Deutschland VET Research Report 2009 - BiBB
Deutschland VET Research Report 2009 - BiBB
Deutschland VET Research Report 2009 - BiBB
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Ute Hippach-Schneider; Bernadette Toth (Hrsg.)<br />
ReferNet-<strong>Research</strong> <strong>Report</strong><br />
<strong>Deutschland</strong><br />
Übersc<br />
hrift<br />
<strong>VET</strong> <strong>Research</strong> <strong>Report</strong> <strong>2009</strong><br />
Setzen Sie hi er I hre Botsc haft ei n. Di e best e Wirkung erzi elen Sie, wenn Sie sich auf z wei oder dr ei Sätz e besc hränken.
<strong>Research</strong> <strong>Report</strong> <strong>2009</strong><br />
November <strong>2009</strong>
Autorinnen und Autoren:<br />
Susanne Berger (Kapitel 1)<br />
Prof. Dr. Sandra Bohlinger (Kapitel 3)<br />
Prof. Dr. Dietmar Frommberger (Kapitel 4)<br />
Prof. Dr. Matthias Pilz (Kapitel 1)<br />
Dr. Ingrid Wilkens (Kapitel 2)<br />
Herausgeber:<br />
Bundesinstitut für Berufsbildung<br />
Robert‐Schuman‐Platz 3<br />
53175 Bonn<br />
http://www.bibb.de<br />
Bestell‐Nr.: 60.003<br />
© Copyright:<br />
Die veröffentlichten Inhalte sind urheberrechtlich geschützt.<br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge stellen nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers<br />
dar. Dieser Bericht gehört zu einer Serie von nationalen ReferNet‐Forschungsberichten. Die<br />
Erstellung des <strong>Report</strong>s wurde von der Europäischen Gemeinschaft kofinanziert.<br />
ISBN 978‐3‐88555‐875‐0
Vorwort<br />
<strong>Research</strong> <strong>Report</strong> <strong>2009</strong><br />
Was beschäftigt die „Berufsbildungsforscher“ eines Landes? Gibt es überhaupt nennenswerte<br />
Forschung? Welches sind die Themen, die untersucht und bearbeitet werden, welches dabei die<br />
relevanten Fragestellungen und wesentliche Ergebnisse? Die Antworten hierauf ermöglichen<br />
einen ganz eigenen Blick auf das Berufsbildungssystem eines Staates, denn sie zeichnen<br />
brennpunktartig die „Baustellen“ auf und sind Indikator für Ansehen und Wichtigkeit beruflicher<br />
Bildung.<br />
In allen Ländern, die im ReferNet vertreten sind, wurde im Jahr <strong>2009</strong> versucht, diese Fragen in<br />
vier inhaltlichen Schwerpunktbereichen zu beantworten.<br />
Gemeinsame Themen für alle Netzwerkmitglieder sind „Benefits of <strong>VET</strong>“ sowie „Mobility and<br />
Migration“. Da es darüber hinaus zahlreiche aktuelle Fragestellungen gibt, die in den<br />
Mitgliedsstaaten völlig unterschiedliche Relevanz haben, wurde den nationalen Koordinatoren<br />
die Entscheidung überlassen, zwei weitere Themen auszuwählen.<br />
Für <strong>Deutschland</strong> sind dies „Effectiveness and quality assurance“ sowie „Transitions“.<br />
Interessanterweise haben das Thema „Effectiveness and quality assurance“ sieben weitere<br />
Staaten gewählt und es ist somit der am häufigsten bearbeitete Schwerpunkt; der<br />
Themenkomplex „Transitions“ wurde von vier weiteren Staaten als wichtiger Forschungsbereich<br />
eingestuft und steht in der Beliebtheitsskala auf Rang 3. Das zeigt, wie zentral insbesondere die<br />
Bedeutung der Themen Qualität und Effektivität in Europa ist.<br />
Im Vergleich zu den anderen ReferNet‐Berichten, wie dem Politikbericht 2008 und dem<br />
Länderbericht <strong>2009</strong>, gab es für den ReferNet‐Forschungsbericht <strong>2009</strong> kaum gemeinsame<br />
Guidelines für die nationalen Konsortia. Es sollte hier gezielt ein möglichst großer Spielraum für<br />
Analyse und Beschreibung der nationalen Berufsbildungsforschung gesichert bleiben.<br />
Für den deutschen ReferNet‐Bericht konnten ausgewiesene Experten als Autorinnen und<br />
Autoren für die einzelnen Schwerpunkte gewonnen werden. Dies macht den Bericht zu einer<br />
nützlichen und hilfreichen Quelle für alle, die sich einen Überblick über die wesentlichen<br />
Forschungsfragen in diesen Teilgebieten verschaffen wollen.<br />
Der Bericht ist Teil des Cedefop ReferNet Arbeitsprogramms <strong>2009</strong>.<br />
Ute Hippach‐Schneider Bernadette Toth<br />
Koordinatorin des deutschen Mitarbeiterin im deutschen<br />
ReferNet‐Konsortiums ReferNet‐Team<br />
Bundesinstitut für Berufsbildung Bundesinstitut für Berufsbildung<br />
Bonn, im Januar 2010
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort 3<br />
Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
Benefits of <strong>VET</strong> 6<br />
Ingrid Wilkens<br />
Mobility and Migration 50<br />
Sandra Bohlinger<br />
Effectiveness and quality assurance 86<br />
Dietmar Frommberger<br />
Transitions and research on transitions in <strong>VET</strong> 117<br />
Abkürzungsverzeichnis 154<br />
Autorinnen und Autoren 156
Benefits of <strong>VET</strong><br />
____________________________________<br />
Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
1. Aktuelle Forschungsaktivitäten zur Beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong> der<br />
letzten fünf Jahre 6<br />
2. Synthese der wesentlichen Forschungsergebnisse nach Zielgruppen 7<br />
2.1 Betrieblicher Nutzen 7<br />
2.2 Sozialer und gesellschaftlicher Nutzen 17<br />
2.3 Volkswirtschaftlicher Nutzen 25<br />
2.4 Individueller Nutzen der Teilnehmer 32<br />
3. Resümee und offene Fragen 38<br />
4. Bibliografie 40<br />
1. Aktuelle Forschungsaktivitäten zur Beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong> der<br />
letzten fünf Jahre<br />
Die strukturellen Veränderungen im Wirtschafts‐ und Beschäftigungssystem, die<br />
zunehmende Globalisierung und der demografische Wandel beeinflussen die Anforderungen am<br />
Arbeitsplatz und heben gerade in den letzten Jahren die Bedeutung und den Wert einer<br />
umfassenden beruflichen Bildung hervor (vgl. Kremer, 2008(a), S. 2).<br />
Im Rahmen der Erarbeitung des ReferNet Forschungsberichtes von <strong>2009</strong> sollen daher in der<br />
vorliegenden Analyse die wichtigsten aktuellen Forschungsaktivitäten in <strong>Deutschland</strong> zum<br />
Thema „Benefits of <strong>VET</strong>“ dargestellt und knapp diskutiert werden.<br />
Wird von der Beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong> gesprochen, so wird diese oft<br />
(vglereinfachend) mit dem dualen Berufsausbildungssystem gleichgesetzt, obgleich diese<br />
spezifische Ausbildungsform einer parallelen Ausbildung in Betrieb und Berufsschule lediglich<br />
einen Teil in der Gesamtheit der zur beruflichen Aus‐ und Fortbildung zählenden Maßnahmen<br />
des Deutschen Bildungssystems ausmacht.<br />
In der beruflichen Erstausbildung haben sich in <strong>Deutschland</strong>, im Gegensatz zu beispielsweise<br />
der Schweiz oder Österreich, die beiden Systeme der betrieblichen Berufsausbildung im dualen<br />
System einerseits und der ausschließlich schulischen Berufsausbildung andererseits weitgehend<br />
unabhängig voneinander entwickelt (Kremer, 2006, S. 28). Da das duale<br />
Berufsausbildungssystem in <strong>Deutschland</strong> sowohl quantitativ als auch qualitativ das wichtigste<br />
Subsystem des Berufsbildungssystems darstellt, soll in der vorliegenden Darstellung
Benefits of <strong>VET</strong> 7<br />
insbesondere hierauf der Schwerpunkt gesetzt werden. Dies schließt jedoch die Betrachtung<br />
anderer, vor allem vollzeitschulischer beruflicher Bildungsgänge nicht aus.<br />
2. Synthese der wesentlichen Forschungsergebnisse nach Zielgruppen<br />
Im Folgenden sollen die wesentlichen Forschungsaktivitäten und Ergebnisse zum Nutzen und<br />
zu den Erträgen der beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong> für den Zeitraum 2004 bis <strong>2009</strong><br />
vorgestellt werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und zur besseren Abgrenzung werden die<br />
Forschungsresultate je nach Zielgruppen separat voneinander aufgeführt und dabei jeweils die<br />
forschungsrelevanten Hauptpositionen hervorgehoben. Interdependenzen werden an<br />
geeigneten Stellen ergänzend dargestellt.<br />
Bei Betrachtung der aktuellen Forschungsanstrengungen im Bereich der positiven Effekte<br />
und des Nutzens der beruflichen Bildung fällt nicht nur die fast ausschließliche Beschäftigung mit<br />
den Erträgen des dualen Systems auf, weiterhin heben sich vor allem die anteilsmäßig großen<br />
Forschungsaktivitäten im Bereich der betrieblichen Vorteile hervor, welche daher als erste im<br />
nachstehenden Kapitel behandelt werden. Darauf folgend sollen aktuelle<br />
Forschungsanstrengungen und Ergebnisse im Bezug auf die Vorteile der deutschen beruflichen<br />
Bildung für die Gesamtgesellschaft, die Volkswirtschaft und schließlich für das Individuum<br />
aufgezeigt werden. Es versteht sich von selbst, dass etwaige Überschneidungen in der<br />
Darstellung der Forschungsergebnisse zwischen den einzelnen Zielgruppen nicht ausbleiben<br />
können und auch sollen, da diese wiederum auf die umfassenden Wechselwirkungen der<br />
Beziehungen zwischen allen Beteiligten im Bereich der beruflichen Bildung aufmerksam machen.<br />
2.1 Betrieblicher Nutzen<br />
Aktuelle Forschungen zum betrieblichen Nutzen der beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong><br />
beschäftigen sich vorrangig mit den unternehmerischen Erträgen aus der beruflichen<br />
Erstausbildung im dualen System. Dies ist vor allem damit zu erklären, dass in vielen<br />
Beschäftigungsfeldern die betriebliche Ausbildung mitunter der wichtigste Einstiegspfad in den<br />
Arbeitsmarkt ist (vgl. Deißinger, 2005, S. 143).<br />
Die Investitions‐ und Standortentscheidungen von Unternehmen sind im Zuge der<br />
Globalisierung mitunter in hohe Maße von der Qualifizierung der Arbeitskräfte in einem Land<br />
beeinflusst. Neben beispielsweise dem nationalen Lohnniveau ist somit auch die Gestaltung<br />
beruflicher Bildung ein entscheidender Standortfaktor im Wettbewerb von Industrie‐ und<br />
Exportnationen. Die berufliche Bildung in <strong>Deutschland</strong> wird, wie bereits oben angemerkt, vor<br />
allem durch das sogenannte duale System, d.h. der Verknüpfung von schulischem und<br />
betrieblichem Lernort, realisiert. Jährlich beginnen etwa Zweidrittel eines Schülerjahrgangs eine<br />
duale Berufsausbildung und finden damit einen Einstieg in die Berufs‐ und Arbeitswelt (vgl. BIBB,<br />
<strong>2009</strong>(a), S. 77 und Döring; Sailmann, 2005).
8 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
Absolventinnen und Absolventen 1 des dualen Systems zeichnen sich durch eine „berufliche<br />
Handlungsfähigkeit“ (§1 Abs.3 BBiG) aus, die es ihnen erlaubt, innerhalb eines beruflichen<br />
Handlungsfeldes selbstständig und weitgehend eigenverantwortlich zu arbeiten (vgl. Frank,<br />
<strong>2009</strong>, S. 5). Um jedoch mit der Entwicklung der Betriebe hinsichtlich beispielsweise des<br />
technologischen Fortschritts oder aber auch den sich ändernden Arbeitsstrukturen Schritt zu<br />
halten, ist auch die berufliche Bildung einem ständigen Wandel unterzogen. Die<br />
Anpassungsfähigkeit auf die Anforderungen der Betriebe und die Offenheit des dualen Systems<br />
zeigen sich nicht nur in den jährlich neu geschaffenen und modernisierten Ausbildungsberufen,<br />
sondern beispielsweise auch in den Neuerungen im Rahmen der Reform des<br />
Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2005 (vgl. Kapitel 2.3).<br />
Unternehmungsbefragungen zeigen, dass Betriebe das „hochwertige Produkt“ (Kremer,<br />
2006) der dualen Ausbildung schätzen und durch dessen Qualität und Anpassungsfähigkeit vor<br />
allem im Blick auf die Deckung des eigenen Fachkräftebedarfs profitieren, was Gegenstand des<br />
Folgekapitels sein soll.<br />
Die Bereitschaft der Betriebe, in die Berufsausbildung zu investieren und hiermit auch<br />
zunächst Kosten auf sich zu nehmen, ist vor allem durch den zukünftigen Personalbedarf<br />
motiviert. Dieses sogenannte Investitionsmotiv ist neben dem Reputations‐ und<br />
Kosteneinsparungsmotiv ein in der einschlägigen Literatur diskutierter theoretischer Ansatz zur<br />
Beschreibung und Zuordnung unternehmerischer Beweggründe zur Ausbildungsbeteiligung (vgl.<br />
z.B. Beicht et al., 2004).<br />
Die betriebliche Ausbildung zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses<br />
Das Investitionsmotiv ist unabhängig von Branche und Größe der Unternehmen allgemeinhin<br />
von großer Bedeutung für die Ausbildungsbeteiligung, was auch die Schlussfolgerungen von<br />
Ebbinghaus und Ulmer (<strong>2009</strong>) aus einer Umfrage von 15 000 Betrieben bestätigen. In dieser<br />
Befragung gab jeder sechste von zehn Unternehmern an, dass die Deckung des zukünftigen<br />
Personalbedarfs von großer Bedeutung für die Ausbildungsbeteiligung sei. 2 Die ausbildenden<br />
Betriebe schätzen nicht nur die flexiblen Einsatzmöglichkeiten der selbst ausgebildeten und<br />
damit auch betrieblich spezialisierten Fachkräfte, sie gehen dadurch auch ein minderes Risiko<br />
bezüglich der Fehleinschätzung bei der Rekrutierung von externem Personal ein (vgl. Ebbinghaus<br />
und Ulmer, <strong>2009</strong>, S. 21; Walden et al., 2003, S. 45). Diese These wird desgleichen durch die<br />
Aussage des Leiters der Siemens AG Professional Education, Herrn Günther Hohlweg, im<br />
Interview mit dem f‐bb untermauert: „[…] Die Siemens AG hält das duale Ausbildungssystem für<br />
die zeitgemäße Form der Berufsausbildung und auch für die Zukunft entwicklungsfähig. […]<br />
1<br />
Die nun folgende Darstellung verzichtet zugunsten der besseren Lesbarkeit auf die sprachliche Differenzierung<br />
zwischen den Geschlechtern. Selbstverständlich sind stets sowohl Frauen als auch Männer angesprochen. [Anm. d.<br />
Verf.]<br />
2 Ähnliche Ergebnisse lieferten bereits in 2004 Beicht et al.
Benefits of <strong>VET</strong> 9<br />
Unternehmen bilden den eigenen Nachwuchs im Unternehmen aus und können ihn so frühzeitig<br />
auf die betrieblichen Belange vorbereiten. […] Die Einarbeitungszeit für die spätere Tätigkeit ist<br />
in die Ausbildungszeit integriert.“<br />
Ein weiteres Motiv von Unternehmen, in die eigene Ausbildung zu investieren, ist die<br />
demografische Entwicklung in <strong>Deutschland</strong>. Einerseits ist ein fortdauernder<br />
Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen, andererseits geht mit der zunehmenden Überalterung<br />
der Gesellschaft (2030 werden schätzungsweise knapp zehn Prozent mehr Menschen als heute<br />
das 65. Lebensjahr überschritten haben) ein Mangel an Fachkräften einher (vgl. Statistisches<br />
Bundesamt, 2006). Daraus könnte gefolgert werden, dass die Betriebe zur Qualifizierung von<br />
Fachkräften auf die duale Berufsausbildung zurückgreifen müssen, um sich dadurch ihren<br />
eigenen betrieblichen Nachwuchs zu sichern. Ausgehend von dieser These untersuchte Troltsch<br />
(2008) auf der Datenbasis des BIBB‐Ausbildungsmonitors von 2007, inwiefern die<br />
Ausbildungsbereitschaft von Betrieben am künftigen Fachkräftebedarf orientiert ist. 3 Die ersten<br />
Ergebnisse der Erhebung 4 zeigten, dass diejenigen Unternehmen, die in der Vergangenheit<br />
Fachkräfte mittleren Qualifikationsniveaus eingestellt hatten, tendenziell auch bereit dazu sind,<br />
Ausbildungsstellen anzubieten, um weiterhin ihren Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern zu<br />
decken. Des Weiteren belegten die Ergebnisse der Befragung, dass die Bereitschaft der Betriebe<br />
Ausbildungsplätze anzubieten, nicht durch die bisherige oder geplante Einstellung von (Fach‐)<br />
Hochschulabsolventen gemindert werden.<br />
Ähnliche Ergebnisse wie Troltsch gewann auch Ebbinghaus (<strong>2009</strong>) im Rahmen des<br />
Forschungsprojekts „Qualitätssicherung in der betrieblichen Berufsausbildung“ des<br />
Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). 5 Aus der Befragung ging hervor, dass die eigene<br />
Ausbildung für die Betriebe eines der wichtigsten Instrumente zur Deckung ihres<br />
Fachkräftebedarfs ist, insbesondere dann, wenn mit einer hohen Nachfrage nach qualifizierten<br />
Arbeitskräften gerechnet wird. Ist hingegen der erwartete betriebliche Bedarf eher gering,<br />
setzen sowohl Kleinstbetriebe als auch Großunternehmen auf das Mittel der Fort‐ und<br />
Weiterbildung des bestehenden Mitarbeiterpools. Hingegen wird die Deckung des künftigen<br />
Fachkräftebedarfs vielfach von den Betrieben weder durch die Einstellung von Hochschul‐ oder<br />
3<br />
Stichprobe: Telefonische Kontaktierung von 13 000 Betrieben, von denen 5 000 an der Untersuchung<br />
teilnahmen. Es wurden drei Erhebungswellen von TNS Infratest Sozialforschung im Jahr 2007 durchgeführt(vgl.<br />
Troltsch, 2008).<br />
4<br />
Die Gesamtergebnisse der BIBB Kosten‐ Nutzenerhebung 2007 werden zu Anfang des Jahres 2010<br />
veröffentlicht(vgl. Auskunft von Reinhold Weiß, Ständiger Vertreter des Präsidenten und Forschungsdirektor des<br />
Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zur Eröffnung der BIBB‐Fachtagung „Die Ausbildungsentscheidung von<br />
Betrieben: Ökonomische Forschungsansätze und Analysen" vom 23. bis 24.09.<strong>2009</strong> in Bonn.).<br />
5<br />
Stichprobe: Befragt wurden ca. 2 600 Betriebe, die in einem oder mehreren der Jahre 2005, 2006 oder 2007<br />
gemäß BBiG/HwO ausgebildet haben. Die Befragung erfolgte schriftlich‐postalisch mit einem standardisierten<br />
Fragebogen. Für weitere Informationen wird verwiesen an: Ebbinghaus, <strong>2009</strong>, S. 9‐18.
10 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
Fachhochschulabsolventen noch durch die Beschäftigung von Leiharbeitskräften anvisiert (vgl.<br />
Ebbinghaus, <strong>2009</strong>, S. 28). 6 Getreu der ersten Befunde der Betriebsbefragung des BIBB zu Kosten‐<br />
und Nutzen der betrieblichen Berufsausbildung von 2007 7 begründeten 84% der Betriebe ihre<br />
Bereitschaft zur Ausbildung damit, auf diese Weise den betrieblichen Anforderungen<br />
entsprechende Nachwuchskräfte zu qualifizieren. Weiterhin beurteilten 70% der ausbildenden<br />
Unternehmen die Option bei der Übernahme der eigenen Auszubildenden, ‚die Besten’<br />
auszuwählen, als ‚sehr wichtig’ bzw. ‚wichtig’. Als weitere wichtige Gründe für die<br />
betriebseigene Qualifikation wurden ebenso die Vermeidung des Risikos, Fehleinschätzungen<br />
bei der Personalwahl einzugehen und zu hohen Personalfluktuationen vorzubeugen, genannt<br />
(vgl. BIBB <strong>2009</strong>(a), S. 240). Diese Umfrageergebnisse bestätigte ebenfalls der Leiter der<br />
beruflichen Ausbildung der Knorr‐Bremse AG, Herr Josef Stanglmaier, in einem Interview mit<br />
dem Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f‐bb): „Fazit: Im System der dualen Ausbildung und<br />
bei Ausnutzung der Möglichkeiten hat ein nach dem dualen System ausbildendes Unternehmen<br />
im Anschluss an die Ausbildung genau den Mitarbeiter, den es braucht. […]“ (Loebe, Severing,<br />
2008, S. 182).<br />
In einer zwischen <strong>Deutschland</strong> und Großbritannien vergleichenden Studie zum<br />
Ausbildungsverhalten konnte Pilz (<strong>2009</strong>(a)) auf Basis von Betriebsbefragungen gleichfalls<br />
feststellen, dass in <strong>Deutschland</strong> die Kosten für die Ausbildungsbereitschaft nicht allein<br />
dominieren, sondern die gesicherte und langfristige Bindung gut qualifizierter Arbeitskräfte in<br />
Kombination mit einem gesellschaftlichen Anspruch, der erfüllt werden soll und zu<br />
Reputationsgewinnen führt, entscheidende Parameter sind.<br />
Die Kosten‐ und Nutzenabwägungen der Betriebe für die eigene Ausbildung<br />
In die Kosten‐ Nutzenabwägung der betrieblichen Berufsausbildung fließen auch Elemente<br />
mit ein, die nur bedingt quantifiziert werden können. Um im Folgenden die Überlegungen der<br />
Unternehmer und das Zusammenspiel von Investitions‐, Reputations‐ und<br />
6<br />
Ähnliche Ergebnisse lieferte bereits Walden et al. (2003) bei einer Befragung von ausbildenden und nicht‐<br />
ausbildenden Unternehmen im Jahr 2001. Danach stuften 70% der ausbildenden Betriebe die eigene gewerblich‐<br />
technische bzw. 52% die eigene kaufmännische Ausbildung in der künftigen Deckung ihres Qualifikationsbedarfs im<br />
Fachkräftebereich als ‚sehr wichtig’ bzw. ‚wichtig’ ein(vgl. ebd., S. 45).<br />
6<br />
Die Kosten‐ und Nutzenerhebung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) beruht auf der konzeptionellen<br />
Grundlage der Sachverständigenkommission von 1974. Insgesamt führte das BIBB vier Erhebungen in den Jahren<br />
1980, 1991, 2000 und 2007 durch. Im Jahr 2007 wurden Personal‐ und Ausbildungsverantwortliche in 2 986<br />
Ausbildungsbetrieben persönlich befragt. Untersucht wurden die 51 am stärksten besetzen Ausbildungsberufe in den<br />
Bereichen Industrie und Handel, Handwerk, öffentlicher Dienst, Landwirtschaft und den freien Berufen. Für weitere<br />
Informationen zur aktuellen Erhebung wird verwiesen auf: Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), <strong>2009</strong>(a).
Benefits of <strong>VET</strong> 11<br />
Kosteneinsparungsmotiv besser nachvollziehen zu können, sollen in Anlehnung an Beicht et al.<br />
(2004) die Ausbildungskosten dem Nutzen schematisch gegenübergestellt werden.<br />
Abbildung 1: Übersicht über die Kosten der betrieblichen Berufsausbildung für die<br />
Unternehmen 8<br />
Abbildung 2: Übersicht über den Nutzen der betrieblichen Berufsausbildung für die<br />
Unternehmen<br />
Erträge aus<br />
produktiven<br />
Personalkosten der<br />
Auszubildenden<br />
(Bruttojahresge‐<br />
hälter und<br />
gesetzliche sowie<br />
freiwillige<br />
Leistungen der<br />
Auszubildenden<br />
Sozialleistungen)<br />
Personalkosten des<br />
Ausbildungs‐personals<br />
(haupt‐ und<br />
nebenberufliche<br />
Ausbilder sowie externes<br />
Personal)<br />
(Eingesparte) Kosten<br />
für die Rekrutierung<br />
externer Fachkräfte<br />
(z.B. Bewerbungs‐<br />
verfahren inkl.<br />
Inserierungskosten,<br />
Personalkosten etc.)<br />
Kosten<br />
Anlage‐ und Sachkosten<br />
(Materialien für den<br />
Arbeitsplatz, die<br />
Lehrwerkstatt und den<br />
innerbetrieblichen<br />
Unterricht, z.B. auch<br />
Sonstige Kosten<br />
(z.B. Kammer‐<br />
gebühren, Kosten<br />
für externe Kurse<br />
8<br />
Beicht et al., (2004) bezogen in ihrer Untersuchung zwei verschiedene Wege zur Berechnung der<br />
Personalkosten für das Ausbildungspersonal mit ein: Kosten unter Ausschluss für Teilzeitausbildungspersonal und<br />
Kosten unter Berücksichtigung derselben. [Anm. d. Verf.]<br />
etc.)<br />
Erträge Leistungs‐<br />
Angebotsnutzen<br />
(Image des Betriebs)<br />
(Eingesparte)<br />
Ausfallkosten für<br />
Fachkräfteman‐gel<br />
und personelle<br />
Fehlentscheidungen<br />
unterschiede<br />
zwischen selbst<br />
ausgebildetem<br />
und externem<br />
Personal
12 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
Mittels des am Institut für Technik und Wirtschaft (ITB) der Universität Bremen von Felix<br />
Rauner et al. (2007) entwickelten Selbstevaluationsinstruments für Ausbildungsbetriebe<br />
„Qualität – Erträge – Kosten“ (QEK) wird aktuell den Unternehmen selbst ein Werkzeug an die<br />
Hand gegeben, das ihnen ermöglichen soll, die zentrale Kosten‐Nutzen‐ Frage sowie die Qualität<br />
ihrer betrieblichen Ausbildung aufzuschlüsseln. Das QEK‐ Instrument orientiert sich bei der<br />
Gegenüberstellung von Bruttokosten und Erträgen der Ausbildung an dem oben aufgeführten<br />
Verfahren nach Beicht et al. (2004). Durch den Einsatz des Selbstevaluationsinstruments<br />
„erkennen sie [die Betriebe], welche Verbesserungsmöglichkeiten hinsichtlich der Organisation<br />
und Gestaltung ihrer Ausbildung bestehen. Außerdem stellt das Instrument Durchschnittswerte<br />
zur Verfügung, damit die jeweiligen Betriebe feststellen können, wie sie […] hinsichtlich<br />
Kosten/Nutzen und Qualität ihrer Ausbildung abschneiden“ (Heinemann and Rauner, 2008, S.<br />
90). 9<br />
Im methodischen Rückgriff auf das QEK‐ Instrument erhob und bilanzierte Haasler (2008) die<br />
Kosten und Nutzen der betrieblichen Ausbildung der „Feintechnik GmbH“, einem kleinen<br />
nordrhein‐westfälischen Unternehmen mit sieben Auszubildenden. Die Erhebung zeigte, dass<br />
auch schon kleine und mittlere Unternehmen nicht nur qualitativ hochwertig, sondern auch<br />
kostendeckend ausbilden können. Demnach konnte das oben genannte Unternehmen über die<br />
gesamte Ausbildungsdauer hinweg einen Gewinn erwirtschaften, der sich auf etwa 2 000 €<br />
jährlich belief (vgl. Haasler, 2008, S. 168f.).<br />
Insgesamt gesehen, so die Bewertung von Wenzelmann et al. (<strong>2009</strong>) der ersten Ergebnisse<br />
der BIBB Kosten‐ und Nutzenerhebung 2007, bleibt festzuhalten, dass „Ausbildungsbetriebe in<br />
der Regel von der Ausbildung Jugendlicher profitieren. Zwar entstehen den Betrieben durch die<br />
Ausbildung vielfach Kosten, diese können aber durch die Übernahme und die damit<br />
eingesparten Personalgewinnungs‐ und Einarbeitungskosten neuer Fachkräfte und durch<br />
weniger gut messbare Faktoren, wie etwa Imagegewinn, kompensiert werden“ (Wenzelmann et<br />
al., <strong>2009</strong>, S.10).<br />
Ausbildungsbeteiligung als Imagegewinn<br />
Ausgehend von der oben zitierten Aussage ist es nicht verwunderlich, dass für viele<br />
Unternehmen bei der Ausbildungsbeteiligung nicht nur die Qualifizierung künftiger Fachkräfte<br />
im Vordergrund steht, sondern die Betriebe ebenfalls stark durch das Reputationsmotiv geleitet<br />
sind (vgl. Ebbinghaus, Ulmer, <strong>2009</strong>, S. 22).<br />
Je größer dabei ein Unternehmen ist, desto mehr errechnet es sich durch die Ausbildung<br />
eine Profilierung des Betriebsimages in der Öffentlichkeit, bei Kunden und Lieferanten sowie<br />
eine Steigerung der Attraktivität des Betriebs für leistungsfähige Arbeitskräfte(vgl. ebd.). Dies<br />
bestätigte ebenfalls Richard Hartmann, Ausbildungsleiter bei BASF SE, der durch die eigene<br />
9<br />
Für weitere Informationen zum QEK Forschungstool wird verwiesen auf: Rauner, 2007.<br />
Erste ausgewählte Ergebnisse zum Einsatz des Tools in der Forschungspraxis finden sich in Piening and Rauner 2008.
Benefits of <strong>VET</strong> 13<br />
betriebliche Ausbildung das Ansehen des Unternehmens am Arbeitsmarkt und in der<br />
Öffentlichkeit gestärkt sieht. 10<br />
Im direkten Vergleich dazu spielen reine Kostenüberlegungen im Sinne des<br />
Kosteneinsparungsmotivs eher eine untergeordnete Rolle. Im Allgemeinen sind es eher kleine<br />
Betriebe von einem bis neun Mitarbeiter, für die die Auszubildenden vor allem ein<br />
kostengünstiges Äquivalent zu regulären Arbeitskräften darstellen und demnach ein Ersatz für<br />
Hilfskräfte und Geringqualifizierte bzw. in geringem Ausmaß auch für Fachkräfte sind (Bellmann<br />
et al., 2007, S. 5, Ebbinghaus, <strong>2009</strong>, S. 25). Dies, so Bellmann, kann unter anderem durch die in<br />
Kleinbetrieben häufiger auftretenden Auftragsschwankungen begründet werden, sodass<br />
beispielsweise in Auftragsspitzen die Auszubildenden verschärft produktiv eingesetzt werden<br />
können.<br />
Überblick über die Nettokosten betrieblicher Ausbildung<br />
„Die Ausbildung ist für die Betriebe günstiger geworden und für viele Unternehmen mehr<br />
denn je eine lohnende Investition“ konstatiert Weiß, Vizepräsident des BIBB, anlässlich der BIBB‐<br />
Fachtagung „Die Ausbildungsentscheidung von Betrieben: Ökonomische Forschungsansätze und<br />
Analysen" (vgl. Wiedemann, <strong>2009</strong>) Weiß bezieht sich hier auf die ersten Daten der aktuellen<br />
Kosten‐ Nutzenerhebung des BIBB. Demgemäß belaufen sich die jährlichen Nettokosten der<br />
betrieblichen Ausbildung für das einzelne Unternehmen pro Auszubildendem auf 3596 €.<br />
Gegenüber der vorhergehenden BIBB Kosten‐ Nutzenanalyse von 2000 sind damit, begründet<br />
vor allem durch den erhöhten produktiven Einsatz der Auszubildenden, die<br />
Ausbildungsnettokosten für deutsche Unternehmen um 40% gesunken. Zwischen den einzelnen<br />
Betrieben ist hier jedoch eine hohe Varianz zu beobachten: „So erwirtschaften, auf <strong>Deutschland</strong><br />
hochgerechnet, etwa ein Drittel der Auszubildenden bereits während der Ausbildung<br />
Nettoerträge für ihren Betrieb, während für 10% der Auszubildenden die Nettokosten bei mehr<br />
als 15 000 Euro im Jahr liegen“ (Wenzelmann et al., <strong>2009</strong>, S. 3). Eine Erklärung für diese große<br />
Streuung sehen Wenzelmann et al. erstens in unterschiedlich hohen Gehältern in Ost‐ und<br />
Westdeutschland. Zweitens, so die Autoren, steigen auch mit der Größe des Betriebes die<br />
Nettokosten pro Auszubildendem an (z.B. wg. Beschäftigung hauptamtlichen<br />
Ausbildungspersonals). ‐ Eher überraschend scheint daher der mit wachsender Betriebsgröße<br />
zusammenhängende Anstieg der Zufriedenheit mit dem Kosten‐ Nutzenverhältnis der<br />
betrieblichen Ausbildung: 77% der Großbetriebe mit über 500 Mitarbeitern sind gemäß der BIBB<br />
Kosten‐ Nutzenerhebung 2007 ‚sehr zufrieden’ bzw. ‚zufrieden’ (vgl. ebd.). Eine dritte Erklärung<br />
für die hohe Varianz in den Ausbildungsnettokosten zwischen den einzelnen Betrieben sind die<br />
Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen. Während beispielsweise vor allem im<br />
Öffentlichen Dienst sowie in Industrie und Handel relativ hohe Ausbildungsnettokosten anfallen,<br />
sind diese in der Landwirtschaft, sowie auch im Hotel‐ und Gastgewerbe eher gering. Des<br />
10<br />
Vortrag von Herrn Dr. Richard Hartmann, BASF SE; in der BIBB‐Fachtagung „Die<br />
Ausbildungsentscheidung von Betrieben: Ökonomische Forschungsansätze und Analysen" vom 23.<br />
bis 24.09.<strong>2009</strong> in Bonn.
14 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
Weiteren sind die Kosten für Auszubildende, die zum Teil in Lehrwerkstätten ausgebildet<br />
werden, relativ hoch: „Die Bruttokosten betragen in diesem Fall durchschnittlich 20 063 Euro,<br />
während nur relativ geringe Erträge in Höhe von 6 890 Euro erwirtschaftet werden“<br />
(Wenzelmann et al., <strong>2009</strong>, S. 4).<br />
Wenzelmann et al. schlussfolgern, dass auch, wenn die Ausbildung und die daran<br />
anschließende Übernahme der betriebseigenen Absolventen „[…] keine zwingende<br />
Voraussetzung für eine positive Kosten‐Nutzenbilanz ist […]“, die Ausbildungsbetriebe meist von<br />
der Ausbildung junger Menschen profitieren (ebd., S. 10).<br />
Es kann daher aus den vorgestellten Untersuchungsergebnissen abgeleitet werden, dass<br />
eine Investition in die berufliche Bildung eine lukrative Investition für deutsche Betriebe sein<br />
kann, vor allem, wenn diese damit verbunden wird, den eigenen betrieblich qualifizierten<br />
Nachwuchs zu sichern. Die zunächst aufgewandten Kosten könnten sich darüber hinaus für den<br />
ausbildenden Betrieb noch weiter amortisieren, wenn über die Weiterbeschäftigung nach der<br />
Erstausbildung hinaus der Mitarbeiter innerhalb der beruflichen Weiterbildung zusätzlich<br />
qualifiziert und für die Anforderungen des Betriebes spezialisiert wird.<br />
Die subjektive Einschätzung der Unternehmen ist, dass die betriebliche Ausbildung sich<br />
wirtschaftlich lohnt: 60% der Betriebe sind mit dem Kosten‐ Nutzen‐ Verhältnis der Ausbildung<br />
‚sehr zufrieden’ bzw. ‚zufrieden’, nur 11% sind unzufrieden (vgl. ebd.).<br />
Mit dem Fokus auf den Vergleich der Nettokosten der betrieblichen Ausbildung zwischen<br />
<strong>Deutschland</strong> und der Schweiz wurden in einer aktuellen Studie von Dionisius et al. gegenwärtig<br />
Werte aus beiden Ländern gegenübergestellt 11 (vgl. Dionisius et al., 2008). Ausgehend von dem<br />
beträchtlichen Unterschied in den Nettokosten der betrieblichen Ausbildung, ‐ im Gegensatz zu<br />
deutschen Betrieben, welche durch die Ausbildungsbeteiligung jährlich Nettokosten von ca. 7<br />
528 € pro Auszubildendem 12 auf sich nehmen, erzielen schweizerische Unternehmen einen<br />
Ertrag von ca. 913 € ‐, gingen Dionisius et al. der Frage nach, welche Parameter diese Differenz<br />
beeinflussen und inwiefern eine Veränderung der Einflussgrößen Auswirkungen auf die<br />
Nettokosten der betrieblichen Ausbildung haben. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass der<br />
große Unterschied zwischen <strong>Deutschland</strong> und der Schweiz in den Nettokosten betrieblicher<br />
Ausbildung nicht allein auf strukturelle Differenzen zwischen beiden Ländern zurückgeführt<br />
11<br />
Für die Gegenüberstellung der Datensätze aus <strong>Deutschland</strong> und der Schweiz wurden aufseiten der<br />
Bruttokosten der Ausbildung die Personalkosten für Ausbildungspersonal und Auszubildende sowie Material‐ und<br />
Sachkosten miteingerechnet(vgl. Zusammensetzung der Bruttokosten der Ausbildung in Abb. 1). Aufseiten der<br />
Nettokosten wurden in der Aufbereitung der Daten lediglich die Erträge durch die produktiven Leistungen des<br />
Auszubildenden herangezogen (vgl. Dionisius et al. 2008, S. 4) [Anm. d. Verf.].<br />
12<br />
Die abweichenden Nettokosten der Studie von Dionisius et al. (2008) von denen der BIBB Kosten‐Nutzen‐<br />
Analyse (vgl. Kapitel 2.1.2.3) erklären sich durch unterschiedliche methodische Vorgehensweisen und Berechnungen<br />
(siehe vorherige Fußnote)
Benefits of <strong>VET</strong> 15<br />
werden kann: Die Erträge bei der Ausbildung junger Menschen fundieren vor allem auf dem<br />
weitaus größeren Anteil an produktiver Arbeit der Auszubildenden im Betrieb. Während<br />
deutsche Auszubildende im Betrieb etwa zu 57% produktive Arbeiten erledigen, beteiligen sich<br />
die Auszubildenden aus dem Nachbarland mit 83% ihrer Arbeitszeit an produktiven Tätigkeiten<br />
im Unternehmen (vgl. ebd., S. 7).<br />
In ihrer Studie simulierten Dionisius et al. darüber hinaus, inwiefern beispielsweise nach<br />
schweizerischem Vorbild eine Anhebung des Pensums an produktiver Arbeit der Auszubildenden<br />
im Betrieb die Nettokosten für deutsche Unternehmen senken würde. Zwar zeigten die<br />
Ergebnisse der Simulation, dass hierdurch sicherlich eine Kosteneinsparung zu erwarten wäre,<br />
jedoch schränken Dionisius et al. gleichzeitig ein, dass dies mit den Gegebenheiten am<br />
deutschen Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft nur schwer in die Praxis umzusetzen wäre: (vgl.<br />
ebd., S. 16f.) Warum deutsche Betriebe trotz anfallender Nettokosten dennoch auf die<br />
Ausbildung im dualen System setzen, versuchen Dionisius et al. in einem vorläufigen Fazit durch<br />
die höhere zukunftsgerichtete Investitionsstrategie deutscher Unternehmen zu begründen, da<br />
die Betriebe durch die Ausbildung junger Menschen den eigenen Bedarf an qualifizierten<br />
Fachkräften sichern wollen. Die Zahlen zur Mobilität junger Absolventen bestätigen diese<br />
Annahme, nach denen in der Schweiz nur etwa 36% der Jugendlichen nach der Ausbildung in<br />
ihrem Ausbildungsbetrieb bleiben, während die Hälfte der deutschen Absolventen eine<br />
Anstellung im ehemaligen Ausbildungsunternehmen erhält (vgl. ebd., S. 16). Fazit: Der Nutzen<br />
der Ausbildung für die Betriebe in der Schweiz ist bereits so gut, dass eine Übernahme nach der<br />
Ausbildung nicht notwendig ist.<br />
Exkurs: Aufwendungen der Betriebe für die berufliche Weiterbildung<br />
Obwohl der Schwerpunkt dieses Kapitels vorrangig auf den unternehmerischen Kosten und<br />
Nutzen der beruflichen Erstausbildung liegt (vgl. Kapitel 2.1), soll ein Blick auf die Tendenzen und<br />
Kosten der Weiterbildung aus Sicht der Betriebe nicht ganz ausbleiben.<br />
Wie bereits in Kapitel 2.1.2 angedeutet, wird davon ausgegangen, dass in Zukunft viele<br />
Unternehmen aufgrund der rasanten technologischen und strukturellen Entwicklung sowie des<br />
demografischen Wandelns vor der Herausforderung der Deckung ihres Fachkräftebedarfs stehen<br />
werden. Demgemäß gewinnt nicht nur die berufliche Erstausbildung, sondern auch das<br />
Lebenslange Lernen künftig mehr und mehr an Bedeutung. Übereinstimmend gehen nach einer<br />
repräsentativen Umfrage bei deutschen Unternehmen des Instituts der deutschen Wirtschaft<br />
Köln („IW‐ Weiterbildungserhebung 2005“) 56% der befragten Betriebe von einem steigenden<br />
Weiterbildungsbedarf aus. „Der wichtigste Antrieb für betriebliche Weiterbildung wird auch<br />
künftig ein konkret vorliegender Qualifizierungsbedarf für Mitarbeiter sein. Drei Viertel der<br />
befragten Unternehmen wollen ihre Weiterbildung daraufhin konzipieren. Dabei will mehr als<br />
jedes zweite Unternehmen Wünsche und Vorschläge der Mitarbeiter stärker berücksichtigen“<br />
(Werner, 2006, S. 14).<br />
Gemäß der IW‐ Weiterbildungserhebung 2005, welche bereits die fünfte Studie in Folge des<br />
IW zu den Trends sowie Kosten der beruflichen Weiterbildung bei deutschen Unternehmen ist,
16 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
waren im Geschäftsjahr 2004 hochgerechnet auf alle Betriebe in <strong>Deutschland</strong> 84,4% in der<br />
Weiterbildung ihrer Mitarbeiter aktiv. 13 Auffallend ist hier die mit der Betriebsgröße ansteigende<br />
Weiterbildungsbeteiligung der Unternehmen: So bildeten im Jahr 2004 93,2% der Unternehmen<br />
mit 500 und mehr Mitarbeitern weiter (vgl. ebd., S. 2f).<br />
Die Aufwendungen der Unternehmen je Mitarbeiter beliefen sich durchschnittlich auf 1 072<br />
Euro, wovon ein Drittel auf direkte Kosten, d.h. unmittelbare Ausgaben z.B. für<br />
Teilnahmegebühren oder Lern‐ und Arbeitsmittel und zwei Drittel auf indirekte Kosten<br />
(Opportunitätskosten) entfielen (vgl. ebd., S. 9f). „Dieser Wert liegt deutlich höher als der Wert<br />
von 869 Euro der vierten IW‐Weiterbildungserhebung für 2001, allerdings noch unter dem<br />
entsprechenden Wert der Erhebung für 1998, der bei 1128 Euro lag“ (ebd.). Im Gegensatz zum<br />
Erhebungsjahr 2001 investierten deutsche Unternehmen drei Jahre später vor allem in externe<br />
Lehrveranstaltungen, was zugleich zu einer Erhöhung der indirekten Kosten aufgrund der<br />
Freistellung der Mitarbeiter führte. Daneben intensivierte (und damit verteuerte) sich<br />
zunehmend das selbst gesteuerte Lernen mit Medien gegenüber 2001 (vgl. ebd., S. 11).<br />
Mit dem Blick in die Zukunft hoben die befragten Betriebe in der Untersuchung vor allem die<br />
Bedeutung der Eigeninitiative ihrer Mitarbeiter bezüglich der Weiterbildung, auch um ihre<br />
eigene Beschäftigungsfähigkeit zu sichern, hervor: Dem stimmten knapp 70% der Unternehmen<br />
zu (vgl. ebd., S. 17).<br />
Ausblick<br />
Zusammenfassend bietet somit die Aus‐ und Weiterbildungsbeteiligung vor allem mit Blick in<br />
die Zukunft für Betriebe eine Chance, von der sich durch Modernität, Flexibilität und<br />
Anpassungsfähigkeit auszeichnenden Struktur der deutschen beruflichen Bildung zu profitieren.<br />
In vertiefenden Analysen wird es nun darauf ankommen, nicht nur die Kosten‐Nutzen‐Frage<br />
sowie die Qualität der Ausbildung separat voneinander zu erforschen, sondern auch die Prozess‐<br />
und Outputqualität der Ausbildung sowie deren Planung, Gestaltung und Durchführung mit der<br />
tatsächlichen Ausbildungsbeteiligung in Bezug zu setzen. So könnte es in diesem Rahmen<br />
interessant sein danach zu fragen, ob oder inwiefern beispielsweise ein Zusammenhang<br />
13<br />
Zum Weiterbildungsbegriff des IW: „In der IW‐Weiterbildungserhebung wird traditionell ein weit gefasster<br />
Weiterbildungsbegriff zugrunde gelegt. Demzufolge zählen neben den klassischen organisierten<br />
Weiterbildungsveranstaltungen in Form externer und interner Seminare auch Informationsveranstaltungen,<br />
Umschulungen sowie arbeitsplatznahe und selbst gesteuerte Lernformen zur betrieblichen Weiterbildung. Relevant ist<br />
dabei ein beruflicher Bezug in Abgrenzung zur allgemeinen Weiterbildung. Neben formalisierter Weiterbildung<br />
werden auch die zunehmenden nicht‐formalen sowie intendierten informellen Lernprozesse berücksichtigt“ (ebd.,<br />
S.2).
Benefits of <strong>VET</strong> 17<br />
zwischen der Übernahmequote von Ausbildungsabsolventen und der Ausprägung der<br />
Betriebsspezifität der Ausbildung in deutschen Ausbildungsbetrieben besteht. 14<br />
2.2 Sozialer und gesellschaftlicher Nutzen<br />
Das deutsche duale Berufsausbildungssystem hat sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges<br />
trotz massiver Änderungen in Wirtschaft und Gesellschaft in hervorragender Weise immer<br />
wieder bewährt sowie auch qualitativ und quantitativ weiterentwickelt (vgl. Kremer, 2006)<br />
Demnach profitiert nicht nur das einzelne Unternehmen von dessen Leistungsfähigkeit,<br />
sondern auch die Gesamtgesellschaft.<br />
Das duale System im Wandel von Gesellschaft und Arbeitswelt<br />
Selbstverständlich bleibt auch die berufliche Bildung von weltwirtschaftlichen,<br />
technologischen und beschäftigungsstrukturellen Veränderungen nicht unberührt und versucht<br />
durch ihre Innovationskraft den neuen Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden.<br />
Als Beispiel ließe sich unter anderem der Beitrag des dualen Systems im Wiederaufbau<br />
<strong>Deutschland</strong>s nach dem Zweiten Weltkrieg nennen, das durch seine qualitativ hochwertige<br />
Erstausbildung und die darauf aufbauende fachliche Weiterbildung in den zwei Jahrzehnten der<br />
Nachkriegszeit den rasch steigenden Bedarf an qualifizierten Fachkräften weitgehend<br />
befriedigte. Weiterhin wurden vor allem in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts<br />
weitreichende Neuerungen innerhalb des dualen Systems vorgenommen, wie beispielsweise die<br />
„Stufenausbildung“, die die schrittweise Spezialisierung in den vorrangig breiter angelegten<br />
Berufsfeldern ermöglichte (vgl. Burkart, 2004, S. 208f.)<br />
Gegenwärtig kann nach Fulst‐Blei (2003) zunächst festgehalten werden, dass durch den<br />
oben beschriebenen strukturellen Wandel bedingt vor allem Tätigkeiten zunehmend entfallen<br />
werden, die keine oder nur eine geringe Qualifikation voraussetzen. Darüber hinaus werden<br />
allgemeinhin die Ansprüche an das Qualifikationsniveau der Beschäftigten steigen, von denen<br />
nicht nur eine optimale Kombination von fachlichen und sozialen Kompetenzen, Flexibilität und<br />
Anpassungsbereitschaft, aber auch die Bereitschaft zur Eigeninitiative und<br />
Verantwortungsübernahme erwartet werden (vgl. dazu auch ausführlich die Studie zum<br />
Qualifikationsbedarf bis 2020 im Auftrag der Bund‐Länder‐Kommission, Bonn 2007).<br />
Inwiefern das duale Berufsausbildungssystem auch dem momentanen Wandel der<br />
Gesellschaft und Arbeitswelt gerecht wird und somit auch zum sozialen Frieden beiträgt, soll<br />
anhand aktueller Forschungsaktivitäten in den folgenden Unterkapiteln erörtert werden.<br />
14 Zur „Breite“ der Berufsausbildung im dualen System, bzw. im Umkehrschluss deren „Betriebsspezifität“ vgl.<br />
auch Kapitel 2.2
18 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
Das deutsche Berufskonzept<br />
Traditionell bildet in <strong>Deutschland</strong> das Konstrukt des Berufskonzepts den Eckpfeiler des<br />
dualen Systems. Kloas (1997) benennt als Standards des deutschen Berufskonzepts 1. die<br />
qualifizierte Tätigkeit, d.h. die Vermittlung von Fach‐, Sozial‐, und Methodenkompetenz; 2. die<br />
Elastizität der breit angelegten beruflichen Basis; 3. die damit verbundene Transferfähigkeit von<br />
beruflicher Handlungsfähigkeit auf neue Situationen; 4. die Initialqualifikation und Kompetenz<br />
zum Weiterlernen; 5. die Mobilität gewährleistende Transparenz und bundesweite Anerkennung<br />
erworbener Kompetenzen und ferner 6. die Tarif‐ sowie sozialrechtliche Absicherung des<br />
Auszubildenden. Die Qualitätssicherung erfolgt einerseits über die Kontrolle des Outputs der<br />
beruflichen Ausbildung, welche durch die Kammerprüfung realisiert wird; andererseits wird die<br />
Input‐Seite durch die Ausbildereignungsprüfung, die gesetzlichen Anforderungen an die<br />
Ausbildungsbetriebe und die Ausbildungsordnung mit Ausbildungsrahmenlehrplan geregelt (vgl.<br />
Kloas, 1997, S. 22f.; Pilz <strong>2009</strong>(a); Deißinger, 2001, S. 17f.).<br />
Das Berufskonzept setzt auf anerkannte und institutionell geregelte Berufsabschlüsse, die<br />
„für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt<br />
notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche<br />
Handlungsfähigkeit) vermitteln […]“ (§ 1 Abs.3 BBiG). Diese Breite beruflicher Handlungsfähigkeit<br />
ermöglicht den Absolventen des dualen Systems nach ihrer Ausbildung, in mehreren<br />
Berufsfeldern eine Stelle zu finden. Die hohe Mobilität der Ausgebildeten zeigt sich ebenfalls in<br />
der vergleichsweise eher kurzen Verweildauer in Arbeitslosigkeit nach Abschluss einer<br />
Ausbildung im dualen System (vgl. Pilz, 2004, S. 184). Während ein Anteil von 22,9% der<br />
Jugendlichen nach Abschluss der Ausbildung noch etwa einen Monat lang arbeitslos ist, beträgt<br />
dieser acht Monate später nur noch 11% und liegt damit knapp unter der<br />
Jugendarbeitslosenquote von derzeit 11,2% (vgl. BIBB, <strong>2009</strong>(a), S. 189 und Eurostat, <strong>2009</strong>).<br />
Allerdings variiert die Arbeitslosenquote im Anschluss an die Ausbildung zwischen alten und<br />
neuen Bundesländern beträchtlich. Der Anteil der Arbeitslosen einen Monat nach erfolgreich<br />
abgeschlossener Ausbildung betrug 2003 in den neuen Ländern 37,7 % gegenüber 19,4 % in den<br />
alten Bundesländern, was vor allem auf die strukturellen ökonomischen Voraussetzungen<br />
Ostdeutschlands zurückzuführen ist (vgl. ebd.).<br />
Flexibilisierungs‐ und Modernisierungsmaßnahmen im Rahmen der Neuerungen des<br />
BBiG<br />
Mit der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) in den Jahren 2003/2005 sowie der<br />
jährlichen Modernisierung bestehender Berufsbilder und der Neuschaffung von<br />
Ausbildungsberufen versucht das deutsche berufliche Bildungssystem den immer komplexer und<br />
internationaler werdenden Anforderungen der Arbeitswelt Rechnung zu tragen.<br />
So ergeben sich durch die neuen Regelungen des BBiG mehr Möglichkeiten zur Kooperation<br />
zwischen einzelnen Betrieben einerseits und zwischen Unternehmen und beruflichen (vglollzeit‐)<br />
Schulen andererseits (vgl. Kremer, 2006, S. 30f.). Um mehr kleineren und mittleren Betrieben,
Benefits of <strong>VET</strong> 19<br />
die bisher nicht die vollen Rahmenbedingungen für die betriebliche Ausbildung erfüllten, die<br />
Möglichkeit zu geben, den Einstieg in die Ausbildungsbeteiligung und damit die Chance zur<br />
Qualifizierung des eigenen Fachkräftenachwuchses zu geben, können sich nach den neuen<br />
Regelungen des BBiG mehrere natürliche und juristische Personen, darunter auch<br />
berufsbildende Schulen, zu einem sogenannten Ausbildungsverbund zusammenschließen (vgl.<br />
ebd.).<br />
Darüber hinaus können Jugendliche nach einer entsprechenden gleichwertigen<br />
Berufsausbildung an der beruflichen Vollzeitschule zur sogenannten Kammerprüfung zugelassen<br />
werden.<br />
Auch vor der Einführung von Qualifizierungsbausteinen in der<br />
Berufsausbidlungsvorbereitung (vgl. Kapitel 2.2) wird eine Vielzahl an Vorteilen erwartet, „diese<br />
liegen beispielsweise in einer erhöhten Systemflexibilität (Wahlmodule in Ausbildungsberufen<br />
und beruflichen Fortbildungsgängen, Mehrfachverwendbarkeit einzelner Module für<br />
verschiedene Berufe und Zielgruppen), in einer Vereinfachung der Ordnungsarbeit […] und in der<br />
Chance, auf der Ebene von Modulen eher zu Entsprechungen/Anerkennungen von<br />
Teilqualifikationen zu gelangen als bei kompletten Berufsbildern […]“ (Kloas, 2006, S. 41).<br />
Darüber hinaus besteht die Hoffnung, insbesondere leistungsschwachen und sozial<br />
benachteiligten Jugendlichen, Teilqualifikationen zu zertifizieren, die ihnen bessere Chancen am<br />
Arbeitsmarkt ermöglichen sollen.<br />
Langfristig angelegte Untersuchungen über die Nutzung der neuen Möglichkeiten des BBiG<br />
durch alle Beteiligten und die Effizienz der aufgeführten Maßnahmen stehen noch aus. Inwiefern<br />
des Weiteren auf diese Weise eine annähernde Gleichwertigkeit der betrieblichen und<br />
schulischen Berufsausbildung erreicht werden kann, muss in Zukunft noch erörtert werden.<br />
So hält zwar Feller (2006) fest, dass viele berufliche Vollzeitschulen bereits von den neuen<br />
Möglichkeiten, die ihnen das BBiG bietet, profitieren sowie vorbildlich mit der Wirtschaft<br />
kooperieren und so zum Beispiel mit den Betrieben technische Geräte und Schulungen<br />
austauschen, jedoch kaum von einer flächendeckenden Verbreitung solcher Handlungsweisen<br />
gesprochen werden kann (vgl. Feller, 2006, S. 51).<br />
Qualifizierungsbausteine in der betrieblichen und schulischen<br />
Berufsausbildungsvorbereitung<br />
Beispielhaft soll an dieser Stelle auf Forschungsaktivitäten zum Einsatz von<br />
Qualifizierungsbausteinen in der betrieblichen sowie schulischen Berufsausbildungsvorbereitung<br />
eingegangen werden.<br />
Erste Erkenntnisse über den Umgang mit Qualifizierungsbausteinen liefert eine im Jahr 2004<br />
durchgeführte Studie des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), nach der über 80%<br />
der befragten Betriebe bereits die Qualifizierungsbausteine erfolgreich einsetzen (vgl. Kloas and<br />
Kramer, 2005, S. 15).
