Die Ornamentik der Musik im Barock
Handbuch für das eigenständige Verzieren
Handbuch für das eigenständige Verzieren
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© 2018 Music-Ornaments, Manfredo Z<strong>im</strong>mermann, Ettlingen<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
Satz und Notensatz: Manfredo Z<strong>im</strong>mermann<br />
Umschlagsbild: „Das Konzert“ von Georg Platzer<br />
Mit freundlicher Genehmigung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg<br />
www.music-ornaments.com<br />
1
Vorwort ................................................................................................................................................... 3<br />
Allgemeine Hinweise für die Aufführungspraxis <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> bis ca. 1800 ................................................ 5<br />
Das Prinzip <strong>der</strong> Ungleichheit: Taktschwerpunkt- und Betonungsregeln ............................................ 5<br />
<strong>Die</strong> Dissonanzbehandlung ................................................................................................................... 6<br />
<strong>Die</strong> Messa di voce ................................................................................................................................ 6<br />
Intonation ............................................................................................................................................ 7<br />
Mo<strong>der</strong>ne Noteneditionen und Urtextausgaben ................................................................................. 8<br />
<strong>Die</strong> Taktarten, ihr Charakter, <strong>der</strong> Stamm an Notenwerten................................................................. 9<br />
Der französische und italienische Stil ................................................................................................ 10<br />
<strong>Die</strong> wesentlichen Manieren .................................................................................................................. 14<br />
Der Triller ........................................................................................................................................... 14<br />
Der Mordent ...................................................................................................................................... 19<br />
Der Vorhalt und/o<strong>der</strong> Vorschlag ....................................................................................................... 20<br />
Der Schleifer ...................................................................................................................................... 24<br />
Der Chûte .......................................................................................................................................... 24<br />
Der Doppelschlag .............................................................................................................................. 25<br />
Der Accent ......................................................................................................................................... 25<br />
Beson<strong>der</strong>e Verzierungen ....................................................................................................................... 26<br />
Das Vibrato ........................................................................................................................................ 26<br />
Abschlusskadenzen ........................................................................................................................... 28<br />
Tempo rubato .................................................................................................................................... 31<br />
Inégalité ............................................................................................................................................. 33<br />
Freie Verzierungen (Willkürliche Verän<strong>der</strong>ungen)................................................................................ 37<br />
Einleitung ........................................................................................................................................... 37<br />
Einige Regeln ..................................................................................................................................... 40<br />
Grundgedanke ................................................................................................................................... 41<br />
Aufbauübungen ................................................................................................................................. 42<br />
Das Entzieren o<strong>der</strong> die Reduktion ..................................................................................................... 51<br />
Unbegangene Wege .......................................................................................................................... 53<br />
Kadenzen und Improvisation................................................................................................................. 62<br />
Divisions (on a Ground) ......................................................................................................................... 70<br />
Anhang .................................................................................................................................................. 76<br />
Historische Beispiele verzierter Sätze ............................................................................................... 76<br />
Danksagung ........................................................................................................................................... 85<br />
Bibliographie ...................................................................................... Fehler! Textmarke nicht definiert.<br />
Pr<strong>im</strong>är-Quellen ............................................................................... Fehler! Textmarke nicht definiert.<br />
Sekundär-Quellen ........................................................................... Fehler! Textmarke nicht definiert.<br />
2
Vorwort<br />
„Es hat wohl niemand an <strong>der</strong> Nothwendigkeit <strong>der</strong> Manieren gezweifelt. Man kann es daher mercken, weil<br />
man sie überall in reichlicher Menge antrifft. Indessen sind sie allerdings unentbehrlich, wenn man ihren<br />
Nutzen betrachtet. Sie hängen die Noten zusammen; sie beleben sie; sie geben ihnen, wenn es nöthig ist,<br />
einen beson<strong>der</strong>n Nachdruck und Gewicht; sie machen sie gefällig und erwecken folglich eine beson<strong>der</strong>e<br />
Aufmercksamkeit; sie helffen ihren Inhalt erklären; es mag dieser traurig o<strong>der</strong> frölich o<strong>der</strong> sonst beschaffen<br />
seyn wie er will, so tragen sie allezeit das ihrige darzu bey; sie geben einen ansehnlichen Theil <strong>der</strong><br />
Gelegenheit und Materie zum wahren Vortrage; einer mäßigen Composition kan durch sie aufgeholfen<br />
werden, da hingegen <strong>der</strong> beste Gesang ohne sie leer und einfältig, und <strong>der</strong> kläreste Inhalt davon allezeit<br />
undeutlich erscheinen muß.<br />
(Carl Philipp Emanuel Bach, „Versuch…“, 1. Teil, Kapitel 2, §1)<br />
<strong>Die</strong>ses Handbuch richtet sich an den praktizierenden <strong>Musik</strong>er, <strong>der</strong> Anleitungen, Anregungen<br />
und auch neue Aspekte <strong>der</strong> musikalischen <strong>Ornamentik</strong> sucht. Er findet hier ein umfassendes<br />
Kompendium über die Verzierungspraxis des <strong>Barock</strong>s (ab ca. 1650) sowie <strong>der</strong> Vorklassik.<br />
Darüber hinaus wird ihm zusätzlich noch die Möglichkeit eröffnet, durch live eingespielte<br />
play-along Basso continuo Begleitungen verschiedene Übungen, Grounds sowie eigene<br />
Verzierungen in realer Klangumgebung zu spielen.<br />
Fast je<strong>der</strong> <strong>Musik</strong>ausübende, <strong>der</strong> ein Werk aus dem 17. o<strong>der</strong> 18. Jahrhun<strong>der</strong>t übt, spielt o<strong>der</strong><br />
vorträgt, wird sich schon einmal die Frage gestellt haben:<br />
„Sollte ich dieses Stück eigentlich verzieren?“<br />
Wird diese Frage mit „ja“ beantwortet, stellen sich sofort die Folgefragen:<br />
„Wo? Wie? Was soll/kann/darf ich verzieren?“<br />
Genau an dieser Stelle möchte dieses Handbuch ein praktischer Helfer sein. Als<br />
Nachschlagewerk und gleichzeitig Übungsheft ist es <strong>der</strong> ideale Begleiter für die stilgerechte<br />
Interpretation <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> des Generalbasszeitalters. Sämtliche Aspekte <strong>der</strong> barocken<br />
<strong>Ornamentik</strong> werden ausführlich, fundiert und leicht nachvollziehbar behandelt. Praktische<br />
Tipps, methodisch aufbereitete Übungen und verschiedene Hörbeispiele vermitteln das<br />
Rüstzeug für ein eigenes, individuelles und stilsicheres Verzieren.<br />
<strong>Die</strong> unterschiedlichen Notenbeispiele ermöglichen einen interessanten Einblick in die Praxis<br />
des Ornamentierens jener Zeit.<br />
Für spezielle Bereiche, wie die eigene Kadenzgestaltung o<strong>der</strong> das Improvisieren über einen<br />
Ground werden systematisch aufbauende Übungen angeboten.<br />
Hilfreiche Tipps zur Aufführungspraxis vermitteln ein besseres Verständnis für diesen<br />
beson<strong>der</strong>en <strong>Musik</strong>stil.<br />
<strong>Die</strong>ses Buch bündelt die unzähligen Erfahrungen, die ich in vielen Jahren in dem von mir<br />
betreuten Seminar „Aufführungspraxis und Verzierungslehre“ an <strong>der</strong> Hochschule für <strong>Musik</strong><br />
und Tanz Köln sammeln durfte.<br />
3
Zu den Begleitungen:<br />
Ein absolutes Novum ist die integrierte Soundfile-Einbindung. Viele Übungen und <strong>im</strong><br />
weiteren Verlauf auch Grounds sind mit originaler Cembalobegleitung ausgestattet. <strong>Die</strong>se ist<br />
sowohl für mo<strong>der</strong>ne Instrumente (a‘=440 Hz) als auch für die historischen Instrumente<br />
(a‘=415 Hz) verfügbar!<br />
Es handelt sich hier um sogenannte Loops. <strong>Die</strong>s sind lange Schleifen, die ermöglichen, dass<br />
die Übung x-mal wie<strong>der</strong>holen werden kann, ohne <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> neu zu starten.<br />
Ein Klick auf das entsprechende play Icon startet den Soundfile.<br />
Einige Anmerkungen:<br />
Da unter (uns) <strong>Musik</strong>ern in <strong>der</strong> Regel mit einem „Du“ kommuniziert wird, möchte ich gerne<br />
<strong>im</strong> Folgenden auch diese Form <strong>der</strong> Anrede verwenden. Ich hoffe, dass dies nicht für<br />
Verst<strong>im</strong>mung sorgt! Desgleichen ist, wenn <strong>im</strong> Plural die männliche Form verwendet wird,<br />
selbstverständlich auch das Femininum mit eingeschlossen.<br />
Es ist mir bewusst, dass in einem für die Praxis angelegten Handbuch nicht sämtliche<br />
Aspekte und Hintergründe dieses weiten und komplexen Gebietes detailliert ausgebreitet<br />
werden können. Mein Fokus lag auf dem Versuch, einen Zugang zur <strong>Ornamentik</strong> für jeden<br />
<strong>Musik</strong>ausübenden zu schaffen. Dafür reicht das alleinige Durchlesen des Buches sicher nicht<br />
aus, aber ich bin mir sicher, wenn du dich durch die verschiedenen Kapitel und Übungen<br />
durchgearbeitet und „durchgeübt“ hast, dann wirst du in <strong>der</strong> Lage sein, mit den erworbenen<br />
Verzierungskünsten dich und deine Zuhörerschaft zu überraschen und zu begeistern!<br />
Ein weiterer Band, <strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> <strong>Ornamentik</strong> <strong>der</strong> Spätrenaissance und des Frühbarocks<br />
auseinan<strong>der</strong>setzt ist geplant.<br />
<strong>Die</strong> Ausnahme bestätigt die Regel. <strong>Die</strong>se allgemeine Aussage gilt natürlich auch <strong>im</strong> Bereich<br />
<strong>der</strong> <strong>Ornamentik</strong>. Feste, starre Regeln gibt es nicht. Jedoch wird man sich mit sogenannten<br />
Faustregeln meist auf <strong>der</strong> „sicheren“ Seite befinden.<br />
Das systematische und wie<strong>der</strong>holte Spielen <strong>der</strong> verschiedenen (begleiteten)<br />
Verzierungsbeispiele ist aus lernpsychologischer Sicht eine wichtige Methode, um sich<br />
stiltypische „Patterns“ anzueignen. Durch die harmonische Unterlegung wird ein<br />
musikalischer Zusammenhang hergestellt, <strong>der</strong> in dieser o<strong>der</strong> ähnlicher Form in jedem zu<br />
verzierenden Stück wie<strong>der</strong>gefunden wird.<br />
Mein ganz persönlicher Wunsch ist, dass durch dieses Handbuch bei dir einerseits eine<br />
mögliche Scheu vor dem eigenen Verzieren abgebaut wird und sich zum an<strong>der</strong>en Spaß und<br />
Vergnügen be<strong>im</strong> kreativen Bereichern <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> einstellen.<br />
In diesem Sinne: Auf geht’s!<br />
Manfredo Z<strong>im</strong>mermann<br />
4
Allgemeine Hinweise fü r die<br />
Auffü hrungspraxis <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> bis ca. 1800<br />
Das Prinzip <strong>der</strong> Ungleichheit: Taktschwerpunkt- und<br />
Betonungsregeln<br />
Bis zur französischen Revolution galt <strong>der</strong> Absolutismus allgemein als politische und<br />
