslebens fasziniert die, in engen<br />
Zeitkorsetten stecken<strong>den</strong> Europäer (vgl<br />
43).<br />
In dem Bild von der heilen Welt fehlt<br />
konsequent jeglicher Realitätsbezug.<br />
Touristen sind blind für das Politisch-<br />
Hässliche und klammern die<br />
Abartigkeiten und Härten des Lebens<br />
aus ihrer Wahrnehmung großzügig aus<br />
(vgl 5). Kaum ein Ethnotourist würde<br />
bei ernsthafter Betrachtung das<br />
Alltagsleben der Bereisten leben wollen.<br />
Selbst wenn die Dörfer idyllisch<br />
aussehen, herrschen Armut,<br />
Krankheiten, Analphabetismus, hohe<br />
Kindersterblichkeit, niedrige Lebenserwartung.<br />
Zustände, die moderne<br />
Industriegesellschaften überwun<strong>den</strong><br />
haben. Diese Zustände sind auch der<br />
Grund dafür, dass die bildungsnahe<br />
Jugend zunehmend weg will (vgl 5).<br />
Die junge Generation will sich selbst<br />
modernisieren und ist immer weniger<br />
interessiert an der traditionellen<br />
46
Lebensweise. Sie wollen trinkbares<br />
Wasser, Schulen und Krankenhäuser,<br />
Kühlschränke, Fernseher und Mobiltelefone<br />
(vgl 5).<br />
Der Tourist ist im frem<strong>den</strong> Land mit<br />
körperlich und sinnlich wahrnehmbaren<br />
Unterschie<strong>den</strong> sowie kulturellen<br />
Andersartigkeiten konfrontiert. Beispielsweise<br />
Wasser, Speisen, Toiletten,<br />
Ungeziefer, Geräusche, Gerüche, Klima,<br />
Hygiene, Verhaltensweisen, Traditionen,<br />
Einstellungen, Gesten und Sprachen.<br />
Diese vielfältigen Unterschiede erzeugen<br />
Stress, die in Angst, Enttäuschung,<br />
seelischem Ungleichgewicht oder<br />
Orientierungslosigkeit mün<strong>den</strong>. Jeder<br />
Reisende reagiert anders auf diese<br />
Herausforderungen (vgl 20).<br />
Die eine Art des Stressabbaus endet in<br />
Flucht, im Kampf, in der Abscheu und<br />
Ablehnung. Diese Lösung bringt in der<br />
Regel eine Verstärkung von Vorurteilen<br />
und Feindbildern, xenophobe Einstellungen<br />
und rassistische Äußerungen<br />
hervor. Die enttäuschte Illusion führt zur<br />
Rückstufung der Einheimischen, die zu<br />
Unterentwickelten und Barbaren<br />
degradert wer<strong>den</strong> (20). Eine andere<br />
Möglichkeit der Stressbewältigung führt<br />
mit Optimismus und Humor allmählich<br />
zu positiver Einstellung, zu Toleranz und<br />
zur Akzeptanz der Umstände. Man<br />
findet Vorzuüge der lokalen Kultur und<br />
versucht sich auf die Gegebenheiten<br />
einzulassen. Bleibt diese Lösung nicht in<br />
Oberflächlichkeit stecken und mündet es<br />
nicht in einer maßlosen Überhöhung,<br />
wird man sowohl die Depression des<br />
Kulturschocks überwin<strong>den</strong>, als auch<br />
letztlich erfolgreich interkulturelle<br />
Kontakte schließen können (vgl 20).<br />
SICH UND ANDEREN BEGEGNEN<br />
Warum mache ich eine solche Reise und<br />
nehme Entbehrungen auf mich? Wie der<br />
ultimative Zweck jeglicher Reisetätigkeit<br />
letztlich in der Rückkehr besteht, so wird<br />
in diesem Fall eine veränderte<br />
Einstellung, vielleicht sogar ein anderer<br />
Mensch, als Trophäe nach Hause<br />
mitgebracht. Das Erlebnis besteht nicht<br />
im Augenblick, sondern in der<br />
Modifikation von Überzeugungen oder<br />
auch Verhalten bei <strong>den</strong> Reisen<strong>den</strong> (vgl<br />
20).<br />