20 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
Während in anderen Branchen ein separiertes Nebeneinander verschiedener<br />
Qualifizierungsbausteine herrscht, entwickelte das Handwerk im Jahr 2003 etwa 100<br />
Qualifizierungsbausteine für die 17 meist frequentierten Handwerksberufe, welche seither<br />
bundesweit in der betrieblichen Einstiegsqualifizierung (EQJ) ihre Anwendung finden. Nach<br />
erfolgreicher Absolvierung erhalten die Jugendlichen ein betriebliches Zeugnis und ein Zertifikat<br />
der Handwerkskammer (vgl. ebd.).<br />
Die Evaluation des im schulischen Kontext stattfindenden Modellversuchs<br />
‚Qualifizierungsbausteine in der Ausbildungsvorbereitung’ (QUAV) des Landes Rheinland‐Pfalz<br />
lieferte im Jahr 2006 positive Beurteilungen bei Schülern und Lehrern. Das Konzept des QUAV ist<br />
in Rheinland‐Pfalz in das Berufsvorbereitungsjahr eingebettet und soll vor allem Schüler mit<br />
besonderem Förderbedarf darin unterstützen, einen Ausbildungsplatz zu erwerben (vgl.<br />
Hörmann, 2006, S. 37). Eine erste Erhebung zeigte, dass mehr als die Hälfte der ursprünglich aus<br />
Haupt‐ sowie Förderschulen stammenden Schülerschaft die Prüfung zum Qualifizierungsbaustein<br />
mit Erfolg absolvierte. Etwa 90% der Schüler bejahten sowohl die Aussage, an der Arbeit mit<br />
dem Qualifizierungsbaustein Spaß gehabt zu haben, als auch darüber hinaus etwas dazugelernt<br />
zu haben. Aus Sicht der Lehrkräfte wurden unter anderem eine erhöhte Motivation und ein<br />
Zuwachs an sozialen Kompetenzen bescheinigt (vgl. ebd., S. 39). Letztendlich bleibt dennoch<br />
festzuhalten, dass aktuell vor allem umfassende, d.h. branchen‐ und länderübergreifende<br />
Evaluationsergebnisse zum Einsatz und zur Bewährung der Qualifizierungsbausteine noch<br />
ausstehen. Von besonderem Interesse wäre hierbei, inwiefern den Jugendlichen durch die<br />
Qualifizierungsbausteine tatsächlich die Aufnahme einer Ausbildung im dualen System<br />
erleichtert wird und die absolvierten Bausteine auch zeitlich angerechnet werden.<br />
Das Programm “JOBSTARTER CONNECT”<br />
Die oben beschriebenen „Qualifizierungsbausteine“ in der beruflichen<br />
Ausbildungsvorbereitung sind von den sogenannten Ausbildungsbausteinen (ABBS) im Rahmen<br />
des Programms JOBSTARTER CONNECT wie folgt zu unterscheiden: Während das Ziel im Rahmen<br />
der Qualifizierungsbausteine ist, durch die Vermittlung von Grundlagen an eine<br />
Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf heranzuführen (vgl. § 1, Abs. 2 BBiG),<br />
fokussiert JOBSTARTER CONNECT durch den Einsatz der Ausbildungsbausteine<br />
ausbildungsfähigen, aber marktbenachteiligten Jugendlichen eine Berufsausbildung in einem<br />
anerkannten Ausbildungsberuf zu ermöglichen (vgl. BMBF, <strong>2009</strong>(a)).<br />
Gemäß der Definition des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sind<br />
Ausbildungsbausteine „[…] abgegrenzte und bundesweit standardisierte Einheiten innerhalb der<br />
Gesamtstruktur eines Ausbildungsberufsbildes. […] Ausbildungsbausteine bilden insgesamt die<br />
relevanten berufstypischen und einsatzgebietsüblichen Arbeits‐ und Geschäftsprozesse ab, die<br />
das berufliche Handeln der ausgebildeten Fachkräfte in ihrer Gesamtheit maßgeblich bestimmen<br />
und die didaktisch (als Lernprozess sinnvoll) abgebildet werden können. Ausbildungsbausteine<br />
entstehen aus einer Reformulierung und inhaltlichen Zusammenführung der geltenden<br />
Ordnungsmittel: Ausbildungsrahmenplan und Rahmenlehrplan. Die einzelnen ABBS entstehen<br />
aus einem ganzheitlichen Ausbildungsberufsbild, umgekehrt repräsentieren sie in ihrer
Benefits of <strong>VET</strong> 21<br />
Gesamtheit die Einheit des Berufsbildes und bilden die Berufsbildpositionen vollständig ab“<br />
(BMBF, <strong>2009</strong>(a)).<br />
Bisher liegen für 14 Berufsausbildungen Ausbildungsbausteine zur modellhaften Erprobung<br />
vor, die innerhalb 27 ausgewählter Projekte der ersten Förderrunde seit dem 1. April <strong>2009</strong> ihren<br />
Weg in die Praxis fanden. Aktuelle Forschungsergebnisse zur Akzeptanz der<br />
Ausbildungsbausteine am Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft und durch die Jugendlichen selbst<br />
stehen bisher noch aus (vgl. Pilz <strong>2009</strong>(b), S. 163).<br />
Berufliche Bildung als soziales Aufstiegsmittel<br />
Die betrieblich verankerte Berufsausbildung „eröffnet Menschen aus allen gesellschaftlichen<br />
Gruppen die Chance auf Beschäftigung als qualifizierte Fachkraft und schafft damit eine wichtige<br />
Grundlage für soziale Integration und gesellschaftliche Teilhabe“ (Kremer, 2008(a), S. 2).<br />
Allerdings können in den letzten Jahren durch die enorm angestiegene Zahl an Absolventen aus<br />
allgemein bildenden Schulen, einer tendenziell schwierigen Wirtschaftslage und dem daraus<br />
resultierenden eingeschränkten Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen immer weniger<br />
Jugendliche von dieser Chance profitieren (vgl. Weber, 2008, S. 190)<br />
Durch die Schaffung eines sogenannten Übergangssystems sollen diejenigen Schüler<br />
aufgefangen werden, die nach der allgemeinbildenden Schule keinen Ausbildungsplatz erhalten.<br />
Die Zielgruppe solcher Maßnahmen sind vor allem die als benachteiligt geltenden Jugendlichen<br />
mit oder ohne Hauptschulabschluss sowie in der Regel leistungsschwache Schüler mit mittlerem<br />
Bildungsabschluss.<br />
Soziale Integration benachteiligter Jugendlicher<br />
Obwohl es für die Aufnahme einer Ausbildung im dualen System keine formalen<br />
Zugangsvoraussetzungen gibt, erlangen immer weniger benachteiligte junge Menschen die<br />
Möglichkeit, eine entsprechende Ausbildung zu absolvieren. Zu dieser Zielgruppe zählen vor<br />
allem Jugendliche mit oder ohne Hauptschulabschluss, Abgänger aus<br />
Sonderschulen/Förderschulen für Lernbehinderte (unabhängig vom erreichten Schulabschluss),<br />
jedoch aber auch immer mehr leistungsschwächere Schulabgänger mit mittlerem<br />
Bildungsabschluss. Als sozial benachteiligt gelten des Weiteren junge Menschen, die nach<br />
Feststellung des Psychologischen Dienstes verhaltensgestört sind, Legastheniker, ehemals<br />
drogenabhängige Jugendliche, strafentlassene und strafgefangene Jugendliche sowie aber auch<br />
junge Menschen mit Migrationshintergrund (vgl. § 211 SGB III).<br />
Wie bereits in den Vorjahren bestätigen die Daten des Bildungsberichts(vgl. Autorengruppe<br />
Bildungsberichterstattung, 2008) für das Jahr 2008, dass im dualen System annähernd zwei<br />
Drittel der Ausbildungsplätze mit Absolventen mit mittlerem oder höherem Schulabschluss<br />
besetzt waren und nur noch etwa ein Drittel von Schülern mit und ohne Hauptschulabschluss<br />
eingenommen wurden (vgl. ebd., S. 158) Diese Einmündungsquoten zeigen, so die<br />
Autorengruppe, „[…] dass das duale System eine seiner traditionell großen Stärken, Kinder aus
22 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
den bildungsschwächeren Gruppen durch Ausbildung beruflich zu integrieren, tendenziell<br />
einbüßt“ (ebd.).<br />
Beicht et al. (2008(b)) werfen jedoch ein, dass diese Problematik auch hinsichtlich der<br />
Integrationskraft anderer Systeme, vor allem des Schulberufssystems, beleuchtet werden müsse,<br />
und halten fest, dass „obwohl dieses System [das Schulberufssystem] [Anm. d. Verf.] deutlich<br />
weniger von wirtschaftskonjunkturellen Schwankungen abhängig ist, […] [und] sein Beitrag zur<br />
Integration der ‚Schwächeren’ weitgehend [ausbleibt]“. (Beicht et al. 2008(b), S. 308). Die<br />
Aufnahme vollqualifizierender schulischer Bildungsgänge ist formal oft an den<br />
Hauptschulabschluss oder Mittleren Schulabschluss gebunden. Darüber hinaus sind diese<br />
Bildungsgänge stärker im tertiären Sektor verortet und richten sich damit tendenziell eher an ein<br />
höheres Anforderungsprofil (vgl. ebd., S. 308f.). Beicht et al., (2008(b)) bringen demzufolge zum<br />
Ausdruck, dass prinzipiell „die Frage im Raum stehe“, warum in der Vergangenheit das<br />
Schulberufssystem nicht stärker in die Verantwortung gezogen wurde, sich an der Ausbildung<br />
‚benachteiligter’ Jugendlicher zu beteiligen (vgl. ebd.) 15<br />
Als ein möglicher Ansatz zur Verbesserung der Beteiligungsmöglichkeiten von Hauptschülern<br />
im dualen System wird die Einführung von zweijährigen Ausbildungsberufen diskutiert. In einer<br />
Studie im Bereich der Metall‐ und Elektroindustrie untersuchte Weber (2008) u.a. mittels<br />
Experteninterviews mit Ausbildungsverantwortlichen aus 25 Betrieben in Bayern, die im Jahr<br />
2004 innerhalb von zwei Jahren Jugendliche zum Maschinen‐ und Anlageführer im Bereich<br />
Metall‐ und Kunststofftechnik ausgebildet haben, inwiefern diese Ausbildung Jugendlichen mit<br />
Integrationsschwierigkeiten neue Chancen eröffnet (vgl. Weber, 2008, S. 194). Die Ergebnisse<br />
der Studie zeigten, „[…] dass im Vergleich zu den dreieinhalbjährigen Ausbildungsberufen im<br />
Metallbereich überdurchschnittlich viele Jugendliche mit Hauptschulabschluss [mündeten]“<br />
(Ebd., S. 195.). Darüber hinaus verlief auch die Integration der Absolventen an zweiter Schwelle<br />
durchaus positiv: 78% der ausgebildeten Maschinen‐ und Anlageführer wurden von den<br />
Betrieben direkt übernommen oder setzen ihre Ausbildung in einem Anschlussberuf fort. Dessen<br />
ungeachtet muss jedoch auch festgehalten werden, dass einige (leistungsschwächere)<br />
Auszubildende enorme Schwierigkeiten hatten, dem Unterricht in den heterogen<br />
zusammengesetzten Berufsschulklassen zu folgen. Demgemäß fordert auch Weber (2008) in<br />
seinem Fazit, für die als benachteiligt geltenden Jugendlichen mehr zielgruppenspezifische Lehr‐<br />
Lernkonzepte und Unterstützungsmaßnahmen im schulischen Teil der Ausbildung anzubieten<br />
(vgl. ebd., S. 197).<br />
Über die Notwendigkeit differenzierter pädagogischer Förderkonzepte hinaus fordert<br />
Molzberger (<strong>2009</strong>) institutionelle Reformansätze in der Integration benachteiligter Jugendlicher,<br />
die sich auch in den Europäisierungsmaßnahmen der beruflichen Bildung(vgl. Kapitel zu<br />
European Trends) implementieren ließen. Demgemäß sei, nach Molzberger, eine Ausrichtung<br />
der Anerkennung der Kompetenzen, sei es durch den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR)<br />
oder das Europäische Leistungspunktesystem (EC<strong>VET</strong>), die sich primär an den Interessen des<br />
15 Zu den beruflichen Vollzeitschulen vgl. auch Kapitel 2.2.4.2
Benefits of <strong>VET</strong> 23<br />
Arbeitsmarktes orientieren und nicht die individuellen Neigungen und Entwicklungspotenziale<br />
der Lernenden berücksichtigen, […] „gerade für sozial benachteiligte Jugendliche<br />
kontraproduktiv“ (Molzberger, <strong>2009</strong>, S. 159).<br />
Molzberger lässt folglich die Frage für künftige Studien offen, ob und inwiefern die neuen<br />
europäischen Instrumente tatsächlich verbesserte Anerkennungsmöglichkeiten für formale<br />
Bildungsabschlüsse für diejenigen eröffnen, die bisher im Bildungssystem benachteiligt waren<br />
(vgl. ebd., S. 160).<br />
Gesellschaftliches Ansehen der deutschen beruflichen Bildung<br />
Die deutsche berufliche Bildung und insbesondere das duale System der Berufsausbildung<br />
erfahren europaweit große Beachtung. Nicht ohne Grund werden in Großbritannien seit langem<br />
die Strukturen und die Funktionsweise des deutschen Berufsausbildungssystems aufmerksam<br />
registriert. Demnach, so Deißinger (2001), sei es ebenfalls nicht verwunderlich, „[…] wenn in der<br />
jüngeren Vergangenheit das deutsche System der Berufsbildung („modèle allemand“) immer<br />
wieder als Modell für die Weiterentwicklung des französischen Ausbildungssystems angesehen<br />
wurde“ (Deißinger, 2001, S. 22f.). Großbritannien sowie Frankreich ist in erster Linie die Tatsache<br />
gemein, dass die Ausbildung bzw. die eigentliche „Lehre“ in Schule und Betrieb nur einen<br />
marginalen Teil der Berufsbildung ausmacht. So ist beispielsweise in Frankreich das<br />
Berufsbildungswesen überwiegend über die rein schulische Lernform organisiert. Darüber hinaus<br />
ist der Gang des beruflichen Bildungsweges eher keine „Wahl“ seitens des französischen<br />
Schülers, für den dieser tendenziell eine minderwertigere Möglichkeit ist, weil er unter<br />
Umständen im höherwertigen allgemeinbildenden (Hoch‐)Schulsystem keinen Platz gefunden<br />
hat. Des Weiteren erfahren Absolventen beruflicher Bildungsgänge am Arbeitsmarkt eher<br />
Ressentiments seitens der Betriebe, die eher die „allgemeineren“ Zertifikate den „spezielleren“<br />
vorziehen (vgl. ebd., S. 28f.; Lauer, 2003, S. 5f.).<br />
Das deutsche duale System der Berufsausbildung wird jedoch nicht nur im Ausland hoch<br />
geschätzt, sondern innerhalb <strong>Deutschland</strong>s auch immer mehr von Schülern mit<br />
Hochschulzugangsberechtigung als ertragreiche Alternative oder Vorlauf zu einem Studium<br />
gewürdigt und nachgefragt.<br />
„Highpotentials“ im dualen System der Berufsausbildung<br />
Im Zusammenhang der Übergangsforschung gab es bisher verhältnismäßig wenig Studien<br />
darüber, warum Schüler mit (Fach‐) Hochschulabschluss, als so genannte Highpotentials, sich<br />
nach erfolgreichem Abitur (zunächst) gegen die Aufnahme eines Studiums und für die berufliche<br />
Ausbildung im dualen System entscheiden. Daher befragte Pilz (2008) im Zeitraum 2002/2003<br />
mittels Fragebögen 517 Auszubildende mit Hochschulzugangsberechtigung aus dem Banken‐<br />
und Versicherungssektor nach ihren Entscheidungsmotiven für eine Lehre (vgl. Pilz, 2008, S.<br />
224f.). Die zentralen Ergebnisse der Untersuchung zeigten u.a., dass sich Nichtstudierende bei<br />
Beginn der Ausbildung erhofften, möglichst viel und rasch Geld zu verdienen (85,9%) und<br />
darüber hinaus sich gute Aufstiegsmöglichkeiten mittels entsprechender Weiterbildung
24 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
ausrechneten (68,8%). Daneben wurde vor allem der hohe Praxisbezug innerhalb der Lehre von<br />
knapp 80% der befragten Abiturienten ohne Studierabsicht honoriert (vgl. ebd., S. 228f.). Die<br />
erhofften Erträge aus einer Ausbildung im dualen System bestätigen sich auch für einen Großteil<br />
der Absolventen in der retroperspektivischen Bewertung ihrer Lehre: Demgemäß stimmen 96%<br />
der jungen Menschen zu, die nach ihrer Ausbildung noch ein Studium angeschlossen hatten,<br />
dass sie „während der Ausbildung die Praxis der Arbeitswelt kennen lernen [konnten], was für<br />
ein Studium von Vorteil ist“ (ebd., S. 240). Des Weiteren verneinen sogar 95% der sogenannten<br />
Doppelqualifizierten, dass die Ausbildung verschwendete Zeit gewesen sei, und fühlen sich zum<br />
Großteil durch die Ausbildung in ihrer Persönlichkeit und Berufswahlorientierung gereift (vgl.<br />
ebd.).<br />
Schüler mit Studierberechtigung schätzen jedoch nicht nur die betriebliche Ausbildung, denn<br />
daneben entscheiden sich ca. 22% der Abiturienten auch für einen berufsqualifizierenden<br />
Bildungsgang an einer Berufsfachschule (vgl. Hall and Schade, 2005, S. 25).<br />
Existente Forschungsdesiderate z.B. hinsichtlich der langfristigen Karriereerfolge von additiv<br />
doppelqualifizierten Personen (Ausbildung plus Studium) ergeben sich hier insbesondere vor<br />
dem Hintergrund, dass in der deutschen Diskussion einerseits die Gefahr der Verdrängung von<br />
Haupt‐ und Realschülern durch Hochschulzugangsberechtigte thematisiert wird, auf der anderen<br />
Seite die Abiturienten im Berufsausbildungssystem dieses aber gerade auch in seiner Qualität<br />
stützen, die Reputation fördern und das Ausbildungssystem in neu entstehende Berufsbereiche<br />
mit hohen qualifikatorischen Anforderungen öffnen.<br />
Der Stellenwert der beruflichen Vollzeitschulen<br />
Der Stellenwert der beruflichen Vollzeitschulen im deutschen Berufsbildungssystem wird in<br />
aktuellen Forschungsbeiträgen durchaus unterschiedlich bewertet.<br />
Einerseits zeigen beispielsweise Hall und Schade (2005) anhand der Daten des Mikrozensus<br />
2003, dass die Erwerbslosenrate unter Absolventen des dualen Systems um 2,5% höher ist als<br />
die ehemaliger Berufsfachschüler. Dies lässt sich, so die Autoren, vor allem auf den großen Anteil<br />
(78,1%) an sach‐ und personenbezogenen Dienstleistungsberufen in berufsfachschulischen<br />
Bildungsgängen zurückführen. Während die Beschäftigungsaussichten im für die betriebliche<br />
Ausbildung markanten Bereich der gewerblich‐ technischen Berufe aufgrund des<br />
gesamtwirtschaftlichen Wandels tendenziell schrumpfen, ist die Erwerbslosenrate von Personen,<br />
die im Dienstleistungsbereich ausgebildet wurden, eher gering (vgl. ebd., S. 25).<br />
Andererseits wurden seit jeher, so Feller (2005), schulische Berufsbildungsgänge im<br />
Gegensatz zum dualen System „[…] eher halbherzig betrieben und im Ganzen nicht weiter<br />
thematisiert, eher benachteiligt, bis zur Tabuisierung aus Respekt vor dem dualen System und<br />
aus Angst um seine Existenz. […] In den Köpfen setzte sich speziell bei kaufmännischen<br />
Ausbildungen, obwohl mit Berufsabschlussprüfung und –bezeichnung versehen, das Bild fest,<br />
dass schulische Berufsausbildung nicht vollwertig sei für den Einstieg in einen adäquaten Beruf.“<br />
(Feller. 2005, S. 18).
Benefits of <strong>VET</strong> 25<br />
Wie bereits im vorherigen Kapitel angedeutet, bleibt an dieser Stelle für künftige<br />
Forschungsaktivitäten die Frage offen, inwiefern von den Neuerungen im BBiG eine in Richtung<br />
Gleichwertigkeit gerichtete Verschmelzung der verschiedenen Segmente der Berufsbildung<br />
(duales System, Berufsfachschulen, Schulen des Gesundheits‐ und Sozialwesens sowie<br />
Beamtenausbildung) erwartet werden kann und wie dadurch auch die Bekanntheit und<br />
Akzeptanz der schulischen Berufsausbildung in Gesellschaft und Wirtschaft gefördert wird.<br />
2.3 Volkswirtschaftlicher Nutzen<br />
Die Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft beruht zu einem<br />
wesentlichen Teil auf der Leistungsfähigkeit der beruflich qualifizierten Fachkräfte und damit<br />
auch auf dem Potenzial der beruflichen Bildung (vgl. Kremer, 2008(b)). Die gut ausgebaute<br />
Berufsbildung gilt als eine der Stärken des deutschen Bildungssystems. Sie wurde vor allem in<br />
den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts als einer der Schlüssel für die<br />
erfolgreiche ökonomische Entwicklung der Bundesrepublik betrachtet (vgl. Pechar, 2006, S. 111).<br />
So trägt auch nach wie vor das System der beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong> dazu bei, sich<br />
nicht nur den sektoralen Veränderungen in der Wirtschaft anzupassen, sondern auch den<br />
strukturellen Veränderungen auf der Nachfrageseite des Ausbildungsmarktes nachzukommen.<br />
Vermeidung von Friktion durch die berufliche Bildung<br />
Die betriebliche Ausbildung im dualen System, welche einerseits den Jugendlichen einen<br />
arbeitsplatznahen Erwerb praktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten ermöglicht und andererseits<br />
zugleich durch das schulische Curriculum betriebs‐ und branchenübergreifende Lerninhalte<br />
sicherstellt, bietet den Absolventen eine breite, nicht ausschließlich betriebsspezifische und<br />
daher „marktverwertbare“ Ausbildung (vgl. ebd., S. 112f.).<br />
In mancher Hinsicht der Humankapitaltheorie widersprechend, welche u.a. davon ausgeht,<br />
dass die Ausbildungsbereitschaft von Betrieben vor allem der Theorie nach an einer rein<br />
firmenspezifischen und nicht am Arbeitsmarkt verwertbaren Ausbildung ausrichtet sein müsste,<br />
beteiligen sich deutsche Betriebe dennoch an der Ausbildung junger Menschen, da sie<br />
beispielsweise durch innerbetriebliche Karriereleitern das Abwandern der eigenen<br />
Auszubildenden verhindern und so längerfristig von deren Qualifizierung profitieren.<br />
Gangl (2003) zeigte anhand vergleichender empirischer Analysen auf der Basis der Daten<br />
von 12 europäischen Ländern, dass „[…] ein höheres Bildungsniveau und berufliche<br />
Spezialisierung dazu beitragen, Arbeitslosigkeit und gering qualifizierte Beschäftigung zu<br />
vermeiden“ (Gangl, 2003, S. 72). Die Ergebnisse seiner Studie belegten, dass im allgemeinen die<br />
duale Ausbildung durch ihre Kombination von beruflicher Qualifizierung und konkreter<br />
Arbeitserfahrung die Arbeitslosigkeitsrisiken minimieren(vgl. ebd., S. 73) und folglich am<br />
Arbeitsmarkt entsprechend geschätzt werden.<br />
Dieser positive Effekt der Ausbildung im dualen System trägt ebenfalls dazu bei, dass die<br />
Jugendarbeitslosigkeit in <strong>Deutschland</strong> mit einer Quote von 11,2% in Mitte <strong>2009</strong> im Vergleich zum
26 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
EU‐Durchschnitt von 19,5% oder etwa Spanien (36,9%) und Frankreich (23,9%) eher gering<br />
ausfällt (vgl. Eurostat, <strong>2009</strong>).<br />
Bei Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen dualem System und Arbeitsmarkt stellt<br />
sich an dieser Stelle die Frage, inwiefern die eher hohe Rate an gelösten Ausbildungsverträgen<br />
im dualen System in <strong>Deutschland</strong> negative Folgen auf die beruflichen Perspektiven der<br />
Jugendlichen hat bzw. ob dadurch jungen Menschen der Weg in die Erwerbstätigkeit<br />
verschlossen bleibt.<br />
Um unter anderem Auskünfte über den Verbleib von Auszubildenden nach der<br />
Vertragslösung zu erhalten, befragte das BIBB im Herbst 2002 mittels Fragebögen über 2 000<br />
Jugendliche, die im Ausbildungsjahr 2001/2002 einen Ausbildungsvertrag aufgelöst hatten.<br />
Zunächst bleibt als Ausgangspunkt der Studie festzuhalten, dass in der Zeit von 1997 bis 2000 die<br />
Zahl der Vertragslösungen in der betrieblichen Berufsausbildung kontinuierlich anstieg. Im<br />
Erhebungsjahr 2001 der Studie stagnierte diese zwar im Vergleich zum Vorjahr, dennoch betrug<br />
die Quote, bezogen auf die Anzahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge, 24,7% und<br />
betraf damit etwa jeden vierten Vertrag (vgl. Schöngen, 2003, S. 35). Der überwiegende Teil der<br />
Vertragslösungen erfolgte bereits im ersten Ausbildungsjahr, davon knapp zur Hälfte bereits in<br />
der Probezeit. Die Gründe für die Vertragslösungen sind sowohl aufseiten der Auszubildenden<br />
als auch auf der der Betriebe vielschichtig: 46% der befragten Jugendlichen erwähnten<br />
persönliche Gründe (Gesundheit oder auch familiäre Veränderungen). Des Weiteren gab etwa<br />
jeder Dritte Gründe im Bereich Berufswahl und beruflicher Orientierung an (vgl. ebd., S. 36). „Bei<br />
den betrieblichen Gründen für Vertragslösungen dominierten eindeutig Konflikte mit Ausbildern<br />
oder Betriebsinhabern (rund 60 % der Befragten). Ein vergleichsweise hoher Anteil (43 %)<br />
nannte die schlechte Vermittlung von Ausbildungsinhalten.“ (Ebd.)<br />
Die Ergebnisse der BIBB‐Studie wiesen jedoch nach, dass die Lösung eines<br />
Ausbildungsvertrags für die Mehrheit der Jugendlichen nicht die Einstellung weiterer<br />
Bildungsbemühungen bedeutet und damit einen „endgültigen Ausschluss“ aus dem<br />
Arbeitsmarkt nach sich zieht. Auch wenn die vorzeitige Lösung eines Ausbildungsvertrages<br />
meistens einen (kurzzeitigen) Rückschlag in der Berufsbiografie der Jugendlichen zur Folge hat,<br />
begann doch die Hälfte der befragten Jugendlichen erneut eine betriebliche Berufsausbildung im<br />
dualen System. Des Weiteren wechselten „fast 9 % […] in eine Ausbildung an einer<br />
Berufsfachschule oder orientierten sich auf ein Studium […]. Damit befanden sich fast zwei<br />
Drittel der Befragten (62 %) nach Lösung ihres Ausbildungsvertrags weiter im Bildungssystem. In<br />
eine Erwerbstätigkeit gingen 9 % der Befragten. Arbeitslos nach der Vertragslösung wurden 17 %<br />
[…]“ (Ebd., S. 36).<br />
Die Zahlen belegen, dass eine vorzeitige Vertragslösung nicht immer eine persönliche<br />
„Katastrophe“ bedeuten muss. In vielen Fällen ist sie eine sinnvolle berufliche Umorientierung,<br />
insbesondere wenn der Beruf/ Betrieb nicht den Vorstellungen oder den Ansprüchen an die<br />
Qualität der Ausbildung entspricht. Dennoch muss konstatiert werden, dass hier<br />
bildungsökonomisch eine Ressourcenvergeudung vorliegt, die durch geeignete Instrumente wie<br />
verbesserte Berufsberatung und stärkere Individualbetreuung (z.B. Fallmanagement,
Benefits of <strong>VET</strong> 27<br />
Stützungsangebote) minimiert werden sollte. Hierzu sind weitere Modellversuche und<br />
Forschungsvorhaben vorzuschlagen.<br />
Schöngen (2003) hält in seinem Fazit zur BIBB Studie fest, dass beispielsweise für diejenigen<br />
Jugendlichen, die zum Zeitpunkt ihrer Vertragslösung höchstens einen Hauptschulabschluss<br />
vorweisen konnten, die Situation am Ausbildungs‐ und Arbeitsmarkt eher problematisch ist und<br />
weil „[…] die Kommunikations‐ und Konfliktfähigkeit auf beiden Seiten [Betriebe und<br />
Auszubildende] [Anm. d. Verf.] unzureichend entwickelt ist und ein erheblicher Nachholbedarf<br />
an professionellem Ausbildungsmanagement, einschlägigen Schulungen, Mediation und<br />
Ausbildungscoaching besteht“ (ebd., S. 38).<br />
Sicherung von Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit durch Anpassungsleistungen des<br />
dualen Systems<br />
In <strong>2009</strong> gab es insgesamt 340 staatlich anerkannte Ausbildungsberufe; davon wurden im<br />
Zeitraum von 1996 bis <strong>2009</strong> 82 neue Ausbildungsberufe entwickelt und 219 modernisiert (vgl.<br />
BIBB, <strong>2009</strong>(b)). Die Sozialpartner sind in diesen Prozessen von Anfang an beteiligt. So fließen<br />
insbesondere die Qualifikationsanforderungen aus Sicht der Unternehmen mit ein. Damit trägt<br />
das duale System dazu bei, die Jugendlichen in der Ausbildung angemessen auf die dem<br />
ständigen Wandel unterworfene Arbeitswelt vorzubereiten.<br />
Wie schon in Kapitel 2.2 angesprochen, wird durch die Vermittlung einer gewissen Breite an<br />
Kenntnissen und Fähigkeiten innerhalb des Ausbildungsberufes den Absolventen des dualen<br />
Systems zu Zeiten branchenabhängiger Krisen die Chance eingeräumt, auch auf anderen<br />
Teilarbeitsmärkten eine Stelle zu finden (vgl. Pilz, 2004).<br />
Seit den 80er‐Jahren des letzten Jahrhunderts nimmt der Anteil der im Dienstleistungssektor<br />
Beschäftigten stetig zu. Betrug Anfang der 1990er Jahre der Anteil der im tertiären Sektor<br />
Berufstätigen noch 59,5%, stieg dieser in 2007 auf 72,3% an (vgl. Statistisches Bundesamt,<br />
2008(a), S. 115).<br />
Uhly (2007) ging der Frage nach, „[…]inwieweit [sich] die berufsstrukturellen Entwicklungen<br />
in der Beschäftigung auch in der dualen Ausbildung widerspiegeln“ (Uhly, 2007, S. 219). Die<br />
Ergebnisse der Studie belegen, dass, obwohl lediglich etwa ein Drittel der staatlich anerkannten<br />
Ausbildungsberufe dem Dienstleistungsberuf zugeordnet werden kann, seit 1996 die Anzahl der<br />
hier neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge im dualen System stetig ansteigt. In den<br />
Dienstleistungsberufen fanden sich im Jahr 2005 knapp 57% aller Neuabschlüsse, gegenüber<br />
etwa 43% in den produktionsorientierten Berufen (vgl. ebd., S. 221).<br />
Ulrich (2008) kommt in seiner Studie zu ähnlichen Ergebnissen und bestätigt den stetigen<br />
Rückgang der Ausbildungsplätze in den Fertigungsberufen und hier vor allem in den Bauberufen,<br />
deren Umfang sich zwischen 1994 und 2005 etwa halbierte (vgl. Ulrich, 2008, S. 23f.).<br />
Des Weiteren wird ein Rückgang der im Handwerk abgeschlossenen Lehrverträge von 1995<br />
38,7% auf 2007 28,7% verzeichnet. Diese Zahlen widerlegen, so Ulrich, die noch 2004 von vielen
28 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
Forschern vertretene These, dass das duale System zu starr im Bereich der Produktion verhaftet<br />
sei und sich mittel‐ bis langfristig auf den Handwerkssektor konzentrieren würde.<br />
Somit ist festzuhalten, dass die duale Ausbildung deutlich mit der gesamtwirtschaftlichen<br />
Entwicklung Schritt hält und somit „in der Dienstleistungs‐ und Wissensgesellschaft<br />
angekommen ist“ (Walden, 2007, S. 45). Eine weitere Tendenz in der Entwicklung des dualen<br />
Systems der Berufsausbildung zeigt sich unter anderem darin, dass am deutlichsten Jugendliche<br />
mit Studienberechtigung von den neu geschaffenen Ausbildungsberufen profitiert haben.<br />
Gemessen an der schulischen Vorbildung der Auszubildenden ist ein Höherqualifizierungstrend<br />
zu beobachten (vgl. ebd., S. 243). Ein Grund dafür könnte das steigende Anforderungsniveau in<br />
den Ausbildungsberufen sein. 97% der 2005 im BIBB‐Expertenmonitor befragten Ausbilder und<br />
Lehrer gaben an, dass die Komplexität der Berufswelt in den letzten 15 Jahren gestiegen sei. 93%<br />
der Experten bestätigten auch, dass das erwartete Leistungsniveau der Betriebe an die Bewerber<br />
zugenommen habe (vgl. Ulrich, 2008, S. 27). Diese Veränderungen auf der Angebotsseite wirken<br />
sich auch auf die Übergangschancen der Jugendlichen in die betriebliche Ausbildung aus, eine<br />
Vielzahl von Jugendlichen bleibt ohne Ausbildung, da ihre Einstiegsqualifikation im Wettbewerb<br />
um die Berufsausbildung nicht ausreicht.<br />
Schlussfolgernd bleibt es als Forschungsfrage, aber auch als grundlegende praktische<br />
Gestaltungsaufgabe offen, wie der durch den demografischen Wandel erwartete Bedarf an<br />
qualifizierten Fachkräften unter Einbezug der sich ändernden ökonomischen Bedingungen<br />
gedeckt werden kann. Es ist zu klären, wie beispielsweise benachteiligte, lernbeeinträchtige<br />
Jugendliche am Wandel zur Wissensgesellschaft besser teilhaben können und wie unter<br />
anderem die neuen Maßnahmen des BBiG hier greifen.<br />
Europäisierungstrends in der beruflichen Bildung<br />
Die aktuellen bildungspolitischen Neuerungen im Bereich der beruflichen Bildung, welche als<br />
Antwort auf die fortschreitende Internationalisierung des Arbeitsmarktes gesehen werden<br />
können, gehen vor allem vom Vertrag von Lissabon der Europäischen Union aus. 16 Ein Hauptziel<br />
des Vertrages ist die Schaffung von mehr qualifizierter Beschäftigung in Europa. Demgemäß<br />
sollen eine Reihe an Leistungsdefiziten der nationalen (Berufs‐) Bildungssysteme abgebaut<br />
werden. Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen hier unter anderem die wechselseitige<br />
Abschottung der Bildungssysteme und die damit verbundene Undurchsichtigkeit der beruflichen<br />
Bildungsabschlüsse in Europa, die als Wachstumshindernis gilt (vgl. Severing, 2006, S. 16).<br />
Das gemeinsame bildungspolitische Programm der EU will erstens mit der Anerkennung und<br />
Transparenz von Qualifikationen, zweitens durch die EU‐weite Qualitätssicherung der<br />
beruflichen Bildung und drittens mittels einheitlicher Referenzen zur Einordnung von<br />
Bildungsabschlüssen die Wettbewerbsfähigkeit und Dynamik des europäischen<br />
Wirtschaftsraums stärken.<br />
16 Für weitere Informationen wird verwiesen auf: Webportal der Europäischen Union, <strong>2009</strong>.
Benefits of <strong>VET</strong> 29<br />
Im Rahmen des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) sollen in Zukunft auch auf<br />
europäischer Ebene die Qualität und Vergleichbarkeit von beruflicher Bildung gesichert werden<br />
(vgl. Frommberger et al., 2008, S. 5f.). Den Teilnehmern beruflicher Bildung in <strong>Deutschland</strong><br />
sollen durch den EQR folgende Chancen ermöglicht werden: Einerseits wird ihnen die Bildungs‐<br />
und Arbeitsmarktmobilität in Europa durch die Transparenz der Bildungsinhalte und Abschlüsse<br />
erleichtert; andererseits wird auch die Durchlässigkeit innerhalb der nationalen<br />
Bildungssysteme, also zwischen allgemeinbildenden, beruflichen und hochschulischen<br />
Bildungssystemen gefördert, d.h., Teilqualifikationen können besser anerkannt werden; darüber<br />
hinaus wird durch die europaweite Anerkennung von (Teil‐) Qualifikationen und Abschlüssen<br />
auch das lebenslange Lernen ausgebaut (vgl. Kuda and Stauß, 2008).<br />
Es wird in Zukunft Aufgabe der Berufsbildungsforschung sein zu untersuchen, wie sich die<br />
europäischen Anerkennungs‐ und Transparenzinstrumente auf nationale Zertifizierungssysteme<br />
auswirken, d.h., inwiefern sie zur Mobilität der Teilnehmer und damit zu einem einheitlichen<br />
europäischen Arbeitsmarkt beitragen oder inwiefern vielleicht sogar eine Inkompatibilität<br />
verschiedener Bewertungs‐ und Zertifizierungsschemata die Mobilität und Flexibilität eher<br />
hemmt.<br />
Ein weiterer Schritt zu einer europäischen Öffnung wurde in 2004 im BBiG durch die<br />
Möglichkeit, zeitlich begrenzte Abschnitte der Berufsausbildung auch im Ausland zu absolvieren,<br />
verankert. „Damit wird der Auslandsaufenthalt rechtlich als Teil der Berufsausbildung behandelt,<br />
sofern er dem Ausbildungsziel dient. […] Da der Auslandsabschnitt in diesen Fällen das<br />
Ausbildungsverhältnis nicht unterbricht, erübrigen sich zusätzliche Regelungen etwa zur<br />
Vergütungspflicht, zur Annerkennung der im Ausland erworbenen Fertigkeiten, Kenntnisse und<br />
Fähigkeiten oder zum Status als Auszubildender hinsichtlich sozialversicherungs‐ und<br />
steuerrechtlicher Fragen“ (Sondermann, 2005, S. 6).<br />
In <strong>Deutschland</strong> hat seither die Zahl der beantragten und bewilligten Auslandsaufenthalte im<br />
Rahmen des Einzelprogramms Leonardo da Vinci 17 im Vergleich zu den Vorjahren erheblich<br />
zugenommen. Allein in der Erstausbildung hat sich die Anzahl der Auszubildenden und<br />
Berufsschüler, die einen Teil ihrer Ausbildung im Ausland absolvieren, gegenüber 2001 mehr als<br />
verdoppelt (vgl. BIBB, <strong>2009</strong>(a), S. 307).<br />
Zusammenfassend bleibt für alle dargestellten Maßnahmen im Rahmen einer europäischen<br />
Öffnung der beruflichen Bildung in Europa festzuhalten, dass langfristige Studien bezüglich der<br />
Wechselwirkungen mit der volkswirtschaftlichen Entwicklung bisher ausstehen.<br />
Bildungsökonomische Dimensionen<br />
Zuletzt ist im Rahmen der Analyse des volkswirtschaftlichen Nutzens auch auf die<br />
bildungsökonomischen Vorteile der beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong> hinzuweisen. Die<br />
<strong>2009</strong>.<br />
17 Für weitere Informationen zum Leonardo da Vinci Programm wird verwiesen auf: Europäische Kommission,
30 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
Ökonomie als Bezugsdisziplin der Bildungsforschung gewinnt zu Zeiten, in denen „knappe<br />
Ressourcen möglichst effizient und effektiv wie auch gerecht“ (Hummelsheim and Timmermann,<br />
<strong>2009</strong>, S. 93) für Bildungszwecke eingesetzt werden müssen, immer mehr an Bedeutung. Die<br />
Bildungsökonomie nimmt an, dass sich der Wohlstand eines Landes vom eingesetzten Kapital,<br />
von der Zahl der Erwerbstätigen und deren Lebens‐ sowie Jahresarbeitszeit sowie von der<br />
Arbeitsproduktivität der Erwerbstätigen, folglich von deren Qualifikation, abhängig ist (vgl.<br />
Klemm, <strong>2009</strong>, S. 21).<br />
„Arbeitsproduktivität lässt sich auf dreierlei Weise erhöhen ‐ durch eine Steigerung der<br />
Qualifikation der Erwerbstätigen, durch eine qualitative Verbesserung des eingesetzten Kapitals<br />
(z.B. der eingesetzten Maschinen) sowie durch eine Optimierung beim Zusammenwirken der<br />
einzelnen Produktionsfaktoren, etwa des Zusammenwirkens der Erwerbstätigen untereinander<br />
[…]. Verbesserungen in allen drei Bereichen erfordern einen Vorlauf in Bildung und<br />
Qualifikation“ (ebd.).<br />
Die Investition in Bildung dient in der modernen Wissensgesellschaft somit nicht nur dem<br />
Einzelnen, sondern auch der gesamten Volkswirtschaft eines Landes.<br />
Die Bildungsausgaben des Staates und die Ressourcenverteilung<br />
In den letzten Jahren wurde seitens der Kultusministerien der Länder eine Reihe von<br />
Reformmaßnahmen im Schulbereich eingeleitet, die die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems<br />
erhöhen sollten. Damit einhergehend sollen einerseits die Bildungsbereiche an die<br />
Anforderungen der globalisierten Wissensgesellschaft angepasst werden, andererseits soll der<br />
demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung getragen werden. In erster Linie<br />
kann davon ausgegangen werden, dass diese Maßnahmen zu höheren Staatsausgaben führen<br />
(vgl. Statistisches Bundesamt, 2008(b), S. 34). So gab der Staat im Jahr 2005 für allgemein‐<br />
bildende und berufliche Schulen 50,2 Mrd. Euro aus. Das waren rund 0,2 % mehr als im Vorjahr<br />
oder 12,8 % mehr als im Jahre 1995 (vgl. ebd.). Allerdings bestehen enorme Differenzen<br />
zwischen den einzelnen Bundesländern: Während beispielsweise in Mecklenburg‐Vorpommern,<br />
Brandenburg und Thüringen die Bildungsausgaben von 1995 auf 2005 um 15% und mehr<br />
reduziert wurden, steigerten sowohl Nordrhein‐Westfalen als auch Baden‐Württemberg ihre<br />
Aufwendungen innerhalb der angegebenen 10 Jahre um 23,7% bzw. 26,3%. (vgl. ebd., S. 36).<br />
Diese regionalen Differenzen können einerseits auf den Rückgang der Schülerzahlen und<br />
andererseits auf die zunehmende Verschuldung der öffentlichen Haushalte der Länder<br />
zurückgeführt werden.<br />
Im internationalen Vergleich betrugen in 2005, gemäß OECD, in <strong>Deutschland</strong> die Ausgaben<br />
für Bildungseinrichtungen in öffentlicher und privater Trägerschaft insgesamt 115,2 Mrd. €, was<br />
einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 5,2% entspricht. Damit liegt <strong>Deutschland</strong> unter<br />
dem OECD‐ Durchschnitt von 5,7%. Island (8,0%), die USA (7,4%) und Korea (7,2%) nehmen<br />
bezüglich ihrer Bildungsausgaben die Spitzenpositionen ein (vgl. Hummelsheim and<br />
Timmermann, <strong>2009</strong>, S. 122f.). Diese Zahlen sind jedoch nicht ohne Einschränkungen zu<br />
betrachten, da die OECD in ihren Berechnungen beispielsweise weder die Aufwendungen für die
Benefits of <strong>VET</strong> 31<br />
Weiterbildung(vgl. Kapitel 2.3.4.2), noch die aus‐ und weiterbildungsrelevanten Zuschüsse der<br />
Bundesagentur für Arbeit berücksichtigt (vgl. Klemm, <strong>2009</strong>, S. 18). Darüber hinaus fallen zum<br />
Beispiel in <strong>Deutschland</strong> durch den im dualen System stattfindenden Teilzeitunterricht in der<br />
Berufsschule folglich weniger Kosten an, als in Ländern mit vorwiegend, oder ausschließlich,<br />
schulisch organisierter Berufsbildung.<br />
Aufwendungen im Bereich der beruflichen Bildung<br />
Der Anteil der öffentlichen Ausgaben für berufsbildende Schulen lag mit 3500€ pro Schüler<br />
in 2005 unter dem Durchschnitt der Ausgaben für die schulische Bildung der Sekundarstufe I und<br />
II in Höhe von 4 700 € 18 (vgl. Statistisches Bundesamt, 2008(a), S. 57).<br />
Die auf den im Rahmen des dualen Systems stattfindenden Teilzeitunterricht<br />
zurückführenden geringeren Ausgaben von 2200€ je Schüler stehen den überdurchschnittlich<br />
hohen Aufwendungen für die rein schulische Berufsbildung von 4250€ in 2005 gegenüber. Die<br />
betriebliche Berufsausbildung wird in <strong>Deutschland</strong> vornehmlich durch die ausbildenden<br />
Unternehmen selbst finanziert. Darüber hinaus werden die Betriebe unter anderem durch den<br />
öffentlichen Haushalt mit teil‐ oder vollsubventionierten Ausbildungsplätzen unterstützt (vgl.<br />
Hummelsheim; Timmermann, <strong>2009</strong>, S. 121).<br />
Neben der beruflichen Erstausbildung stellt das Lebenslange Lernen eine wichtige<br />
Voraussetzung hinsichtlich der Bewältigung der technischen, wirtschaftlichen, demografischen<br />
und gesellschaftlichen Veränderungen dar. Demgemäß ist die berufliche Weiterbildung ein<br />
wesentlicher Bestandteil des lebenslangen Lernens (vgl. Pütz, 2005, S.2).<br />
An der Finanzierung beruflicher Weiterbildung sind die Betriebe, der Staat, die öffentliche<br />
Hand (Bund, Länder und Gemeinden), die Bundesagentur für Arbeit, die Europäische Union,<br />
Gewerkschaften, Kammern, Betriebe, Dachorganisationen, Verbände und nicht zuletzt das<br />
Individuum selbst beteiligt (vgl. Expertenkommission „Finanzierung Lebenslanges Lernen“, 2004)<br />
Allerdings stehen bisher detaillierte Aufschlüsselungen der Finanzierung aus: „Der aktuelle<br />
Finanzmix hat sich historisch entwickelt, differenzierte sich nach Zielgruppen und Trägern<br />
vielfältig aus und ist vergleichsweise intransparent, da verlässliche Daten über<br />
Finanzierungsvolumina lediglich trägerselektiv, abgrenzungsheterogen und zeitlich unregelmäßig<br />
verfügbar sind“ (ebd., S.82).<br />
Gemäß der Berechnungen von Klemm (<strong>2009</strong>) auf Basis der Daten des Statistischen<br />
Bundesamtes betrugen die Ausgaben der öffentlichen Hand zur Förderung der betrieblichen<br />
Weiterbildung sowie auch der Unterstützung einzelner Teilnehmer an<br />
Weiterbildungsmaßnahmen (siehe unten) in 2005 etwa 14Mrd. Euro und damit 0,6% des BIS.<br />
18<br />
Die Angaben beziehen sich auf die durchschnittlichen Ausgaben pro Schüler innerhalb eines Jahres und<br />
beinhalten Personalkosten (darunter Lehrer, aber auch Verwaltungspersonal), Sachaufwand und Investitionen. [Anm.<br />
d. Verf.]