gesellschaftliche Norm. Erst durch das durch die Revolutionäre erhobene Postulat „liberté,<br />
égalité et fraternité“ (Freiheit, Gleichheit und Brü<strong>der</strong>lichkeit) begann ein Umdenken, das<br />
aber, wie wir heute wissen, äußerst langsam vonstattenging bzw. nur „auf dem Papier“<br />
stattfand.<br />
Zuvor war für die Menschen alles in ihrem Leben und in <strong>der</strong> sie umgebenden Welt<br />
(gottgewollt) hierarchisch geordnet. <strong>Die</strong> meist pyramidal angelegten Strukturen, wie sie in<br />
<strong>der</strong> Kirche, <strong>der</strong> Politik, ja: auch in <strong>der</strong> Familie angelegt und gelebt waren, hatten in <strong>der</strong> Regel<br />
ein Haupt (Papst, Kaiser, Vater), und untergeordnet öffnete sich fächermäßig ein genau<br />
definiertes Machtgefüge, das meistens nur äußerst schwierig zu durchbrechen war.<br />
Das bedeutete: Für den Menschen damals wurde <strong>der</strong> Begriff Gleichheit, wenn überhaupt in<br />
seinem Denken existent, völlig an<strong>der</strong>s interpretiert als heutzutage. <strong>Die</strong>s findet sich auch in<br />
<strong>der</strong> <strong>Musik</strong> wie<strong>der</strong>. Verstehen wir heute in einem 4/4-Takt – geprägt durch eine <strong>im</strong>mer noch<br />
in <strong>der</strong> Romantik verwurzelten musikalischen Tradition – eine Tonfolge von vier Viertelnoten<br />
(ohne zusätzliche interpretatorische Hinweise) als vier gleichlang klingende und gleichstarke<br />
Töne, so interpretierte es ein <strong>Musik</strong>er <strong>im</strong> 18. Jahrhun<strong>der</strong>t aus seinem Denken und Fühlen<br />
völlig an<strong>der</strong>s. Für ihn gab es in diesen gleichaussehenden Notenwerten eine natürliche<br />
innere Hierarchie. <strong>Die</strong> Erste <strong>im</strong> Takt war die wichtigste und somit die stärkste. <strong>Die</strong>s konnte<br />
man dynamisch und/o<strong>der</strong> artikulatorisch darstellen. <strong>Die</strong> zweite Note musste schwächer<br />
(leiser, kürzer) sein, die dritte wie<strong>der</strong> stärker, aber nicht so sehr wie die allererste. <strong>Die</strong> vierte<br />
war dann wie<strong>der</strong> schwach. <strong>Die</strong>se Rangordnung wurde in die Bereichen von Achtel,<br />
Sechzehntel, etc. übertragen und ebenso angewendet.<br />
Wenn <strong>der</strong> Komponist – ausnahmsweise – diese innere Ungleichheit aufheben wollte, so<br />
musste er dieses für den Spieler kennzeichnen: durch einen beson<strong>der</strong>en Hinweis wie<br />
beispielsweise „les notes égales“ o<strong>der</strong> auch, indem er über den betreffenden Noten Punkte<br />
o<strong>der</strong> Keile notierte.<br />
Somit hatte jede Taktart ihre eigenen Betonungsregeln, die seinerzeit je<strong>der</strong> <strong>Musik</strong>er nicht<br />
nur theoretisch wusste, son<strong>der</strong>n die er auch in Fleisch und Blut übernommen hatte.<br />
Man erwartete u. a. vom Interpreten, dass sein Spiel so differenziert war, dass man be<strong>im</strong><br />
aufmerksamen Zuhören die Taktart erkennen konnte.<br />
5
<strong>Die</strong> Dissonanzbehandlung<br />
Einer <strong>der</strong> wichtigsten Musizieraspekte war neben den Regeln <strong>der</strong> Betonung zumindest bis<br />
1800, <strong>der</strong> bewusste und differenzierte Umgang mit Dissonanzen (und folglich auch mit den<br />
Konsonanzen). Als dissonante Klänge galten damals die Sekund, die Quart und die Sept<strong>im</strong>.<br />
<strong>Die</strong> allgemein gültige Grundregel lautete:<br />
Dissonanzen sollen betont/stark/hervorgehoben gespielt werden. Konsonanzen (beson<strong>der</strong>s<br />
wenn es die Auflösungen vorangegangener Dissonanzen sind) werden hingegen<br />
schwächer/entspannter gespielt.<br />
Wenn dies befolgt wird, hat es weitreichende Konsequenzen für den Spieler. Verlangt wird<br />
von ihm ein verstärktes „vertikales“ Hören, eine bewusste Wahrnehmung <strong>der</strong> harmonischen<br />
Abläufe und ein Verstehen <strong>der</strong> harmonischen Funktion eines jeden gespielten Tones. Lei<strong>der</strong><br />
wird diese beson<strong>der</strong>e Hörerziehung heutzutage sehr oft vernachlässigt. <strong>Die</strong> Aufmerksamkeit<br />
wird auf den melodischen Spannungsbogen und dessen Gestaltung gerichtet. Wenn jedoch<br />
das Einbeziehen <strong>der</strong> harmonischen Spannungs- und Entspannungsmomente in die<br />
Gestaltung melodischer Phrasierung berücksichtigt wird, führt dies zu einer spürbaren<br />
Ausdruckssteigerung.<br />
<strong>Die</strong> Messa di voce<br />
„Sie war nicht <strong>im</strong> stande eine ganze Note gehörig auszuhalten, sie hatte keine messa di voce, sie wüste<br />
nicht zu Souteniren, mit einen wort sie sang mit kunst aber mit keinem verstand…“ (Wolfgang Amadeus<br />
Mozart, Brief an seinen Vater 19.2.1778)<br />
Ein Aspekt, <strong>der</strong> heutzutage oft außer Acht gelassen wird, ist die differenzierte Behandlung<br />
des Einzeltons. Wenn man jedoch liest, wie <strong>Musik</strong>er und Theoretiker großen Wert darauf<br />
legten, jeden Ton einer gewissen Klangdauer bewusst zu gestalten, bekommt dieser<br />
Gesichtspunkt eine völlig neue und spannende D<strong>im</strong>ension.<br />
<strong>Die</strong> sogenannte Messa di voce (deutsch: „Einsatz <strong>der</strong> St<strong>im</strong>me“) war ein Begriff aus <strong>der</strong><br />
Gesangstechnik, <strong>der</strong> aber bald von den Instrumentalisten übernommen wurde. Oberstes<br />
Gebot eines jeden Spielers war ja, die menschliche St<strong>im</strong>me <strong>im</strong> kunstvollen Gesang<br />
nachzuahmen.<br />
Bis in das 19. Jahrhun<strong>der</strong>t gehörte es zum guten musikalischen Geschmack, einen länger<br />
anhaltenden Ton durch diese Messa di voce zu gestalten. Dabei begann man <strong>im</strong> kaum<br />
hörbaren pianiss<strong>im</strong>o, steigerte den Klang bis ins forte, um anschließend wie<strong>der</strong> abzunehmen<br />
bis <strong>der</strong> Ton <strong>im</strong> anfänglichen pianiss<strong>im</strong>o endete.<br />
<strong>Die</strong>ses Prinzip <strong>der</strong> Tongestaltung hat weitreichende Konsequenzen. Bedeutet es doch, dass<br />
<strong>der</strong> sostenuto-Ton nicht die Regel, son<strong>der</strong>n die Ausnahme war.<br />
6
Auch Johann Joach<strong>im</strong> Quantz äußert sich bezüglich <strong>der</strong> Messa di voce auf<br />
Holzblasinstrumenten:<br />
„Hat man eine lange Note entwe<strong>der</strong> von einem halben o<strong>der</strong> ganzen Tacte zu halten, welches die Italiener<br />
messa di voce nennen; so muß man dieselbe vors erste mit <strong>der</strong> Zunge weich anstoßen, und fast nur<br />
hauchen; alsdenn ganz piano anfangen, die Stärke des Tones bis in die Mitte <strong>der</strong> Note wachsen lassen;<br />
und von da eben wie<strong>der</strong> so abnehmen, bis an das Ende <strong>der</strong> Note: auch neben dem nächsten offenen Loche,<br />
mit dem Finger eine Bebung machen.<br />
<strong>Die</strong>se Bebung (ein Fingervibrato, von den Franzosen Flattement genannt) ist technisch nur<br />
auf Blasinstrumenten mit offenen Grifflöchern möglich. Es ist aber in Hinblick auf das Vibrato<br />
interessant festzustellen, dass diese beson<strong>der</strong>e Tongestaltungsverzierung nur punktuell an<br />
ausgewählten Stellen zum Einsatz kam.<br />
Sehr ausführlich behandelt Greta Moens-Haenen dieses Thema in ihrem empfehlenswerten<br />
Buch „Das Vibrato in <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> des <strong>Barock</strong>“.<br />
Intonation<br />
<strong>Die</strong> gleichschwebende St<strong>im</strong>mung 1 - beson<strong>der</strong>s auf Tasteninstrumenten angewendet - ist, wie<br />
alle Intonationsmodelle, ein intonatorischer Kompromiss. Das ideale und perfekte System<br />
existiert lei<strong>der</strong> nicht. Im <strong>Barock</strong> wurden, neben <strong>der</strong> anfänglich meist verwendeten<br />
sogenannten mitteltönigen St<strong>im</strong>mung, verschiedenste St<strong>im</strong>mungsmodelle „erfunden“ (u. a.<br />
von Kirnberger, Werckmeister, Valotti, Rameau, etc.). Sie verteilten in den zwölf<br />
Halbtonschritten <strong>der</strong> Oktave das sogenannte Pythagoreische Komma auf unterschiedlichste<br />
Weise und erhielten dadurch „gute“, „neutrale“ aber auch einige „schlechte o<strong>der</strong> gar<br />
unbrauchbare“ Tonarten. <strong>Die</strong> Konsequenz war, dass man sich – beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong><br />
Renaissance - auf Tonarten mit max<strong>im</strong>al vier Vorzeichen beschränkte.<br />
Gegen Mitte des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts ging die Entwicklung dann <strong>im</strong>mer mehr zur<br />
„gleichschwebenden Temperierung“, trotzdem behielt jede Tonart ihre eigene Klangfarbe.<br />
Darüber hinaus versuchten die <strong>Musik</strong>er, beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Intonierung <strong>der</strong> Terzen, Quinten<br />
und Sexten, möglichst „rein“ zu spielen. Das bedeutete in <strong>der</strong> Praxis, dass man einen<br />
Ganzton in zwei ungleich große Halbtöne teilte. Das Intervall C-Cis war ein kleiner, das<br />
Intervall C-Des ein großer Halbton. <strong>Die</strong> Konsequenz war, dass die großen Terzen enger und<br />
die kleinen Terzen entsprechend weiter wurden (umgekehrt fand dies bei den Sexten statt).<br />
Heute ist diese intervallabhängige Intonation großenteils lei<strong>der</strong> in Vergessenheit geraten.<br />
Aber je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> einmal einen Dur-Dreiklang mit einer tief intonierten großen Terz gespielt<br />
hat, wird die Wärme und das Runde dieses Klanges sofort bemerken.<br />
1 <strong>Die</strong>s ist das St<strong>im</strong>mungssystem, bei dem eine Oktave in zwölf gleichgroße Halbtöne aufgeteilt wird. Das hat zur<br />
Folge, dass kein Intervall wirklich rein ist. So sind beispielsweise die Quinten zu eng, die großen Terzen zu weit,<br />
etc.<br />
7
Auf die klangunterstützende Funktion <strong>der</strong> bei einem Zusammenspiel entstehenden<br />
Kombinationstöne einzugehen, würde den Rahmen dieses Buches sicher sprengen.<br />
Mo<strong>der</strong>ne Noteneditionen und Urtextausgaben<br />
Mo<strong>der</strong>ne Ausgaben historischer Werke sind für den <strong>Musik</strong>er hilfreich und praktisch. Sie sind<br />
<strong>im</strong> Vergleich zu Faks<strong>im</strong>iles leicht lesbar und meistens optisch klinisch rein. <strong>Die</strong>s kann leicht zu<br />
einer Gutgläubigkeit und zur generellen Erkenntnis „es steht alles Wichtige drin, und ich<br />
muss nur befolgen, was die Notation vorgibt verleiten. Verstärkt wird dieser Glaube, wenn<br />
zusätzlich noch „Urtext“ geschrieben steht, geht man ja dann davon aus, dass es <strong>der</strong><br />
originale Wille des Komponisten ist, <strong>der</strong> da vor einem liegt. <strong>Die</strong>s ist in den seltensten Fällen<br />
so.<br />
<strong>Die</strong> Urtext-Ausgaben orientieren sich an dem verfügbaren historischen Notenmaterial:<br />
zeitgenössische Abschriften, Manuskripte, Skizzen o<strong>der</strong> <strong>im</strong> besten Fall auch Drucke. Oftmals<br />
sind es auch nur Abschriften von Abschriften, o<strong>der</strong> es liegen verschiedene, inhaltlich stark<br />
abweichende Abschriften vor. Das bedeutet, dass es fast unmöglich ist, „den“ Urtext zu<br />
erstellen.<br />
Hierzu einige kritische Bemerkungen.<br />
Man kann grundsätzlich drei verschieden angelegte Editionen unterscheiden:<br />
a) eine als Urtext deklarierte Ausgabe, wo man basierend auf einen kritischen<br />
Bericht o<strong>der</strong> ein entsprechendes Vorwort davon ausgehen kann, dass<br />
ausschließlich <strong>der</strong> Text und Inhalt des vom Komponisten hinterlassenen<br />
Manuskripts o<strong>der</strong> einer Kopie desselben ohne editorische Zusätze<br />
wie<strong>der</strong>gegeben wird;<br />
b) eine Ausgabe, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Herausgeber eigene Zusätze, Ergänzungen o<strong>der</strong><br />
interpretatorische Vorschläge hinzugefügt, diese aber als solche deutlich<br />
gekennzeichnet hat. Oftmals findet sich die urtextliche Version nur in <strong>der</strong> Partitur<br />
und die erweiterte Version in den Einzelst<strong>im</strong>men wie<strong>der</strong>;<br />
c) schließlich noch diejenigen, aus meiner Sicht völlig unbrauchbaren und nicht zu<br />
empfehlenden, Editionen, bei denen nicht ersichtlich ist, was von <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> des<br />
Komponisten, bzw. vom Herausgeber stammt.<br />
Be<strong>im</strong> Spielen aus einem Urtext sollte man nicht dem Glauben verfallen, dass dort alles steht<br />
und dass man, wenn man diesem Notentext Folge leistet, gleichsam des Komponisten Wille<br />
und Vorstellung erfüllt.<br />
<strong>Die</strong> Notation konnte (und kann) niemals ein musikalisches Ereignis vollständig darstellen.<br />
Zu viele interpretatorische Parameter sind einfach nicht notierbar. Dazu kommt, dass die<br />
Rolle des <strong>Musik</strong>ers vor 1800 eine an<strong>der</strong>e als heute war. Von ihm wurde erwartet, dass er<br />
8
selbst kreativ in den Kompositionsprozess hineinwirkte. Das bedeutete, dass <strong>der</strong> Komponist<br />
