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Teil 2 - LimeSim

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Traum Südamerika<br />

Vom 27. Mai bis zum 18. August 2003<br />

Per Fahrrad, Bus, Flugzeug, Boot, Bahn,<br />

Wüstenbuggy, Pick-Up und zu Fuß quer durch<br />

Chile, Bolivien, Perú und Venezuela.<br />

Vom eisigen Altiplano in die Hitze der Karibik...<br />

© 2004 by Sascha Normann<br />

www.FietsPad.De<br />

- 1 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

"¿Dónde está Alemania?"<br />

Deutschland? Wo ist das?<br />

- 2 -<br />

Venezuelanischer Taxifahrer


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Inhaltsverzeichnis <strong>Teil</strong> 2<br />

Bolivien<br />

Der Höllenritt – Auf dem Landweg nach<br />

Rurrenabaque<br />

Ab in die Pampa<br />

Eine liebenswerte Nation<br />

Think Positive!<br />

La Isla del Sol<br />

Perú<br />

Las Islas Floantes<br />

Der Nabel der Welt: Cusco<br />

Machupicchu<br />

Nackte Schamanen auf dem Weg nach Feuerland<br />

Die Oase in der Wüste<br />

Abschied von der Südhalbkugel<br />

Venezuela<br />

Feel Caribbean Man!<br />

Caracas 1 – Geschichten aus dem Moloch<br />

Caracas 2 – Die schönen Seiten?<br />

Karibischer Traum – Sonnenbrand und Kokosnüsse<br />

¡Lo Mejor Del Mundo!<br />

Planlos in Mérida<br />

Turbulenter Rückweg<br />

Deutschland? – Wo ist das?<br />

Fazit…<br />

+ Ausrüstungsliste und Tipps und Informationen (<strong>Teil</strong> 1)<br />

+ Kleine Statistik (am Ende)<br />

+ Kartenmaterial (am Ende)<br />

am Ende des Berichtes<br />

- 3 -


Der Höllenritt<br />

Der Landweg nach Rurrenabaque<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Hatte ich nicht gesagt, dass es immer anders kommt als erwartet?! Genau! Wie sollte es auch<br />

anders sein!<br />

Früh am Morgen machen Hans, Donat Sindy und ich uns auf den Weg zum Bootsanleger. Der<br />

Bootsmann hat sich gestern nicht mehr bei uns blicken lassen, obwohl er uns versprochen hatte<br />

vorher noch einmal vorbeizukommen. Ein schlechtes Zeichen. Er steht schon vor dem Punto<br />

Entel und teilt uns mit, dass er heute nicht fahren wird. Die Fußballmannschaft hätte angeblich<br />

nicht genügend Geld. Natürlich gäbe es noch eine Möglichkeit: Den "Expresso". Wir bleiben<br />

beim Verhandeln auf "läppischen" 180 Dollar für die Fahrt beharren, er auf 250 Dollar. Das kann<br />

doch nicht wahr sein!!! Innerlich muss ich mich zurückhalten, dass ich jetzt nicht ausraste und<br />

ihm aus reinem Unmut kräftig zwischen die Beine trete! Wegen diesem schmierigen<br />

Drecksgesicht soll ich drei Tage in diesem Kaff abgesessen haben!?<br />

Dann kommt uns der Fußballtrainer über den Weg gelaufen und sagt uns, dass sie heute fahren<br />

werden. Aber nur wenn die ganze Mannschaft bis 8 Uhr zusammenkommt. Gut, ich spreche<br />

daraufhin wieder den Bootsmann und der antwortet mir nur verächtlich: "Alles Humbug! Der<br />

Spinner weiß doch gar nichts!". Daraufhin zeigt er uns stolz seine ungeschliffene Nussschale<br />

ohne Motor, die wir wohl heute auf ihrer Jungfernfahrt "eingeweiht" hätten. "Was macht die<br />

Fahrt denn so teuer?", frage ich ihn.<br />

"Na, das Benzin."<br />

"Und wie viele Liter brauchen Sie für die Fahrt?"<br />

"300 Liter"<br />

Mal ganz davon ab, dass das absolut übertrieben ist bin ich schon kurz davor ihm den<br />

Vorschlag zu machen, dass wir ihm ja die 300 Liter besorgen könnten. Das käme dann vielleicht<br />

auf 50 Dollar. Doch Donat hält mich zurück. Am besten wär's wir gehen erst einmal frühstücken<br />

und lassen den Spinner ein wenig schmoren, sagt er mir. Ich genehmige mir einen<br />

"Milchkakao", der nach Öl, Wasser und Mehl schmeckt, aber kein bisschen nach Kakao.<br />

Daraufhin habe ich wirklich die Schnauze voll von den Halsabschneidern hier, nehme mir ein<br />

wenig Proviant aus meinem Fahrradtaschen und schmiere mir im Restaurant meine eigenen<br />

Brote. Sollen sie doch dumm gucken, wie sie wollen!<br />

Die Mutter des kleinen Fußballspielers, den wir kennen, sagt uns selbst sehr irritiert, dass das<br />

Boot doch heute fahren müsse. So langsam bekommen wir raus, wie der Hase läuft. Der<br />

Bootsmann fährt nur, wenn wir die entsprechende Geldleistung bringen - eher bewegt sich hier<br />

gar nichts und die Fußballmannschaft kommt auch nirgendwo hin. Schön! Wir sehen aber nicht<br />

ein, den Transport für die gesamte Fußballmannschaft und alle möglichen anderen Güter zu<br />

bezahlen.<br />

Donat geht schon einmal in die "Stadt", um sich über Fahrtmöglichkeiten mit Bus und Jeep<br />

schlau zu machen. Danach kommt er zurück und berichtet uns belustigt davon, dass er von<br />

jemandem erfahren hat, dass gestern erst ein Boot mit einer Touristengruppe nach "Rurre"<br />

gefahren ist. Jetzt beginne ich innerlich zu kochen. Wir verlassen den Bootsanleger und Donat<br />

hat noch den Anstand, dem Bootsmann "Bis morgen!" zu sagen. Ich würde im Vorbeigehen am<br />

liebsten mein bepacktes Rad auf ihn schmeißen und ihm an die Gurgel springen. Irgendwie<br />

scheint er das zu spüren, wenn man seinen Gesichtsausdruck so betrachtet. Schön, dann bin<br />

ich wenigstens ein bisschen befriedigt.<br />

Wir stellen uns mit unseren Sachen auf die Ladefläche eines altersschwachen Pick-Ups und<br />

machen uns auf eine drei Stunden lange Fahrt zurück nach Caranavi - dem einzigen möglichen<br />

Landweg nach Rurrenabaque. Mit uns an Bord sind zwei riesige Oxygen-Flaschen, die ständig<br />

gegen unsere Füße rollen. Ein paar Bauerndörfer später sind wir mit all dem Gepäck und zwei<br />

Rädern 28 (!) Leute, die sich auf dem kleinen Pick-Up festklammern. Das erste Mal auf meiner<br />

Reise nieselt es ein wenig und wir können unsere verstaubten Regenjacken überziehen.<br />

Erfrischend.<br />

In Caranavi haben wir genügend Zeit zum Mittagessen und lassen uns die ganze Zeit durch von<br />

einem alten "Robocop"-Streifen beschallen. Erst heute Abend wird ein Bus nach Rurrenabaque<br />

fahren. Donat und ich gehen schon einmal Tickets kaufen (die Fahrt über Land kostet alles in<br />

allem übrigens nur 7 Euro pro Nase). Man sagt uns, dass wir um halb 6 dort sein sollen, da der<br />

Bus um 6 Uhr fährt.<br />

- 4 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Deutschunterricht<br />

Na ja, nach viel Deutsch-, Spanisch- und Amára-Unterricht, den Donat mit ein paar fröhlichen<br />

Kindern macht, sitzen wir um 8 Uhr immer noch in der Busstation. Alle halbe Stunde fragen wir,<br />

wann der Bus denn fährt und immer bekommen wir zur Antwort: "In einer halben Stunde,<br />

Amigo."<br />

Um 9 Uhr abends kommt der Bus dann tatsächlich. Ich treffe Fernando wieder, den Bergführer<br />

vom Chacaltaya. Er will mit dem gleichen Bus nach Rurrenabaque. Mühsam hieven wir unsere<br />

Räder auf das Dach und der Höllentrip beginnt.<br />

Im Reise Know-How steht: "Die Straße zwischen Caranavi und San Borja ist nun gut ausgebaut<br />

und asphaltiert, so dass die Piste auch nach schweren Regenfällen passierbar bleibt."<br />

Vielleicht bin ich einfach zu empfindlich. Aber es spricht wohl für sich, dass wir die ganze Nacht<br />

durch kräftig geschüttelt und bei manchen Schlaglöchern aus unseren Sitzen geschmissen<br />

werden. Wir passieren zwei Militärkontrollen, bei denen Soldaten den ganzen Bus nach Drogen<br />

durchsuchen. Dummerweise verpasse ich die zweite Kontrolle und somit die Möglichkeit einer<br />

zweiten Pinkelpause. Um 5 Uhr morgens hallte ich die ständigen Schläge kaum mehr aus und<br />

von rechts kommt die erlösende Beipflichtung von Donat: "Sascha, was hältst Du davon, wenn<br />

wir den Busfahrer mal nach einer Pinkelpause fragen?" Ich habe schon befürchtet, dass es nur<br />

mir so geht und ganz fix bin ich vorne beim Busfahrer. Mit verkniffenen Gesichtern gehen wir<br />

nach draußen und entleeren unsere Blasen. Doch der Busfahrer hupt so ungeduldig, dass ich<br />

meine Blase in der kurzen Zeit nicht einmal entleeren kann. Dieses unmenschliche Wesen!<br />

Und eine Sache ist mir bis heute unverständlich: Während wir vor Blasendruck allesamt fast<br />

"gestorben" wären, hat sich während der Pinkelpause KEINER der bolivianischen Fahrgäste<br />

nach draußen bewegt, um demselben Drang nachzugeben! Diese Menschen geben mir Rätsel<br />

auf!<br />

Früh am Morgen kommen wir in Rurrenabaque an und quartieren uns im Residencial Jazmin<br />

ein. Endlich sind wir im Amazonastiefland und die Temperaturen sind moderater als erwartet.<br />

Selten steigen sie über 20°C und es regnet an keinem unserer Tage hier. Wir informieren uns<br />

bei verschiedenen Tourenanbietern über Exkursionen in das Umland und informieren uns bei<br />

den beiden Fluggesellschaften Amaszonas und Transportes Aereos Militares über Rückflüge<br />

nach La Paz. Kaum einer von uns möchte noch einmal mit dem Bus zurückfahren.<br />