Wünschenswert wäre, mit dem Reisen<br />
nicht nur das eigene Verhalten sondern<br />
viel mehr das Handeln zu beeinflussen.<br />
Denn Handeln schließt neben dem von<br />
außen beobachtbaren Verhalten auch alle<br />
Gedanken und Gefühle mit ein, die einer<br />
Verhaltensweise vorausgehen, sie<br />
begleiten und rückwirkend bewerten.<br />
Während Verhalten reflexhaft und<br />
unwillkürlich abläuft, sind Handlungen<br />
beeinflussbar, reflektierbar und somit<br />
diskutierbar. Die Fähigkeit, angemessen<br />
handeln zu können sollte man als<br />
Voraussetzung mitbringen, wenn man<br />
mit Menschen aus anderen Kulturen<br />
interagieren will (vgl 29).<br />
Eine direkte Erfahrung mit der<br />
Gastkultur machen und mit <strong>den</strong> Einheimischen<br />
in Face-to-Face Kontakt<br />
treten stehen bei Ethnotouristen ganz<br />
oben auf der Erledigungsliste (vgl 23).<br />
Wenn es sich dabei um einen<br />
festgelegten Ablauf handelt, kann von<br />
Begegnung kaum die Rede sein.<br />
Vielmehr ist ein Moment des<br />
Überraschen<strong>den</strong>, des Neuen notwendig,<br />
auch wenn die Begegnung geplant und<br />
arrangiert ist. Sie ist etwas, was mir<br />
‚zustößt‘. Begegnung ist demnach immer<br />
ein Balanceakt zwischen Sicherheitsbedürfnis<br />
und Risikobereitschaft und<br />
bedarf eines Schrittes ins Ungewisse.<br />
Dabei wird von mir nicht verlangt, alles<br />
47
an anderen Kulturen zu mögen. Wenn<br />
unentwegt versucht wird, <strong>den</strong> Schein von<br />
Harmonie zu wahren, findet keine echte<br />
Begegnung statt. Als Tourist ist es<br />
notwendig, kulturelle Differenzen nicht<br />
nur hinzunehmen, sondern sich auch mit<br />
ihnen auseinanderzusetzen (vgl 24).<br />
Für diese Auseinandersetzung ist eine<br />
‚der Bürde des Gegenstandes‘ angemessene<br />
Vorbereitung erforderlich.<br />
Genauso wie ein sich Zeit nehmen und<br />
Zeit geben, ein Beschäftigen mit dem<br />
kulturellen Ensemble und ein Verstehen<br />
der Bedeutungsstruktur. Dabei darf das<br />
Ausmaß der zumutbaren Belastung bei<br />
<strong>den</strong> Bereisten nicht überschritten<br />
wer<strong>den</strong>. Die Grenzen der Gastfreundschaft<br />
müssen beachtet und es<br />
darf nicht über Gebühr in die<br />
Privatsphäre eingedrungen wer<strong>den</strong> (vgl<br />
13).<br />
DAS ALLTAGSLEBEN DER DANI<br />
All jenen Reisen<strong>den</strong>, die es zu keiner<br />
interkulturellen Begegnung schaffen,<br />
bleibt die Hoffnung, dass das Land von<br />
ihrer Freizeitinvestition profitiert (8).<br />
Der Tourismus ist unbestritten eine<br />
wichtige Quelle für Deviseneinkünfte,<br />
Motor für Unternehmensgründungen<br />
und die Schaffung von Arbeitsplätzen<br />
(21). Aber wieviel von diesem<br />
ökonomischen Potential kommt<br />
tatsächlich bei der einheimischen<br />
Bevölkerung des Baliem Valley an?<br />
Auf Tripadvisor findet man in Wamena<br />
drei Hotels und zwei handvoll<br />
Gästehäuser. Allesamt gehören<br />
indonesischen Besitzern. Einheimischen<br />
also, könnte man meinen. Doch die<br />
Indonesier gelten bei <strong>den</strong> Dani nicht als<br />
Einheimische sondern als Eindringlinge.<br />
Westneuguinea ist seit 1962 unter<br />
Indonesischer Herrschaft. Der<br />
staatlichen Migrationspolitik folgend<br />
sind seither hunderttausende ins Land<br />
