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Mixolgy - Magazin für Barkultur 5-18

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5/20<strong>18</strong> —— 16. Jahrgang<br />

Einzelverkaufspreis: [D] 8,50 € — [A, LUX] 9,50 € — [CH] 10 CHF<br />

RYE<br />

WHISKEY<br />

Fakten & Gefühlte Wahrheiten<br />

über den Bar-Liebling<br />

200 Jahre Likör-Tradition. Und es geht weiter!<br />

KOPENHAGEN<br />

Bar-Träume<br />

der Boom-Town


APERITIF<br />

VEREHRTE LESER!<br />

Die gefühlte Wahrheit scheint manchmal die Wahrheit<br />

unserer Zeit zu sein. Fake News, Alternative<br />

Fakten, gefühlte Wahrheit – das Internet und die<br />

eigene Kontaktblase machen’s möglich. Was prinzipiell<br />

ein Segen ist, entpuppt sich hier und da<br />

als waschechter Fluch. Denn meist dauert es nur<br />

Minuten und man findet – egal <strong>für</strong> welche „Wahrheit“<br />

– einen geeigneten Beweis.<br />

Dabei spricht grundsätzlich nichts dagegen, sich<br />

der einen oder anderen gefühlten Wahrheit hinzugeben.<br />

Das hat ja auch ein wenig mit dem Bedürfnis<br />

nach Komfortzone zu tun. Versuchen Sie mal,<br />

mit einem eingefleischten Fußballfan nach einer<br />

Niederlage seines Vereins gegen die Bayern darüber<br />

zu sprechen, dass die Bayern nunmal leider wirklich<br />

das bessere Team waren. Der Schiedsrichter<br />

war’s. Oder die Eckfahne hatte die falsche Neigung.<br />

Vielleicht lag’s auch an der Mondphase – aber auf<br />

keinen Fall waren die Bayern besser. Solche kleinen<br />

Eskapismen machen die Welt nur schöner.<br />

Auch die Bar hat ihre Mythen und gefühlten Wahrheiten, die Tendenz,<br />

Dinge manchmal ein wenig in Schwarz-Weiß zu sehen; auch einen mitunter<br />

verklärenden, nostalgischen Blick auf bestimmte Dinge und Sachverhalte.<br />

Einer dieser Mythen, vielleicht (neben Mezcal) die größte gefühlte<br />

Wahrheit der Barszene, ist Rye Whiskey. Der amerikanische Brand ist so<br />

etwas wie die große Konsensspirituose jener Bar-Renaissance, die wir seit<br />

mittlerweile rund eineinhalb Jahrzehnten beobachten. Mag eben jener<br />

Mezcal ein wenig mehr <strong>für</strong> die Suche nach dem absolut Ursprünglichen,<br />

Unverfälschten stehen, mag auch Gin mit seiner Kategorie- Explosion<br />

in den meisten guten Bars mehr denn je eine Art Cashcow sein. Rye<br />

Whiskey war (und ist) die große identitätsstiftende Spirituosengattung<br />

Nils Wrage<br />

Chefredakteur<br />

<strong>für</strong> all jene Bartender, die sich entfernen wollten<br />

vom alten Muff der lahmenden Bar.<br />

Denn Rye Whiskey, das war jene Spirituose, die in<br />

den alten Büchern stand, die man plötzlich wieder<br />

las. Die Spirituose, die doch eigentlich in den Manhattan<br />

gehörte. Die Spirituose, die es jahrzehntelang<br />

quasi nicht gegeben hatte, weil die nach der<br />

Prohibition wieder auflebenden US-Brenner sich<br />

auf den weicheren, süßeren Bourbon konzentrierten<br />

(schließlich hatte man 14 Jahre lang fuseligscharfes<br />

Feuerwasser getrunken).<br />

Heute ist Rye Whiskey zwar da, in der Bar sogar<br />

allgegenwärtig. Es wird viel über ihn gesprochen,<br />

er ist eine feste Größe geworden. Doch er ist noch<br />

lange keine solche Größe, wie man meinen mag.<br />

Die gefühlte Wahrheit der Barszene macht aus<br />

Rye Whiskey einen Scheinriesen im klassischen<br />

Sinne. Einen Scheinriesen, der zwar gewachsen<br />

ist, aber bei nüchterner Betrachtung noch immer<br />

ein Zwerg ist im Vergleich mit seinen Gebrüdern.<br />

Für unsere große Rye-Story ist Stefan Adrian dem Phänomen Rye auf<br />

den Grund gegangen: Neugierig, kenntnisreich, unterhaltsam und wie<br />

immer fakten- und zahlensicher. Seinen Artikel, den sie ab S. 48 finden,<br />

möchte ich Ihnen <strong>für</strong> diesmal ganz besonders ans Herz legen. Denn die<br />

Wahrheit ist nicht nur wichtig, sie macht auch Spaß.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dieser Ausgabe!<br />

Mit den herzlichsten Grüßen aus der Redaktion<br />

Ihr Nils Wrage<br />

BLASEN-ZÜNDUNG<br />

Was <strong>für</strong> ein Zufall: Für die Rubrik »Alchemist« hat sich Reinhard Pohorec diesmal in die Sphären des<br />

»Home Distilling« begeben. Ein komplexes Feld – nicht nur handwerklich, sondern auch rechtlich. Für die<br />

