Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />
möchte mich davon überzeugen, dass nicht alle Venezuelaner stur sind. Vielleicht kann mir ja<br />
sogar ein Schüler die Stadt zeigen und ich bringe ihm im Gegenzug etwas Deutsch bei?<br />
Der Lehrer ist über meinen Anruf ziemlich verdutzt, trotzdem ist das Gespräch sehr interessant<br />
und wir verabreden uns für morgen zu einem Treffen.<br />
Blick vom Wolkenkratzer im Parque Central<br />
Ich bin fest davon überzeugt die Touristeninformation doch noch zu finden und gehe zurück<br />
zum Parque Central. Der gesamte Wolkenkratzer hat schon mal bessere Tage gesehen. Über<br />
ein abenteuerliches Aufzugsystem lasse ich mich nach oben befördern. Im Aufzug sitzt ein<br />
Angestellter auf seinem kleinen Hocker, der alles von Hand bedient und oftmals kommt der<br />
Aufzug ziemlich versetzt in den einzelnen Stockwerken an. Wenn ich hier mal wieder lebend<br />
herauskomme...<br />
Doch dort oben befindet sich gar kein Touristenbüro. Und das wird nicht der einzige Fehler<br />
meines Reiseführers bleiben. Hier ist das komplette Tourismusamt von Venezuela! Ein wenig<br />
schüchtern gehe ich zur Empfangsdame und frage nach der Touristeninformation. Eine<br />
Touristeninformation gibt es hier nicht, allerdings ist das auch ganz egal. Ein gut gekleideter<br />
Herr nimmt mich sofort zur Seite und führt mich durch alle Büros, wobei er mir davon erzählt,<br />
wie toll Venezuela doch ist. "Ein Käffchen, der Herr? Vielleicht ein Stückchen Kuchen?" Ich<br />
komme mir total deplatziert vor. Was mache ich hier eigentlich? Unterliege ich einer<br />
Verwechslung? Hat man für heute vielleicht schon einen anderen "Yankee" in Sandalen, kurzer<br />
Hose und T-Shirt erwartet? Man behandelt mich wie hohen Staatsbesuch - als wäre ich der<br />
erste Tourist seit Jahren!<br />
Man erzählt mir viel Schönes über Venezuela. Während alle anderen Leute nur über den<br />
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abstieg Venezuelas klagen, sieht man hier alles viel<br />
Positiver. Während wir auf Caracas herabblicken, erläutert er mir seine Sicht der Dinge:<br />
"Venezuela unterliegt einem ständigen Wandel. Das sehen Sie schon am Beispiel der<br />
Busstation, die inzwischen an einer anderen Stelle liegt, als in Ihrem Reiseführer beschrieben.<br />
Wir sind ein großes, wachsendes Land das sich ständig wandelt."<br />
"Ja, aber was ist mit der wirtschaftlichen Krise und dem Putsch?" gebe ich zu bedenken.<br />
Das hätte ich besser nicht gesagt. Man versucht hier loyal hinter dem Präsidenten zu stehen.<br />
Der Herr beißt sich auf die Lippe: "Nun ja, es gibt im Moment ein paar Probleme in Venezuela,<br />
aber das ist nur die Talfahrt vor einem weiteren gigantischen Aufstieg!"<br />
In diesem katastrophalen Zustand noch so positiv denken zu können - davon sollte sich<br />
Deutschland mal eine Scheibe abschneiden...<br />
Und das mal ganz abgesehen davon, dass sich Venezuela seit nunmehr 20 Jahren auf dem<br />
Abstieg befindet. Von den Ölscheichs Südamerikas zum Venezuela von heute ist es schon ein<br />
sehr weiter Abstieg. Die Slums wuchern in ungeahnte Ausmaße und längst kann sich die Stadt<br />
selbst nicht mehr ernähren. Wasser gibt es nur zu bestimmten Tageszeiten. Selbst die Politiker<br />
geben inzwischen zu, dass man - egal mit wie vielen finanziellen Mitteln - eine so große Stadt<br />
wie Caracas niemals komplett mit Wasser versorgen könne.<br />
- 61 -