geströmt und bil<strong>den</strong> die Oberschicht in<br />
Verwaltung, Handel und Industrie (32).<br />
Die Ureinwohner findet man als Händler<br />
am Markt und bei einfachen<br />
Dienstleistungen für billigen Lohn. Es ist<br />
für sie nicht üblich Lä<strong>den</strong> und<br />
Restaurants zu besitzen. In unserer<br />
Unterkunft kommen mehr als neunzig<br />
Prozent der Mitarbeiter aus <strong>den</strong><br />
Nachbardörfern. Die qualifizierten<br />
Positionen des Resort-Managers,<br />
Reiseleiters, Fahrers und Kochs sind<br />
jedoch von Mitarbeitern aus anderen<br />
Gegen<strong>den</strong> des islamischen Inselstaates<br />
besetzt. Weibliche Arbeitskräfte sucht<br />
man vergebens. Auch wenn die<br />
Ureinwohner nur Anstellungen im<br />
niederqualifizierten Bereich fin<strong>den</strong>, kann<br />
etwas Geld zur Förderung lokaler<br />
Ökonomien im Land bleiben. Im<br />
Gegensatz zur Ausbeutung von<br />
Bo<strong>den</strong>schätzen, die in ausländischen<br />
Hän<strong>den</strong> ist (vgl 21).<br />
In das Baliem Valley führt keine Straße.<br />
Es kann nur mit dem Flugzeug erreicht<br />
wer<strong>den</strong>. Alle Güter, die nicht im<br />
Hochland selbst erzeugt wer<strong>den</strong>, müssen<br />
eingeflogen wer<strong>den</strong>. Das verteuert die<br />
Waren beträchtlich. Da dies auch für<br />
landwirtschaftliche Maschinen gilt, sind<br />
kaum welche im Einsatz. Die Felder<br />
wer<strong>den</strong> kleinstrukturiert von <strong>den</strong><br />
Familien bewirtschaftet. Es herrscht eine<br />
strikte Arbeitsteilung. Die Männer legen<br />
die Felder an, schlichten Steinmauern<br />
und errichten Holzzäune. Die Frauen<br />
bauen an, jäten das Unkraut und<br />
kümmern sich um die Ernte. Aufgrund<br />
der fruchtbaren Bö<strong>den</strong> und der<br />
wachstumsbegünstigten Witterung kann<br />
ganzjährig mit gutem Ertrag gerechnet<br />
wer<strong>den</strong>. Gemüse und Obst sind von<br />
bester Bio-Qualität, da der Kunstdünger<br />
48
zu kostspielig wäre und tierischer<br />
Dünger aufgrund fehlender Viehzucht<br />
kaum vorhan<strong>den</strong> ist. Lediglich die<br />
althergebrachten Steinwerkzeuge wur<strong>den</strong><br />
durch Metallgeräte abgelöst. Die<br />
Bo<strong>den</strong>bearbeitung erfolgt traditionell mit<br />
Handhacken und Spaten. Ochsen- oder<br />
pferdgezogene Pflüge sind unbekannt.<br />
Omnipräsent sind die Netztaschen aus<br />
Palmfasern, genannt Bilum. Sie wer<strong>den</strong><br />
meist von <strong>den</strong> Frauen mit dem Gurt<br />
über der Stirn am Rücken getragen.<br />
Große Mengen an Feldfrüchten,<br />
Brennholz, lebende Ferkel und sogar<br />
Babys gebettet auf Taro-Blättern fin<strong>den</strong><br />
Platz. Das Bilum ist nicht nur<br />
Gebrauchsobjekt sondern gehört als<br />
Wertgegenstand auch zu <strong>den</strong><br />
Brautgeschenken, verbun<strong>den</strong> mit dem<br />
Wunsch „möge es nie leer sein“.<br />
Rauchen ist die Lieblingsbeschäftigung<br />
fast aller Papua, ob Männer, Frauen und<br />
sogar halbwüchsiger Kinder. Früher<br />
wurde Tabak selbst angebaut, heute<br />
kauft man eingeflogene Zigaretten. Wer<br />
sich Luxuriöses leisten kann, gönnt sich<br />
welche mit Filter, obwohl sie mehr als<br />
vier Mal so viel kosten. Aus Prestigegrün<strong>den</strong>,<br />