Bebilderung ergab sich indes ein glücklicher Umstand. Denn seit einigen Monaten ist auch unsere langjährige<br />

Autorin Juliane Reichert stolze Besitzerin einer kleinen Kupferbrennblase und seither passionierte<br />

Destillateurin. Unser Fotograf Tim Klöcker hat sie beim Brennen und auf der Suche nach Botanicals<br />

begleitet. Herausgekommen ist eine Bildersammlung, die wir nicht nur im Artikel »einsperren«, sondern<br />

auch <strong>für</strong> sich, in voller Größe, zeigen wollten. Das Ergebnis ist die Bildstrecke am Anfang des vorliegenden<br />

Hefts. Und im Ernst: Man meint die getrockneten Blüten geradezu riechen zu können – oder nicht?<br />

Fotos: Tim Klöcker<br />

5


Bars & Menschen<br />

MIXOLOGY INTERN<br />

Die italienischen Lieblingsdrinks der Redaktion<br />

................................................................................ 8<br />

ZEHN<br />

Gut zu wissen: zehn Roggen-Infos<br />

.............................................................................. 22<br />

STADTGESCHICHTEN<br />

Hyggeliger Hipness auf der Spur in Kopenhagen<br />

............................................................................. 26<br />

NEUE BARS<br />

Auf Sushi in die Schildkröte: das Tortue<br />

.............................................................................. 36<br />

NACHTRAUSCHEN<br />

Palermo: Champagner mit den Corleones<br />

.............................................................................. 46<br />

AUF EIN GLAS MIT ...<br />

… Emanuele Ingusci<br />

.............................................................................. 40<br />

60 TRINKWELT<br />

Weniges verbinden die Teutonen<br />

mehr mit Urlaub und Genuss,<br />

ja, mit dem »Dolce Vita«, als die<br />

italienische Lebensart. Aus dieser<br />

sind der Aperitivo und die reichhaltigste<br />

Likörkultur der Welt nicht<br />

wegzudenken. Roland Graf erzählt<br />

die Historie des italienischen<br />

Likörs – die später begann, als man<br />

meinen sollte – bis ins Heute.<br />

Flüssiges<br />

MIXTUR<br />

Produktneuheiten aus dem Baruniversum<br />

.............................................................................. 10<br />

MEINUNG<br />

Bartender über ihre liebsten Vodkas<br />

............................................................................. 20<br />

MADE IN GSA<br />

Neues aus dem heimischen Barkosmos<br />

............................................................................. 24<br />

FOOD & DRINK<br />

First Things First: Risotto Balls!<br />

.............................................................................. 44<br />

SPIRITUOSE<br />

Der Scheinriese: Rye Whiskey<br />

.............................................................................. 48<br />

COCKTAIL<br />

Greenpoint: Neoklassiker & Stadtteilstolz<br />

............................................................................. 56<br />

TRINKWELT<br />

Eine süße Historie: Die italienische Likörgeschichte<br />

.............................................................................. 60<br />

FOUR OF A KIND<br />

Grappa di Chardonnay im Redaktionstest<br />

............................................................................. 66<br />

ALCHEMIST<br />

Heimdestillation: Wen aus Hobby Ernst wird<br />

............................................................................. 70<br />

BACK TO BASICS<br />

Nur Mut zum Milk Punch!<br />

.............................................................................. 76<br />

HOW TO COCKTAIL<br />

Der perfekte Clubland Cocktail<br />

.............................................................................. 80<br />

MIXOLOGY TASTE FORUM<br />

Ruby Port & Winzersekt Riesling Brut<br />

.............................................................................. 82<br />

1,4 %<br />

112 GLOBAL PLAYER<br />

Wer sich in der Szene profilieren will,<br />

geht selten mit seinem fortgeschrittenen<br />

Vodkawissen hausieren. Kommt irgendwie<br />

nicht gut an. Nein, noch immer<br />

nicht. Wir ziehen durch Clubs und Bars<br />

auf eine zu verschiedenen Stadien angehaltene<br />

Zeitreise.<br />

48 SPIRITUOSE<br />

Irgendwie ist es mit Roggenschnaps ein<br />

bisschen wie mit dem Wedding: kommt<br />

demnächst. Wie lange soll das denn bitteschön<br />

noch so gehen? Dabei kommt er ganz<br />

gehörig, das stimmt. Nur die Maßstäbe sind<br />

verzerrt. Die Annäherung an einen Scheinriesen.


116 BUSINESS<br />

In eine Hotelbar kann man auch gehen,<br />

obwohl man ein eigenes Bett besitzt.<br />

Einfach nur auf einen Drink. Zumindest<br />

mittlerweile. Denn es wird umgedacht.<br />

WHISK(E)Y NEWS<br />

Die wichtigsten Neuheiten der Whiskywelt<br />

............................................................................. 94<br />

KLIMEKS KAUFBEFEHL<br />

Der französische Garagenwinzer von der Mosel<br />

.............................................................................. 96<br />

KAFFEE<br />

Arabica & Robusta: Das Yin & Yang des Kaffees<br />

.............................................................................. 98<br />

KAFFEENOTIZEN<br />

Die wichtigsten Neuheiten der Kaffeewelt<br />

........................................................................... 102<br />

BIERNOTIZEN<br />

Hopfi g-Neues <strong>für</strong> den Herbst<br />

........................................................................... 104<br />

BIER<br />

Aus dem Pott gekommen: Dortmunder Export<br />

........................................................................... 106<br />