(oft waren sie es auch in Personalunion) in <strong>der</strong> Regel nur ein „Gerüst“ lieferte, das <strong>der</strong><br />
Interpret mit eigener Fantasie und Kreativität ergänzte, ausschmückte, persönlich gestaltete.<br />
Ganz nach dem Prinzip: Notation ist eine Quelle <strong>der</strong> Inspiration.<br />
Aus genau diesem Grund finden sich u. a. in den Werken dieser Zeit kaum dynamische<br />
Bezeichnungen und teilweise nur sehr spärliche Artikulationshinweise. So bedeutet<br />
beispielsweise ein nur <strong>im</strong> ersten Takt auftretendes Legato, dass man <strong>im</strong> Verlauf des Satzes<br />
weiterhin diese Artikulationsform anwenden soll, und zwar nach den damals üblichen<br />
Mustern.<br />
Noch mehr Freiheiten hatte <strong>der</strong> Spieler bei <strong>der</strong> Gestaltung langsamer Sätze. Wer nur das<br />
spielte, was notiert war und auf das eigene Verzieren verzichtete, wurde selbst bei bester<br />
Intonation und schönstem Instrumentalklang, als musikalisch unvollkommen und somit als<br />
mittelmäßiger Künstler angesehen.<br />
So ist es auch nicht verwun<strong>der</strong>lich, wenn wir langsame Sätze, die „scheinbar“ schon<br />
teilverziert sind, als Vorlage für extensive Ornamente vorfinden, die <strong>der</strong> Maestro mit einem<br />
pädagogischen Auftrag <strong>der</strong> Nachwelt hinterlassen hat. 2<br />
Wie unterschiedlich und vielfältig diese Ausschmückungen ausfallen können, zeigt uns ein<br />
Vergleich bei einem Adagio von Arcangelo Corelli (s. Seite 40), welches verschiedene<br />
berühmte Zeitgenossen auf ihre persönliche und eigene Art verziert haben.<br />
<strong>Die</strong> Taktarten, ihr Charakter, <strong>der</strong> Stamm an Notenwerten<br />
<strong>Die</strong> Taktart eines Stückes hatte bis zum 19. Jahrhun<strong>der</strong>t eine wichtige Aussage zum<br />
Charakter, Tempo und zu weiteren interpretatorischen Aspekten. Zusätze wie Adagio,<br />
Allegro, Presto usw. waren ergänzend und konnten ggf. den Grundcharakter (tempo giusto)<br />
verän<strong>der</strong>n.<br />
Ein wichtiger Aspekt bei <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> vor 1800 ist, zu erkennen, ob eine<br />
Notengruppe Verzierungscharakter hat o<strong>der</strong> nicht. Dazu muss man wissen, dass in jener<br />
Zeit jede Taktart einen genau definierten Stamm an Notenwerten besaß, die sozusagen das<br />
Gerüst <strong>der</strong> Komposition bildeten. <strong>Die</strong>ser Stamm beinhaltet auch die sogenannten „kleinsten<br />
durchlaufenden Notenwerte“, welche fallweise mehr o<strong>der</strong> weniger ungleich (inégal) gespielt<br />
werden können/sollten (s. Kapitel Inégalité).<br />
Alle noch kleineren (schnelleren) Noten wurden als Verzierungsnoten angesehen und<br />
dementsprechend interpretiert.<br />
2 Siehe z. B. Georg Philipp Telemann: „Methodische Sonaten“, „Trietti metodici“, Quantz: verziertes Adagio <strong>im</strong><br />
„Versuch…“, Corelli: Sonaten Op. 5, „Adagio de Mr. Tartini, Varié de plusieurs façons differents…“.<br />
9
Nachfolgend werden die gängigsten Taktarten mit den jeweiligen Stammnotenwerten<br />
aufgeführt (dazu gehören natürlich auch die punktierten Noten).<br />
Der 4/4-Takt beinhaltet grundsätzlich: Ganze, Halbe, Viertel, Achtel und Sechzehntel (diese<br />
ggf. inégal gespielt). Alle kleineren Werte muss man als ornamentierende Noten betrachten.<br />
Wichtig: Ohne spezielle Tempobezeichnung ist <strong>der</strong> 4/4 Takt in seinem Grundtempo, auch<br />
Tempo giusto genannt, gemäßigt bis sehr langsam!<br />
Der 2/4-Takt setzt sich aus Halben, Vierteln, Achteln und Sechzehnteln zusammen. Er ist von<br />
Natur aus schnell und bewegt.<br />
Der 2/2-Takt ist vom Charakter her rasch und lebhaft. Er beinhaltet Ganze, Halbe, Viertel<br />
und Achtel. Letztere können ungleich gespielt werden.<br />
Wichtig: In <strong>der</strong> französischen <strong>Musik</strong> findet man meistens nur eine „2“ vorgeschrieben. <strong>Die</strong>se<br />
Taktart wurde noch schneller gespielt als <strong>der</strong> (italienische) Alla breve-Takt.<br />
Im 3/4-Takt finden wir als Stammnoten die Halbe, Viertel und Achtel (diese ggf. ungleich<br />
gespielt).<br />
Der 3/2-Takt wird aus Ganzen, Halben und Vierteln (diese ggf. inégal) gebildet.<br />
<strong>Die</strong> 3/8-, 6/8-, 9/8- und 12/8-Takte sind in <strong>der</strong> Regel flott und bestehen aus Vierteln,<br />
Achteln und (manchmal) Sechzehnteln. Grundsätzlich wird eine punktierte Viertel (drei<br />
Achtel) als Grundschlag genommen.<br />
Der französische und italienische Stil<br />
Eine in <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>geschichte einmalige Situation begann Ende des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts das<br />
musikalische Europa zu spalten. Was war geschehen?<br />
Gegen 1670 begannen sich in den zu jener Zeit wichtigsten <strong>Musik</strong>nationen Europas die<br />
sogenannten Nationalstile herauszubilden. In Frankreich geschah dies unter dem<br />
richtungsbest<strong>im</strong>menden Lully, <strong>der</strong> von König Ludwig XIV. sämtliche Privilegien für die<br />
Koordination des <strong>Musik</strong>lebens am Hofe erhielt. In Italien hatte sich zeitgleich Corelli als<br />
Maßstab für das solistische (Violin)Spiel und das Concerto grosso etabliert. Stilistisch<br />
unterschieden sich diese Nationalstile stark voneinan<strong>der</strong>. An den europäischen Höfen wurde<br />
meistens nur einer dieser Stile bevorzugt und so mussten die <strong>Musik</strong>er entwe<strong>der</strong> <strong>im</strong><br />
italienischen o<strong>der</strong> französischen Kompositionsstil musizieren. Das führte dazu, dass François<br />
Couperin <strong>im</strong> Vorwort seines „L‘ Art de toucher le Clavecin“ anmerkt:<br />
„Meiner Meinung nach liegen in unserer <strong>Musik</strong>nie<strong>der</strong>schrift Fehler, die in unserer Sprachnie<strong>der</strong>schrift<br />
begründet sind. Wir notieren nämlich abweichend von unserer wirklichen Ausführung; daher spielen die<br />
Auslän<strong>der</strong> unsere <strong>Musik</strong> weniger gut als ihre eigene, umgekehrt schreiben die Italiener ihre <strong>Musik</strong> in den<br />
10
ichtigen Werten, so wie sie diese gedacht haben. Zum Beispiel spielen wir mehrere stufenmäßig<br />
verlaufende Achtel, als seien sie punktiert, und doch zeichnen wir sie als gleichwertig auf.“<br />
In Frankreich dominierte <strong>im</strong> allgemeinen <strong>Musik</strong>leben <strong>der</strong> Tanz. Folglich findet man in den<br />
Kompositionen überdurchschnittlich häufig Tanzsätze (oft in Suiten zusammengefasst o<strong>der</strong><br />
für das Ballett), daneben kürzere, prägnante Pièces, und Charakterstücke (Tombeau, Plainte,<br />
etc.). Als größtes Spektakel wurde die Oper (meist in Form <strong>der</strong> Tragédie lyrique o<strong>der</strong><br />
Comédie ballet) zelebriert, in <strong>der</strong> ebenfalls <strong>der</strong> Tanz eine <strong>im</strong>mer präsente Rolle spielte.<br />
<strong>Die</strong> Italiener hingegen bevorzugten in <strong>der</strong> Instrumentalmusik die Form von Sonaten,<br />
Konzerten o<strong>der</strong> Concerti grossi. Ihre Oper kam fast ohne Ballett aus und unterschied sich zur<br />
französischen u.a. durch stark melodiegeprägte, ausufernde und hochvirtuose Arien, die oft<br />
für Kastraten komponiert wurden.<br />
<strong>Die</strong>ser Unterschied spiegelt sich auch in <strong>der</strong> <strong>Ornamentik</strong> <strong>der</strong> beiden Stile wie<strong>der</strong>. <strong>Die</strong><br />
Franzosen notierten minuziös meistens durch spezielle Zeichen dargestellte Verzierungen.<br />
Fast je<strong>der</strong> längere Ton bekam ein Agrément. Dafür musste man jedoch diese Zeichen<br />
verstehen, was oft nicht so einfach war, da viele Komponisten ihre eigene Nomenklatur<br />
„erfanden“.<br />
Das Verzieren <strong>der</strong> Italiener war viel mehr auf ausgiebige melodisch-virtuose Passagen<br />
ausgerichtet. Es wurden zwar auch Triller, Mordente etc. eingesetzt, doch spielten diese in<br />
<strong>der</strong> Gesamtheit eine untergeordnete Rolle.<br />
Quantz beschreibt diese stilistischen und geschmacklichen Unterschiede sehr treffend:<br />
„<strong>Die</strong> Italiäner sin in <strong>der</strong> Composition uneingeschränkter, prächtig, lebhaft, ausdrückend, tiefsinnig,<br />
erhaben in <strong>der</strong> Denkart, etwas bizarr, frey, verwegen, frech, ausschweifend, <strong>im</strong> Metrum zuweilen<br />
nachlässig; sie sind aber auch singend, schmeichelnd, zärtlich, rührend und reich an Erfindung. Sie<br />
schreiben mehr für Kenner als für Liebhaber. <strong>Die</strong> Franzosen sind in <strong>der</strong> Composition zwar lebhaft,<br />
ausdrückend, natürlich, dem Publicum gefällig und begreiflich, und richtiger <strong>im</strong> Metrum als jene, sie sind<br />
aber we<strong>der</strong> tiefsinnig und kühn, son<strong>der</strong>n sehr eingeschränket, sklavisch, sich selbst <strong>im</strong>mer ähnlich, niedrig<br />
in <strong>der</strong> Denkart, trocken an Erfindung; sie wärmen die Gedanken ihrer Vorfahren <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> auf, und<br />
schreiben mehr für Liebhaber als für Kenner.“ („Versuch…,“ XVIII. Hauptstück, § 76)<br />
Aus dieser Sicht definiert Quantz einen „deutschen, vermischten Stil“, <strong>der</strong> gewissermaßen<br />
die besten Eigenschaften aus <strong>der</strong> italienischen und französischen Schreibweise zieht.<br />
Für uns ist es von Bedeutung, eine zu verzierende Komposition stilistisch einzuordnen. <strong>Die</strong><br />
meisten Komponisten verpflichteten sich einer Stilrichtung, einige wenige waren jedoch in<br />
<strong>der</strong> Lage, in allen „Sprachen“ zu schreiben. Hierzu gehören sicherlich Georg Philipp<br />
Telemann und Joseph Bodin de Boismortier.<br />
Beson<strong>der</strong>s für die Interpretation von Tanzsätzen galten auch über die Grenzen hinaus<br />
grundsätzlich die französischen Regeln und Konventionen.<br />
11
Als typische Beispiele <strong>der</strong> jeweiligen Stilrichtung kann man die folgenden Beispiele sehen.<br />
Allein die Notenbil<strong>der</strong> unterscheiden sich deutlich voneinan<strong>der</strong> und zwingen den Interpreten<br />
in ganz unterschiedliche Rollen.<br />
12
<strong>Die</strong>ses Stück von Michel Pignolewt de Montéclair zeigt uns auf wun<strong>der</strong>bare Weise die<br />
filigrane Ausgestaltung <strong>der</strong> Verzierung in den Doubles. Als Inspiration für ähnliche Sätze ist<br />
dies durchaus geeignet!<br />
Freigiebig und ausufernd in den virtuosen Girlanden präsentiert sich das folgende Beispiel<br />
aus <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> von Corelli. <strong>Die</strong> meisten Verzierungen „passen“ nicht ins rhythmische Gefüge,<br />
und man wird als Spieler sicherlich nicht ohne ein gewisses Maß an Tempo rubato diese<br />
Tonkaskaden sauber und akkurat spielen können.<br />
13
<strong>Die</strong> wesentlichen Manieren<br />
Der Triller<br />
„<strong>Die</strong> Triller geben dem Spielen einen großen Glanz; und sind, so wie die Vorschläge, unentbehrlich. Wenn<br />
ein Instrumentist, o<strong>der</strong> Sänger, alle Geschicklichkeit besäße, welche <strong>der</strong> gute Geschmack in <strong>der</strong> Ausführung<br />
erfor<strong>der</strong>t; er könnte aber keinen guten Triller schlagen: so würde seine ganze Kunst unvollkommen sein.“<br />
(Quantz)<br />
Als Triller versteht man den schnellen Wechsel zweier Noten <strong>im</strong> Abstand einer Sekund<br />
(kleine o<strong>der</strong> große). <strong>Die</strong>ser Wechsel kann einmal o<strong>der</strong> auch mehrmals erfolgen.<br />
Der Triller (Trillo, Tremblement, Cadance, Shake, etc.) ist die vielleicht am häufigsten<br />
verwendete Verzierung in <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>. Speziell <strong>im</strong> <strong>Barock</strong> und <strong>der</strong> Klassik ist <strong>der</strong> Triller in<br />
vielen unterschiedlichen Formen allgegenwärtig. In beinahe je<strong>der</strong> Kadenz verlangt <strong>der</strong> „gute<br />
Geschmack“ einen Triller, und auch sonst werden <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> best<strong>im</strong>mte Töne mit diesem<br />
Ornament geschmückt.<br />
Nun ist es häufig so, dass <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>ausübende bei einem Trillerzeichen (+, t, tr, u. a. m.)<br />
reflexartig reagieren und dabei möglichst schnell den/die entsprechenden Finger auf und ab<br />
bewegen. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten<br />
gibt, die dem Triller ganz best<strong>im</strong>mte musikalische Ausdrucksformen<br />
zuteilwerden lassen. Das Zeichen selbst sagt ja nichts aus über die Ausführung desselben.<br />
Bereits die Geschwindigkeit hat einen Einfluss auf den Ausdruck: Bei einem traurigen Stück<br />
sollte sie grundsätzlich niedriger sein als bei einem heiteren Satz. Desgleichen wird man in<br />
einem Raum mit viel Nachhall langsamer trillern als in einer trockenen Akustik.<br />
Aber versuchen wir den Triller einmal quasi medizinisch zu sezieren. Generell besteht dieser<br />
aus drei Abschnitten:<br />
1. Einleitung (Vorhalt)<br />
2. eigentliche Trillerbewegung<br />
3. Abschluss<br />
Zu 1.<br />
Ab ca. 1670 wurde <strong>der</strong> Triller grundsätzlich von <strong>der</strong> oberen Nebennote begonnen. <strong>Die</strong>se<br />