Wir buchen bei "Fluvial" eine dreitägige Tour in die Pampa und bekommen einen Rabatt, der<br />

mit 20 Doláres pro Tag 10 Doláres unter dem für US-amerikanische Staatsbürger liegt.<br />

Allerdings darf ich das ja gar nicht weitersagen...<br />

Der Besitzer eines Restaurants spricht gut Deutsch, da er längere Zeit in Deutschland gelebt<br />

hat. Ein Gast von ihm spricht es fließend, da er sogar 21 Jahre in Köln gewohnt hat. Man hört<br />

es ihm gar nicht an, dass er eigentlich Brasilianer ist. Jetzt lebt er hier, weil er "keinen Bock"<br />

mehr auf Deutschland hat. Er hatte mal drei Restaurants hier in Rurre, bis er auch darauf<br />

"keinen Bock" mehr hatte. Und jetzt füllt er sein Leben damit aus, indem er täglich raus auf den<br />

Fluss zum Fischen fährt. Diese Freiheit hier genießt er. Wenn er will, kann er ein Haus bauen,<br />

- 5 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

wenn er will, geht er Dynamitfischen und wenn ihm danach ist, dann geht er eben in den<br />

Dschungel und knallt ein paar Tiere ab... Freiheiten - wenn man so will - wofür er in<br />

Deutschland ins Gefängnis kommen könnte.<br />

Blick vom Mirador del Gringo<br />

Wir müssen noch ein paar Klamotten für unsere Tour in die Pampa einkaufen. Zuallererst<br />

brauchen wir billige Stoffschuhe, die für einen Tag Sumpfmarsch herhalten müssen und uns vor<br />

giftigen Sumpfpflanzen und Blutegeln schützen sollen. Außerdem müssen wir noch weiße<br />

langärmelige Hemden kaufen, die uns vor Mücken schützen. Seltsam. Auch dafür gibt es einen<br />

spezialisierten Laden. Die Hemden sind nicht neu und sind allesamt von verschiedenen US -<br />

amerikanischen Herstellern. Wir werden den Verdacht nicht los, dass wir hier Sachen aus der<br />

Kleidersammlung für arme Leute kaufen. Eigentlich doch gerade für die Touristen aus den USA<br />

eine kuriose Situation...<br />

Vorm Schlafengehen stellt sich heraus, dass Hans seine Lenkertasche mit vielen wichtigen<br />

Unterlagen (unter anderem auch das Reisetagebuch) irgendwo vergessen hat. Total verzweifelt<br />

sucht er überall nach ihr. Ich quäle mich wieder aus dem Bett und wir gehen zusammen los. In<br />

dem Laden, wo er sie vergessen haben könnte, ist sie auch nicht zu finden. Der Verkäufer<br />

versichert uns, dass er doch ein ehrlicher Mensch sei und wir seinen Laden ruhig durchsuchen<br />

können. Es bringt alles nichts. Enttäuscht ziehen wir uns zurück.<br />

Tag 46:<br />

Tag 47:<br />

Guanay - Caranavi - Nachtbus... -Tacho defekt-<br />

...Nachtbus - Rurrenabaque -Tacho defekt-<br />

- 6 -


Ab in die Pampa<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Der Morgen ist stressig. Sindy, Donat und ich wollen noch unsere Flüge gebucht haben bevor<br />

wir in die Pampa aufbrechen. Ich bekomme noch einen einzelnen Platz auf dem Flug in 4<br />

Tagen mit den Transportes Aereos Militares. Die Dame am Schalter bringt mich fast zum<br />

Wahnsinn. In aller Ruhe bastelt sie mit Vorlage und Bleistift für jeden Passagier das<br />

entsprechende Ticket und die Zeit rennt. Als ich sie dann noch zweimal frage, wie das denn mit<br />

dem Transport meines Fahrrades aussieht, antwortet sie mir nur zweimal: "Es sind nur 15 Kilo<br />

erlaubt." Dann lasse ich sie wissen, dass die Dame in La Paz mir gesagt hat, dass es auch<br />

geht, wenn ich mehr bezahle. "Das geht auch" antwortet sie mir knapp und trotzig.<br />

In einem der Restaurants schieben wir uns noch schnell was zu essen rein und gehen dann<br />

zum Tourenveranstalter. Hans ist total happy, weil er heute Morgen noch seine Lenkertasche<br />

wieder gefunden hat.<br />

- 7 -<br />

Gauchos<br />

Über eine holprige Fernpiste geht es per Jeep nach Santa Rosa. Mit in der Gruppe sind Froydis<br />

und Raw aus Norwegen, Laura und Amy aus Finnland, Andrea aus der Schweiz und wir vier:<br />

Hans, Sindy, Donat und ich.<br />

Der Jeep ist schon recht altersschwach und überall dringt an offenen Ritzen der Staub von der<br />

Piste herein. Nach 3 Stunden erreichen wir endlich den Anleger von Santa Rosa. Ich treffe<br />

schon wieder Fernando und zusammen fotografieren wir die immer wieder aus dem Wasser<br />

auftauchenden Flussdelfine. Beim Blick auf die zahlreich am Ufer liegenden Alligatoren gibt er<br />

mir noch einen guten Rat auf den Weg: Die Alligatoren wären gar nicht so gefährlich, ich solle<br />

mich viel mehr vor den "Chicas" in Acht nehmen. Ich werd's mir zu merken...<br />

Riesige Meerschweinchen?


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Nach längerer Wartezeit kommt unser Guide Roberto mit seinem Boot an. Die alte Gruppe<br />

steigt aus und wir steigen ein. Dann geht es flussaufwärts durch eine beeindruckende Tierwelt<br />

mit Unmengen von Alligatoren, Schildkröten, Paradiesvögeln und Kaimanen. Aber am<br />

beeindruckendsten sind wohl die Capybaras (Wasserschweine) - "Meerschweinchen" von der<br />

Größe eines Schäferhundes - und die zahlreichen kleinen Äffchen. Besonders interessant wird<br />

es, als Roberto das Boot neben dem buschigen Ufer zum Halten bringt und eine Horde der<br />

kleinen kreischenden Ungeheuer auf uns zukommt. Als er dann auch noch ein paar Bananen<br />

zückt, ist es um die kleinen Felltiere endgültig geschehen. Einer nach dem anderen stürmen Sie<br />

auf die hochgehaltene Banane zu. Es bricht vollkommene Anarchie zwischen den Äffchen aus.<br />

Nach dem Motto "Jeder für sich, eine gegen alle" zerren, kratzen und beißen sie sich um die<br />

Banane, bis sie eine nach der anderen vertilgt haben. Kaum halte ich eine Banane in der Hand,<br />

bleibe auch ich nicht verschont. Ein Knirps läuft mir den Arm rauf und runter weil es ihn<br />

unglaublich wurmt, dass einer seiner Kollegen vor ihm an die Banane herangekommen ist...<br />

Nach zweieinhalbstündiger Fahrt kommen wir in unserem Camp an und haben genügend Zeit<br />

unsere Sachen auszupacken. Wir wohnen in offenen Holzräumen, die durch Moskitonetze<br />

geschützt sind. Auch jedes Bett hat noch einmal sein eigenes Moskitonetz um einigermaßen<br />

Schutz vor den kleinen Plagegeistern zu bieten.<br />

Zum Sonnenuntergang fahren wir noch weiter flussaufwärts zu einem anderen Camp um von<br />

dort einen Blick über die Pampa schweifen zu lassen (und Bier "einzukaufen"). Nach dem<br />

Abendessen geht es noch einmal raus auf den Fluss. Roberto möchte uns die nächtliche<br />

Tierwelt zeigen. Erst jetzt wird uns bewusst, wie unglaublich viele Alligatoren hier im Wasser<br />

liegen. Mit der Taschenlampe kann man überall ihre leuchtenden Augen auf der<br />

Wasseroberfläche ausmachen. Nach diesem beeindruckenden Erlebnis folgt erst einmal ein<br />

gemütlicher Abend am Lagerfeuer.<br />

- 8 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

- 9 -<br />

Frühstück<br />

Am Morgen geht wieder die Attacke der kleinen Äffchen los. Sie haben den Komposthaufen<br />

gefunden und können gar nicht genug von den Resten bekommen. Wir frühstücken um 7.30<br />

Uhr und danach geht es mit dem Boot flussaufwärts zu einem kleinen Anleger - wir wollen im<br />

Sumpf nach Anacondas suchen. Vor uns liegt eine weite mit Schilfgras überwachsene Ebene.<br />

Nach einer Weile trockenen Fußmarsches setzen wir unseren Weg durch den Sumpf fort. Mit<br />

der Zeit gewöhnt man sich an die nassen Füße und bei jedem Schritt an das schmatzende<br />

Geräusch. Wir laufen schon eine ganze Weile, als von hinten Sindys Stimme kommt: "Donat,<br />

ich glaub' hier so'n Viech." Roberto hüpft sofort in großen Sprüngen zu ihr, er packt die<br />

Schlange am Ende und schleudert sie einige Male um seine eigene Achse. Ein bisschen<br />

verwirrt beobachten wir ihn. Was macht er nur mit dem armen Tier? Will er ihr ein<br />

Schleudertrauma verpassen? Nach einigen Umdrehungen hat er ihren Kopf endlich gepackt<br />

und zeigt sie uns. "Nur eine Cobra Anaconda, die ist ungiftig." Cobra Anaconda? Nie von<br />

gehört... Die arme Schlange. Wie oft mag sie in ihrem Leben wohl schon von Touristen hin -und<br />

her geschleudert worden sein?<br />

Es sieht so aus, als wenn Roberto jetzt vom Ehrgeiz ergriffen wurde. Es kann ja nicht sein, dass<br />

eine einfache Touristin VOR ihm eine Schlange findet! Wir setzen den Weg fort und eifrig sucht<br />

er nach einer weiteren Schlange. Und gar nicht so lange danach wird er fündig. Stolz zeigt er<br />

uns die riesige im Gras liegende Anaconda, die er gefunden hat. Und wird prompt von ihr<br />

gebissen! Das kann er sich natürlich nicht bieten lassen. Er zieht die kleinen Zähne wieder aus<br />

seinem Daumen und hält die Schlange mit seinem Stock fest.<br />

Am nächsten Morgen wissen scheinbar sämtliche Touristenführer der Pampa bescheid und<br />

erkundigen sich besorgt nach dem Zustand von Robertos Daumen...<br />

Der Sumpf 1:0 für die Anaconda


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

1:1 für Roberto<br />

Mit trockenen Kehlen machen wir uns dann auf den Rückweg zum Boot. Die Mittagshitze macht<br />

sich langsam bemerkbar und wir legen erst einmal eine Siesta im Campamento ein.<br />

