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SUGGESTIONEN Ausgabe 2018

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14 Hypnose & Trost<br />

Hypnose & Trost 715<br />

intraoral palpiere, nähere ich mich<br />

schon der Mundhöhle.<br />

Erst danach fahre ich den Patienten<br />

in die Liegeposition, was für<br />

Angstpatienten eine große Herausforderung<br />

darstellt, auf die sie<br />

jetzt aber vorbereitet sind.<br />

Durch die Befundung der Schleimhäute<br />

lasse ich die Zähne, die für<br />

Patienten mit der meisten Angst<br />

verbunden sind, zunächst noch<br />

außen vor. Erst anschließend untersuche<br />

ich die Zähne und erhebe<br />

den PSI sowie lasse ein OPG<br />

anfertigen, sofern kein aktuelles<br />

von einem Kollegen vorliegt.<br />

Schließlich folgen Besprechung<br />

und Therapieplanung.<br />

Wenn gar nichts mehr geht...<br />

Bei der in der Einführung angesprochenen<br />

Neupatientin ging natürlich<br />

nichts dergleichen.<br />

Sie war nervlich völlig am Ende,<br />

selbst eine Unterhaltung wäre zu<br />

viel für sie gewesen. Da ich eine<br />

Stunde eingeplant hatte, hatte ich<br />

aber genug Zeit, die Patientin in<br />

ihrer Not aufzufangen. So schlug<br />

ich ihr vor, mit einer „Entspannungsübung“<br />

zu beginnen.<br />

Ich vermeide in solchen Situationen<br />

den Begriff „Hypnose“, weil<br />

viele Menschen eine falsche Vorstellung<br />

von Hypnose haben. Die<br />

einen haben Angst vor Kontrollverlust,<br />

Willenlosigkeit oder Gehirnwäsche,<br />

andere haben Erwartungen<br />

von einer Art Vollnarkose und<br />

sind hinterher enttäuscht, dass sie<br />

„alles mitgekriegt“ haben. Der Begriff<br />

„Entspannungsübung“ lässt<br />

sich dagegen vielseitig interpretieren,<br />

und da „zahnärztliche Hypnose“<br />

auf meinem Praxisschild<br />

steht, können sich die meisten<br />

Patienten vermutlich denken, woher<br />

meine Kenntnisse stammen.<br />

Hypnotische Intervention<br />

Bei der Induktion legte ich im konkreten<br />

Fall den Schwerpunkt auf<br />

die Wahrnehmung der eigenen<br />

Atmung, was gerade in einer solchen<br />

Situation, in der die Tendenz<br />

zur Hyperventilation besteht, eine<br />

gute Ressource ist.<br />

Mit der Etablierung eines Ruheortes<br />

gelang es mir, der Patientin ein<br />

Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.<br />

Wichtig war mir schließlich,<br />

ein positives Gefühl zu verankern.<br />

Dazu gab ich einerseits Kraftsuggestionen<br />

und hob hervor, wie<br />

stark die Patientin gewesen sei,<br />

sich zu überwinden und hierher zu<br />

kommen und verankerte das Gefühl,<br />

stolz auf sich zu sein, diesen<br />

ersten wichtigen Schritt geschafft<br />

zu haben.<br />

Nach dieser Intervention nahm ich<br />

mir dann noch Zeit für die spezielle<br />

Anamnese, für die die Patientin<br />

nun bereit war. Diese war für<br />

die Patientin wichtig, um mir ihre<br />

„Horrorerlebnisse“ beim Zahnarzt<br />

zu berichten und für mich, um<br />

einen anamnestischen Überblick<br />

über ihre zahnmedizinische Vorgeschichte<br />

zu bekommen.<br />

Auf eine Untersuchung habe ich<br />

am ersten Tag gänzlich verzichtet.<br />

Diese erste Sitzung war aber<br />

ungemein wichtig für den Vertrauensaufbau.<br />

Untersuchung und<br />

zahnärztliche Behandlung<br />

Die Untersuchung in der folgenden<br />