Regel gilt mit wenigen Ausnahmen bis nach 1800. Erst dann wird von den meisten<br />
Theoretikern und Komponisten verlangt, mit <strong>der</strong> Hauptnote zu beginnen. Vor 1670 war es<br />
üblich, den Trillo o<strong>der</strong> auch Tremolo von <strong>der</strong> Hauptnote beginnen zu lassen.<br />
<strong>Die</strong>se Regel verlangt also vom Spieler, dass er den Triller mit einem Ton beginnt, <strong>der</strong> in den<br />
meisten Fällen nicht ausgeschrieben, also auch nicht sichtbar ist. Er muss somit diesen<br />
14
sichtbaren Ton (die Hauptnote) ignorieren und die unsichtbare, obere Nebennote greifen<br />
(drücken). <strong>Die</strong>se mentale Hürde wird aber mit <strong>der</strong> Zeit, durch Übung, zum Reflex.<br />
Wenn die Note mit dem Triller „auf dem Schlag“ geschrieben ist, sollte <strong>der</strong> Triller auch auf<br />
dem Schlag beginnen und nicht antizipiert werden. <strong>Die</strong>ser Fehler wird oft begangen, vor<br />
allem bei kürzeren Noten, vermutlich aus Furcht, nicht genügend Zeit für die<br />
Trillerbewegung zu haben. <strong>Die</strong>se Angst ist jedoch unbegründet, wenn man nur eine<br />
Trillerbewegung macht.<br />
Interessanter wird die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem Trillerbeginn bei längeren Noten.<br />
Speziell in langsamen Stücken gewinnt man deutlich an Expressivität, wenn <strong>der</strong> Vorhalt (die<br />
obere Nebennote) relativ lang und auch betont gespielt wird. Da dieser meistens dissonant<br />
ist, verstärkt sich somit <strong>der</strong> musikalische Ausdruck.<br />
In <strong>der</strong> Folge einige Beispiele wie <strong>der</strong> Beginn eines Trillers variiert werden kann:<br />
a. bei einem kurzen Ton<br />
b. bei einem längeren Ton<br />
Weitere Varianten für den Beginn eines Trillers zeigt u.a. Johann Sebastian Bach in seiner<br />
Verzierungstabelle:<br />
Zu 2.<br />
<strong>Die</strong> eigentliche Trillerbewegung kann, wie bereits erwähnt, schneller o<strong>der</strong> auch langsamer<br />
sein, je nach Affekt <strong>der</strong> musikalischen Passage. Aber auch an<strong>der</strong>e Varianten können die<br />
Ausdruckspalette erweitern:<br />
a. beschleunigte Triller<br />
b. gebremste Triller<br />
15
Lange Triller wurden gerne beschleunigend gespielt, auch das war eine Maßnahme gegen<br />
(mechanische) Einförmigkeit.<br />
Anmerkung: In vielen historischen Quellen (beson<strong>der</strong>s in Lehrwerken für Blasinstrumente)<br />
findet man eine Beson<strong>der</strong>heit: In Fällen, wo die normale und „logische“ Fingerbewegung<br />
be<strong>im</strong> Triller ein zu enges Intervall erzeugt, wird in den Trillertabellen eine Alternative<br />
angeboten, bei <strong>der</strong> das Ergebnis ein (viel) zu weites Intervall ist. Dadurch soll eine deutliche<br />
Unterscheidung zwischen dem Triller und dem oft verwendeten „Flattement“ (Fingervibrato)<br />
bewirkt werden. Letzteres soll, wie es <strong>der</strong> Name suggeriert, einen schmeichelnden und<br />
sanften Charakter haben.<br />
Zu 3.<br />
Je<strong>der</strong> Triller muss in irgendeiner Form beendet werden. Oft wird vom Komponisten<br />
vorgegeben, wie <strong>der</strong> Abschluss sein soll, aber genauso oft findet man keinen Hinweis und<br />
muss selbst entscheiden, wie sich diese Verzierung auflösen soll.<br />
Vielfach endet die Trillerbewegung in einem „Point d’arrêt“. <strong>Die</strong>sem unterschiedlich langen<br />
Haltepunkt kann eine Antizipation des nachfolgenden Tones folgen. In diesem Fall war es<br />
üblich, zwischen Point d’arrêt und Antizipation eine kleine Klanglücke zu machen.<br />
<strong>Die</strong> folgenden Beispiele zeigen die häufigsten Formeln um einen Triller zu beenden:<br />
a. ohne Auflösung<br />
b. mit Antizipation<br />
16
c. mit Nachschlag<br />
d. „Double cadence coupé“<br />
Zu berücksichtigen ist auch die Dynamik eines Trillers o<strong>der</strong>, genauer gesagt die dynamische<br />
Entwicklung desselben. Grundsätzlich ist ja die Hauptbetonung einer Note, die auf dem<br />
Schlag gespielt wird, <strong>im</strong>mer am Beginn <strong>der</strong>selben.<br />
Ausnahmen sind längere Noten bei denen eine Messa di voce (dies ist das stufenlose<br />
Anschwellen und Abnehmen vom p zum f und zurück) erwartet wird.<br />
Anmerkung: Häufig hört man, dass in dem Moment wo <strong>der</strong>/die Finger zu trillern beginnen,<br />
klanglich „nachgedrückt“ wird. Das hängt meistens mit <strong>der</strong> technischen Schwierigkeit<br />
zusammen, die schnelle Fingerbewegung mit einer dynamischen Entspannung zu koppeln.<br />
Als Ergebnis entsteht, wenn <strong>der</strong> Triller einsetzt, ein crescendo o<strong>der</strong> gar einen Akzent. Aus<br />
harmonischer Sicht ist aber genau hier eine klangliche Entspannung angebracht.<br />
Wo darf/sollte getrillert werden?<br />
Triller an vielen Stellen bereits von den Komponisten notiert. Oft jedoch fehlt diese<br />
Bezeichnung, da in <strong>der</strong> damaligen Zeit allgemein vorausgesetzt wurde, dass ein <strong>Musik</strong>er „mit<br />
gutem Geschmack“ genau wusste, wo ein Triller gespielt werden sollte.<br />
Nachfolgend einige typische Stellen, an denen ein Triller angebracht werden kann:<br />
a. auf hochalterierten Noten<br />
b. auf Noten (auf dem Schlag) wenn diese <strong>im</strong> Terz- o<strong>der</strong> Dez<strong>im</strong>abstand zum Bass stehen<br />
17
c. in Kadenzen, Trugschlüssen o<strong>der</strong><br />
d. an<strong>der</strong>en Formen eines Phrasenabschlusses.<br />
Beson<strong>der</strong>e Fälle:<br />
a. Durchgangsnoten: Bei (meist kürzeren) Durchgangsnoten in Abwärtsbewegung wird<br />
<strong>der</strong> Triller gerne als zusätzliche Belebung eingesetzt. Auch hier sollte er mit <strong>der</strong><br />
oberen Nebennote beginnen.<br />
b. Ausgeschriebene Vorhalte: Manchmal wird <strong>der</strong> Trillervorhalt als reale Note vom<br />
Komponisten notiert. <strong>Die</strong>s geschieht meistens über einem ebenfalls notierten<br />
Quartsextakkord. In diesem Fall bindet man den Triller an den Vorhalt und beginnt<br />
ihn direkt mit <strong>der</strong> Hauptnote.<br />
18
Der Mordent<br />
Der Mordent (Battement, Pincè, Beat) ist, wie die Namensgebung in den verschiedenen<br />
Sprachen andeutet (Schlag, Kneifer, Beißer), eine vom Charakter lebhafte bis teilweise<br />
aggressive Verzierung. Sie unterstützt Betonungen und hebt ausgewählte Töne hervor.<br />
Je nach Komponist wird man unterschiedlichste Zeichen vorfinden, die aber letztlich alle<br />
dasselbe bedeuten: <strong>der</strong> schnelle Wechsel mit <strong>der</strong> unteren Nebennote.<br />
<strong>Die</strong>s kann einmal o<strong>der</strong> mehrfach ausgeführt werden.<br />
Verzierungstabelle von J. S. Bach: aus dem „Clavier-Büchlein für Wilhelm Friedemann Bach“<br />
Francesco Geminiani beschreibt den Mordent wie folgt:<br />
„<strong>Die</strong>se Manier kann verschiedene Leidenschaften ausdrücken; z. Bsp., wenn sie mit Kraft und lange<br />
ausgeführt wird, drückt sie Raserei, Zorn, Entschlossenheit aus. Wenn sie weniger kräftig und kürzer<br />
gespielt wird, drückt sie Frohsinn, Genugtuung aus. Wenn man sie ziemlich zart spielt und dann<br />
crescendiert, versinnbildlicht sie Entsetzen, Furcht, Kummer, Wehklage. Wenn man die Manier kurz<br />
ausführt und die Note dann weich crescendiert, drückt sie Liebe und Vergnügen aus.“<br />
(„The Art of Playing the Violin“, London 17521<br />
19
Der Vorhalt und/o<strong>der</strong> Vorschlag<br />
„<strong>Die</strong> Vorschläge sind <strong>im</strong> Spielen sowohl Zierrat als auch eine notwendige Sache. Ohne dieselben würde<br />
eine Melodie sehr mager und einfältig klingen. Soll eine Melodie galant aussehen, so kommen <strong>im</strong>mer mehr<br />
Konsonanzen als Dissonanzen darin vor. Wenn <strong>der</strong> ersteren viele nacheinan<strong>der</strong> gesetzt werden, und nach<br />
einigen geschwinden Noten eine konsonierende lange folgt, so kann das Gehör dadurch leicht ermüdet<br />
werden. <strong>Die</strong> Dissonanzen müssen also dann und wann gleichsam wie<strong>der</strong> aufmuntern. Hierzu können die<br />
Vorschläge viel beitragen, weil sie, wenn sie vor <strong>der</strong> Terz o<strong>der</strong> Sext, vom Grundton aus gerechnet, stehen,<br />
sich in Dissonanzen als Quarten o<strong>der</strong> Sept<strong>im</strong>en verwandeln, durch die folgende Note aber ihre gehörige<br />
Auflösung bekommen.“ (Quantz)<br />
Bevor wir uns mit dem Vorschlag (auch Vorhalt Appoggiatura, Acciaccatura, Port de voix,<br />
Coulé, Accent) auseinan<strong>der</strong>setzen, müssen einige Worte zur Terminologie gesagt werden.<br />
Bereits <strong>im</strong> 18. Jahrhun<strong>der</strong>t war man sich uneinig, ob es nun Vorhalt o<strong>der</strong> Vorschlag heißen,<br />
und ob man je nach dessen Länge o<strong>der</strong> rhythmischer Gestaltung eine unterschiedliche<br />
Bezeichnung verwenden sollte. <strong>Die</strong>se Begriffsdiskussion dauert bis heute an.<br />
Ich schlage deshalb vor, den längeren, auf dem Schlag gespielten Vorhalt von dem kurzen,<br />
vor dem Schlag gespielten Vorschlag zu unterscheiden.<br />
<strong>Die</strong>ses beson<strong>der</strong>e Ornament ist sicherlich das vielseitigste und auch dasjenige, welches am<br />
meisten Fragen aufwirft. Lei<strong>der</strong> ist die Notation nicht in <strong>der</strong> Lage, diese eindeutig zu<br />
beantworten. Vor o<strong>der</strong> auf den Schlag, kurz o<strong>der</strong> lang, betont o<strong>der</strong> unbetont, das sind<br />
Entscheidungen, die deshalb nicht <strong>im</strong>mer leicht zu treffen sind, für die es aber be<strong>im</strong><br />
genaueren Hinsehen verschiedene Hinweise gibt, wie man sie gestalten sollte.<br />
Grundsätzlich gab es zwei Arten, einen Vorschlag/Vorhalt zu notieren:<br />
- durch eine (kleine) Note (meistens eine Achtel- o<strong>der</strong> Sechzehntelnote), welche <strong>der</strong><br />
Hauptnote vorangestellt wird.<br />
- durch ein spezielles Zeichen. <strong>Die</strong>ses kann je nach Komponist ganz unterschiedlich<br />
ausfallen.<br />
Gespielt werden sie<br />
- vor dem Schlag <strong>im</strong>mer kurz und unbetont,<br />
- auf dem Schlag betont und je nach Spielsituation kurz bis lang<br />
Da die Komponisten früher nicht <strong>im</strong>mer die Vorhalte o<strong>der</strong> Vorschläge notiert bzw. dies nur<br />
teilweise getan haben, sollte man generell die Möglichkeit in Erwägung ziehen, diese<br />
Ornamente selber einzusetzen. Dafür gibt es einige einfache Regeln, welche die Stellen leicht<br />
erkenntlich machen, wo „es passt“:<br />
20
1. Längere Vorhalte (auf dem Schlag):<br />
- wenn die Melodiest<strong>im</strong>me einen Sekundschritt abwärts zu einer „guten“ (betonten)<br />
Note macht.<br />
- wenn die Melodiest<strong>im</strong>me einen Sekundschritt aufwärts zu einer „guten“ (betonten)<br />
Note macht.<br />
- bei einer beson<strong>der</strong>s ausdrucksstarken Note auf einer guten Taktzeit.<br />
Wichtig: Be<strong>im</strong> Spielen eines Vorhaltes sollte man bewusst eine Dissonanz erzeugen, einen<br />
Zustand <strong>der</strong> harmonischen Spannung, <strong>der</strong> anschließend in einer Konsonanz aufgelöst wird.<br />
Somit ist <strong>der</strong> Vorhalt <strong>im</strong>mer stärker zu spielen als die Auflösung.<br />
2. Kurze Vorschläge (vor dem Schlag)<br />
- bei einer Tonwie<strong>der</strong>holung<br />
21
- bei <strong>der</strong> rhythmischen Figur Achtel-Sechzehntel-Sechzehntel<br />
- bei fallenden Terzsprüngen<br />
Zur Gestaltung <strong>der</strong> Vorschläge/Vorhalte:<br />
Speziell in <strong>der</strong> französischen <strong>Musik</strong> liest man <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> (Jacques-Martin Hotteterre,<br />
Montéclair, etc.), dass auf einen Port de voix (Vorhalt von <strong>der</strong> unteren Nebennote) ein<br />
Battement (Mordent) folgen soll. Oft wird diese Kombination aus zwei Verzierungen auch<br />
ausnotiert.<br />
Manchmal findet sich ein „Vorschlag eines Vorhalts“. Da ersterer in <strong>der</strong> Regel konsonant ist,<br />
sollte er kurz und vor <strong>der</strong> Zeit gespielt werden um die Dissonanz nicht zu entschärfen.<br />
22
Dauer:<br />
Wie bereits geschrieben, ist <strong>der</strong> vor dem Schlag gespielte Vorschlag <strong>im</strong>mer kurz, meistens so<br />
kurz wie möglich.<br />
Der Vorhalt auf dem Schlag variiert in seiner Länge. Je nach Dauer <strong>der</strong> Hauptnote, Tempo<br />
und Affekt des Stückes, sowie abhängig von <strong>der</strong> harmonischen Spannung kann man ihn<br />
gedehnter (appoggiato) o<strong>der</strong> eher durchgehend (en passant) spielen.<br />
Geschmacksän<strong>der</strong>ung:<br />
Ab ca. 1750, als sich mehr und mehr ein galanter Kompositionsstil durchsetzte, begann man<br />
die Vorhalte in einem genauen arithmetischen Verhältnis zur Hauptnote zu spielen:<br />
- Bei 2-wertigen Noten war die Vorhaltsdauer genau die Hälfte <strong>der</strong> Hauptnote.<br />
- Bei 3-wertigen Noten betrug die Dauer 2/3 <strong>der</strong> Hauptnote<br />
Wichtig: Für eine deutliche Gestaltung empfiehlt es sich, vor <strong>der</strong> Vorhaltsnote eine ganz<br />
kurze Artikulationszäsur zu machen. Dadurch bekommt letzterer einen deutlicheren und<br />
verstärkten Ausdruck.<br />