Gegen Abend geht es wieder auf den Fluss - wir wollen unser Glück beim Fischen von Piranhas<br />

versuchen. Nun ja, davon haben wir nicht allzu viel... Selbst ich als eigentlich überzeugter<br />

Vegetarier, und nach einer Weile sogar Laura als noch überzeugtere Vegetarierin, versuchen<br />

unser Glück, da wir nicht "befürchten" doch etwas an den Haken zu bekommen. Hans fängt<br />

ständig Äste und das in solchen Massen, dass wir uns langsam wundern, wer die da unten alle<br />

an seinem Haken befestigt. Der einzige Glückspilz ist Donat: Er fängt einen winzigen Piranha,<br />

der mal kurz einen Blick auf den Köder werfen wollte - er hat den Haken ins Auge bekommen.<br />

Die anderen sind schlauer und knabbern zu unserer Zermürbung einen Köder nach dem<br />

anderen von den Haken. Und selbst bei mir zieht es plötzlich an der Schnur.<br />

Ich ziehe, ziehe, ziehe und wundere mich über das klobiges unheimliche Tier was ich da<br />

plötzlich aus dem Wasser ziehe: Ein riesiger Flusskrebs von gut 10cm Durchmesser! Mir ist der<br />

Appetit vergangen! Zurück ins Wasser damit...<br />

La Pampa<br />

Am folgenden Morgen werden wir um 6.30 Uhr von Roberto geweckt, um noch rechtzeitig den<br />

Sonnenaufgang zu beobachten. Wir sind spät dran. In aller Eile hüpfen wir ins Boot und<br />

machen uns auf den Weg zu einer kleinen Anlegestelle. Über das glitschige steile Ufer steigen<br />

wir hoch ins Gebüsch und dahinter finden wir uns in einer großen Pampa-Ebene wieder. Die<br />

ersten Sonnenstrahlen lugen schon über den Horizont und in großen Schritten rennen wir durch<br />

das hohe Gras um einen besseren Blick auf die aufgehende Sonne zu erhaschen. Innerhalb<br />

kürzester Zeit steigt sie nach oben und taucht die tief liegenden Nebelschwaden der Pampa in<br />

ein unheimliches Licht.<br />

Heute ist unser letzter Tag in der Pampa. Wir frühstücken noch und fahren danach mit dem<br />

Boot weiter flussaufwärts, wo Roberto uns noch weitere Tiere zeigen will. Wir treffen auf ein<br />

paar Tümmler und an anderer Stelle sind bereits zwei andere Reisegruppen, von denen einige<br />

Leute von den Booten in das morastige Wasser zu den Tümmlern springen. Es heißt zwar, dass<br />

- 10 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

die Tümmler sämtliche Alligatoren und Piranhas in ihrer Umgebung verjagen, doch keiner aus<br />

unserer Gruppe möchte diesem Gerücht Glauben schenken. Zu tief sitzt mein gestriger<br />

Eindruck, als wir aus Spaß ein Brötchen uns Wasser geworfen haben: Innerhalb von Sekunden<br />

blubberte das Wasser um das Brötchen herum und eine Minute später war es von den scharfen<br />

Zähnen der Piranhas zerkleinert und verschlungen...<br />

Auge um Auge... ...Kralle um Kralle (Capybara)<br />

Nach dem Mittagessen geht es leider schon zurück nach Santa Rosa, wo wir in den Jeep<br />

umsteigen und fast die ganze Fahrt über von den wenigen guten südamerikanischen<br />

Schokoladensorten schwärmen. Es ist doch irgendwie seltsam, wie sich die Prioritäten auf einer<br />

solchen Reise verändern...<br />

Auf halbem Weg halten wir an einer Farm, wo man uns ein 7 Meter langes Prachtexemplar<br />

einer Anaconda zeigen möchte. Dumm nur, dass letzte Nacht jemand das Gatter zu ihrem<br />

Gehege offen gelassen hat und die Anaconda sich dann auf ihrem "Morgenspaziergang"<br />

davongemacht hat. Die Rinder auf den Wiesen werden es ihm danken.<br />

Unsere Pampa-Tour ist hier schon zu Ende und die Wege unserer Gruppe trennen sich wieder -<br />

doch nur bis heute Abend, wo wir einen schönen Abend in der Bar "Moskkito" mit Billard und<br />

den üblichen Südamerikanischen Cocktails verbringen werden.<br />

Die Anaconda-Farm<br />

- 11 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Tag 48:<br />

Tag 49:<br />

Tag 50:<br />

Eine liebenswerte Nation<br />

Rurrenabaque - "Pampa"<br />

- 12 -<br />

"Pampa"<br />

"Pampa" - Rurrenabaque<br />

Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, ob ich die nun folgenden Tage in einem<br />

einzigen "Kapitel" zusammenfassen soll. Aus folgenden Gründen habe ich mich nun<br />

dafür entschieden:<br />

Ich versuche mit den folgenden Text und den Fotos ein wenig davon begreiflich zu<br />

machen wie unglaublich vielfältig dieses Land ist und wie viele neue Erlebnisse man<br />

an einzelnen Tagen machen kann...<br />

Nach einem langen Abend muss ich schon wieder um 7 Uhr aufstehen. Hans will heute mit<br />

Andrea, Amie und Laura an einer Urwald-Tour teilnehmen und Sindy, Donat und ich wollen uns<br />

noch beim Frühstück von ihm verabschieden. Andrea kommt noch dazu und nach kurzer Zeit<br />

verabschieden wir uns von den beiden. Im Nachhinein finde ich es schade, dass ich Hans nur<br />

unwürdig mit einem kurzen "Tschüss" verabschiedet habe, immerhin waren wir einige Tage<br />

miteinander unterwegs und er war mir auf der Straße immer ein guter Reisepartner. Auf jeden<br />

Fall wünsche ich ihm noch alles Gute für seine Reise. Immerhin ist er bereits in Feuerland<br />

aufgebrochen und möchte noch bis nach Caracas. (Nun zur Weihnachtszeit, wo ich diese<br />

Zeilen schreibe, ist er bereits in Kolumbien und genießt seine Reise immer noch in vollen<br />

Zügen)


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Aeropuerto Rurrenabaque<br />

Nicht lange danach folgt ein weiterer Abschied. Spontan bekommen Donat und Sindy doch<br />

noch einen Platz im heutigen TAM-Flieger nach La Paz und sind total glücklich darüber. Ich<br />

fahre ihnen mit dem Fahrrad voraus zum Flugplatz und nun kommt wieder eines meiner Hobbys<br />

zur Geltung: Das Fotografieren von Flugplätzen. Dieser hier hat seine ganz eigene Atmosphäre.<br />

Neben dem kleinen Abfertigungshaus mit Fenstern aus Moskitonetzen gibt es nur ein paar<br />

Rinder und ein einige baufällige Hütten. An der kleinen Flugplatzkneipe komme ich mit einem<br />

ehemaligen Piloten ins Gespräch und darf einen Blick in den Tower und auf die Personalseite<br />

des Abfertigungshauses werfen. Donat und Sindy wundern sich nicht schlecht, als sie mich an<br />

der anderen Seite des Ticketschalters sehen...<br />

Oben im Tower werde ich das Gefühl nicht los, dass Fluglotsen in Bolivien Beamte sind. Mir<br />

gegenüber sind sie vollkommen gleichgültig und während das einzige Flugzeug weit und breit<br />

mit ohrenbetäubendem Propellergeräusch hereintrudelt herrscht absolute Betriebsamkeit: Man<br />

liest Zeitung!<br />

- 13 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Heute ist Nationalfeiertag. Wieder wird einem der unzähligen Kriege in der Geschichte Boliviens<br />

gedacht und wieder hüpfen prächtig gekleidete Tanzgruppen durch die Straßen. In San<br />

Buenaventura auf der anderen Seite des Río Bení ist heute der Bär los. Ich nehme mein Rad<br />

mit auf eines der kleinen Boote, die heute rappelvoll sind und tauche ein in das laute Getümmel<br />

auf der anderen Seite des Flusses. Hier merkt man, dass die Bolivianer voll und ganz Patrioten<br />

sind. Motorräder und Autos sind mit Bändern in den Farben der Nationalflagge bestückt und<br />

überall sieht man tanzende und lärmende Menschen. Und das erste Mal in Bolivien sehe ich<br />

auch Bolivianer, die ihre Kameras zücken und die vielen Tanzgruppen fotografieren. Was<br />

anderes kommt dem Bolivianer sowieso nicht vor die Linse...<br />

Ruta nach Pando und Brasilien<br />

Hinter San Buenaventura wird es schnell ruhiger und ländlicher. Ich tauche in den Urwald. Auf<br />

einer Piste, über deren Existenz sich nicht einmal die Reiseführer einig sind. Nun denn, es gibt<br />

sie und würde ich dieser Piste immer, immer weiter folgen, würde ich nach vielen<br />

entbehrungsvollen Tagen an versteckten Coca-Plantagen vorbei das brasilianische Cobija<br />

erreichen. Leider muss ich davon Abstand nehmen. Ich habe auf diesem kurzen Ausflug kein<br />

Gepäck dabei und drehe nach etwa 30 Kilometern wieder um. Vielleicht ein anderes Mal...<br />

Bestimmt.<br />

Wieder einmal treffe ich auf kleine Kinder, die begeistert meinen Helm antatschen und ihm<br />

unbedingt aufsetzen wollen. Ich habe ihn wegen der Hitze nur am Lenker hängen und ein<br />

kleiner Junge findet den glänzenden "Casco" total faszinierend. Ich kann schon gar nicht mehr<br />

zählen wie viele Bolivianer, ob groß oder klein, diesen Helm schon auf ihrem Kopf hatten. Doch<br />

nach einer Weile wendet der Junge sich wieder seinen Ziegen zu und zieht weiter.<br />

- 14 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Die Sonne ist noch nicht überm Horizont zu sehen, als ich am nächsten Morgen aufstehe, nur<br />

ein dünner Leuchtstreifen im Osten lässt die Dämmerung erahnen. Heute fliege ich zurück nach<br />

La Paz - zurück auf das Altiplano - zurück in eine Baumlose Ebene mit einem unglaublich klaren<br />

Himmel. Eine Landschaft, die sich vom Amazonastiefland kaum mehr unterscheiden könnte.<br />