70 ALCHEMIST<br />

In Zeiten, in denen jeder gerne alles<br />

selbst einlegt, fermentiert und<br />

sowieso überhaupt herstellt, passt<br />

die Heimdestille ausgezeichnet.<br />

Als kupferfarbenes Schmuckstück<br />

macht sie es möglich, unseren<br />

Lieblingsbrand selbst zu ernten,<br />

brennen, blenden und abzufüllen.<br />

Doch ganz so einfach ist das nicht.<br />

Und auch nicht immer legal. Eine<br />

Anleitung zum Selbermachen.<br />

Wirtschaft & Kultur<br />

DIE FLASCHE IN ZAHLEN<br />

Dos Maderas PX<br />

........................................................................... 111<br />

GLOBAL PLAYER<br />

»Vodka pays the bills!« Ach, tut er das noch?<br />

Ein Bericht<br />

........................................................................... 112<br />

BUSINESS<br />

Nix mit Lobby: Hotelbars als ganzheitliche Idee<br />

............................................................................ 116<br />

ESSENTIAL CULTURE<br />

Neue Schätze <strong>für</strong> Augen und Ohren<br />

........................................................................... 121<br />

HOMEBAR<br />

Karaffen<br />

........................................................................... 122<br />

MUSIK<br />

Zwischen Ad-Libs & Acid: RIN<br />

........................................................................... 124<br />

TIEFENRAUSCH<br />

Der Simplicissimus, ein Schelmenroman<br />

........................................................................... 126<br />

82 MIXOLOGY TASTE FORUM<br />

Nicht gerade ein zur Kombination<br />

geeignetes Duo, da<strong>für</strong> beide in festen<br />

Satteln auf dem Ritt durch den just<br />

verstrichenen Sommer: Ruby Port &<br />

trockener Winzersekt aus Riesling.<br />

Rubriken<br />

VERANSTALTUNGEN & WETTBEWERBE<br />

Was ist passiert? Was kommt? Der Überblick<br />

........................................................................... 128<br />

MIXOLOGY IM DIREKTVERKAUF<br />

........................................................................... 135<br />

IMPRESSUM & KOMMENDE THEMEN<br />

........................................................................... 136


Duck and Cover – Cocktailbar<br />

Dannebrogsgade 6, 1660 København<br />

+45 28 12 42 90<br />

— duckandcoverbar.dk


STADTGESCHICHTEN<br />

ZUM VER-<br />

HYGGDWERDEN!<br />

Text Michaela Bavandi<br />

Foto: levemand_photo


NEUE BARS<br />

EXCUSE<br />

MY FRENCH!<br />

36


AUF EIN GLAS MIT … EMANUELE INGUSCI<br />

»ICH GLAUB’,<br />

MAN MAG MEINE ART«<br />

Der winzig kleine »Barroom« in München ist längst eine Institution über die Stadtgrenzen<br />

hinaus, auch wegen Betreiber Emanuele Ingusci, der immer ganz er selbst geblieben<br />

ist – ein MIXOLOGY BAR AWARD als »Gastgeber des Jahres« untermauert das. Unser<br />

Autor, früher selbst Mitarbeiter im Barroom, hat Ingusci zum Gespräch über Harleys,<br />

Stoffschuhe, die italienische Heimat und das Streben nach Glück getroffen.<br />

40<br />

Foto: Vivi d’Angelo


FOOD & DRINK<br />

KURZURLAUB!<br />

Urlaub in Italien – das ist die sehr deutsche<br />

Geschichte einer langen Liebe, die mit Goethe<br />

begann. Er beschrieb einen Sehnsuchtsort<br />

von Musik, Kunst und Geschichte, der dem<br />

Bildungsbürger das Herz weit machte. Nur die<br />

»faulen Italiener« störten den Dichter.<br />

44


NACHTRAUSCHEN<br />

46<br />

IM FRÖHLICHEN KADAVER<br />

Palermo ist die Stadt, deren Einwohner Corleone heißen.<br />

Palermo war ein gefährliches Pflaster. Heute ist es ruhiger. Da findet<br />

sich auch Zeit <strong>für</strong> ein paar Gläser seltenen Champagners.


SPIRITUOSE<br />

DER<br />

KLEINE<br />

G I G A N T<br />

48<br />

Illustrationen: Editienne


1,4 %<br />

Text Stefan Adrian<br />

Rye Whiskey war und ist die Konsensspirituose der<br />

Bar-Renaissance. Ist der Roggenschnaps aber wirklich<br />

so groß, wie er scheint? Oder doch eher ein Zwerg,<br />

der lange Schatten wirft? Oder vielleicht ein wenig von<br />

beidem? Wir haben im Roggenfeld nachgesehen.<br />

49


56


COCKTAIL<br />

ALL THE WORLD<br />

IS GREEN<br />

Text Juliane E. Reichert<br />

Foto Tim Klöcker<br />

Ist der Greenpoint nichts weiter als ein vergessener Manhattan-Twist,<br />

der lediglich unter der Bartenderschaft noch Beachtung findet?<br />

Während eine kleine Umschau in der Szene geteilte Resultate zeigt,<br />

ist Tom Waits da eindeutiger.<br />

Der Greenpoint ist ein Drink, dem man Allgegenwärtigkeit nun nicht<br />

gerade zusprechen kann. Ursprünglich als Manhattan-Twist gedacht<br />

– dem deutlich populäreren Cocktail –, hat es der Drink zwar in Jim<br />

Meehans Das geheime Cocktailbuch geschafft und war so geheim damit<br />

plötzlich auch nicht mehr. Zum unverzichtbaren Mitglied der gängigen<br />

Klassiker-Riege jedoch hat er es auch nicht so recht gebracht. Irgendwo<br />

hängen geblieben in der Kurve zwischen einem vergessenen Klassiker<br />

und dem in Bartender-Kreisen längst etablierten After- (oder auch During-)Work-Drink,<br />