Abschließend möchte ich dich ermutigen, Vorschläge und Vorhalte großzügig einzusetzen.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e wenn das Stück wenige Dissonanzen aufweist, wenn also auf „guten“ Noten<br />
die Melodie eine Terz, Sext o<strong>der</strong> Oktave zum Bass spielt, dann kann ein Vorhalt für mehr<br />
„harmonische Würze“ sorgen.<br />
Anmerkung: Der heute lei<strong>der</strong> häufig auch in Neueditionen barocker Werke anzutreffende<br />
durchgestrichene Vorschlag wurde erst <strong>im</strong> 19. Jahrhun<strong>der</strong>t eingeführt. Er sollte auf<br />
eindeutige Weise einen kurzen Vorhalt kennzeichnen.<br />
23
Der Schleifer<br />
Der Schleifer (Port de voix double) ist eine Verzierung, die gerne zur Ausdrucksverstärkung<br />
o<strong>der</strong> auch zur Hervorhebung eines Tones verwendet wird. Er beginnt eine Terz unter <strong>der</strong><br />
Hauptnote. Je nach gewünschtem Ausdruck spielt man den Schleifer auf dem Schlag<br />
(energische Wirkung, Betonung wird verstärkt) o<strong>der</strong> vor demselben (schmeichelnd,<br />
Betonung wird abgeschwächt). Gerne wird <strong>der</strong> Schleifer bei größeren Intervallsprüngen<br />
aufwärts gespielt.<br />
In diesem Fall kann man sich eine Ausführung vorstellen, die sich quasi „zwischendrin“<br />
befindet. Also we<strong>der</strong> auf dem Schlag noch deutlich davor. So ist die Wirkung entsprechend<br />
dem Affekt beson<strong>der</strong>s flehend und ausdrucksvoll.<br />
Eine verstärkende Wirkung erhält man, wenn <strong>der</strong> Schleifer auf dem Schlag eine Dehnung <strong>der</strong><br />
ersten Note erfährt.<br />
Der Chûte<br />
<strong>Die</strong>se Verzierung ist eigentlich eine Antizipierung einer tieferen Note.<br />
„Bei einem Chûte fällt die St<strong>im</strong>me, nachdem sie den Ton für eine Weile ausgehalten hat, sanft und fast sterbend<br />
zum nächsten, tiefer gelegenen Ton“ (Montéclair)<br />
24
Der Doppelschlag<br />
Der Doppelschlag (in Frankreich Tour de gosier genannt) ist die Umspielung eines Einzeltons.<br />
<strong>Die</strong>se kann am Anfang o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Verlauf des Tones geschehen und beginnt meistens mit <strong>der</strong><br />
oberen Nebennote. Er wurde eher <strong>im</strong> Spätbarock und in <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> <strong>der</strong> Klassik verwendet.<br />
Montéclair schreibt zur zweiten Art: „Bei dieser Version des Doppelschlags bekommt <strong>der</strong> Beginn <strong>der</strong> Note<br />
eine Betonung, die Verzierung hingegen wird leicht und schnell ausgeführt. Man kann auch noch einen Triller<br />
hinzufügen“.<br />
Der Accent<br />
Eine ganz beson<strong>der</strong>e und fast in Vergessenheit geratene Verzierung ist <strong>der</strong> Accent (auch<br />
Aspiration genannt). <strong>Die</strong>se Verzierung, die ursprünglich aus <strong>der</strong> Gesangstechnik entlehnt<br />
wurde, ist eine kurze und meist schwache Tonerhöhung am äußersten Ende einer längeren,<br />
ausdrucksstarken Note.<br />
Der Accent wird in <strong>der</strong> Regel bei einem fallenden Intervall o<strong>der</strong> auch bei gleichbleiben<strong>der</strong><br />
Tonhöhe auf einer punktierten Note gespielt.<br />
Er wird vor allem in klagenden, zarten und empfindsamen Stücken angewendet.<br />
Wichtig: Spiele den Accent so spät wie möglich, ganz leicht und sehr kurz, sozusagen<br />
unauffällig.<br />
25
Beson<strong>der</strong>e Verzierungen<br />
Das Vibrato<br />
<strong>Die</strong>se Verzierung – ja, bis ins 20. Jahrhun<strong>der</strong>t wurde das Vibrato als solches gesehen! –<br />
wurde <strong>im</strong> <strong>Barock</strong> sehr bewusst und differenziert eingesetzt. Je nach Instrument o<strong>der</strong> auch<br />
Sprache nannte man diese Tonbelebung Bebung, Flattement, Tremolo,Trillo, Sweetening,<br />
Close Shake o<strong>der</strong> Balancement. Den Begriff „Vibrato“ kannte man damals noch nicht.<br />
Da dieses spezielle Thema sehr umfangreich ist und nicht zuletzt für jedes Instrument<br />
unterschiedlich behandelt werden muss, werde ich mich hier nur allgemeinen Aspekten<br />
widmen. Wer mehr über das Vibrato <strong>im</strong> <strong>Barock</strong> erfahren möchte, dem sei das äußerst<br />
empfehlenswerte Buch „Das Vibrato <strong>im</strong> <strong>Barock</strong>“ von Greta Moens-Haenen ans Herz gelegt<br />
(s. Bibliographie/Sekundär-quellen).<br />
Das Vibrato (ich bleibe bei diesem generalisierenden Begriff) wurde seit jeher als eine von<br />
vielen Verzierungen gesehen, die man bewusst und gezielt einsetzte. Und zwar nicht pr<strong>im</strong>är<br />
zur Tonbelebung o<strong>der</strong> Klangverschönerung, son<strong>der</strong>n mit <strong>der</strong> Absicht, einen best<strong>im</strong>mten<br />
Affekt o<strong>der</strong> ein Charakter zu unterstreichen. Das ist von <strong>der</strong> Grundeinstellung ein wichtiger<br />
Unterschied.<br />
Fast <strong>im</strong>mer wurde das Vibrato auch mit <strong>der</strong> Messa di voce in Verbindung gebracht: am<br />
klanglichen Höhepunkt sollte die Tonschwingung sozusagen das Sahnehäubchen sein. <strong>Die</strong>s<br />
beschreibt Roger North, ein weitgereister <strong>Musik</strong>liebhaber, sehr plastisch:<br />
„Als nächstes würde ich sie lernen lassen, einen Klang unmerklich an- und abschwellen zu lassen, so dass er<br />
auch einer Windbö ähnlich sei, die mit einem sanften Luftzug beginnt und dann allmählich zu einer<br />
Stärke anwächst, die alles biegen lässt, und dann wie<strong>der</strong> zur Ruhe kommt und ausstirbt. Und als nächstes,<br />
auf dieses Anschwellen <strong>der</strong> Note eine sanfte und langsame Schwingung anzubringen, aber nicht bis zum<br />
Triller.“<br />
Eine weitere heute oft falsch interpretierte Form des Vibratos wurde wie folgt notiert:<br />
<strong>Die</strong>se Notation bedeutete<br />
- für Bläser eine durch die Atemmuskulatur erzeugte Schwingung,<br />
- bei Streichern ein Bogenvibrato, das durch unterschiedlichen Druck auf die Saite<br />
entsteht.<br />
Der Ton wird nur am Beginn des Haltebogens artikuliert, anschließend erzeugt man die<br />
rhythmisch vorgegebene, mensurierte Schwingung. In keinem Fall ist hier, wie oft gehört,<br />
eine Portato-Artikulation gemeint! Be<strong>im</strong> zweiten, mit Punkten über den Noten versehenen<br />
Beispiel, soll die Schwingung verstärkter sein.<br />
26
Zusammenfassend kann man folgendes festhalten:<br />
- Der Einsatz des Vibratos wird vom vorherrschenden Affekt in <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> mitbest<strong>im</strong>mt<br />
- Vor allem bei sanftem, traurigem o<strong>der</strong> auch lieblichem Charakter wurde gerne<br />
vibriert.<br />
- Desgleichen bei <strong>Musik</strong>, die Angst, Schrecken o<strong>der</strong> auch Wut und Zorn darstellt.<br />
- Als betonendes Ausdrucksmittel setzte man das Vibrato ebenfalls ein: bei<br />
Höhepunkten, dramatischen Momenten, gegen Ende einer Kl<strong>im</strong>ax o<strong>der</strong> bei<br />
harmonischen Überraschungen.<br />
- Je rhetorischer die <strong>Musik</strong>, umso gezielter wurde das Vibrato verwendet.<br />
Ein beson<strong>der</strong>er Fall:<br />
Bei Holzblasinstrumenten, auf denen heutzutage (selbstverständlich) das Atemvibrato<br />
angewendet wird, wurde dieses in den Lehrwerken des <strong>Barock</strong>s gar nicht o<strong>der</strong> nur sehr<br />
spärlich erwähnt. Oft auch negativ bewertet, verglich man es mit <strong>der</strong> Gesangsst<strong>im</strong>me älterer<br />
Menschen, die nicht mehr in <strong>der</strong> Lage waren, einen geraden Ton zu singen.<br />
Da sämtliche Holzblasinstrumente zu <strong>der</strong> Zeit offene Grifflöcher besaßen, wurde auf diesen<br />
das sogenannte Flattement (Quantz nannte es Bebung) ausgeführt. Der o<strong>der</strong> die<br />
entsprechenden Finger erzeugten eine Schwingung indem sie die aus dem Griffloch<br />
entweichende Luftsäule durch Auf- und Ab Bewegung „kneteten“.<br />
Interessant ist in diesem Zusammenhang das folgende Beispiel. Pierre Danican Philidor<br />
markiert die Töne, auf denen er ein Flattement erwartet. <strong>Die</strong> Wellenlinie über dem Ton ist<br />
dafür das entsprechende Zeichen.<br />
27
- Wichtig: ein kontinuierliches Vibrato gab es nachweislich <strong>im</strong> <strong>Barock</strong> nicht. Wenn fallweise<br />
darüber geschrieben wurde, dann wurde es durchwegs abgelehnt.<br />
Abschlusskadenzen<br />
Je<strong>der</strong> musikalische Abschnitt musste formal mit einer Kadenz abgeschlossen werden. <strong>Die</strong>se<br />
waren generell vollkommen (<strong>der</strong> letzte harmonische Schritt war Dominante-Tonika), plagal<br />
(letzter Schritt war Subdominante-Tonika) o<strong>der</strong> es handelte sich um einen Halbschluss<br />
(Kadenz zur Dominante), bzw. Trugschluss (ausgehend von <strong>der</strong> Dominante ein Schritt in eine<br />
Harmonie, die nicht die Tonika ist).<br />
Uns interessieren vorrangig die vollkommene Kadenz und <strong>der</strong> Halbschluss, da diese beiden<br />
Formen die am häufigsten anzutreffenden Abschlüsse sind.<br />
Der gute Geschmack verlangte, dass man auf <strong>der</strong> vorletzten Note (Pänult<strong>im</strong>a) einen Triller<br />
spielen sollte. Davor wurden aber gerne mehr o<strong>der</strong> weniger ausschweifende Verzierungen<br />
gespielt. <strong>Die</strong>se Abschlusskadenzen wurden in den wenigsten Fällen von den Komponisten<br />
verziert. Man vertraute auf die Fantasie und die Fähigkeiten <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>er. Einige überlieferte<br />
verzierte Kadenzen, welche G. Tartini <strong>im</strong> „Traité des Agréments de la Musique“ hinterlassen<br />
hat, zeigen uns, wie fantasiereich man einen musikalischen Gedanken beenden kann.<br />
28
Viele langsame Sätze enden mit einem Halbschluss, nachdem meistens attacca (unmittelbar<br />
anschließend) weitergespielt wird. Oft findet man über diesem Halbschluss noch die<br />
Bezeichnung „Adagio“ (selbst wenn <strong>der</strong> Satz selber schon diese Überschrift hat!). Das ist ein<br />
Hinweis auf freies, vom Metrum befreites Spiel.<br />
29
30
Tempo rubato<br />
Das tempo rubato in einem Adagio, daß die linke Hand nichts darum weiß, können sie gar nicht<br />
begreifen. Bei ihnen gibt die linke Hand nach. (Mozart, Brief vom 23.10.1777)<br />
<strong>Die</strong> Begriffe Tempo rubato (ital. tempo rubato = gestohlene(s) Zeit(maß) o<strong>der</strong> Rubamento di<br />
tempo bezeichnen seit etwa 1720 eine Vortragsweise, bei <strong>der</strong> sich die Melodiest<strong>im</strong>me durch<br />
Verlängerung o<strong>der</strong> Verkürzung einzelner Notenwerte mit nachfolgendem Ausgleich von<br />
<strong>der</strong>/den Begleitst<strong>im</strong>me(n) abhebt. Es wird in <strong>der</strong> Regel in langsamen o<strong>der</strong> mäßig bewegten<br />
aber vor allem kantablen Stücken o<strong>der</strong> Passagen verwendet.<br />
Das Rubato wurde in <strong>der</strong> Vergangenheit auch mit den Worten Rückung, Antizipation,<br />
Suspension, Synkopierung, Prolongation umschrieben.<br />
Es ist gewissermaßen ein vom Grundmetrum gelöster, rhythmisch freier Vortrag, bei dem<br />
<strong>der</strong> phasenweise Verlust des synchronen Spiels mit dem Gewinn an musikalischem<br />
Ausdruck kompensiert wird.<br />
Das Tempo rubato war bis in das 19. Jahrhun<strong>der</strong>t hinein eine interpretatorische Aktion, die<br />
sich ausschließlich auf die Melodiest<strong>im</strong>me beschränkte. Bei Tasteninstrumenten übernahm<br />
das die rechte Hand. In diesem Sinne versteht man dann auch Mozarts Unmut über ein<br />
falsch ausgeführtes Rubato.<br />
Auf dieser Grundlage wird man bei ausufernden Verzierungen (Corelli, Tartini, Locatelli)<br />
gegebenenfalls auch ein (stressfreies) „Zu-spät-kommen“ in Kauf nehmen. Das pünktliche,<br />
synchrone Zusammenspiel mit dem Bass wird dadurch einer organischen, musikalischen und<br />
ausdrucksstarken Ausführung geopfert.<br />
Dafür ist es jedoch unabdingbar, dass die Basslinie (am Tasteninstrument die linke Hand)<br />
rhythmisch nicht nachgibt! Der Bass als musikalisches Fundament muss – <strong>im</strong>mer musikalisch<br />
gestaltet – streng metrisch gespielt werden!<br />
„Falsche“ Betonung:<br />
Als eine weitere Variante des tempo rubato verstand man das Spielen „falscher“<br />
Schwerpunkte.<br />
<strong>Die</strong> Rückung:<br />
Eine beson<strong>der</strong>e Form des Rubato ist die sogenannte Rückung. Dabei werden gleiche<br />
Notenwerte (in <strong>der</strong> Regel nicht die allerschnellsten) rhythmisch versetzt, sodass eine Art<br />
Synkopierung entsteht. Durch dieses „Off-beat“ Spiel vermeidet man eine Synchronizität mit<br />
den begleitenden St<strong>im</strong>men und verstärkt dadurch spürbar den musikalischen Ausdruck.<br />
„Durch Rückungen wird die gewöhnliche Harmonie entwe<strong>der</strong> vorausgenommen o<strong>der</strong> aufgehalten.“<br />
(Carl Ph. Emanuel Bach, „Versuch…)<br />
31
Eine solche Rückung finden wir exemplarisch in J. S. Bachs Sonate für Flöte und obligates<br />
Cembalo h-moll, 2. Satz Largo e dolce, Takt 5:<br />
und auch in Takt 14<br />
Anmerkung: Bei langsamen, empfindsamen und melodischen Sätzen ist eine Tendenz zur<br />
„Nichtgleichzeitigkeit“ erkennbar. Das bedeutet, dass auf den (guten) Zählzeiten die<br />