Ich fahre zum Büro der Transportes Aereós Militares, kurz TAM. Beim Check-In zeigt sich<br />

wieder das lockere Improvisationstalent der Bolivianer. Kurzerhand wird ein Holzbrett<br />

herbeigeschafft, um auch mein Rad auf die kleine Fußwaage stellen zu können. Was dabei<br />

herauskommt ist weniger ermutigend. Ich übersteige die erlaubten 15kg Gesamtgewicht mit<br />

48kg doch beträchtlich... Der Angestellte hat keinen Taschenrechner zur Hand und so<br />

berechnet er das Übergewicht auf 30kg, was für mich einen Extra-Betrag von 90 Bolivianos<br />

(etwa 11 Euro) bedeutet. Danach müssen die Passagiere bis 9 Uhr auf ihren Abtransport<br />

warten. Das Gepäck wird auf einem Pick-Up verstaut und ich muss höllisch aufpassen, dass<br />

mein Rad nicht vergessen wird. Und schon folgt das nächste Problem: Vor der Abfahrt weigert<br />

sich ein Engländer standhaft, die 5 Bolivianos (60 Cent) für den Airport-Shuttle zu berappen. Er<br />

kann nur Englisch und der Fahrer fordert ihn immer wieder in Spanisch zum Bezahlen auf. Das<br />

ganze geht so lange hin und her, bis einer militärisch gedrillten Israelin der letzte Nerv reißt und<br />

sie den Engländer verbal in den Erdboden stampft. Da sieht man, dass deren Mentalität mit<br />

Haaren auf den Zähnen auch mal zu etwas gut sein kann!<br />

Wir erreichen den Flugplatz gerade in dem Moment als das Flugzeug schon einrollt. Der<br />

Engländer bekommt erst recht einen hochroten Kopf, als ich ihn vorsichtig darauf hinweise,<br />

dass er noch die Flughafensteuer von 6 Bolivianos und die Touristensteuer von einem Dollar zu<br />

entrichten hat...<br />

Übergang auf das Altiplano Fly 'n Cycle mit Transportes Aeréos Militares<br />

Nach einer Weile sitze ich endlich im Flugzeug. Wir bekommen Ohropax von einer stämmigen<br />

Stewardess im Flieger-Overall und die Triebwerke werden angelassen. Auf der holprigen Piste<br />

wird das Flugzeug schneller und schneller, die Räder lösen sich vom Boden und in meinem<br />

Hinterköpfchen meldet sich wieder eine fröhliche Stimme: "Ich fliege!"<br />

Doch am Fliegen selbst kann ich mich dieses Mal kaum begeistern, viel glücklicher bin ich<br />

darüber, dass ich nicht 24 Stunden auf schlimmsten Pisten in einem Bus verbringen muss. Mein<br />

Fahrrad liegt kopfüber in der Küche gleich hinter dem Cockpit und ich kann den ganzen Flug<br />

über sicher gehen, dass es unbeschadet bleibt. Unter mir kann ich im Dunst der Wolken das<br />

lange Band des Río Bení ausmachen, das sich bis zum Fuß der Anden durch dichten Urwald<br />

schlängelt. Das Flugzeug steigt und steigt. An einem Punkt stoßen die Anden auf das höher<br />

gelegene Altiplano und plötzlich, ohne überhaupt in den Sinkflug übergegangen zu sein, haben<br />

wir die Landschaft ganz nah unter uns. Das Flugzeug beginnt sich zu schütteln und kämpft sich<br />

bis vor La Paz durch viele Turbulenzen und Luftlöcher. Auf der Landebahn des Aeropuerto<br />

Internacional del Alto setzt es dann nach mehrmaligem Abtitschen sicher auf.<br />

- 15 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Auf dem höchstgelegenen Flughafen der Welt<br />

Beim Aussteigen empfängt mich die kühle dünne Luft des Altiplanos. Die Sichtweiten sind<br />

wieder unglaublich - man kann bis zu den entferntesten Gipfeln schauen. Ich werde kurzatmig<br />

und habe leichte Kopfschmerzen. Es ist unglaublich: In der kurzen Zeit im Amazonastiefland<br />

habe ich meine gesamte Akklimatisation wieder verloren!<br />

Wieder in La Paz<br />

Wieder komme ich in den Genuss, die Autobahn bis nach La Paz hinterrollen zu können, wobei<br />

mich ein kleiner Colectivo-Bus fast in den Abgrund rammt und ich im Ausweichmanöver um<br />

Haaresbreite eine am Straßenrand stehende Indígena-Frau überfahre.<br />

Die Suche nach dem Hotel, in dem ich Donat und Sindy treffen wollte, gerät zu einer Farce. Wie<br />

es bei Bolivianern so ist, beschreiben sie einem immer und liebend gerne den Weg. Allerdings<br />

heißt das noch lange nicht, dass diese Beschreibung oder die Richtungsweisung auch stimmen<br />

muss. Innerhalb von zwei Stunden kräftezehrender Fahrt quer durch die steilen Gassen der<br />

Altstadt habe ich bestimmt 20 Leute nach dem Weg gefragt und 20 unterschiedliche Antworten<br />

bekommen! Der Höhepunkt ist die Polizeistation. Wie ich später herausfinde, ist sie nur 30<br />

Meter vom besagten Hotel entfernt - nicht einmal dort wusste man etwas über das Hotel und hat<br />

mich gleich an die andere Seite der Altstadt geschickt! Nun ja, ich habe die Adresse dann im<br />

Internetcafé am Computer herausgefunden. Gelobt seien die technischen Segnungen der<br />

Neuzeit...<br />

Am Ende hätte ich am liebsten nur noch jeden treten wollen... Zu allem Überfluss kam noch ein<br />

junger Mann vom brasilianischen Fernsehen daher, der total happy war, endlich mal einen<br />

Reiseradler für seine La Paz Dokumentation vor die Linse zu bekommen. So habe ich ihm noch<br />

schnell ein entnervtes Interview auf Englisch gegeben und weiter nach dem Hotel gesucht...<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Der Präsidentenpalast Kantutani<br />

Den Rest des Tages lasse ich ruhig verlaufen um meine Höhenkrankheit abklingen zu lassen.<br />

Ich gehe ins nächste Restaurant um etwas zu essen und massenweise Koka-Tee in mich<br />

hereinzukippen. Dazu nehme ich noch Paracetamol und einige Stunden erholsame Bettruhe im<br />

Hotel. Als Donat und Sindy am Abend im Hotel ankommen, fühle ich mich schon viel besser.<br />

Wir gehen ins Kino und schlendern auf dem Weg dorthin über die Märkte: Terminator 3 in<br />

Englisch mit spanischem Untertitel. Und das Schönste ist, dass der Film, dessen Eintritt 22<br />

Bolivianos kostet, 300 Meter vor dem Kino für 15 Bolivianos auf CD zu haben ist...<br />

Am nächsten Tag begeben sich Sindy und Donat auf die Yunga-Tour, die ich bereits auf dem<br />

Weg nach Rurrenabaque gemacht habe. Ich nutze den Tag um noch einige Dinge zu erledigen<br />

und mich wieder besser an die Höhe zu gewöhnen; morgen soll es mit dem Fahrrad weiter zum<br />

Lago Titicaca gehen.<br />

In der Deutschen Botschaft sind endlich meine neuen Bremsklötze angekommen. Während ich<br />

so über den Prado laufe und den Brief meiner Mutter lese, ist um mich herum großer Trubel. Ein<br />

sehr berühmter Dirigent wird heute zu Grabe getragen und überall stehen Polizisten in schwerer<br />

Montur, um unter anderem wichtige Persönlichkeiten wie den Präsidenten zu schützen.<br />

Ständig lauern tolle Motive auf mich. Meine 24 Diafilme neigen sich langsam dem Ende zu und<br />

ich habe Mühe noch weitere 15 Stück zu bekommen. Ich versuche in mehreren Läden im Preis<br />

zu handeln und überall lässt man mich wissen, dass die Preise für Filme schon viel zu scharf<br />

kalkuliert seien. Eine Verkäuferin fragt mich wie viele ich denn haben möchte und schlägt kurz<br />

darauf die Hände über dem Kopf zusammen: "15?!" So viele hat sie in ihrem ganzen kleinen<br />

Laden noch nie verkauft und so laufe ich mit ihr noch durch die halbe Innenstadt, um endlich die<br />

geforderte Menge zusammen zu bekommen.<br />

El Prado Wandgemälde an einer Schule<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Gut gerüstet für den im Herbst kommenden Staatsstreich...<br />

...da überlegt man sich einen Banküberfall gerne zweimal Staatsbegräbnis eines Dirigenten<br />

In der Nähe meines alten Hotels gehe ich in den kleinen Musikladen von Eddy Lima, von dem<br />

ich schon viel Positives gehört habe. Eddy ist heute leider nicht da, allerdings kann mich das<br />

Mädchen in dem Laden auch sehr gut beraten. Die Atmosphäre ist wirklich schön. Wir hören<br />

verschiedene CDs und unterhalten uns dabei über Gott und die Welt. Zwischendurch tippselt<br />

eine Taube auf die Türschwelle und das Mädchen lässt mich wissen, dass sie jeden Tag zu<br />

Besuch kommen würde. Sie beginnt die Taube durch den ganzen Laden zu jagen, bis sie die<br />

Taube endlich handzahm in der Hand hält und das Tier zufrieden gluckst. Lustig. Zum Abschied<br />

bekomme ich noch eine bolivianische Panflöte als Geschenk. Sie versucht mir noch zu zeigen<br />

wie man darauf spielt, allerdings habe ich dabei recht wenig Erfolg. Ich werde noch üben...<br />

Rupedigu! Lamaembrios auf dem Hexenmarkt<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Am Abend möchte ich von El Alto aus noch ein paar Fotos von La Paz im Sonnenuntergang<br />

schießen. Ich steige in einen der Colectivos in die Oberstadt und suche mir dort oben einen<br />

Weg durch die Slums zu einem schönen Aussichtspunkt. Das mag verrückt klingen, doch die<br />

Slums machen hier keinen so verkommenen Eindruck wie in anderen Ländern und bestehen<br />

fast durchweg aus festen Steinhäuschen. Dumm ist nur, dass ich mir nach den vielen positiven<br />

Erfahrungen in Bolivien gar nicht bewusst mache, dass El Alto als ärmste Stadt Boliviens mit<br />