ist der Greenpoint Inbegriff der Berliner Oszillation<br />

zwischen »schon« und »noch« in puncto Trendfragen. Dabei ist der<br />

Greenpoint überhaupt gar nicht aus Trendsetting, sondern aus Eitelkeit<br />

entstanden. Ähnlich, aber anders.<br />

57


Milano<br />

Bologna<br />

Dolce<br />

,<br />

Roma<br />

Cagliari<br />

Napoli<br />

60


TRINKWELT<br />

dolce<br />

, dolce !<br />

Text Roland Graf<br />

Ob familiengeführt oder als Teil der großen Konzerne:<br />

Verdis Triumphmarsch ist der Soundtrack der italienischen<br />

Brenner. Denn der Aperitivo erweist sich als globaler<br />

Exportschlager. Während sich die Trinkgewohnheiten zwar<br />

wandeln, wächst der Likör-Absatz am Heimmarkt munter weiter.<br />

Das ist irgendwie süß – und historisch spannend.<br />

Illustrationen: Inga Israel<br />

61


70


ALCHEMIST<br />

DON’T TRY<br />

THIS<br />

AT HOME?<br />

Text Reinhard Pohorec<br />

Fotos Tim Klöcker<br />

Proceed with caution! Rechtlich, sicherheits technisch, sensorisch<br />

– Brennen ist ein wahrlich heißes Thema. Höchste Zeit also, die<br />

Quintessenz herauszudestillieren. Denn um das Destillieren soll sich<br />

diese Abhandlung drehen. Nicht im großindustriellen Stil mit Säulenapparaturen,<br />

die sieben stellige Reinalkoholwerte pro Jahr rausballern,<br />

sondern im sanften, leisen, herzig-charmanten Kleinst format.<br />

Tabletop, Homedestilling, Garagenoperation – Boutique, Craft oder<br />

welch immer Schlagwort man dreschflegelartig abklopfen möge.<br />

Die heimelige Suche nach dem Stein der Weisen.<br />

71


BACK TO BASICS<br />

GOT MILK?!<br />

Die Milchfiltration ist eine uralte Praktik, keine Neuheit. Dennoch scheint sie neu, weil sie Ewigkeiten<br />

nicht praktiziert wurde. Unser Autor kann seine Liebe zu dieser Methode nicht verhehlen und gibt einen<br />

historischen Einstieg sowie eine – wahrhaftig glasklare – Einführung in die Praxis.<br />