Melodiest<strong>im</strong>me oft übergebundene Noten spielt. So wird vermieden, dass durch zeitgleich<br />
angespielte Töne ein unrun<strong>der</strong>, eckiger und somit ausdrucksarmer Ausdruck entsteht.<br />
32
Inégalité<br />
Wie bereits in <strong>der</strong> Einleitung beschrieben war die Ungleichheit <strong>im</strong> Leben <strong>der</strong> Menschen des<br />
vorrevolutionären Europas (bis Ende des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts) ein fester Bestandteil.<br />
Demzufolge fand sich diese Inégalité auch in <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> und <strong>der</strong>en Ausübung wie<strong>der</strong>.<br />
Grundsätzlich war, strukturiert durch Taktart und Notenwerte, alles hierarchisch<br />
angeordnet. <strong>Die</strong> Position <strong>im</strong> Taktgefüge gab Auskunft über Gewicht, Betonung und innere<br />
Stärke eines jeden Tones. Zu unserem Leidwesen wird diese Hierarchie jedoch nicht durch<br />
die Notation sichtbar wie<strong>der</strong>gegeben. <strong>Die</strong> Notenschrift, beson<strong>der</strong>s in gedruckter Form,<br />
suggeriert lei<strong>der</strong> genau das Gegenteil: absolute Gleichheit!<br />
Verschiedene weitere Parameter wie Harmonie, Kontrapunkt, Hinweise des Komponisten<br />
können allerdings diese Rangordnung beeinflussen und fallweise auch umkehren.<br />
Was allgemein nicht bekannt ist: Schon <strong>im</strong> Frühbarock, speziell in Italien, wurde von den<br />
<strong>Musik</strong>ern zur Ausdruckssteigerung das ungleiche Spiel erwartet.<br />
Giulio Caccini in seinem Traktat „Le Nuove Musiche“, Antonio Brunelli in <strong>der</strong> D<strong>im</strong>inutionsschule<br />
„Varii essercitii“ u. a. m. beschreiben wie sie sich diese Inégalité vorstellen.<br />
Hier ist mit Sicherheit keine arithmetische Punktierung gemeint, son<strong>der</strong>n eine dem Affekt<br />
angepasste lang-kurz Ungleichheit.<br />
Ab <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurde zuerst in Frankreich und, von dort<br />
ausgehend auch in den an<strong>der</strong>en europäischen <strong>Musik</strong>zentren, diese Gestaltungsform<br />
praktiziert.<br />
Welcher Notenwert jeweils inégal gespielt wird, ist von <strong>der</strong> Taktart abhängig (s. Abschnitt<br />
„<strong>Die</strong> Taktarten, ihr Charakter, <strong>der</strong> Stamm an Notenwerten“).<br />
Generell kann man sagen, dass <strong>der</strong> kleinste durchlaufende Notenwert inegalisiert wird.<br />
33
Ausnahmen:<br />
Unter gewissen Umständen wurde das ungleiche Spiel ausgesetzt:<br />
- bei wie<strong>der</strong>holten Noten,<br />
- bei größeren Intervallsprüngen (ab einer Quarte),<br />
- bei Dreiergruppierungen (Triolen),<br />
- bei sehr schnellem Tempo,<br />
- bei gebundenen Noten (drei o<strong>der</strong> mehr),<br />
- wenn Punkte o<strong>der</strong> Keile über den Noten stehen o<strong>der</strong><br />
- wenn <strong>der</strong> Komponist es anzeigt (les notes égales).<br />
Der genaue Grad <strong>der</strong> Ungleichheit lässt sich nicht genau definieren. Es ist in den meisten<br />
Fällen kein exaktes arithmetisches Verhältnis (1/2, 2/3, o.ä.). Meistens liegt es irgendwo<br />
dazwischen. Von ganz leicht angedeutet kann sich die Inégalité, abhängig vom musikalischen<br />
Kontext, bis hin zu einer Punktierung erstrecken. So wird beispielsweise eine prächtige<br />
Ouverture viel stärker inegalisiert als ein schmeichelndes Rondeau.<br />
Wichtig: Gerade bei stärkerer Inegalisierung sollte vermieden werden, dass be<strong>im</strong> Hörer <strong>der</strong><br />
Eindruck einer Punktierung entsteht. Dafür ist es notwendig, dass be<strong>im</strong> Spielen keine<br />
Artikulationslücken zwischen den Tönen gemacht werden.<br />
In diesem Beispiel kann man hören, wie sich die Ungleichheit steigert bis hin zu einer<br />
tatsächlichen Punktierung.<br />
Speziell bei Zweierbindungen kann man oft mit umgekehrter Inégalité (auch „lombardischer<br />
Rhythmus“ genannt) den Ausdruck steigern.<br />
Ein Son<strong>der</strong>fall:<br />
Wenn <strong>der</strong> Bass in einer Sarabande durchlaufende Achtelnoten spielt, so sollen diese<br />
(ausnahmsweise) egal gespielt werden.<br />
<strong>Die</strong>ses ungeschriebene Gesetz war allgemein bekannt. In den beson<strong>der</strong>en Ausnahmefällen<br />
wurde vom Komponisten in den Noten vermerkt: „les croches égales“.<br />
Schön zu sehen ist dies in <strong>der</strong> folgenden Sarabande Hotteterres. <strong>Die</strong> eingefor<strong>der</strong>te Égalité ist<br />
allerdings nur für die Basslinie gemeint. <strong>Die</strong> Melodiest<strong>im</strong>me spielt „normal“, d.h. dem Affekt<br />
entsprechend inégal.<br />
34
Dass diese beson<strong>der</strong>e Regel auch außerhalb Frankreichs Gültigkeit hatte, wird <strong>im</strong> folgenden<br />
Beispiel verdeutlicht:<br />
Man beachte, dass die Bewegung <strong>der</strong> Basslinie durchwegs in gleichmäßigen Achteln verläuft,<br />
die Melodiest<strong>im</strong>me jedoch punktiert ist. Gemeint ist hier jedoch sicherlich nicht eine<br />
rhythmische Punktierung! <strong>Die</strong>se Achtelnoten sollen gesanglich inegalisiert werden.<br />
Zusammenfassend muss man feststellen, dass das inegale Spiel eine viel größere Verbreitung<br />
hatte, als heute angenommen wird. Auch außerhalb Frankreichs finden sich unzählige<br />
Quellen, die sich mit dieser Thematik auseinan<strong>der</strong>setzen.<br />
Quantz schreibt seinem prominenten Schüler, Preußens König Friedrich II., in dessen<br />
Unterrichtsheft „Solfeggi“ vor, wo und wie inégal gespielt werden soll!<br />
Das folgende Beispiel aus <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> C. Ph. E. Bachs, <strong>der</strong> ja wie Quantz am preußischen<br />
Königshof angestellt war zeigt, dass man zumindest in Sanssouci das ungleiche Spiel pflegte.<br />
Quantz vermerkt, dass die Sechzehntel inégal ausgeführt werden sollen!<br />
35
Ein weiteres, beachtenswertes Beispiel ist die Anmerkung Quantz“ zu einer Allemande von<br />
Blochwitz (Quantz schreibt „Blochwis“).<br />
Wenn er für die durchlaufenden Sechzehntel-Noten <strong>im</strong> mäßigen Tempo einer Allemande<br />
inegales Spiel einfor<strong>der</strong>t, dann stellt sich die Frage, ob das bei folgendem Beispiel ebenfalls<br />
denkbar ist:<br />
Das Notenbild J. S. Bachs Allemande ähnelt jenem Blochwitz‘ in allen Belangen. Und<br />
schließlich lebte Bach in Sachsen, das nicht gar zu weit von Potsdam entfernt war…<br />
Vielleicht ist <strong>der</strong> Gedanke an ein inegales Spiel bei Werken J. S. Bachs ja ein wenig<br />
„revolutionär“, aber wenn man sich ernsthaft damit auseinan<strong>der</strong>setzt, dann kann man<br />
feststellen, dass eine leichte, flexible Ungleichheit dieser <strong>Musik</strong> einen belebenden Swing<br />
hinzufügt, <strong>der</strong> eine gleichmäßige Motorik ablöst.<br />
36
Freie Verzierungen (Willkü rliche<br />
Verä n<strong>der</strong>ungen)<br />
„… will ich denen, so es an <strong>der</strong> hierzu nöthigen Erkenntniß noch mangelt, eine Anleitung geben, wie man<br />
bey den meisten und allgemeinen Intervallen über s<strong>im</strong>ple Noten, auf vielerley Art, ohne wi<strong>der</strong> die<br />
Harmonie <strong>der</strong> Grundst<strong>im</strong>me zu handeln, Verän<strong>der</strong>ungen machen könne. (Quantz, „Versuch …“, XIII.<br />
Hauptstück, 3. §)<br />
Einleitung<br />
Der zweite große Abschnitt in diesem Handbuch beschäftigt sich mit den freien,<br />
notengebundenen Verzierungen. Es sind die Ausschmückungen, welche nicht durch ein<br />
best<strong>im</strong>mtes Zeichen definiert sind und somit ausnotiert werden müssen. Und es sind die<br />
Ornamente, die in den meisten Fällen nicht vom Komponisten vorgegeben waren, son<strong>der</strong>n<br />
die <strong>der</strong> ausübende <strong>Musik</strong>er selbst „erfinden“ musste.<br />
Ein aufmerksamer Blick in die historischen Quellen (Noten, Lehrbücher, Schriften) zeigt uns<br />
heute, dass damals viel mehr, als wir uns heute vorstellen, verziert und verän<strong>der</strong>t wurde.<br />
Wenn wir die zeitgleiche Malerei, Architektur, Literatur, ja selbst die Mode betrachten, dann<br />
ist es schwer vorstellbar, dass in <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> die in jenen Bereichen teilweise ausufernde<br />
<strong>Ornamentik</strong> ausgespart wurde.<br />
Doch gerade bei dieser Art des freien Verzierens fühlt man sich oft unsicher o<strong>der</strong> blockiert.<br />
Das führt dann dazu, dass letztlich nur das Notierte gespielt wird. Freies Verzieren ist jedoch<br />
keine unüberwindbare Hürde!<br />
Durch die nachfolgenden Übe- und Lernschritte wirst du bald in <strong>der</strong> Lage sein, deine ganz<br />
eigenen und einzigartigen Kreationen zu spielen. Damit du das „musikalische Vokabular“ und<br />
die verschiedenen Floskeln in Fleisch und Blut aufnehmen kannst, musst du dich jedoch<br />
durch die nachfolgenden Übungen durcharbeiten. Aber du wirst feststellen: dieses Üben<br />
macht richtig Spaß, denn es ist musikalisch!<br />
Wichtig: Das freie Verzieren ist <strong>im</strong>mer harmoniegebunden. Das bedeutet, dass man sich<br />
je<strong>der</strong>zeit <strong>der</strong> vorherrschenden Harmonie bewusst sein muss. <strong>Die</strong> Tonart mit ihren jeweiligen<br />
Vorzeichen best<strong>im</strong>mt die Töne, welche zur Melodiegestaltung verwendet werden.<br />
Nicht zuletzt möchte ich dir sinngemäß die Empfehlung, welche bereits Quantz <strong>im</strong> Jahre<br />
1752 gegeben hat, ans Herze legen:<br />
„Spiele (und höre) so viel als möglich originale Verzierungen! <strong>Die</strong>ser Blick in die Werkstatt <strong>der</strong> damaligen<br />
Komponisten und <strong>Musik</strong>er ist die allerbeste Quelle <strong>der</strong> Inspiration.“<br />
37
Oft wird die Frage gestellt: „<strong>Die</strong>ser Satz ist doch schon verziert, muss ich da noch mehr<br />
hinzufügen o<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>n?“<br />
Das obige Beispiel aus einer Violinsonate von Franz Benda gibt auf diese Frage eine<br />
eindeutige Antwort. Ja, Verän<strong>der</strong>ungen, Ergänzungen, neue Floskeln, an<strong>der</strong>e melodische<br />
Wendungen und Hinzufügung von „wesentlichen Manieren“ waren nicht nur erlaubt,<br />
son<strong>der</strong>n erwünscht. Auch wenn das vorliegende Stück schon verziert zu sein scheint. Der<br />
<strong>Musik</strong>er konnte sich und sein Talent dadurch ins beste Licht stellen.<br />
Wie unglaublich vielfältig verziert werden kann, sieht man am folgenden Beispiel: Es ist <strong>der</strong><br />
Beginn einer Violinsonate von Corelli, die Ornamente stammen von den unterschiedlichsten<br />
Komponisten.<br />
38
Es ist mehr als erstaunlich, welche kreative Vielfalt und Fantasiereichtum hier gebündelt<br />
sind.<br />
Da möchte man überhaupt nicht mehr unverzierte <strong>Musik</strong> spielen!<br />
39
Einige Regeln<br />
Bei den freien Verzierungen kannst du fast jede melodische Wendung spielen. Allerdings<br />
solltest du einige Regeln befolgen, um auf <strong>der</strong> ganz sicheren Seite zu sein und um<br />
harmonische o<strong>der</strong> satztechnische Fehltritte zu vermeiden.<br />
Wenn die Melodie sich in Sekundschritten bewegt, ist es sozusagen „gefahrlos“. Du kannst<br />
dich mit den Tönen <strong>der</strong> vorherrschenden Tonart in jede Richtung bewegen.<br />
Bei einem Intervallsprung (Terz o<strong>der</strong> größer) solltest du folgendes beachten:<br />
1. Du darfst in jeden Ton <strong>der</strong> gerade erklingenden Harmonie sowohl aufwärts als auch<br />
abwärts springen.<br />
2. Wenn du in einen harmoniefremden Ton springst, solltest du ihn in Gegenbewegung<br />
mit einem Sekundschritt verlassen.<br />
3. Dissonanzen „auf dem Schlag“ sollten nach Möglichkeit vorbereitet sein.<br />
Vermeiden solltest du auf jeden Fall parallele Quinten und Oktaven zur Basslinie. Das klingt<br />
nicht nur unschön, son<strong>der</strong>n war damals auch verboten!<br />
40
Wichtig: Wenn die Melodiest<strong>im</strong>me in Gegenbewegung zum Bass verläuft, werden sich nie<br />
die verbotenen Parallelen ergeben.<br />
<strong>Die</strong>se sind eher strenge Regeln, die auch manchmal Ausnahmen leiden. Wenn du dich aber<br />
daran hältst, bist du <strong>im</strong>mer auf <strong>der</strong> sicheren Seite. Letztlich muss jedoch <strong>im</strong>mer von Fall zu<br />
Fall neu entschieden werden.<br />
Das war es auch schon. Du siehst, die Möglichkeiten sind reichhaltig, um schöne und<br />
individuelle Verzierungen zu schreiben.<br />
Grundgedanke<br />
Um zu verstehen, wie eine komplexe, ausufernde freie Verzierung gelingen kann, solltest du<br />
dir folgenden Leitsatz merken:<br />
Eine schöne, runde, vollkommene, einzigartige Verzierung ist nichts an<strong>der</strong>es als eine<br />
einfache Verzierung von einer einfachen Verzierung von einer einfachen Verzierung, etc.<br />
Das könnte ungefähr so aussehen:<br />
41
Aufbauübungen<br />
Wir beginnen mit einfachen Intervallen, die auf vielerlei Arten abwechslungsreich verziert<br />
sind. <strong>Die</strong>s sind vorerst kleine Lernschritte, die dir aber ermöglichen, ein umfangreiches<br />
Repertoire an Figuren und Patterns für den „großen Wurf“ anzueignen.<br />
Deshalb ist es notwendig diese kleinen Modelle systematisch zu üben, um somit die<br />