32 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
So fördern nach SGB III (Drittes Buch Sozialgesetzbuch) die Arbeitsagenturen die berufliche<br />
Weiterbildung des Einzelnen nach vorheriger Beratung durch sogenannte „Bildungsgutscheine“,<br />
wenn die Weiterbildungsmaßnahme für die weitere berufliche Karriere des Einzelnen<br />
erforderlich ist, bzw. insbesondere dann, wenn diese zur beruflichen Integration oder zur<br />
Vermeidung drohender Arbeitslosigkeit dienlich ist. Diese Aufwendungen zur Förderung von<br />
Teilnehmern an Weiterbildungsmaßnahmen betrugen 2005 1,3Mrd. Euro und damit 0,1% des<br />
BIS.<br />
Nach Forderungen der Expertenkommission „Finanzierung Lebenslanges Lernen“ (2004)<br />
kann, im Zuge des Wandels zu einer Wissensgesellschaft und dem damit verbundenen<br />
gestiegenen Lern‐ und Qualifikationsbedarf der Menschen, jedoch nicht nur einseitig die<br />
Erhöhung der Bildungsausgaben seitens des Staates beansprucht werden und verlangt darüber<br />
hinaus auch einen höheren Ressourceneinsatz von den Individuen selbst.<br />
2.4 Individueller Nutzen der Teilnehmer<br />
Nachdem in den vorangegangen Kapiteln eher auf die von der Berufsbildung mit<br />
beeinflussten Bereichen eingegangen worden ist, sollen schließlich die aktuellen<br />
Forschungsergebnisse, insbesondere zu den Vorteilen der beruflichen Bildung, aus Sicht der<br />
Teilnehmenden beleuchtet werden.<br />
Beiträge zu Fragen der Sicherung eines attraktiven Bildungsweges<br />
Auf nationaler Ebene sorgen in der beruflichen Bildung die Ausbildungsordnungen und<br />
(Rahmen‐) Lehrpläne sowie später die rechtliche Zertifizierung der Bildungsgänge im Rahmen<br />
der geregelten Fortbildung für einen einheitlichen Standard. Die Rechtstitel in der beruflichen<br />
Bildung sichern den Inhabern unbedingte Rechte auf bestimmte weiterführende Qualifikationen<br />
im Bildungssystem selbst sowie bedingte Rechte im Beschäftigungssystem als Voraussetzung für<br />
die Bewerbung auf bestimmte Positionen (vgl. Severing, 2006, S. 22).<br />
Wie schon in Kapitel 2.2.2.2 angedeutet, soll durch die Einführung von<br />
Qualifizierungsbausteinen in der beruflichen Bildung ebenfalls die Anerkennung von<br />
Teilqualifikationen normiert werden. Dadurch sollen die Übergänge in die Ausbildung und später<br />
in die Erwerbstätigkeit für junge Erwachsene erleichtert werden, unter anderem auch, weil<br />
Qualifizierungsbausteine durch ihre berufsübergreifende Verwendbarkeit eine Verzahnung mit<br />
der Weiterbildung erleichtern (vgl. Zeller, 2008, S. 145).<br />
Berufliche Weiterbildung<br />
Vor dem Hintergrund des technischen Fortschritts, der strukturellen Veränderung der<br />
Wirtschaft und des demografischen Wandels wird von einer ansteigenden Wichtigkeit der<br />
beruflichen Weiterbildung ausgegangen (vgl. Bellmann and Leber, 2005).<br />
Innovative Technologien, neue Produkte und Produktionsprozesse „verkürzen die<br />
Halbwertszeit des Wissens“ (ebd.) und machen damit eine ständige Angleichung des Wissens
Benefits of <strong>VET</strong> 33<br />
sowie der beruflichen Fähigkeiten und Fertigkeiten für den Einzelnen erforderlich (vgl. auch<br />
Kapitel 2.3.).<br />
„Es ist heute unbestritten, dass dem lebenslangen Lernen eine wichtige Bedeutung<br />
zukommt. Als ein besonderes Ziel des kontinuierlichen Lernens wird es dabei angesehen, dass es<br />
zu einem Abbau sozialer Ungleichheit beitragen soll“ (ebd., S. 14).<br />
In <strong>Deutschland</strong> sind die Studien des BIBB, des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln, des<br />
Betriebspanels des Instituts für Arbeitsmarkt‐ und Berufsforschung und der europäischen<br />
Betriebsbefragungen Continuing Vocational Training Survey (CVTS) die wichtigsten<br />
Informationsquellen in der betrieblichen Weiterbildung (vgl. ebd.).<br />
Da im Rahmen dieses Berichts nicht die gesamte Bandbreite an Erhebungen präsentiert<br />
werden kann, bezieht sich die folgende Darstellung vorrangig auf die Studien des BIBB, welche<br />
bereits in einschlägigen vertiefenden Analysen zur beruflichen Weiterbildung in <strong>Deutschland</strong> als<br />
Datenbasis herangezogen wurden (vgl. z.B. Hartmann, 2008).<br />
Im Mittelpunkt der BIBB‐Studie „Kosten und Nutzen beruflicher Weiterbildung“ stand die<br />
Zielsetzung, die direkten und indirekten Kosten formeller und informeller<br />
Weiterbildungsmaßnahmen, an denen Personen im Laufe eines Jahres (2002/2003)<br />
teilgenommen hatten, den Nutzenaspekten gegenüberzustellen, um so auch Motive für die<br />
Weiterbildungsbeteiligung auszumachen (vgl. Beicht et al., 2006).<br />
Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass die individuellen Motive beruflicher Weiterbildung<br />
vor allem in der persönlichen Weiterentwicklung und Kompetenzerweiterung liegen (vgl. ebd., S.<br />
7). Die Hälfte der befragten Weiterbildungsteilnehmer erachtete es als ‚sehr wichtig’, sich durch<br />
die Weiterbildung an neue Tätigkeitsanforderungen anzupassen. Weitere Beweggründe zur<br />
Weiterbildung lagen in der Hoffnung, auf diese Weise mehr Sicherheit vor Arbeitsplatzverlust zu<br />
erreichen sowie evtl. ein höheres Gehalt beziehen zu können. Der tatsächliche Nutzen wurde<br />
von mehr als der Hälfte der Weiterbildungsteilnehmer als sehr hoch eingeschätzt. Des Weiteren<br />
gab etwa ein Viertel der Befragten an, dass der Nutzen deutlich höher als der Aufwand war. Nur<br />
etwa 9% bemessen den Nutzen im Vergleich zu den Investitionen an Zeit und Geld negativ (vgl.<br />
ebd, S. 8).<br />
Zur Beschreibung der Entwicklung betrieblicher Weiterbildungsbeteiligung in <strong>Deutschland</strong><br />
liegen aktuell keine eindeutigen Ergebnisse vor, da der zugrunde gelegte Weiterbildungsbegriff<br />
je nach Forschungsinstitution variiert. „So kommen Analysen auf der Grundlage von Daten des<br />
IAB‐ Betriebspanels, in denen ein eher enger Weiterbildungsbegriff zugrunde gelegt wird, für<br />
den Zeitraum ab 2001 eher zu einer Steigerung der betrieblichen Weiterbildungsbeteiligung“<br />
(Walden, in BIBB, <strong>2009</strong>(a), S. 243). Die Weiterbildungsbeteiligung gemäß IAB lag im Jahr 2005 bei<br />
43%, dagegen lag diese nach Daten des CVTS im selben Jahr bei 69% (vgl. BIBB, <strong>2009</strong>(a), S. 235).<br />
Folglich sollen im Rahmen dieses Berichts vertiefende Darstellungen über Teilnahmequoten<br />
und Teilnahmestunden an Weiterbildungs‐veranstaltungen aufgrund intransparenter Datenlage
34 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
ausbleiben. Ein kurzer Einblick in die Weiterbildungsbeteiligung von deutschen Unternehmen<br />
wurde bereits in Kapitel 2.1 gegeben.<br />
Allerdings bleibt hinsichtlich der individuellen Beteiligung des Arbeitnehmers an<br />
Weiterbildungsmaßnahmen dennoch anzumerken, dass hier nicht von uneingeschränkten<br />
Zugangsmöglichkeiten und Voraussetzungen ausgegangen werden kann. So geben<br />
Hummelsheim und Timmermann (<strong>2009</strong>) zu bedenken, dass „[…] größere gesellschaftliche<br />
Gruppen […] [den erhöhten Aufwand an] [Anm. d. Verf.] Motivation, Zeit und Geld nicht leisten<br />
[können], da die Ressourcenausstattung zwischen den gesellschaftlichen Gruppen ungleich<br />
verteilt ist.“ (Hummelsheim and Timmermann, <strong>2009</strong>, S. 129).<br />
Arens und Quinke (2003) halten bei der Betrachtung, welche Determinanten die Bereitschaft<br />
des Einzelnen in Bildung zu investieren fest, dass neben soziodemografischen Faktoren, (vgl.<br />
Schiersmann, 2007, S. 153) vor allem die Investitionsbereitschaft der privaten Haushalte für die<br />
(Weiter‐) Bildungsbeteiligung entscheidend ist. So nahmen im Jahr 2003 bundesweit lediglich<br />
43% der un‐ oder angelernten Arbeiter gegenüber 79% der leitenden Angestellten an informeller<br />
beruflicher Weiterbildung teil (Arens und Quinke, 2003).<br />
Denn obwohl Unternehmen und Staat im Rahmen der Finanzierung beruflicher<br />
Weiterbildung einen erheblichen monetären Anteil tragen, liegt die finanzielle Hauptlast<br />
dennoch mit 38 % bei den einzelnen Weiterbildungsteilnehmern selbst (vgl. Beicht et al., 2005,<br />
S. 264 und Kapitel 2.1 und Kapitel 2.3).<br />
Anerkennung von informell erworbener Bildung<br />
Wie bereits in Kapitel 2.3.3 angedeutet wurde, sollen aktuelle Europäisierungstrends in der<br />
beruflichen Bildung in erster Linie dazu beitragen, die Transparenz und gegenseitige<br />
Anerkennung beruflicher Bildungsabschlüsse in Europa zu verbessern. Jedoch sollen sich<br />
europäische sowie nationale Qualifizierungsraster in Zukunft nicht nur auf formale Abschlüsse 19<br />
und quantitativen Lerninput konzentrieren, „[...] sondern auf Kompetenzen – unabhängig von<br />
Art und Umfang ihres Erwerbs. Damit steht informeller Kompetenzerwerb gleichrangig neben<br />
Kompetenzerwerb als Ergebnis formalisierter Bildungsprozesse“ (Schopf, 2006, S. 200).<br />
In <strong>Deutschland</strong> ist die Anerkennung informellen Lernens, im Gegensatz beispielsweise zu<br />
Großbritannien, Frankreich oder auch Finnland, eher begrenzt (vgl. ebd., S. 202).<br />
Als Beispiele für Möglichkeiten, sich in <strong>Deutschland</strong> informell erworbene Kompetenzen<br />
bescheinigen zu lassen oder diese als Zugangsvoraussetzung für den weiteren Bildungsweg zu<br />
nutzen, können u.a. folgende zwei Wege genannt werden: Erstens das Instrument der<br />
Zusatzqualifikationen in der beruflichen Erstausbildung, das jungen Menschen ermöglicht,<br />
bereits zu Beginn ihrer Karriere Elemente der beruflichen Weiterbildung nach dem BBiG<br />
zertifizieren zu lassen (vgl. ebd., S. 201) Zweitens besteht nach BBiG mit der Regelung der<br />
19 Wie beispielsweise das ISCED97‐Raster. [Anm. d. Vef.]
Benefits of <strong>VET</strong> 35<br />
Externenprüfung die Möglichkeit, sich „[…] unter informell erworbenen Umgebungsbedingungen<br />
sich erworbene Kompetenzen anerkannt zertifizieren zu lassen“ (Straka, 2006, S. 214).<br />
„Große Schwachstellen“ oder auch „weiße Flecken“ (Schopf, 2006, S. 202) in der<br />
Anrechnung informell erworbener Kompetenzen im Kontext der deutschen beruflichen Bildung<br />
sind nach Schopf (2006) unter anderem die Schwierigkeit, dass noch kein langfristig erprobter<br />
nationaler Qualifikationsrahmen für die berufliche Erstausbildung sowie Weiterbildung vorliegt<br />
und darüber hinaus unklar ist, wer zertifizieren darf, und schließlich, so Schopf, fehle es in<br />
deutschen Unternehmen an einer „[…] ‚Kultur’ zur Förderung des nachträglichen Erwerbs<br />
formaler Abschlüsse“ (Schopf, 2006, S. 202).<br />
Auf Basis der Problemlage, dass informelle Kompetenzen, die zwar im aktiven Berufsleben<br />
ständig erworben werden, jedoch nur selten dokumentiert und zuverlässig und verwertbar<br />
zertifiziert werden können, stellte Koch (2006) in einer Betriebsbefragung im Modellversuch<br />
"TbQ‐Transparenz beruflicher Qualifikationen für den Personaleinsatz im KMU" deutschen klein‐<br />
und mittelständischen Unternehmern die Frage, welche Anforderungen sie an Zertifikate stellen,<br />
die außerhalb der formalisierten Berufsbildung erworben wurden (vgl. Koch, 2006, S. 217). Im<br />
Modellversuch wurde ein Instrumentarium entwickelt, das die von Arbeitnehmern im<br />
Berufsleben informell erworbenen Qualifikationen belegt und somit als aussagekräftige<br />
Dokumentation für (künftige) Arbeitgeber dienen kann (vgl. ebd., S. 218) Als Ergebnis der Studie<br />
bleibt zunächst festzuhalten, dass im Großteil der Betriebe sowohl informelle als auch<br />
organisierte Weiterbildung stattfindet. Jedoch dokumentierten und zertifizieren nur 55% der<br />
befragten Unternehmen die Weiterbildungsaktivitäten ihrer Belegschaft regelmäßig (vgl. ebd., S.<br />
220) Vor allem „[…] komplexe soziale und personale Qualifikationen bleiben demnach<br />
weitgehend unsichtbar und können – etwa beim Stellenwechsel – nicht gezielt genutzt werden.<br />
[…] Das ist eine gravierende Lücke im heutigen System berufsbegleitender Zertifizierung“ (ebd.)<br />
Jedoch zeigten die Betriebsbefragungen, dass die befragten Unternehmer, trotz ihrer Defizite in<br />
der bisherigen Dokumentation und Zertifizierung, dennoch genaue Vorstellungen davon haben,<br />
wie brauchbare und aussagekräftige Zertifikate auszusehen haben: 91% der befragten Betriebe<br />
erachteten die Angabe der Dauer der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit im Dokument als<br />
‚sehr wichtig’ bzw. ‚wichtig’. Des Weiteren befanden 84% die Auflistung der betrieblichen<br />
Tätigkeiten als ‚wichtig’ bis ‚sehr wichtig’. Schlussendlich sollten nach Ansicht der befragten<br />
Personalverantwortlichen in den Unternehmen die Zertifikate in der Regel auf etwa eine Seite<br />
beschränkt sein und somit die Qualifikationen relativ kompakt dokumentieren (vgl. ebd., S.<br />
222f.).<br />
Als Schlussfolgerung für eine betrieblich praktikable Zertifizierung beurteilt Koch sowohl<br />
EC<strong>VET</strong> 20 als auch andere Creditpoint‐ Systeme als tendenziell nur bedingt geeignet: „Sie sind<br />
20<br />
EC<strong>VET</strong> bedeutet „European credit system for vocational education and training“ und bezeichnet ein<br />
Leistungspunktesystem, das im Zuge der Europäisierung der Berufsbildung im Rahmen des Kopenhagen‐Prozesses<br />
eingeführt werden soll. Mit EC<strong>VET</strong> soll ein Instrument geschaffen werden, das die Übertragung, Validierung und
36 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
nicht praxistransferierbar und berücksichtigen nicht die für Unternehmen relevante<br />
tätigkeitsbezogene Ebene“ (Ebd., S. 225).<br />
Infolgedessen könnte es für künftige Forschungsaktivitäten von Interesse sein,<br />
Qualifizierungsraster zu entwickeln, die einerseits mit den aktuellen Entwicklungen auf<br />
europäischer Ebene kompatibel sind, anderseits darüber hinaus auch ohne großen<br />
„Übersetzungs“‐ sowie fachlichen Abstraktionsaufwand von den Betrieben in der Praxis genutzt<br />
werden können.<br />
Vorzüge des betrieblichen Lernorts<br />
Beiträge aus der Lehr‐ Lernforschung<br />
Beschäftigt man sich mit dem individuellen Nutzen und den Vorteilen der deutschen<br />
beruflichen Bildung für die Teilnehmer sind schließlich insbesondere auch die Vorzüge des<br />
betrieblichen Lernorts im System der dualen Berufsausbildung hervorzuheben.<br />
Zunächst bleibt jedoch festzuhalten, dass speziell in der pädagogisch‐psychologisch<br />
orientierten Berufsbildungsforschung aktuell ein Mangel an Längsschnittstudien, aber auch an<br />
echten Experimenten mit Kontrollgruppen sowie an Vergleichsstudien besteht, die verschiedene<br />
Berufsgruppen umfassen.<br />
Oberth et al. (2006) halten im Allgemeinen fest, dass das praxisnahe Lernen und Arbeiten im<br />
betrieblichen Kontext „[…] eine Ausbildung [ermöglicht], die anschaulich ist und sich durch<br />
unmittelbare Erfahrung des Nutzens des Erlernten auszeichnet. Lernfortschritte werden<br />
unmittelbar erlebbar“ (Oberth et al., 2006, S. 7). Darüber hinaus werden im beruflichen Handeln<br />
personale und soziale Kompetenzen entwickelt, die nur im eigenen praktischen Tun erfahrbar<br />
werden. Die sinnvolle Verknüpfung der an Berufsschule und Betrieb theoretisch erworbenen<br />
Inhalte mit der praktischen Erfahrung kann vor allem für eher lernschwache Schüler eine gute<br />
Motivation sein. „Die praktische Relevanz vermeintlich ‚abstrakten’ beruflichen Wissens wird<br />
erfahren. Das Selbstwertgefühl kann im Zuge der Erfahrung erfolgreich bewältigter<br />
Arbeitsaufgaben – auch Problemsituationen – gesteigert und stabilisiert werden“ (Ebd., S. 16).<br />
Seifried und Sembill (2005) greifen in der AUDI‐Studie speziell das psychologische „Konstrukt<br />
der Emotionalen Befindlichkeit“ 21 und dessen Bedeutung für berufsschulische und betriebliche<br />
Lehr‐ Lernprozesse auf. Die Untersuchung zielte darauf ab zu erforschen, inwiefern sich die<br />
emotionale Befindlichkeit als relevante Rahmenbedingung an den Lernorten Betrieb und<br />
Bildungszentrum in der gewerblich‐technischen Erstausbildung darstellt (vgl. Seifried and<br />
Anerkennung von Lernergebnissen erleichtert. Für weitere Informationen wird verwiesen an: Deutscher<br />
Bildungsserver, <strong>2009</strong>.<br />
21<br />
„Das Konstrukt ‚Emotionale Befindlichkeit’, das im Übrigen auch eine medizinische Konnotation des ‚Befindens’<br />
mit einschließt, spiegelt das emotional‐ motivational geprägte, subjektive und situationsspezifische Erleben eines<br />
Zustandes wider, das sowohl als Auslöser, Begleiterscheinung und/ oder Folge kognitiver Prozesse auftritt.“ (Seifried<br />
und Sembill 2005, S. 658)
Benefits of <strong>VET</strong> 37<br />
Sembill, 2005, S. 666f.). In einer auf zwei Jahre angelegten Längsschnittstudie wurden mittels<br />
Fragebögen die Auszubildenden der AUDI‐AG wöchentlich zu ihrer „Ausprägung von<br />
Lernmotivation“ befragt (ebd., S. 667). Die zentralen Ergebnisse der Studie zeigten, dass die<br />
Auszubildenden die Arbeitsatmosphäre am Arbeitsplatz deutlich positiver bewerten als die im<br />
eher auf Theorie ausgerichteten Bildungszentrum. In ihrer betrieblichen Tätigkeit erfahren die<br />
befragten Jugendlichen tendenziell mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten, können selbstständig<br />
arbeiten und fühlen sich darüber hinaus im Kollegium sozial eingebunden und ernst genommen<br />
(vgl. ebd., S. 668).<br />
Seifried und Sembill kommen daher zu dem Fazit, dass die Orientierung der Ausbildung in<br />
Schule und Betrieb an den Erfahrungen und Bedürfnissen der Jugendlichen und auch die<br />
Übernahme von Eigenverantwortung seitens der Auszubildenden „wichtige<br />
Gelingensbedingungen von Lehr‐Lernprozessen“ darstellen (ebd.).<br />
Auf ein bestehendes Forschungsdesiderat muss an dieser Stelle im Kontext der international<br />
vergleichenden Berufsbildungsforschung eingegangen werden. Noch immer stehen valide<br />
Leistungsvergleichsuntersuchungen für die berufliche Bildung aus, die in der Qualität mit den<br />
Studien im allgemeinbildenden Bereich konkurrieren können. Erste Entwicklungsansätze liegen<br />
hier bereits vor, sind aber zukünftig weiter auszubauen (Baethge et al. 2006).<br />
Zumindest die leistungsvergleichende Untersuchung von Fulst‐Blei (2003) zwischen<br />
deutschen und britischen Jugendlichen im berufsbildenden Bereich deutet an, dass die<br />
Leistungsniveaus insgesamt sowie in Bezug auf einzelne Kompetenzdimensionen zwischen den<br />
Ländern zum Teil stark differieren und z.B. die bisherigen Niveaustufen auf EU‐Ebene wenig<br />
aussagekräftig sind und <strong>Deutschland</strong> eher benachteiligen.<br />
Ergebnisse aus Befragungen von Auszubildenden<br />
In dem Forschungsprojekt ‚Ausbildungsqualität in <strong>Deutschland</strong> aus Sicht der Auszubildenden’<br />
von 2008 wurden rund 6000 Berufsschüler, die sich im zweiten Ausbildungsjahr innerhalb der 15<br />
meist besetzten Ausbildungsberufe befanden, dazu befragt, „[…] welche Qualitätsaspekte [sie] in<br />
ihren Betrieben und Berufsschulen als wichtig ansehen und inwieweit ihre Qualitätsansprüche<br />
tatsächlich erfüllt werden“ (Beicht and Krewerth, 2008(a), S. 4). Erste Ergebnisse der Umfrage<br />
zeigten, dass die Jugendlichen besonderen großen Wert auf die verständliche Erklärung der<br />
Lerninhalte durch den Berufsschullehrer (75%) und durch den Ausbilder (67%) legt. Des<br />
Weiteren erwarten Berufsschüler von ihren Lehrern eine gute Beherrschung der Lerninhalte.<br />
70% der befragten Auszubildenden beurteilten ein gutes Arbeitsklima und eine respektvolle<br />
Behandlung durch die Kollegen als ‚sehr wichtig’. Die Ausbildungsrealität wird nicht ganz den<br />
Ansprüchen der Jugendlichen gerecht, dennoch bescheinigten 74% der Befragten ihren<br />
Ausbildern eine sehr gute Beherrschung der Ausbildungsinhalte, während dies 52% der<br />
Auszubildenden auch für ihre Berufsschullehrer bestätigten. Auch wenn beispielsweise die<br />
Berufsschullehrer bei ihren Schülern bei dem am wichtigsten erachteten Qualitätskriterium der<br />
‚Verständlichkeit der Erklärung der Inhalte’ eher schlecht abschnitten, waren die befragten<br />
Jugendlichen insgesamt mit ihren Ausbildungsbedingungen in Schule und Betrieb zufrieden. So
38 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
trifft es beispielsweise für 71% der Auszubildenden ‚(sehr) stark’ zu, dass ihnen im Betrieb<br />
jederzeit ein Ausbilder als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Die beste Durchschnittsnote für<br />
ihre duale Ausbildung gaben angehende Bankkaufleute.<br />
Künftige Untersuchungen sollten folglich die Stärken und Schwächen innerhalb der<br />
einzelnen Berufe näher beleuchten, um so konkrete Maßnahmen zur Sicherung der<br />
Ausbildungsqualität in Ausbildungsordnung und Rahmenlehrplan vornehmen zu können, wie<br />
es beispielsweise jährlich durch die Modernisierung bestehender Berufsbilder und der<br />
Neuschaffung von Ausbildungsberufen der Fall ist.<br />
3. Resümee und offene Fragen<br />
Der vorliegende Bericht dokumentiert, dass das deutsche System der beruflichen<br />
Erstausbildung (und hier insbesondere das duale Ausbildungssystem) in Kombination mit der<br />
Weiterbildung einen wichtigen Beitrag zur Bildung und Qualifizierung der nachwachsenden<br />
Generation liefert sowie Garant für eine qualifizierte Arbeitnehmerschaft ist. Zwar sind die<br />
monetären und nicht monetären Kosten für alle beteiligten Gruppen (siehe Syntheseübersicht<br />
und Einleitung) unübersehbar, allerdings überwiegen die Vorteile, die sich nicht nur monetär<br />
quantifizieren lassen, die Kosten bei Weitem.<br />
Allerdings, und dies muss klar benannt werden, lassen sich diverse Aspekte nicht oder nur<br />
sehr begrenzt in Vergleichseinheiten „umrechnen“. Berufszufriedenheit bei Arbeitnehmern kann<br />
beispielsweise ebenso wenig in Geldeinheiten gemessen werden, wie ein Imagegewinn von<br />
Betrieben, die ausbilden.<br />
Problematisch ist auch die Tatsache, dass ein Vergleich von Kosten und Nutzen beruflicher<br />
Bildung, der über die reine ökonomische Kostenberechnung in Geldeinheiten hinausgeht,<br />
diverse unterschiedliche fachwissenschaftliche Zugänge inkludieren muss, wie auch aus dem hier<br />
vorliegenden Bericht ersichtlich wird.<br />
Folglich sind verschiedenste Wissenschaftskulturen und Forschungsmethoden z.B. aus den<br />
Bereichen der Ökonomie, der Soziologie, der Psychologie, der Arbeitsmarktforschung, der<br />
Pädagogik, der Lehr‐Lernforschung etc. zu vereinen, um auch nur annähernd ein umfassendes<br />
Bild zu der Thematik zu erhalten.<br />
Aufgabe der Berufsbildungsforschung kann es in diesem Zusammenhang sein, die<br />
verschiedenen Disziplinen, Ansätze und Befunde sinnvoll zusammenzuführen sowie<br />
bereichsnahe Forschungsdesiderate selber zu füllen oder aber andere tangierte<br />
Forschungsdisziplinen zu weitergehenden Forschungsaktivitäten zu ermuntern. Der vorliegende<br />
Bericht hat versucht, an diversen Stellen dazu entsprechende Vorschläge zu unterbreiten.<br />
Weiterhin kann die deutsche Berufsbildungsforschung dahingehend Anstrengungen<br />
unternehmen, ein mehrdimensionales sowie konsistentes und tragfähiges Modell des Kosten‐<br />
Nutzenverhältnisses der Berufsbildung zu entwickeln. Dieser nationale Ansatz kann dann in
Benefits of <strong>VET</strong> 39<br />
einem zweiten Schritt zu einem europatauglichen Modell ausgebaut werden, was<br />
mehrdimensionale Vergleiche zwischen den Mitgliedstaaten ermöglichen würde. Ein erster<br />
nationaler Schritt ist hierzu mit der eingangs vorgelegten grafischen Darstellung gemacht, die<br />
ggf. zu weiteren Entwicklungen Anstoß geben kann. Nur wenn die Befunde der verschiedenen<br />
involvierten Wissenschaften sinnvoll gebündelt werden, kann das Konstrukt „Benefits of <strong>VET</strong>“<br />
mit Leben gefüllt werden und Motor für nationale und europäische Innovationen im Kontext der<br />
Berufsbildungspolitik sein.
40 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
4. Bibliografie<br />
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2008: Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergängen<br />
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Deißinger, T. (2001): Zum Problem der historisch‐kulturellen Bedingtheit<br />
von Berufsbildungssystemen. ‐Gibt es eine "Vorbildfunktion" des
42 Susanne Berger und Matthias Pilz<br />
deutschen Dualen Systems im europäischen Kontext? In: Deißinger, T.<br />
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Deißinger, T. (2005): Zur Frage der Verwertbarkeit schulischer<br />
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Berufskollegs: Welchen Beitrag leisten didaktische Innovationen? In:<br />
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Mobility and Migration<br />
___________________________________<br />
Ingrid Wilkens<br />
1. Vorwort 50<br />
2. Einleitende Informationen 51<br />
3. Forschungslandschaft in <strong>Deutschland</strong> 54<br />
4. Junge Migranten im System der Berufsausbildung 57<br />
5. Erklärungsansätze für die geringen Chancen von Migranten im beruflichen<br />
Ausbildungssystem 59<br />
6. Migranten in der beruflichen Weiterbildung 62<br />
7. Neuere Ansätze zur Nutzung des Potentials von Migranten 64<br />
8. Forschungsdesiderate 65<br />
9. Ausblick 67<br />
10. Bibliografie 71<br />
1. Vorwort<br />
Im weltweiten Vergleich hat <strong>Deutschland</strong> nach den USA in den vergangenen Jahrzehnten die<br />
stärkste Zuwanderung erfahren (OECD 2008). In letzter Zeit ist die Immigration jedoch deutlich<br />
zurückgegangen. Ein Großteil der in <strong>Deutschland</strong> lebenden Migranten lässt sich damit als<br />
„Altzuwanderer“, die schon zehn oder mehr Jahre in <strong>Deutschland</strong> leben, bezeichnen. Deren<br />
Integration, die noch nicht vollständig gelungen ist, voranzutreiben, ist momentan in<br />
<strong>Deutschland</strong> ein Thema höchster Aktualität.<br />
Als wichtiger Faktor der sozialen Integration von Migranten gilt ihre Partizipation am<br />
Erwerbsleben (OECD 2007; Beauftragte 2007a). Allerdings entwickeln sich die Arbeits‐<br />
losenquoten von Deutschen und Zugewanderten seit den 1980er‐Jahren zunehmend<br />
auseinander; mittlerweile ist die der Ausländer bundesweit etwa doppelt so hoch. Dies kann<br />
auch darauf zurückgeführt werden, dass sie – im Vergleich mit den Einwanderern anderer<br />
Länder – über ein deutlich unterdurchschnittliches Ausbildungsniveau verfügen (z.B. Commission<br />
of the European Communities 2007): Ein Großteil der arbeitslosen Altzuwanderer hat lediglich<br />
eine niedrige Schulbildung und besitzt keine abgeschlossene Berufsausbildung (z.B. Grundig et<br />
al. 2006). Daher wird die Situation der jetzt heranwachsenden Generation sowie von neu
Mobility and Migration 51<br />
zugewanderten „Quereinsteigern“ im Bildungs‐ und Erwerbssystem zunehmend beobachtet.<br />
Studien bezüglich der Beteiligung an der betrieblichen Ausbildung zeigen ebenfalls eine<br />
zunehmende Schere zwischen Deutschen und Zugewanderten. Auch in der beruflichen<br />
Weiterbildung, die als „Schlüssel der Beschäftigungsfähigkeit“ gilt (Bundesvereinigung der<br />
Arbeitgeberverbände 2007), sind Migranten deutlich unterrepräsentiert.<br />
Viele junge Migranten bleiben letztlich ohne einen beruflichen Bildungsabschluss 22 (dazu<br />
Krekel et al. <strong>2009</strong>). Eine abgeschlossene Berufsausbildung aber gilt in <strong>Deutschland</strong> zunehmend<br />
als wesentliche Voraussetzung für einen Einstieg ins Berufsleben, die Kontinuität des<br />
Erwerbsverlaufs und als Absicherung gegen Arbeitslosigkeit und Armut (dazu Bonin et al. 2007;<br />
Klös et al. 2008). Die geschilderte Entwicklung hat damit erhebliche Konsequenzen für die<br />
künftige Position von – noch jungen – Migranten am Arbeitsmarkt und ihre sozioökonomische<br />
Lage.<br />
Auf der anderen Seite zeichnet sich ein Mangel an ausreichend qualifizierten<br />
Nachwuchskräften ab, der sich nachteilig auf die Volkswirtschaft auswirken kann. Im beruflichen<br />
Bildungssystem besteht daher aus mehreren Gründen ein enormer Handlungsbedarf. Die<br />
Bundesregierung hat sich die Erhöhung der Beteiligung von Migranten in der Aus‐ und<br />
Weiterbildung im Nationalen Integrationsplan zum Ziel gesetzt (Beauftragte 2007a).<br />
Der vorliegende Beitrag beschreibt zunächst in groben Zügen das deutsche Berufs‐<br />
bildungssystem, erläutert den Umgang der Statistiken mit dem Begriff „Migrant“, erörtert dann<br />
die aktuellen Forschungsfragen und stellt die in diese Forschung involvierten Institutionen vor.<br />
Darauf folgend skizziert er die zentralen Untersuchungsergebnisse, indem er die Teilhabe von<br />
Migranten in den verschiedenen Segmenten des Berufsbildungssystems nachzeichnet und einen<br />
Überblick über die breite Diskussion der Ursachen der beschriebenen Entwicklung liefert.<br />
Außerdem werden Ansatzpunkte der aufkommenden Diskussion um die Nutzung des Potenzials<br />
junger Migranten aufgezeigt. Die letzten beiden Abschnitte leiten künftigen Forschungsbedarf ab<br />
und schlagen den Bogen zur Diskussion um Migration und Fachkräftemangel<br />
2. Einleitende Informationen<br />
Das deutsche Berufsbildungssystem<br />
Das System der beruflichen Ausbildung umfasst drei Segmente (Autorengruppe 2008;<br />
ausführlich zum deutschen Berufsbildungssystem: Arnold et al. 2006; Hippach‐Schneider et al.<br />
2007). Traditionell ist die Berufsbildung im „Dualen System“ organisiert: Die praktische<br />
Ausbildung wird von Betrieben übernommen und durch Teilzeitunterricht an öffentlichen<br />
Berufsschulen, der theoretische Orientierungen sowie berufliches Wissen vermitteln soll,<br />
22 Im europäischen Vergleich ist der Anteil von Jugendlichen ohne Schulabschluss in <strong>Deutschland</strong> noch vergleichsweise<br />
gering, allerdings entgegen dem Trend leicht steigend (Autorengruppe 2008).
52 Ingrid Wilkens<br />
ergänzt. Die duale Ausbildung hat über Jahre hinweg den deutschen Fachkräftenachwuchs<br />
gesichert, die Jugendarbeitslosigkeit im europäischen Vergleich auf niedrigem Niveau gehalten<br />
und Jugendliche aus bildungsschwachen Familien beruflich integriert (Autorengruppe<br />
Bildungsberichterstattung 2008).<br />
Da die Ausbildungsverhältnisse marktvermittelt sind, kann es jedoch insgesamt oder in<br />
branchen‐, berufsspezifischen oder regionalen Teilmärkten zu Ungleichgewichten kommen.<br />
Auch wenn sich die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt seit 2007 entspannt hat, kann sie<br />
immer noch als schwierig für Bewerber eingeschätzt werden. Durch ein Ausweichen der<br />
Jugendlichen auf das überwiegend öffentlich finanzierte Schulberufssystem gewann dieses an<br />
Bedeutung. Hierunter fallen vor allem die Berufsfachschulen mit vollqualifizierendem Angebot,<br />
die auch die Chance der Nachqualifizierung und Berufsvorbereitung bieten, und die Schulen des<br />
Gesundheitswesens. Demgegenüber vermittelt das ebenfalls zunehmend ausgebaute<br />
Übergangssystem mit verschiedenen Angeboten lediglich ausbildungsrelevante, zum Teil auch<br />
berufsfeldbezogene Kenntnisse, soll aber primär eine „Ausbildungsreife“ der Jugendlichen<br />
herstellen. Es führt nicht zu einer beruflichen Qualifikation, aber häufig in sog.<br />
Maßnahmekarrieren.<br />
Im Jahr 2006 verteilten sich die Neuzugänge wie folgt auf die drei Segmente der beruflichen<br />
Ausbildung: 43,5% mündeten in das Duale System ein, 16,8% in das Schulberufssystem und<br />
39,7% in das Übergangssystem (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008).<br />
Für die Beschäftigungssicherung kommt der beruflichen Weiterbildung eine wichtige Rolle zu<br />
(Wilkens 2005). Nach den Trägern bzw. der Art der Finanzierung lässt sich die formelle – also die<br />
in Kursen, Lehrgängen oder Seminaren organisierte – Weiterbildung in betriebliche, individuelle<br />
und öffentlich geförderte differenzieren (Wilkens/Leber 2003). Die Formen und Angebote der<br />
Weiterbildung sind jedoch äußerst vielfältig, was die Erfassung von Weiterbildungsaktivitäten<br />
erschwert (z.B. Bellmann 2003; Seidel 2006).<br />
Zur Definition und statistischen Erfassung von Migranten in <strong>Deutschland</strong><br />
Die Zuwanderung nach <strong>Deutschland</strong> wurde vor allem durch den Zuzug gering qualifizierter<br />
Arbeitsmigranten ab Mitte der 1950er‐Jahre, den Familiennachzug, einen vorübergehenden<br />
Anstieg der Asylbewerberzahlen und die Einwanderung von (Spät‐)Aussiedlern mit im<br />
Durchschnitt mittlerem Ausbildungsniveau geprägt (z.B. Herbert 2001). Bei letzteren handelt es<br />
sich um Nachfahren deutscher Auswanderer, die aufgrund des „ius sanguini“ die deutsche<br />
Staatsbürgerschaft durch einbürgerungsgleiche Maßnahmen privilegiert erhielten.<br />
Mit den Reformen des Staatsbürgerschaftsrechts (u.a. Einführung von Elementen des „ius<br />
soli“) stiegen die Einbürgerungszahlen der Arbeitsmigranten sowie ihrer Familien und die Zahl<br />
der Migrantenkinder mit deutscher Staatsangehörigkeit. (Zur Zusammensetzung der<br />
Migrationsbevölkerung, gerade im Hinblick auf Bildung, s. Konsortium Bildungsberichterstattung<br />
2006.) Da die gängigen amtlichen Statistiken nur zwischen Personen mit deutscher und<br />
ausländischer Staatsangehörigkeit unterscheiden, eigene oder familiale Migrationserfahrung
Mobility and Migration 53<br />
aber nicht berücksichtigen, werden sie dem zunehmenden Informationsbedarf über die sich<br />
ausdifferenzierende Gesellschaft und deren Bildungsbedarfe und ‐erfolge nicht mehr gerecht:<br />
Personen, die in <strong>Deutschland</strong> als Kinder von Arbeitsmigranten geboren sind und der „zweiten<br />
Generation“ angehören, werden als Zuwanderer, (Spät‐)Aussiedler aber trotz eigener<br />
Migrationserfahrung und möglicherweise geringen Deutschkenntnissen als deutsche<br />
Staatsbürger erfasst. Um diesem Mangel abzuhelfen, wurde das Konzept des<br />
„Migrationshintergrundes“ entwickelt. Einen solchen haben Personen, „die selbst oder deren<br />
Eltern oder Großeltern nach 1949 zugewandert sind, ungeachtet ihrer gegenwärtigen<br />
Staatsangehörigkeit“ (Autorengruppe Bildungsbericht‐erstattung 2008: VIII; Alda 2008). Bis eine<br />
entsprechende Anpassung der Statistiken stattgefunden hat, arbeiten auf amtlichen Daten<br />
basierende Studien zur Ausbildungsteilhabe von Migranten 23 daher in der Regel mit dem<br />
Ausländerkonzept, während empirische Untersuchungen sowie bereits auch der Mikrozensus<br />
das Konzept des Migrationshintergrundes verwenden. Dies verursacht Brüche in der<br />
Argumentation und steht einer differenzierten Offenlegung von Integrationsproblemen in der<br />
beruflichen Bildung im Wege.<br />
Der Anteil der Ausländer unter den in <strong>Deutschland</strong> Lebenden liegt heute bei etwa 10%, der<br />
von Personen mit Migrationshintergrund dagegen bei gut 18%. Bei der Betrachtung jüngerer<br />
Kohorten steigt er an; so beträgt er bei Personen bis 25 Jahre 27% und bei Kindern teilweise (in<br />
Großstädten) um die 50%. Die Ausländer verteilen sich sehr unterschiedlich auf die<br />
Bundesländer, und der Stand der Integration variiert von Region zu Region (dazu Riesen <strong>2009</strong>;<br />
Woellert et al. <strong>2009</strong>). Als Folge der Anwerbepraxis leben sie überwiegend in den<br />
Ballungsgebieten im Westen. Während der Ausländeranteil unter den 18‐ bis 21‐jährigen in<br />
Westdeutschland knapp 12% beträgt, liegt er in der ehemaligen DDR bei nur 2% (BIBB 2008).<br />
Analysen zu jungen Ausländern in der Berufsausbildung beziehen sich daher vorrangig auf die<br />
alte Bundesrepublik. Sie besitzen zum großen Teil eine Staatsbürgerschaft der früheren<br />
Anwerbeländer Türkei (41%), ehemaliges Jugoslawien (11%), Italien (10%) und Griechenland<br />
(4%) (Siegert <strong>2009</strong>). Der Anteil der EU‐Bürger an den ausländischen Auszubildenden beträgt<br />
insgesamt etwa ein Viertel (BIBB 2008).<br />
Maße der Integration<br />
Die Indikatoren, die Aufschluss über die Integration von Migranten in das Bildungs‐ bzw.<br />
Erwerbssystem geben, sind zum einen der Ausländeranteil an einer bestimmten Gruppe (z.B.<br />
den Auszubildenden), der mit dem Ausländeranteil an der Bevölkerung verglichen werden kann,<br />
und zum anderen die ausländerspezifischen Quoten. Ein zentraler Indikator ist die<br />
ausländerspezifische Ausbildungsbeteiligungsquote, die angibt, wie groß der Anteil der<br />
ausländischen Jugendlichen ist, die einen Ausbildungsvertrag neu abgeschlossen haben,<br />
gemessen an den ausländischen Jugendlichen im ausbildungsrelevanten Alter (BIBB <strong>2009</strong>b). Es<br />
wird davon ausgegangen, dass sich die Teilhabechancen der Ausländer denen der Deutschen<br />
23 In diesem Text wird der Begriff „Migranten“ als Oberbegriff für Ausländer und Personen mit Migrationshintergrund<br />
verwendet.
54 Ingrid Wilkens<br />
umso stärker annähern, je mehr sich die ausländerspezifischen Quoten auf die der deutschen<br />
Vergleichsgruppe zubewegen.<br />
3. Forschungslandschaft in <strong>Deutschland</strong><br />
Forschungsfragen zur beruflichen Bildung von Migranten und Datenquellen<br />
Die zentralen Fragen der deutschen Forschung im Hinblick auf die berufliche Ausbildung von<br />
Migranten sind, wie sich deren Chancen im Vergleich zu denen der Deutschen (bzw. der<br />
Deutschen ohne Migrationshintergrund) in der (v.a. dualen) Berufsbildung entwickeln, worin die<br />
Ursachen ihrer Schwierigkeiten in den verschiedenen Segmenten des Berufsbildungssystems<br />
liegen und welcher politische Handlungsbedarf identifiziert werden kann. Die Untersuchung<br />
dieser Fragen basiert überwiegend auf den Daten der Berufsbildungsstatistik, die über die<br />
Ausbildung im dualen System Auskunft gibt, sowie der Statistik der beruflichen Schulen. Daher<br />
sind die Analysen eher deskriptiv ausgerichtet.<br />
Ergänzend liegen im Bereich der beruflichen Ausbildung repräsentative Umfragen vor, die<br />
sich allerdings nicht schwerpunktmäßig auf Migranten beziehen. Darauf aufbauende Analysen<br />
differieren in der Regel nach dem Vorhandensein eines Migrationshintergrundes, so dass sich<br />
Migranten und Vergleichsgruppen ohne Migrationshintergrund bilden lassen. Zu diesen<br />
Erhebungen zählen die regelmäßig durchgeführten BIBB‐Schulabgängerbefragungen (z.B. BIBB<br />
2008; Friedrich 2006, 2008), die sich mit den beruflichen Orientierungen von Jugendlichen,<br />
ihrem Berufswahlverhalten und ihrer Einmündung in die betriebliche Ausbildung befassen. Die<br />
unregelmäßig stattfindenden BA/BIBB‐Bewerberbefragungen (letzte Erhebung 2008)<br />
untersuchen Bewerbungsverhalten und Verbleib nach Beginn des Ausbildungsjahres<br />
(Ulrich/Granato 2006; Granato 2008, <strong>2009</strong>). Die BIBB‐Übergangsstudie (2006) versuchte, mit<br />
einer retrospektiven Längsschnittdatenerhebung Aussagen über Erfolg versprechende, aber<br />
auch nicht zielführende Ausbildungswege zu gewinnen und lieferte dabei auch Erkenntnisse zur<br />
Einmündung in die berufsfachschulische Ausbildung (z.B. Beicht et al. 2007b, 2008;<br />
Beicht/Granato <strong>2009</strong>). Um Informationen über die Zusammenhänge zwischen sozio‐<br />
demografischen Merkmalen von Jugendlichen mit niedrigem Bildungsniveau (Hauptschule),<br />
ihren Orientierungen und Wegen durch das Übergangssystem zu gewinnen, wurde das DJI‐<br />
Übergangspanel initiiert (2004‐<strong>2009</strong>; Gaupp et al. 2008). Mit dem Panel werden auch<br />
Informationen zu der Frage nach der Bedeutung von Unterstützungspotenzialen, schulischer und<br />
außerschulischer Förderung, Handlungsstrategien der Jugendlichen und ihren Kompetenzen<br />
erhoben. Die Auswertungen sind allerdings noch nicht abgeschlossen.<br />
Studien zur Weiterbildungsbeteiligung beruhen zum großen Teil ebenfalls auf Befragungen<br />
von Personen oder Unternehmen. Noch liegen allerdings wenige Untersuchungen vor, die sich<br />
explizit mit der Weiterbildungsbeteiligung von Migranten befassen. Meist wird dann am Rande<br />
untersucht, wie sich die Teilnahmechancen von Migranten gegenüber denen von Deutschen<br />
entwickeln (z.B. Kuwan et al. 2006; Leber/Möller 2005, 2008).
Mobility and Migration 55<br />
Daneben werden auch migrantenspezifische Forschungsvorhaben, die häufig qualitativ sind,<br />
durchgeführt. Sie untersuchen beispielsweise die Wege der Nutzbarmachung interkultureller<br />
Kompetenzen von Migranten (s. dazu Abschnitt 6), die Möglichkeiten der spezifischen Förderung<br />
ausländischer Lernender (z.B. durch die Kursgestaltung) und die Anforderungen, denen sich das<br />
Lehrpersonal an beruflichen Schulen und bei Trägern der Weiterbildung aufgrund der<br />
wachsenden Heterogenität der Lerngruppen gegenübersieht. Behandelt werden auch<br />
soziologische Fragestellungen, indem beispielsweise untersucht wird, inwieweit kulturelle<br />
Praktiken oder ihre gesellschaftliche Bewertung den Verlauf der Statuspassage bei Migrantinnen<br />
zwischen Schule und Berufsausbildung beeinflussen (Schittenhelm 2005a, 2005b).<br />
Ferner liegen Fallstudien, Evaluationen und Berichte wissenschaftlicher Begleitungen zu<br />
bundesweiten oder regionalen Programmen und Projekten zur Förderung benachteiligter<br />
Jugendlicher – darunter junger Migranten – in der beruflichen Bildung vor. Diese beschreiben<br />
auch best practices und leiten Handlungsempfehlungen ab (stellvertretend z.B. Schaub 2007 für<br />
das Berufliche Qualifizierungsnetzwerk BQN; einen Überblick geben Linten et al. <strong>2009</strong>). In den<br />
letzten Jahren wurden außerdem etliche Studien zur Begleitforschung oder Evaluation von<br />
Kursen der berufsbezogenen (Sprach‐)Förderung von Personen mit Migrationshintergrund oder<br />
ähnlichen Maßnahmen durchgeführt (z.B. Deeke 2004, 2005, 2006, 2007; Schweigard 2006,<br />
2007, 2008; Karg <strong>2009</strong>; Badel et al. 2008).<br />
Vor dem Hintergrund der Herausforderungen des Vertrags von Lissabon ist es nicht nur Ziel<br />
der Europäischen Kommission, die Transparenz zwischen den Berufsbildungssystemen und die<br />
Vergleichbarkeit zwischen den in den einzelnen Mitgliedstaaten während der beruflichen<br />
Ausbildung erworbenen Kenntnisse herzustellen, sondern auch die grenzüberschreitenden<br />
Ausbildungsaktivitäten zu fördern. In <strong>Deutschland</strong> lassen sich einige Beispiele binationalen<br />
Erfahrungsaustausches und grenzüberschreitender Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung<br />
beobachten. Das Berufsbildungsgesetz eröffnet auch seit kurzem die Möglichkeit, einen Teil der<br />
Berufsausbildung im Ausland zu absolvieren, was einige internationale Unternehmen auch<br />
aufgreifen. 24 Forschungsaktivitäten zur grenzüberschreitenden Ausbildung oder zur Migration<br />
mit dem Motiv, beruflicher Bildung in <strong>Deutschland</strong> nachzugehen, lassen sich augenblicklich<br />
jedoch (noch) nicht beobachten.<br />
Beteiligte Forschungseinrichtungen und ‐verbünde<br />
Die zentrale deutsche Forschungseinrichtung im Bereich der Berufsbildungsforschung ist das<br />
Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), das die berufliche Aus‐ und Weiterbildung in<br />
<strong>Deutschland</strong> beobachtet und erforscht, Zukunftsaufgaben der Berufsausbildung benennt,<br />
Innovationen fördert und praxisorientierte Vorschläge zur Förderung der beruflichen Aus‐ und<br />
Weiterbildung entwickelt (Rechtsgrundlage: Berufsbildungsgesetz vom 23. März 2005). Das BIBB<br />
kooperiert dabei mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen (BIBB <strong>2009</strong>c). Es<br />
24 Einige Branchen fordern aufgrund des drohenden Fachkräftemangels gerade in Ostdeutschland, Auszubildende aus<br />
den grenznahen Regionen in Polen oder Tschechien anzuwerben (Ulmer/Ulrich 2008).