80% Arbeitslosigkeit für Fußgänger nicht gerade das sicherste Pflaster ist. Mit dem Fahrrad hat<br />

das nie ein Problem dargestellt, aber heute werde ich sofort von einem seltsamen Mann<br />

angesprochen, dass ich ihm doch bitte Geld für Tequila geben solle. Klar gebe ich ihm aus<br />

verständlichen Gründen nichts. Wieso auch? Und erst recht nicht für Tequila. Ich verlasse den<br />

Aussichtspunkt, allerdings habe ich nun diesen Idioten auf den Fersen. Während ich ruhig zur<br />

Hauptstrasse mit Taxis und Colectivos gehe, wird er immer aufdringlicher und beginnt sogar an<br />

meiner Hand zu zerren welche in der linken Hosentasche halte. Dumm für ihn, dass das<br />

Portemonnaie bei mir rechts liegt und ich links nur die Objektivkappe meiner Kamera in der<br />

Tasche habe. Innerlich baut sich in mir eine riesige Wut über dieses Arschloch auf. In meinen<br />

Gedanken schlage ich ihn schon kurz und klein und trete ihm mal kräftig zwischen die Beine.<br />

Allerdings sagt mir eine Stimme im Hinterkopf, dass er bei all dieser Dreistigkeit sicher ein<br />

locker schwingendes Messer hat und zwischen all den Menschen ist man nie davor gefeilt, dass<br />

er auch einen uns folgenden Komplizen haben könnte. Dieser Idiot ist dann noch dumm genug,<br />

die ganze Zeit auf meine Kommentare und ein Gespräch einzugehen, ohne es dabei zu etwas<br />

kommen zu lassen. Außerdem sorge ich die ganze Zeit dafür, dass wir durch dichte<br />

Menschenmassen laufen. Zwischendurch verliere ich noch "zufällig" meine Discman-Tasche,<br />

die er mir großzügig hinterher trägt - nur um dann noch dreister zu werden, weil ich ihm immer<br />

noch kein Geld geben will. Ich versuche mich beherrscht bei ihm zu bedanken und bekomme<br />

nur zur Antwort: "Ihr scheiß Gringos! Könnt immer nur 'Gracias', 'Gracias', 'Gracias' sagen aber<br />

wollt nie Geld rausrücken!" Ich muss mich echt beherrschen meine Hand nicht ausrutschen zu<br />

lassen. Ich steige dann in eines der Colectivos (einen der Minibusse) ein und er folgt mir sogar<br />

dort hinein. Nach 50 Metern stockender Fahrt im dichten Verkehr habe ich die Schnauze voll<br />

und steige wieder aus - ohne ihn abwimmeln zu können. Kein Taxi hält für mich. Toll! Gerade<br />

jetzt!<br />

Danach geht es so weit, dass ich seine Hand flink in seine Tasche gleiten sehe. Messer oder<br />

Pistole? Egal. Was ich nicht sehe, kann mich nicht stören. Ich senke den Blick, drehe mich ruhig<br />

um und gehe zum nächsten Colectivo, wo ich mehr Glück habe. Die Passagiere und der<br />

Fahrbegleiter setzen sich dafür ein, dass dieser Idiot doch bitte den Wagen verlassen soll, da er<br />

ja sowieso nichts bezahlen will. Er weigert sich strickt und auch das Zerren an seinem Hemd<br />

bringt nichts. Ich bin kurz davor ihn mit einem kräftigen Tritt nach draußen zu befördern.<br />

Daraufhin legt der Fahrer ein abruptes Manöver ein und stoppt dann mit offener Tür vor zwei<br />

Polizisten. Der Idiot verlässt ziemlich flink von alleine den Wagen. Allerdings nicht, ohne vorher<br />

noch eine Seitenscheibe fast kaputt zu schlagen. Man fragt mich besorgt, ob er mir etwas getan<br />

habe und setzt mich ein paar Stationen weiter wieder ab, da dieser Bus in die falsche Richtung<br />

fährt.<br />

Im Nachhinein nicht gerade ein Positives Ereignis, das für diese Stadt sprechen würde.<br />

Allerdings hat der Einsatz der anderen Menschen mir gezeigt, dass sich so ein Dieb und<br />

Betrüger sogar hier im ärmsten <strong>Teil</strong> Boliviens auf ziemlich verlorenem Posten befindet. Dabei<br />

sei noch anzumerken, dass sich Bolivien auf der "Hitliste" der reichsten Länder weltweit auf<br />

Platz 114 befindet! Mord und Totschlag hat demnach also viel weniger mit der Armut der<br />

Menschen zu tun, als mit ihrer Mentalität. Und von der Mentalität der Bolivianer bin ich in dieser<br />

Hinsicht echt begeistert!<br />

Ich lasse mich in einem über 20 Jahre alten Taxi zu einem schöneren Aussichtspunkt fahren.<br />

Dort arbeiten gerade zwei Bauarbeiter an einem Häuschen und sie fordern mich bereitwillig auf,<br />

doch ein Foto von ihnen zu machen. Fast vergessen ist die schlechte Erfahrung die ich mit<br />

einem einzigen Menschen nur weniger hundert Meter von hier entfernt hatte. Ich biete ihnen an,<br />

dass ich es ihnen das Foto zuschicken kann und mangels Alternativen geben sie mir die<br />

Adresse ihrer Kirche und kommen gleich aufs Thema: Ich würde doch wohl an Christus<br />

glauben, oder? Sie fragen mich mehrmals, um auch ganz sicher zu gehen. Denn er sei<br />

schließlich der Einzige, der absolut einzige Prophet! Mit den Leuten hier kann man darüber so<br />

oder so nur sehr begrenzt diskutieren und ich stimme zu. Natürlich finde ich auch die<br />

evangelische Kirche ganz toll, zu deren sehr kleinen Gemeinde in La Paz sich die beiden hier<br />

zählen...<br />

- 19 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

La Paz mit Strom La Paz ohne Strom<br />

Und während ich noch so auf die Stadt hinabblicke und auf den Sonnenuntergang warte,<br />

wundere ich mich, dass nur die Innenstadt und die nähere Umgebung beleuchtet sind. Und als<br />

die Sonne schließlich hinter dem Horizont verschwunden ist, sehe ich plötzlich in der ganzen<br />

Stadt die hell erleuchteten Stadtteile einer nach dem anderen dunkel werden... Man sieht nur<br />

noch die Lichter der Autos, die sich durch die Straßen ziehen. Ich weiß nicht, was ich davon<br />

halten soll...<br />

Die Menschen im Kleinbus zurück in die Stadt erzählen mir, dass dies der erste Stromausfall<br />

überhaupt sei - oder zumindest seit Jahren! So ganz kann das nicht stimmen. Überall sind<br />

innerhalb kürzester Zeit Kerzen hervorgekramt worden und die ganze Stadt wird von den<br />

kleinen Flammen erleuchtet. Nur die Autos liefern zusätzliches Licht. Die Fernsehsender<br />

berichten unaufhaltsam über den großen Stromausfall in der größten Stadt Boliviens: "La Paz<br />

47 Minuten ohne Strom". Die Rückkehr des Stroms kündigt sich lautstark an: Die Handys<br />

fangen wieder an zu piepsen...<br />

Und noch etwas, warum et was an der Geschichte mit den "Jahren ohne Stromausfall" nicht<br />

ganz stimmen kann: Aus anderer Quelle habe ich erfahren, dass zum Beispiel der jetzige<br />

Präsident seine Wahl einem Stromausfall verdankt. Um 18 Uhr viel am dem Wahltag im Juli<br />

2002 fiel der Strom aus. Zu dieser Zeit hatten noch nicht viele Leute gewählt und alle<br />

Wahlcomputer stürzten ab. Man hat danach schlicht den einfachsten Weg gewählt: Die bereits<br />

abgegeben Stimmen wurden gezählt und der jetzige Präsident wurde Präsident. Zumindest bis<br />

zum Herbst 2003...<br />

Tag 51:<br />

Tag 52:<br />

Tag 53:<br />

Rund um Rurrenabaque -Tacho defekt-<br />

Rurrenabaque -(Flugzeug)- La Paz -Tacho defekt-<br />

La Paz<br />

- 20 -


Think Positive!<br />

Mein Versuch das (deutsche?) negative Denken abzulegen...<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Ich stehe um halb sieben auf. Heute werde ich noch einen letzten Blick auf La Paz werfen und<br />

diese mehr schöne als hässliche und wahnsinnig beeindruckende Stadt hinter mir lassen. Ich<br />

habe keine Vorräte mehr und bekomme nichts zum frühstücken, da noch alles geschlossen hat.<br />

Eigentlich habe ich geplant, ein Taxi mit Dachgepäckträger zu suchen und mich dann bis vor<br />

die Stadttore El Altos fahren zu lassen. Nach meinem gestrigen Erlebnis habe ich einen<br />

ziemlichen Bammel vor dieser Stadt. Doch wie es so ist, bekommt man nie das Benötigte zur<br />

rechten Zeit. So nehme ich also ein Colectivo zum Flughafen. Ich kann dem Fahrer nicht<br />

begreiflich machen, dass ich vorm Flughafen aussteigen möchte. Ein Gringo, der nicht zum<br />

Flughafen möchte? Das gibt es nicht! Ich versuche das Beste aus dieser misslichen Lage zu<br />

machen und gehe noch kurz ins Internet-Café im Passagierterminal.<br />

Nun muss ich also doch durch El Alto radeln. Die Stadt hat inzwischen unglaubliche<br />

Dimensionen, die weit über die in meiner Karte eingezeichnete Stadtgrenze hinausreichen.<br />

Viele Kilometer fahre ich noch durch das ärmliche Viertel mit dem lärmenden dichten Verkehr.<br />

Begünstigend wirkt, dass es die meiste Zeit leicht bergab geht und ich seitlichen Rückenwind<br />

habe. Hinter dem Kontrollposten der Polizei wird es endlich ruhiger und ich treffe nur noch hin<br />

und wieder auf kleine Dörfer. Die Straße geht mit leichten Anstiegen über eine weite Ebene und<br />

jedes einzelne Auto kündigt sich schon aus der Ferne mit einem Hupkonzert an. Zu meiner<br />

Motivation kommt hinzu, dass die Kilometerangaben auf meiner Militärkarte schlichtweg<br />

übertrieben sind - ich komme schneller voran als gedacht.<br />

Entwicklungshilfe scheint es nur an touristisch interessanten Strecken wie dieser zu<br />

geben<br />

Kurz vor Batallas beginnt der Wind meine gesamte gute Stimmung fortzutragen. Ganz plötzlich<br />

dreht er seine Richtung und weht mir mit aller Kraft entgegen. Nachdem ich schon heute<br />