Text Gabriel Daun<br />

Berufsnörgler halten die unsere Zeit – wie jeder<br />

Nörgler jede Zeit – <strong>für</strong> auf den Hund gekommen:<br />

Die Bar sei mittlerweile zu einem Labor<br />

verkommen, das die klassische Bar nicht mehr<br />

achtet, in dem Gäste nur noch als störendes,<br />

weil von der eigentlichen Arbeit ablenkendes,<br />

aber notwendiges Übel gelten. In den Regalen<br />

des Lebensmitteleinzelhandels herrschen in<br />

ihren Augen ebenfalls trostlose Aussichten:<br />

Ready-To-Drink-Cocktails. Was ein Schrott!<br />

Und jetzt wird neuerdings auch noch alles klarifiziert,<br />

was nicht bei drei auf dem Baum ist!<br />

»Alles neumodischer Quatsch!«, so lautet ihr<br />

erbarmungsloses Urteil. Mitnichten ist das alles<br />

jedoch neu. Und bei näherer Betrachtung<br />

auch nicht unbedingt falsch. Bereits in frühester<br />

Barliteratur finden wir Rezepte <strong>für</strong> Bottled<br />

Cocktails, bei Jerry Thomas sogar ein ganzes<br />

Kapitel. Und obwohl das technische Aufrüsten<br />

in den Vorbereitungsküchen teilweise wirklich<br />

groteske Züge annimmt: Das Vor- und Zubereiten<br />

bestimmter Drinks bereits vor der Schicht<br />

macht durchaus Sinn.<br />

Entdecke die Möglichkeiten!<br />

Die Klarifikation von Cocktails existiert ebenfalls<br />

nicht erst seit gestern, denn auch ohne<br />

Zentrifuge lassen sich klare Drinks herstellen.<br />

Allerdings nicht ohne einen gewissen Aufwand<br />

und etwas Zeit. Doch mit der tagsüber in der<br />

Prep-Kitchen verbrachten Zeit erkauft der Bartender<br />

sich die Chance, sich im Abendservice<br />

mehr auf den Gast konzentrieren und auch zur<br />

Rush Hour schnell und souverän abliefern zu<br />

können. Natürlich hat es Charme, wenn es sich<br />

76<br />

ein bisschen weniger wie Chemieunterricht<br />

und etwas mehr wie Kochen anfühlt. Und so<br />

existieren gleich mehrere Methoden <strong>für</strong> effiziente<br />

und kostengünstige Klarifikationen, um<br />

die es hier gehen soll, und die sich in jeder Bar<br />

ohne große Investitionen umsetzen lassen.<br />

Die wichtigste ist dabei sicherlich die wieder<br />

aufstrebende Proteinklarifikation durch<br />

Milch (oder seltener mithilfe von Eiklar). Aber<br />

auch die Klärung durch Agar-Agar oder Gelatine<br />

macht bei der Zubereitung einiger Drinks<br />

durchaus Sinn, etwa beim eigenen Lime-<br />

Cordial. An dieser Stelle soll es deshalb in erster<br />

Linie um die Klärung mit Milch gehen. Wie<br />

meistens lohnt auch diesmal ein Blick zurück<br />

in die Geschichte.<br />

Das zweite Zeitalter der Aufklärung<br />

Wie eingangs erwähnt: Die Milchklärung ist<br />

ein alter Hut. Beginnt man die Recherche,<br />

stößt man auf viele Quellen, die das Alter<br />

dieser Technik belegen: Bereits Mitte des<br />

19. Jahrhunderts existierte eine Firma namens<br />

Nathanial Whisson & Co., die nicht<br />

nur stolzer »Purveyors of Milk Punch to Her<br />

Majesty« (Queen Victoria) war, sondern ihren<br />

Milk Punch auch andernorts gewinnbringend<br />

veräußerte. Ready To Drink also. Doch wir<br />

können noch viel weiter zurückgehen: Das älteste<br />

bekannte Rezept <strong>für</strong> einen mit Milch klarifizierten<br />

Punch stammt von einer Hausfrau<br />

namens Mary Rockett aus dem Jahre 1711.<br />

Auch Benjamin Franklin erwähnt ein Rezept<br />

in einem Brief von 1763. Selbstverständlich findet<br />

sich auch in Thomas’ Bartender’s Guide<br />

von <strong>18</strong>62 ein Rezept <strong>für</strong> einen »English Milk<br />

Punch«, ebenso wie in der Ausgabe des The<br />

White House Cookbook von <strong>18</strong>87. Und auch<br />

Leo Engel, der das amerikanische Bartending<br />

nach Europa bzw. nach England brachte, und<br />

sein »Criterion Milk Punch« aus dem großartigen<br />

Buch American and other Drinks von <strong>18</strong>78<br />

sollen hier Erwähnung finden.<br />

Obschon hier gerade viele Amerikaner aufgezählt<br />

wurden, kann es als einigermaßen<br />

gesichert gelten, dass der Milk Punch eine<br />

englische Erfindung ist (siehe Thomas‘ Bezeichnung<br />

als English Punch), die bereits seit<br />

über 300 Jahren existiert. Hier sei auch kurz<br />

auf eine Verwechslungsgefahr hingewiesen:<br />

Wenn in diesem Artikel von »Milk Punch«<br />

die Rede ist, so ist immer die klarifizierte Version<br />

gemeint, nicht der vor allem im Süden<br />

der USA populäre Brandy oder Bourbon Milk<br />

Punch, bei dem Milch eine »normale« Zutat ist<br />

und in dem keine Zitrussäfte zum Einsatz kommen,<br />

die die Milch gerinnen lassen.<br />

Gekühlt ist ein<br />

Milk Punch nahezu<br />

unbegrenzt haltbar<br />

Es handelt sich also um eine alte Technik,<br />

die völlig ohne High Tech auskommt und die<br />

trotzdem zu begeistern weiß! Das Aufnehmen<br />

eines Milk Punches in die Karte hat tatsächlich<br />

einige Vorteile: Der Prozess rundet die Kanten<br />

im fertigen Getränk merklich ab. Ähnlich wie<br />

die Zugabe von Zucker und Bitters in einem<br />

Old Fashioned, vermochte diese Technik früher<br />

somit, eine lausige Spirituose aufzuwerten.<br />

Auch wenn wir uns heute über deutlich bessere<br />

Spirituosenqualität freuen können, lohnt<br />

Illustration: Editienne


77


HOW TO COCKTAIL<br />

CLUBLAND<br />

Das »Café Royal Cocktail Book« von 1937 war eines der ersten Cocktailbücher<br />

überhaupt, in denen Vodka zur Sprache kam. Mit dem »Clubland« hat der Autor<br />

W. J. Tarling einen kleinen Geheimfavoriten vieler Bartender verewigt. Der Drink<br />

ist zart, leicht, bekömmlich und lässt den filigranen Aromen eines guten Vodkas<br />

reichlich Platz, während Bitters und White Port <strong>für</strong> Tiefe und Frische sorgen.<br />

4 cl Vodka<br />

4 cl White Port (»Dry« oder »Extra Dry«)<br />

1 – 2 Dashes Aromatic Bitters<br />

GLAS: Martiniglas oder kleine Coupette<br />

GARNITUR: keine (optional Zitronenzeste)<br />

ZUBEREITUNG: Die Zutaten in ein Rührglas geben und mit reichlich<br />

sehr kalten Eiswürfeln gründlich kaltrühren. Ins vorgekühlte Glas abseihen.<br />

80<br />

Fotos: Constantin Falk, Drink-Design: Nils Wrage, Location: MIXOLOGY-Redaktion, Karl-Marx-Allee, Berlin