56 Ingrid Wilkens<br />
erarbeitet jährlich den Berufsbildungsbericht, der Stand und voraussichtliche<br />
Weiterentwicklung der Berufsbildung beschreiben soll. Darin findet sich regelmäßig ein – relativ<br />
kurz gehaltener Teil – zur Partizipation von Migrantenjugendlichen.<br />
Die Autorengruppe Bildungsberichterstattung (früher: Konsortium<br />
Bildungsberichterstattung) verfolgt das Ziel, anhand eines Sets von Indikatoren „über<br />
Rahmenbedingungen, Verlaufsmerkmale, Ergebnisse und Erträge von Bildungsprozessen“ zu<br />
informieren (Konsortium 2005). Dabei werden zum einen die institutionellen Angebote<br />
beschrieben, zum anderen deren Nutzung innerhalb der Lernbiografie. Die Autorengruppe<br />
erläutert die Entwicklung des Bildungswesens, arbeitet seine Stärken und Schwächen heraus und<br />
unterstützt die Identifikation politischen Handlungsbedarfs. Die Indikatoren werden aus<br />
amtlichen Daten und sozialwissenschaftlichen Erhebungen in Zeitreihen abgebildet, wobei,<br />
soweit möglich, zwischen Deutschen bzw. Deutschen ohne Migrationshintergrund und<br />
Ausländern bzw. Personen mit Migrationshintergrund differenziert wird.<br />
Zu den Institutionen, die – wenn auch nicht schwerpunktmäßig – Forschungsaktivitäten zur<br />
Integration von Migranten in das (berufliche) Bildungssystem und den Arbeitsmarkt durch‐<br />
führen, zählen ferner das Institut für Arbeitsmarkt‐ und Berufsforschung (IAB) (z.B. Burkert et al.<br />
2007, 2008; Leber 2006; Bellmann 2003) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />
(BAMF) (Siegert 2008, <strong>2009</strong>). Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) forscht zu Kindern, Jugendlichen<br />
und Familien. Der Arbeitsschwerpunkt „Übergänge in Arbeit“, dem auch das DJI‐Übergangspanel<br />
zugeordnet ist, untersucht die Lebenslagen und ‐verläufe in verschiedenen Bildungssystemen,<br />
wobei junge Migranten besonders berücksichtigt werden.<br />
Infratest Sozialforschung gibt im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung<br />
im dreijährigen Turnus das Berichtssystem Weiterbildung heraus, das auf einer repräsentativen<br />
Befragung der Bevölkerung basiert (Kuwan/Thebis 2004; Kuwan et al. 2006). Das Deutsche<br />
Institut für Erwachsenenbildung (DIE) stellt Informationen über Weiterbildungsaktivitäten sowie<br />
die Träger solcher Bildungsmaßnahmen bereit.25 Das Institut der Deutschen Wirtschaft (iw) und<br />
das Statistische Bundesamt führen Unternehmensbefragungen zur betrieblichen Weiterbildung<br />
durch.<br />
Weiterhin spielt universitäre Forschung zur (beruflichen) Bildung von Migranten eine Rolle.<br />
Stellvertretend für verschiedene Institute seien hier das Interdisziplinäre Zentrum für Bildung<br />
und Kommunikation in Migrationsprozessen (IBKM) der Universität Oldenburg und das Institut<br />
für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück angeführt.<br />
25 Dabei konzentriert sich die Darstellung allerdings überwiegend auf die allgemeine Weiterbildung.
Mobility and Migration 57<br />
4. Junge Migranten im System der Berufsausbildung<br />
Unterrepräsentanz von Migranten im dualen System<br />
Der Berufsbildungsbericht <strong>2009</strong> (BIBB <strong>2009</strong>b) weist aus, dass sich 2007 in <strong>Deutschland</strong> gut<br />
1,5 Mio. junge Menschen in einer dualen Ausbildung befanden. Der Ausländeranteil betrug 4%.<br />
Dass der Ausländeranteil in der relevanten Altersgruppe im selben Jahr bei fast 10% lag, zeigt,<br />
dass die jugendlichen Ausländer im dualen System unterrepräsentiert sind. Die<br />
ausländerspezifische Ausbildungsbeteiligungsquote erreichte 24%, die der Deutschen dagegen<br />
58%. Junge Frauen gehen – unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft – seltener einer dualen<br />
Ausbildung nach als Männer (s. dazu Tab. 1 und 2).<br />
Die Unterschiede zwischen Ausländern und Deutschen in der Beteiligung an der dualen<br />
Ausbildung werden als „dramatisch“ eingeschätzt (Granato 2006: 36; Beauftragte 2007b). Als<br />
bedenklich gilt vor allem, dass die beiden genannten Quoten in den letzten Jahren stärker als bei<br />
den Deutschen gesunken sind: Der Ausländeranteil ist zwischen 2000 und 2007 von 6% auf 4%<br />
gefallen, und während die Ausbildungsbeteiligungsquote der Deutschen im gleichen Zeitraum<br />
von 63% auf 58% sank, fiel die der Ausländer von 30% auf 24% (s. Tab. 1). Die Teilhabechancen<br />
der Migranten haben sich in der dualen Ausbildung demnach verschlechtert. Dies betraf gerade<br />
die männlichen Migranten – und hier vor allem die Serben/Montenegriner, Griechen und Türken<br />
(Siegert <strong>2009</strong>).<br />
Die Untersuchung der Ausbildungsbeteiligung nach Nationalitäten zeigt, dass sie am<br />
höchsten bei jungen Leuten mit einer Staatsbürgerschaft aus Kroatien liegt, gefolgt von Italien<br />
und Bosnien/Herzegowina, am niedrigsten dagegen bei Personen aus Serbien/Montenegro<br />
(Siegert <strong>2009</strong>).<br />
Wichtig für die Frage der Chancengleichheit ist nicht nur die Untersuchung der Beteiligung<br />
von Migranten im dualen System, sondern auch der Verteilung auf verschiedene<br />
Ausbildungsberufe. Ausländer besetzen häufig unattraktive Einfacharbeitsplätze und sind auch<br />
bei der Ausbildung tendenziell in den weniger beliebten Berufsfeldern anzutreffen. Einige<br />
Studien weisen darauf hin, dass das Berufs(wahl)spektrum der ausländischen Jugendlichen sehr<br />
eng ist (BIBB 2008; Siegert <strong>2009</strong>): Obwohl etwa 350 Ausbildungsberufe existieren, wird fast die<br />
Hälfte der ausländischen Auszubildenden (45%) in nur zehn Berufen ausgebildet. Ein Teil dieser<br />
Berufe bietet eine vergleichsweise geringe Übernahmewahrscheinlichkeit, eine<br />
unterdurchschnittliche Entlohnung und begrenzte Aufstiegschancen (Granato 2003; Gogolin et<br />
al. 2003; Boos‐Nünning 2006; dazu auch DGB 2007). Der öffentliche Dienst, der im Hinblick auf<br />
die Ausbildung junger Ausländer eine Vorreiterrolle übernehmen könnte, bildet augenblicklich<br />
kaum Jugendliche ohne deutsche Staatsangehörigkeit aus.<br />
Migranten im Schulberufssystem<br />
Dieses Segment der beruflichen Bildung umfasst Berufsfachschulen (BFS), Fachschulen (FS)<br />
und Schulen des Gesundheitswesens (SdG). Die Kulturhoheit der Bundesländer führt zu einer
58 Ingrid Wilkens<br />
starken institutionellen Heterogenität. Im Gegensatz zum dualen System qualifiziert das<br />
Schulberufssystem vor allem für Dienstleistungsberufe (z.B. in den Bereichen Gesundheit, Pflege,<br />
Erziehung). Die Tertiarisierung der Wirtschaft erklärt damit teilweise das Wachstum dieses<br />
Sektors (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008). Da dieses Segment für viele<br />
traditionelle Frauenberufe ausbildet, ist der Anteil der Schülerinnen hoch (dazu Krüger 2003).<br />
Siegert (<strong>2009</strong>) zeigt im Integrationsreport des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration,<br />
dass sich vor dem Hintergrund der Engpässe im dualen System die Ausbildung an einer<br />
Berufsfachschule offensichtlich gerade für Jugendliche ohne deutsche Staatsbürgerschaft als<br />
wichtige Ausweichmöglichkeit erwiesen hat: Während ihr Anteil an den Schülern im dualen<br />
System zwischen 2000/01 und 2006/07 um 11% (männlich) bzw. 9% (weiblich) gesunken ist, hat<br />
er an den Berufsfachschulen um 9% (männlich) bzw. 6% (weiblich) zugenommen. Insbesondere<br />
für die ausländischen jungen Frauen spielt das Schulberufssystem eine wichtige Rolle: Fast ein<br />
Drittel von ihnen besucht eine Berufsfachschule. Hier sind vor allem Personen mit türkischer<br />
Staatsangehörigkeit vertreten. Die Schulen des Gesundheitswesens bilden weniger Schüler aus,<br />
bieten aber hinsichtlich der Verteilung der Geschlechter ein noch extremeres Bild: Der<br />
Frauenanteil beträgt hier fast 80%. Insbesondere etliche der jungen Frauen mit polnischer oder<br />
russischer Nationalität (zu 17% bzw. 12%) entscheiden sich für diese Form der Ausbildung. –<br />
Problematisch ist, dass in manchen Zweigen des Schulberufssystems erworbene Abschlüsse am<br />
Arbeitsmarkt weniger anerkannt sind als Abschlüsse der dualen Berufsausbildung (Schreier<br />
2008).<br />
Überrepräsentanz von Migranten im „Übergangssystem“<br />
Auch das Übergangssystem ist in den letzten Jahren stark expandiert (z.B. Ulrich 2006). Es ist<br />
sehr heterogen ausgestaltet und umfasst die schulischen Ausbildungsgänge<br />
Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) und Berufsgrundbildungsjahr (BGJ), die Berufs(fach)schulen, die<br />
keinen beruflichen Abschluss vermitteln, berufsvorbereitende Maßnahmen der Bundesagentur<br />
für Arbeit, Fördermaßnahmen der Kommunen und Länder und Praktika wie z.B. die<br />
Einstiegsqualifizierung für Jugendliche (EQJ). Zum Teil wird den Jugendlichen die Möglichkeit<br />
geboten, einen Schulabschluss nachzuholen (Autorengruppe 2008).<br />
Dass 60% der jungen Leute im Übergangssystem Ausländer sind, unterstreicht die<br />
problematische Situation von Migranten im deutschen Berufsbildungssystem (Autorengruppe<br />
Bildungsbericht 2008). Vor allem junge Männer sind im Übergangssystem vertreten. Ihre<br />
Bildungsbiografien sind häufig „geprägt durch Umwege, Mehrfachdurchläufe, „Warteschleifen“ ,<br />
aus denen der Weg in eine qualifizierte Berufsausbildung nur schwer zu finden ist“ (Beauftragte<br />
2007b: 70; Eberhard et al. 2006; zu den unterschiedlichen Verläufen vgl. u. a. Beicht/Granato<br />
<strong>2009</strong>).<br />
Resümee<br />
Migrantenjugendliche haben im System der beruflichen Ausbildung in <strong>Deutschland</strong><br />
schlechtere Chancen als diejenigen ohne Migrationshintergrund (s. dazu auch Abb. 1 und 2
Mobility and Migration 59<br />
sowie Tab. 4). Die Wahrscheinlichkeit ihrer Einmündung in eine betriebliche Ausbildung, aber<br />
auch in eine vollzeitschulische Berufsausbildung ist deutlich niedriger (Lehmann et al. 2005;<br />
Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008; Beicht et al. <strong>2009</strong>; Beicht/Granato <strong>2009</strong>; einen<br />
Literaturüberblick liefern Boos‐Nünning/Granato 2008). 2008 machten Ausländer 13% der<br />
unversorgten Bewerber aus (BIBB <strong>2009</strong>b). Bezogen auf den Migrationshintergrund zeigen die<br />
Schulabgängerbefragungen des BIBB, dass von den Bewerbern ohne Migrationshintergrund 35%<br />
einen betrieblichen Ausbildungsplatz fanden, von denjenigen mit Migrationshintergrund<br />
dagegen nur 23% (BIBB <strong>2009</strong>b). Mit höherwertigem Schulabschluss steigen die Chancen<br />
derjenigen mit Migrationshintergrund nicht in gleichem Maße, einen betrieblichen<br />
Ausbildungsplatz zu bekommen (Granato 2007); dies lässt sich auch hinsichtlich der Schulnoten<br />
beobachten (Ulrich et al. 2006). Ferner zieht sich der Übergang von Schule und Ausbildung bei<br />
Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Durchschnitt länger hin (Reißig et al. 2006; Beicht et<br />
al. 2007a). Letztlich münden 22% dieser Bewerber in die Arbeitslosigkeit oder „jobben“ (Granato<br />
2007; BIBB <strong>2009</strong>b). Diese Zahlen und die Beobachtung, dass der Übergang gerade von jungen<br />
Ausländern mit niedriger Schulbildung, aber abgeschlossener Berufsausbildung in den<br />
Arbeitsmarkt „einfacher und weitgehend analog“ dem von Deutschen verläuft (Autorengruppe<br />
2008: 182; Burkert et al. 2007; Brück‐Klingberg et al. <strong>2009</strong>), zeigen, wie wichtig es ist, die<br />
Partizipation der jungen Migranten in der Berufsausbildung zu erhöhen.<br />
5. Erklärungsansätze für die geringen Chancen von Migranten im beruflichen<br />
Ausbildungssystem<br />
In etlichen Studien wird – wenn auch häufig nur am Rande – der Frage nachgegangen, worin<br />
die Ursachen für die (zunehmende) Benachteiligung von Migranten in der beruflichen Bildung zu<br />
suchen sind. Diese werden hier im Folgenden thematisch gebündelt.<br />
Demografische, regionale, wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen<br />
Der Berufsbildungsbericht (BIBB 2008) führt die geschilderte Entwicklung zum Teil auf<br />
demografische Faktoren zurück. Zum einen haben in den letzten Jahren geburtenstarke<br />
Jahrgänge die Schulen verlassen. Die verbesserte Angebotssituation erlaubte vielen<br />
Unternehmen eine stärkere Selektion, die im System der beruflichen Ausbildung zu<br />
Verdrängungsprozessen führte und tendenziell zulasten von Ausländern ging (z.B. Granato et al.<br />
2006). Zum anderen haben die Reformen des Staatsbürgerschaftsrechts die Ausländerzahlen<br />
verringert (z.B. Uhly/Granato 2006). Da die Einbürgerung jedoch selektiv ist (Zwick 2006;<br />
Beauftragte 2007b; Seibert 2008) und gerade die Migranten mit vergleichsweise wenigen<br />
beruflichen Integrationsproblemen sich für die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft<br />
entscheiden, sind möglicherweise die weniger erfolgreichen Migranten übermäßig unter den<br />
Ausländern vertreten. Ein regionaler Faktor, der die Chancen von Migranten auf einen<br />
Ausbildungsplatz negativ beeinflusst, ist ihre Konzentration in städtischen Ballungsgebieten, wo<br />
nur etwa ein Viertel aller Ausbildungsplätze angeboten wird (Autorengruppe<br />
Bildungsberichterstattung 2008).
60 Ingrid Wilkens<br />
Mehrere Studien (Burkert et al. 2008; Brück‐Klingberg et al. 2008; Beicht et al. <strong>2009</strong>) weisen<br />
darauf hin, dass auch volkswirtschaftliche Entwicklungen eine Rolle spielen. In den letzten<br />
Jahren war in <strong>Deutschland</strong> ein massiver Abbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung vor<br />
allem in der Industrie – dem traditionellen Arbeitsfeld vieler Migranten – zu verzeichnen, der mit<br />
einer Verringerung des Ausbildungsplatzangebots einherging. In der Industrie hat die Zahl der<br />
ausländischen Auszubildenden seit 1995 um 62% abgenommen. Dass ihre Zahl auch im<br />
Dienstleistungssektor um 22% gesunken ist, ist allerdings ein Hinweis darauf, dass Tertiarisierung<br />
und berufsstruktureller Wandel die Verschlechterung der Chancen von Migranten im<br />
Berufsbildungssystem lediglich zum Teil erklären können.<br />
In der Diskussion kaum beleuchtet wird dagegen der Aspekt, dass auch rechtliche<br />
Regelungen des Arbeits‐ und Ausbildungsstellenmarktes Ausländer benachteiligen können.<br />
Durch die Erweiterung der EU wurden etliche Arbeitsmigranten und ihre Nachkommen ohne<br />
deutsche Staatsangehörigkeit zu EU‐Bürgern und erhielten Zugang zum Arbeitsmarkt. Ein großer<br />
Teil der ausländischen Jugendlichen hat jedoch die türkische Nationalität und zählt damit zu den<br />
„Drittstaatlern“, für die z. T. Beschäftigungsbeschränkungen bestehen. Von gewerkschaftlicher<br />
Seite wird darauf hingewiesen, dass „Betriebe […] bürokratische Verfahren [fürchten] und […]<br />
von vornherein Jugendliche aus[schließen], die in ihrer Bewerbung nicht auf das Vorhandensein<br />
einer Daueraufenthaltserlaubnis verweisen“ (Roßocha 2008: 20).<br />
Bildungsdefizite und Diskriminierung im vorgelagerten Schulsystem<br />
Im Zentrum der Debatte um die Chancen von Migranten im Bildungssystem steht der Aspekt<br />
der häufig vorhandenen sprachlichen Defizite (zur sprachlichen Selbsteinschätzung von<br />
Migranten s. Frick/Wagner 2001; Schweigard 2007b) und mangelnden schulischen und<br />
familiären Bildungsvoraussetzungen (Beauftragte 2007b). Auf dem Ausbildungsstellenmarkt<br />
befinden sich Jugendliche ohne und mit Schulabschlüssen verschiedener Art und Güte. Junge<br />
Leute mit einem mittleren Bildungsabschluss oder Abitur haben deutlich bessere Aussichten auf<br />
einen Ausbildungsplatz als Hauptschulabsolventen (Eberhard et al. 2005; s.a. Ulrich 2008; zum<br />
besseren Verständnis der möglichen Übergänge s. Abb. 3). Die Schüler mit ausländischer<br />
Staatsbürgerschaft bzw. Migrationshintergrund konnten in den letzten Jahren ihre schulischen<br />
Vorqualifikationen verbessern. Sie sind jedoch bundesweit immer noch in den Realschulen leicht<br />
und auf den Gymnasien stark unterrepräsentiert, an den Hauptschulen dagegen übermäßig<br />
vertreten (zu den Bildungsabschlüssen nach Nationalitäten s. Tab. 3; zu den Bildungschancen<br />
von Migrantenkindern z.B. von Below 2003; Fuchs et al. 2008). Allerdings sind hier erhebliche<br />
Unterschiede zwischen den Bundesländern und vor allem auch nach Herkunftsland zu<br />
beobachten (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006; Autorengruppe<br />
Bildungsberichterstattung 2008); insbesondere Kinder und Jugendliche mit türkischem<br />
Migrationshintergrund haben Schwierigkeiten in der Schule (Konsortium<br />
Bildungsberichterstattung 2006). Schüler, deren Eltern einen geringen Bildungshintergrund<br />
haben bzw. schulisch nicht in <strong>Deutschland</strong> sozialisiert worden sind, gelten als tendenziell<br />
benachteiligt (ebda.). Viele Eltern können weder die Bedeutung einer beruflichen Ausbildung<br />
einschätzen noch ihre Kinder bei der Ausbildungsplatzsuche unterstützen (Schreier 2008;
Mobility and Migration 61<br />
Kanschat <strong>2009</strong>). Diese Argumente werden zum Teil auch mit der Humankapitaltheorie unterlegt<br />
(basierend auf Becker 1964; z.B. Diefenbach 2008a; Granato 2003 und die dort angegebene<br />
Literatur), die Bildungsanstrengungen als Investitionen interpretiert, die nur dann vorgenommen<br />
werden, wenn sie entsprechende Erträge versprechen (genauer Wilkens <strong>2009</strong>).<br />
Das schlechte Abschneiden der Migranten im Schulsystem wird auch auf eine institutionelle<br />
Diskriminierung zurückgeführt: In kaum einem anderen Land korreliere der Schulerfolg so stark<br />
mit der sozialen Herkunft und dem Sprachvermögen (Baumert et al. 2001; Prenzel et al. 2004,<br />
2007). Dies wird vor allem mit mangelnder Sprachförderung, früher Selektion nach Abschluss der<br />
Primarstufe und Mittelschichtorientierung der Schule (Unterrichtsinhalte, Sprache, Lehrkörper)<br />
begründet (z.B. OECD 2006; Auernheimer <strong>2009</strong>). Fehlende öffentliche Mittel und der immer<br />
noch weit verbreitete Halbtagsunterricht begrenzen die notwendige Förderung finanziell und<br />
zeitlich. So kommt es in der Schule zu einer „sozialen Auslese mit Ethnisierungseffekten, in der<br />
sich die Kombination von Unterschichtzugehörigkeit und nichtdeutscher Familiensprache als<br />
besonders nachteilig auswirkt“ (Britz 2006: 26). Dies gilt vor allem für die „Quereinsteiger“, die<br />
ab dem 6. Lebensjahr zugezogen sind (Beicht et al. 2008).<br />
Orientierung und Suchstrategien<br />
Mitunter wird Migrantenjugendlichen mangelndes Interesse an einer Berufsausbildung und<br />
geringes Engagement bei der Bewerbung vorgeworfen. Während eine Befragung aus dem Jahr<br />
1998 noch belegte, dass die Hälfte der ausländischen Jugendlichen ohne Berufsabschluss gar<br />
keinen Ausbildungsplatz nachgefragt hatte (Ulrich 2005, 2006), ergaben neuere Untersuchungen<br />
des BIBB, dass sich die Präferenzen und das Such‐ bzw. Bewerbungsverhalten zwischen<br />
Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund nur wenig unterscheiden (Ulrich 2006; BIBB<br />
<strong>2009</strong>b; Diehl et al. <strong>2009</strong>; Granato 2008, <strong>2009</strong>). Eine Analyse der Daten des DJI‐Übergangspanels<br />
zeigt allerdings, dass die Absicht, „demnächst eine Ausbildung beginnen zu wollen“ bei<br />
Jugendlichen mit Migrationshintergrund weniger verbreitet ist als bei denjenigen ohne diesen<br />
Hintergrund (38% vs. 52%). Stattdessen planten sie häufiger, weiterhin die Schule zu besuchen<br />
(30% vs. 22%). Ferner variiere die Ausbildungsorientierung mit dem Herkunftsland: So erwiesen<br />
sich die Aussiedler wesentlich interessierter an der baldigen Aufnahme einer Berufsausbildung<br />
als die türkeistämmigen Jugendlichen (Reißig et al. 2006; Gaupp et al. 2007; zu möglichen<br />
Gründen: u.a. Skrobanek 2007; Kuhnke et al. 2006).<br />
Betriebliche Auswahlverfahren<br />
Die betrieblichen Entscheidungen über die Einstellung von Auszubildenden orientieren sich<br />
am erwarteten Personalbedarf (differenzierter Dietrich et al. <strong>2009</strong>). Einhergehend mit der<br />
Verdichtung der Aufgaben in der Arbeitswelt und dem technischen Fortschritt wachsen die<br />
Ansprüche in den Ausbildungsberufen und die Anforderungen der Betriebe an die Kompetenzen<br />
der Bewerber (Ehrenthal et al. 2005; zur Selektivität Baethge et al. 2007). Häufig wird von<br />
betrieblicher Seite die mangelnde „Ausbildungsreife“ (gerade auch ausländischer) Jugendlicher<br />
kritisiert (Imdorf 2008; zur Diskussion z.B. Ehrenthal et al. 2005; Müller‐Kohlenberg et al. 2005;<br />
Dressel 2006). Bei der Auswahl lassen sich Personalverantwortliche vor allem von
62 Ingrid Wilkens<br />
Schulabschlüssen und ‐noten leiten (ausführlicher Ulrich 2006), wobei Migranten tendenziell<br />
schlechter abschneiden. Studien zeigen jedoch, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund<br />
auch dann erheblich geringere Chancen haben, wenn sie vergleichbare Schulabschlüsse oder<br />
gute Noten haben (Boos‐Nünning 2006; Uhly et al. 2006; o.V. 2007a; Ulrich 2008). Dies wird auf<br />
die Unterschiede nivellierende Betrachtung von Migranten, kulturspezifischen Auswahlverfahren<br />
in Betrieben sowie Vorbehalte bei Personalverantwortlichen zurückgeführt (Granato 2003,<br />
2006), die auch mit signaltheoretischen Ansätzen erklärt werden (Solga 2005). Offenbar<br />
unterstellen viele Personalentscheider Bewerbern mit Migrationshintergrund „unzureichende<br />
Kenntnis der deutschen (Betriebs‐) Kultur“ sowie das Fehlen bestimmter Kompetenzen. Auch<br />
„Problemvermeidung“ und vermutete Kundenvorbehalte können eine Rolle spielen (Imdorf<br />
2008). Weitere Gründe sind möglicherweise das durch häufigere Rückstufungen und<br />
Klassenwiederholungen teilweise deutlich erhöhte Alter von Bewerbern mit<br />
Migrationshintergrund (Ulrich 2006) sowie sprachliche Probleme (Kalter 2006). Die<br />
Personalauswahl folgt offenbar teilweise ethnischen Linien, worunter vor allem türkeistämmige<br />
Jugendliche zu leiden haben (Boos‐Nünning 2006; Kalter 2006).<br />
Verschärfend tritt hinzu, dass Migrantenjugendliche weniger auf Netzwerke bzw. informelle<br />
Beziehungen in den Betrieben zurückgreifen können, die möglicherweise bei der Ausbil‐<br />
dungsplatzvergabe von erheblichem Nutzen sind (Boos‐Nünning 2006). Eine ältere<br />
Untersuchung hat ergeben, dass 25% der deutschen, aber nur 13% der ausländischen<br />
Auszubildenden ihre Stelle den persönlichen Beziehungen ihrer Eltern verdanken (Rieker 1991;<br />
zitiert nach Granato 2003).<br />
Resümee<br />
Offenbar lassen sich die schlechteren Chancen von jugendlichen Migranten im<br />
Ausbildungssystem auf ein Bündel von Ursachen zurückführen. Die angespannte Marktlage<br />
begünstigt Verdrängungsprozesse aus dem dualen System, bei denen eine ausländische<br />
Staatsangehörigkeit bzw. ein Migrationshintergrund ein besonders wichtiger Faktor zu sein<br />
scheint (Granato 2003; Uhly et al. 2006; Granato 2006; Diehl et al. <strong>2009</strong>). Stärker untersucht<br />
werden müsste künftig der Einfluss der deutschen Sprachkompetenz auf die Einmündung ins<br />
Ausbildungssystem.<br />
6. Migranten in der beruflichen Weiterbildung<br />
Die in <strong>Deutschland</strong> vorliegenden Studien zur beruflichen Weiterbildung unterscheiden sich<br />
im Hinblick auf Definitionen, Erhebungseinheiten und Untersuchungszeiträume stark<br />
voneinander, weshalb ihre Ergebnisse nur bedingt vergleichbar sind. Trotzdem kommen sie zu<br />
ähnlichen Befunden und machen deutlich, dass die Weiterbildungsbeteiligung in Abhängigkeit<br />
von Qualifikation, beruflichem Status, Art des Beschäftigungsverhältnisses und Staatsbürger‐<br />
schaft variiert (Kuwan et al. 2006; Wilkens 2005; Bellmann 2003; Schröder et al. 2003). Deutsche<br />
haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, an Weiterbildung zu partizipieren als Ausländer; der
Mobility and Migration 63<br />
Effekt ist signifikant (Wilkens/Leber 2003). Dies ist möglicherweise auf das im Durchschnitt<br />
niedrigere Qualifikationsniveau und die in der Regel geringere berufliche Position<br />
zurückzuführen. Die Weiterbildungsbeteiligung der Deutschen liegt jedoch auch dann deutlich<br />
über der der Ausländer, wenn nur Gruppen mit einem hohen Schulabschluss verglichen werden.<br />
Eine Differenzierung nach Herkunftsländern ergibt, dass keine großen Unterschiede in der<br />
Weiterbildungsbeteiligung von Deutschen und EU‐Ausländern bestehen. Personen aus<br />
Osteuropa weisen überdurchschnittlich hohe Teilnahmequoten auf, türkische Staatsbürger<br />
hingegen unterdurchschnittliche (Leber/Möller 2008). Die unterschiedliche<br />
Weiterbildungsbeteiligung kann darüber hinaus auch in Barrieren seitens der<br />
Weiterbildungsteilnehmer („Selbstselektion“) oder in der Förderbereitschaft der die<br />
Weiterbildung finanzierenden Betriebe („Fremdselektion“) begründet sein (Leber/Möller 2008).<br />
Letztlich dürften auch Sprachschwierigkeiten von Ausländern eine wichtige Rolle für die<br />
geringere Partizipation spielen. – Zur Erklärung der Weiterbildungsbeteiligung wird zum einen<br />
die Humankapitaltheorie herangezogen (Becker 1964), zum anderen auf segregations‐ und<br />
segmentationstheoretische Ansätze zurückgegriffen (Doeringer/Piore 1971). Außerdem wird auf<br />
Diskriminierung verwiesen (Leber/Möller 2008).<br />
Aufgrund der besonderen Situation von Migranten im Bildungs‐ und Erwerbssystem spielt<br />
die öffentlich geförderte Weiterbildung für diesen Personenkreis eine besondere Rolle. Doch<br />
auch bei Weiterbildungsveranstaltungen der Bundesagentur für Arbeit bleibt die Teilnahme der<br />
ausländischen Arbeitslosen hinter denen der deutschen seit Jahren zurück. Eine Hemmnis kann<br />
im besonderen Unterstützungsbedarf gesehen werden (Bethscheider 2008), häufig gerade im<br />
Hinblick auf die unzureichende Kenntnis der deutschen Sprache. In berufsbezogenen<br />
Deutschsprachkursen für Personen mit Migrationshintergrund und Berufserfahrung (Deeke<br />
2004, 2005, 2006a, 2006b, 2006c, Schweigard 2007a) stehen daher die Vermittlung der<br />
Fachsprache und ein Bewerbungstraining im Vordergrund. 26 Doch nur eine Minderheit schafft<br />
im Anschluss den Sprung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (Deeke 2007).<br />
Tendenziell vergrößern solche Kurse die Chancen von Spätaussiedlern am Arbeitsmarkt, kaum<br />
jedoch von Ausländern oder anderen Eingebürgerten. Besondere Schwierigkeiten beim<br />
Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt haben türkische Staatsangehörige (Schweigard 2008).<br />
Unter Migranten ist der Anteil derjenigen, die über keine abgeschlossene Berufsbildung<br />
verfügt, besonders hoch (Granato/Gutschow 2004). Auch sie können die zahlreichen erprobten<br />
Fördermaßnahmen zur Nachqualifizierung nutzen, die den nachholenden Erwerb eines<br />
beruflichen Abschlusses ermöglichen sollen. Andere Maßnahmen verknüpfen<br />
Qualifizierungsbausteine, Sprachförderkurse und Beschäftigungsangebote, führen aber oft nicht<br />
zum erhofften Übergang in Beschäftigung. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Erfolge<br />
solcher Maßnahmen nicht nur in Form von Zertifikaten oder des Verbleibs nach der Maßnahme<br />
26<br />
Demgegenüber sind die sog. Integrationskurse nicht der beruflichen Bildung zuzuordnen. Sie sollen zum einen<br />
grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache vermitteln, zum anderen über die deutsche Kultur, das Rechtssystem<br />
und die Werteordnung informieren.
64 Ingrid Wilkens<br />
gemessen werden sollten, weil sie ebenfalls „Sozialisation, berufliche Orientierung und die<br />
Entwicklung überfachlicher Kompetenzen“ förderten (Badel et al. 2008).<br />
7. Neuere Ansätze zur Nutzung des Potentials von Migranten<br />
Personen mit Migrationshintergrund können besondere migrationsbedingte Erfahrungen,<br />
erweiterte Perspektiven und interkulturelle sowie fremdsprachliche Kompetenzen haben. Diese<br />
persönlichen Ressourcen, die sich teilweise beruflich nutzen lassen, werden jedoch in der<br />
deutschen Wirtschaft noch deutlich unterbewertet (Granato <strong>2009</strong>). Erst allmählich findet in der<br />
politischen Debatte ein Umdenken statt: Ein Migrationshintergrund wird zunehmend als<br />
Ressource und weniger als Defizit begriffen.<br />
Gleichzeitig betonen einzelne Autoren (z.B. Settelmeyer 2008), dass nicht nur bei Tätigkeiten<br />
mit internationalen Bezügen (Außenhandel etc.) interkulturelle Kommunikation eine immer<br />
größere Rolle spielt. Auch der wachsende Anteil von Migranten an der Bevölkerung macht eine<br />
entsprechende Kunden‐ bzw. Klientenorientierung und eine Anpassung des Waren‐ und<br />
Dienstleistungsangebots notwendig. In besonderem Maße gilt dies für die personenbezogenen<br />
Dienstleistungen, für die – z.B. im medizinischen oder sozialen Bereich – eine kultursensiblere<br />
Ausgestaltung gefordert wird. Kontakte und Kommunikation können durch Mitarbeiter mit<br />
Migrationshintergrund und interkultureller Kompetenz erleichtert werden, indem sie<br />
beispielsweise erklären oder dolmetschen, die Klientel gezielter ansprechen oder<br />
Missverständnisse abbauen helfen (z.B. BIBB 2006; sehr detailliert Settelmeyer <strong>2009</strong>).<br />
Um die Ressourcen von Personen mit Migrationshintergrund besser zu erschließen, werden<br />
in den vorliegenden Arbeiten verschiedene Empfehlungen gegeben. Zum einen wird eine<br />
interkulturelle Öffnung der beruflichen Bildung gefordert. Beispielsweise sollten die<br />
Institutionen „produktiver“ mit der zunehmenden Heterogenität umgehen (z.B. Kimmelmann<br />
<strong>2009</strong>a, <strong>2009</strong>b; El‐Mafaalani <strong>2009</strong>a, <strong>2009</strong>b; ein praktisches Beispiel zur Entwicklung<br />
interkultureller Kompetenzen an Berufsschulen beschreibt Seibt <strong>2009</strong>). Die besondere<br />
Lernsituation wird nach Untersuchungen des BIBB in Weiterbildungsveranstaltungen mit<br />
gemischter Teilnehmerstruktur – Deutsche und Migranten – nicht ausreichend berücksichtigt,<br />
ließe sich aber mit wenig Aufwand verbessern (Bethscheider 2008). Im Vordergrund stünden<br />
dabei die methodisch‐didaktischen Kompetenzen der Lehrenden sowie weiterbildungs‐<br />
begleitende Unterstützung. Zum anderen sollten die Grundsätze des Diversity Managements in<br />
den Unternehmen verstärkt umgesetzt werden, d.h. die „Verschiedenartigkeit der Beschäftigten<br />
[ist] bewusst zum Bestandteil des Personalmanagements und der Organisationsentwicklung“ zu<br />
machen (Kimmelmann <strong>2009</strong>a: 7). 27<br />
Es gilt aber nicht nur, Wirtschaft und Gesellschaft für Diversität zu sensibilisieren, sondern<br />
auch, vorhandene Bilingualität und interkulturelle Kompetenzen im schulischen und beruflichen<br />
27<br />
Im internationalen Vergleich weisen die deutschen Unternehmen eine besonders geringe kulturelle Heterogenität auf<br />
(Kanschat <strong>2009</strong>), was den besonderen Handlungsbedarf erklärt.
Mobility and Migration 65<br />
Bildungssystem gezielt zu fördern (Beauftragte 2007: 71). Experten (z.B. Granato et al. 2006;<br />
Settelmeyer 2008, <strong>2009</strong>) erachten einen ergänzenden erstsprachlichen (Fach‐)Unterricht, aber<br />
auch ein berufsbegleitendes Training nach der beruflichen Ausbildung als wichtig, denn die dabei<br />
erworbenen Kenntnisse wären in der Regel für die Praxis nicht ausreichend. So müssten<br />
Fachtermini, ein gehobenes Sprachniveau, Schriftsprache sowie geschäftliche Konventionen in<br />
der beruflichen Aus‐ und Weiterbildung systematisch erlernt und vertieft werden.<br />
Problematisch ist, dass Personen mit Migrationshintergrund oft selbstverständlich<br />
interkulturelle Kompetenzen unterstellt werden (für den Bereich der Pädagogik Mecheril 2002).<br />
Doch nicht alle bringen entsprechende Fähigkeiten mit, auf die sich in Aus‐ oder Weiterbildung<br />
aufbauen lässt (Settelmeyer 2008). Außerdem zeigt die Forschung, dass der Einsatz<br />
migrationsspezifischer Kompetenzen bei der beruflichen Tätigkeit schwierig sein (Benneker et al.<br />
2005) und zusätzliche Belastungen sowie Ambivalenzen bei Migranten hervorrufen kann, weil<br />
für sie ihre Fachlichkeit im Vordergrund steht, sie sich nicht als Personen mit<br />
Migrationshintergrund fühlen oder nicht als solche angesehen werden möchten (Settelmeyer<br />
<strong>2009</strong>; für die Soziale Arbeit Braun <strong>2009</strong>).<br />
8. Forschungsdesiderate<br />
Ausländer bzw. Personen mit Migrationshintergrund sind im deutschen Bildungssystem in<br />
vieler Hinsicht benachteiligt. Dies verhindert ihre erfolgreiche Integration in das Erwerbssystem<br />
und stellt damit ihre gesellschaftliche Integration und soziale Teilhabe infrage. Der erhebliche<br />
Anteil an niedrigqualifizierten Ausländern auf dem deutschen Arbeitsmarkt und die hohe<br />
ausländerspezifische Arbeitslosenquote werden so reproduziert, die soziale Aufwärtsmobilität<br />
von Migranten behindert.<br />
Wie in anderen migrationsspezifischen Forschungsfeldern ist auch im Bereich der<br />
beruflichen Bildung die mangelhafte Datenlage in den amtlichen Statistiken zu kritisieren, die<br />
erhebliche Informationslücken hinterlässt. Dies liegt zum einen in der noch verbreiteten<br />
Verwendung des Ausländerkonzeptes begründet, das den Anteil von Personen mit<br />
Migrationshintergrund unterschätzt, zum anderen darin, dass wesentliche Merkmale der<br />
Schüler wie Alter oder schulische Vorbildung und andere Daten mit hohem Informationsgehalt –<br />
z.B. die Erfolgsquoten bei den Abschlussprüfungen – nicht differenziert nach Herkunft<br />
ausgewiesen werden. Hinzu kommt, dass die institutionelle Heterogenität des<br />
Schulberufssystems und die Ausdifferenziertheit des Übergangs‐ sowie des<br />
Weiterbildungssystems zu einer Unübersichtlichkeit der Angebote führen und einer detaillierten<br />
Analyse der Leistungsfähigkeit dieser Segmente – gerade auch im Hinblick auf die Integration<br />
von Migranten – entgegensteht (Autorengruppe 2008; Planque 2006).<br />
Soll das Problem der Chancenungleichheit von Migranten in der beruflichen Bildung<br />
erfolgreich angegangen werden, müssen mehr Informationen über die individuellen und<br />
sozioökonomischen Einflussfaktoren, die die Chancen von Migranten am Ausbildungsmarkt, im<br />
Schulberufssystem sowie bei der beruflichen Weiterbildung negativ beeinflussen, bereitgestellt
66 Ingrid Wilkens<br />
werden. Das DJI‐Übergangspanel läuft <strong>2009</strong> aus und lässt dann interessante Ergebnisse<br />
erwarten. Andere Daten auf individueller Ebene, die wie das DJI‐Übergangspanel oder die BIBB‐<br />
Übergangsstudie 2006 Längsschnittanalysen erlauben, sind kaum vorhanden. Die genannten<br />
Studien müssten daher dringend weitergeführt werden. Längerfristig verspricht das <strong>2009</strong><br />
gestartete Bildungspanel (NEPS) neue Erkenntnisse, die sich auch auf das Bildungsverhalten und<br />
die Bildungskarrieren von Personen mit Migrationshintergrund erstrecken sollen. Analysen<br />
sollten dabei nach dem jeweiligen Migrationshintergrund differenzieren. Dabei ist zu bedenken,<br />
dass eine Differenzierung der Befunde nach ethnischer Herkunft in <strong>Deutschland</strong> teilweise<br />
umstritten ist 28 , obwohl sie spezifischen Förder‐ und Unterstützungsbedarf identifizieren kann.<br />
Außerdem wären vertiefende Einsichten hinsichtlich der in der Forschung herausgearbeiteten<br />
Faktoren, die Migranten beim Zugang zur dualen Ausbildung tendenziell benachteiligen –<br />
volkswirtschaftliche Entwicklungen, rechtliche Regelungen, sozialräumliche Verteilung,<br />
betriebliche Auswahlverfahren, begrenzte Netzwerke – wünschenswert. Auch existieren kaum<br />
Untersuchungen zu den Gründen, warum junge Migranten unterproportional in das<br />
Schulberufssystem einmünden sowie zu möglichen Selektionsmechanismen in diesem Segment.<br />
Weiterhin liegen wenige systematisch gewonnene Erkenntnisse über die Strategien von<br />
erfolgreichen und nicht erfolgreichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund vor, zu der<br />
Einschätzung ihrer Situation, ihrem Umgang mit Diskriminierungserfahrungen im Ausbil‐<br />
dungssystem und den Hintergründen ihrer Berufs‐ und Ausbildungspläne. Hier bietet sich die<br />
Durchführung qualitativer Studien an, die aber breit angelegt sein sollten.<br />
Generell wird kritisiert, dass die Förderung und Qualifizierung erwachsener Migranten<br />
gegenüber der jugendlicher Migranten zu wenig beachtet wird (Bethscheider 2008). Dies richtet<br />
sich an die Weiterbildungsforschung, die künftig stärker auf Personen mit Migrationshintergrund<br />
fokussieren sollte. Außerdem sind die förderlichen und hinderlichen Faktoren einer Teilnahme<br />
von Migranten vertieft zu untersuchen.<br />
Gleichzeitig befindet sich die Forschung zum Vorhandensein, zur Nutzung und zum Ausbau<br />
interkultureller Kompetenzen bei Personen mit Migrationshintergrund noch in den Anfängen.<br />
Hier sind in nächster Zeit verstärkte Untersuchungsbemühungen vonnöten. Es ist damit zu<br />
rechnen, dass die aktuelle Wirtschaftskrise die Situation auf dem Ausbildungsstellen‐ sowie dem<br />
Arbeitsmarkt wieder verschärfen wird. Dabei besteht die Gefahr, dass die erwähnten<br />
Verdrängungsprozesse sich beschleunigen. Vor diesem Hintergrund wären Machbarkeitsstudien<br />
sinnvoll, die – auch anhand einer vergleichenden Auswertung der Ergebnisse von<br />
Modellprojekten und der bundesweit in großer Zahl existierenden regionalen<br />
Fördermaßnahmen – untersuchen, mit welchen Instrumenten sich die Partizipation von<br />
Migranten in der dualen Ausbildung, im vollqualifizierenden Schulberufssystem und in der<br />
beruflichen Weiterbildung nachhaltig erhöhen lässt.<br />
28<br />
Im Berliner Integrationskonzept zum Beispiel wird eine solche mit folgender Begründung abgelehnt: „..., dass<br />
Unterschiede zwischen ethnisch‐kulturellen Bevölkerungsgruppen sich aus der sozialen Lage erklären können und oft<br />
nicht ursächlich aus der Einwanderungssituation oder kulturellen Besonderheiten herzuleiten sind“ (o.V. 2007b: 83).
Mobility and Migration 67<br />
9. Ausblick<br />
Die demografische Entwicklung führt in <strong>Deutschland</strong> zu einer zunehmenden Alterung der<br />
Gesellschaft. Bis 2025 wird sich der Anteil junger Leute zwischen 15 und 30 Jahren an der<br />
Bevölkerung um fast 20% reduziert haben (Badel et al. 2008). Für die deutsche Wirtschaft<br />
zeichnet sich schon jetzt ein erheblicher Fachkräftemangel ab. Das Nachfragepotenzial nach<br />
dualer Ausbildung schrumpft bereits (z.B. Ulmer/Ulrich 2008). Dies wirft immer wieder die Frage<br />
auf, ob sich der Fachkräftemangel nicht durch qualifizierte Zuwanderung entschärfen ließe.<br />
Zuwanderung nach <strong>Deutschland</strong> ist zurzeit jedoch überwiegend durch<br />
Familienzusammenführung/‐gründung motiviert. Damit steht zu befürchten, dass sie tendenziell<br />
niedrigqualifiziert bleibt. Es existieren zwar etliche Regelungen für die Aufnahme einer<br />
befristeten – auch qualifizierten – Beschäftigung durch Personen aus dem Ausland, doch fehlt es<br />
augenblicklich noch an einem Gesamtkonzept der Zuwanderungssteuerung und an Maßnahmen,<br />
die Attraktivität <strong>Deutschland</strong>s für wanderungswillige Personen mit guter Qualifikation zu<br />
erhöhen (z.B. Schultze 2007).<br />
Nicht nur aus sozialpolitischer, sondern auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es daher<br />
dringend geboten, die Bevölkerung – und hier vor allem die nicht gut Ausgebildeten – zu<br />
qualifizieren. Dazu kann ein ganzes Zielbündel abgeleitet werden (Ulmer/Ulrich 2008). Es<br />
umfasst die Senkung der Quote der Schulabbrecher bzw. ‐verweigerer, den Abbau von<br />
Warteschleifen im Übergangssystem, eine Begleitung des Berufsorientierungs‐ und<br />
Berufsfindungsprozesses und die Verringerung der Ausbildungsabbrüche. Wichtig ist ebenfalls<br />
die Nachqualifikation von Personen ohne Bildungsabschluss und der Ausbau der Weiterbildung<br />
gerade für diejenigen, die bislang wenig daran partizipiert haben. Ferner kann versucht werden,<br />
die Motivation von Abiturienten, eine duale Ausbildung aufzunehmen, zu stärken. Um solche<br />
Pakete zu realisieren ist zum einen eine Verbesserung des sogenannten regionalen<br />
Übergangsmanagements nötig. Zum anderen gilt es, gezielte Maßnahmen für Migranten zu<br />
entwickeln, deren Anteil an der Bevölkerung steigen wird, die aber zunehmend im beruflichen<br />
Bildungssystem benachteiligt sind.werden, die Motivation von Abiturienten, eine duale<br />
Ausbildung aufzunehmen, zu stärken. Um solche Pakete zu realisieren ist zum einen eine<br />
Verbesserung des sogenannten regionalen Übergangsmanagements nötig. Zum anderen gilt es,<br />
gezielte Maßnahmen für Migranten zu entwickeln, deren Anteil an der Bevölkerung steigen wird,<br />
die aber zunehmend im beruflichen Bildungssystem benachteiligt sind.