Morgen nichts außer einem Schokoriegel gefrühstückt hatte, muss ich hier erst einmal etwas zu<br />

mir nehmen. Das folgende kurze Stück nach Huarina artet zur reinsten Tortur aus. Der<br />

Gegenwind stößt mit oft aufeinander folgenden Böen mit solch geballter Kraft auf mich, wie ich<br />

es noch nie erlebt habe. Unter größten Anstrengungen komme ich im Schritttempo voran. Auf<br />

halbem Weg treffe ich einen schweizer Reiseradler, mit dem ich mich aus Spanisch über das<br />

übliche Woher und Wohin unterhalte, woraufhin sich unsere Wege wieder trennen. Der<br />

Glückliche! Er hat Rückenwind!<br />

Bei Huarina wendet sich die Panamericana von Norden nach Westen. Nun kommt der Wind von<br />

der Seite und das derart heftig, dass er mich fast vom Rad schmeißt und mir immer wieder die<br />

Luft raubt. Ich fahre in einem unglaublich schrägen Winkel nach rechts vorwärts. Mit den<br />

- 21 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

zunehmenden Bergen zwischen dem nördlichen und dem südlichen <strong>Teil</strong> des Lago Titicaca wird<br />

der Windschutz besser, doch dafür folgt nun ein Anstieg nach dem anderen. Es war dumm<br />

ohne richtiges Frühstück loszufahren. Ich bin total kraftlos und die Schokoriegel bringen jetzt<br />

auch nicht mehr viel.<br />

Die Cordillera Real<br />

Im Gegenzug wird die Landschaft immer interessanter. Der Titicacasee zeichnet sich in einem<br />

faszinierenden Tiefblau ab, im Osten liegt die gigantische Cordillera Real und rund um den See<br />

gibt es auf einer Höhe von über 3800 Metern wieder Bäume. Vor dem Dorf Estancia Jankho<br />

Amaya meine ich gegen den Rat einer Indígenafrau abkürzen zu können. Ich gerate in ein<br />

kleines Dorf, das nur über holprige Fußwege zu erreichen ist und in dem es von Hunden nur so<br />

wimmelt, so dass ich mir querfeldein den Weg zurück zur Panamericana suchen muss. Danach<br />

geht es erst richtig bergauf. Ich gerate ziemlich außer Atem und bei Einbrechen der<br />

Dämmerung wird mir bewusst, dass ich es heute wohl nur bis zur Meerenge von Tiquina<br />

schaffen werde. Vom Pass bietet sich ein wunderbarer Anblick auf die in der Dämmerung<br />

liegenden Schneegiganten der Cordillera Real. Nach einer angenehmen Abfahrt erreiche ich<br />

endlich die Meerenge von Tiquina und kann mich an der hunderte Meter langen Autoschlange<br />

zum Fähranleger durchmogeln.<br />

Zusammen mit einem Bus und einem Jeep darf ich auf einer dieser Nussschalen übersetzen.<br />

Die Passagiere des Busses müssen in Personenbooten übersetzen, während nur der Busfahrer<br />

und ich ihre Gefährte auf diesem schwankenden und knatschenden Holzgerüst begleiten<br />

dürfen. Zu allem Überfluss ist der Wellengang heute ungewöhnlich stark und das Holz, auf dem<br />

wir stehen, dehnt und biegt sich in alle Richtungen. Der Bus schwankt mit und für Momente<br />

befürcht e ich, dass er seitwärts auf mein Fahrrad kippen und uns alle versenken wird. Der<br />

kleine Junge im Alter von etwa 12 Jahren sieht das ganz locker - er sitzt am Steuer des kleinen<br />

Bootsmotors.<br />

Bei der Ankunft auf der Seite habe ich in meinem jungen Leben bestimmt die ersten<br />

Sorgenfalten bekommen...<br />

Die Suche nach einer Unterkunft gestaltet sich nicht einfach. Am einzig geöffneten Alojamiento<br />

will man erst meinen Passport und das Geld haben, bevor man mich in mein Zimmer führt. Mir<br />

ist alles egal. Ich bin total entkräftet und lasse mich auf das weiche Bett fallen. Nur mit Mühe<br />

stehe ich wieder auf. Ich muss heute noch etwas essen sonst werde ich überhaupt nicht mehr<br />

aufstehen und keine Reserven mehr sammeln können.<br />

Während ich so durch die Esshalle am Hafen schlendere, höre ich plötzlich eine bekannte<br />

Stimme meinen Namen rufen. Es ist Andrea, die mit Amie, Laura und einem mir noch<br />

unbekannten Holländer namens Matt hier ist. Sie warten darauf, dass ihr Bus über die Seeenge<br />

verschifft wird. Dumm nur, dass es im Laufe des Abends heißt, dass ihr Bus wegen zu hohen<br />

Seegangs heute nicht mehr verschifft wird. Lustig! Sie haben fast ihr gesamtes Gepäck auf der<br />

anderen Seite und die Passagierboote fahren auch nicht mehr. Ein recht abwechslungsreicher<br />

Abend nimmt seinen Lauf. Überall im Dorf sitzen "Gestrandete", die heute nicht mehr weiter<br />

kommen und spontane Feste organisieren oder gesellig beisammen sitzen. Andrea und Laura<br />

empfehlen mir ein wahres Energiegetränk, was mir sehr gut tut und mir meine Mattheit nimmt:<br />

Ein Fruchtgetränk mit Kinua-Getreide, dass man erhitzt aus einem kleinen Plastikbeutel trinkt.<br />

- 22 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Die Vier finden im Laufe des Abends eine Privatunterkunft, in der sie zusammen mit einer stets<br />

fröhlichen Indígenafrau übernachten dürfen und wir verabreden uns für morgen in Copacabana.<br />

Estrecho de Tiquina<br />

Verdutzt stelle ich am nächsten Morgen fest, dass die Tür zur Toilette verschlossen ist. Meine<br />

beiden Mitbewohner sehen das weniger kritisch und sagen mir, dass ich meine Blase doch<br />

ganz einfach auf der Straße entleeren kann - was ich dann auch mache.<br />

Der Besitzer der Herberge kommt pünktlich (!!!) und schließt den Raum zu meinem Fahrrad und<br />

Gepäck auf, so dass ich mich schnellstmöglich wieder auf den Weg machen kann. Ich habe den<br />

anderen gestern gesagt, dass ich bis Mittag in Copacabana sein werde und ich versuche mich<br />

daran zu halten. Alle meine Hoffnungen sind darauf gestützt, dass die Straße asphaltiert ist und<br />

zu meiner eigenen Verwunderung werde ich nicht enttäuscht.<br />

Die Strecke ist in zweierlei Hinsicht atemberaubend. Erst einmal ist die Landschaft schlichtweg<br />

fantastisch und zweitens geht es immer bergauf. Seltsam, wie viele Touristen sich hier<br />

herumtreiben. Was für Bolivien untypisch ist, ist dass hier sehr viele PKWs und besonders viele<br />

glänzende Jeeps (scheinbar Leihwagen) unterwegs sind. Mir kommen sogar zwei Wohnmobile<br />

aus Frankreich und Deutschland (!) entgegen deren Insassen mir fröhlich zuwinken. In gewisser<br />

Weise bin ich ja auch ein Wohnmobil - nur eben ohne Dach und auf zwei anstatt auf vier<br />

Rädern.<br />

- 23 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Erst kurz vor Copacabana kommt die lang erwartete Abfahrt. Ich treffe kurz nach eins dort ein,<br />

habe also noch genügend Zeit, da ich mich erst um drei mit den anderen treffen wollte. Ich bin<br />

mal wieder ziemlich entkräftet und suche mir gleich ein Restaurant. Dabei entdecke ich ein<br />

anderes Reiserad. Es ist von einem Franzosen, der schon seit Uschuaia unterwegs ist. Und im<br />

gleichen Moment laufen mit Amie, Andrea, Laura und Matt über den Weg. Das trifft sich, da sie<br />

gerade auch essen gehen wollten. Sie sind noch ziemlich erschöpft von ihrer nächtlichen<br />

Busfahrt und möchten erst morgen zur Isla del Sol. Ich schließe mich ihnen an und nehme mir<br />

im gleichen Hotel ein Zimmer.<br />

Während sich Amie, Laura und Matt Fahrräder leihen und damit die Gegend erkunden, mieten<br />

Andrea und ich uns für eine Stunde ein Kajak. Es ist wirklich erholsam mal etwas anderes zu<br />

machen, als immer nur auf dem Rad oder in einem Bus zu sitzen und wir werden in den Wellen<br />

ziemlich nass. Entkräftet wie ich bin, beginne ich nach der Paddeltour ziemlich zu frieren.<br />

Allerdings - das möchte ich klar feststellen - will ich daran ja nichts Negatives sehen. In den<br />

folgenden Tagen muss ich mir immer wieder von Andrea und anderen "Nicht-Deutschen"<br />

vorhalten lassen, wie negativ die Deutschen doch alle denken.<br />

Hmm... ganz schön schwierig, einen Reisebericht ohne jeglichen negativen Einschlag zu<br />

schreiben, ist es ja schon. Und das, obwohl ich leider Gottes in Deutschland geboren bin - ich<br />

werde es versuchen...<br />

Tag 54:<br />

Tag 55:<br />

Das bin übrigens ich<br />

La Paz - Tiquina<br />

Tiquina - Copacabana<br />

- 24 -<br />

ca. 105 km<br />

-Tacho defekt-<br />

ca. 60 km<br />

-Tacho defekt-


La Isla del Sol<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Aus dem Reise Know-How Peru Bolivien:<br />

Die kleine Insel liegt etwa 20 km nördlich von Copacabana und hieß<br />

ursprünglich Titicachi, davon leitet der Titicacasee seinen Namen ab. Nach<br />

einer Inka-Legende war hier der Geburtsort des hellhäutigen<br />

Schöpfergottes Wiracocha, des ersten Inca Manco Capac und dessen<br />

Frau bzw. Schwester Mama Ocllo. Damit wurde für die Quechua und<br />

Aymará nicht nur die Insel, sondern auch der Titicacasee heilig.<br />

Letztendlich soll die Isla del Sol also die Keimzelle des Inka-Imperiums<br />

sein. Auf der Sonneninsel gibt es einige Ruinen und viele terrassierte<br />

Hänge, die aber der Tiwanakuzeit zuzuordnen sind ... Eine<br />

Rundwanderung über die Insel gehört mit zum Eindruckvollsten, was der<br />

Titicacasee zu bieten hat...<br />

Noch bevor der Wecker um 7 Uhr klingelt, werde ich wach und beginne meine Sachen zu<br />

packen. Das Rad und mein Gepäck kann ich bis zu meiner Rückkehr von der Isla del Sol in<br />

einem Lagerraum des Hotels abstellen, in den folgenden drei Tagen werde ich nur meinen<br />

blauen Rucksack gebrauchen. Das Frühstück im Hotel verläuft ziemlich chaosmäßig. Das<br />