KLIMEKS KAUFBEFEHL<br />

Der anarchische<br />

österreichisch-berlinerische<br />

Wein messias Manfred Klimek erteilt<br />

exklusiv in jeder Ausgabe einen<br />

könig lichen Weinbefehl. Also: Kaufen!<br />

NIMM IMMICH!<br />

Daniel Immich keltert an der Mosel Jahr <strong>für</strong> Jahr eine<br />

außergewöhnliche Kollektion. Außergewöhnlichst aber<br />

ist sein Rieslingsekt Zero Dosage, ein Schaumwein,<br />

der nachgerade süchtig machen kann.<br />

Es ist ein großes Haus, das von Wohlstand und den gloriosen Zeiten des<br />

Moselweinbaus zeugt. Zeiten, die sich langsam wieder einstellen, aber<br />

auch alte Zeiten hinter sich lassen. Es ist ein schön renoviertes Gründerzeithaus,<br />

wie man sie gerade zuhauf <strong>für</strong> wenig Geld kaufen kann, weil<br />

die Besitzer, meist Erben kleiner und mittelgroßer Weingüter, hier nicht<br />

mehr leben und arbeiten wollen. Und das, obwohl das Tal Kulturerbe<br />

des europäischen Weinbaus ist und die Steilhänge Kulturlandschaft der<br />

Deutschen. Es ist ein auffallendes Haus mit einem modernen Zubau, in<br />

dem man alle Weine verkosten kann, die Daniel Immichs Familie hier<br />

seit Generationen keltert. Ein Haus auf einer der zwei Hauptstraßen in<br />

Enkirch an der Mosel. Ein Haus, das durch Stand und Fundament verspricht,<br />

was Daniel Immich auch zu halten imstande ist: große Weine<br />

zu machen.<br />

Kleiner wird’s nicht<br />

Weingut Immich-Anker<br />

Brut Nature Zero Dosage 2014<br />

Lage: Enkicher Zeppwingert,<br />

13 % Vol., € 14,00<br />

— mosel.net<br />

Nur: Die Größe des Hauses, die Moderne des Zubaus und die hinter<br />

dem Gebäudekomplex aufsteigenden Weinhänge – alle im Eigentum<br />

der Familie – erzählen letztlich Falsches über die Immichs, denn sie<br />

sind kein großes, kein mittleres, kein kleines Weingut, sondern ein<br />

klitze kleines Weingut. Dreieinhalb Hektar groß, gut <strong>für</strong> knapp mehr als<br />

25.000 Flaschen im Jahr (in guten Jahren), die <strong>für</strong> einen immer noch viel<br />

zu günstigen Preis losgeschlagen werden.<br />

Daniel Immich wäre im französischen Bordelais wahrscheinlich ein bekannter<br />

Garagenwinzer, der <strong>für</strong> die meisten seiner Weine 30 Euro oder<br />

mehr aufrufen könnte. Aber Immich lebt eben an der Mosel, wo man<br />

<strong>für</strong> den Gutswein nur knapp mehr als 7 Euro verlangen darf, sonst gilt<br />

man als Wucherer. Dass die Winzer am Schlangenlinienfluss anspruchsvolle<br />

Schiefersteilhänge bewirtschaften, ist dem deutschen Konsumenten<br />

gleichgültig. Und weil sich das nicht ändert, setzen immer mehr<br />

Weinmacher an der Mosel auf den Export. Wie früher, vor der Hitlerei,<br />

als deutscher Wein zu den weltbesten und teuersten Weinen gehörte.<br />

Auch Immich tut das. Und hat in den USA eine kleine aber treue Fangemeinde<br />

gefunden.<br />

Ankerwein<br />

Daniel Immichs Weingut heißt Immich-Anker. Das »Anker« ist wichtig,<br />

weil es im Ort auch das hervorragende und größere Weingut Immich-Batterieberg<br />

gibt, das von Gernot Kollmann als Kellermeister geleitet<br />

wird, der ebenfalls ganz großartige Weine keltert. Daniel Immich<br />

wiederum kreiert aus den Trauben seiner Weinhänge (er kauft keine<br />

Trauben hinzu) mehr als zehn verschiedene Weine, manche nur in der<br />

Auflage von wenigen hundert Flaschen. Er lässt sich auf den Boden und<br />

das Mikroklima jeder Parzelle ein und cuveetiert seine Rieslinge aus verschiedenen<br />

Chargen. Cuveetieren ist immer auch kleines Va-Banque-<br />

Spiel, ein Ritt ins Ungewisse. Das muss gesagt werden, weil diese Lust,<br />

aus dem Wenigen ein Mehr zu machen, monetär nicht belohnt wird. Es<br />

ist also Leidenschaft pur. Immich könnte es viel leichter haben. Drei<br />

Rieslinge, schickes Etikett = die gleiche Bilanzsumme, das gleiche Geld<br />

am Konto. Wenn nicht sogar mehr.<br />

Zero Dosage, Zero Dogma<br />

Neben den sehr genauen, sehr mineralischen und typisch deutschen<br />

Rieslingen Immichs dominiert vor allem ein Wein, ein Sekt, das Ensemble<br />

dieses Winzers: der Brut Zero Dosage 2014. Zero Dosage bedeutet,<br />

dass dem Wein beim Degorgieren, dem letzten Schritt des Entstehens,<br />

kein Liqueur de Dosage, also keine süße Essenz, beigefügt wird.<br />

Was heute vor allem wie ein Gebot in der Welt des neuen, ethischen<br />

Weinmachens klingt (und dort auch als solches verschlagwortet wird),<br />

ist vielmehr aber Gebot der Zeit und des Klimawandels, der die Trauben<br />

immer früher reifer werden lässt: Die Dosage, dieser letzte von drei<br />

Schritten der Aufzuckerung von Schaumweinen, die nach der Champagnermethode<br />