68 Ingrid Wilkens<br />
Annex: Tables and Figures<br />
Tabelle 1: Entwicklung der Ausbildungsbeteiligungsquoten 2000 und 2007<br />
(Angaben in Prozent)<br />
2000 2007<br />
Deutsche 63,4 57,6<br />
- Männer 73,5 68,5<br />
- Frauen 53,0 46,1<br />
Ausländer 30,0 23,9<br />
- Männer 34,6 26,3<br />
- Frauen 25,2 21,3<br />
Quelle: BIBB <strong>2009</strong>b: 159<br />
Tabelle 2: Schüler nach Staatsangehörigkeit an Berufsschulen 2007/2008<br />
(Angaben in Prozent)<br />
Deutsche Ausländer<br />
Teilzeit‐Berufsschulen (duales System) 94,2 5,8<br />
Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) 82,5 17,5<br />
Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) 88,9 11,1<br />
Berufsfachschule 90,2 9,8<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 2, 2007/08: 14<br />
Tabelle 3: Ausländische und deutsche Abgänger allgemeinbildender Schulen nach<br />
Schulabschluss, Staatsangehörigkeit und Geschlecht (Angaben in Prozent)<br />
Abschluss Deutsche Schulentlassene Ausländische Schulentlassene<br />
M W m w<br />
Ohne 8,0 4,8 18,8 13,0<br />
Hauptschul‐ 25,1 18,6 43,2 40,1<br />
Realschul‐ 40,9 42,3 28,9 33,9<br />
Studienberechtigung 26,0 34,2 9,1 13,1<br />
Quelle: BIBB <strong>2009</strong>b: 133
Mobility<br />
and Miigration<br />
Tabbelle<br />
4: Ausbbildungs‐<br />
unnd<br />
Berufsweege<br />
von Schulabgängerrn,<br />
die sich iim<br />
Frühjahr r für<br />
einee<br />
betrieblichhe<br />
Ausbildung<br />
interessiierten<br />
(Herb bst 2008), nnach<br />
Migrattionshinterg<br />
grund<br />
(Anggaben<br />
in Prrozent)<br />
betriiebliche<br />
Ausbilddung<br />
außeerbetriebliche/<br />
schulische<br />
Ausbilduung<br />
Schulberufs‐<br />
oder<br />
Beammtenausbildungg<br />
Studium<br />
allgemeinbildende<br />
und beruflichee<br />
Schule<br />
berufliche<br />
Vollzeitschule,<br />
die nicht<br />
zu einem<br />
Bildungsaabschluss<br />
führt<br />
arbeitslos,<br />
ohne Beschäftigung<br />
Sonstige<br />
Abbbildung<br />
1: VVerteilung<br />
dder<br />
Schüler auf die ber ruflichen Schhulen<br />
im Scchuljahr<br />
200 06/2007<br />
nach<br />
Nationalität<br />
und Gesschlecht<br />
(Anngaben<br />
in Prozent) P<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
m<br />
Deutschhe<br />
Quelle: in Anlehnung an Siegert (<strong>2009</strong>: 442)<br />
w<br />
ohnee<br />
Migrationshin ntergrund<br />
m<br />
54<br />
4<br />
6<br />
4<br />
5<br />
11<br />
5<br />
12<br />
Ausländder<br />
w<br />
mit Miigrationshinter<br />
rgrund<br />
sonnstige<br />
SdGG<br />
BFSS<br />
duaal<br />
32<br />
2<br />
4<br />
3<br />
9<br />
17<br />
11<br />
23<br />
BVGG<br />
+ BGJ<br />
69<br />
Source:<br />
S
70<br />
Abbilduung<br />
2: Verteeilung<br />
der SSchüler<br />
auf die beruflic chen Schuleen<br />
im Schuljjahr<br />
2006/2 2007<br />
nach Naationalität<br />
uund<br />
Geschleecht<br />
(Angabben<br />
in Proze ent)<br />
1100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
m w<br />
D<br />
m w m<br />
GR<br />
w m w<br />
I PL<br />
Quelle: in Anleehnung<br />
an Siegeert<br />
(<strong>2009</strong>: 43)<br />
m w m<br />
Quelle: Autorengruppe<br />
Bildunngsberichterstattung<br />
2008: 156<br />
w m w m w m w<br />
BIH HR R SRB/MNE RUS TK<br />
Ingrid Wilke ens<br />
sonnstige<br />
Abbbildung<br />
3: ÜÜbergänge<br />
von Jugendlichen<br />
im Anschluss an die allggemeinbilde<br />
ende<br />
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Effectiveness and quality assurance<br />
___________________________________<br />
Sandra Bohlinger<br />
1. Fragestellungen und Forschungsthemen aus deutscher Perspektive 86<br />
2. Zentrale Forschungsergebnisse und deren Bewertung 87<br />
2.1 Qualitäts‐ und Effektivitätsverständnis 88<br />
2.2 Architektur der Qualitäts‐ und Effektivitätsforschung 90<br />
2.3 Qualitätssicherung in der beruflichen Erstausbildung 92<br />
2.4 Qualitätssicherung in der Weiterbildung 94<br />
2.5 Qualitätssicherung in der Hochschulbildung 97<br />
2.6 Bildungsstandards 101<br />
3. Implikationen für künftige Forschungsvorhaben und die Qualität der<br />
Qualitätssicherung 103<br />
4. Bibliografie 107<br />
1. Fragestellungen und Forschungsthemen aus deutscher Perspektive<br />
Qualität und Effektivität sind keine genuin pädagogischen Begriffe. Dementsprechend haben<br />
sie lange Jahre in der deutschsprachigen Berufsbildungsforschung kaum eine Rolle gespielt,<br />
sondern wurden vielmehr aufgrund der jahrhundertelangen Tradition der Meisterlehre und der<br />
hochgradig geregelten Institutionalisierung beruflicher Erstausbildung als systemimmanent<br />
verstanden. Dennoch ist zu erkennen, dass die Begriffe seit rund 20 Jahren Einzug in die<br />
Bildungspolitik, die Bildungspraxis und in den bildungswissenschaftlichen Diskurs gehalten<br />
haben. Ihre zentrale Funktion für alle Bereiche der beruflichen Bildung ist mittlerweile unstrittig<br />
und spiegeltn sich deutlich in der Ausrichtung aktueller Ziele und Leitbilder wider, die sich um<br />
die Themenkomplexe Sicherung, Entwicklung, Effektivität und Effizienz qualitativ hochwertiger<br />
Bildung bewegen.<br />
Die veränderte Zielausrichtung an Qualität und die Implementierung von<br />
Qualitätssicherungsverfahren hat das deutsche Berufsbildungssystem in den vergangenen zehn<br />
Jahren grundlegend verändert. Erkennen lässt sich dies an der Schwächung der traditionell<br />
hohen Selbstreferenz und starken professionellen Autonomie, die mit eher geringer<br />
Transparenz, schwachen Aufsichtsstrukturen und einem niedrigen Rechtfertigungszwang<br />
gegenüber Außenstehenden verbunden war. Gewandelt hat sich dabei die Erkenntnis, dass<br />
Zielklarheit, Erfolgskontrolle und Qualitätssicherung auch im deutschen System notwendig sind,<br />
um erfolgreich zu agieren und auf den internationalen, zumindest aber europäischen Arbeits‐<br />
und Bildungsmärkten konkurrenz‐ und anschlussfähig zu bleiben. Unumstritten ist dabei auch,<br />
dass die einzelnen Bildungssubsysteme unterschiedliche Entwicklungsfortschritte aufweisen:
Effectivness and quality assurance 87<br />
Während Qualitätssicherung und Effektivitätsorientierung in der Erwachsenen‐ und<br />
Hochschulbildung sowie insbesondere in der betrieblichen Weiterbildung langjährige Tradition<br />
haben und eine beinahe unüberschaubare Vielfalt aufweisen, haben sie im (Berufs‐)Schulwesen<br />
erst in jüngerer Zeit Einzug gehalten. Auffällig ist zudem, dass mit Blick auf die Ausbildung im<br />
dualen System der betrieblichen Ausbildungsqualität bei Forschungsaktivitäten eine weit<br />
geringere Aufmerksamkeit zuteil wird als der berufsschulischen Ausbildungsqualität.<br />
Bei den zentralen Ideen aktueller Forschungsaktivitäten lässt sich zudem feststellen, dass sie<br />
der Curriculum‐ und Evaluationsforschung der 1960er und 1970er Jahre entspringen. Dies gilt<br />
etwa für die Forderung nach der flächendeckenden Einführung von standardisierten Tests oder<br />
für die Orientierung an Lernzielen, die heute unter den Stichworten Standards und<br />
Lernergebnisorientierung diskutiert werden. Deutlich verändert hat sich dabei allerdings die<br />
wissenschaftliche Haltung gegenüber derartigen Neuerungen. Während sich für die frühen<br />
Ansätze eine „naiv technokratische Haltung“ (Klieme/Tippelt 2008: 8) konstatieren lässt, die<br />
Reformwiderstand, Steuerungsfragen, Kontexte und Langzeitfolgen weitgehend außer Acht ließ,<br />
finden sich heute Untersuchungsansätze, die diese Aspekte explizit und teilweise bis hin auf die<br />
Ebene des konkreten Lehr‐/Lernprozesses analysieren. Besonders bemerkenswert sind die<br />
Untersuchungen, die zudem gezielt die Wechselwirkung zwischen internationalen bzw.<br />
supranationalen und nationalen Reformen, Ansätzen und Maßnahmen zur Qualitätssicherung<br />
und Wirksamkeit beruflicher Bildung aufgreifen. Dabei lautet die Ausgangsthese dieser<br />
Untersuchungen: Der Vergleich mit a) anderen Staaten, die teilweise eine wesentliche längere<br />
Erfahrung mit Qualitätssicherungsverfahren und Wirksamkeitsforschung aufweisen können,<br />
sowie b) die voranschreitende europäische Integration im Bildungsbereich, die sich in<br />
zahlreichen Papieren, Maßnahmen und Projekten zur Schaffung eines europäischen<br />
Bildungsraums manifestiert, haben zu starken Verbündeten, aber auch zu starkem<br />
Konkurrenzdruck geführt, in dem sich das deutsche Berufsbildungssystem behaupten muss.<br />
Kernfrage ist hier, wie die berufliche Bildung international ausgerichtet und attraktiv gestaltet<br />
werden kann, so dass Bildungsgänge mobilitätsfördernd, anschlussfähig und Abschlüsse<br />
transparent gestaltet werden können.<br />
2. Zentrale Forschungsergebnisse und deren Bewertung<br />
Die Rekonstruktion der im Folgenden skizzierten Forschungsaktivitäten und ‐ergebnisse<br />
enthalten die aktuellen arbeits‐ und bildungswissenschaftlichen Konsens‐ und Dissenslinien über<br />
Qualität und Effektivität beruflicher Bildung, sofern das Thema Qualitätssicherung nicht<br />
grundlegend zurückgewiesen wird. Darin sind zunächst praktische Fragen zu erkennen, die einer<br />
wissenschaftlichen Klärung bedürfen, wie etwa jene nach dem Umgang mit der Vielfalt der<br />
Qualitätsperspektiven und ‐kriterien oder die Rolle der Professionellen und der<br />
Bildungsgangteilnehmenden im Prozess der Qualitätssicherung. Implizit findet sich zudem immer<br />
wieder die Frage, inwieweit eine Kundenorientierung – ausgerichtet am individuellen<br />
Teilnehmer und dessen sozialen Umfeld – als tragfähiges, realistisches und wünschenswertes<br />
Konzept auf Bildungsprozesse übertragbar ist. Damit verbunden ist die Frage, ob Qualität allein
88 Sandra Bohlinger<br />
durch die Akkreditierung von Bildungsgängen und ‐institutionen ex ante erzeugt werden kann<br />
oder ob diese Akkreditierung immer auch durch die Evaluation tatsächlich erworbener<br />
Lernergebnisse ex post gesichert werden muss. Und wie kann man dabei – als Kern der Frage der<br />
Qualitätssicherung – eine objektive, zuverlässige und vergleichende Feststellung von<br />
Lernergebnissen und Kompetenzen theoretisch und methodisch absichern? Diese Frage führt<br />
auch zu einem eher vernachlässigten Problem der Qualitäts‐ und Effektivitätsdebatte, nämlich<br />
jener nach der Qualität der Qualitätssicherung, die im letzten Kapitel gesondert behandelt<br />
werden soll.<br />
2.1 Qualitäts‐ und Effektivitätsverständnis<br />
In den Referenzjahren 2005‐<strong>2009</strong> finden sich nur wenige Studien, die den Qualitäts‐ und<br />
Effektivitätsbegriff allgemeingültig zu definieren versuchen. Die Omnipräsenz der beiden<br />
Begriffe und die damit verbundene Selbstverständlichkeit mag ein Grund für die begriffliche<br />
Unschärfe sein, ein anderer liegt unzweifelhaft in der Vielzahl der vorhandenen Auffassungen,<br />
Verfahren und Instrumente, die einer kohärenten Definition entgegensteht. In der beruflichen<br />
Bildung wird „Qualität“ meist als relativistischer Ansatz aufgefasst, d.h. als kontextbezogen,<br />
relational und als eine im Idealfall auf Konsens beruhende Zuschreibung, die de facto allerdings<br />
meist durch rechtliche oder ordnungspolitische Machtpositionen diktiert und dabei durch<br />
Teilaspekte von Qualität festgelegt und evaluiert wird. Im (berufs‐)schulischen Bereich wird<br />
Qualität dagegen eher als multidimensionales Konzept verstanden, das sich in die Bereiche<br />
Orientierung, Struktur, Qualität, Outcomes und Organisation/Management gliedert, die<br />
wiederum evaluiert werden können und den Ausgangspunkt für konkrete Qualitätsentwicklung<br />
und ‐sicherung bieten. Insofern – und an dieser Stelle stimmen die Qualitätsauffassungen<br />
wiederum überein – bedürfen Qualitätsfeststellungen zunächst einer impliziten Setzung von<br />
Gütekriterien, die nachvollziehbar legitimiert und objektivierbar sein müssen, bevor<br />
evaluationsbezogene Aussagen zu erreichten Qualitätsniveaus getroffen werden können. Dies<br />
gilt auch für die Qualitätssicherung der Qualitäts‐ und Effektivitätsforschung, die im<br />
Qualitätsdiskurs eine Sonderstellung einnimmt.<br />
Noch schwieriger als der Qualitätsbegriff verhält es sich mit dem Begriff „effectiveness“, den<br />
die deutsche Berufsbildungsdebatte weitgehend auszugrenzen versucht. Er verschwand<br />
spätestens nach dem Scheitern des Bildungsgesamtplans weitgehend aus bildungspolitischen<br />
Debatten und hielt erst wieder im Rahmen von Leistungsvergleichsstudien und den<br />
europäischen Meilensteinen Bologna, Lissabon und Brügge‐Kopenhagen Einzug in die<br />
bildungswissenschaftliche Agenda. Eine Ausnahme bildet dabei der Bereich öffentlich<br />
finanzierter beruflicher (Weiter‐)Bildungsmaßnahmen (konkret: Maßnahmen aktiver<br />
Arbeitsmarktpolitik, ALMP) an der Schnittstelle zur Arbeitsmarktforschung und ‐politik. Hier<br />
herrscht eine langjährige Tradition in der Evaluation dieser Maßnahmen mit dem Ziel, die<br />
Ausgabe öffentlicher Mittel zu rechtfertigen. „Effektivität“ und „Qualität“ werden dabei<br />
mehrheitlich am Merkmal der (Re‐)Integration in den Arbeitsmarkt und an der Verweildauer in<br />
Lohnsubventionen gemessen, während der Lern‐ bzw. Bildungsprozess von untergeordneter<br />
Bedeutung ist.
Effectivness and quality assurance 89<br />
Bezüglich der „effectiveness“ herrscht allerdings noch größere Unklarheit als bezüglich der<br />
„quality assurance“. Eine klare Abgrenzung zwischen „Effektivität“, „Effizienz“, „Wirksamkeit“,<br />
„Impact“ oder schlicht „Auswirkungen“ ist kaum zu finden. Das gilt gleichermaßen für die<br />
Berufsbildungsforschung wie für den Bereich der Active Labour Market Policies (ALMP). Die enge<br />
Verbindung zum Qualitätsbegriff zeigt sich verstärkt dort, wo „effectiveness“ als fester<br />
Bestandteil des Qualitätszyklus verstanden und als Ouput oder Outcomes beruflicher Bildung<br />
definiert wird.<br />
Dort, wo diese enge Verbindung nicht existiert, wird „effectiveness“ eher im Sinne von<br />
Kosten und Nutzen verstanden, so etwa bei den vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) seit<br />
Jahren regelmäßig durchgeführten Untersuchungen zu Kosten und Nutzen der dualen<br />
Berufsausbildung aus Sicht von Betrieben (von Bardeleben et al. 1995; Beicht et al. 2004;<br />
Wenzelmann et al. <strong>2009</strong> 29 ). Auf dieses Effektivitätsverständnis wird hier allerdings nicht weiter<br />
eingegangen.<br />
Ein deutlicher Unterschied zwischen Forschung zu Active Labour Market Policies (ALMP) und<br />
Berufsbildungsforschung besteht allerdings darin, dass aus berufsbildungswissenschaftlicher<br />
Perspektive die Prozessabläufe im Gegensatz zu Input, Output und Outcomes den zentralsten<br />
Stellenwert einnehmen, weil sie den Kern beruflichen Lernens, Lehrens und Handelns<br />
einnehmen.<br />
29 Die aktuelle Studie ist noch nicht abgeschlossen und kann unter http://www.bibb.de/de/wlk28857.htm<br />
eingesehen werden.
90 Sandra Bohlinger<br />
2.2 Architektur der Qualitäts‐ und Effektivitätsforschung<br />
Qualitätsdimension<br />
/ Qualitätsebenen<br />
Inputqualität Prozessqualität Outputqualität Outcomequalität<br />
Mikroebene Ausstattung der<br />
Lernumgebung,<br />
individuelle Lern‐ und<br />
Handlungsvoraus‐<br />
setzungen,<br />
soziodemografische<br />
Kontexte von Lehrenden<br />
und Lernenden<br />
Mesoebene Infrastruktur, Curriculum,<br />
Bildungsangebote und ‐<br />
gänge,<br />
Professionalisierung der<br />
Lehrkräfte<br />
Makroebene Regeln, Gesetze,<br />
Verordnungen,<br />
Ressourcenzuweisungen,<br />
institutionelle<br />
Rahmenbedingungen<br />
Erfassung,<br />
Bewertung und<br />
Standardisierung<br />
des Lehr‐<br />
/Lernprozesses,<br />
individuelle<br />
Haltung,<br />
Verhalten und<br />
Engagement<br />
Leitbilder,<br />
Change<br />
Management‐<br />
und Feedback‐<br />
Kultur,<br />
Lernatmosphäre,<br />
Methodik und<br />
Didaktik<br />
Nationale<br />
Standards<br />
Zertifizierter<br />
Lernerfolg,<br />
Lernergebnisse<br />
Jahresberichte,<br />
Absolventenstatistik,<br />
Lern‐ und<br />
Arbeitsbedingungen,<br />
organisationale<br />
matching‐Prozesse<br />
Nationale und<br />
internationale<br />
Vergleiche von<br />
Indikatoren,<br />
Benchmarks, Deckung<br />
von<br />
Arbeitsmarktbedarfen<br />
/ Effectiveness<br />
Berufliche Karriere<br />
und Einkommen,<br />
langfristiger Einsatz<br />
des Erlernten,<br />
bürgerschaftliche<br />
Teilhabe<br />
HRD‐Strategien,<br />
Erträge und<br />
Leistungsfähigkeit<br />
der Anbieter bzw.<br />
Unternehmen<br />
Wirksamkeit<br />
nationaler Politiken<br />
und des<br />
Berufsbildungs‐<br />
systems<br />
Qualitätssicherung kann somit verstanden werden als die Gesamtheit von formalisierten und<br />
institutionalisierten Verfahren, mit denen die Qualität von Organisationen im Bildungssystem,<br />
insbesondere deren Prozess‐ und Ergebnisqualität, beschrieben und vergleichend bewertet wird.<br />
Auffallend ist, dass sich Qualitätssicherungsverfahren meist auf einzelne Handlungseinheiten<br />
(Berufsschulen, Betriebe) beziehen, selten jedoch auf ein gesamtes System. Damit nähert sich<br />
Qualitätssicherung dem Konzept des Qualitätsmanagements und umfasst neben der Feststellung<br />
und Bewertung beruflicher Lehr‐/Lernprozesse auch die Bereiche Qualitätsentwicklung sowie<br />
Implementierung bzw. Veränderung von Qualitätssicherungsverfahren.<br />
Allerdings fällt der Forschungsstand – einschließlich einschlägiger empirischer<br />
Untersuchungen – je nach erziehungswissenschaftlicher Teildisziplin unterschiedlich aus, was im<br />
Zusammenhang mit den eigenständigen und teils divergierenden Qualitätsdiskursen je nach
Effectivness and quality assurance 91<br />
Bildungssubsystem zu sehen ist. So war und ist etwa in der Weiterbildung der Qualitätsdiskurs<br />
seit rund 20 Jahren eng mit jenem um Professionalität verbunden. In diesem Verständnis kann<br />
Qualität nur durch die Professionalisierung des Bildungspersonals bzw. aller Akteure verstanden<br />
werden. Dies bezieht sich auf drei Bereiche, nämlich<br />
Programmqualität durch theoretische Reflexion, Bedarfsermittlung, Transparenz und<br />
Systematik der Angebote sowie wissenschaftlich orientierte curriculare Bausteine;<br />
Durchführungsqualität durch Teilnehmerberatung, Dozentenauswahl und ‐fortbildung,<br />
Begleitmaterialien, Kurshospitationen etc.;<br />
Ergebnisqualität durch operationalisierte Tests und Prüfungen, durch Befragungen der<br />
Beteiligten und Programmevaluation (Schlutz 1996: 28).<br />
Für die Berufs‐ und Wirtschaftspädagogik lässt sich dagegen festhalten, dass<br />
Professionalisierung sich in der Mehrheit der Studien nur auf die Lehrerbildung in der ersten<br />
Phase bezieht und hier mehr konzeptuelle Arbeiten als empirische Befunde darüber vorliegen,<br />
wie diese zu konzipieren sei (Bauer/Grollmann 2006: 271; Buchmann/Kell 2000; Terhart 2000). 30<br />
Zudem liegen die wenigen empirischen Untersuchungen außerhalb des Referenzzeitraums<br />
und/oder beziehen sich nur auf Lehrer an allgemeinbildenden Schulen (z.B. Lamprecht/Korneck<br />
2008; Münk 2001; Oser/Oelkers 2001; Terhart 2006). Die wenigen empirischen Befunde (Bauer<br />
2006; Grollmann 2005) lassen allerdings nicht auf eine hohe Professionalisierung unter<br />
inhaltlichen Aspekten von Lehr‐/Lernprozessen schließen (Anwendung von Kompetenzen,<br />
Bewältigung von Aufgaben des beruflichen Alltags); vielmehr bezieht sich die hohe<br />
Professionalisierung in erster Linie auf formale Aspekte wie Ausbildungsniveau, Bezahlung,<br />
Interessenvertretung, das heißt auf eine andere Form von Qualität und Effektivität. Auch hier<br />
zeigt sich somit das Problem, das offensichtlich quer durch alle Bereiche des Qualitätsdiskurses<br />
zu finden ist: Je mehr sich Qualitätsentwicklungs‐ und ‐sicherungsbestrebungen dem Kern der<br />
beruflichen Bildung nähern, also den Lehr‐/Lernprozessen, desto weniger greifen offensichtlich<br />
die unterschiedlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen, ‐ansätze und ‐managementsysteme. Je<br />
weiter sich diese von dem Kern der beruflichen Bildung entfernen und auf formale, strukturelle<br />
oder ressourcenbezogene Aspekte ausgerichtet sind, desto mehr scheinen die Prozesse<br />
tatsächlich durch Qualitätsbestrebungen steuerbar und Effizienzbemühungen und ‐evaluationen<br />
realisierbar zu sein.<br />
Nur zögerlich werden in diesen Diskurs auch andere Akteure wie etwa betriebliches<br />
Ausbildungspersonal, die Lernenden bzw. Auszubildenden selbst (Beicht et al. <strong>2009</strong>;<br />
30<br />
Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Ausgabe 12 der online‐Zeitschrift bwp@ unter dem Stichwort<br />
„Qualifizierung von Berufs‐ und Wirtschaftspädagogen zwischen Professionalisierung und Polyvalenz“. Hier beziehen<br />
sich sämtliche Artikel auf die Lehrerausbildung, während die Qualifizierung von Berufs‐ und Wirtschaftspädagogen z.B.<br />
in der Wirtschaft oder Wissenschaft ebenso ausgeklammert wird wie betriebliches Ausbildungspersonal.<br />
(http://www.bwpat.de/archiv/#a13)
92 Sandra Bohlinger<br />
Beicht/Krewerth <strong>2009</strong>; Müller <strong>2009</strong>) oder die ausbildenden Betriebe (Ebbinghaus <strong>2009</strong>) in die<br />
Qualitäts‐ und Professionalisierungsdebatte einbezogen. Anders im Bereich der<br />
Erwachsenenbildung bzw. der betrieblichen Weiterbildung: Hier ist per se die Fokussierung auf<br />
das betriebliche Bildungspersonal ausgerichtet. Seit kurzem sind darüber hinaus erste Ansätze<br />
einer integrativen Professionalisierungsdebatte zu erkennen, in der der Fokus nicht auf eine<br />
spezifische Berufsgruppe gerichtet wird, sondern die den Prozess der Professionalisierung als<br />
solchen in den Vordergrund stellt und explizit mit dem Qualitäts‐ und Effektivitätsdiskurs<br />
verknüpft (Kraft 2006; Meyer 2008; Nittel/Schütz 2005).<br />
Bei dem Verhältnis zwischen Qualitätssicherung und Professionalität entstehen allerdings<br />
nicht nur in der Theorie, sondern vor allem in der Praxis massive Konflikte, die wiederum auf die<br />
Theorieentwicklung rückwirken. Qualitätssicherung als Aufgabe von Organisationen<br />
(Berufsschulen, Betrieben, überbetrieblichen Bildungsstätten etc.) gerät in Konflikt mit dem<br />
Selbstverständnis von pädagogisch Handelnden, die ihre Aufgabe darin sehen, professionelles<br />
Wissen in eigener Verantwortung zur Lösung konkreter pädagogisch‐berufsbezogener bzw.<br />
pädagogisch‐tätigkeitsbezogener Probleme und zur Gestaltung von Lernprozessen einzusetzen.<br />
Die Autonomie professionellen pädagogischen Handelns stellt eine zentrale Herausforderung für<br />
die Idee der systematisierten Qualitätssicherung dar. Die Eigenlogik und der individuelle<br />
Fallbezug jeglichen pädagogischen Handelns können nie voll aufgehen in standardisierten<br />
Kriterien, Bewertungsverfahren und Benchmarks, wie sie z.B. in Bildungsstandards oder<br />
Qualitätsmanagementsystemen festgelegt werden. Dies gilt umso mehr, wenn „man anerkennt,<br />
dass pädagogische Prozesse von Pädagogen und Teilnehmern ko‐konstruktiv bestimmt werden.<br />
Die Zuschreibung von Verantwortung allein an Organisationen und darin tätige Professionelle<br />
muss von diesen mit gewissem Recht als Zumutung empfunden werden“ (Klieme/Tippelt 2008:<br />
12).<br />
2.3 Qualitätssicherung in der beruflichen Erstausbildung<br />
Mehr noch als für andere Bildungssubsysteme gilt für den Bereich der beruflichen<br />
Erstausbildung, dass der Qualitätsbegriff vage ist und sich einschlägige Untersuchungen und<br />
Ansätze vorwiegend auf die berufsschulische Ausbildung beziehen, während der betriebliche Teil<br />
der Erstausbildung weitgehend ausgeklammert wird. Zudem beziehen sich einige<br />
Untersuchungen explizit auf das Zusammenspiel der unterschiedlichen Lernorte, durch die eine<br />
deutliche Qualitäts‐ und Effektiviätssteigerung erhofft wird.<br />
Auf der Mikroebene der Qualitätsentwicklung und ‐sicherung des Lehrens und Lernens<br />
lassen sich mehrere Forschungsstränge erkennen, denen hohe Priorität beigemessen wird.<br />
Neben der Einführung und Umsetzung von Standards (für den Unterricht und für die<br />
Lehrerbildung) ist eine deutliche Abwendung von Effizienz‐ und Wirkungsfragen hin zu Ansätzen<br />
der ‚Qualitätssicherung und ‐entwicklung’ zu bemerken, wohl in erster Linie, weil es „anrüchig“<br />
wirkt, Bildung und Unterricht als Managementproblem zu betrachten (Gonon 2003). Dieser<br />
Perspektivwechsel zeigt sich z.B. bei der von Seeber und Squarra (2003) durchgeführten<br />
standardisierten Schülerbefragung, die die Autoren als Beitrag zur Analyse der<br />
Unterrichtsqualität und Schulentwicklung verstehen. Auch Beutner (2006: 55) verortet seine
Effectivness and quality assurance 93<br />
Untersuchung zur Gestaltung organisatorisch und technisch lernförderlicher Arbeitsplätze im<br />
Bereich der Qualitätssicherung, obschon sie sich gleichermaßen mit Aspekten der Effektivität<br />
befasst. Kern der neueren Qualitätsdiskussion ist zudem die Frage nach Standards. Ausgehend<br />
von den Ergebnissen der international vergleichenden PISA‐Studie wird auch für die<br />
Berufsbildung eine solche unter dem Titel <strong>VET</strong>‐LSA (Large Scale Assessment) gefordert und<br />
derzeit hinsichtlich ihrer Machbarkeit untersucht (Achtenhagen/Baethge 2008; Baethge et al.<br />
2008). Die Festlegung und Einführung von Standards ist dabei für die berufliche Erstausbildung<br />
insofern zentral, als dass sie dabei helfen sollen, Qualitätsmanagement und ‐sicherung über<br />
organisationale Ebenen hinauszuführen (Ebner 2006: 184ff; Fach‐Overhoff 2004; siehe<br />
ausführlich unten). Oser und Kern (2006) analysieren in „Qualität der beruflichen Bildung“ eine<br />
Reihe von Fragestellungen, die die Rolle und Effektivität von Akteuren in Lehr‐/Lernprozessen<br />
betreffen. Ziel ist dabei die Erklärung, Beschreibung und Verbesserung der Handlungskompetenz<br />
von Berufsbildungsverantwortlichen, wobei die Verbesserung durch die Nutzung von Standards<br />
und die damit erhoffte Steuerung des Outputs erzielt werden soll. Zu Recht kritisieren Beck<br />
(2006) und Hallmann (2006), dass dieses Vorhaben durch die vielfältige Einbindung beruflichen<br />
Lehrens und Lernens in mehrere Lernorte und Berufsfelder sehr fragwürdig erscheint.<br />
Studien, die auf der Mikroebene anzusiedeln sind, erweisen sich insofern als problematisch,<br />
als dass sie sich mit individuellen Lehr‐/Lernprozessen befassen. Dass dabei eine<br />
Qualitätsentwicklung bzw. ‐sicherung bislang weitgehend ergebnislos blieb, sofern sie sich nicht<br />
mit den Rahmenbedingungen der Lehr‐/Lernprozesse befasst, wurde oben bereits gezeigt.<br />
Die Mesoebene der Qualitätssicherung bezieht sich auf Bildungseinrichtungen als<br />
Organisationen und gilt als „klassische Domäne“ (Gonon 2008a: 98), bei der Qualitätssicherung<br />
an den Aufgaben des betrieblichen Controllings ausgerichtet wird. Im Zentrum steht dabei die<br />
Adaption von Konzepten, Verfahren und Instrumenten, die zwar an DIN ISO, TQM, EFQM etc.<br />
ausgerichtet sind, aber im Gegensatz zu diesen den Besonderheiten von Lehr‐/Lernprozessen<br />
verstärkt Rechnung tragen und nicht versuchen, diese auf ihren Produktcharakter zu reduzieren.<br />
Die Wirksamkeit dieser Ansätze bleibt allerdings unklar: Für den Bereich der beruflichen Schulen<br />
hat z.B. Niedersachsen 2005 das EFQM als verpflichtendes Qualitätsmanagement in<br />
Berufsschulen eingerichtet, verweist bei ersten Erfahrungen damit allerdings nur auf sein<br />
Potenzial für eine erfolgreiche Umsetzung anstatt auf seine tatsächlichen Effekte (Spöttl/Becker<br />
2006; Szewczyk/Alexander 2006: 231). Ähnliches zeigt sich bei einem Vergleich der<br />
Bundesländer im Hinblick auf innerschulische Entwicklungen zur Qualitätssicherung (Becker et<br />
al. 2006). Auch Gessler (2006) kommt bei einer kritischen Untersuchung zum<br />
Qualitätsmanagements in beruflichen Schulen zu dem Urteil, dass es sich hierbei eher um<br />
„Mythen“ und „Sehnsüchte“ handelt denn dass die Gestaltung des Unterrichts tatsächlich und<br />
empirisch nachweisbar verbessert würde. Zudem lassen sich mit Blick auf die Qualitätssicherung<br />
in beruflichen Schulen die Schulentwicklung und die Schulautonomie als zwei weitere zentrale<br />
Forschungsaspekte identifizieren (Becker/Spöttl 2008; Schmidt 2007; Zöller 2008).<br />
Für den betrieblichen Bereich der Ausbildung lässt sich eine deutliche Verschränkung<br />
zwischen a) der Mikro‐ und der Mesoebene sowie zwischen beruflicher Erstausbildung und
94 Sandra Bohlinger<br />
beruflicher Weiterbildung konstatieren. Das zeigt sich z.B. anhand einer Untersuchung von<br />
Scheib et al. (2008), die die betriebliche Qualitätsdebatte unter den Aspekten<br />
Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen, Fachkräfteaus‐ und Weiterbildung und berufliche<br />
Erstausbildung vergleichend analysieren. Auch Ebbinghaus (2007) folgt diesem Ansatz, indem<br />
konkrete Ansätze der Qualitätssicherung aus der Ausbildungspraxis darstellt und<br />
Orientierungshilfen für in der Ausbildung tätige Fachkräfte entwickelt werden.<br />
Auf der Makroebene lässt sich seit vielen Jahren die zunehmende Akzeptanz von Qualität als<br />
Steuerungsvorgabe erkennen. Dies gilt zum einen für das Zusammenspiel von supranationaler<br />
und nationaler Ebene als auch (gerade für den berufsschulischen Bereich) für das Interagieren<br />
zwischen Bund und Ländern: Durch die Maßnahmen und Vorgaben auf europäischer Ebene<br />
(CQAF, Benchmarks, EQF etc.) soll zum einen ein Planungs‐ und Umsetzungsmodell geschaffen<br />
werden, das zu erhöhter Transparenz und gegenseitigem Vertrauen beiträgt und die Länder zu<br />
verstärkter Good‐Practice anregt (EC 2005; 2006; 2008a; 2008b; 2008c). Zum anderen soll die<br />
Qualitätsdebatte dadurch insgesamt eine stärkere Gewichtung erhalten und damit die Skepsis<br />
zumindest einzelner Akteure der Berufsbildungsforschung und ‐politik reduzieren. Dazu trägt<br />
auch die Novellierung des BBiG von 2005 bei, die die schulische Berufsausbildung stärken, die<br />
Ausbildungsqualität im Betrieb entwickeln helfen und die Ausbildungsabbruchquoten deutlich<br />
senken soll. Auf dieser Ebene sind in erster Linie Stellungnahmen (Bünning/Richter 2005;<br />
Hanf/Hippach‐Schneider 2005), konzeptionelle Arbeiten zur Adaption europäischer Instrumente<br />
an nationale Gegebenheiten sowie die (meist sehr pessimistische) Entwicklung von<br />
Zukunftsszenarien (Drexel 2005; Rauner et al. 2006; Severing 2005) zu finden. Nur sehr wenige<br />
Untersuchungen sind – zumindest teilweise – empirisch ausgerichtet und untersuchen die<br />
Effektivität und Qualität der nationalen und suprationalen Qualitätssicherungsansätze (Bohlinger<br />
2008; Langer 2008).<br />
Insgesamt fällt auf, dass die Fachliteratur zur Qualitätssicherung und Effektivität sich<br />
mehrheitlich aus Ratgebern, Erfahrungsberichten, Dokumentationen und Stellungnahmen<br />
zusammensetzt. Eine fundierte Forschung über Wirksamkeit und Effektivität, Probleme,<br />
Widerstände und langfristige Konsequenzen von Qualitätssicherungsansätzen fehlt dagegen<br />
weitgehend. Im Referenzzeitraum entstanden zudem nur wenige Untersuchungen, die einen<br />
Überblick über die gesamte Thematik liefern, so etwa jene von Euler (2005) oder Bülow‐<br />
Schramm (2006), die sich beide jedoch auf bestimmte Bildungssubsysteme konzentrieren.<br />
2.4 Qualitätssicherung in der Weiterbildung<br />
Der Qualitätsdiskurs in der Weiterbildung ist deutlich älter als der aktuelle Qualitätsdiskurs,<br />
der den gesamten Bereich der Berufsbildung umfasst. Ursprünglich ausgerichtet an Fragen zur<br />
Professionalisierung des Bildungspersonals, wurde die Qualitätsdiskussion in der Weiterbildung<br />
in den letzten Jahren auf unterschiedlichen Ebenen weitergeführt, nämlich<br />
der Ebene der Weiterentwicklung des Weiterbildungssystems insgesamt, i.e. einschließlich<br />
der allgemeinen, der beruflich‐betrieblichen und der politischen Weiterbildung und
Effectivness and quality assurance 95<br />
Erwachsenenbildung. Zentrale Aspekte sind hier ordnungspolitische Rahmenbedingungen,<br />
gesellschaftliche Bedarfe, Ressourcen und die Systemgestaltung;<br />
der Ebene der Organisationsentwicklung, ‐strukturen und ‐abläufe;<br />
der Ebene der pädagogischen Interaktion, d.h. die Ausgestaltung der Lehr‐/Lernprozesse der<br />
Erwachsenen.<br />
Die Zuordnung einzelner Studien oder Diskurse zu diesen Ebenen erfolgt meist indirekt und<br />
variiert stark zeit‐ und interessenabhängig. Zugleich lassen sich mehrere „Orientierungen“ in den<br />
Auseinandersetzungen identifizieren (Meisel 2008; Hartz/Meisel 2006; Müller 1998; Peters<br />
2004). So geht es bei inhaltlichen Auseinandersetzungen um Fragen des Selbstverständnisses,<br />
der Ziele und der Aufgaben der Weiterbildung im Kontext des lebenslangen Lernens.<br />
Professionstheoretisch orientierte Untersuchungen analysieren die Sicherstellung und die<br />
Entwicklung der pädagogischen Qualität und stellen ein professionsangemessenes<br />
Handlungssystem in den Vordergrund (während in ökonomisch ausgerichteten Untersuchungen<br />
Aspekte wie Marktanteile, Finanzierungsmöglichkeiten und Effizienz von Bedeutung sind).<br />
Darüber hinaus existieren ordnungspolitisch orientierte Untersuchungen, die auf die<br />
Transparenz der Angebote – auch unter dem Aspekt Verbraucherschutz –, die Anerkennung der<br />
Angebote und des Erlernten sowie die finanzielle Förderung fokussieren.<br />
Der eingangs genannten Logik folgend kann die Mehrheit der Untersuchungen zudem zur<br />
Mikro‐, Meso‐ oder Makroebene der Qualitäts‐ und Effektivitätsforschung zugeordnet werden.<br />
Auf der Mikroebene der Lehr‐/Lernprozesse liegen mehrere groß angelegte Studien vor<br />
(Berichtssystem Weiterbildung (jetzt: Adult Education Survey), das IAB 31 ‐Betriebspanel, die<br />
BIBB 32 /IAB‐Untersuchungen sowie die Continuing Vocational Training Surveys (CVTS), die für<br />
wissenschaftliche Untersuchungen genutzt werden). Die hier gewonnen Daten geben Aufschluss<br />
über Teilnehmerzahlen und ‐fälle, Kosten, Finanzierung, Weiterbildungsformen und tw. auch<br />
Motive. Sie werden häufig in Kombination mit anderen Daten (häufig Fallstudien) für detaillierte<br />
sektor‐ bzw. berufsspezifische Analysen genutzt (Diettrich/Kohl 2007; Meyer 2006; Molzberger<br />
et al. 2008).<br />
Auf der Mesoebene finden sich im Referenzzeitraum vor allem Ansätze zur<br />
Qualitätssicherung und ‐steigerung beruflicher Weiterbildung durch die Entwicklung von<br />
transparenten und validen Verfahren zur Anerkennung non‐formalen und informellen Lernens<br />
(Bretschneider 2008; Käpplinger 2007) sowie zur Umsetzung von<br />
Qualitätsmanagementsystemen in Betrieben (Knedel 2005).<br />
Auf der Makroebene steht die Umsetzung von europapolitischen Leitideen zum<br />
lebenslangen Lernen unter dem Fokus der Qualitätssicherung im Vordergrund. Zentrale Aspekte<br />
31 Institut für Arbeitsmarkt‐ und Berufsforschung, Nürnberg.<br />
32 Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn.
96 Sandra Bohlinger<br />
sind dabei die Entwicklung nationaler Strategien lebenslangen Lernens im Kontext der<br />
beruflichen Weiterbildung (Benz 2007; BMBF 2008; Loebe/Severing 2006).<br />
Auffällig ist hier, dass viele der Untersuchungen aus dem Referenzzeitraum explizit eine<br />
Verschränkung von mindestens zwei der drei Ebenen vornehmen, so etwa eine Untersuchung<br />
zur Weiterbildungsbeteiligung von Schiersmann (2007), die aus den Erkenntnissen der<br />
Teilnahmeforschung Konsequenzen für die Gestaltung qualitativ hochwertiger<br />
Weiterbildungsangebote ableitet. Ähnliches lässt sich für die Habilitationsschrift von Iller (2006)<br />
konstatieren, die der Frage nach der Qualität und Effektivität implizit nachgeht, indem sie<br />
Aspekte zur Laufbahngestaltung aus der Perspektive von Betrieben (Makroebene) und<br />
Beschäftigten (Mikroebene) analysiert und Konsequenzen für die Gestaltung künftiger Lern‐ und<br />
Erwerbsbiografien ableitet. Die Perspektivverschränkung findet sich auch in den Studien der<br />
Arbeiten der KAW 33 : Sie hat im Zuge der jahrzehntelangen und sehr ausdifferenzierten Debatte<br />
um die Qualitätssicherung in der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung eine Reihe von<br />
Strukturelementen für eine systemorientierte Qualitätspolitik entwickelt (KAW 2002). Dazu<br />
zählen u.a. die Entwicklung eines Leitbilds und Referenzrahmens für die Qualitätsentwicklung,<br />
die Verknüpfung des Qualitätsmanagements mit Konzepten der Organisations‐ und<br />
Personalentwicklung, die Professionalitätsförderung des Weiterbildungspersonals und die<br />
Erhöhung der Angebotstransparenz. Zu den im Referenzzeitraum entwickelten Ansätzen und<br />
durchgeführten Untersuchungen gehört z.B. die konzeptionelle Ausarbeitung der<br />
Strukturelemente der KAW für die politische Weiterbildung (Meisel 2005), die Entwicklung des<br />
„Bildungs‐Qualitäts‐Management BQM“ für die berufliche Weiterbildung durch den<br />
Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (2005), die Eckpunkte für ein Rahmenmodell zur<br />
Qualitätsentwicklung im Verbund von Bildungseinrichtungen (Liebald/Seiverth 2005) sowie das<br />
Bund‐Länder‐Verbundprojekt „Qualitätstestierung in der Weiterbildung“ (Hartz et al. 2006; Zech<br />
2005) mit dem Ziel der bundesweiten Implementierung eines Qualitätstestierungsverfahrens.<br />
Insgesamt haben sich in der Weiterbildungslandschaft mittlerweile drei überregionale<br />
Qualitätsmanagementmodelle als relevant erwiesen:<br />
Das DIN‐EN‐ISO 9000ff, das im Weiterbildungsbereich vornehmlich von der<br />
Zertifizierungsfirma CERTQUA vermarktet wird. Diese Modell basiert auf einem Regelkreis<br />
(ausgehend von den Kundenerwartungen bis zur Erreichung der Kundenzufriedenheit) und wird<br />
trotz seines hohen Dokumentations‐ und Kostenaufwands vor allem aufgrund seines starken<br />
Wiedererkennungswertes seitens der Betriebe als positiv eingeschätzt (Hartz/Meisel 2006:<br />
66ff.). Kritisch anzumerken ist, dass es aufgrund seiner Produktzyklusorientierung kaum<br />
Bezugnahmen auf die Lehr‐/Lerninteraktion zulässt.<br />
Das EFQM‐Modell, das von einer Selbstbewertung von Befähigerkriterien (Leitung,<br />
Mitarbeitende, Strategie, Ressourcen etc.) und von Ergebniskriterien ausgeht und besonders<br />
33<br />
Konzentrierte Aktion Weiterbildung: Ein Zusammenschluss der wichtigsten überregionalen Träger der<br />
allgemeinen und beruflichen Bildung, die als Politikberatungsorgan des Bundesministeriums für Bildung und<br />
Forschung eingesetzt wird.
Effectivness and quality assurance 97<br />
häufig in der allgemeinen Weiterbildung zu finden ist. Auch hier ist festzustellen, dass es weniger<br />
auf die pädagogische Qualität ausgerichtet ist als vielmehr auf die Struktur und innere Logik von<br />
Organisationen.<br />
Die „Lernerorientierte Qualitätstestierung“ (Ehses et al. 2001). Hierbei werden in elf<br />
Qualitätsbereichen wie Leitbild, Infrastruktur, Lehr‐/Lernprozesse, Führung etc. jeweils<br />
Mindestanforderungen beschrieben, über deren Umsetzung die Bildungseinrichtung in einem<br />
Selbstbericht Auskunft geben muss. Im Gegensatz zu den anderen beiden Modellen<br />
berücksichtigt dieses explizit die Ziele, Bedingungen und Lehr‐/Lerninteraktionen in<br />
Bildungseinrichtungen. Dennoch haben Bosche und Veltjens (2005) sowie Hartz et al. (2006) in<br />
wissenschaftlichen Begleituntersuchungen festgestellt, dass das Modell in der Praxis eher an<br />
organisatorischen Aspekten der Weiterbildung ausgerichtet wird.<br />
Gemeinsam ist diesen und weiteren Modellen, dass sie – wenn auch in unterschiedlicher<br />
Form – Selbst‐ und Fremdevaluation kombinieren, die Umsetzung des Qualitätsmanagements<br />
prozessorientiert angehen und sich auf Kernaspekte des Weiterbildungsmanagements<br />
konzentrieren (Hartz/Meisel 2006: 89ff; Meisel 2008: 116f.). Zugleich zeugen die zahlreichen und<br />
vielfältigen Qualitätsanstrengungen im Weiterbildungssystem nicht nur von einer erstaunlichen<br />
Produktivität, sondern haben auch zwei negative Aspekte mit sich gebracht: So ist die Kehrseite<br />
der Vielfältigkeit die mangelnde Transparenz für individuelle und institutionelle Nachfragende,<br />
aber auch die fehlende Forschung über die maßnahmenübergreifende Wirksamkeit der Ansätze<br />
und eine stringente Anknüpfung an Grundlagenforschung zur Entwicklung von<br />
Qualitätsindikatoren. Auffällig ist zudem, dass die einzelnen Modelle zwar mit ihrem spezifischen<br />
Zugang den Anspruch erheben, auch der Qualitätsentwicklung bzw. ‐sicherung der Lehr‐<br />
/Lernprozesse Rechnung zu tragen, doch in der Praxis letztlich auf die organisationale Seite der<br />
Qualitätssicherung und ‐entwicklung ausgerichtet sind.<br />
2.5 Qualitätssicherung in der Hochschulbildung<br />
Seit Mitte der 1990er Jahre haben umfassende Reformbestrebungen zu einer massiven<br />
Veränderung der deutschen Hochschullandschaft geführt. Gefördert wurde dies noch massiver<br />
durch die Bologna‐Deklaration (1999) und ihrer Folgekonferenzen von Prag (2001) bis London<br />
(2007), in denen die europäische Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung verbrieftes Ziel<br />
war. Zwei Bereiche, nämlich die Akkreditierung und die Qualitätssicherung in der Lehre, haben<br />
dabei mehr als alle anderen Aspekte für eine Veränderung der Hochschullandschaft gesorgt;<br />
zugleich stellen sie eine Art Vorbild für den Berufsbildungsbereich dar und sollen daher hier<br />
ausführlicher skizziert werden.<br />
Akkreditierung ist „der begründete, widerrufbare und auf nachvollziehbaren Kriterien<br />
aufbauende Vertrauensvorschuss (Kredit), den die Gesellschaft bzw. der Staat den Institutionen<br />
gibt“ (Daxner 1999: 47). Dieser Logik folgen im Übrigen auch die beiden „credit point systems“,<br />
also die Leistungspunktesysteme für die Hochschulbildung und Berufsbildung (ECTS und EC<strong>VET</strong>).
98 Sandra Bohlinger<br />
Akkreditierung zielt gleichermaßen auf Qualitätssicherung, auf einen veränderten<br />
Steuerungsmodus (weg von der staatlichen Steuerung hin zur Deregulierung und<br />
hochschulautonomen Regulierung), auf die stärkere institutionelle Differenzierung des<br />
Hochschulsystems (Stichwort: Exzellenzinitiative) sowie auf die Umsetzung des Bologna‐<br />
Prozesses und der Internationalisierung der Hochschullandschaft insgesamt. In <strong>Deutschland</strong><br />
lassen sich derzeit vier Formen von Akkreditierung differenzieren, nämlich<br />
‐ die Akkreditierung von Studiengängen (Programm‐ oder Clusterakkreditierung),<br />
‐ die Akkreditierung der Qualitätssicherungsagenturen,<br />
‐ die Akkreditierung von Qualitätsmanagementkonzepten von Hochschulen<br />
(Systemakkreditierung) und<br />
‐ die institutionelle Akkreditierung von Hochschulen, die bislang fast ausschließlich bei<br />
nicht‐staatlichen Hochschulen Anwendung findet.<br />
Als einer der zentralen Akteure kommt dabei die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zum<br />
Einsatz. Als freiwilliger Zusammenschluss der staatlichen und staatlich anerkannten<br />
Universitäten und Hochschulen in <strong>Deutschland</strong> befasst sie sich gleichermaßen mit aktuellen<br />
Problem‐ und Handlungsfeldern, die Forschung, Lehre und Studium, wissenschaftliche<br />
Weiterbildung, Wissens‐ und Technologietransfer, internationale Kooperationen sowie die<br />
akademische Selbstverwaltung betreffen. Im Bereich der Qualitätssicherung stehen die Qualität<br />
von Lehre und Studium sowie die Mobilität von Studierenden im Vordergrund. Im<br />
Referenzzeitraum konzentrieren sich die Projekte und Studien der HRK zur Qualitätssicherung<br />
und Effektivität auf die Konsequenzen aus dem Bologna‐Prozess und deren Folgekonferenzen<br />
(Forum der Hochschulpolitik der HRK 2004), auf Fragen zur Evaluation (HRK 2004; 2005a; 2005b)<br />
sowie auf die Entwicklung von Instrumenten zur Qualitätssicherung und hier speziell zur<br />
Akkreditierung (HRK 2007; 2008), die sich in den vergangenen Jahren zum zentralen Aspekt der<br />
Qualitätssicherung entwickelt hat.<br />
Die Hauptaufgabe der Akkreditierung von Studiengängen besteht in der Gewährleistung<br />
fachlich‐inhaltlicher Mindeststandards, der Berufs‐ bzw. Arbeitsmarktrelevanz, der<br />
Beschäftigungsfähigkeit und der Gewährleistung international vergleichbarer bzw.<br />
gleichwertiger Studienabschlüsse. Die Akkreditierung selbst wird dabei von einer der sechs<br />
deutschen Akkreditierungsagenturen 34 durchgeführt, die ihrerseits wiederum vom Deutschen<br />
Akkreditierungsrat akkreditiert sind. Akkreditierungsvorhaben werden in der Regel erfolgreich<br />
abgeschlossen. Nach Wolter und Kerst (2008) wurden bis Mitte 2006 nur 30 von über 6.600<br />
Anträgen abschlägig entschieden. Allerdings wurden die Akkreditierungen in mehr als der Hälfte<br />
aller Fälle mit Auflagen vergeben (Akkreditierungsrat 2007a, b). Insofern scheint „Akkreditierung<br />
34<br />
FIBAA (spezialisiert auf Wirtschaftswissenschaften), ASIIN (spezialisiert auf Ingenieur‐ und Naturwissenschaften),<br />
AHPGS (spezialisiert auf Heilpädagogik, Gesundheit, Pflege, soziale Arbeit), AQAS (regionale Spezialisierung auf<br />
NRW und RP), ACQUIN (Bayern, Ba‐Wü., neue Länder), ZEvA (Niedersachsen).