nicht aus gesundheitlichen.<br />
Eine größere Gefahr für die Gesundheit<br />
stellen die offenen Feuerstellen in <strong>den</strong><br />
Grashütten dar. Sie haben nämlich<br />
keinen Rauchabzug. Die Schwa<strong>den</strong><br />
suchen sich ihren Weg durch die Hütte,<br />
vorbei an der grasbedeckten Holzdecke<br />
zum obergeschossigen Schlafraum. Die<br />
Bretter sind zentimeterdick mit Ruß<br />
bedeckt. Die Schwelgase vertreiben<br />
Ungeziefer und imprägnieren das Dach<br />
innen mit einer Teerschicht, die vor<br />
Nässe schützt. Mittendrinnen wird<br />
gewohnt.<br />
Neben dem Tabakgenuss kauen viele<br />
Einheimische auch Betelnüsse. Sie<br />
glauben, es ist gut für ihre Zähne. Das<br />
Gegenteil ist der Fall, sie greifen das<br />
Zahnfleisch an, was man unschwer an<br />
der mangelhaften Zahngesundheit<br />
erkennen kann. Vermengt mit gelöschtem<br />
Kalkpulver entsteht im Mund<br />
Methanol, was einen berauschten und<br />
entspannten Zustand hervorruft. Es<br />
stellt sich ein Gefühl der Leichtigkeit ein,<br />
soll stimulierend, körperlich wie geistig<br />
anregend und stimmungsaufhellend<br />
wirken. Betelnusskauen stellt im Baliem<br />
Valley eine legale Kompensation zum<br />
verbotenen Alkoholkonsum dar und<br />
macht süchtig. Was man vom Internetgebrauch<br />
nicht behaupten kann.<br />
Während unseres Aufenthaltes im April<br />
2018 gab es im Wamena Hochland<br />
bereits seit mehreren Wochen keine<br />
Verbindung zum World Wide Web. Die<br />
Kommunikation beschränkt sich auf<br />
Telefonie und Short Message Service.<br />
Einerseits erspart es <strong>den</strong> Papua<br />
unnötigen Informationsmüll, andererseits<br />
schneidet es auch von Nachrichten,<br />
Bildung und Kommunikation mit der<br />
Außenwelt ab. Die Vermutung liegt nahe,<br />
dass es sich bei diesem Versorgungsengpass<br />
um kein technisches Gebrechen<br />
gehandelt hat, sondern um Willkür der<br />
Behör<strong>den</strong>.<br />
Infrastruktur ist nur rudimentär<br />
vorhan<strong>den</strong>. Straßen verbin<strong>den</strong> lediglich<br />
größere Orte und touristische<br />
Sehenswürdigkeiten. Sie sind nur bei<br />
Schönwetter nutzbar, bei Regen sind<br />
selbst die befestigten Wege unpassierbar.<br />
Vor kurzem ist auch zum Baliem Valley<br />
Resort eine Straße von der rund zwanzig<br />
Kilometer entfernten Distrikthauptstadt<br />
gebaut wor<strong>den</strong>. Nutznießer sind nicht<br />
nur die Touristen und das Resort-<br />
Management, sondern auch die Dörfer<br />
entlang der Straße. Seitdem ein<br />
öffentlicher Kleinbus fährt, ist der Weg<br />
49
zum Markt weniger beschwerlich,<br />
wenngleich auch teuer. Einige wenige<br />
Männer aus Melius Nachbarschaft<br />
besitzen sogar ein eigenes Motorrad.<br />
Damit wird es leichter, Waren am Markt<br />
in Wamena zu verkaufen. Gemüse und<br />
Früchte, Schweinefleisch, Fisch und<br />
Bauholz. Gleichzeitig wird der Bedarf an<br />
westlichen Gütern geweckt, die meist aus<br />
Kunststoff und anderen zersetzungsresistenten<br />
Materialien bestehen oder<br />
eingepackt sind. Das ist in <strong>den</strong> ländlichen<br />
Gegen<strong>den</strong> relativ neu, daher mangelt es<br />
an der nötigen Infrastruktur zur<br />
Entsorgung dieser Abfälle. Ein massives<br />