Sitzung zeigte im Oberkiefer<br />

ein Restgebiss von sechs Zahnstümpfen,<br />

die bis auf das Zahnfleischniveau<br />

heruntergefault waren.<br />

Der Unterkiefer sah besser<br />

aus und wies vier überkronungsbedürftige<br />

Zähne, eine Schaltlücke<br />

rechts und eine Freiendsituation<br />

links auf.<br />

Die Therapie bestand im Oberkiefer<br />

in der Entfernung von drei<br />

Zähnen, dem Aufbau der drei verbliebenen<br />

Zähne mit Glasfaserstiften<br />

und der Versorgung des<br />

Oberkiefers mit einer Cover-denture-Prothese.<br />

Im Unterkiefer<br />

überkronte ich die entsprechenden<br />

vier Zähne und ersetzte die<br />

fehlenden Zähne mit einer Modellgussprothese.<br />

Behandlungsverlauf<br />

Der Behandlungsverlauf war nicht<br />

immer einfach. Das Vertrauensverhältnis,<br />

das sich dank der<br />

hypnotischen Intervention in der<br />

ersten Sitzung schnell entwickelt<br />

hatte, führte zwar zur Behandlungsbereitschaft<br />

der Patientin.<br />

Ich hatte allerdings den Eindruck,<br />

dass neben der Angst vor allem<br />

die Lebenssituation der Patientin<br />

(meines Wissens nach keine<br />

Berufsausbildung, ALG-II-Bezieherin,<br />

Hausfrau, und für ihr Kind<br />

hatte ihr das Jugendamt eine erzieherische<br />

Hilfe an die Seite gestellt)<br />

dazu beitrugen, dass sie<br />

einerseits wenig Gefühl für Verbindlichkeiten<br />

hatte noch eine<br />

besondere Empathie für die Situation<br />

anderer Menschen. So sagte<br />

sie öfter einen Termin ab oder<br />

sie erschien, aber gab vor, heute<br />

nicht behandelt werden zu können,<br />

weil ihr übel sei.<br />

Auch bei der Präparationssitzung<br />

hatte sie wenig Durchhaltevermögen<br />

und zog die Sitzung durch<br />

das Ausleben ihrer Befindlichkeiten<br />

in die Länge.<br />

Abschließende Beobachtungen:<br />

Positiv fiel mir zum einen auf, dass<br />

es die Patientin geschafft hatte,<br />

bis zum Schluss durchzuhalten,<br />

was vielen Angstpatienten mit<br />

hohem Sanierungsbedarf nicht<br />

gelingt. Auch die Beobachtung<br />

ihres steigenden Selbstwertgefühls<br />

habe ich mit großer Freude<br />

wahrgenommen. Vom „Häuflein<br />

Elend“, das sich am ersten Tag<br />

bei mir vorstellte bis zu der selbstbewusst<br />

lächelnden Frau, die kurz<br />

vor Weihnachten 2015 (also nach<br />

gut einem Jahr) ihre neuen Zähne<br />

bekam, hatte sich mehr entwickelt<br />

als nur ein neues Gebiss.<br />

Eine gepflegte Frisur und eine<br />

selbstbewusstere Körpersprache<br />

waren Anzeichen dafür, dass eine<br />

innere Entwicklung stattgefunden<br />

hatte, die über die Zähne hinausging.<br />

Es bleibt noch zu erwähnen,<br />

dass man die Zufriedenheit der<br />

Patientin auch daran erkennen<br />

konnte, dass sie mich kräftig in<br />

ihrem Umfeld weiterempfahl.<br />

Und der in solchen Fällen fast obligatorische<br />

Wermutstropfen soll<br />

auch nicht verschwiegen werden:<br />

Nach der Nachkontrolle im Januar<br />

2016 hat die Patientin die Praxis<br />

zwar mit erfolgreichem Abschluss<br />

verlassen, seitdem ist sie aber<br />

nicht wiedergekommen, weder<br />

zur Untersuchung, geschweige<br />

denn zur Prophylaxe.<br />

Es ist also zu befürchten, dass sie<br />

wieder alles vergammeln lassen<br />

wird, bis die nächste Katastrophe<br />

sie zum Handeln zwingt...

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