SUGGESTIONEN Ausgabe 2018
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
44 Differenzielle Kinästhetik und evozierte Synästhesie<br />
Differenzielle Kinästhetik und evozierte Synästhesie<br />
745<br />
Induktion in tiefer Trance<br />
durch differenzielle<br />
Kinästhetik und evozierte<br />
Synästhesie<br />
Autor: Dr. Michael Weh<br />
Kann mithilfe von bilateral unterschiedlichen Vorstellungen körperlicher Empfindungen<br />
und in Hypnose hervorgerufenen synästhetischen Wahrnehmungen Trance vertieft und das<br />
Tranceerleben intensiviert werden? Die folgende Einzelstudie untersucht dieses Phänomen.<br />
Einleitung<br />
Untersucht wurde die Methode,<br />
Probanden durch die Anwendung<br />
differenzieller Kinästhetik schneller<br />
in tiefere Trancestadien zu führen,<br />
um als Hypnotherapeut effektiver<br />
arbeiten zu können. Zum<br />
einen bringt eine Zeitersparnis bei<br />
der Induktion und Vertiefung ganz<br />
praktische Vorteile, zum anderen<br />
könnten tiefere Trancestadien<br />
sowohl in der klinischen als auch<br />
der experimentellen Hypnose von<br />
Vorteil sein. Nach Kenntnis des<br />
Autors wurde differenzielle Kinästhetik<br />
(ein Begriffsvorschlag des<br />
Autors) bisher in der Literatur<br />
noch nicht speziell beschrieben<br />
oder untersucht. Dieser Fallbericht<br />
einer Patientin soll einen wissenschaftlichen<br />
Impuls für weitere<br />
Forschung geben.<br />
Der Autor experimentierte mit<br />
weiteren Probanden zu diesem<br />
Thema. Dieser Fall wird hier exemplarisch<br />
als typisch vorgestellt.<br />
Der Autor<br />
Dr. Michael Weh<br />
Definition:<br />
Unter „differenzieller Kinästhetik“<br />
werden in diesem Artikel Suggestionen<br />
verstanden, die den Probanden<br />
anleiten, taktile Wahrnehmungen<br />
in Trance zu erfahren, die<br />
bilateral unterschiedlich ausfallen.<br />
Es werden also für jeweils den<br />
rechten und linken Fuß (oder die<br />
Hände) deutlich differenzierte<br />
Suggestionen erteilt, um die Konzentration<br />
stark und fokussiert zu<br />
verstärken, mit der Absicht, die<br />
Trance schnell zu vertiefen.<br />
Fallbeschreibung und Methode<br />
Die Probandin wies bisher noch<br />
keine Hypnoseerfahrung auf und<br />
war anamnestisch nicht synästhetisch.<br />
Sie wurde weitgehend standardisiert<br />
in Einzelsitzung durch Induktion,<br />
Vertiefung, Arbeitsphase und<br />
Termination mit posthypnotischen<br />
Anweisungen geleitet:<br />
Dr. Michael Weh<br />
Ablauf der Hypnosesitzung<br />
Induktion und erste Vertiefung<br />
(knapp 10 Minuten)<br />
Die wache und neugierige Patientin<br />
erfuhr eine klassisch-direkte,<br />
forcierte Hypnoseinduktion nach<br />
U. Jovanovicz mit Fixation auf ein<br />
Pendel, die ca. 2 Minuten dauerte,<br />
bis der Augenschluss auftrat.<br />
Daraufhin folgte eine Vertiefung<br />
bei geschlossenen Augen, in der<br />
die Probandin etwa 5 Minuten<br />
wiedererlebte, wie sie in ihrer Vergangenheit<br />
bereits Schwierigkeiten<br />
überwunden hatte (Induktion<br />
mit Regression nach M. Erickson),<br />
bis deutliche Trancezeichen wie<br />
mimische Atonie, reduzierter allgemeiner<br />
Muskeltonus, blasse<br />
Hautfarbe, REM und vertiefte<br />
Atmung zu erkennen waren. Anschließend<br />
wurde die Patientin innerhalb<br />
von 1 - 2 Minuten von der<br />
äußeren visuellen Wahrnehmung<br />
(Imagination einer Trauminsel) zur<br />
inneren kinästhetischen geführt.<br />
Durch Anheben der Finger der lin-<br />
Hat eine eigene Meditationsschule in Würzburg und ist Autor mehrerer psychologisch-spiritueller<br />
Bücher. Er hat an der Zahnärztekammer gelehrt, ist Motivationstrainer und Hypnotherapeut,<br />
behandelt Menschen mit Ängsten und Schmerzen und gibt Interviews über Hypnose im<br />
Radio und TV.<br />
ken Hand und der gesamten Hand<br />
im Gelenk um wenige Zentimeter<br />
wurde nun eine deutliche Katalepsie<br />
festgestellt. Die Einleitungsund<br />
Vertiefungsphase war damit<br />
abgeschlossen.<br />
Differenzielle Kinästhetik<br />
(3 Minuten)<br />
In der folgenden Arbeitsphase<br />
wurde der Probandin nun ganz<br />
gezielt differenzielle Kinästhetik<br />
suggeriert: Sie wurde angewiesen,<br />
mit nackten Füßen im weichen,<br />
warmen Sand einer Trauminsel zu<br />
gehen und diesen deutlich unter<br />
den Fußsohlen und zwischen den<br />
Zehen zu fühlen. Nach 30 Sekunden<br />
sollte der rechte Fuß von Wellen<br />
des Meeres berührt werden,<br />
sodass hier die kinästhetischen<br />
Sensationen von Kälte, Wasser<br />