Problem, das in dieser Form in <strong>den</strong><br />
Industriestaaten nicht auftritt (vgl 19).<br />
Durch Tourismusattraktionen in <strong>den</strong><br />
Dörfern, bei <strong>den</strong>en sich überdurchschnittlich<br />
viel Müll ansammelt, wird<br />
dieses Problem noch verstärkt (vgl 3).<br />
Das Dorf Osilimo ist mit Strom<br />
versorgt. Es liegt nur eine halbe Stunde<br />
Fußmarsch vom Baliem Valley Resort<br />
entfernt. Melius nutzt <strong>den</strong> Strom zur<br />
Aufladung seines Smartphones und für<br />
Licht am Dorfplatz und in <strong>den</strong> Hütten.<br />
Zum Einsatz kommen Glühbirnenfassungen<br />
mit Energiesparlampen.<br />
Andere Dörfer haben über eine<br />
Satellitenantenne auch Radio und<br />
Fernsehen. Davon hält Melius nichts.<br />
Sein altes, batteriebetriebenes<br />
Transistorradio reicht ihm völlig. Er<br />
versteht auch nicht, warum andere ihre<br />
Hütten aus Holz bauen und teures<br />
Wellblech statt der traditionellen<br />
Baumaterialien verwen<strong>den</strong>. In Wamena<br />
errichten manche Einheimische ihre<br />
Häuser sogar aus Ziegel, orientiert am<br />
Baustil der indonesischen Eindringlinge.<br />
Melius kann sich als Clanoberhaupt<br />
mehrere Ehefrauen nehmen. Vorausgesetzt,<br />
er kann sich mehrere leisten.<br />
Denn beim Stamm der Dani sind vier bis<br />
fünfzehn Schweine an die Brautfamilie<br />
zu übergeben und jede Frau muss eine<br />
eigene Hütte am Dorfplatz bekommen.<br />
Männer und Frauen leben in getrennten<br />
Hütten. Gekocht wird in einem<br />
Langhaus mit angrenzendem<br />
Schweinestall. Melius hat nur eine<br />
Ehefrau, für die er fünf Schweine<br />
bezahlt hat. Ein weiteres Schwein wird<br />
für ein gemeinsames Fest, dem<br />
Schweinekochfest getötet. Schweine sind<br />
richtig teuer, repräsentieren sie doch<br />
einen Wert von mehreren hundert Euro.<br />
Polygamie ist ein anerkanntes Sittenverhalten,<br />
das offensichtlich auch in der<br />
monogam orientierten christlichen<br />
Glaubenswelt keinen Widerspruch<br />
hervorruft. In <strong>den</strong> Dani-Sippen<br />
herrschen Frauen mehrheitlich vor,<br />
weshalb die Polygamie einen<br />
pragmatischen Zweck erfüllt (vgl 12).<br />
Lediglich beim Pfarrer würde es die<br />
Gemeinschaft laut Melius nicht<br />
akzeptieren, würde er sich eine Zweitfrau<br />
nehmen.<br />
Die ersten Missionare sind 1958 im<br />
Hochland angekommen. Mit ihnen auch<br />
die Hoffnung der Bewohner auf Waren<br />
im Überfluss. Die Papuas dachten, dass<br />
der Christengott mit materiellen Gütern<br />
verbun<strong>den</strong> sein muss, da die Missionare<br />
immer mit viel Ausrüstung aus <strong>den</strong><br />
Flugzeugen gestiegen sind. Folgt man<br />
diesem Gott, dann wird man reich wie<br />
die Weißen. Deswegen wur<strong>den</strong> die<br />
meisten Ureinwohner Christen. Heute<br />
beträgt ihr Anteil rund achtundziebzig<br />
Prozent der indigenen Bevölkerung<br />
Westneuguineas. Natürlich wur<strong>den</strong> sie<br />
nicht reich wie die Missionare und<br />
<strong>den</strong>ken nun, dass ihnen ein wichtiger Teil<br />
der neuen Religion vorenthalten wurde<br />
(vgl 18).<br />
Bekommen haben die Dani Kristallsalz,<br />
50
Raffineriezucker und Medikamente.<br />
Solesalz und Zuckerrohr hatten sie<br />
schon selbst, und für Krankheiten<br />