Meiste bekommen wir erst nach mehrfacher Anfrage oder gar nicht und so ergibt es sich, dass<br />

wir alle zu verschiedenen Zeiten am Anleger eintreffen. Dort muss das nächste Problem<br />

bewältigt werden: Ich kann mein gestern gekauftes Ticket nicht mehr finden, doch der Señor ist<br />

so freundlich und stellt mir kostenlos ein zweites Ticket aus, da er sich noch an uns erinnern<br />

kann.<br />

Im letzten Moment gelangen wir auf eines der vollen Boote, da man uns sonst auf die Fahrt<br />

heute Nachmittag verschoben hätte. Der Seegang ist heute wieder ziemlich heftig und wir<br />

fahren 90 Minuten hart gegen die hohen Wellen an. Die Ersten stürzen schon an die Reling und<br />

entleeren geräuschvoll ihren Magen, während ich doch eigentlich nur gemütlich dort sitzen<br />

wollte... Kaum jemand kommt wie Laura und Amie auf die Idee, die Fahrt auf dem Dach zu<br />

genießen und das, obwohl man die Wellen hier oben wie in einem Vergnügungspark genießen<br />

kann.<br />

Laura und Andrea La Escalera del Inca<br />

Nach unserer Ankunft auf der Insel werden wir sofort von kleinen Jungs belagert, die uns ihre<br />

Dienste als Träger offerieren - und das nicht ohne Grund: Vom Anleger müssen wir über eine<br />

alte Inkatreppe mehrere hundert Höhenmeter zum Dorf hoch laufen. Amie läuft mit ihrem<br />

schweren Rucksack leichtfüßig voran, Andrea ist schlau genug ihren Rucksack von einem der<br />

Jungs tragen zu lassen und ich bin dumm genug meinen leichten Rucksack "heldenhaft" gegen<br />

den tonnenschweren Rucksack von Laura einzutauschen. Ich bin ja echt am rätseln, wie Frauen<br />

ihre Rucksäcke nur so schwer bekommen können!<br />

Keuchend schaffen wir es nach ganz oben bis zum Residencial Puerta del Sol, von wo aus sich<br />

uns eine atemberaubende Aussicht bietet. Ich bin total beeindruckt von den Zimmern; man hat<br />

von hier einen noch viel schöneren Ausblick auf den unter uns liegenden Lago Titicaca.<br />

- 25 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Residencial Puerta del Sol<br />

Im nahe gelegenen Restaurant müssen wir uns schon einmal an eine Eigenart dieser Insel<br />

gewöhnen: Das lange Warten. Die nette Señora mit der quietschigen Stimme ist mit voller<br />

Motivation dabei, doch alles scheint Stunden zu dauern - als wenn die Lebensmittel erst<br />

produziert werden müssten. Matt hat die Insel inzwischen auch auf abenteuerlichen Wegen<br />

erreichen können; er ist den gesamten Weg bis zur Insel so weit wie möglich zu Fuß gelaufen<br />

und hat dann mit einem kleinen Boot übergesetzt. Und obwohl er total geplättet ist, schließt er<br />

sich uns auf einer kleinen Wanderung zu am Ufer liegenden Inka-Ruinen an.<br />

Kurz vor der Ankunft dort merken wir mal wieder, dass diese Insel touristisch um einiges besser<br />

erschlossen ist, als der Rest Boliviens. Ein Schild am Zaun sagt uns: "Extranjeros 5Bs,<br />

Nacionales 2Bs". Hmpf... ich will's ja positiv sehen...<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Wir gehen runter ans Wasser, wo gerade ein paar Bolivianer eine Mole neu aufbauen. Amie<br />

und Laura zeigen jetzt erst mal, dass sie aus Finnland kommen. Sie ziehen sich bis auf die<br />

Unterwäsche aus und springen ins eiskalte Wasser, um eine kurze Runde zu drehen. Andrea<br />

und ich können uns dazu nicht wirklich überwinden und Matt hat sich sowieso in meinen<br />

Poncho verliebt und liegt damit schlafend auf einem Felsen. Die verdatterten Blicke der<br />

Bauarbeiter auf Amie und Laura sind Gold wert und ich würde mich bei deren Anblick am<br />

liebsten auf dem Boden kringeln vor Lachen.<br />

Bei eintretender Dämmerung wird es merklich kälter und wir machen uns wieder auf den<br />

Rückweg zum Residencial.<br />

Am nächsten Morgen stehen wir kurz nach Sonnenaufgang auf und beginnen unsere<br />

Wanderung rund um die Insel. Matt ist in einem anderen Residencial untergebracht und möchte<br />

heute ausschlafen. Wir folgen einem alten Inkaweg auf und ab über die Berge gen Norden und<br />

immer wieder gibt es tolle Ausblicke. Nach etwas mehr als zwei Stunden erreichen wir die<br />

Piedra Sagrada - den heiligen Stein - sowie die Chincana-Ruinen. Dies ist der Ort von dem laut<br />

den Mythen der Inkas ihr großes Reich seinen Ausgang genommen haben soll.<br />

Auf dem Weg nach Cha'llapampa kommt uns eine große Touristengruppe entgegen, darunter<br />

Froydis und Raw. Ich treffe die beiden nun schon zum dritten Mal seit der Tour in der Pampa...<br />

Kurz danach holt uns Matt ein und wir setzen unseren Weg gemeinsam fort. In Cha'llapampa<br />

gibt es einen tollen weißen Strand, der zusammen mit der Landschaft durchaus das Flair eines<br />

wunderschönen Mittelmeer-Strandes vermittelt. Dumm nur, dass das Wasser hier im Lago<br />

Titicaca verdammt kalt ist und das, obwohl wir hier auf den Breitengraden diverser Südsee-<br />

Paradiese liegen. Dazu wird der Strand ständig von einer Sippe niedlicher kleiner Schweine<br />

sauber gehalten, die hier die Funktion einer Putzkolonne übernommen haben.<br />

Während wir auf unser Essen warten, sind vier Kinder total vernarrt in Laura und noch viel mehr<br />

in ihre bunten Luftballons. Es ist sehr schön, dass man hier im Norden der Insel kaum noch das<br />

Wort "Gringo" hört. Während wir an einer Schule vorbeigehen, wird uns von allen Kindern auf<br />

dem Schulhof in fast ohrenbetäubendem Lärm immer wieder freudig "¡Hola!" hinterher gerufen.<br />

Die Kinder im nächsten Dorf lassen sich von uns nicht stören, da sie mit dem Erfinden von<br />

neuen Spielen beschäftigt sind. Am Strand hat man eine Flasche zum Spielzeugschiff<br />

umgebaut und an der nächsten Ecke schiebt ein Junge eine Schubkarre mit zwei Freunden<br />

darin vor sich her. Einer von den Insassen hält eine Flasche vor das Rad der Karre, womit das<br />

Geräusch eines Motorrades imitiert wird. Nach ein paar Metern stürzen sie in den Sand und die<br />

restlichen Kinder im Dorf können sich vor Lachen kaum halten...<br />

- 27 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Playa de Cha'llapampa<br />

Am folgenden Tag kehren wir auf das Festland zurück. Während sich die anderen noch um<br />

Geld & Co. kümmern, möchte ich mein Rad und das Gepäck wieder im Hostal abholen. Der<br />

Señor an der Rezeption sagt mir nur, dass der Chef gerade nicht da sei und er den Schlüssel<br />

zu dem entsprechenden Lagerraum nicht hat. Aber El Chefe käme ja um 4 Uhr wieder aus La<br />

Paz zurück, dann käme ich wieder an mein Rad. Wie bitte?!?! Da ist mein Bus schon längst<br />

weg! Am liebsten möchte ich ihm an die Gurgel springen, als er mit ausgebreiteten Armen vor<br />

der verschlossenen Tür steht und er mich fragt: "Und was nun?"<br />

Aber ich könnte ja in einer halben Stunde noch einmal wieder kommen. Vielleicht hat er dann<br />

die Besitzerin aufgetrieben. Es ist jetzt 11.30 Uhr und der Bus nach Puno in Perú fährt um 14.00<br />

Uhr. Innerlich wutschnaubend gehe ich erst mal zum Essen mit den anderen und in mir reißen<br />

ein paar Nervenstränge. Ich rege mich furchtbar darüber auf, dass diese Bolivianer nie etwas<br />

organisiert bekommen. Ich habe den Chef doch am Montag erst gefragt, ob es möglich ist, das<br />

Rad in ein bis zwei Tagen wieder abzuholen. "No hay problema" war die typische Antwort.<br />

Eine dreiviertel Stunde später gehe ich zurück und zu diesem Zeitpunkt hat man sich natürlich<br />

noch längst nicht um den Schlüssel gekümmert. Und tatsächlich: Die Frau vom Chef hat den<br />

besagten Schlüssel. Dumm nur, dass in besagtem Lagerraum weder mein Fahrrad, noch mein<br />

Gepäck zu finden sind!!! Ich bin kurz davor diesem |zensiert| an die Gurgel zu springen und<br />

werfe den hinter mir stehenden und kichernden Frauen ein paar leise Flüche entgegen. Und als<br />

ich kurz davor bin, sie mit allen mir bekannten spanischen Schimpfwörtern zu versehen,<br />

entdeckt man mein Rad. In meinem alten Zimmer! Ich bin mit den Nerven am Ende... Da kann<br />

selbst Fernando, dem ich kurz danach wieder über den Weg laufe, meine Laune nicht bessern.<br />

Tag 56:<br />

Tag 57:<br />

Tag 58:<br />

Copacabana - Isla del Sol<br />

Wanderung auf der Isla del Sol<br />

Isla del Sol - Puno (Perú)<br />

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Las Islas Floantes<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Der Sieg über den eigenen Stolz<br />