hergestellt werden, ist oft schlicht und einfach nicht mehr<br />

notwendig. Noch vor 50 Jahren wurden manche Champagner, die in<br />

ihrer Cuvée auch mittelmäßige Weine aus mittelmäßigen Weinjahren<br />

aufnehmen mussten, erst durch sie anständig genießbar.<br />

Immichs Brut Zero Dosage 2014 lag drei Jahre auf der Hefe, ist deswegen<br />

megasatt, kräftig und voller Druck, das aber ohne Eleganz zu verlieren.<br />

In der Nase Zitrus, Quitte, Anklänge von französischer Fischsuppe<br />

mit Knoblauchbrot, massiv Brioche, auch etwas reife Himbeeren. Im<br />

Mund dann eine mehr als perfekte Balance zwischen Kraft und Eleganz,<br />

Zitrusfrüchte, wieder Brioche und gut eingebundene, aber auffällig<br />

bleibende Salze des moseltypischen Schieferbodens. Dieser Wein<br />

zählt zu den besten Winzersekten Deutschlands. Und kostet lächerliche<br />

14 Euro. Wenn eine Barchefin oder ein Barchef etwas dramatisch Individuelles<br />

sucht, das aber trotzdem dem Mainstream entspricht, also<br />

jedem schmeckt, dann sei ihr und ihm dieser süchtig machende Sekt<br />

kältestens empfohlen.<br />

__<br />

96


KUMPELBIER<br />

Text Dirk Hoplitschek<br />

106


BIER<br />

Dortmunder Export spiegelt wie kein anderes Bier die<br />

Entwicklung des Ruhrgebiets während der Industrialisierung<br />

wider. Zunächst ein bierkultureller Import aus dem Süden,<br />

mauserte sich Dortmund zur Bierstadt Nummer 1 in ganz<br />

Europa. Sinnbild einer Epoche, eines beispielhaften Aufstiegs<br />

und wenig glamourösen Falls.<br />

Foto: akg-images / euroluftbild.de / Hans Blossey<br />

Das vergoldete, strahlende, 9 Meter<br />

hohe »U« steht sinnbildlich <strong>für</strong> Aufstieg<br />

und Niedergang der Dortmunder<br />

Braugeschichte. Heute beherbergt<br />

das Gebäude ein Museum und weitere<br />

kulturelle Einrichtungen.<br />

Erwähnt man den Bierstil Export, so haben<br />

die meisten Menschen nur ein Bier vor Augen:<br />

Sternburg Export, das »Sterni«. Radebergers<br />

Retter der Enterbten und spärlich finanzierter<br />

Studentenpartys, verunglimpft als Hartz-<br />

IV-Bier, seit Kurzem der erhobene Mollen-<br />

Mittelfinger des Prekariats an den modernen<br />

Biersnobismus und das Hopfen-Hipstertum.<br />

Vielleicht ist es auch dieser gesellschaftlichen<br />

Rolle geschuldet, dass nur wenige die Stilistik<br />

hinterfragen und sich wundern, was so ein Export<br />

eigentlich ausmacht. Woher kommt es,<br />

und inwiefern entspricht Sternburg Export<br />

dem klassischen Dortmunder Export? Diese<br />

Frage soll zu guter Letzt beantwortet werden,<br />

denn bis dahin steht uns eine spannende Reise<br />

durch die deutsche Bierwelt bevor. Vielleicht<br />

sogar ein Stück darüber hinaus, denn der<br />

Name Export lässt bereits darauf schließen,<br />

dass dieses Bier auch international seine Spuren<br />

hinterlassen hat.<br />

Wer hat's erfunden?<br />

Nein, nicht die Schweizer, doch jeder anständige<br />

Bierstil braucht einen Gründungsmythos:<br />

Die Wurzeln des »Dortmunder Export«,<br />

auch »Dortmunder Helles« oder einfach<br />

»Dortmunder« genannt, liegen in Bayern und<br />

Böhmen. Bis zur Erfindung der Kältemaschine<br />

durch Carl von Linde waren es die gebirgigen<br />

Regionen, in denen sich untergärige<br />

Hefen wohlfühlten und zur Fermentation bei<br />

kühlen 4 bis 8 °C animieren ließen. Dennoch<br />

brauchte es auch hier zunächst die industrielle<br />

Revolution, ihre neuen Methoden zur Malzröstung<br />

und die damit plötzlich sehr hellen<br />

Malze, um den Pilsener Bierstil <strong>18</strong>42 aus der<br />

Taufe zu heben. Geschehen in Pilsen, getan<br />

von einem bayerischen Braumeister namens<br />

Josef Groll, passend zum Namen wohl ein übler<br />

Choleriker, der nur kurze Zeit nach seiner<br />

die Bierwelt verändernden Erfindung wieder<br />

gefeuert wurde, da es wohl niemand mit ihm<br />

aushielt.<br />

Wenker hat's erfunden!<br />

Doch die böhmisch-bayerische Kollaboration<br />

fand vielerorts Gefallen und entsprechend<br />

schnell Nachahmer. Wir spulen ein paar<br />