wur<strong>den</strong> seit jeher die Heilkräfte der<br />
einheimischen Pflanzen genutzt.<br />
Lediglich zur Behandlung der, durch die<br />
Frem<strong>den</strong> neu eingeschleppten Krankheiten<br />
erweisen sich die Medikamente<br />
als hilfreich.<br />
Eigentlich ist alles, was in ihren<br />
Lebensraum eindringt bei <strong>den</strong> Papua<br />
unbeliebt. Die Indonesier, die Missionare,<br />
die Touristen. Und <strong>den</strong>noch arrangiert<br />
man sich und versucht Nutzen aus<br />
der Situation zu ziehen. Vielleicht ist das<br />
Anhängen am Christentum auch eine Art<br />
des stillen Aufbegehrens gegen die<br />
islamische Kolonialmacht. Je<strong>den</strong>falls<br />
stellen für die Papua die Kirchen ein<br />
wichtiges Bindeglied zum Ausland dar<br />
(12).<br />
Mit <strong>den</strong> Missionaren ist auch das Ende<br />
der Nacktheit gekommen. Grasröcke<br />
und Penisköcher sind moderner<br />
Kleidung gewichen. Kleidung, die mit<br />
Geld aus untypischer Erwerbstätigkeit<br />
bezahlt wer<strong>den</strong> muss. Reicht der<br />
Verdienst nicht aus, verstärken die<br />
Lumpen am Körper die Stigmatisierung<br />
der Ureinwohner als Bürger zweiter<br />
Klasse (vgl 33).<br />
In dieser globalisierten Welt gehört<br />
Westneuguinea nicht mehr länger nur<br />
<strong>den</strong> Papua. Die Menschen aus der<br />
Steinzeit müssen sich nun fragen, wie sie<br />
sich der Welt öffnen und gleichzeitig die<br />
naturverbun<strong>den</strong>e Schönheit ihrer Kultur<br />
beibehalten können. Und als Freizeitreisender<br />
zwischen <strong>den</strong> <strong>Welten</strong> müssen<br />
wir unser Handeln anpassen, um sie<br />
dabei zu unterstützen.<br />
DER BEGINN AM ENDE<br />
Eigentlich sollte man beim Lesen meines<br />
Buches am Ende anfangen, um gleich<br />
am Beginn zu verstehen, was mich zur<br />
Realisierung dieses Projekts bewegt hat.<br />
Ursprünglich war eine Geschichte über<br />
Häuptling Melius geplant, die dessen<br />
Orientierungssuche in <strong>den</strong> unterschiedlichen<br />
Lebenswelten der Ureinwohner<br />
Westneuguineas zeigt.<br />
Im Zuge der theoretischen Aufarbeitung<br />
des Themas habe ich erkannt, dass ich<br />
als ethnotouristisch Reisender selbst<br />
einen großen Beitrag zur Verwirrung der<br />
indogenen Bevölkerung leiste. Das<br />
Erkennen meines Fehlverhaltens machte<br />
mich betroffen und nach<strong>den</strong>klich, ja<br />
sogar ein wenig traurig. Um dieser<br />
Bedrücktheit Raum zu geben, habe ich<br />
dem Buch jede Farbigkeit genommen.<br />
Saftiges Buschlandgrün, tiefblauer<br />
Himmel und schokobraune Menschen<br />
lassen das Herz jedes Fotografen und<br />
jedes Bildbetrachters höher schlagen. Da<br />
erwartet man sich ein Fotobuch über<br />
Papua je<strong>den</strong>falls in Farbe. Aber genau<br />
darum geht es in meinem Buch, dass<br />
Erwartungen nicht erfüllt wer<strong>den</strong>.<br />
Zudem würde Farbe das Steckenbleiben<br />
in Oberflächlichkeiten begünstigen und<br />
<strong>den</strong> Blick hinter das Offensichtliche<br />
erschweren.<br />
Mit <strong>den</strong> Bildern in schwarz/weiß muss<br />
man sich ‚der Bürde des Themas<br />
angemessen’ (vgl 13) beschäftigen.<br />
Einzelheiten sind schwerer zu erkennen<br />
und Bedeutungen erschließen sich<br />