Effectivness and quality assurance 99<br />
die ihr zugeschriebene Erwartung, ein Instrument der Qualitätssicherung zu bilden, durchaus zu<br />
erfüllen“ (Wolter/Kerst 2008: 147).<br />
Neben der Akkreditierung von Studiengängen spielen für den Bereich „Lehre“ die<br />
Lehrevaluationen (einschließlich der studentischen Lehrveranstaltungskritik),<br />
hochschulübergreifende Evaluationsnetzwerke, Rankingverfahren und Lehrberichte zentrale<br />
Rollen. Einen wichtigen Part nimmt hier die studiengangbezogene Qualitätssicherung ein, die mit<br />
dem Paradigmenwechsel vom „Lehren zum Studieren“ bzw. vom „Lehren zum Lernen“<br />
verbunden ist. Die Qualität und Effektivität von Lehre wird dabei durch vier Kategorien<br />
bestimmt, nämlich<br />
‐ den Studienprogrammen, die die Rahmen für die Lehr‐/Lernprozesse bilden,<br />
‐ die Lehr‐/Lernprozesse selbst, deren Ausgestaltung maßgeblich von den Lehrenden<br />
abhängt,<br />
‐ die Hochschulen, die den Rahmen für Studium und Lehre schaffen und gleichzeitig<br />
von der Lehre mitgeprägt werden und<br />
‐ das Handeln der einzelnen Akteure sowie deren Interaktion.<br />
Qualität kann dabei zunächst auf der Ebene der Lehrveranstaltungen hergestellt werden,<br />
spiegelt sich aber auch in angemessenen Angebotsstrukturen und adäquaten institutionellen<br />
Rahmenbedingungen wider. Dementsprechend lassen sich für alle vier Bereiche Indikatoren<br />
identifizieren, die Auskunft über die Qualität für die Mikro‐, Meso‐ und Makroebene der Lehr‐<br />
/Lernprozesse geben sollen. Für die Mikroebene wird gewöhnlich auf das subjektive Urteil der<br />
Studierenden über eine Lehrveranstaltung zurückgegriffen, wobei allerdings die individuellen<br />
Lernvoraussetzungen völlig ausgeblendet werden und die Ergebnisse daher kritisch zu<br />
betrachten sind. Dennoch ist die studentische Veranstaltungskritik – sofern sie in<br />
standardisierter Form vorliegt – ein gängiges Instrument zur Qualitätstestierung (Kromrey 2005;<br />
Schmidt/Tippelt 2005) und dient seit einiger Zeit zugleich der Effektivitätsbeurteilung von<br />
Hochschullehrenden.<br />
Auf der Mesoebene haben sich mittlerweile Hochschulranking und Evaluationen von<br />
Fachbereichen bzw. Fakultäten durchgesetzt, die auf einer Kombination von internen und<br />
externen Evaluationen (in Form von Selbstberichten) beruhen. Diese sind häufig von einer<br />
unzureichenden Selbstreflexion geprägt, die wieder auf die Angst vor Mittelkürzungen,<br />
fehlendes Interesse an der Rechenschaftslegung und mangelnden personellen Ressourcen<br />
zurückzuführen ist. Um diesen Schwachpunkten zu begegnen, bietet sich die Einführung<br />
allgemeiner Standards für derartige Lehrevaluationen an.<br />
Auf der Makroebene der Outcomes von Lehr‐/Lernprozessen, die ebenfalls Auskunft über<br />
Effektivität und Qualität geben könnten, herrscht allerdings ein massiver Mangel an Daten. Zu<br />
erheben wären hier Daten über den Verbleib von Absolventen und Absolventinnen, deren<br />
Karriere‐ und Einkommensverläufe sowie Weiterbildungs‐ und Lernpfade. Sofern solche Daten
100 Sandra Bohlinger<br />
überhaupt vorhanden sind, beziehen sie sich meist nur auf einzelne Fächer bzw. Abschlüsse und<br />
sind oft regional begrenzt. Beispiele hierfür finden sich mit Blick auf den Verbleib nach der<br />
Ausbildung im dualen System z.B. bei Hall und Schade (2005), Schumann (2005) und Zlatkin‐<br />
Troitschanskaia (2005).<br />
Im Kontext der neuen Steuerungsverfahren, die zu verbesserter Effektivität und Qualität<br />
führen sollen, geht es allerdings auch um indikator‐ bzw. kennzahlenorientierte<br />
Mittelzuweisung, um die Evaluation von Zielvereinbarungen oder Hochschulverträgen und seit<br />
jüngster Zeit auch um die individuelle Bewertung (hier: assessment) von<br />
Hochschullehrerleistungen. Im Zuge neuer Steuerungsverfahren sollen die Qualität und die<br />
Effektivität wiederum durch die Anwendung verschiedener zielorientierter, strategischer<br />
Instrumente gesichert und gesteigert werden. Zu diesen Instrumenten gehören verschiedene<br />
Formen des Kontraktmanagements wie etwa Hochschulverträge, Leistungs‐ und<br />
Zielvereinbarungen oder leistungsorientierte Mittelverteilung. Mehr Autonomie und größere<br />
Rechenschaftspflicht erscheinen dabei als zwei Seiten einer Medaille und werden mittlerweile<br />
als accountability akzeptiert, d.h. als die ex‐post‐Legitimation gesellschaftlicher Ressourcen<br />
durch Leistungstransparenz, Nachweis der Zielerreichung sowie effektiver und effizienter<br />
Leistungserbringung. Konkret handelt es sich dabei um neue Formen der Koordination und der<br />
Rechenschaftslegung z.B. durch Beteiligung von Hochschulräten oder Hochschulberichten, die<br />
auch u.a. Kosten‐/Leistungsrechnungen umfassen (vgl. Wolter/Kerst 2008: 140f.).<br />
Eine Alternative zu den hier aufgezeigten Formen der institutionellen, der System‐ und<br />
Programmakkreditierung bietet die Prozessakkreditierung, bei der nicht einzelne Studiengänge<br />
oder ganze Hochschulen, sondern hochschuleigene Prozesse und Verfahren der<br />
Qualitätssicherung und somit ein hochschulinternes Qualitätsmanagementsystem akkreditiert<br />
werden. Ein 2006 initiiertes Pilotprojekt, das die Akkreditierungsagentur ACQUIN an vier<br />
Hochschulen durchgeführt hat, zeigt, dass die Prozessakkreditierung durchaus zur<br />
Qualitätsoptimierung geeignet ist (ACQUIN 2006). Dennoch lehnt der Akkreditierungsrat (2007a;<br />
b) eine flächendeckende Einführung der Prozessakkreditierung und eine Abschaffung anderer<br />
Formen der Akkreditierung und Qualitätssicherung ab und folgt damit der Kritik von Banscherus<br />
und Staack (2007). Diese hatten bemängelt, dass einer flächendeckenden Einführung eine<br />
zeitlich unzureichende Erfahrung mit diesen neuen Steuerungsinstrumenten entgegen stehe, die<br />
aber – so zeigen die Autoren in ihrem internationalen Vergleich von Hochschulsystemen –<br />
notwendig ist, um zuverlässige Prozessakkreditierung durchführen zu können. Zugleich muss<br />
kritisch festgehalten werden, dass es sich bei der Prozessakkreditierung weniger um eine<br />
inhaltliche Steuerungsform handelt, als vielmehr um ein neues Konzept von<br />
Hochschulmanagement und Organisationsentwicklung. Obwohl die Qualitätssicherung damit<br />
indirekt steuerbar ist, bleibt das Grundproblem der direkten Steuerung der Qualität und<br />
Effektivität von Lehr‐/Lernprozessen damit ungelöst. Zu den weiteren offenen Fragen gehört<br />
jene, ob die Hauptziele der Akkreditierung (Qualitätssicherung, Profilbildung, Deregulierung<br />
durch neue Steuerungsformen) tatsächlich erreicht werden und ob Akkreditierung tatsächlich zu<br />
dauerhafter Qualitätsverbesserung führt oder nur eine Momentaufnahme der jeweils aktuellen<br />
Qualitätssituation darstellt. Hier müsste ebenfalls untersucht werden, ob und inwiefern
Effectivness and quality assurance 101<br />
Akkreditierung tatsächlich zu Innovation, Exzellenz und individueller Profilbildung von<br />
Hochschulen beiträgt, oder ob hier nur ein zeit‐ und kostenaufwändiges Dokumentationskorsett<br />
entwickelt wird, das zwar formalen Aspekten der Qualitätssicherung gerecht wird, die<br />
eigentlichen Lehr‐, Lern‐, Forschungs‐ und Entwicklungsprozesse aber unberührt lässt.<br />
2.6 Bildungsstandards<br />
Bildungsstandards gelten seit einiger Zeit als Lösung für das hier an mehreren Stellen<br />
offensichtlich gewordene Grundproblem der schwierigen Steuerung von Qualität und Effektivität<br />
individueller Lernprozesse. Das gilt maßgeblich für die allgemeinbildenden Schulen, den<br />
Hochschulbereich und die Lehrerbildung, gerät aber auch zunehmend für den Bereich der<br />
beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung in die Diskussion.<br />
Bildungsstandards beschreiben den von Bildungsinstitutionen zu garantierenden bzw.<br />
garantiert anzustrebenden Ertrag von Bildungsgängen. Sie bestehen i.d.R. aus einer Aufzählung<br />
von Fertigkeiten, Fähigkeiten, Wissen und Kompetenzen, die die Lernenden bis Ende des<br />
Bildungsgangs erreichen. Sie sollen gleichermaßen zur Qualitätssicherung und Steuerung eines<br />
Bildungsgangs und ganzer Bildungssysteme beitragen. Sie gelten zugleich als Richtmaße für<br />
Sollgrößen und sind in diesem Sinne politische Instrumente. Weiterhin können Standards ganz<br />
unterschiedlich klassifiziert werden, wobei gängig zwischen curricularen, instruktionalen,<br />
organisationalen und Evaluationsstandards differenziert wird. Bildungsstandards scheinen daher<br />
– zusammen mit der Lernergebnisorientierung – optimal mehrere grundlegende<br />
Modernisierungs‐, Reform‐ sowie Qualitätssicherungsbedarfe zu erfüllen:<br />
‐ Sie sichern Qualität durch die Definition von Zielen und die Überprüfung ihrer<br />
Einhaltung;<br />
‐ sie definieren Leistungsnormen durch die Festlegung von Bildungsoutcomes<br />
(Erreichung bestimmter Kenntnisse, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Kompetenz und<br />
Haltungen zu einem bestimmten Zeitpunkt);<br />
‐ sie überlassen die Entscheidung, mit welchen Methoden die Ziele erreicht werden<br />
sollen, den Bildungsinstitutionen;<br />
‐ bei der Ausformulierung von Standardklassen (z.B. Minimal‐, Maximalstandards)<br />
erhalten die Bildungsinstitutionen Handlungsfreiräume und<br />
‐ sie können zentral oder dezentral geprüft und verglichen werden (vgl. Heid 2003:<br />
176; Klieme et al. 2003: 7).<br />
Mit Hilfe von Bildungsstandards sollen allgemein gültige (Berufs‐)Bildungsziele aufgegriffen<br />
werden und durch die Beschreibung von Kompetenzen konkretisiert werden. Daher können<br />
Bildungsstandards auch als Kompetenzstandards verstanden werden, die so konkret beschrieben<br />
und in Aufgabenstellungen umgesetzt werden, dass sie mit Hilfe von Testverfahren erfasst und<br />
verglichen werden können. Insbesondere in <strong>Deutschland</strong> wird dabei diskutiert, ob und inwieweit
102 Sandra Bohlinger<br />
das für den allgemeinbildenden Bereich entwickelte Konzept der Bildungsstandards auf den<br />
beruflichen Bereich übertragbar ist. Kern dieser Debatte ist die Frage nach der Vereinbarkeit des<br />
kognitionswissenschaftlich verorteten Kompetenzbegriffs in der Allgemeinbildung mit dem<br />
Konzept der beruflichen Handlungskompetenz in der Berufsbildung (vgl. Baethge 2006;<br />
Bohlinger <strong>2009</strong>; Klieme et al. 2003). Auch wenn sich die in dieser Diskussion vorherrschende<br />
Abgrenzung der beiden Kompetenzauffassungen wissenschaftlich nicht nachvollziehen lässt (vgl.<br />
Bohlinger 2008), wird die Trennung dennoch aufrechterhalten und führt zur Entwicklung<br />
unterschiedlicher (Berufs‐)Bildungsstandards. Diese beziehen sich nicht nur auf das jeweilige<br />
Kompetenzverständnis, sondern auch auf das Niveau (Minimal‐, Regel‐ und Maximalstandards)<br />
sowie auf die Verortung innerhalb des Lernprozesses (Input‐, Prozess‐ und Output‐ bzw.<br />
Outcomestandards).<br />
Aus dem Referenzzeitraum liegt eine Reihe von Untersuchungen zur Klassifizierung und zum<br />
möglichen Einsatzbereich von Standards vor. So liefert z.B. die von Oelkers und Reusser (2005)<br />
vorgenommene Differenzierung zwischen curricularen, Leistungs‐ und Lehr‐<br />
/Lernbedingungsstandards zugleich die Grundlage für den Ansatz der KMK (2005), die darüber<br />
hinaus auch zwischen Minimal‐, Regel‐ und Maximalstandards unterscheidet. Sloane und Dilger<br />
(2005) kritisieren die aus ihrer Sicht zu kurz greifende Differenzierung zwischen Input und<br />
Output und fordern zusätzlich Prozess‐ und Outcomestandards. Beutner (2007) und Ziener<br />
(2006) betonen in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, die Standards nicht nur zu<br />
entwickeln und zu implementieren, sondern diese (regelmäßig) zu evaluieren, denn nur so<br />
können sie für Qualitätsaussagen herangezogen werden. Trotz des Aufrufs zu (regelmäßiger)<br />
Evaluation von Standards überwiegen nicht‐empirische Arbeiten. Dazu gehört auch die Kritik von<br />
Heid (2007), der sehr skeptisch der Frage nachgeht, ob die Standardisierung wünschenswerter<br />
Lernoutputs tatsächlich zu einer Qualitätsverbesserung von Bildungssystemen führt. Er kommt<br />
zu dem Schluss, dass hierzu bislang keine Hinweise vorliegen und eine Konzentration auf die<br />
Lehrerkompetenzen daher sinnvoller sei. Auch Oser (2007) wendet sich den Kompetenzen und<br />
Standards in der Lehrerbildung zu, die er zwar als eine pädagogische Notwendigkeit betrachtet,<br />
bei denen es aber immer auch Handlungsbereiche gibt, in denen eine Standardisierung nicht<br />
sinnvoll ist. Auffallend ist, dass beide Autoren ebenso wie Ruhloff (2007) oder Merkens (2003;<br />
2007) zu dem Schluss kommen, dass neben dem Einsatz von Standards immer ausreichend nicht‐<br />
standardisierter (Handlungs‐)Freiraum notwendig ist, um der Komplexität von pädagogischen<br />
Prozessen gerecht zu werden. Die offenkundige Unmöglichkeit der Erfassung pädagogischen<br />
Handelns mit Hilfe von Standards oder standardisierten Qualitätssicherungsverfahren zeigt sich<br />
also auch hier.<br />
Für die konkrete Einführung von Standards leiten Berner et al. (2008) mehrere zentrale<br />
Aspekte aus einem internationalen Vergleich von neun Ländern ab. Sie zeigen, dass die<br />
Implantierung von Bildungsstandards maßgeblich davon abhängt, inwieweit die mit ihnen<br />
verfolgten Ziele (curriculare Gestaltung von Lehr‐/Lernprozessen) mit anderen<br />
Systemkomponenten kompatibel sind. Dieser Aspekt bezieht sich nicht nur auf die Nutzung von<br />
Systemressourcen, sondern auch auf die zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen,<br />
politischen und praxisorientierten Unterstützungssysteme. Die Autoren verweisen in diesem
Effectivness and quality assurance 103<br />
Kontext auf den „sensiblen Punkt im Sinne der Austarierung von regulativen Vorgaben, Lern‐<br />
und Unterstützungsangeboten sowie professionellen Handlungsfreiräumen auf dem Weg zur<br />
Erreichung vorgegebener Ziele“ (Berner et al. 2008: 224). Wenn es dabei gelingt, politische mit<br />
pädagogischen Ansprüchen in Übereinstimmung zu bringen und nicht gegeneinander<br />
auszuspielen, könnten Standards auch in der beruflichen Bildung einen expliziten Beitrag zur<br />
Qualitätssicherung leisten.<br />
3. Implikationen für künftige Forschungsvorhaben und die Qualität der<br />
Qualitätssicherung<br />
Bei den bis hierher getroffenen Aussagen wurde bislang eine Frage vollständig ausgeblendet,<br />
nämlich jene, wer auf welche Weise die Qualität der Qualitätssicherung gewährleistet. Im<br />
Vordergrund stehen bei dieser Frage – entsprechend der Ausrichtung des vorliegenden Berichts<br />
– wissenschaftliche Einrichtungen, die sich mit der Qualitätsthematik befassen, und nicht<br />
einzelne Unternehmen oder Agenturen wie etwa jene für Akkreditierung.<br />
Die Notwendigkeit der Qualitätsprüfung und Forschungsevaluation von wissenschaftlichen<br />
Studien, Ansätzen und Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und ‐sicherung bildet die<br />
Grundlage für eine kontinuierliche Qualitätssicherung und für eine autonome Selbststeuerung<br />
von den Arbeitseinheiten, die sich mit der Thematik befassen. Zugleich dient sie der<br />
Legitimierung gegenüber Geldgebern und fördernden öffentlichen Institutionen. Insofern<br />
müssen die Mittel nach systematischen und klaren Qualitätskriterien vergeben werden. Die<br />
Forschungsevaluationen dienen also der Steuerung von relativ autonomen gesellschaftlichen<br />
Funktionsbereichen, die sich kompetitiv bewähren müssen. Entsprechende<br />
Evaluationskommissionen müssen daher in ihren Entscheidungen unabhängig sein und dürfen in<br />
keiner zu großen Nähe zu den zu evaluierenden Forschungseinheiten stehen.<br />
Im Idealfall sind Forschungsevaluationen aktuell, beachten aber gleichzeitig<br />
Trendbeschreibungen der vorgehenden Jahre. Selbstverständlich ist zudem, dass die Pluralität<br />
der methodischen Zugangsweisen ein erwünschtes Merkmal der Qualitätssicherung der<br />
Qualitätssicherung ist, und so stehen Fallstudien, Feldstudien, Begleitevaluationen und<br />
Modellversuche zunächst gleichwertig nebeneinander, sofern sie dem Gebot von Validität,<br />
Reliabilität und Objektivität folgen und die Forschungsresultate nachvollziehbar, nachprüfbar<br />
und öffentlich zugänglich sind (z.B. durch Veröffentlichungen). Werden Forschungseinrichtungen<br />
oder ‐einheiten evaluiert, orientiert sich die Qualitätsbewertung – und davon abgeleitet meist<br />
auch die Effektivitätsbeurteilung – meist an Aspekten wie Strukturmerkmalen,<br />
Mittelausstattung, Personal, Service und Arbeitsergebnissen. Die Bewertung Letzterer ist dabei<br />
ebenso sehr umstritten wie bei der Qualitätsforschung insgesamt, da es hier um die Bewertung<br />
der Inhalte der Forschung (Methodendesign, Theorieansätze, Ergebnisse) bzw. der Lehr‐<br />
/Lernprozesse (erworbenes Wissen, Kenntnisse, Kompetenzen, Fähigkeiten, Fertigkeiten,<br />
Anwendung und Transfer des Erworbenen – und zwar nicht nur auf Lernendenseite!) geht.<br />
Während die Qualität der Qualitätssicherung in der Forschungslandschaft längst Einzug gehalten
104 Sandra Bohlinger<br />
hat, fehlt eine umfassende Forschung zur Überprüfung von Qualitätsverfahren und der Beweis<br />
ihrer positiven Auswirkung im Bereich der beruflichen Aus‐ und Weiterbildung bislang gänzlich<br />
(Gonon 2008b).<br />
Grundsätzlich sind alle Qualitätssicherungsmodelle, ‐verfahren und ‐instrumente darauf<br />
angewiesen, dass Erkenntnisse zur Effektivität bzw. Wirkung von pädagogischen Prozessen im<br />
jeweiligen Bildungsbereich vorliegen, auf deren Basis Kriterien und Indikatoren bestimmt und<br />
Befunde bewertet werden können. Solche Erkenntnisse sollten sich nicht nur auf<br />
Querschnittsdaten (Vergleichsstudien, Benchmarks, Rankings) beschränken, sondern auch die<br />
Chancen und Hürden für Entwicklungsprozesse in pädagogischen Organisationen aufdecken.<br />
Zugespitzt formuliert: Qualitätssicherung ist letztlich nur dann wissenschaftlich seriös, wenn<br />
abgesicherte Erkenntnisse darüber vorliegen, a) welche Beobachtungen und Messungen<br />
tatsächlich als Indikatoren für mehr oder weniger hohe (pädagogische) Qualität gelten können<br />
und b) welche Konsequenzen (Strukturveränderungen, konkrete Maßnahmen etc.) gezogen<br />
werden können, um Qualität weiter zu verbessern. Nicht in allen Bildungssektoren ist aber die<br />
Wirkungs‐ und Interventionsforschung weit genug fortgeschritten, um solche Aussagen<br />
abzusichern. Dies gilt vor allem für den Bereich der berufliche Erstausbildung und Weiterbildung.<br />
Während eine Vielzahl von konzeptionellen Arbeiten zur Entwicklung von Standards, von<br />
Qualitäts‐ und Professionalitätsentwicklung sowie von Qualitäts‐ und Effektivitätsindikatoren<br />
vorliegt, fehlen nach wie vor empirische Erhebungen, die diese Konzepte stützen – oder<br />
widerlegen. Erst durch solche empirischen Arbeiten könnten Faktoren der Bildungsqualität<br />
valide erforscht und in fundierte Standards und Qualitätssicherungssysteme eingebunden<br />
werden. Im Idealfall entwickelt sich Grundlagenwissen über Qualitätssicherung und Effektivität<br />
durch und mit konkreter Qualitäts‐ und Effektivitätssicherung in der Praxis. Das setzt zugleich<br />
eine klare Vorstellung darüber voraus, was mit Qualitätssicherung und Effektivitätsbestrebungen<br />
erreicht werden soll. Hier hat sich gezeigt, dass die Vorstellungen darüber variieren:
Effectivness and quality assurance 105<br />
Qualitätsziele von (Hoch‐)Schulen aus unterschiedlichen Perspektiven. In Anlehnung<br />
an Euler (2005)<br />
Perspektive Ziel von Qualität Maßnahmen<br />
pädagogisch<br />
maximal verantwortbares Maß an<br />
Autonomie soll zu Kommunikation<br />
und Kooperation, hohem Ethos,<br />
selbstbewusster Schulkultur,<br />
kritischer Selbstbeurteilung und<br />
ausgeprägter Leistungsorientierung<br />
führen<br />
Merkmal: Entwicklung von Qualität<br />
durch bottom‐up‐ und top‐down‐<br />
Bewegungen. Gewährleistung durch<br />
Gestaltungsfreiräume, Nutzung der<br />
Kompetenzen aller Beteiligten,<br />
Verantwortungsübertragung,<br />
Veränderung der Umgebungskultur<br />
bildungsorganisatorisch weitgehend autonome Steuerung der<br />
Organisationen/ Institutionen/<br />
Einrichtungen<br />
bildungspolitisch Entwicklung attraktiver<br />
Bildungsangebote, Aufgabe der<br />
„Lückenbüßer‐Rolle“ von Schulen in der<br />
Berufsausbildung, Bereitstellung<br />
vollzeitschulischer Angebote, „regionale<br />
Kompetenzzentren“<br />
ökonomisch Abbau von Überregulierung und<br />
Bürokratie, Kompetenzverlagerung<br />
Motto: Der Weg ist das Ziel<br />
unklar<br />
Entwicklung von<br />
Qualitätsmanagementsystemen<br />
Globalbudgets mit Delegation von<br />
Mittel‐ und Budgetentscheidungen<br />
an den jeweiligen Bildungsträger<br />
Für jede Perspektive ist zudem zu hinterfragen, wer bzw. welche Institution mit Berufung auf<br />
welche Legitimationsquellen die konkreten Ziele der Qualitätssicherung festlegt. Weiterhin<br />
wurde gezeigt, dass die deutsche Qualitätssicherungsdebatte derzeit sehr eng mit jener um<br />
Bildungsstandards verknüpft ist. Mit ihrer Hilfe sollen allgemein gültige (Berufs‐)Bildungsziele<br />
aufgegriffen und durch die Beschreibung von Kompetenzen konkretisiert werden. Daher können<br />
Bildungsstandards auch als Kompetenzstandards verstanden werden, die so konkret beschrieben<br />
und in Aufgabenstellungen umgesetzt werden, dass sie mit Hilfe von Testverfahren erfasst und<br />
verglichen werden können. In <strong>Deutschland</strong> wird dabei diskutiert, ob und inwieweit<br />
Bildungsstandards auf die berufliche Bildung übertragbar sind und welcher Kompetenzbegriff<br />
dabei zugrunde gelegt werden soll. Damit verbunden sind wiederum unterschiedliche Ziele der<br />
Einführung von Standards, die sich wiederum auf die Nivellierung von Kompetenzen (Minimal‐,<br />
Regel‐ und Maximalstandards) sowie auf die Verortung innerhalb des Lernprozesses (Input‐,<br />
Prozess‐ und Output‐ bzw. Outcomestandards) auswirken.
106 Sandra Bohlinger<br />
Während Standards also festlegen, welche Qualität akzeptiert wird, dienen die<br />
unterschiedlichen Komponenten eines Qualitätsmanagementsystems als Vorgabe für den<br />
konkreten Umsetzungsprozess für das Erreichen und den Erhalt eines spezifischen<br />
Qualitätsniveaus. Während sich Evaluationsstandards dabei zur Orientierung der<br />
Qualitätskontrolle und des Qualitäts‐Audits eignen, sind curriculare, instruktionale und<br />
organisationale Standards die Bezugsgrößen für die Qualitätssicherung, ‐prüfung und ‐<br />
verbesserung. Offen bleiben dabei allerdings zwei Fragen: Erstens jene danach, welche<br />
konkreten Qualitätssicherungsmaßnahmen für einen spezifischen Bereich angewendet werden<br />
sollen: Die Wahl zwischen z.B. Q2E (Qualitätsevaluation und ‐entwicklung), dem EFQM‐Modell<br />
für „Education Excellence“, TQM‐Modellen, DIN ISO‐Modellen oder die Entwicklung neuer<br />
Modelle bleibt derzeit weitgehend den jeweiligen Bildungsinstitutionen überlassen. Zweitens<br />
bleibt unklar, welche Indikatoren für die Vergleichsqualität genutzt werden können und wer<br />
diese festlegt, zumal der konkrete Nutzen bzw. die Wirksamkeit von<br />
Qualitätssicherungsverfahren im Bildungsbereich bislang unklar ist. Das mag zunächst daran<br />
liegen, dass sich viele der Verfahren noch in der Entwicklung befinden bzw. noch nicht lange<br />
genug implementiert sind, um ausreichendes Evaluationsmaterial zu liefern; es kann aber auch<br />
daran liegen, dass weder die europäischen Instrumente (CQARF – Common Quality Assurance<br />
Reference Framework, EC<strong>VET</strong> – European Credit System for Vocational Education and Training,<br />
EQF – European Qualifications Framework) noch die nationalen Einrichtungen wie die<br />
Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK; ehemals: Bund‐Länder‐Kommission) oder die<br />
Kultusministerkonferenz (KMK) konkrete Indikatoren vorsehen. Vielmehr werden hier als einzige<br />
„Indikatoren“ die europäischen Benchmarks (Council of the European Union <strong>2009</strong> 35 ; European<br />
Commission 2002) genutzt, die allerdings sowohl für die berufliche als auch für die allgemeine<br />
Bildung gelten und nur indirekt einen Beitrag zur Qualitätssicherung und Wirksamkeit<br />
beruflicher Bildung leisten können.<br />
Und nicht zuletzt sollte bedacht werden, dass Qualität als tertium comparationis ebenso<br />
wenig eindeutig und objektiv festlegbar ist wie bei spezifischen<br />
Qualitätssicherungsinstrumenten. Es ist nicht absehbar, dass hier in naher Zukunft eindeutige<br />
Definitionen von Qualität und einheitliche Indikatoren zu finden sein werden. Vielmehr besteht<br />
ganz eindeutig der Wunsch, das, was nicht sinnvoll standardisierbar und durch normierte<br />
Verfahren erfassbar ist, dem notwendigen Freiraum in pädagogischen Handlungsfeldern zu<br />
überlassen und diesen Freiraum durch gegenseitiges Vertrauen zu regeln.<br />
35<br />
Für den Zeitraum 2010‐2020 gehören dazu u.a. die Beteiligung Erwachsener am lebenslangen Lernen auf min.<br />
15% steigern, die Steigerung des Erwerbs von Hochschulabschlüssen auf min. 40% der 30‐40‐Jährigen und die<br />
Reduktion des Anteils der frühzeitigen Schul‐ und Ausbildungsabgänger auf weniger als 10%.
Effectivness and quality assurance 107<br />
4. Bibliografie<br />
Achtenhagen, F.; Baethge, M.: (2008): Kompetenzdiagnostik als Large‐Scale‐Assessment im<br />
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Transitions and <strong>Research</strong> on Transitions in<br />
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___________________________________<br />
Dietmar Frommmberger<br />
1. Übergänge und Übergangsforschung in <strong>Deutschland</strong> – Begriffliche Klärungen 117<br />
2. Übergänge von der Schule in die berufliche Bildung 119<br />
3. Übergänge innerhalb der beruflichen Bildung 130<br />
4. Übergänge von der Berufsbildung in die Hochschulbildung 134<br />
5. Übergänge von der Berufsbildung in Beschäftigung 140<br />
6. Übergänge im Bildungssystem: Hindernisse und Lösungsansätze 142<br />
7. Bibliografie 148<br />
1. Übergänge und Übergangsforschung in <strong>Deutschland</strong> – Begriffliche Klärungen<br />
Der Wechsel von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen von einem Bildungs‐,<br />
Sozialisations‐ und Ausbildungsabschnitt in einen anderen wird als „Übergang“ [transition]<br />
bezeichnet. Die wissenschaftlichen Analysen, die sich den damit verbundenen Phänomenen und<br />
Fragen widmen, werden dem speziellen Zweig der sogenannten „Übergangsforschung“<br />
subsumiert. Verschiedene Wissenschaftsdisziplinen thematisieren den „Übergang“,<br />
insbesondere die Soziologie, die Psychologie sowie die Bildungs‐und Berufsbildungsforschung.<br />
„Übergänge“ finden an typischen Schwellen der persönlichen, schulischen und beruflichen<br />
biografischen Entwicklung statt. Beispiele sind der Wechsel von der vorschulischen<br />
frühkindlichen Hort‐ und Kindergartenerziehung in den Primarbereich des Bildungssystems, die<br />
Wechsel in die verschiedenen Varianten der schulischen, beruflichen und akademischen Bildung<br />
in den niederen, mittleren und höheren Sekundarstufen sowie in den Hochschulbereich, der<br />
Wechsel in die Erwerbsbeschäftigung bzw. ‐losigkeit oder auch der Wechsel von der<br />
Erwerbstätigkeit in den Ruhestand. In der Übergangsforschung werden die Übergangsprozesse<br />
auf der Individualebene sowie die relevanten Kontextbedingungen betrachtet. Von Interesse<br />
sind in diesem Zusammenhang die individuellen und strukturellen Faktoren und Korrelate, die zu<br />
erfolgreichen bzw. nicht erfolgreichen Übergangsprozessen beitragen. Üblicherweise wird<br />
zwischen kontextuellen, soziodemografischen, biografischen, arbeitsbezogenen, sozialen sowie<br />
personalen Faktoren und Korrelaten unterschieden (vgl. hierzu überblicksartig Eckert 2007).
118 Dietmar Frommberger<br />
Im vorliegenden Beitrag wird eine Eingrenzung des breiten Forschungsfeldes vorgenommen.<br />
Es werden allein ausgewählte Forschungsergebnisse zu den Übergängen an den Schwellen in die<br />
Berufsbildung, innerhalb der Berufsbildung sowie von der Berufsbildung in die<br />
Erwerbsbeschäftigung in <strong>Deutschland</strong> thematisiert. Im Mittelpunkt steht die Bearbeitung der<br />
Thematik aus dem Blickfeld der Berufsbildungsforschung.<br />
Einen Bedeutungszuwachs hat in der Berufsbildungspolitik und im Fachdiskurs der Begriff<br />
der „Durchlässigkeit“ [„permeability“] erfahren. Der Bedeutungsakzent des Begriffs<br />
Durchlässigkeit im Kontext von Bildung und Berufsbildung liegt in der Zu‐ und<br />
Übergangsmöglichkeit zwischen verschiedenen Bildungsgängen und Bildungsstufen, und zwar<br />
innerhalb des nationalen Bildungssystems und der verschiedenen Bildungsteilbereiche sowie in<br />
internationaler und vor allem europapolitischer Hinsicht zwischen unterschiedlichen<br />
Bildungssystemen. Das Ziel durchlässiger Bildungsstrukturen und Ausbildungswege liegt in der<br />
Förderung der Möglichkeit individueller Mobilität und Mobilitätsbereitschaft. Diese umfassen<br />
die Bildungsmobilität, geografische Mobilität, berufliche Mobilität sowie grundsätzlich die<br />
soziale Mobilität, welche auf die Chance der sozialen Integration und des Aufstiegs zielt.<br />
Der Bedeutungszuwachs, den die Frage der Durchlässigkeit in den letzten Jahren erfahren<br />
hat, geht mit einer Zunahme der Forschungs‐ und Entwicklungsaktivitäten in diesem Feld einher.<br />
Auf ausgesuchte Programme wird im nachfolgenden Text verwiesen. Politisch entstammen der<br />
Bedeutungszuwachs und der Maßnahmenkatalog zur Förderung der Durchlässigkeit im Bildungs‐<br />
und Berufsbildungssystem unterschiedlichen Argumentationslinien und Interessen (vgl. dazu<br />
ausführlich Frommberger <strong>2009</strong>). Traditionell dominiert diesbezüglich das sozial‐ und<br />
bildungspolitische Argument der Förderung der Chancengleichheit. Kurzfristig rückt für den<br />
Bereich der beruflichen Bildung regelmäßig das wirtschaftspolitische Argument der Sicherung<br />
des Fachkräftenachwuchses in den Vordergrund. In den letzten Jahren ist es aber vor allem auch<br />
die Politik der Organe der Europäischen Union, die zur Förderung der Durchlässigkeit im<br />
Bildungssystem und zwischen Bildungs‐ und Beschäftigungssystem maßgeblich beiträgt: “At the<br />
same time, <strong>VET</strong>, despite its specific social and economic significance, is increasingly looked upon<br />
in a similar way as higher education, which means that the socalled „Bologna Process” and the<br />
“Lisbon‐Copenhagen Process” have to be seen as two sides of one medal as they follow similar<br />
principles of harmonisation (within the legal framework of the EU treaty) and as they clearly aim<br />
at transparency as well as ease of transition and progression within a permeable and unified<br />
education system” (Deißinger 2008).<br />
Die Frage der Durchlässigkeit wird in <strong>Deutschland</strong> in der Berufsbildungspolitik und<br />
Berufsbildungsforschung insbesondere mit Blick auf die diversen Schnittstellen thematisiert, die<br />
nachfolgend in den Abschnitten 2, 3 und 4 behandelt werden. In Abschnitt 5 wird der<br />
bedeutsame Übergang von der Berufsbildung in die Erwerbsbeschäftigung aufgegriffen.
Transitions 119<br />
2. Übergänge von der Schule in die berufliche Bildung<br />
Auf der Basis der schulischen Abschlüsse in der Sekundarstufe I erfolgt entweder der<br />
Übergang in die weiterführende Allgemeinbildung oder der Übergang in die diversen Angebote<br />
der beruflichen Bildung. Generell sind vier Wege des Übergangs von der Sekundarstufe I in die<br />
Sekundarstufe II verfügbar: Duales System, Schulberufssystem, Übergangssystem, Eintritt in die<br />
Klasse 11 des allgemeinen oder beruflichen Gymnasiums (siehe 2.2). Über die Hälfte eines<br />
Jahrganges wechselt in die berufliche Bildung, in welcher das Angebot und die Nachfrage im<br />
Dualen System klar dominiert (siehe 2.3). Auch die vollzeitschulische Berufsausbildung besitzt<br />
eine wachsende Bedeutung (siehe 2.4). Allerdings stehen für die Nachfrage nach<br />
Ausbildungsplätzen im Dualen System und im Schulberufssystem nicht genügend<br />
Ausbildungsplätze zur Verfügung. Viele junge Erwachsene finden keinen Ausbildungsplatz.<br />
Ebenso absolvieren viele junge Erwachsene, die einen Ausbildungsplatz gefunden haben, eine<br />
Berufsausbildung, die nicht ihren Interessen entspricht. Schulabgänger/‐innen ohne Abschluss<br />
oder mit Hauptschulabschluss sind überproportional stark im sogenannten Übergangssystem<br />
vertreten und können um attraktive beruflicher Erstausbildungsplätze im Dualen System oder im<br />
Schulberufssystem mit den Absolventen und Absolventinnen mittlerer Schulabschlüsse oder<br />
Abiturienten nicht konkurrieren. Die quantitativen und qualitativen Passungsprobleme an der 1.<br />
Schwelle können mit Blick auf die Angebotsstruktur beruflicher Bildung und den individuellen<br />
Nachfragebedingungen und Berufswahlverhalten erklärt werden (siehe 2.6).<br />
Im Mittelpunkt der Berufsbildungsforschung zu den Übergängen an der 1. Schwelle stehen<br />
die quantitativen und qualitativen Entwicklungen des Angebots und der Nachfrage nach<br />
beruflicher Bildung. Differenzierte statistische Analysen liegen zur Angebots‐Nachfragesituation<br />
auf dem Ausbildungsstellenmarkt in <strong>Deutschland</strong> vor. Zudem liegen wichtige Ergebnisse zur<br />
Frage der Benachteiligung von jungen Erwachsenen vor, insbesondere mit Blick auf<br />
benachteiligten Personengruppen in der beruflichen Bildung. Eine wachsende Aufmerksamkeit<br />
haben in den letzten Jahren die Frage der Ausbildungsreife und das Ausbildungswahlverhalten<br />
gewonnen.<br />
The lower secondary level and the three sectors at the first threshold in Germany<br />
In der Berufsbildungsforschung wird der Übergang von der Schule in die berufliche Bildung<br />
üblicherweise als „Übergang an der 1. Schwelle“ bezeichnet. Nachdem in den 1960er‐ und<br />
1970er‐Jahren noch die Frage der Übergänge innerhalb der allgemeinen Bildung, insbesondere<br />
vom schulischen Primar‐ in den Sekundarbereich, dominierte, gewinnt der Wechsel bzw. die<br />
„Statuspassage“ von der schulischen Allgemeinbildung in eine berufliche Erstqualifizierung am<br />
Ende der 1970er‐Jahre in <strong>Deutschland</strong> (West) entscheidend an Bedeutung. Die Gründe dafür<br />
liegen in den demografischer Entwicklung, den zunehmend heterogenen Schulabschlüssen beim<br />
Eintritt in die Berufsbildung, der Veränderung des Übergangsverhaltens auf der Nachfrageseite<br />
und schließlich in den veränderten Ausbildungsstellenentwicklungen und
120 Dietmar Frommberger<br />
Rekrutierungsstrategien auf der Angebotsseite. In der Tendenz ist das Übergangsgeschehen an<br />
der 1. Schwelle in <strong>Deutschland</strong> seit dem Ende der 1970er‐Jahre von quantitativen und<br />
qualitativen Passungsproblemen gekennzeichnet.<br />
Der Übergang an der 1. Schwelle erfolgt nach der Absolvierung der Vollzeitschulpflicht in der<br />
Sekundarstufe I. In <strong>Deutschland</strong> endet die Vollzeitschulpflicht für Jugendliche in den meisten<br />
Bundesländern nach neun Schuljahren, in einigen Bundesländern allerdings erst nach zehn<br />
Schuljahren. Die Jugendlichen erwerben am Ende ihrer Pflichtschulzeit Schulabschlüsse, die sich<br />
in ihrer Wertigkeit und den damit verbundenen Berechtigungen deutlich voneinander<br />
unterschieden. Viele Jugendliche verlassen die Schule ohne einen Abschluss (so genannte<br />
„Abgänger“).<br />
Das zentrale Kennzeichen der Sekundarstufe I in <strong>Deutschland</strong> liegt in der Differenzierung der<br />
Schulformen. In Abhängigkeit von den schulischen Leistungen, den Empfehlungen der Lehrkräfte<br />
und den Wünschen der Erziehungsberechtigten wechseln die Kinder nach Beendigung ihrer<br />
Grundschulzeit in eine von prinzipiell 3 Schulformen, die Hauptschule, die Realschule oder das<br />
Gymnasium. Eine spezielle Schulform stellt die Sonderschule bzw. Förderschule dar, wo Kinder<br />
und Jugendliche mit besonderen Lernschwierigkeiten oder Lernbehinderungen sowie geistig und<br />
körperlich behinderte junge Menschen entsprechend der Behinderungsarten mit besonderen<br />
Konzepten unterrichtet werden.<br />
Der Unterschied zwischen den Schulformen in der Sekundarstufe I liegt zunächst in der<br />
Annahme der unterschiedlichen Lernleistungsvoraussetzungen der Schüler und Schülerinnen.<br />
Diejenigen, von denen vergleichsweise höhere Schulleistungen auf Grundlage ihrer bisher<br />
gezeigten Schulnoten erwartet werden, wechseln auf das Gymnasium. Die Schulformen bzw.<br />
Bildungsgänge der Realschule und der Hauptschule werden auch an Schularten mit mehreren<br />
Bildungsgängen mit nach Bundesländern unterschiedlichen Bezeichnungen angeboten. Hierzu<br />
zählen die Mittelschule (Sachsen), Regelschule (Thüringen), Sekundarschule (Bremen, Sachsen‐<br />
Anhalt), Erweiterte Realschule (Saarland), Integrierte Haupt‐ und Realschule (Hamburg),<br />
Verbundene oder Zusammenfassende Haupt‐ und Realschule (Hessen, Mecklenburg‐<br />
Vorpommern, Berlin) und Regionale Schule (Rheinland‐Pfalz) sowie die Gesamtschule.<br />
Entscheidend für den Besuch einer der drei prinzipiellen Schulformen ist die damit<br />
verknüpfte Erwartung, einerseits gemäß der eigenen Lernvoraussetzungen und –möglichkeiten<br />
lernen zu können und unterrichtet zu werden, um damit den „Gebrauchswert des Wissens für<br />
komplexe Lebenssituationen zu erhöhen” (Kutscha 1995, S. 16). Andererseits jedoch soll ein<br />
schulischer Abschluss erworben werden, der gemäß eines Berechtigungssystems zu<br />
weiterführenden Bildungsgängen und/oder beruflichen Chancen berechtigt.<br />
Abgesehen von den vielfältigen Besonderheiten und Ausnahmeregelungen, die in den<br />
verschiedenen Bundesländern existieren und unregelmäßig aktualisiert werden, können in den<br />
verschiedenen Schulformen der Sekundarstufe I der Hauptschulabschluss und der mittlere<br />
Bildungsabschluss erlangt werden:
Transitions 121<br />
Am Ende der Jahrgangsstufe 9 besteht in allen Ländern die Möglichkeit, den<br />
Hauptschulabschluss als einen ersten allgemeinbildenden Schulabschluss zu erwerben. Er wird in<br />
der Mehrzahl der Länder als Hauptschulabschluss bezeichnet. Am Ende der Jahrgangsstufe 10<br />
kann in den Ländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg‐Vorpommern, Niedersachsen,<br />
Nordrhein‐Westfalen und Schleswig‐Holstein ein erweiterter Hauptschulabschluss oder die<br />
erweiterte Berufsbildungsreife nach den Bestimmungen dieser Länder erworben werden. In<br />
Baden‐Württemberg wird für entsprechend qualifizierte Schülerinnen und Schüler der<br />
Hauptschulbildungsgang mit dem Ziel des Erwerbs eines Mittleren Schulabschlusses um ein Jahr<br />
verlängert. 36<br />
Der Mittlere Schulabschluss wird an allgemeinbildenden Schularten nach der 10.<br />
Jahrgangsstufe erworben. Der Mittlere Schulabschluss wird in der Mehrzahl der Länder als<br />
Realschulabschluss bezeichnet. Bei besonderen Leistungen und Noten wird der „Erweiterte<br />
Sekundarstufen I – Abschluss“ vergeben, der zum Eintritt in die gymnasiale Oberstufe berechtigt.<br />
Mit den Abschlüssen der Sekundarstufe I und der Erfüllung der Vollzeitschulpflicht können<br />
verschiedene Berechtigungen für den Übergang an der 1. Schwelle in die höhere allgemeine<br />
sowie berufliche Bildung erworben werden. Für den Einstieg in eine Berufsausbildung im Dualen<br />
System ist in formaler Hinsicht kein bestimmter schulischer Abschluss notwendig, da die<br />
Berufsausbildung auf der Basis eines privatrechtlichen Ausbildungsvertrages zwischen dem<br />
Ausbildungsbetrieb und dem Auszubildenden aufgenommen wird. Faktisch sind die Chancen auf<br />
einen Ausbildungsplatz jedoch eng an die erworbenen schulischen Abschlüsse geknüpft.<br />
Zunehmend findet eine Entkopplung der Abschlüsse von den Schulformen statt. Die<br />
Hauptschulabschlüsse werden immer häufiger an Realschulen oder im beruflichen<br />
Bildungswesen erworben, die mittleren Schulabschlüsse auch an den Hauptschulen, aber vor<br />
allem zunehmend im beruflichen Bildungswesen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung<br />
2008, S. 87 ff).<br />
Für die erfolgreichen Absolventen sowie die AbgängerInnen ohne Abschluss aus der<br />
Sekundarstufe I stellt sich die Herausforderung der Fortsetzung ihres Bildungsganges in der<br />
Sekundarstufe II. Generell sind vier Wege des Übergangs von der Sekundarstufe I in die<br />
Sekundarstufe II verfügbar: Duales System, Schulberufssystem, Übergangssystem, Eintritt in die<br />
Klasse 11 des allgemeinen oder beruflichen Gymnasiums. Für diejenigen in <strong>Deutschland</strong>, die an<br />
der 1. Schwelle in die berufliche Bildung wechseln, sah die Verteilung auf die drei Sektoren der<br />
beruflichen Bildung in 2006 folgendermaßen aus (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung<br />
36<br />
Schülerinnen und Schüler, die nach dem erfolgreichen Besuch des neunten Schuljahrs der Realschule<br />
vorzeitig von dieser Schule abgehen, erhalten ebenfalls den Hauptschulabschluss. Schülerinnen und Schüler, die bei<br />
Eintritt in die neunte Klasse der Hauptschule bereits neun Schuljahre absolviert haben, weil sie eine Klassenstufe<br />
wiederholen mussten, können ein zehntes Schuljahr an der Hauptschule durchlaufen, um auf diese Weise noch den<br />
Hauptschulabschluss zu erreichen. Wer diese Möglichkeit nicht ergreift oder nach neun Schuljahren das Ziel des<br />
achten Schuljahrs nicht erreicht hat, muss die Hauptschule ohne Schulabschluss verlassen.
122 Dietmar Frommberger<br />
2008): Duales System: 43,5 Prozent; Schulberufssystem: 16,8 Prozent; Berufliches<br />
Übergangssystem: 39,7 Prozent. Im Verlauf der letzten Jahre ist diesbezüglich für das Duale<br />
System eine abnehmende Tendenz, für das Schulberufssystem sowie wie für das<br />
Übergangssystem eine zunehmende Tendenz zu verzeichnen. Die relative Bedeutung des<br />
Übergangs in die duale Berufsausbildung nimmt ab.<br />
Die denkbare fünfte Möglichkeit, der unmittelbare Übertritt in die Arbeitswelt als ungelernte<br />
Arbeitskraft, ist in <strong>Deutschland</strong> ausgeschlossen. In den Schulgesetzen der Länder ist neben der<br />
neun‐ oder zehnjährigen Vollzeitschulpflicht eine Teilzeitschulpflicht verankert, die mindestens<br />
drei Jahre dauert. Alternativ kann durch den einjährigen Besuch einer beruflichen Vollzeitschule<br />
die dreijährige Teilzeitschulpflicht erfüllt werden.<br />
Die Übergänge von der Sekundarstufe I und der allgemein bildenden Sekundarstufe II in die<br />
berufsbildende Sekundarstufe II an der 1. Schwelle werden maßgeblich durch die mitgebrachten<br />
schulischen Abschlüsse bestimmt (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 157 f).<br />
SchulabgängerInnen ohne Abschluss oder mit Hauptschulabschluss sind überproportional stark<br />
im Übergangssystem (s. 2.4) vertreten und können um attraktive beruflicher<br />
Erstausbildungsplätze im Dualen System oder im Schulberufssystem mit den Absolventen und<br />
Absolventinnen mittlerer Schulabschlüsse oder Abiturienten nicht konkurrieren.<br />
Übergänge in die Berufsausbildung im Dualen System<br />
Quantitativ dominiert in <strong>Deutschland</strong> das Duale System der Berufsausbildung, das heißt der<br />
Einstieg in eine Form der beruflichen Erstausbildung, in welcher auf der Basis eines<br />
Ausbildungsvertrages mit einem Ausbildungsbetrieb das berufsbezogene Lernen überwiegend<br />
im Betrieb stattfindet und durch den Besuch einer Berufsschule flankiert wird. Auch hinsichtlich<br />
der Attraktivität dominiert das Duale System klar das Ausbildungswahlverhalten der<br />
SchulabgängerInnen (Bundesinstitut für Berufsbildung <strong>2009</strong>, S. 70 ff).<br />
Die Nachfrage nach einer Berufsausbildung im Dualen System dominiert das<br />
Berufswahlverhalten derjenigen, die keine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben;<br />
zusätzlich bestimmt es aber auch maßgeblich die Wahl derjenigen, die in die Hochschule<br />
wechseln könnten (vgl. Friedrich 2008): Etwa 75 Prozent der Hauptschul‐, 60 Prozent der<br />
Realschulabsolventen und 25 Prozent der Studienberechtigten sind an einem zeitnahen Beginn<br />
einer dualen Berufsausbildung interessiert. Von den Abgängern und Abgängerinnen aus dem<br />
schulischen Berufsvorbereitungsjahr sind es 85 Prozent, aus dem vollzeitschulischen<br />
Berufsgrundbildungsjahr 90 Prozent, aus der Fachoberschule und aus den Fachgymnasien<br />
jeweils 50 Prozent und aus den grundbildenden Berufsfachschulen 65 Prozent. Auch das<br />
Nachfragepotenzial aus dem Kreis der „Altbewerber“, also derjenigen Personengruppe, die<br />
direkt nach dem Verlassen der allgemein bildenden Schule keinen Ausbildungsplatz im Dualen<br />
System erhalten hat und alternative berufliche Orientierungs‐ und Qualifizierungsprozesse,<br />
insbesondere im Übergangssystem, durchlief, ist immens (vgl. Friedrich 2008).
Transitions 123<br />
Für das System der dualen Berufsausbildung votieren also Schulabsolventen und<br />
Absolventinnen mit allen Formen allgemein bildender Abschlüsse. Deutlich angestiegen sind die<br />
Anteile derjenigen, die eine Fachhochschulreife oder allgemeine Hochschulzugangsberechtigung<br />
mitbringen. Knapp 20 Prozent der Auszubildenden (vgl. BMBF 2008) besitzen eine<br />
Hochschulzugangsberechtigung. Im großstädtischen Bereich liegt die Rate der Abiturienten in<br />
der betrieblich‐dualen Berufsausbildung teilweise bei über 30 Prozent. Es dominieren die<br />
Schulabsolventen mit einem mittleren Bildungsabschluss. Der Anteil der Schulabsolventen mit<br />
Hauptschulabschluss ist deutlich zurück gegangen. Diese Personengruppe wechselt überwiegend<br />
in das Übergangssystem (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung <strong>2009</strong>, S. 128 ff).<br />
Quantitativ wird der Übergang in das Duale System auf der Basis der Angebots‐Nachfrage‐<br />
Relation beschrieben und bewertet, und zwar gemäß § 86 Berufsbildungsgesetz. Die Relation<br />
von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsstellenmarkt gibt Auskunft darüber, wie hoch<br />
die Chancen von Jugendlichen sind, eine qualifizierte Ausbildung absolvieren zu können bzw. wie<br />
groß das Reservoir ist, aus dem Betriebe und andere Ausbildungseinrichtungen die<br />
Auszubildenden auswählen können. Die Werte für die Angebots‐Nachfrage‐Relation gemäß § 86<br />
Berufsbildungsgesetz stützen sich auf das bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Angebot<br />
von Ausbildungsplätzen und die gemeldete Nachfrage nach Ausbildungsplätzen. Die Angebote<br />
und die Nachfragen im Schulberufssystem und im Übergangsystem werden nicht berücksichtigt.<br />
Daher und aus diversen anderen Gründen (vgl. Ulrich 2008) ist die Angebots‐Nachfrage‐Relation,<br />
welche die öffentliche Debatte um die berufliche Bildung in <strong>Deutschland</strong> wesentlich prägt, nur<br />
begrenzt aussagekräftig.<br />
Neben den genannten quantitativen Passungsproblemen zwischen Angebot und Nachfrage<br />
auf dem Ausbildungsstellenmarkt ist der Übergang in die betrieblich‐duale Berufsausbildung<br />
dadurch geprägt, dass viele junge Erwachsene, die einen Ausbildungsvertrag unterschreiben und<br />
eine Berufsausbildung beginnen, nicht den persönlichen Wunschberuf erlernen können (vgl.<br />
Bundesinstitut für Berufsbildung <strong>2009</strong>, S. 72 ff). Oftmals werden attraktive Angebote der<br />
Berufsausbildung, zum Beispiel im kaufmännischen Bereich, sehr stark nachgefragt, so dass viele<br />
Bewerbungen zunächst erfolglos bleiben. Häufig beginnen die BewerberInnen dann eine<br />
Ausbildungsrichtung, die nur in einem begrenzten Maß oder gar nicht der eigenen<br />
Interessenlage entspricht. Es ist davon auszugehen, dass eine starke Abkehr von den eigenen<br />
Interessen bei Abschluss des Ausbildungsvertrages in einem überdurchschnittlich hohen Maße<br />
zur Abbruchbereitschaft und dem tatsächlichen Abbruchverhalten führt. Umgekehrt sind viele<br />
Ausbildungsberufe aus Sicht der Schulabsolventen und Absoventinnen unattraktiv, so dass nicht<br />
selten bestimmte Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung<br />
<strong>2009</strong>, S. 30).<br />
Eine Berufsausbildung im Dualen System ist für die meisten jungen Erwachsenen und<br />
Schulabgänger die 1. Wahl. Insgesamt ist die Bedeutung der betrieblich‐dualen Berufsausbildung<br />
daher als ausgesprochen hoch einzuschätzen. In Summe, also einschließlich derjenigen, die<br />
zunächst eine allgemein bildende Hochschulzugangsberechtigung abschließen, erwerben zwei<br />
Drittel eines Altersjahrganges einen beruflichen Abschluss dieser Art.
124 Dietmar Frommberger<br />
Übergänge in die vollqualifizierenden schulischen Berufsausbildungsgänge<br />
Die Alternativen zum Dualen System und zur weiterführenden Allgemeinbildung an der 1.<br />
Schwelle sind nur weit weniger geringer attraktiv und mit deutlich weniger Chancen für den<br />
erfolgreichen Einstieg in die Erwerbsbeschäftigung und den beruflichen Karriereweg verbunden.<br />
Eine Ausnahme stellen die schulischen Berufsbildungsgänge dar, die zu anerkannten<br />
Abschlüssen in den Gesundheits‐ und Pflegediensten sowie in den kaufmännischen<br />
Assistenzberufen führen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008). In den Jahren von<br />
1992 bis 2007 ist der Anteil dieser Formen der Berufsausbildung an der 1. Schwelle deutlich<br />
angestiegen (vgl. Feller 2004; Ulrich 2008), während die Ausbildungsangebote im Dualen System<br />
absolut und im Verhältnis zu den alternativen Berufsbildungsformen deutlich zurückgegangen<br />
sind.<br />
Übergänge in das Berufliche Übergangssystem<br />
Das so genannte Übergangssystem ist in den letzten zwei Jahrzehnten stark gewachsen. Cum<br />
grano salis handelt es sich um ein Angebot, das diejenigen SchulabgängerInnen wahrnehmen,<br />
die in keine attraktive berufliche Ausbildungsmöglichkeit oder in eine weiterführende<br />
allgemeine Bildung auf der Ebene der Sekundarstufe II einmünden können. Im Nationalen<br />
Bildungsbericht 2006 zählen zum beruflichen Übergangssystem „(Aus‐)Bildungsangebote, die<br />
unterhalb einer qualifizierten Berufsausbildung liegen bzw. zu keinem anerkannten<br />
Ausbildungsabschluss führen, sondern auf eine Verbesserung der individuellen Kompetenzen<br />
von Jugendlichen zur Aufnahme einer Ausbildung oder Beschäftigung zielen und zum Teil das<br />
Nachholen eines allgemein bildenden Schulabschlusses ermöglichen“ (Konsortium<br />
Bildungsberichterstattung 2006, S. 79).<br />
Es handelt sich um ein Angebot sehr heterogener Art, das an unterschiedlichen staatlichen<br />
und privaten Berufsbildungseinrichtungen stattfindet und ein breites Spektrum verschiedener<br />
Berufsbildungsgänge aufweist (vgl. Kutscha 2005). Häufig werden die Angebote der beruflichen<br />
Orientierung und Qualifizierung im Übergangssystem durch außerordentliche<br />
Finanzierungsprogramme des Bundes, der Länder und der Kommunen unterstützt (vgl. Werner<br />
u. a. 2008). <strong>Deutschland</strong>weit ist das Angebot im Übergangssystem kaum zu überblicken. Nur zum<br />
Teil erfolgt in den Angeboten des Übergangssystems eine inhaltliche und organisatorische<br />
Abstimmung zu den weiterführenden schulischen oder betrieblichen beruflichen<br />
Ausbildungsmöglichkeiten.<br />
Zudem handelt es sich bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Übergangssystem<br />
um eine äußerst heterogene Zielgruppe (vgl. Bohlinger 2004, Friese / Siecke 2008): junge<br />
Menschen mit Lernbeeinträchtigung, nicht berufs‐ oder ausbildungsberufsreife junge Menschen,<br />
junge Menschen mit Behinderung, Un‐ und Angelernte, sozial Benachteiligte und bildungsferne<br />
Jugendliche, junge Menschen mit Migrationshintergrund, benachteiligte junge Frauen mit<br />
geringen Ausbildungsplatzchancen sowie junge Mütter, Jugendliche mit soliden schulischen<br />
Abschlüssen, die aufgrund der regionalen und konjunkturellen Bedingungslage keinen<br />
attraktiven Ausbildungsplatz finden, usw.