und nassem Sand erfolgen sollten.<br />
Die Unterschiede in der Kinästhetik<br />
beider Füße wurden ca.<br />
1 Minute lang betont und vertieft.<br />
Daraufhin sollte die Probandin mit<br />
der linken Hand einen herabhängenden<br />
Palmwedel berühren und<br />
dessen raue Oberfläche deutlich<br />
fühlen. Die rechte ausgestreckte<br />
Hand sollte lediglich den weichen<br />
warmen Wind zwischen den gespreizten<br />
Fingern fühlen. Auch<br />
dieser Unterschied wurde ca. eine<br />
Minute lang betont.<br />
Test auf negative Halluzination<br />
(1-2 Minuten)<br />
Nun erfolgte ein Test auf negative<br />
Halluzination, um die Trancetiefe<br />
einschätzen zu können. Der<br />
Autor suggerierte, er begegnete<br />
der Probandin in Trance auf der<br />
Trauminsel als Person und strecke<br />
ihr eine leere Hand entgegen.<br />
Dann wurde sie aufgefordert, die<br />
Augen für 5 Sekunden tatsächlich<br />
zu öffnen. Der Autor streckte<br />
ihr real seine Hand entgegen, in<br />
der sich eine Brille befand, die sie<br />
aber als leer wahrnehmen sollte<br />
(„Du siehst meine leere Hand vor<br />
deinen Augen!“). Danach sollte die<br />
Probandin weiter auf der Trauminsel<br />
weilen.<br />
Evozieren von Synästhetik<br />
(5 Minuten)<br />
Nachfolgend suggerierte der Autor<br />
3 verschiedene Geräusche<br />
(Schrei einer Möwe, Meeresrauschen,<br />
Schiffssirene) und diese<br />
sollten jeweils in charakteristischen,<br />
unterschiedlichen Farben<br />
wahrgenommen werden, die die<br />
Probandin frei wählen durfte. Danach<br />
wurden 2 verschiedene Berührungen<br />
der Handflächen mit<br />
Objekten (Muschel, Baumrinde)<br />
suggeriert, die jeweils gleichzeitig<br />
als gustatorische Sensationen<br />
empfunden werden sollten. Mit<br />
der indirekten Suggestion „Es<br />
wird interessant sein, zu beobachten,<br />
ob und wie lange diese<br />
erweiterten Sinneswahrnehmungen<br />
auch in den nächsten Tagen<br />
auftreten werden: Geräusche, die<br />
du als Farben sehen kannst, und<br />
Berührungen, die du gleichzeitig<br />
schmecken kannst!“ endete die<br />
experimentelle Phase. Diese Phase<br />
nahm etwa 5 Minuten in Anspruch.<br />
Posthypnotische Suggestionen,<br />
Nachruhe (10 Minuten)<br />
Eine Standardtermination beendete<br />
die Sitzung. Weiterhin wurden<br />
durch Seeding und indirekte<br />
Suggestionen Amnesie provoziert<br />
ebenso wie interne Lernprozesse<br />
durch direkte posthypnotische<br />
Anweisungen in Aussicht gestellt.<br />
Im Anschluss an die Nachruhe<br />
wurde die Probandin gezielt abgelenkt,<br />
um eine Amnesie zu erzielen.<br />
Trancetiefe<br />
Ergebnisse<br />
Die Trance erschien nach Muskelund<br />
Hauttonus, Atmung, Hautfarbe,<br />
Augenbewegungen, Mimik,<br />
Katalepsie, Auftreten von Amnesie<br />
und Halluzinationen als tief<br />
bis sehr tief. Allerdings zeigte die<br />
Probandin kein positives Ergebnis<br />
auf den Test zur negativen Halluzination;<br />
sie erinnerte sich daran, in<br />
der visualisierten Hand des Autors<br />
im Tranceerleben eine Brille gesehen<br />
zu haben. An das Öffnen der<br />
Augen während der Hypnosesitzung<br />
erinnerte sie sich nicht. Die<br />
Patientin zeigte eine weitgehende<br />
Amnesie für das Tranceerleben<br />
und gab eine geschätzte Zeitdauer<br />
der Sitzung von 3 Minuten an<br />
(Timedistortion).<br />
Differentielle Kinästhetik<br />
Die Probandin erinnerte sich auf<br />
gezieltes Nachfragen hin an die<br />
differenziellen Suggestionen zur<br />
Kinästhetik, die sie in Trance problemlos<br />
nachvollziehen konnte.<br />
Synästhesie<br />
An das Erleben der Synästhesie<br />
(z. B. Geräusche als Farben) erinnerte<br />
sich die Patientin nur bruchstückhaft.<br />
Sie zeigte an den Folgetagen<br />
(5 Tage später telefonisch<br />
abgefragt) keine persistierenden<br />
synästhetischen Fähigkeiten, trotz<br />
gelenkter Aufmerksamkeit auf<br />
dieses Phänomen, obwohl persistierende<br />
Synästhesie in Trance<br />
als posthypnotischer Auftrag gegeben<br />
worden war.<br />
Diskussion<br />
Die Absicht hinter dieser Fallstudie<br />
war, nicht nur eine tiefere<br />
Trance zu erzielen, sondern die<br />
Trancevertiefung auch zu beschleunigen.<br />
Beides erscheint<br />
mit der Methode der Suggestion<br />
differenzieller Kinästhetik und der<br />
Synästhesie erreichbar. Als Ursache<br />
dafür vermutet der Autor die<br />
hohe Konzentration und intensive<br />
Evokation von Imagination, die<br />
durch die komplizierten und vielseitigen<br />
Suggestionen erzielt werden<br />
konnte.