farbinformationsfrei vielfach erst bei<br />
genauerem Hinsehen.<br />
Mein autobiografisches Buch ist für all<br />
jene gedacht, die sich selbst auf ethnotouristischen<br />
Reisepfa<strong>den</strong> bewegen. Es<br />
soll ein Anstoß sein, das eigene Handeln<br />
kritisch zu hinterfragen ...<br />
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Melius Walalua mit seinem Sohn Sius
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LITERATURVERZEICHNIS<br />
(1) Kievelitz, Uwe (1989): Ethno-Tourismus: Ursachen, Formen<br />
und Wirkungen interkultureller Kurzkontakte.<br />
(2) Trupp, Claudia / Trupp Alexander (2009): Ethnotourismus.<br />
Interkulturelle Begegnung auf Augenhöhe?<br />
(3) Trupp, Alexander (2006): Ethnotourismus in Nordthailand:<br />
Perspektiven der Akha und Karen, dargestellt am Beispiel<br />
zweier touristisch unterschiedlich entwickelter Hilltribedörfer.<br />
(5) Thurner, Ingrid (2010): Halb so wild. Die Zeit 38/2010.<br />
(7) Todorov, Tzvetan (1985): Die Eroberung Amerikas: Das<br />
Problem des Anderen.<br />
(9) Willemsen, Rogers (2010): Die En<strong>den</strong> der Welt.<br />
(10) Thurner, Ingrid (1994): Kunst für Touristen: die Welt der<br />
Reisen<strong>den</strong> im Souvenir.<br />
(14) Thurner, Ingrid (1995): Die Rezeption des Frem<strong>den</strong> in der<br />
touristischen Fotografie.<br />
(15) Trupp, Claudia / Trupp Alexander (2009): Zur Einführung:<br />
Ethnotourismus und die Konstruktion von Authentizität.<br />
(16) Goffman, Erving (2003): Wir alle spielen Theater. Die<br />
Selbstdarstellung im Alltag.<br />
(17) Moscardo, Gianna (1996): Mindful Visitors - Heritage and<br />
Tourism.<br />
(18) Giay, Benny (2001): Towards a New Papua. When They<br />
Hear the Sacred Texts of the<br />
Church, Papuans See a Better Future.<br />
(19) Friedl, Harald (2002): Tourismusethik. Theorie und Praxis<br />
des umwelt- und sozialverträglichen Fernreisens.<br />
(20) Luger, Kurt (2004): Horizontverschiebungen.<br />
(21) Luger, Kurt (2006): Tourismus als Entwicklungsmodell.<br />
(22) Wilhelm Ursula (1993): Gast-Gastgeber-Beziehungen. In<br />
Tourismuspsychologie und Tourismussoziologie - Ein<br />
Handbuch zur Tourismuswissenschaft.<br />
(23) Harron, Sylvia / Weiler, Betty (1992): Special Interest<br />
Tourism.<br />
(24) Demorgon, Jacques (1999): Interkulturelle Erkundungen.<br />
Möglichkeiten und Grenzen einer internationalen Pädagogik.<br />
(25) Vester, Heinz-Günter (1993): Authentizität. In<br />
Tourismuspsychologie und Tourismussoziologie - Ein<br />
Handbuch zur Tourismuswissenschaft.<br />
(26) Thurner, Ingrid (1992): Tourismus und Fotografie.<br />
(27) Beuchelt, Eno (1980): Sozialisation in Tourismus-Kulturen.<br />
Erziehung zur Dienstleistung?<br />
(28) Freund , Gisèle (1970): Photographie und Gesellschaft.<br />
(29) Hatzer, Barbara / Layes, Gabriel (2005): Interkulturelle<br />
Handlungskompetenz.<br />
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(30) Pohl, Klaus (1983): Ansichten der Ferne.<br />
(31) Steiger, Ricabeth (1982): Fotos schaffen neue Bilder. Über<br />
die Nützlichkeit der Fotografie in der Ethnologie.<br />
(34) Feest, Christian (1989): Völker-Bilder.<br />
(35) Großfeld, Bernhard (Hsg): Münsteraner Studien zur<br />
Rechtsvergleichung, Band 62.<br />
(36) Steinecke, Albrecht (1997): KulturTourismus: Strukturen<br />