Transitions 125<br />
Viele junge Erwachsene, die direkt an der 1. Schwelle beim Übergang von der allgemeinen<br />
in die berufliche Bildung zunächst in das Übergangssystem wechseln (müssen), beginnen später<br />
eine Berufsausbildung im Dualen System. Das Übergangssystem dient vielen<br />
SchulabgängerInnen als Warte‐ oder Orientierungsschleife, um anschließend eine betrieblich‐<br />
duale Berufsausbildung absolvieren zu können. Diese Personengruppe der „AltbewerberInnen“<br />
erhöht jährlich die Nachfrage nach attraktiven Ausbildungsplätzen auf dem<br />
Ausbildungsstellenmarkt. Dadurch wird die Situation für die regelmäßigen SchulabgängerInnen<br />
zusätzlich erschwert. Es kann allerdings gezeigt werden (vgl. Autorengruppe<br />
Bildungsberichterstattung 2008, S. 161 ff), dass sich der hohe Anteil der Absolventen und<br />
Absolventinnen im Übergangssystem nach 12 bis 30 Monaten deutlich verringert und die jungen<br />
Erwachsenen in attraktivere Formen der beruflichen Bildung einmünden. Jedoch ist diese<br />
„Warteschleife“ aus individueller und gesellschaftlicher Perspektive nicht zufriedenstellend.<br />
Insgesamt bleiben knapp 15 Prozent eines Altersjahrganges in <strong>Deutschland</strong> ohne eine<br />
qualifizierte Berufsausbildung (vgl. Beicht u.a. 2008).<br />
Obwohl der Wunsch, eine vollqualifizierende Berufsausbildung im Anschluss an die<br />
Schulpflicht zu absolvieren, zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund ähnlich<br />
stark ausgeprägt ist, sind die Chancen für die Migranten und Migrantinnen sehr viel ungünstiger<br />
(vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 157 ff; vgl. Gaupp u. a. 2008). Insgesamt<br />
sind insbesondere die Jugendlichen mit Hauptschulabschluss im Übergangssystem vertreten.<br />
Aber auch viele Jugendliche mit einem mittleren Schulabschluss absolvieren zunächst alternative<br />
Berufsbildungsangebote im Übergangssystem – in der Hoffnung, baldmöglichst eine attraktive<br />
Berufsausbildung im Dualen System oder im Schulberufssystem zu finden.<br />
Erklärungsansätze zu den Passungsproblemen beim Übergang von der allgemeinen<br />
Bildung in die berufliche Bildung an der 1. Schwelle in <strong>Deutschland</strong><br />
Mit Blick auf die Angebotsstruktur beruflicher und berufsvorbereitender Bildung werden<br />
nachfolgend die wesentlichen Sachverhalte hervorgehoben, die als Erklärungsansätze für die<br />
Passungsprobleme beim Übergang an der 1. Schwelle dienen können:<br />
1) Im Vergleich zur Situation in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern wird<br />
das Angebot der beruflichen Erstausbildung an der 1. Schwelle in <strong>Deutschland</strong> in erster Linie<br />
durch einen Ausbildungsstellenmarkt gesteuert, der in einem hohen Maß privatwirtschaftlich<br />
organisiert ist. Zwar unterliegen die abgeschlossenen Ausbildungsverträge zwischen<br />
Ausbildungsbetrieb und Auszubildenden direkt den qualitativen Standards des<br />
Berufsbildungsgesetzes und indirekt weiteren staatlichen Regulierungsinstanzen (z. B.<br />
Betriebsverfassungsgesetz, Jugendschutzgesetz). In quantitativer Hinsicht obliegt die<br />
Entscheidung für oder gegen die Schaffung von Ausbildungsplätzen jedoch allein den<br />
Unternehmen – sofern man von den staatlich geförderten Ersatzmaßnahmen absieht. So<br />
beteiligen sich etwa drei Viertel der Unternehmen in <strong>Deutschland</strong> nicht an der beruflichen
126 Dietmar Frommberger<br />
Erstausbildung im dualen System (vgl. BMBF 2008). 37 Insofern wird die Situation an der 1.<br />
Schwelle von der Allgemeinbildung in die Berufsbildung in <strong>Deutschland</strong> maßgeblich durch die<br />
betriebs‐ bzw. personalwirtschaftlichen Prioritäten und Rekrutierungsstrategien geprägt. Damit<br />
ist einerseits der besondere Vorteil verbunden, dass diejenigen, die ausgebildet werden, relativ<br />
gute Chancen der Einmündung in ein Erwerbsbeschäftigungsverhältnis an der 2. Schwelle<br />
erhalten (siehe Kapitel 5). Andererseits führt diese Situation zu verhältnismäßig gering<br />
ausgeprägten beruflichen Entwicklungschancen für diejenigen, die diese Form der betrieblich‐<br />
dualen Ausbildungsmöglichkeit nicht erhalten. Diese Problematik ist als die Achillesferse des<br />
Dualen Systems zu verstehen.<br />
2) Das Angebot beruflicher Bildung im System der beruflichen Bildung gemäß<br />
Berufsbildungsgesetz, das die dominierende Form der beruflichen Erstausbildung in <strong>Deutschland</strong><br />
darstellt, ist in einem sehr starken Maße abhängig von der ökonomischen Gesamtentwicklung<br />
und damit von der allgemeinen Beschäftigungsstruktur und der Konjunktur. Diese Abhängigkeit<br />
hat in den letzten Jahren zugenommen (vgl. Troltsch / Walden 2007). Auch weitere zentrale<br />
Rahmenbedingungen, zum Beispiel die demografische Entwicklung, wirkt direkt auf die<br />
Angebotssituation auf dem Ausbildungsstellenmarkt. Der Vorteil dieser unmittelbaren Kopplung<br />
der Angebote der Berufsausbildung an die wirtschaftsstrukturelle Entwicklung liegt in den<br />
verhältnismäßig guten Übergangschancen an der 2. Schwelle in eine weiterführende<br />
Erwerbsbeschäftigung für diejenigen, die eine Berufsausbildung im Dualen System absolviert<br />
haben. Zugleich ist der Ausbildungsstellenmarkt aus Sicht der Schulabsolventen unberechenbar.<br />
Konjunkturelle Schieflagen wirken sich direkt auf die Chancen auf eine attraktive<br />
Berufsausbildung aus.<br />
Das Gefälle zwischen hochattraktiven und chancenreichen betrieblich‐dualen<br />
Ausbildungsmöglichkeiten einerseits und deutlich weniger attraktiven schulischen<br />
Berufsbildungsangeboten andererseits trägt wesentlich dazu bei, dass der Übergang von der<br />
Allgemeinbildung in die Berufsbildung an der 1. Schwelle in <strong>Deutschland</strong> für viele junge<br />
Erwachsene zu sehr guten Startchancen in eine erfolgreiche weiterführende berufliche Karriere<br />
führt, gleichzeitig jedoch für viele derjenigen, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz<br />
erhalten, zu ersten frustrierenden Erlebnissen und persönlichen Niederlagen und deutlich<br />
geringeren Chancen der Integration in die Erwerbsbeschäftigung und der damit verbundenen<br />
sozialen Reputation. Bezeichnender Weise wird diese Personengruppe, welcher der Einstieg in<br />
die berufliche Ausbildung innerhalb des Dualen Systems bzw. in attraktive Schulberufe nicht<br />
gelingt, in <strong>Deutschland</strong> als „benachteiligt“ bezeichnet. Hierzu zählen auch die sogenannten<br />
„marktbenachteiligten“ Jugendlichen, diejenigen also, die zwar hochwertige schulische<br />
allgemein bildende Abschlüsse erworben haben, diese jedoch für den Einstieg in das Duale<br />
System nicht erfolgreich nutzen können, da das Ausbildungsplatzangebot aus regionalen,<br />
37<br />
Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der betrieblichen Ausbildungsbeteiligung starke<br />
Differenzierungen in Bezug auf die Betriebsgröße vorliegen. So ist die Beteiligungsquote der Unternehmen mit<br />
höheren Mitarbeiterzahlen tendenziell höher.
Transitions 127<br />
konjunkturellen oder demografischen Gründen knapp oder sehr knapp ist. Damit verpasst auch<br />
diese Personengruppe den Einstieg in den Erfolg versprechenden beruflichen Bildungsweg –<br />
obwohl diese Personengruppe aufgrund der teilweise sehr erfolgreichen individuellen<br />
Schullaufbahnen den bis dahin üblichen Ansprüchen gerecht geworden ist, die sie in einem<br />
Bildungssystem erlernt haben, das den meritokratischen Prinzipien gehorcht. Trotz der Erfüllung<br />
dieser Ansprüche, und zwar durch den Erwerb hochwertiger schulischer Abschlüsse, an der 1.<br />
Schwelle dennoch erfolglos um attraktive Formen der beruflichen Erstausbildung werben zu<br />
müssen, ist den jungen Erwachsenen kaum zu erklären.<br />
Die berufliche Ausbildung im Dualen System, also das Lernen im betrieblichen und<br />
aufgabenbezogenen Arbeits‐ und Sozialisationszusammenhang, genießt in <strong>Deutschland</strong> ein Maß<br />
der Reputation, das im internationalen Vergleich als ausgesprochen hoch einzuschätzen ist. Die<br />
Wahl einer betrieblich‐dualen Berufsausbildung an der 1. Schwelle ist für die jungen<br />
Erwachsenen hoch attraktiv. Zusätzlich votiert eine hohe Anzahl derjenigen, die eine allgemeine<br />
Hochschulzugangsberechtigung in der höheren Allgemeinbildung erworben haben, ebenfalls für<br />
eine solche Form der beruflichen Ausbildung. Dies nun wiederum führt dazu, dass die<br />
Konkurrenz zwischen den Schulabsolventen und Absolventinnen um attraktive betriebliche<br />
Ausbildungsstellen sehr stark ausgeprägt ist, so dass die Absolventen und Absolventinnen der<br />
Sekundarstufe I in Zeiten knapper Ausbildungsstellenangebote schlechte Chancen auf einen<br />
Ausbildungsplatz und faktisch keine Chance des Einstiegs in die gefragten und attraktiven<br />
Ausbildungsvarianten erhalten. So besitzen die Auszubildenden beispielsweise in den<br />
Ausbildungsberufen im kaufmännisch‐verwaltenden Bereich mittlerweile überwiegend die<br />
allgemeine Hochschulzugangsberechtigung (BMBF 2008).<br />
Weitere zentrale Thesen von hoher Bedeutung zur Erklärung der Passungsprobleme an der<br />
1. Schwelle zielen auf die Nachfragebedingungen, so vor allem auf die Frage der<br />
Berufsorientierung in der Allgemeinbildung sowie die Ausbildungsreife der jungen Erwachsenen:<br />
1) Es existiert in der schulischen Allgemeinbildung in den verschiedenen Bundesländern<br />
vergleichsweise wenig berufsorientierender Fachunterricht. Daher ist die individuelle<br />
Ausbildungsberufswahl relativ unsicher. So können Untersuchungen zeigen (vgl. Krewerth u. a.<br />
2004), dass die Bezeichnung des Ausbildungsberufes eine gewichtige Bedeutung im Rahmen der<br />
Ausbildungsplatzwahl besitzt, ohne dass die Schulabgänger wissen, welche Anforderungen und<br />
Kompetenzen in diesem Ausbildungsberuf vermittelt werden. Insgesamt ist der<br />
Ausbildungsberufsfindungsprozess an der 1. Schwelle in <strong>Deutschland</strong> in einem hohen Maße<br />
durch die externe Bedingungslage geprägt und bestimmt. Individuelle Interessenlagen können in<br />
den ausbildungsplatzknappen Zeiten nur diejenigen Jugendlichen realisieren, die vergleichsweise<br />
die höchsten schulischen allgemein bildenden Abschlüsse nachweisen können oder über<br />
wichtige soziale Kontakte verfügen.<br />
2) Im Zuge der Suche nach Erklärungen für die – scheinbar – sinkende einzelbetriebliche<br />
Ausbildungsbereitschaft rückt häufig und in unterschiedlichen Befragungen der Unternehmen<br />
das Argument der „mangelnden“ Ausbildungsreife der Bewerber und Bewerberinnen in den<br />
Vordergrund. Es sei schwierig, kompetente Auszubildende zu finden (vgl. BDA 2003; DIHK 2005;
128 Dietmar Frommberger<br />
IW 2003; IHK‐Schwerin 2002). Die mangelnde Ausbildungsreife der Jugendlichen wird als ein<br />
entscheidender Grund dafür genannt, dass viele Ausbildungsplätze nicht angeboten oder besetzt<br />
werden (vgl. Dorn / Nackmeyer 2004). Anders als in schulischen Berufsbildungsstrukturen, die in<br />
vielen Ländern Europas zu finden sind, erfolgt der Übergang in das Duale System der<br />
Berufsbildung überwiegend marktgesteuert, das heißt auf der Basis der Angebote und der<br />
Nachfrage auf dem Ausbildungsstellenmarkt. Auszubildende müssen sich um die<br />
Ausbildungsstellen bewerben. Die Einstiege bzw. Übergänge in dieses System der beruflichen<br />
Bildung sind damit – anders als in schulischen Systemen ‐ nicht primär abhängig von erworbenen<br />
und mitgebrachten formalen schulischen Bildungsabschlüssen. Vielmehr sind es die<br />
tatsächlichen Kenntnisse und Kompetenzen der Schulabsolventen und Absolventinnen, die für<br />
eine erfolgreiche Ausbildungsplatzbewerbung von hoher Relevanz sind. Zwar besitzen die<br />
Schulzeugnisse im Rahmen des betrieblichen Bewerberauswahlverfahrens für die Besetzung von<br />
Ausbildungsplätzen in der Regel eine hohe Bedeutung, allerdings sind die<br />
Ausbildungsunternehmen bei ihren Einstellungsentscheidungen nicht an diese Schulabschlüsse<br />
gebunden.<br />
Das Thema „Ausbildungsreife“, das in den vergangenen Jahren in der<br />
Berufsbildungslandschaft der Bundesrepublik <strong>Deutschland</strong> eine zunehmende Aufmerksamkeit<br />
erfahren hat, betrifft das Verhältnis zwischen mitgebrachten individuellen Kenntnissen und<br />
Kompetenzen der jungen Bewerber und Bewerberinnen auf dem Ausbildungsstellenmarkt<br />
einerseits und den Erwartungen und Anforderungen der Ausbildungsbetriebe andererseits.<br />
Besonders virulent ist das Thema „Ausbildungsreife“ aktuell deswegen, weil offenbar wachsende<br />
Diskrepanzen zwischen den mitgebrachten und den erwarteten Eingangsvoraussetzungen<br />
wahrgenommen werden. Aus der Sicht betrieblicher Ausbildungseinrichtungen wird häufig<br />
argumentiert, die Bewerber und Bewerberinnen würden (zunehmend) nicht „geeignet“ seien,<br />
um die zur Verfügung stehenden oder einzurichtenden Ausbildungsplätze besetzen zu können.<br />
Damit stelle die (mangelnde) Ausbildungsreife der Nachfragenden auf dem<br />
Ausbildungsstellenmarkt ein Ausbildungshemmnis dar.<br />
Aufgrund der ausgeprägten Marktsteuerung des Einstiegs in eine betriebliche Erstausbildung<br />
sind verlässliche Erkenntnisse hinsichtlich der Mindestbedingungen für eine tatsächlich<br />
erfolgreiche Ausbildungssuche kaum möglich. Die betrieblichen Einstiegsbedingungen verändern<br />
sich üblicherweise in Abhängigkeit von der Quantität und Qualität der Bewerberlage, aber auch<br />
vor dem Hintergrund veränderter technologischer und arbeitsorganisatorischer Bedingungen. Es<br />
liegen auch keine gesicherten empirischen Erkenntnisse darüber vor, welche Kenntnisse,<br />
Kompetenzen und Eigenschaften bzw. welcher „Reifegrad“ den jungen Erwachsenen den<br />
erfolgreichen Einstieg und vielmehr noch die erfolgreiche Absolvierung einer Berufsausbildung<br />
sichern. Lediglich empirische Untersuchungen verschiedener Befragungen zur subjektiven<br />
Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Bewerber und Bewerberinnen wurden durchgeführt<br />
(vgl. z. B. Ehrental/Eberhardt/Ulrich 2005; vgl. im Überblick Frommberger <strong>2009</strong>). Hierbei handelt<br />
es sich also nicht um die Erfassung der Leistungsstände der Auszubildenden, sondern um die<br />
Abfrage der Einschätzung der Personen, die mit den Jugendlichen direkt oder indirekt zu tun<br />
haben. Auch ist die prognostische Validität diverser Auswahlverfahren und Einstiegstests, in
Transitions 129<br />
denen das zukünftige Leistungsvermögen eingeschätzt werden soll, ist verhältnismäßig begrenzt.<br />
Um belastbare Aussagen zu den nachweislich erfolgreichen Merkmalen der „Ausbildungsreife“<br />
formulieren zu können, sind mehrjährige Längsschnittuntersuchungen erforderlich, die bislang<br />
nicht durchgeführt worden sind. Bis dato liegt jedoch eine Vielzahl normativer Definitionen des<br />
Konstrukts „Ausbildungsreife“ vor, das von verschiedenen Autoren unterschiedlich prononciert<br />
wird (vgl. dazu den Überblick in Eberhard 2006).<br />
Gleichwohl werden in den Veröffentlichungen zu den PISA‐Ergebnissen auch<br />
Schlussfolgerungen gezogen, die sich auf die Möglichkeit der jungen Erwachsenen beziehen,<br />
einen Ausbildungsberuf erfolgreich zu absolvieren: „Anhand der PISA‐Daten ist es zwar nicht<br />
möglich zu bestimmen, welches minimale Niveau der Lesekompetenz erreicht sein muss, um<br />
eine Ausbildung erfolgreich abschließen zu können. Betrachtet man jedoch die Definition der<br />
Kompetenzstufe I, ist zu vermuten, dass Jugendliche, die den entsprechenden Anforderungen<br />
nicht gewachsen sind, erhebliche Schwierigkeiten beim Übergang in das Berufsleben haben<br />
werden“ (Artelt u. a. 2001). Unter Bezug auf die Kompetenzstufe I, welche die unterste Stufe im<br />
Kompetenzstufenmodell darstellt, das für die PISA‐Untersuchungen und die dort beabsichtigte<br />
Beschreibung und Einordnung erfasster Leistungen zugrunde gelegt wurden, werden so<br />
genannte „Risikogruppen“ definiert. Ein relativ hoher Anteil der getesteten Schüler und<br />
Schülerinnen in <strong>Deutschland</strong> verbleibt unterhalb der Kompetenzstufe I. Die Definition der<br />
Risikogruppe schließt darüber hinaus die Schüler und Schülerinnen ein, die im Lernbereich<br />
Mathematik auf der Kompetenzstufe I angesiedelt sind. Insgesamt zählen zur Risikogruppe in<br />
<strong>Deutschland</strong> etwa 20 Prozent der getesteten Schüler und Schülerinnen. Insofern lässt sich unter<br />
dem notwendigen Vorbehalt vertreten, dass aus den PISA‐Ergebnissen auch Schlussfolgerungen<br />
gezogen werden können, die sich auf das Thema Ausbildungsreife beziehen. Demnach erfüllt ein<br />
Großteil der deutschen Schüler und Schülerinnen gegenwärtig offenbar nicht die notwendigen<br />
Voraussetzungen, die eine erfolgreiche Berufsausbildung erwarten ließen.<br />
Schließlich ist in diesem Feld zusätzliche Forschung wichtig: „Die Klärung der Frage, welche<br />
Kompetenzniveaus den Mindeststandard der Ausbildungsreife kennzeichnen und welche<br />
Anforderungsniveaus mit berufsspezifischer Ausbildungseignung für unterschiedliche Berufe<br />
verbunden sind, gehört zu den dringlichsten, sicherlich aber auch anspruchsvollsten Aufgaben<br />
der empirischen Bildungsforschung in den kommenden Jahren“ (Trautwein u. a. 2008).<br />
In den kommenden Jahren sind einschneidende demograische Entwicklungen zu erwarten;<br />
es bleibt abzuwarten, ob der relative Anteil der Übergänge in das Duale System der beruflichen<br />
Bildung an der 1. Schwelle weiterhin fällt oder eher wieder ansteigen wird. Gleichwohl wird es<br />
auch dann weiterhin Passungsprobleme geben, sofern die Angebotsseite, insbesondere in Bezug<br />
auf die Ausbildungsplätze im Dualen System, quantitativ in Relation zur Nachfrage wachsen wird.<br />
Es ist die Frage zu stellen, ob und inwieweit das System der beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong><br />
an der 1. Schwelle mit attraktiven Angeboten aufwarten kann, die auch denjenigen<br />
Schulabsolventen und –absolventinnen Anschlussmöglichkeiten bieten, die nicht den<br />
Anforderungen einer vollständigen Berufsausbildung genügen können. Diese Personengruppe<br />
drängt in den Markt der beruflichen Erstausbildung, weil sie ohne eine qualifizierte
130 Dietmar Frommberger<br />
Berufsausbildung auch in einem Beschäftigungssystem mit hohem Arbeitskräftebedarf keine<br />
beruflichen Entwicklungschancen besitzen. Während diese Personengruppe vor Jahrzehnten<br />
noch erfolgreich in Beschäftigungssegmente auf einem un‐ und angelernten Qualifikationsniveau<br />
integriert werden konnte, sind diese Bereiche vermehrt weggefallen. Diese „Integrationslücke“<br />
ist zu schließen. Die Ansätze und der Forschungs‐ und Entwicklungsbedarf der<br />
„Benachteiligtenforschung“ werden in Bojanowski (2006) sowie Bojanowski u. a. (2005)<br />
beschrieben. Zu verweisen ist an dieser Stelle auch auf das Memorandum „Zur<br />
Professionalisierung des pädagogischen Personals in der Integrationsförderung aus<br />
berufsbildungswissenschaftlicher Sicht“ der Sektion Berufs‐ und Wirtschaftspädagogik der<br />
Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (2008).<br />
3. Übergänge innerhalb der beruflichen Bildung<br />
Wie oben ausgeführt, werden in der Analyse der Angebote der beruflichen Erstausbildung<br />
drei verschiedene Sektoren unterschieden, das Duale System, das Schulberufssystem sowie das<br />
Übergangssystem. Diese Angebote prägen die Formen der beruflichen Erstausbildung und<br />
beruflichen Ausbildungsvorbereitung in <strong>Deutschland</strong>. Hinzu kommt das System der beruflichen<br />
Weiterbildung, insbesondere das Angebot der förderfähigen Maßnahmen gemäß<br />
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz. Die Übergänge zwischen diesen vier Bereichen der<br />
beruflichen Bildung sind das Thema dieses Kapitels. Die Übergänge zwischen diesen vier<br />
Bereichen werden auch als „Schnittstellen“ bezeichnet, in der Berufsbildungspolitik und der<br />
Berufsbildungsforschung wird diesbezüglich häufig von einer „Schnittstellenproblematik“<br />
gesprochen. Offenbar funktionieren die Übergänge zwischen den vier verschiedenen<br />
Berufsbildungsteilsystemen nicht zufriedenstellend.<br />
Die Fragen des Übergangs von der beruflichen Vorbereitung bzw. Ausbildungsvorbereitung<br />
in die berufliche Erstausbildung bestimmten den Diskurs in den letzten Jahrzehnten. Aktuell<br />
gewinnen die Fragen des berufsfeldbezogenen Überganges innerhalb des Dualen System,<br />
zwischen der vollzeitschulischen Berufsausbildung und der Berufsausbildung im Dualen System<br />
sowie zwischen Erstausbildung und Fortbildung an Bedeutung. Auch die Erprobung eines<br />
Leistungspunktesystems in der beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong> widmet sich<br />
schwerpunktmäßig der Frage der Verbesserung der Übergänge zwischen den verschiedenen<br />
Berufsbildungsteilsystemen.<br />
Vier Schnittstellen im System der beruflichen Bildung<br />
Nachfolgend werden die vier „Schnittstellen“ der beruflichen Bildung und die angenommen<br />
und diagnostizierten Übergangshindernisse skizziert:<br />
Übergang zwischen Berufsausbildungsvorbereitung und beruflicher Erstausbildung: Die<br />
Berufsausbildungsvorbereitung ist nach Berufsbildungsgesetz (§ 1 Abs. 1) Teil der Berufsbildung.<br />
Die Berufsausbildungsvorbereitung dient der Vermittlung von Grundlagen für den Erwerb<br />
beruflicher Handlungsfähigkeit und kann insbesondere durch inhaltlich und zeitlich abgegrenzte
Transitions 131<br />
Lerneinheiten erfolgen, die aus den Inhalten anerkannter Ausbildungsberufe entwickelt werden<br />
(sogenannte Qualifizierungsbausteine, vgl. Berufsbildungsgesetz, § 69). Idealtypisch erfolgt der<br />
Übergang von der Berufsausbildungsvorbereitung in eine anschließende Berufsausbildung unter<br />
Berücksichtigung und Anrechnung der abgeschlossenen Qualifizierungsbausteine. In der Praxis<br />
der Berufsbildung erfolgt der Übergang an dieser Schnittstelle jedoch nicht reibungslos, weil eine<br />
Anrechnung der Berufsausbildungsvorbereitung im Dualen System durch die<br />
Ausbildungsbetriebe nicht gesichert ist und in der Regel nicht geschieht. Die absolvierten<br />
Qualifizierungsbausteine in der Berufsausbildungsvorbereitung werden lediglich als eine<br />
zusätzliche Qualifizierung bzw. Voraussetzung für den Einstieg in eine Berufsausbildung<br />
gewertet. Auch die Angebote und Maßnahmen, die darüber hinaus im Übergangssystem<br />
absolviert werden, können lediglich die Chancen auf eine erfolgreiche<br />
Ausbildungsplatzbewerbung erhöhen. Eine Anrechnung der Leistungen, die nicht selten über<br />
einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren erworben werden, erfolgt meistens nicht. Eine<br />
gelegentliche Ausnahme stellt hier das Berufsgrundbildungsjahr dar, sofern dieses regional von<br />
den Ausbildungsbetrieben für den Einstieg in eine Berufsausbildung vorausgesetzt wird.<br />
Übergang zwischen verschiedenen Ausbildungsrichtungen im Dualen System: In der<br />
Berufsausbildung im Dualen System wird auf der Basis unterschiedlicher Ausbildungsberufe<br />
ausgebildet. Diese Ausbildungsberufe sind Berufsfeldern zugeordnet, beispielsweise dem metall‐<br />
oder elektrotechnischen oder dem kaufmännisch‐verwaltenden Berufsfeld. Häufig existiert eine<br />
curriculare Schnittmenge zwischen verschiedenen Ausbildungsrichtungen innerhalb eines<br />
Berufsfeldes und gegebenenfalls auch zwischen verschiedenen Berufsfeldern. Die Frage ist, wie<br />
beim Wechsel von einer Ausbildungsrichtung in eine andere bereits absolvierte Lernleistungen<br />
für die neue Ausbildungsrichtung anerkannt und angerechnet werden können, um Lernschleifen<br />
und ‐redundanzen zu vermeiden. Diese Frage ist auch deswegen von besonderer Relevanz, weil<br />
ein hoher Prozentsatz der Ausbildungsverträge aus unterschiedlichen Gründen vorzeitig<br />
aufgelöst wird und die Auszubildenden in eine alternative Berufsausbildung wechseln (müssen).<br />
Bislang liegen für diese Anerkennungs‐ und Anrechnungsfrage keine transparenten Regelungen<br />
vor.<br />
Übergang zwischen vollzeitschulischer und außerschulischer Berufsausbildung: Trotz § 39<br />
Berufsbildungsgesetz, wonach der Prüfungsausschuss der zuständigen Stellen für die<br />
Berufsbildung zur Bewertung einzelner, nicht mündlich zu erbringender Prüfungsleistungen im<br />
Rahmen der Abschlussprüfung im Dualen System gutachterliche Stellungnahmen Dritter,<br />
insbesondere der Berufsbildenden Schulen, einholen kann, besitzt die Anerkennung<br />
berufsschulisch erbrachter Lern‐ und Ausbildungsleistungen im System der außerschulischen<br />
bzw. betrieblichen Berufsbildung praktisch kaum eine Bedeutung. Auch der § 43 Abs. 2<br />
Berufsbildungsgesetz, wonach zur Abschlussprüfung zuzulassen ist, wer in einer berufsbildenden<br />
Schule oder einer sonstigen Berufsbildungseinrichtung ausgebildet worden ist, wenn dieser<br />
Bildungsgang der Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf entspricht, spielt in<br />
der Praxis selbst in Zeiten einer schwierigen Ausbildungsplatzsituation nur eine untergeordnete<br />
Bedeutung. Die Anerkennung und Anrechnung schulischer Teilleistungen bzw. vollzeitschulisch
132 Dietmar Frommberger<br />
erworbener Abschlüsse für die Berufsausbildung im Dualen System funktioniert in den meisten<br />
Regionen <strong>Deutschland</strong>s nicht.<br />
Übergang zwischen Berufsausbildung und beruflicher Weiterbildung: Grundsätzlich erfolgt<br />
der Einstieg in das Angebot der förderfähigen Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung<br />
gemäß Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz auf der Basis einer erfolgreich abgeschlossenen<br />
und einschlägigen betrieblichen oder vollzeitschulischen beruflichen Erstausbildung sowie einer<br />
zusätzlichen mindestens zweijährigen Berufstätigkeit. Die Zulassung für eine Form der<br />
beruflichen Weiterbildung erfolgt auf der Basis transparenter Kriterien. Die Frage ist jedoch,<br />
inwieweit Lernleistungen, die in der beruflichen Erstausbildung oder im Rahmen der beruflichen<br />
Erfahrungen im Anschluss an die Erstausbildung erbracht wurden, auf eine berufliche<br />
Weiterbildung angerechnet werden können. Damit im Zusammenhang steht die Frage, wie die<br />
beiden Teilbereiche Aus‐ und Weiterbildung, die im deutschen System der beruflichen Bildung<br />
strukturell und zeitlich relativ weit auseinander liegen, stärker aufeinander bezogen werden<br />
können.<br />
Übergangsprobleme aufgrund unterschiedlicher gesetzlicher Grundlagen<br />
Die öffentlich‐rechtlichen Angebote der beruflichen Bildung basieren in <strong>Deutschland</strong> auf<br />
unterschiedlichen Gesetzen. Übergänge bzw. Anerkennungen und Anrechnungen stoßen also<br />
bereits an dieser Stelle auf Hindernisse. Die rechtliche Verortung der Berufsbildung in<br />
<strong>Deutschland</strong> ist gekennzeichnet durch die Trennung wesentlicher Zuständigkeiten und<br />
Verantwortlichkeiten zwischen dem Bund bzw. Bundesministerien einerseits und den<br />
Bundesländern bzw. den Landesministerien andererseits. Die Verantwortlichkeit für das<br />
Bildungswesen – und damit in wesentlichen Bestandteilen auch für das Berufsbildungswesen –<br />
wird in <strong>Deutschland</strong> durch die föderale Staatsstruktur bestimmt. Gemäß Grundgesetz ist der<br />
Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung für das Recht der Wirtschaft und das<br />
Arbeitsrecht zuständig (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und 12 Grundgesetz). Daraus wird die Zuständigkeit<br />
des Bundes für die betriebliche Berufsbildung abgeleitet. Die Gesetzgebungs‐ und<br />
Verwaltungskompetenzen für Schulangelegenheiten sind den Bundesländern zugewiesen<br />
(„Kulturhoheit der Länder“). Damit sind die Länder für das Schulwesen zuständig und demnach<br />
auch für die Berufsbildung in den öffentlichen und gleichgestellten privaten (berufsbildenden)<br />
Schulen und Berufsschulen. Das Schulrecht umfasst die Gesamtheit der Rechtsnormen, die sich<br />
auf die Schule und das Schulwesen beziehen: Schulgesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen,<br />
Verwaltungsvorschriften der Länder. 38<br />
Die deutsche Berufsbildung ist insofern von einer legislativen Dualität und Polyvalenz<br />
geprägt. Für den Bereich der dominierenden Form der Berufsbildung in Kombination<br />
38<br />
Eine Sonderrolle mit Blick auf die hier vorgenommene Unterteilung zwischen Bundes‐ und Landesrecht für<br />
den Bereich der Berufsbildung nimmt die Berufsausbildung im Bereich des Gesundheitswesens ein. Dort wird die<br />
Berufsausbildung in großen Teilen nach Bundesrecht geregelt (z. B. Krankenpflegegesetz), wobei die Ausbildung in<br />
diesen Berufen den staatlich anerkannten Schulen vorbehalten ist.
Transitions 133<br />
betrieblicher und berufsschulischer Anteile („Duales System“) gelten bundes‐ und<br />
landesrechtliche Grundlagen, für die weiteren Formen schulischer Berufsbildung an<br />
Berufsbildenden Schulen gelten allein die landesrechtlichen Grundlagen. Auch die Angebote der<br />
beruflichen Fortbildung werden nach Berufsbildungsgesetz, also konkret in der Verantwortung<br />
der zuständigen Stellen für die Berufsbildung, oder nach den Landesgesetzen geregelt. Die<br />
landesrechtlichen Grundlagen, im Wesentlichen also die Schulgesetze, sind wiederum<br />
unterschiedlich in den sechzehn verschiedenen Bundesländern.<br />
Das Leistungspunktesystem als Lösungsansatz für die Förderung der Übergänge in der<br />
beruflichen Bildung<br />
Die Übergangsfragen innerhalb der beruflichen Bildung werden aktuell in <strong>Deutschland</strong> unter<br />
anderem im Rahmen des Pilotprogrammes DEC<strong>VET</strong> des Bundesministeriums für Bildung und<br />
Forschung behandelt. Im Fokus der Initiative DEC<strong>VET</strong> steht die Durchführung von Pilotprojekten<br />
zur systematischen Erprobung eines Leistungspunktesystems zur Erfassung, Übertragung und<br />
Anrechnung von Lernergebnissen bzw. Kompetenzen von einem Teilbereich des beruflichen<br />
Bildungssystems in einen anderen. Ziel der Initiative ist es, mögliche Anrechnungspotenziale an<br />
den Schnittstellen rund um das duale System zu identifizieren und zu erproben und dadurch<br />
einen Beitrag zur Erhöhung der horizontalen und vertikalen Durchlässigkeit zu leisten (vgl.<br />
www.decvet.net). Im Hinblick auf die Aus‐ und Weiterbildungssituation in der Bundesrepublik<br />
wird hiermit vor allem eine Verbesserung der Zu‐ und Übergangsoptionen zwischen den<br />
Subsystemen des deutschen Berufsbildungssystems, aber auch eine Flexibilisierung innerhalb<br />
der beruflichen Bildung angestrebt. Mit dem Pilotprogramm sind folgende weitere Ziele<br />
verbunden:<br />
‐ Erhöhung der Transparenz von Qualifikationen und Lernergebnissen,<br />
‐ Öffnung und Flexibilisierung der Zu‐ und Übergänge beruflicher Bildungswege,<br />
‐ Vermeidung von Warteschleifen, redundanten Qualifizierungen und Bildungssackgassen,<br />
‐ Bessere Verknüpfung der Lernorte und Erhöhung der Kooperation der<br />
Bildungseinrichtungen,<br />
‐ Validierung und Anrechnung von informell erworbenen Lernergebnissen und<br />
‐ Steigerung der internationalen Mobilität von Einzelpersonen in der Berufsausbildung.<br />
Die Frage des Übergangs innerhalb der beruflichen Bildung tangiert also auch die<br />
grenzüberschreitende Mobilität, insbesondere innerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen<br />
Union. Insofern wird die berufliche Bildung in <strong>Deutschland</strong> und speziell die Frage der Übergänge<br />
zwischen den verschiedenen Angeboten der beruflichen Bildung unmittelbar durch die<br />
berufsbildungspolitischen Maßnahmen und Instrumente der Organe der Europäischen Union zur<br />
Förderung der europäischen Mobilität der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf dem<br />
Arbeitsmarkt sowie im Aus‐ und Weiterbildungssystem beeinflusst. Das prinzipielle Recht auf
134 Dietmar Frommberger<br />
Freizügigkeit, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit zwischen und innerhalb der<br />
Mitgliedsstaaten der EU bzw. das Prinzip des Gleichbehandlungsgebots sowie das Grundrecht<br />
auf den freien Zugang zur Beschäftigung in den EU‐Mitgliedsstaaten haben bereits früh zu<br />
Maßnahmen der Anerkennung, Angleichung und Entsprechung beruflicher Befähigungen und<br />
später auch zu Transparenzansätzen geführt. Neben der Förderung der Mobilität im Bereich der<br />
allgemeinen und beruflichen Bildung stehen diese Maßnahmen im Kontext der Förderung der<br />
Arbeitskräftemobilität und sind damit mittelbar Teil der Europäischen Bildungs‐ und<br />
Berufsbildungspolitik (vgl. ausführlich Frommberger 2006b).<br />
Aktuell werden der Ansatz eines Leistungspunktesystems in der beruflichen Bildung sowie<br />
der Ansatz des Europäischen und der Nationalen Qualifikationsrahmen forciert. Für die<br />
Schaffung eines Europäischen Berufsbildungsraums sind die Transparenz von Qualifikationen<br />
und der Transfer von Lernleistungen zentral. Im Kommuniqué von Maastricht vom Dezember<br />
2004 haben sich deshalb die für die Berufsbildung zuständigen Minister, die Sozialpartner und<br />
die Europäische Kommission dafür ausgesprochen, einen Europäischen Qualifikationsrahmen<br />
(EQR) zu entwickeln und umzusetzen. Im November 2007 wurde der EQF durch den<br />
Bildungsministerrat der EU förmlich beschlossen. Der Transfer von Lernleistungen und deren<br />
Anrechnung soll durch die Einführung eines Kreditpunktesystems in der Berufsbildung<br />
erleichtert werden, dem sogenannten EC<strong>VET</strong> (European Credit (Transfer) System for Vocational<br />
Education and Training) (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2008).<br />
Diese Entwicklungen beeinflussen den fachlichen Diskurs und die interessenpolitische<br />
Diskussion in Fragen der beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong>. Einerseits sollen die genannten<br />
Instrumente die Übergänge zwischen den Teilsystemen der Berufsbildung national und<br />
international fördern, andererseits treffen die damit einhergehenden Veränderungen der<br />
beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong> auf einen breiten Widerstand. Die Einführung eines<br />
Leistungspunktesystems nach den EC<strong>VET</strong>‐Empfehlungen ist in deutschen Diskussionen heftiger<br />
umstritten als bisherige Standardisierungsbemühungen der EU. Die Aufsplittung von<br />
Gesamtqualifikationen in zertifizierbare Teilqualifikationen stellt aus Sicht vieler Akteure eine<br />
Gefährdung für einen der Eckpfeiler des Dualen Systems dar, das Ausbildungsberufsprinzip, das<br />
gesetzlich und auch ordnungspolitisch als übergeordnetes Ziel beruflicher Ausbildung verankert<br />
ist. Diese Diskussion um die Frage der Gefährdung des Ausbildungsberufsprinzips vor dem<br />
Hintergrund modularisierter Gestaltungsansätze der beruflichen Bildung wird in <strong>Deutschland</strong><br />
intensiv geführt. Zunächst unabhängig von den europäischen Entwicklungen und allein auf die<br />
nationalen Problemlagen bezogen sind die unterschiedlichen Argumente auch in den<br />
Vorschlägen von Euler und Severing (2007) und den anschließenden Reaktionen (vgl. Kruse u. a.<br />
2008) nachzuvollziehen.<br />
4. Übergänge von der Berufsbildung in die Hochschulbildung<br />
Die Frage des Überganges von der Berufsbildung in die Hochschule ist eng verknüpft mit der<br />
berufsbildungstheoretischen Argumentation der Gleichwertigkeit allgemeiner und beruflicher
Transitions 135<br />
Bildung. Daher besitzt das Thema in der Berufsbildungsforschung eine lange Tradition (vgl.<br />
Husemann/Münch/Pütz 1995; Bremer u. a. 1993). Aktuell wird das Thema in der<br />
Berufsbildungsforschung nur sehr begrenzt bearbeitet, jedoch werden hierzu neue Forschungs‐<br />
und Entwicklungsprogramme durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
aufgelegt.<br />
Die klassischen Bildungswege in die Hochschulen<br />
Der Einstieg in das Studium an den Fachhochschulen und Universitäten erfolgt mehrheitlich<br />
über die Abschlüsse der Sekundarstufe II der allgemein bildenden Schulen (Gymnasium,<br />
Gesamtschule). Die strukturelle und inhaltliche Verknüpfung zwischen Allgemeinbildung und<br />
Hochschulbildung ist in <strong>Deutschland</strong> traditionell fest verankert (vgl. Wolter 1987). Dieser<br />
„Königsweg“ zur Hochschule wird ergänzt durch den sogenannten 2. Bildungsweg, namentlich<br />
über das Abendgymnasium und das Kolleg. Berufstätige Personen, die nachträglich eine<br />
Hochschulzugangsberechtigung erwerben möchten, um studieren zu können, absolvieren diese<br />
schulrechtlich geregelten Angebote des 2. Bildungsweges, die sich am allgemeinbildenden Abitur<br />
ausrichten. Auch über die Begabtenprüfung ist der Zugang zur Hochschule auf der Basis<br />
allgemein bildender Standards möglich. Diese Prüfung soll hervorragend begabten Bewerbern,<br />
die für ein bestimmtes Fachgebiet eine herausragende Befähigung besitzen, die aber wegen<br />
ihres Entwicklungsganges keine Abiturprüfung ablegen konnten, durch den Erwerb der<br />
allgemeinen Hochschulreife den Zugang zum Hochschulstudium ermöglichen. Die<br />
Begabtenprüfung ist jedoch keine Einrichtung des Zweiten Bildungsweges, die über einen<br />
schulischen Bildungsgang zum Abitur führt. Die Vorbereitung auf die Prüfung erfolgt privat.<br />
Quantitativ ist der Zugang zur Hochschule über die Begabtenprüfung nicht von Bedeutung.<br />
Der berufliche Bildungsweg in die Hochschulen<br />
Für die Berufsbildung interessant ist der 3. Bildungsweg, also der Erwerb der<br />
Hochschulzugangsberechtigung und Zulassungsmöglichkeit auf der Basis beruflicher<br />
Bildungswege und berufsqualifizierender Abschlüsse. 39 Dieser Bildungsweg steht seit einigen<br />
Jahren im Mittelpunkt der bildungs‐ und berufsbildungspolitischen Debatte. Es geht um die<br />
Öffnung der Hochschulen für Berufstätige bzw. für Personen, die den beruflichen Bildungsweg<br />
beschreiten. Der zentrale Beweggrund im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Öffnung der<br />
Hochschulen liegt in politischer Hinsicht in der Erhöhung des Nachfragepotenzials für ein<br />
Studium an den Hochschulen, insbesondere vor dem Hintergrund einer in internationalen<br />
Vergleichsuntersuchungen diagnostizierten relativ niedrigen Studierendenrate in <strong>Deutschland</strong><br />
39<br />
Streng genommen muss der Begriff Hochschulzugangsberechtigung von der Hochschulzulassung<br />
unterschieden werden. Der Begriff Hochschulzugang bezieht sich auf die Gesamtheit von Vorbedingungen,<br />
Möglichkeiten, Hindernissen und Strömungen beim Eintritt in die Hochschule. Der Hochschulzugang ist verbunden mit<br />
einem formulierten Rechtsanspruch im Hochschulrahmengesetz. Das Problem der Hochschulzulassung bezieht sich<br />
hingegen auf die konkreten Regelungen zur Selektion unter bereits qualifizierten Bewerbern oder auf den Prozess der<br />
Aufnahme in die Hochschule (vgl. Frommberger 1999).
136 Dietmar Frommberger<br />
(vgl. OECD 2008). Gleichwohl liegen die originären Beweggründe für die Möglichkeit des Erwerbs<br />
der Hochschulreife über den beruflichen Bildungsweg in der beruflichen Bildung selbst. Diese<br />
Argumentation kann hier aus Platzgründen nicht ausgeführt werden (vgl. dazu Frommberger<br />
1999, S. 265 ff). Jedoch sei darauf hingewiesen, dass diese Frage der Öffnung der Hochschulen in<br />
berufsbildungstheoretischer und auch in empirischer Hinsicht seit Jahrzehnten im Prinzip<br />
beantwortet ist, jedoch politisch nicht durchsetzbar war und regelrecht blockiert wurde. Erst der<br />
internationale Vergleich mit Bezug auf die Rate der Studierenden sowie die Notwendigkeit der<br />
Attraktivitätssteigerung beruflicher Bildung führte in <strong>Deutschland</strong> zur Akzeptanz dieser alten<br />
Forderung. 40<br />
Große Vielfalt hochschulrechtlicher Zulassungs‐ und schulrechtlicher<br />
Zugangsregelungen für die berufliche Bildung<br />
Für die Frage des Übergangs von der Berufsbildung in die Hochschulbildung ist zwischen den<br />
hochschulrechtlichen Zulassungsregelungen einerseits und den schulrechtlichen<br />
Zugangsregelungen andererseits zu unterscheiden. Die Anzahl der verschiedenen<br />
hochschulrechtlichen Zulassungsregelungen in <strong>Deutschland</strong> ist umfangreich. In einer Publikation<br />
der KMK (2006b) ist eine Übersicht zu finden. Die Zulassungsvarianten haben sich jedoch in den<br />
letzten Jahren stark weiter entwickelt. Eine Typisierung der Palette der Möglichkeiten der<br />
hochschulrechtlichen Zulassungsregelungen ist in Frommberger (1999, S. 283 ff) zu finden.<br />
Bundesweit liegt ein „bunter Strauß“ vor. Im Bundesland Bayern etwas wird in Art. 45 des<br />
Bayerischen Hochschulgesetzes Folgendes festgelegt: „(…) Absolventen und Absolventinnen der<br />
Meisterprüfung wird der fachgebundene Zugang zur Fachhochschule für die der Meisterprüfung<br />
fachlich entsprechenden Studiengänge eröffnet, wenn sie eine Beratungsgespräch an der<br />
Fachhochschule absolviert haben (…).“ Das heißt, dass in Bayern mit der erfolgreichen<br />
Absolvierung der beruflichen Weiterbildung die Hochschulzugangsberechtigung erworben wird,<br />
allerdings ausschließlich fachbezogen und für die Fachhochschulen sowie unter der Bedingung<br />
eines durchgeführten Beratungsgespräches. Im Hochschulgesetz des Bundeslandes Sachsen‐<br />
Anhalt etwa heißt es in § 27 Abs. 4: „Besonders befähigte Berufstätige, die aufgrund ihrer<br />
Begabung, ihrer Persönlichkeit und ihrer Vorbildung für ein Studium in Frage kommen, aber<br />
keine Hochschulreife besitzen, können die für das Studium einer bestimmten Fachrichtung<br />
40<br />
Der Anlass für die Forderung nach einer „Attraktivitätssteigerung“ beruflicher Ausbildung und für die<br />
Befürchtung, in Zukunft einen Mangel an qualifizierten Facharbeitern konstatieren zu müssen, ist auf das Jahr 1990 zu<br />
datieren, als erstmals in der deutschen Bildungsgeschichte die Zahl der Studierenden an den Hochschulen und<br />
Universitäten die Zahl der Auszubildenden übertraf. Obwohl der Vergleich dieser beiden Zahlen äußerst<br />
problematisch ist, wurden sie als ein Alarmsignal für die weitere Entwicklung der Berufsausbildung gedeutet. Über die<br />
Möglichkeit des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung in der beruflichen Bildung sollte die Wahl für eine Form<br />
der Berufsbildung anstatt für den klassischen Königsweg über die Allgemeinbildung attraktiver werden. Eine<br />
Sammlung diverser interessenpolitischer Stellungnahmen, welche die Akzeptanz der Öffnung der Hochschulen bereits<br />
für die 1990er Jahre auf breiter Ebene dokumentiert, ist in Mucke/Schwiedrzik (1995) zu finden.