Jährchen zurück und begleiten den jungen<br />

Heinrich Wenker auf seinen Reisen durch<br />

das heutige Süddeutschland. Hier lernt er die<br />

untergärige Brauweise kennen, bis dato im<br />

nördlich des Weißwurschtgürtels gelegenen<br />

Flachland quasi nicht praktiziert. Doch die Zeichen<br />

der Zeit stehen auf Wandel, und Wenker<br />

und sein Vater erkennen dies. Das bis zu diesem<br />

Zeitpunkt im Ruhrpott gebraute Bier<br />

dürfte dem Düsseldorfer Altbier recht ähnlich<br />

gewesen sein: bernsteinfarben bis dunkelbraun<br />

und obergärig. Aus dem Jahre 1266 belegt<br />

eine Urkunde ein Grutbier (hopfenlos, da<strong>für</strong><br />

mit Gewürzmischung) mit Myrte, Rosmarin,<br />

Wacholder, Lorbeer, Kümmel und Anis. Ab<br />

1480 wurde Hopfen als einzige Würzzutat zunehmend<br />

beliebter. Ganzjährig verfügbar war<br />

jedoch bis ins 19. Jahrhundert nur dunkles,<br />

obergäriges Bier. Doch nun war der Ruhrpott<br />

dank Kohle und Stahl dabei, technisch massiv<br />

aufzurüsten. Dies brachte völlig neue Transport-<br />

und Lagermöglichkeiten, und so wurde<br />

<strong>18</strong>43 – also nur ein Jahr nach der Erfindung des<br />

Lagers nach Pilsener Brauart – das »Dortmunder«<br />

in der Krone am Markt aus der Taufe<br />

gehoben, ein Brauhaus, das seine Wurzeln bis<br />

1517 zurückverfolgen kann.<br />

107


BUSINESS<br />

THINK<br />

GLOBALLY.<br />

ACT<br />

LOCALLY.<br />

Hotelbars haben noch immer mit einem<br />

flächendeckend muffigen Image zu<br />

kämpfen. Abgesehen von einer kleinen,<br />

kreativen Speerspitze traf das lange zu.<br />

Doch es kommt generelle Bewegung<br />

auf. Betreiber erkennen das wirtschaftliche<br />

und soziologische Potenzial – auch<br />

abseits der High-End-Häuser. Eine<br />

Analyse des Status Quo.<br />

Text Steffen Goubeaud<br />

116


Foto: The Ritz-Carlton Berlin<br />

»Die Hotelbar, die keine sein will«, titelt die<br />

Süddeutsche Zeitung in einem Artikel über das<br />

erst kürzlich eröffnete Juliet Rose, die neue<br />

Bar des Münchner Hilton 1 . Warum will eine<br />

Hotelbar keine Hotelbar sein, fragt sich der bekennende<br />

Hotelbar-Fan und Autor dieses Textes<br />

und versucht ferner, den aktuellen Status<br />

Quo der Hotelbarszene und ihre Entwicklung<br />

in Teilaspekten darzustellen. Im Verlauf des<br />

Textes wird wie zu erwarten schnell deutlich,<br />

dass das Juliet Rose natürlich eine Hotelbar<br />

ist, aber eben nicht als typische Hotelbar von<br />

lokalen Gästen wahrgenommen werden soll,<br />

sondern als überzeugendes, attraktives Barkonzept<br />

<strong>für</strong> lokale und Hotelgäste.<br />

Typische Hotelbar einerseits und attraktives<br />

Barkonzept als Begriff andererseits erscheinen<br />

hier als Gegenpole, die sich scheinbar ausschließen,<br />

und so spielt die Autorin Camilla<br />

Kohrs hier mit einem Vorurteil, das in vielen<br />

(deutschsprachigen?) Köpfen noch immer<br />

vorzufinden ist: Die Hotelbar als eingestaubte,<br />

oft langweilig und konservativ orientierte<br />

Institution, in der man einen ergrauten Pianospieler<br />

in der einen und einen lustlosen<br />

Bartender in der anderen Ecke vorfindet,<br />

bevor man sich auf antike, eingestaubte Sitzmöglichkeiten<br />

niederlässt, um schale Nüsse<br />

und uninspirierte Getränke einzunehmen.<br />

Oder um diese Trinkstätten mit den Worten<br />

von Bruce Schoenfeld, einem bekannten<br />

US-Gastrokritiker, zu beschreiben: »Hotelbar<br />

bedeutet meist: unnachvollziehbar teure Cocktails<br />

aus schmierigen Zutaten, Wein, den man<br />

nicht mal im Flugzeug trinken würde, und ein<br />

aus dem Regen geretteter Straßenmusiker, der<br />

1970er-Sounds interpretiert.« 2<br />

Nach Jahren als Provisorium erstrahlt die Fragrances Bar im Ritz-Carlton Berlin als echter Solitär<br />

117


BARTENDER´S<br />

CHRISTMAS -<br />

UNSER GESCHENK AN EDLE sPIRITUOSEN.<br />

WIR SEHEN UNS AUF DEM BCB STAND NR. 7-B09.<br />

<strong>18</strong>019_DM_AZ_Mixology_235x298.indd 1 04.09.<strong>18</strong> 15:58

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