und Entwicklungsperspektiven.<br />
(37) Lenz, Ramona (2010): Migration und Tourismus.<br />
(38) Metken, Günter (1983): Die transportable Ferne.<br />
Photographie als stellvertretendes Sehen oder: Bringen Bilder<br />
die fremde Wirklichkeit näher?<br />
(39) Winkler, Hartmut (1983): Weltbild mit Bildschutz.<br />
(40) Castel, Robert (1981): Bilder und Phantasiebilder.<br />
(41) Knebel, Hans-Joachim (1960); Soziologische<br />
Strukturwandlungen im modernen Tourismus.<br />
(42) Henning, Christoph (1997): Reiselust. Touristen, Tourismus<br />
und Urlaubskultur.<br />
(43) Schmidt, Bernd (2001): Der Orient – Fantasia 1001 Nacht.<br />
Wie Touristen Fremdes sehen und verstehen.<br />
INTERNETQUELLEN<br />
(4) Allmaier, Michael (2016): Gehen Sie weiter! Die Zeit Online<br />
22.07.2016<br />
(6) Institut für interdisziplinäre Tourismusforschung, Universität<br />
Salzburg (8/2018): http://www.init.sbg.ac.at/Home.html<br />
(8) Dillig, Annabel (2018): Warum ich kein Tourist mehr sein<br />
möchte. Süddeutsche Zeitung Magazin 8/2018:<br />
https://www.sz-magazin.de/abschiedskolumne/warum-ichkein-tourist-mehr-sein-moechte-85824<br />
(11) Alles nur Theater für Touristen (2016). Süddeutsche<br />
Zeitung: http://www.sueddeutsche.de/reise/kultur-undfolklore-auf-reisen-alles-nur-theaterfuertouristen-1.3023684<br />
(12) Dani. Wikipedia (8/2018):<br />
https://de.wikipedia.org/wiki/Dani<br />
(13) Luger, Kurt (2018): Tourist go home. Ö1 Sendereihe Punkt<br />
Eins am 10.07.2018<br />
(32) Unter Indonesischer Herrschaft. Westpapu Netzwerk<br />
(8/2018): http://www.westpapuanetz.de/ueber-westpapua<br />
(33) Westneuguinea. Wikipedia (8/2018):<br />
https://de.wikipedia.org/wiki/Westneuguinea<br />
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In unserer Vorstellung gibt es kaum einen<br />
wilderen Flecken Erde als Westneuguinea.<br />
Menschenfresser, Steinzeitwerkzeuge und<br />
Grashütten beflügeln unsere Fantasie. Sie<br />
wecken die Sehnsucht nach dem unberührt<br />
Ursprünglichen und nach Teilhabe am<br />
echten Leben der Einheimischen. Einer<br />
Fiktion, die der Ethnotourist mit Hingabe<br />
nachjagt. Indem er es findet, zerstört er<br />
jedoch das, was er sucht. Mit seinem<br />
Eindringen in das Sozialsystem der<br />
Indigenen bringt er Strukturen ins wanken<br />
und weckt Begehrlichkeiten von<br />
materiellem Wohlstand und vermeintlicher<br />
Fortschrittlichkeit. Tradition verliert an<br />
Wert, Althergebrachtes wird aufgegeben.<br />
Authentizität muss in Folge inszeniert<br />
wer<strong>den</strong>, um <strong>den</strong> Erwartungen der<br />
zahlungskräftigen Besucher zu entsprechen.<br />
Das unreflektierte Rollenspiel<br />
auf der Bühne der Tourismusindustrie<br />
führt bei allen Beteiligten zu<br />
Orientierungslosigkeit. Es bringt einen<br />
Verlust an I<strong>den</strong>tität und Realitätsbezug.<br />
Aus dem stolzen Krieger und<br />
Lebenskünstler der Subsistenzwirtschaft<br />
wird ein Bittsteller und Lumpenträger. Der<br />
kulturinteressierte Reisende mutiert<br />
unbewusst zu einem Eroberer in<br />
Kolonialmanier. Gegensätze wie Urlaub<br />
und Alltag, Ablehnung und Begehren,<br />
Tradition und modernes Leben kollidieren<br />
auf unserer Reise zwischen <strong>den</strong> <strong>Welten</strong>.<br />
JOSEF BLASCHKO . FOTOGESCHICHTEN | ZWISCHEN DEN WELTEN