Bausteine zu erhalten, mit denen du dann später die komplizierteren und ausufernden<br />
Figurationen komponieren wirst.<br />
Aber keine Bange, bevor du deine eigenen Verzierungen schreibst, wirst du die<br />
vorgegebenen Musterbeispiele mehrmals spielen und somit dein Gedächtnis füttern. Das<br />
Ganze kannst du klanglich „anreichern“, indem du die entsprechenden Soundfiles anklickst<br />
und so von einem realen Basso continuo begleitet und unterstützt wirst. <strong>Die</strong>se Soundfiles<br />
sind sogenannte loops, die es dir ermöglichen, eine Verzierung nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu spielen,<br />
ohne dazwischen absetzen zu müssen.<br />
Hier zeigt uns Tartini, wie er sich die Verzierung einer C-Dur Tonleiter vorstellt.<br />
Auch Quantz baute seine Verzierungslehre systematisch auf.<br />
42
In die leeren Notenzeilen kannst du eigene Verzierungen eintragen.<br />
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Das Entzieren o<strong>der</strong> die Reduktion<br />
<strong>Die</strong>ser Prozess ist ein äußerst wichtiger Lernabschnitt. Es bedeutet, dass man bei einem<br />
bereits ausgeschmückten Stück eine (<strong>im</strong>aginäre) Urfassung erstellt. Das heißt, eine Version,<br />
die auf das Wesentliche reduziert ist, aber in dieser Form <strong>im</strong>mer noch musikalisch<br />
nachvollziehbar bleibt. Durch diesen Prozess erfährt man, auf welche Weise und in welcher<br />
Form sich <strong>der</strong> Komponist die Verzierungen ausgedacht hat.<br />
51
Als erstes Beispiel nehmen wir ein von Francesco Barsanti wun<strong>der</strong>schön verziertes Adagio:<br />
52
Eine Reduktion muss harmonisch zu dem unverän<strong>der</strong>ten Bass verlaufen und in ihrer<br />
Einfachheit auch melodisch sinnvoll sein.<br />
Unbegangene Wege<br />
Ganz spannend wird es, wenn man, von einer Reduktion ausgehend, eine neue, ganz<br />
an<strong>der</strong>sartige Verzierung „erfindet“. Dabei bleiben <strong>der</strong> Bass und das harmonische Gerüst<br />
unverän<strong>der</strong>t. Nur die Melodie sucht sich einen an<strong>der</strong>en Weg, und am Ende ist ein völlig<br />
neues Stück entstanden!<br />
53
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Du siehst: Aufbauend auf dem gleichgebliebene Fundament (Basso continuo) ist ein „neues<br />
Stück“ entstanden. Solcherart Kompositionsübungen hat nicht zuletzt J.S. Bach seinen<br />
Schülern aufgegeben.<br />
Selbst an ihn, den „großen“ Meister, darf man sich heranwagen. Was passiert, wenn <strong>der</strong><br />
langsame Satz aus <strong>der</strong> Flötensonate in h-Moll ein neues Melodiegewand erhält kannst du<br />
auf den folgenden Seiten sehen und hören!<br />
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Eine Erkenntnis, die man aus solch einem Prozess ziehen kann, ist die, dass fast kein<br />
<strong>Musik</strong>stück aus dieser Zeit absolut und somit unverän<strong>der</strong>lich ist. <strong>Die</strong>s gilt vor allem für<br />
begleitete Solowerke.<br />
Eine komplexe Fuge o<strong>der</strong>einOrchesterwerk ist davon selbstverständlich ausgeschlossen.<br />
Ebenso, wenn die Komposition stark kontrapunktistisch durchwoben ist.<br />
Eine beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung:<br />
Entziere den folgenden Satz und „erfinde“ dann eine neue, individuelle Melodie!<br />
Achte dabei auf die St<strong>im</strong>mführung (keine Quint- und Oktavparallelen), eine schöne,<br />
ansprechende Melodie und rhythmische Vielfalt.<br />
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Wenn du herausfinden konntest, wer dieses Stück geschrieben hat, freue ich mich auf eine<br />
Zuschrift!<br />
Als Preis gibt es eine beson<strong>der</strong>e Überraschung!<br />
61
Kadenzen und Improvisation<br />
„<strong>Die</strong> Absicht <strong>der</strong> Kadenzen ist keine an<strong>der</strong>e, als die Zuhörer noch einmal bei dem Ende unvermutet zu<br />
überraschen und noch einen beson<strong>der</strong>en Eindruck in ihrem Gemüt zurückzulassen“ (Quantz)<br />
Ab ca. 1720 finden sich in Sonaten- und Konzertsätzen, aber auch bei Sängern in (Da-Capo-<br />
Arien) <strong>im</strong>mer öfter Fermaten, in <strong>der</strong> Regel von einem Quartsechsakkord unterlegt. Hier<br />
wurde von den Spielern/Sängern eine (<strong>im</strong> besten Falle <strong>im</strong>provisierte) Soloeinlage (Kadenz)<br />
erwartet.<br />
<strong>Die</strong>se waren damals generell kürzer gehalten, als jene, welche heute gespielt/gesungen<br />
werden.<br />
Für Bläser galt beispielsweise die Vorgabe, dass eine Kadenz nicht länger als max<strong>im</strong>al zwei<br />
Atembögen sein sollte. Bei Streichern, Zupfinstrumentalisten o<strong>der</strong> Spieler eines<br />
Tasteninstruments durfte es etwas ausführlicher sein.<br />
Viele <strong>Musik</strong>er scheuen sich oftmals eine selbstgestaltete o<strong>der</strong> gar <strong>im</strong>provisierte Kadenz zu<br />
spielen. Sie wählen lieber eine vorgedruckte, oft viel zu lange Kreation von einem ihnen auch<br />
meist unbekannten Schöpfer.<br />
Ich möchte nachfolgend eine systematische Anleitung für das Schreiben einer einfachen<br />
(aber individuellen) Kadenz geben. Du wirst sehen, dass mit etwas Übung und Fantasie <strong>der</strong><br />
Weg zu einer eigenen Kreation gar nicht so weit ist. Und, wer weiß, vielleicht ermöglichen dir<br />
diese Übungen irgendwann sogar das Spielen einer Cadenza ex tempore.<br />
Wenn wir uns originale Kadenzen aus jener Zeit vor Augen führen, sehen wir, dass diese <strong>im</strong><br />
Prinzip aus wenigen Grundbausteinen zusammengesetzt sind. Vereinfacht und aufs<br />
Wesentliche reduziert sind das Tonleitern und Drei- bzw. Vierklänge.<br />
Natürlich werden diese meistens nicht „nackt“ gespielt son<strong>der</strong>n auf die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Weise verän<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> verziert. Grundsätzlich erkennt man aber <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> die gleichen<br />
o<strong>der</strong> ähnlichen Muster und Strukturen. Auch die Verän<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> Figurationen bestehen<br />
aus <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong>kehrenden Mustern, die in unterschiedlicher Form zusammengesetzt<br />
werden.<br />
Es ist das von mir so genannte „LEGO-Prinzip“: Mit einer überschaubaren Anzahl an<br />
Bausteinen eröffnen sich quasi unendliche Kombinationsmöglichkeiten. Einige dieser Figuren<br />
seien hier beispielhaft angeführt. Sie können zusätzlich durch Artikulation und an<strong>der</strong>e<br />
Rhythmen noch verän<strong>der</strong>t werden.<br />
62
Variationen:<br />
Und nun zu den Übungen:<br />
1. Spiele Tonleitern und Dreiklänge in möglichst vielen Tonarten (Dur und Moll) über<br />
den gesamten Ambitus deines Instruments, am besten auswendig So baust du<br />
sichere und stabile Bewegungsmuster auf, die sich je<strong>der</strong>zeit abrufen lassen. <strong>Die</strong>se<br />
sind <strong>der</strong> Grundstein für eine solide Technik!<br />
2. Spiele die (Vor-)Übungen für die freien Kadenzen. Transponiere sie ebenfalls in alle<br />
gängigen Tonarten.<br />
3. Variiere diese Übungen! Verän<strong>der</strong>e die Artikulation, die dynamische Gestaltung, den<br />
musikalischen Ausdruck.<br />
4. Schreibe eigene Variationen.<br />
Wenn diese musikalischen Bausteine systematisch geübt werden, wirst du bemerken, dass<br />
nicht nur deine Spieltechnik ausgefeilter wird, son<strong>der</strong>n vor allem wird sich deine Fähigkeit zu<br />
<strong>im</strong>provisieren schlagartig verbessern. Deine kreative Fantasie wird spürbar zunehmen, und,<br />
unterstützt durch die zuverlässige Technik, kannst du <strong>im</strong>mer besser extemporieren. Und<br />
genau das ist ja ein Bereich des Musizierens, den viele (klassische) <strong>Musik</strong>er sehr vermissen.<br />
Zu 1.<br />
<strong>Die</strong> folgenden Muster einer Tonleiterübung stehen stellvertretend für alle Tonarten.<br />
63
Es ist sinnvoll, die Skalen mit verschiedensten Artikulationen zu spielen:<br />
64
Zu 2.<br />
Nun geht es darum, das Grundmuster <strong>der</strong> Tonleitern und Dreilänge zu variieren. So wirst du<br />
die verschiedenen Figuren, die dir später als Bausteine für das Schreiben einer Kadenz zur<br />
Verfügung stehen, verinnerlichen.<br />
Wichtig: <strong>Die</strong>ses Prinzip des systematischen (Übungs-) Spiels ist die Grundlage für die<br />
Fähigkeit, fantasievoll zu <strong>im</strong>provisieren o<strong>der</strong> auch individuelle Kadenzen zu kreieren.<br />
Natürlich sind deiner Fantasie keine Grenzen gesetzt, um weitere Verän<strong>der</strong>ungen zu finden!<br />
65
Wende das gleiche Prinzip auch bei den Dreiklängen an!<br />
Wie wird nun eine typische Kadenz „zusammengebaut“?<br />
- Man beginnt am besten mit einer figurierten Tonleiter o<strong>der</strong> einem ausgestalteten<br />
Dreiklang. Wenn <strong>der</strong> Ausgangston tief ist, spielt man eine ansteigende Melodie,<br />
wenn er hoch liegt, geht es abwärts.<br />
- Eventuell kann man den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en musikalischen Gedanken aus dem Stück<br />
einflechten<br />
- In <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> Kadenz kann auf <strong>der</strong> 5. Stufe <strong>der</strong> Tonart ein Ruhepunkt gesetzt<br />
werden (für Bläser die Möglichkeit zu atmen). Ein schöner Effekt ergibt sich, wenn<br />
dieser Ton über die Zwischendominante erreicht wird.<br />
- Anschließend fährt man fort, indem man wie<strong>der</strong> mit verschiedenen Figuren bis zum<br />
Schlusstriller spielt.<br />
66
Sehr anschaulich hat diesen Aufbau Tartini skizziert:<br />
Das Wort „mode“ verwendet er als Sammelbegriff für eine freie Ausgestaltung <strong>der</strong><br />
Zwischenräume.<br />
Interessant ist es auch, was für verschiedene Modelle <strong>der</strong> Tonleiter- und Akkordgestaltung<br />
Tartini uns anbietet.<br />
67<br />
Originalkadenz von Carl Philipp Emanuel Bach
In diesem Zusammenhang ist es natürlich interessant und lehrreich, einen wachen Blick auf<br />
das 18. Jahrhun<strong>der</strong>t zu werfen. Wie haben die Komponisten damals ihre eigenen Kadenzen<br />
gestaltet?<br />
Zu unserem Glück gibt es zahlreiche Beispiele hierfür. Lass dich inspirieren!<br />
68
Anmerkung: Einen wichtigen Aspekt sollte man jedoch nicht aus den Augen verlieren:<br />
Der vorherrschende Affekt des Stückes sollte sich in <strong>der</strong> Kadenz wie<strong>der</strong>finden!<br />
Dazu schreibt Quantz:<br />
„Wie eine lustige Kadenz aus weitläufigen Sprüngen, lustigen Klauseln, untermischten Triolen und<br />
Trillern u.d.gl. gebildet wird, so besteht eine traurige fast aus lauter nahe aneinan<strong>der</strong> liegenden, mit<br />
Dissonanzen vermischten Intervallen.“<br />
69
Divisions (on a Ground)<br />
Divisions o<strong>der</strong> auch Variationen über einen „Ground“ waren <strong>im</strong> <strong>Barock</strong> eine sehr beliebte<br />
Form teilweise <strong>im</strong>provisierter <strong>Musik</strong>. Es handelte sich dabei um eine meist kurze,<br />
harmonisierte Bassfolge, die sich kettenartig wie<strong>der</strong>holte. Darüber spielte ein<br />
Melodieinstrument sich <strong>im</strong>mer verän<strong>der</strong>nde Variationen. Beson<strong>der</strong>s in England war dieses<br />
Format seinerzeit äußerst verbreitet.<br />
70
Nun ist es sicherlich ein Anliegen, selber in <strong>der</strong> Lage zu sein, solcher Art Variationen zu<br />
schreiben. Das ist nicht so schwer, wie man vielleicht meint. Du benötigst anfänglich für<br />
deine ersten Versuche in jedem Fall (Noten-) Papier und Bleistift. Das eigenhändige<br />
Aufschreiben ist eine wichtige Dokumentation. Zum Ersten ist es ein entscheiden<strong>der</strong><br />
Lernprozess, <strong>Musik</strong> eigenhändig aufzuschreiben, und zweitens ist somit gewährleistet, dass<br />
man je<strong>der</strong>zeit auf die Variationen, die gut klingen und einem gefallen zurückgreifen kann.<br />
Es gab bei den Divisions hauptsächlich zwei Ausgangssituationen:<br />
- Als Vorgabe war ausschließlich die harmonisierte Basslinie gegeben,<br />
- Grundlage <strong>der</strong> Variationen war eine (meist bekannte) Melodie, die vom Bass<br />
unterlegt war.<br />
Wir werden mit <strong>der</strong> ersten Form starten: sie lässt einem mehr Freiheiten, und du kannst<br />
somit besser exper<strong>im</strong>entieren.<br />
Als erstes Stück empfehle ich, einen einfachen, nicht zu langen Ground zu wählen. Folgen<strong>der</strong><br />
Bass eignet sich wun<strong>der</strong>bar für den Anfang:<br />
Am besten startest du mit ganz einfachen Variationen. Verän<strong>der</strong>e <strong>im</strong>mer in kleinen<br />
Schritten, sodass du je<strong>der</strong>zeit die Kontrolle über dein Spiel und das Klangergebnis behältst!<br />
- Beginne, indem du nacheinan<strong>der</strong> jeweils einen Ton <strong>der</strong> ausgesetzten Harmonie pro<br />
Takt spielst.<br />
71
72<br />
- Variiere nun diese Töne, indem du Pausen einbaust o<strong>der</strong> den Rhythmus verän<strong>der</strong>st.<br />
- Setze taktweise Melodiebausteine ein.<br />
- Sequenziere die Melodiebausteine.<br />
- Verän<strong>der</strong>e auch hier den Rhythmus.<br />
- Erinnere dich: mit Gegenbewegung vermeidest du Quint- und Oktavparallelen.