Transitions 137<br />
erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten durch ein erfolgreiches Ablegen einer Prüfung zur<br />
Feststellung der Studienbefähigung nachweisen (…) Das Nähere regeln die Hochschulen in einer<br />
Ordnung (…).“ Das zuletzt genannte Beispiel zeigt, dass es nicht nur verschiedene<br />
hochschulrechtliche Regelungen zur Frage der Zulassung in verschiedenen Bundesländern gibt,<br />
sondern auch innerhalb der Bundesländer diverse fachhochschulische, universitäre sowie<br />
fachgebietsbezogene Regelungen vorliegen.<br />
Die schulrechtlichen Zugangsregelungen beziehen sich auf Abschlüsse, die in schulischen<br />
Formen mit ausgeprägter beruflicher Orientierung erworben werden können, die nach den<br />
Landesgesetzen der Bundesländer geordnet sind. An erster Stelle steht hier das berufliche<br />
Gymnasium, in welchem auf der Basis einer fachrichtungsbezogenen Vertiefung (Bautechnik,<br />
Elektrotechnik, Hauswirtschaft, Metalltechnik, Wirtschaft und Verwaltung etc.) die allgemeine<br />
oder fachrichtungsbezogene Hochschulzugangsberechtigung erworben werden kann. Von<br />
besonderer Bedeutung sind diesbezüglich auch die Schulformen der Fachoberschule und der<br />
Berufsoberschule, in welchen – ebenfalls fachrichtungsbezogen und in Berücksichtigung<br />
betrieblich‐beruflicher Erfahrungen – die Fachhochschulzugangsberechtigung bzw. allgemeine<br />
oder fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung erworben werden kann. Daneben ist es<br />
zum Teil auch möglich, in den Berufsfachschulen und Fachschulen der Berufsbildenden Schulen<br />
eine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben. Grundsätzlich ist das Potenzial für den<br />
Übergang in die Hochschule auf der Basis schulrechtlicher Angebote der beruflichen Bildung in<br />
<strong>Deutschland</strong> als sehr hoch einzuschätzen (vgl. Köller u. a. 2004).<br />
Während also die schulrechtlich geregelten Berufsbildungswege in den Bundesländern eine<br />
wichtige Bedeutung für den Übergang von der Berufsbildung in die Hochschulbildung besitzen,<br />
sollen die hochschulrechtlich geregelten Zulassungswege den Absolventen der außerschulischen<br />
Berufsbildung dienen, mithin denjenigen Personen, die eine Berufsausbildung im Dualen System<br />
und/oder einen beruflichen Weiterbildungsabschluss nach Berufsbildungsgesetz erworben<br />
haben.<br />
Die Förderung des beruflichen Bildungsweges in die Hochschulen: Ansätze und<br />
Diskussionen<br />
Im Mittelpunkt der beruflichen Bildung in <strong>Deutschland</strong> stehen das Duale System sowie die<br />
berufliche Weiterbildung. Hierbei ist zwischen schulnaher, betriebsnaher und betrieblicher<br />
Weiterbildung zu unterscheiden.<br />
Der potenzielle berufliche Bildungsweg in die Fachhochschulen und Universitäten führt über<br />
die schul‐ und betriebsnahe berufliche Weiterbildung.<br />
Schulnahe berufliche Weiterbildung erfolgt in den Fachschulen der Berufsbildenden Schulen,<br />
in der Regel führt diese berufliche Weiterbildung zu den Abschlüssen Staatlich anerkannte(r)<br />
TechnikerIn sowie BetriebswirtIn.<br />
Die betriebsnahe berufliche Weiterbildung erfolgt in Angeboten unter der Zuständigkeit der<br />
„zuständigen Stellen“ in der Berufsbildung gemäß Berufsbildungsgesetz (Industrie‐ und
138 Dietmar Frommberger<br />
Handelskammern, Handwerkskammern, Landwirtschaftskammern, Kammerorganisationen der<br />
freien Berufe). Diese Form der beruflichen Weiterbildung führt im gewerblich‐technischen und<br />
handwerklichen Bereich zu den bekannten Meisterabschlüssen (Industriemeister, Polier etc.), im<br />
kaufmännischen Bereich überwiegend zu den branchen‐ oder aufgabenbezogenen Abschlüssen<br />
Fachwirt/in (Bankfachwirt/in, Handelsfachwirt/in etc.) oder Fachkaufmann/frau<br />
(Bilanzbuchhalter/in, Personalkaufmann/frau etc.).<br />
Der Übergang in die Hochschulen auf der Basis der außerschulischen Berufsbildung<br />
(Erstausbildung im Dualen System sowie berufliche Weiterbildung) besitzt in <strong>Deutschland</strong> derzeit<br />
quantitativ so gut wie keine Bedeutung (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S.<br />
170 ff). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert derzeit jedoch Programme,<br />
die mittels Stipendien das Studium „besonders befähigter“ Personen aus der beruflichen Bildung<br />
fördern sollen.<br />
Absolventen und Absolventinnen der Berufsbildung im Dualen System befinden sich als<br />
Angestellte und Facharbeiter/innen in relativ stabilen Beschäftigungsverhältnissen in<br />
betrieblichen Aufgaben‐ und Funktionsbereichen mit guten beruflichen Aufstiegschancen (vgl.<br />
dazu Harney/Kissmann 2000; Plicht 1998), die in anderen Staaten nicht selten von<br />
Hochschulabsolventen und ‐absolventinnen ausgeübt werden und besetzt sind (vgl.<br />
Maurice/Sellier/Silvestre 1979; später Heidenreich 1991; Drexel 1993; Backes‐Gellner 1996;<br />
Brauns/Müller/Steinmann 1997).<br />
Auf der Basis der curricular verankerten Mindeststandards und der gesetzlich normierten<br />
Qualitätskriterien trägt die Berufsausbildung im Dualen System sowie das Angebot der<br />
beruflichen Weiterbildung gemäß Berufsbildungsgesetz in einem hohen Maß zur fachlichen und<br />
persönlichen Entwicklung der Teilnehmer bei. Diese Form der beruflichen<br />
Kompetenzentwicklung ist deswegen für viele junge Erwachsene hoch attraktiv. Hierdurch<br />
unterscheidet sich die Situation von der Berufsbildung in den meisten anderen Ländern<br />
innerhalb und außerhalb Europas. Dort besitzt die betriebliche berufliche Qualifizierung einen<br />
verhältnismäßig niedrigen Status und wird überwiegend von den Schulabsolventen und<br />
Absolventinnen mit geringwertigen Schulabschlüssen absolviert. Die Situation in <strong>Deutschland</strong> ist<br />
daher von einer relativ attraktiven Alternative für die jungen Erwachsenen an der 1. Schwelle<br />
geprägt. Anstatt über die allgemeine Bildung den weiteren persönlichen und beruflichen<br />
Karrierewegen zu folgen, steht ein konkurrenzfähiges berufliches Bildungssystem zur Verfügung.<br />
Dennoch sind mit diesen Abschlüssen traditionell keine flächendeckend und systematisch<br />
verankerten allgemein bildenden Berechtigungen für die weiterführenden<br />
Hochschulbildungsgänge verknüpft. Dieses strukturelle Manko wird in <strong>Deutschland</strong> derzeit<br />
intensiv diskutiert, zunehmend scheint Übereinstimmungen darin zu bestehen, dass auch in der<br />
betrieblich‐beruflichen Bildung Kompetenzen erworben werden, die einen Beitrag zur<br />
Studierfähigkeit leisten können.<br />
So wurde vor kurzem das Pilotprogramm ANKOM abgeschlossen, mit welchem das<br />
Bundesministerium für Bildung und Forschung das übergeordnete bildungspolitische Ziel
Transitions 139<br />
verfolgte, Bildungswege zu öffnen und durchlässiger zu gestalten. Es sollen Übergänge zwischen<br />
Bildungsinstitutionen geebnet und dabei bereits vorhandene Qualifikationen und Kompetenzen<br />
berücksichtigt werden. Die Entwicklung und exemplarische Erprobung von<br />
Anrechnungsverfahren standen im Mittelpunkt der Arbeit der Pilotprojekte. Laut Förderrichtlinie<br />
sollten „jene Kompetenzen, die beruflich Gebildete in Aus‐ und Weiterbildung sowie im Beruf<br />
erworben haben, bei Hochschulstudiengängen in einer Höhe anerkannt werden, die den<br />
Leistungsanforderungen des jeweiligen Studiengangs entspricht“ (vgl. www.ankom.his.de).<br />
Konzeptionell wird das System der beruflichen Weiterbildung in <strong>Deutschland</strong> vermehrt mit<br />
dem Hochschulbereich verknüpft. So liegt mit dem 2002 eingeführten IT‐Weiterbildungssystem<br />
ein innovatives Modell vor, welches einen grundlegenden Reformansatz in der beruflichen<br />
Weiterbildung darstellt und die Durchlässigkeit zwischen Weiterbildung und Hochschulstudium<br />
gewährleisten soll (vgl. Ehrke/Hesse 2002). Dieses Ziel besitzt bisher jedoch lediglich den Status<br />
von Absichtserklärungen (vgl. Weißmann 2008).<br />
Darüber hinaus ist die Argumentation für die Abschlüsse der beruflichen Weiterbildung auf<br />
das Verhältnis zum hochschulischen Bachelorabschluss bezogen (vgl.<br />
Dobischat/Fischell/Rosendahl 2008; Diart u.a. 2008). Der berufliche Weiterbildungsabschluss<br />
(„Bachelor Professional“) wird in seiner Wertigkeit mit dem hochschulischen<br />
berufsqualifizierenden Bachelorabschluss gleichgesetzt (vgl. Diekmann 2007). Die formale<br />
Anschlussfähigkeit der außerschulischen beruflichen Bildung an den Hochschulsektor soll<br />
dadurch verbessert werden.<br />
In den aktuellen Diskursen um die Frage der Öffnung von Hochschulen für Berufstätige wird<br />
auf Entwicklungen in anderen Ländern verwiesen. Es wird vor allem auf die Aktivitäten der<br />
Hochschulen hingewiesen, die Zugänge für Berufstätige und andere Personengruppen („nicht<br />
traditionell Studierende“ oder „nicht regulär Studierende“) zu öffnen und auf diese<br />
Personengruppen mit besonderen Maßnahmen zu reagieren (vgl. Doering/Hanft 2008;<br />
Hanft/Knust 2008; Wolter 2008). Es geht dabei primär um die Weiterbildungsstrategien der<br />
Hochschulen. Diese Hinweise sind wichtig und zeigen, wie groß die Gestaltungsspielräume im<br />
Umgang mit den Studierenden für die deutschen Hochschulen sein könnten. Gleichwohl ist diese<br />
Problem‐ und Lösungssicht auf die Hochschulen beschränkt. Mit Blick auf die berufliche Bildung<br />
wird schlicht davon ausgegangen, dass dort die Studierfähigkeit erworben wird und die<br />
zusätzlichen Zugangsberechtigungen, soweit notwendig, gesetzlich neu zu regeln sind. Es fehlt<br />
der Blick auf die berufliche Bildung selbst. Die Berufsbildungsforschung thematisiert den<br />
Übergang in die Hochschulen auf der Basis eines beruflichen Werdeganges bereits seit mehreren<br />
Jahrzehnten. Es hat hierzu umfangreiche Diskurse und verschiedene Modellversuche gegeben<br />
(vgl. Kutscha 2003; <strong>2009</strong>).<br />
Traditionell absolvieren diejenigen in <strong>Deutschland</strong>, die eine Hochschulzugangsberechtigung<br />
sowie einen beruflichen Abschluss erwerben wollen, zunächst die allgemeinbildende<br />
Sekundarstufe II zum Abitur, um anschließend einen Beruf zu erlernen, oder sie erwerben die<br />
Hochschulreife im Anschluss an die Berufsbildung in speziellen Bildungseinrichtungen auf dem<br />
sogenannten 2. Bildungsweg. In <strong>Deutschland</strong> wählen Gymnasiasten, die im Anschluss an das
140 Dietmar Frommberger<br />
Abitur eine berufliche Erstausbildung absolvieren, sowie Facharbeiter, Angestellte und Gesellen,<br />
die im Anschluss an den Erwerb eines Berufsabschlusses eine Hochschulzugangsberechtigung<br />
erwerben, formal betrachtet zweimal die Sekundarstufe II. Dafür benötigen sie fünf bis sechs<br />
Jahre.<br />
Die fehlende Anschlussfähigkeit herzustellen, während gleichzeitig die hohe<br />
berufsqualifizierende Funktionsleistung der Berufsbildung gemäß Berufsbildungsgesetz erhalten<br />
bleibt, gilt aus der berufsbildungstheoretischen Sicht als eine besondere Herausforderung. In der<br />
Geschichte der Entwicklung des Bildungs‐ und Berufsbildungssystems ging die Verleihung<br />
zusätzlicher allgemeinbildender Berechtigungen, z. B. der Hochschulzugangsberechtigung, häufig<br />
mit einer Verschulung des Curriculum und der Ausbildungsorganisation einher. Insofern scheint<br />
es notwendig zu sein, über eine curriculare und didaktische Verbindung bzw. Integration der<br />
unterschiedlichen Ausbildungswege und ‐stufen nachzudenken, um Funktionsverluste der<br />
beruflichen Bildung im Zuge der Veränderung der Berechtigungen zu vermeiden.<br />
Der Weg über die Berufsbildung in die Hochschule erfolgt in <strong>Deutschland</strong> also vorwiegend<br />
auf der Basis der diversen additiven Doppelqualifikationen (vgl. Autorengruppe<br />
Bildungsberichterstattung 2008, S. 173). Dieses Übergangsverhalten nimmt statistisch gesehen<br />
tendenziell ab, betrifft aber immer noch knapp 17 Prozent der Studierenden an den<br />
Hochschulen. Diesbezüglich sind Möglichkeiten, mittels der Berufsausbildung nicht nur einen<br />
berufsqualifizierenden Abschluss zu erwerben, sondern auch die Hochschulreife (integrative<br />
Doppelqualifikationen) sehr attraktiv. In allen anderen europäischen Ländern, mittlerweile auch<br />
in Österreich und in der Schweiz, wird der massiven Nachfrage nach beiden Abschlüssen durch<br />
ein flächendeckendes Angebot doppelqualifizierender Bildungsgänge nachgekommen. Junge<br />
Erwachsene können so – und sie tun dies in einer beträchtlichen Anzahl – im Rahmen von drei<br />
bis vier Jahren einen berufsqualifizierenden Abschluss und gleichzeitig die Zugangsberechtigung<br />
für ein Hochschulstudium erwerben (vgl. Frommberger 2006).<br />
Die Herausforderung liegt in einem Angebot beruflicher Bildungsgänge, in denen einerseits<br />
anerkannte berufsqualifizierende Abschlüsse erworben werden und andererseits systematisch<br />
Kompetenzen vermittelt werden, die der Studierfähigkeit dienen. Hierfür liegt keine<br />
flächendeckende Praxis in <strong>Deutschland</strong> vor. In der außerschulischen beruflichen Bildung besitzt<br />
die Vermittlung der Hochschulreife keine Bedeutung, in der schulischen berufsorientierten<br />
Bildung, z. B. über das berufliche Gymnasium, die Fachoberschule oder die Berufsfachschule,<br />
werden keine vollwertigen berufsqualifizierenden Abschlüsse vermittelt.<br />
5. Übergänge von der Berufsbildung in Beschäftigung<br />
Dieses Themenfeld wird relativ intensiv aus der Sicht der Arbeitsmarktforschung und der<br />
Personalökonomie behandelt. In der Berufsbildungsforschung besitzt hier die Beschreibung und<br />
Analyse der Ausbildungs‐ und Übernahmebereitschaft der Ausbildungsbetriebe eine wichtige<br />
Bedeutung. Zudem wird in diesem Zusammenhang häufig die Bedeutung und vor allem die<br />
Allokationsfunktion des Ausbildungsberufskonzeptes diskutiert.
Transitions 141<br />
Der dominierende Teil der Berufsbildung in <strong>Deutschland</strong>, das Duale System der beruflichen<br />
Erstausbildung, ist eng an die Situation auf dem Arbeitsmarkt und die konjunkturelle<br />
Entwicklung geknüpft (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung <strong>2009</strong>, S. 173 ff). Prinzipiell erfolgt<br />
eine unmittelbare Abstimmung zwischen der betrieblichen Auftrags‐ und<br />
Beschäftigungssituation und der Entscheidung für oder gegen die Ausbildung von jungen<br />
Erwachsenen für den eigenen Fachkräftenachwuchs. Dieses Strukturmerkmal trägt dazu bei,<br />
dass eine relativ ausgeprägte Kopplung zwischen dem Bedarf an Facharbeitskräften und<br />
Ausbildungsplätzen existiert, wodurch die Situation des Übergangs von der Berufsausbildung in<br />
die weiterführende Erwerbsbeschäftigung in quantitativer Hinsicht in <strong>Deutschland</strong> traditionell<br />
relativ gut funktioniert.<br />
Hinzu kommt, dass die Berufsausbildung im Dualen System zwar bezogen auf ein<br />
einzelbetriebsübergreifendes Ausbildungsberufskonzept erfolgt, die betriebliche Qualifizierung<br />
selbst in der Regel jedoch sehr betriebs‐ und auftragsnah stattfindet. Die Absolventen und<br />
Absolventinnen des Dualen Systems übernehmen häufig bereits während der Ausbildungszeit,<br />
insbesondere im dritten Ausbildungsjahr, Teilaufgaben, die ansonsten von Gesellen,<br />
Facharbeitern oder kaufmännischen Angestellten ausgeführt werden. Insofern sind die<br />
Beschäftigungs‐ und Arbeitsmarktfähigkeit und die Voraussetzung für einen erfolgreichen<br />
Übergang in die Beschäftigung in qualitativer Hinsicht traditionell sehr gut. Aus der betrieblichen<br />
Sicht fallen Kosten für die Einarbeitung nach Abschluss der Berufsausbildung sowie die<br />
risikoreiche Akquirierung von Arbeitskräften auf den externen Arbeitsmärkten weg (vgl. Kutscha<br />
2006).<br />
Die ausgeprägte strukturelle Kopplung des Dualen Systems an das Beschäftigungssystem<br />
führt prinzipiell zu Vorteilen beim Übergang an der 2. Schwelle. Gegenüber schulischen<br />
Berufsbildungssystemen werden durch das Duale System mit Blick auf das Beschäftigungssystem<br />
in einem verhältnismäßig hohen Maße die betrieblichen Erwartungen an die systemische<br />
Funktionserbringung der Qualifizierung, Sozialisation, Allokation sowie Absorption erfüllt (vgl.<br />
Kutscha 2006). Diesem komparativen Vorteil, der zumindest bis in die Mitte der 1990er‐Jahre für<br />
<strong>Deutschland</strong> mit einer relativ geringen Jugendarbeitslosenrate einherging, steht der komparative<br />
Nachteil gegenüber, dass die Abschlüsse des Dualen Systems der Berufsausbildung nicht oder<br />
nur sehr begrenzt anschlussfähig an das Bildungs‐ und Hochschulsystem sind.<br />
Allerdings ist der Übergang von der Berufsausbildung in die Beschäftigung in <strong>Deutschland</strong> in<br />
den letzten Jahren deutlich fragiler geworden (vgl. Kock 2008). Auch die deutsche<br />
Jugendarbeitslosenrate bewegt sich mittlerweile in das Mittelfeld der Länder in der<br />
Europäischen Union (vgl. Eurostat 2007). Zum einen ist die Sucharbeitslosigkeit der Absolventen<br />
des Dualen Systems direkt nach Ende der Ausbildung seit 2000 stark angestiegen und erreicht<br />
2005 ca. 36% der erfolgreichen Ausbildungsabsolventen. Zum anderen steigt bereits seit Anfang<br />
der 1990er‐Jahre die Jugendarbeitslosenquote kontinuierlich (vgl. Autorengruppe<br />
Bildungsberichterstattung 2008).<br />
Ein wesentlicher Grund für die Verschlechterung der Übergangssituation an der 2. Schwelle<br />
ist in einem veränderten Übernahmeverhalten der Ausbildungsbetriebe zu sehen. Zwischen
142 Dietmar Frommberger<br />
2000 und 2006 gehen die Übernahmequoten deutlich zurück (vgl. Autorengruppe<br />
Bildungsberichterstattung 2008, S. 180 ff). In den ostdeutschen Bundesländern gingen nur gut<br />
zwei Fünftel der dualen Ausbildungsabsolventen und Absolventinnen übernommen.<br />
Grundsätzlich existieren hinsichtlich des betrieblichen Übernahmeverhaltens und der<br />
individuellen Übernahmechancen sehr deutliche regionale, branchen‐, ausbildungsberufs‐ und<br />
betriebsspezifische Unterschiede in <strong>Deutschland</strong>. Allerdings signalisiert die verschlechterte<br />
Übernahmesituation auch Passungsprobleme zwischen Ausbildungsplatzangeboten und<br />
Nachfragen nach beruflichen Kompetenzen und Qualifikationen am Arbeitsmarkt. Ein Anzeichen<br />
dafür ist die fallende Ausbildungsadäquanz, das heißt die wachsende Anzahl von Formen der<br />
Erwerbsbeschäftigung nach Abschluss der Berufsausbildung, die nicht mit dem Berufsfeld der<br />
Erstausbildung übereinstimmen: („Beide Sachverhalte, zum einen längere Suchphasen und<br />
gestiegene Arbeitslosigkeit für einen Teil von Ausbildungsabsolventen, zum anderen ein Drittel<br />
nicht ausbildungsadäquat Beschäftigter, sind hervorstechende Merkmale für Schwierigkeiten im<br />
Übergang von Ausbildung in Beschäftigung, die den Jugendlichen berufliche Flexibilität und hohe<br />
Anpassungsleistungen abverlangen. Beide Sachverhalte zeugen aber auch von beträchtlichen<br />
Passungsproblemen zwischen Ausbildungsstrukturen und Arbeitsmarktnachfrage, die mit dem<br />
tradierten Selbstbild des deutschen Ausbildungssystems als einer Institution, für die aufgrund<br />
der engen Marktbindung der Ausbildung relativ friktionsfreie Übergänge in Beschäftigung<br />
charakteristisch sind, nicht übereinstimmt“) (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S.<br />
184 f).<br />
Die Situation für die beruflichen Vollzeitschulen (einschließlich der Angebote im<br />
Übergangssystem) ist dadurch gekennzeichnet, dass über 70 Prozent der vollzeitschulischen<br />
Absolventen und Absolventinnen im Anschluss nicht direkt in den Arbeitsmarkt, sondern in eine<br />
duale Berufsausbildung einmünden. Zur Lösung der Übergangsprobleme sind bildungs‐ und<br />
arbeitsmarktpolitische Strategien vonnöten, die auf die direkte Integration der<br />
Vollzeitschulabsolventen und Absolventinnen in den Arbeitsmarkt abzielen und damit das<br />
Problem der Lehrstellenknappheit nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ entschärfen<br />
(vgl. Ruf 2008). Andererseits existieren etablierte Varianten der beruflichen Vollzeitschulen, die<br />
zu einem relativ friktionslosen Übergang in das Beschäftigungssystem führen.<br />
6. Übergänge im Bildungssystem: Hindernisse und Lösungsansätze<br />
Strukturelle Bedeutung des Berechtigungssystems<br />
Die Übergänge zwischen unterschiedlichen Bildungs‐ und Ausbildungsteilbereichen<br />
unterliegen den diversen Allokations‐ und Selektionsmechanismen sozialer Systeme. Eine<br />
zentrale Bedeutung für die Steuerung der Übergänge besitzen die erworbenen Abschlüsse und<br />
Zertifikate. Schulische Laufbahn und berufliche Entwicklung hängen mithin in einem relativ<br />
hohen Maße vom Erwerb formaler schulischer Berechtigungen ab. Diese Verbindung von<br />
schulischen Abschlüssen und beruflichen Positionszuweisungschancen wird als Meritokratie<br />
oder “Meritokratische Logik” bezeichnet (Lutz 1979).
Transitions 143<br />
Historisch betrachtet stellt die Entwicklung von Schule, Ausbildung und Berechtigungssystem<br />
gemäß der „Meritokratischen Logik“ einen großen Fortschritt gegenüber den traditionellen<br />
absolutistischen Verteilungs‐, Selektions‐ und Aufstiegsprinzipien dar. Doch die alte und neue<br />
Forderung nach „durchlässigen“ Bildungsstrukturen und damit die Forderung nach einer<br />
Verbesserung der Übergänge lässt erkennen, dass die positive Funktion eines<br />
Berechtigungssystems auch nachteilige Wirkungen entfalten kann, so beispielsweise im Falle<br />
steigender individueller Aspirationsbemühungen, die über den Erwerb Erfolg versprechender<br />
Abschlüsse befriedigt werden und schließlich in Summe in einer Inflation der Bildungsabschlüsse<br />
münden. Dadurch werden die „wertvollen“ Abschlüsse wichtiger und zugleich wertloser: Wer<br />
keinen weiterführenden Abschluss erreicht, verliert berufliche und soziale Chancen, wer aber<br />
einen weiterführenden Abschluss erreicht, gewinnt nicht in dem Maße Chancen wie mit dem<br />
Zertifikatserwerb erwartet („Qualifikationsparadox“). Informelle Unterscheidungsmerkmale,<br />
institutionelle Zugehörigkeiten und diverse Zusatzleistungen gewinnen an Bedeutung, wodurch<br />
die Funktion des meritokratischen Prinzips ausgehöhlt wird und das qua Geburt gewonnene<br />
soziale Kapitel erneut eine zentrale Bedeutung gewinnt (vgl. dazu aktuell Glaesser 2007;<br />
Konietzka 2007).<br />
Im Zuge der Bildungsexpansion ist dieses „Qualifikationsparadox“ in vielen Staaten sichtbar<br />
geworden und insofern zunächst kein originär deutsches Problem. Dennoch unterscheidet sich<br />
die deutsche Situation dadurch, dass eine sehr enge Verknüpfung zwischen schulischen<br />
und/oder berufsqualifizierenden Abschlüssen und den nachfolgenden Zugängen im Bildungs‐<br />
und/oder Beschäftigungssystem besteht (vgl. Müller/ Shavit 1998). Für die nachfolgenden, sprich<br />
aufnehmenden Institutionen, ist der substanzielle Wert der mitgebrachten Abschlüsse<br />
elementar, da sie traditionell kaum eigene Auswahlmöglichkeiten besitzen.<br />
Die Abschottungen zwischen unterschiedlichen Bildungs‐ und Ausbildungswegen sind also<br />
einerseits das Produkt großer Vielfalt und Heterogenität, die in dem Versuch einer<br />
zielgruppenspezifischen und inhaltlichen Profilierung münden; andererseits besitzen die<br />
grenzziehenden Interessen der Teilhaber chancenreicher Ausbildungsmöglichkeiten eine große<br />
Bedeutung für die Gestaltung der Zugangsoptionen und Zugangshindernisse.<br />
Steigerung der Bildungsmobilität durch Anerkennung und Anrechnung erworbener<br />
Kompetenzen: Möglichkeiten und Grenzen für die berufliche Bildung in <strong>Deutschland</strong><br />
Aus der bildungs‐ und berufsbildungstheoretischen Sicht sind die skizzierten und<br />
knappheitsbedingten Allokations‐ und Selektionsprinzipien an den Schnittstellen im<br />
Bildungssystem problematisch, da sie die Mobilität und damit die individuellen Bildungs‐ und<br />
Ausbildungsverläufe hemmen oder sogar verhindern. Menschen sind lern‐ und<br />
entwicklungsfähig. Sie benötigen die Chance, ihre Potenziale entfalten zu können.<br />
Zugangsbarrieren können sich nachteilig auswirken. Aus der bildungspolitischen Sicht hat derzeit<br />
die Tendenz Hochkonjunktur, dieser Sichtweise zu folgen, insbesondere deswegen, weil die Rate<br />
der Abschlüsse und Übergänge in weiterführende Bildungseinrichtungen vielfach zu gering<br />
erscheint und die Förderung der individuellen Bildungsmobilität zu besseren Ergebnisse führen<br />
soll.
144 Dietmar Frommberger<br />
Es gibt sehr unterschiedliche Ansätze der Förderung der Übergänge an den Schnittstellen.<br />
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen der Frage des Zugangs bzw. der Zulassung zu<br />
weiterführenden Bildungsgängen und der Frage der Anrechnung erworbener Teilleistungen auf<br />
den nachfolgenden Bildungsgang. Für die Verbesserung der Übergänge der Absolventen der<br />
beruflichen Bildung dominiert aktuell der Ansatz, der auf eine Anrechnung der erworbenen<br />
Abschlüsse, Teilabschlüsse bzw. Kompetenzen zielt. Wie in den obigen Ausführungen für die<br />
verschiedenen Schnittstellen gezeigt, besteht die Herausforderung darin, funktionierende und<br />
akzeptable Mechanismen zu entwickeln und zu etablieren, die eine inhaltlich vertretbare,<br />
transparente und verlässliche Anrechnung ermöglichen.<br />
In der Berufsbildungspraxis und im Fachdiskurs werden unterschiedliche Modelle der<br />
Regelung von Zugängen und Anrechnungen realisiert und diskutiert (vgl. Frommberger <strong>2009</strong>).<br />
Eine besondere Herausforderung stellt die Anrechnung von Teilleistungen dar. So sind<br />
beispielsweise die Übergänge von der Berufsbildung in die Hochschulbildung in den<br />
Bundesländern und an den Hochschulen ganz überwiegend reine Zugangs‐ bzw.<br />
Zulassungsregelungen, die nicht mit Anrechnungsmodalitäten verknüpft sind. Gleichwohl gibt es<br />
hierzu eine weitreichende Regelung durch die Kultusministerkonferenz (KMK 2002), wonach bis<br />
zu 50 Prozent der Anforderungen eines Hochschulstudiums durch Anrechnung außerhalb der<br />
Hochschule erbrachter Leistungen abgedeckt werden können.<br />
Die besondere Schwierigkeit, Teilleistungen aus der beruflichen Bildung innerhalb der<br />
beruflichen Teilsysteme sowie in weiterführenden Bildungsgängen anzurechnen, liegt darin, dass<br />
einzelne Lern‐ und Ausbildungsabschnitte in der beruflichen Bildung, insbesondere in der<br />
betrieblichen Ausbildung, nicht separat bewertet und zertifiziert werden. Die Zielstellung der<br />
Anrechnung von Teilleistungen aus der beruflichen Bildung für die Verbesserung der Übergänge<br />
innerhalb und außerhalb der beruflichen Bildung steht mithin im Konflikt mit der deutschen<br />
Tradition der beruflichen Bildung und „Beruflichkeit“ im Dualen System. Das heißt, dass es sich<br />
in <strong>Deutschland</strong> um ein System der beruflichen Bildung (Duales System) handelt, in welchem<br />
Kompetenzen, Einstellungen und Abschlüsse erworben werden, die mit einer ausgesprochen<br />
hohen Anerkennung auf dem Arbeitsmarkt einhergehen. Die Abschlüsse der FacharbeiterInnen,<br />
Gesellen und Gesellinnen und Fachangestellten besitzen einen starken Gebrauchs‐ und<br />
Tauschwert, es handelt sich traditionell um eine „harte Währung“ im Beschäftigungssystem, die<br />
zum Teil konkurrenzfähig gegenüber akademischen Abschlüssen ist. Ein wesentlicher Grund für<br />
diese Stärke liegt in dem traditionell entwickelten und von den beteiligten Akteuren<br />
akzeptierten ganzheitlichen Ausbildungsberufskonzept, in welchem die unmittelbaren<br />
betrieblichen Arbeits‐ und Lernprozesse mit funktions‐ und betriebsübergreifenden<br />
Ausbildungsanteilen verknüpft werden, um Praxis und Theorie in der Berufsbildung aufeinander<br />
zu beziehen. Im Rahmen der Veränderung und notwendigen Differenzierung der bewährten<br />
Strukturen und Prinzipien ist also in besonderer Weise darauf zu achten, diese starken<br />
Alleinstellungsmerkmale des deutschen Berufsbildungssystems nicht zu verlieren<br />
Grundsätzlich liegt für <strong>Deutschland</strong> das wohl stärkste Hindernis auf dem Weg zur<br />
Verbesserung der Übergänge darin, dass Absolventen und Absolventinnen allgemeiner,
Transitions 145<br />
hochschulischer und beruflicher Bildung Kompetenzen und Abschlüsse erwerben, die nicht<br />
aufeinander bezogen sind und wegen des Fehlens abgestimmter Kriterien kaum valide<br />
miteinander verglichen werden können. Es mangelt an einer Art gemeinsamer deutscher und<br />
europäischer „Währung“, die es erlauben würde, erworbene individuelle Kompetenzen und<br />
Leistungen aus dem Bildungs‐ und Berufsbildungssystem transparent auszuweisen und mit<br />
akzeptierten Anerkennungen und Anrechnungen in alternativen, weiterführenden in‐, aber auch<br />
ausländischen Teilsystemen zu verknüpfen.<br />
Daneben sind es vor allem die folgenden Punkte, die den Prozess der Anrechnung<br />
erschweren (vgl. Frommberger <strong>2009</strong>):<br />
Übergänge werden – insbesondere mit Blick auf die Frage der Anrechnung – dadurch<br />
erschwert, dass innerhalb und zwischen den verschiedenen Bildungsbereichen und<br />
Bildungsstufen a) unterschiedliche Inhalte gelernt werden, b) auf unterschiedlichen<br />
Anspruchsniveaus gelernt wird und c) unterschiedliche Ausbildungsziele angestrebt werden.<br />
Es bestehen also große Vorbehalte bei den handelnden und entscheidenden Akteuren<br />
dahingehend, Lernleistungen, die fachlich und hinsichtlich des Ausbildungsniveaus und der<br />
Ausbildungsziele unterschiedlich definiert sind, für einen anderen Bildungsgang anzuerkennen.<br />
Die Ausbildungskulturen an verschiedenen Lernorten, die sich in der Art und Weise der<br />
Ausbildungs‐ und Lernprozesse widerspiegeln, sind disparat. So können stärker<br />
erfahrungsgebundene stärker theoriebezogenen Lernmilieus gegenüber stehen.<br />
Es ist nicht immer klar, worin der Nutzen der Anerkennung/Anrechnung für die beteiligten<br />
Akteure in der beruflichen Bildung besteht. Teilweise liegen auch kollidierende Interessen vor.<br />
Während der Vorteil für die Absolventen und Absolventinnen aufgrund einer Zeit‐ und<br />
Kostenersparnis evident erscheint, dominiert speziell für die Ausbildungsbetriebe in vielen Fällen<br />
die Skepsis gegenüber möglichen oder gar notwendigen Anrechnungsmechanismen, da etwa<br />
eine Verkürzung der Ausbildungszeit nicht immer im Interesse der Ausbildungseinrichtung liegt.<br />
Ein weiterer Grund, der den Übergang erschwert, liegt in der Unkenntnis des anderen<br />
Systems oder Teilsystems. Daraus erwächst Misstrauen. Das Misstrauen ist vor allem bezogen<br />
auf die Frage der Qualität der Abschlüsse.<br />
Eine wichtige Ursache liegt in dem ausgeprägten Berechtigungssystem, speziell in<br />
<strong>Deutschland</strong>, in dem traditionell die mitgebrachten Leistungen aus einem zuvor durchlaufenden<br />
Bildungsgang als eine valide Prognose für die angenommenen zukünftigen Fähigkeiten<br />
verstanden werden. Damit sind Zugänge in einem hohen Maß an mitgebrachte Abschlüsse<br />
gebunden.<br />
Schließlich sind es die Traditionen gewachsener Abschottungen zwischen den Teilsystemen<br />
sowie die Interessen bzw. Überzeugungen der Akteure, die eine Durchlässigkeit erschweren.<br />
Eine besondere Herausforderung stellt die Anrechnung von Leistungen zwischen<br />
unterschiedlichen Anspruchsniveaus dar. Es ist häufig der Fall, dass Lerninhalte in
146 Dietmar Frommberger<br />
unterschiedlichen Bildungsgängen bzw. Prüfungen zwar große Ähnlichkeiten aufweisen, die<br />
Form des Erwerbs und der damit gewonnenen Kompetenzen jedoch unterschiedlich ist. Ebenso<br />
schwierig ist die Anrechnung von Leistungen für fachlich sehr spezielle Bildungsgänge und<br />
Abschlüsse. Je mehr ein Bildungsgang und ein Abschluss auf die Ausübung einer speziellen<br />
beruflichen Tätigkeit zielt und gegebenenfalls sogar als ein reglementierter Beruf geführt wird,<br />
desto schwieriger ist die Anrechnung der Leistung aus „fremden“ Bereichen.<br />
Learning Outcomes – ein aktueller Ansatz zur Förderung der Übergänge<br />
Eine aktuelle Curriculumstrategie, die auch einen Beitrag zur Lösung der<br />
Anerkennungsproblematik leisten und damit die Übergänge zwischen den Bildungssystemen und<br />
Bildungsteilbereichen fördern soll, stellt die Orientierung an den sogenannten „Learning<br />
Outcomes“ dar. Die Kodifizierung der Aus‐ und Weiterbildungsprofile und die Steuerung der<br />
gewünschten Lernprozesse soll nicht primär – wie gewohnt – auf der Basis der Angaben zu den<br />
fachlichen Inhalten, Lernzielen, Lernzeiten und Lernorten erfolgen („Inputs“), sondern mittels<br />
der Formulierung von „Lernergebnissen“, die für den Erwerb von Abschlüssen, Zertifikaten und<br />
Anrechnungsberechtigungen durch das Individuum in standardisierten Evaluationsprozessen<br />
nachgewiesen werden müssen. In den „Lernergebnissen“ bzw. „Outcomes“ werden die<br />
Kenntnisse, das Verständnis und die Fähigkeiten formuliert, die als Grundlage für die Erfassung<br />
und Bewertung der individuell erworbenen Kompetenzen dienen sollen. Je nachdem, wie die<br />
„Outcomes“ formuliert werden, wird es möglich, von strukturellen und inhaltlichen<br />
Unterschieden zu abstrahieren und die individuellen Verhaltensdispositionen verstärkt in den<br />
Vordergrund zu rücken. Damit sollen die diversen Formen und Institutionen für den Erwerb der<br />
gewünschten Kompetenzen an Bedeutung verlieren, um verstärkt informelle und non‐formale<br />
Lernprozesse für das Gesamtsystem allgemeiner und beruflicher Bildung berücksichtigen zu<br />
können.<br />
Eine besondere Herausforderung im Zusammenhang mit der Outcome‐Orientierung liegt<br />
darin, die verbindlichen Standards für die Möglichkeit des Erwerbs der gewünschten<br />
Kompetenzen zu gewährleisten. Je weniger die Ziele der allgemeinen und beruflichen Bildung<br />
inhaltlich und fachlich bestimmt bleiben und je weniger Vorgaben und Rahmenbedingungen zu<br />
den Lernorten, Lernprozessen und Lernzeiten erfolgen, desto mehr liegt die Verantwortung für<br />
die Lernprozesse bei den Individuen. Diese grundsätzlich als positiv einzuschätzende Möglichkeit<br />
der Entfaltung und Einbringung individueller Bildungs‐ und Berufslaufbahnen kann zugleich dazu<br />
führen, dass diejenigen, die in einem höheren Maße eine institutionelle Unterstützung für die<br />
Entwicklung ihrer Bildungspotentiale benötigen, benachteiligt und gegebenenfalls ihrer Chancen<br />
beraubt bleiben. Diese „Öffnung“ der Bildungs‐ und Ausbildungsstrukturen kann also auch zu<br />
einem offenen Wettbewerb zwischen den BildungsteilnehmerInnen führen. Daher setzt eine<br />
curriculare Orientierung an den Outcomes voraus, dass eine Bindung an den strukturellen<br />
Rahmenbedingungen der Ausbildungsprozesse erhalten bleibt und die Outcomes vielmehr<br />
ausschließlich unter der didaktischen Perspektive dazu dienen, die Lernprozesse stärker in den<br />
Zusammenhang mit der Erreichung der individuellen Verhaltens‐ und Dispositionsspielräumen<br />
zu stellen. Nur so können Outcomes den Erfolg gewünschter Lernprozesse erhöhen. Outcomes
Transitions 147<br />
dürfen aber nicht dazu beitragen, dass die Verantwortung für die Bildungsstandards in eine<br />
Beliebigkeit abschweift. Durchlässigkeit und die Entkopplung von Abschlüssen und<br />
Ausbildungswegen erfordern daher mindestens eine Standardisierung der Nachweisverfahren<br />
zur Erfassung, Dokumentation, Bewertung und Zertifizierung; ansonsten werden Abschlüsse<br />
erworben, die nicht den Kompetenzstandard gewährleisten, der nachfolgend vorausgesetzt<br />
wird.<br />
Zentral ist diesem Ansatz, die learning outcomes nicht mehr in der Gestalt von Abschlüssen,<br />
sondern als erreichte Kompetenzen zu messen. Da über die traditionellen Input‐Regelungen<br />
auch eine Qualitätssicherung der formalen Bildungsgänge stattfand, müssen nun darüber hinaus<br />
auch neue Qualitätssicherungsinstrumente und ‐verfahren, die der Outcome‐Orientierung<br />
Rechnung tragen, erprobt und etabliert werden. Die traditionelle Input‐Orientierung in<br />
Verbindung mit dem Ausbildungsberufsprinzip führt auch dazu, dass in der deutschen Diskussion<br />
die Akkumulation von Lerneinheiten unabhängig von der Art ihres Erwerbs zu einer Qualifikation<br />
sehr skeptisch betrachtet wird, da eine „Beliebigkeit“ des Qualifikationserwerbs befürchtet wird<br />
(vgl. Frommberger <strong>2009</strong>).<br />
Abschlussbemerkungen<br />
Vernachlässigt wird in der Diskussion um die Verbesserung der Übergänge der Ansatz, der<br />
auf die Entwicklung des Wissens und der Fähigkeiten in den vorgängigen Bildungs‐ und<br />
Ausbildungsprozessen zielt. Die Öffnung über Zulassung und Anrechnung allein führt sehr<br />
wahrscheinlich zu wachsenden Erlebnissen des Scheiterns, falls die benötigten Kompetenzen<br />
nicht erworben werden konnten. Da die faktische Bildungsmobilität, etwa mit Blick auf die<br />
europäische Mobilität in der beruflichen Bildung oder hinsichtlich der Übergänge zwischen der<br />
Berufsbildung und Hochschulbildung, ausgesprochen gering bleibt, ist zu fragen, welche<br />
Maßnahmen ergriffen werden, um den Zielgruppen nicht nur die Berechtigung, sondern auch<br />
diejenigen Kenntnisse und Kompetenzen zu vermitteln, die für eine erhöhte<br />
Mobilitätsbereitschaft und ‐fähigkeit als zwingend notwendig erscheinen. Die Förderung der<br />
Übergänge, ja immer auch zum Zwecke der Reduzierung sozialer Selektions‐ und<br />
Segmentationsmechanismen, ist als problematisch einzuschätzen, solange den Absolventen und<br />
Absolventinnen nicht die Möglichkeit offeriert wird, diejenigen Kompetenzen zu erwerben, die<br />
sie in den nachfolgenden Bildungsgängen und Karriereoptionen benötigen (Stichwort „materiale<br />
Chancengleichheit“).<br />
Bezogen auf den zuletzt genannten Aspekt sind Studien notwendig, mit denen<br />
Übergangsverläufe sowie Übergangsbereitschaften nicht nur quantitativ erfasst, sondern auch<br />
qualitativ analysiert werden. Damit ‐ so ist zu erwarten – können vermehrt Hinweise zu den<br />
individuellen und strukturellen Bedingungen gewonnen werden, die zu erfolgreichen bzw.<br />
weniger erfolgreichen Übergängen führen.
148 Dietmar Frommberger<br />
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Dualen System? – Schrittmacher zur Verbesserung der Lehrlingsausbildung seit den<br />
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Retrospektive in kritischer Sicht. In: Pädagogische Rundschau 63(<strong>2009</strong>)2, S. 179‐192.<br />
Lutz, B. (1979): Die Interdependenz von Bildung und Beschäftigung und das Problem der<br />
Erklärung der Bildungsexpansion. In: MATTHES, J. (Hrsg.): Sozialer Wandel in<br />
Westeuropa ‐ Verhandlungen des 19. Deutschen Soziologentages. Frankfurt a. M.<br />
Maurice, M. / Sellier, F. / Silvestre, J.‐J. (1979): Die Entwicklung der Hierarchie in<br />
Industrieunternehmen. Ein Vergleich Frankreich‐Bundesrepublik. In: Soziale Welt 30,<br />
S. 295‐327.<br />
Memorandum „Zur Professionalisierung des pädagogischen Personals in der<br />
Integrationsförderung aus berufsbildungswissenschaftlicher Sicht“ der Sektion Berufs‐<br />
und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft<br />
(2008). http://www.good‐<br />
practice.de/memorandum_integrationsfoerderung_0409.pdf [cited 16/07/<strong>2009</strong>].<br />
Mucke, K. / Schwiedrzik, B. (1995): Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung.<br />
Hochschulzugang für Berufserfahrene ‐ Stellungnahmen und Vorschläge.<br />
Herausgegeben vom Bundesinstitut für Berufsbildung. Berlin 1995.<br />
Müller, W./ Shavit, Y. (1998): Bildung und Beruf im institutionellen Kontext. Eine ver‐<br />
gleichende Studie in 13 Ländern. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 1, 4, 501‐<br />
533.<br />
OECD (Organisation für Economic Cooperation and Development) (2008): Bildung auf einen<br />
Blick: OECD‐Indikatoren. Bielefeld.<br />
Ruf, M. (2008): Akzeptanz vollzeitschulischer Berufsabschlüsse auf dem Arbeitsmarkt.<br />
Übergangsprobleme, Ursachen und Erklärungsansätze der Berufsbildungsforschung.<br />
Saarbrücken.<br />
Trautwein, U. / Lüdtke, O. / Becker, M. / Neumann, M. / Nagy, G. (2008): In: Schlemmer, E. /<br />
Gerstberger, H. (Hrsg.): Ausbildungsfähigkeit im Spannungsfeld zwischen<br />
Wissenschaft, Politik und Praxis. Wiesbaden, S. 91‐108.<br />
Troltsch, K./ Walden, G. (2007): Beschäftigungssystem dominiert zunehmend<br />
Ausbildungsstellenmarkt. Zur Responsivität des dualen Ausbildungssystems. In:<br />
Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 36, H. 4, 5‐9.
Transitions 153<br />
Ulrich, J. G. (2008): Jugendliche im Übergangssystem‐ ein Bestandsaufnahme. In: Berufs‐und<br />
Wirtschaftspädagogik –online, bwp@spezial4<br />
http://www.bwpat.de/ht2008/ws12/ulrich_ws12‐ht2008_spezial4.pdf [cited<br />
10/08/<strong>2009</strong>]<br />
Werner, D. / Neumann, D. / Schmidt, J. (2008): Volkswirtschaftliche Potenziale am Übergang<br />
von der Schule in die Arbeitswelt. Eine Studie zu den direkten und indirekten Kosten<br />
des Übergangsgeschehens sowie Einspar‐ und Wertschöpfungspotenzialen<br />
bildungspolitischer Reformen. DIW Köln. http://www.bertelsmann‐<br />
stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_26143_26517_2.pdf [cited 10/08/<strong>2009</strong>].<br />
Wolter, A. (1987): Das Abitur. Eine bildungssoziologische Untersuchung zur Entstehung und<br />
Funktion der Reifeprüfung. Oldenburg.<br />
Wolter, A. (2008): Aus Werkstatt und Büro in den Hörsaal? Anrechnung beruflicher<br />
Leistungen und Kompetenzen auf das Studium als bildungspolitisches Projekt. In:<br />
Buhr, R. u. a. (Hrsg.) (2008): Durchlässigkeit gestalten! Wege zwischen beruflicher und<br />
hochschulischer Bildung. Münster u. a., S. 81‐9
154<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
abH Ausbildungsbegleitende Hilfen<br />
AES Adult Education Survey<br />
AEVO Ausbildereignungsverordnung<br />
AFBG Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz<br />
AGBFN Arbeitsgemeinschaft Berufsbildungsforschungsnetz<br />
AZWV Anerkennungs‐ und Zulassungsverordnung – Weiterbildung<br />
BA Bundesagentur für Arbeit<br />
BAföG Bundesausbildungsförderungsgesetz<br />
BAVBVO Rechtsverordnung über die Bescheinigung von Grundlagen beruflicher Handlungsfähigkeit im<br />
Rahmen der Berufsausbildungsvorbereitung<br />
BBiG Berufsbildungsgesetz<br />
BDA Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
BDBA Bundesverband Deutscher Berufsausbilder<br />
BFB Bundesverband der Freien Berufe<br />
BMAS Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung<br />
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
BMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />
BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie<br />
BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung<br />
BQF Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf<br />
BSW Berichtssystem Weiterbildung<br />
BvB Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen<br />
DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst<br />
DGB Deutscher Gewerkschaftsbund<br />
DIE Deutsches Institut für Erwachsenenbildung e.V.<br />
DIHK<br />
DJI<br />
Deutscher Industrie‐ und Handelskammertag<br />
Deutsche Jugend Institut<br />
DQR Deutscher Qualifikationsrahmen<br />
ECTS European Credit Transfer System<br />
EC<strong>VET</strong> European Credit System for Vocational Education and Training<br />
ENQA‐<strong>VET</strong> European Network on Quality Assurance in Vocational Education and Training
EQJ Einstiegsqualifizierung Jugendlicher<br />
EQF European Qualifications Framework<br />
ESF<br />
GDR<br />
GWK<br />
HEI<br />
Europäischer Sozialfonds<br />
German Democratic Republic<br />
Gemeinsame Wissenschaftskonferenz<br />
Higher Education Institution<br />
HRK Hochschulrektorenkonferenz<br />
HwO Handwerksordnung<br />
IAB Institut für Arbeitsmarkt‐ und Berufsforschung<br />
IHK Industrie‐ und Handelskammer<br />
IKBB Innovationskreis Berufliche Bildung<br />
IKWB Innovationskreis Weiterbildung<br />
INQA Initiative Neue Qualität der Arbeit<br />
ISCED Internationale Standardklassifikation für das Bildungswesen<br />
IW Institut der deutschen Wirtschaft<br />
KMK Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik <strong>Deutschland</strong><br />
NEC National Europass Centre<br />
SGB Sozialgesetzbuch [Social Code]<br />
StBa Statistisches Bundesamt<br />
ÜBS Überbetriebliche Berufsbildungsstätte<br />
ZDH Zentralverband des Deutschen Handwerks<br />
ZVEH Zentralverband der Deutschen Elektro‐ und Informationstechnischen Handwerke<br />
ZVEI Zentralverband Elektrotechnik‐ und Elektroindustrie<br />
ZWH Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk<br />
155
156<br />
Autorinnen und Autoren<br />
Susanne Berger<br />
Magistra Artium im Europaorientierten Bilingualen Unterrichten, Wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschafts‐ und Sozialpädagogik der Universität zu Köln,<br />
Projektbetreuerin.<br />
Werdegang: Zwischen 2005 und <strong>2009</strong> Studium der Fächer Französisch, Politikwissenschaft und<br />
Wirtschaftslehre an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. 2005/2006 sechsmonatiger<br />
Auslandsaufenthalt als Fremdsprachenassistentin am Lycée Hélène Boucher und Collège Charles<br />
Peguy Paris. Juli bis September <strong>2009</strong> Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Pädagogischen<br />
Hochschule Freiburg, Institut für Berufs‐ und Wirtschaftspädagogik, Abteilung<br />
Wirtschaftspädagogik und Wirtschaftslehre. Seit Juli <strong>2009</strong> Projektbetreuerin des EU‐ Projekts „Fit<br />
for Business – Developing business competencies in school“.<br />
Forschungsschwerpunkt: International‐vergleichende (Berufs‐)bildungsforschung.<br />
Sandra Bohlinger<br />
ist seit <strong>2009</strong> als Professorin für Berufspädagogik an der Universität Osnabrück tätig, nachdem sie<br />
zuvor als Nationale Abgeordnete beim Cedefop, dem Europäischen Zentrum für die Entwicklung<br />
beruflicher Bildung in Thessaloniki (Griechenland) und als Vertretungsprofessorin an der TU<br />
Berlin tätig war. Neben ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten<br />
Karlsruhe und Darmstadt wurde sie 2005 zum Vorstand von eurodoc, dem europäischen Rat für<br />
junge Wissenschaftler, gewählt und erhielt <strong>2009</strong> für ihre Habilitation über<br />
„Kompetenzentwicklung für Europa“ einen Preis für herausragende wissenschaftliche Leitungen.<br />
Ihre Forschungsschwerpunkte sind Europäische Berufsbildungsforschung und ‐politik,<br />
Kompetenzentwicklung sowie Benachteiligung und Inklusion.<br />
Dietmar Frommberger<br />
Dr. rer. pol. habil., Dipl.‐Hdl.<br />
Lehrstuhlinhaber Berufspädagogik an der Otto‐von‐Guericke‐Universität Magdeburg (vgl.<br />
www.ibbp.uni‐magdeburg.de); Forschungsschwerpunkt: International‐vergleichende<br />
Berufsbildungsforschung.<br />
Matthias Pilz<br />
Prof. Dr. Diplom‐Handelslehrer, Lehrstuhlinhaber für Wirtschafts‐ und Sozialpädagogik an der<br />
Universität zu Köln.<br />
Zwischen 1990 und 1995 Studium der Wirtschaftspädagogik an der Universität Göttingen,<br />
1992/93 Studium der Ökonomie an der University of Edinburgh/Schottland, 1996 bis 1998<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Wirtschaftspädagogik der TU Dresden, 1999
Promotion an der Universität Konstanz, nach einem Referendariat bis 2002 Lehrkraft an der<br />
Wirtschaftsschule Herrenhausen‐Hannover und Berater für EU‐Bildungsprojekte bei der<br />
Bezirksregierung Hannover, 2002 bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für<br />
Wirtschaftspädagogik der Universität St. Gallen/Schweiz, 2005 bis <strong>2009</strong> Professor für<br />
Wirtschaftslehre und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg.<br />
Forschungsschwerpunkte: International‐vergleichende Berufsbildungsforschung, Übergangs‐<br />
forschung zwischen Bildungs‐ und Beschäftigungssystem, Lehr‐Lernforschung<br />
Ingrid Wilkens<br />
Dr. ist Volkswirtin und Soziologin. In den vergangenen Jahren arbeitete sie als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin an der Universität Hamburg, dem Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI)<br />
Göttingen, dem Institut für Arbeitsmarkt‐ und Berufsforschung (IAB), der Universität Erlangen‐<br />
Nürnberg und dem Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS), Frankfurt, unterbrochen<br />
von einem Forschungsaufenthalt am Social Policy <strong>Research</strong> Centre (SPRC) der University of New<br />
South Wales, Sydney. Die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit lagen auf Arbeitsmarkt, Bildung,<br />
Sozialpolitik sowie auf der Integration von Zugewanderten. Seit kurzem leitet Frau Wilkens das<br />
Referat "Integrationsforschung, Monitoring, Rechtsfragen" am Hessischen Ministerium der<br />
Justiz, für Europa und Integration.<br />
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