Wichtig: Vergiss nicht, zusätzlich noch Triller, Mordente, Schleifer, etc. einzusetzen!<br />
Zu den nachfolgenden Grounds kannst du wun<strong>der</strong>bar Divisions schreiben und spielen. Wenn<br />
du mit <strong>der</strong> gleichen Methode vorgehst, wie zuvor be<strong>im</strong> ersten Ground, wirst du in kürzester<br />
Zeit schöne und individuelle Variationen komponiert haben!<br />
Anmerkung: Um festzustellen, wie deine eigenen Divisions klingen, kannst du die Begleitung<br />
mitspielen lassen.<br />
<strong>Die</strong> seit dem 16. Jahrhun<strong>der</strong>t berühmte Melodie „La Follia“ („übermütige Ausgelassenheit“<br />
o<strong>der</strong> auch „Wahnsinn“) wurde schon von unzähligen Komponisten bearbeitet und variiert.<br />
Sie eignet sich hervorragend, um zu <strong>im</strong>provisieren und natürlich auch eigene Variationen zu<br />
schreiben.<br />
73
Abschließend noch einige weitere bekannte Melodien des 17. und 18. Jahrhun<strong>der</strong>t, die die<br />
<strong>Musik</strong>er damals allerorten zum D<strong>im</strong>inuieren verwendet haben.<br />
74
75
Anhang<br />
Historische Beispiele verzierter Sätze<br />
Hier findest du eine (kleine) Auswahl von Stücken, die von den jeweiligen Komponisten<br />
eigenhändig verziert wurden und die uns dadurch eine wun<strong>der</strong>bare Möglichkeit eröffnen,<br />
einen Blick auf die so weit zurückliegende barocke Verzierungspraxis zu werfen.<br />
Es ist vielleicht die wichtigste Quelle <strong>der</strong> Inspiration und Orientierung, die uns heute zur<br />
Verfügung steht. Damals konnte man ja bei jedem guten <strong>Musik</strong>er feinstes Extemporieren<br />
hören, es war <strong>der</strong>en tägliches Brot. Und man sollte einen wichtigen Aspekt nicht vergessen:<br />
in jener Zeit wurden ausschließlich zeitgenössische Werke gespielt, das heißt, vom Anfänger<br />
bis zum Profi waren die <strong>Musik</strong>er von einem gleichen Kompositionsstil umgeben und<br />
beeinflusst. Sie waren dadurch so sensibilisiert, dass <strong>der</strong> Unterschied zwischen dem<br />
französischen und dem italienischen Stil sich für sie in etwa so angefühlt haben mag wie für<br />
uns heute zwischen Pop und Jazz.<br />
Das erste Beispiel ist <strong>der</strong> Beginn einer „Sonate mit verän<strong>der</strong>ten Reprisen (Wie<strong>der</strong>holungen)“,<br />
die C. P. E. Bach <strong>im</strong> Jahr 1760 Amalia von Preußen gewidmet hat. Es dokumentiert auf<br />
wun<strong>der</strong>bare Weise, wie herausragende <strong>Musik</strong>er damals mit Wie<strong>der</strong>holungen umgingen.<br />
Man sieht, wie er bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>holung das harmonische Gerüst grundsätzlich unverän<strong>der</strong>t<br />
lässt, ansonsten aber Melodie und Mittelst<strong>im</strong>men absolut frei und fantasievoll verän<strong>der</strong>t.<br />
Wenn man weiß, wie sehr Joseph Haydn und Mozart C. P. E. Bach schätzten und verehrten,<br />
dann liegt die Vermutung sehr nahe, dass sie in ihrem Spiel ebenso vorgegangen sind und<br />
bei den eigenen Wie<strong>der</strong>holungen nicht den be<strong>im</strong> ersten Durchgang gespielten Notentext<br />
exakt wie<strong>der</strong>gaben.<br />
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Das nächste Beispiel ist ein Satz aus den „Methodischen Sonaten“ von.<br />
Hier kann man gut sehen, dass die Originalmelodie aus heutiger Sicht gar nicht so ein<br />
„platter Gesang“ (Quantz) ist. Trotzdem wäre damals ein <strong>Musik</strong>er mit einer unverzierten<br />
Interpretation be<strong>im</strong> Publikum durchgefallen.<br />
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J, S. Bachs letzter Schüler Johann Gottfried Müthel verzierte in seiner Sonate bereits <strong>im</strong><br />
Geschmack des Rokoko. <strong>Die</strong>ser galante und empfindsame Stil war <strong>der</strong> Wegbereiter für die<br />
sogenannte „Wiener Klassik“.<br />
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Als abschließendes Beispiel möchte ich ein in seiner Gesamtaussage vielleicht einmaliges<br />
Beispiel bringen. Das Adagio 3 stammt aus Quantz“ „Versuch…“ und zeigt uns, ähnlich wie<br />
Telemanns „Methodischen Sonaten“, eine unverzierte Melodie und eine von Quantz selber<br />
gefertigte Verzierung <strong>der</strong>selben. Das Beson<strong>der</strong>e daran sind jedoch die Anweisungen zur<br />
Interpretation, die Quantz uns vorschlägt. Fast für jeden Ton gibt er einen Hinweis, wie<br />
dieser dynamisch gestaltet werden könnte. Wenn man diesen Vorschlägen Folge leistet wird<br />
man bemerken, dass dafür eine extrem flexible und sensible Atem- und Ansatztechnik<br />
notwendig ist. Zudem wird erkenntlich, dass traditionelle, meist „romantisierende“<br />
Phrasierungsvorstellungen (man denke an den oft zitierten „großen Spannungsbogen“)<br />
durch eine filigrane und sich permanent verän<strong>der</strong>nde Klangformung ersetzt werden.<br />
3 Das vorliegende Beispiel mit den, für eine bessere Lesbarkeit, nachträglich eingefügten dynamischen Angaben<br />
stammt aus dem Buch „Quantz heute“ (s. Bibliographie)<br />
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Danksagung<br />
Wenn ich zurückblicke auf die vergangenen Jahre des Unterrichtens und die vielen Monate<br />
des Schreibens, dann tauchen viele Bil<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Erinnerung auf: Bil<strong>der</strong> vor allem von<br />
Menschen, die mich inspiriert, motiviert, gestützt und nicht zuletzt energetisch „ge<strong>im</strong>pft“<br />
haben, dieses Buch zu schreiben.<br />
An erster Stelle möchte ich jedem einzelnen meiner ehemaligen Studierenden danken. Der<br />
Dank gilt für ihr Engagement, ihre Neugier und ihren Wissensdurst, aber auch für kritisches<br />
Nachfragen und das Einbringen eigener, oft für mich neuer Erkenntnisse rund um die<br />
historische Aufführungspraxis.<br />
Wie oft haben sie mich zum Überdenken scheinbar eindeutiger Tatsachen gebracht!<br />
Den vielen lieben Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich in <strong>der</strong> Vergangenheit die Ehre<br />
und Freude hatte, mich in zahllosen Gesprächen austauschen zu dürfen, sei ebenfalls<br />
mein tiefster Dank ausgesprochen. Ich kann sie nicht alle aufzählen, die Liste würde<br />
Seiten füllen.<br />
Einen lei<strong>der</strong> viel zu früh verstorbenen Freund und Kollegen möchte ich an dieser Stelle<br />
jedoch erwähnen: Ludger Remy. Unvergessen bleiben für mich die <strong>im</strong>mer wechselseitig<br />
inspirierenden Gespräche mit ihm. Während langer Autofahrten, nach intensiver<br />
Probenarbeit (mit einem kühlen Bier in <strong>der</strong> Hand), bei nächtlichen (meist sehr späten)<br />
Telefonaten: <strong>im</strong>mer ging es dabei um die Sache, um den tieferen Sinn, um die Essenz.<br />
Danke, Ludger!<br />
Last but not least sage ich auch: danke liebe Andrea! Du hast mir <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Mut<br />
gemacht, mich an meine Stärken erinnert und mich in je<strong>der</strong> Hinsicht unterstützt.<br />
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Bibliographie<br />
Pr<strong>im</strong>är-Quellen<br />
Agricola, Johann Friedrich: „Anleitung zur Singekunst“ (Berlin 1757).<br />
Bach, Carl Philipp Emanuel: „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“ (Berlin<br />
1753/1762).<br />
Bach, Johann Sebastian: „Clavier-Büchlein für Wilhelm Friedemann Bach“ (Cöthen 1720).<br />
Bassano, Giovanni: „Ricercate, passaggi e cadentie, per potersi essercitar nel d<strong>im</strong>inuir“<br />
(Venedig 1585).<br />
Bovicelli, Giovanni Battista: „Regole, passaggi di musica, madrigali, e motetti passeggiati“<br />
(Venedig 1594).<br />
Brunelli, Antonio: „Varii esercitii per una, e due voci“ (Florenz 1614).<br />
Caccini, Giulio: „Le nuove musiche“ (Florenz 1601).<br />
Casa, Girolamo dalla: „Il vero modo de d<strong>im</strong>inuir” (Venedig 1584).<br />
Couperin, François: „L’art de toucher le clavecin“ (Paris 1716).<br />
D’Anglebert, Jean-Henri: „Pièces de Clavecin” (Paris 1689).<br />
Geminiani, Francesco: „Rules for Playing in a True Taste“ (London 1739).<br />
Hotteterre, Jacques-Martin: „Principes de la flute traversière, de la Flute a bec, et du Hautbois“<br />
(Paris 1707).<br />
Hotteterre, Jacques-Martin: „L’Art de Prélu<strong>der</strong>“ (Paris 1719).<br />
Loulié, Etienne: „Éléments ou principes de musique“ (Paris 1696).<br />
Mattheson, Johann: „Der vollkommene Capellmeister“ (Hamburg 1739).<br />
Montéclair, Michel Pignolet de: „Principes de musique“ (Paris 1736).<br />
Mozart, Leopold: „Versuch einer gründlichen Violinschule“ (Augsburg 1756).<br />
North, Roger: „Notes of me“ (London 1695).<br />
Quantz, Johann Joach<strong>im</strong>: „Versuch einer Anleitung die Flöte traversiere zu spielen“ (Berlin<br />
1752).<br />
Rameau, Jean-Philippe: „Code de musique pratique, ou méthodes pour appren<strong>der</strong>e la<br />
musique“ (Paris 1760).<br />
Rognoni, Francesco: „Selva di varii passaggi“ (Mailand 1620).<br />
Tartini, Giuseppe: „Traité des agréments de la musique“ (Paris 1770).<br />
Telemann, Georg Philipp: „Sonate metodiche“ (Hamburg 1728/1732).<br />
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Walther, Johann Gottfried: „Musicalisches Lexicon“ (We<strong>im</strong>ar 1728).<br />
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Sekundär-Quellen<br />
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Schmitz, Hans-Peter: „<strong>Die</strong> Kunst <strong>der</strong> Verzierung <strong>im</strong> 18. Jahrhun<strong>der</strong>t“ (Kassel 1955).<br />
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Veilhan, Jean-Claude: „<strong>Die</strong> <strong>Musik</strong> des <strong>Barock</strong> und ihre Regeln“ (Paris 1982).<br />
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