Nun reise ich schon wieder mit dem Bus. Mit dem Bus?! Irgendwie fühle<br />

ich mich versucht, mich für diese "Straftat" rechtfertigen zu müssen. Ich bin<br />

doch ein Reiseradler! Eine dieser hartgesottenen Gestalten, die sich<br />

keinen Kilometer durch motorisierte Verkehrsmittel nehmen lassen wollen!<br />

Was ist aus meinem Stolz eines Reiseradlers geworden?<br />

Peter, ein Reiseradler in Chile, hat sich wenig später auch mit diesem<br />

Problem auseinandersetzen müssen und seinen inneren Kampf sehr gut in<br />

Worte fassen können:<br />

Im Hotel bin ich am grübeln. Soll ich, soll ich nicht? Ich werde die<br />

Entscheidung dem Wind überlassen. Zuckeln morgens die Palmen auf der<br />

Plaza auch nur ein bisschen rum, wird der Zug genommen. Ich esse im<br />

Hotel und der Maitre persönlich lädt mich auf ein Glas Wein ein. Auf<br />

Kosten des Hauses! Im Nebensaal findet eine Weinprobe statt. Vor und<br />

hinter Talca wird Wein angebaut, der in die ganze Welt importiert wird und<br />

entsprechenden Ruf hat. Ich muss ablehnen. Vino y Bicicleta este no<br />

compatible. Ich höre Stimmen: Seht was aus ihm geworden ist! Das ist<br />

kein Leben mehr, was er da führt.<br />

Morgens schiebe ich die Gardinen beiseite und gucke. Sie zuckeln. Aber<br />

auf dem Weg zum Bahnhof geht es wieder los:<br />

SOLDAT! Was tust Du da?<br />

Sir, ich fahre zum Bahnhof und nehme den Zug, Sir!<br />

Soldat einen Teufel wirst Du tun! Du schwingst Deinen Hintern auf den<br />

Sattel und kehrst zurück auf Deine Route. DAS IST EIN BEFEHL!<br />

Sir, ich bin müde. Ich denke ich werde es nicht schaffen, bei diesem Wind.<br />

Soldat, es ist nicht Deine Aufgabe zu denken. Du sollst Dein Rad treten,<br />

sonst nichts.<br />

Aber ich verweigere den Befehl. Am Bahnhof wird nun doch ein bisschen<br />

Theater gemacht, wegen dem Rad. Es wird rumtelefoniert und ich muss 10<br />

Minuten auf eine Antwort warten. Was dann die Freude erhöht, als ich<br />

höre, dass ich doch fahren darf. Im Zug bin ich am grübeln. Dann wird es<br />

mir klar. Ich habe meinen Stolz besiegt. Das ist doch auch etwas wert,<br />

oder? Meistens hat man eh zuviel davon. Ein kleines Grinsen schleicht<br />

sich in mein Gesicht.<br />

Zack! Der Ausreisestempel sitzt im Pass. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Mein letzter Tag in<br />

Bolivien. Ein wenig wehmütig blicke ich doch zurück. Laura noch viel mehr: Sie war immerhin 6<br />

Monate hier. Wir gehen durch einen Torbogen und stehen schließlich in Perú. Nach der<br />

Emigración müssen wir uns bei der Imigración anstellen. Klack, klack, klack, klack, klack! Ein<br />

holländischer Reisepass, ein schweizer Reisepass, zwei finnische Reisepässe und ein<br />

deutscher Reisepass gleiten durch die Hände des Zollbeamten und nun sind wir offiziell in Perú.<br />

Während der Fahrt blicke ich aus dem Fenster. Diese schöne Asphaltstraße hätte ich unter<br />

meinen Reifen haben können, doch irgendwie freue ich mich auch über dieses schnelle<br />

Fortbewegungsmittel: den Bus. Das Aussehen der Dörfer und Menschen ändert sich von<br />

Bolivien zu Perú kaum. Hier und da gibt es große Prachtbauten, riesige Stierkampf-Arenen. Viel<br />

mehr ändert sich nicht.<br />

Ein Schlepper überredet uns dazu in einem bestimmten Hotel in Puno zu übernachten und so<br />

werden wir mit dem Bus direkt vor unser Hotel gefahren. Matt bleibt im Bus und er wird noch<br />

diese Nacht bis nach Cusco weiterfahren. Hier in der Stadt werden nun doch kleine<br />

Unterschiede zu Bolivien sichtbar. Wir haben eine heiße Dusche neben unserem Zimmer!<br />

- 29 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Las Islas Floantes<br />

Am nächsten Tag geht es auf die Islas Floantes; die so genannten Schwimmenden Inseln auf<br />

dem Lago Titicaca. Stolz erstehe ich vor der Abfahrt ein paar Kulis, weil ich gehört habe, dass<br />

man sie auf der Insel gut für die Bezahlung von "Fotogebühren" benutzen kann, nur um dann zu<br />

merken, dass am Bootsanleger ganze Malsets angeboten werden... Hmpf... Mein Reiseführer<br />

war auch nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand...<br />

Mit im Boot sind natürlich auch wieder Raw und Froydis. Wir können ihnen einfach nicht aus<br />

dem Weg gehen. Schon eine halbe Stunde später haben wir die schwimmenden Inseln erreicht.<br />

Wir sehen kaum etwas von der Insel und unser Führer redet und redet und erwähnt nur Dinge,<br />

die man schon längst im Reiseführer gelesen hat. Ich halte das nicht mehr lange aus und<br />

entferne mich ein wenig von der Gruppe, um selbst etwas von der Insel zu sehen. Während ich<br />

ein Foto von einem kleinen Gänseküken mache, kommt einer der Einwohner von hinten auf<br />

mich zu und spricht eine Warnung aus: "Das darfst du nicht machen! Dann stirbt es!" Aha, viel<br />

gesünder wäre es natürlich, wenn ich bei den im Halbkreis sitzenden Indígenas tonnenweise<br />

Souvenirs kaufen würde? Ich habe eine andere Auffassung vom Reisen als ständig einem<br />

Führer hinterher zu laufen der Binsenweisheiten erzählt aber ich möchte mir einfach auch mal<br />

die "andere Seite" des Reisens ansehen. Nach der Besichtigung einer zweiten schwimmenden<br />

Insel geht es weiter zur Isla Taquile, was drei Stunden Fahrt über den Lago Titicaca bedeutet.<br />

Mädchen aus dem Volk der Uro Touristisch...<br />

Wir verbringen die meiste Zeit auf dem Deck und lassen uns bei dem guten Wetter den Wind<br />

um die Nase wehen. Nach der Ankunft auf der Isla Taquile laufen wir etwa eine halbe Stunde<br />

bergauf bis wir die Plaza des Inseldorfes erreicht haben. Dort gehen wir etwas essen und<br />

verbringen noch ein wenig Zeit im Dorf bevor es gemäß Zeitplan wieder zurück zum Anleger<br />

geht. Auf der anderen Seite der Insel wartet unser Boot. Wir sind spät dran. In der Ferne sieht<br />

man schon die Armada von Touristenbooten auf ihrem Rückweg nach Puno.<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Es ist erstaunlich, wie viel mehr Tourismus es nach der Grenzüberschreitung nach Perú<br />

plötzlich gibt, allerdings hält es sich alles noch in einem guten Rahmen.<br />

Entfernungen von der Isla Taquile Rückzug der Touristenflotte<br />

Im Sonnenuntergang nähern wir uns zwischen dichtem Schilf hindurch der leuchtenden Stadt<br />

Puno. Nach dem Transport zurück ins Hotel gehen wir schnell noch etwas essen, ich gehe<br />

früher zurück ins Hotel da ich mein Rad noch packen und den Weg zur Busstation selbst<br />

zurücklegen muss. Wir treffen uns an der Busstation wieder und nehmen den Nachtbus nach<br />

Cusco. Wieder überbrücke ich eine große Distanz mit dem Fahrrad im Gepäckraum...<br />

Tag 58:<br />

Tag 59:<br />

Isla del Sol - Puno (Perú)<br />

Puno / Islas Floantes / Isla Taquile -Tacho defekt-<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Der Nabel der Welt: Cusco<br />

Nachtleben im Nabel der Welt...<br />

Wir erreichen Cusco mitten in der Nacht nach einer relativ ruhigen Fahrt über Asphaltstraßen<br />

und schlafen noch bis etwa 6 Uhr auf frei gewordenen Sitzplätzen. Mein Fahrrad ist mir jetzt<br />

ganz egal - ich bin einfach nur müde.<br />

Amie, Andrea und Laura nehmen sich ein Taxi, während ich den Weg bis zum verabredeten<br />

Treffpunkt alleine mit dem Fahrrad zurücklege. Gar nicht so einfach wenn alle Straßen in<br />

Quechua beschildert sind und mein Reiseführer sie in Spanisch ausweist. Wir bekommen ein<br />

Gruppenzimmer in einer kleinen Unterkunft namens Hostal Familiar mit einem tollen Ausblick<br />

auf die Plaza von Cusco. Die Übernachtungen werden immer teurer. Im Verhältnis zu Bolivien<br />

ist es hier mit 11 Sóles (Kürzel: S/.), also knapp 3 Euro pro Nacht, schon recht teuer. Voller<br />

Motivation gehen wir in die Stadt, wir wollen eine Tour über den Inkatrail buchen, doch werden<br />

ziemlich schnell enttäuscht. Es ist erst in 10 Tagen wieder etwas zu bekommen - der Inkatrail<br />

auf voller Länge ist sogar über eine noch längere Zeit "ausgebucht"! Alles Suchen bringt nichts.<br />

Schon gar nicht, wenn man weniger als 160 Dólares für die drei Tage bezahlen will.<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Cusco Plaza de Armas<br />

Das Werk von Außerirdischen?<br />

Also entscheiden wir uns dazu, den preiswertesten Weg in die Ruinenstadt Machupicchu zu<br />

nehmen: Eine Kombination aus Bahn und Bus. Man könnte zwar auch von Cusco aus direkt mit<br />

der Bahn fahren, allerdings kostet sie ab hier rund 50 Doláres. Es gibt zwar auch einen Zug für<br />

unter 5 Doláres, doch der ist für Touristen verboten...<br />

Heute schlendern wir erst einmal über den Markt und genießen den Abend in den zahlreichen<br />

Discos, die es um die Plaza herum gibt. Es gibt hier ein beeindruckendes Nachtleben und die<br />

Plaza ist selbst noch spät in der Nacht voll mit Menschen. Überall erhält man Gutscheine für<br />

Freigetränke und freien Eintritt. Nun ja, ich bin mit drei Mädels sowieso bevorteilt: Kein<br />

Türsteher weist unsere Gruppe ab und wir müssen nirgends warten. Dumm nur, dass ich nicht<br />

den ganzen Abend genießen kann. Die Kombination aus einer schlechten Spinatsauce zum<br />

Abendessen und größeren Mengen Cuba Libre hauen ganz schön rein...<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Reiten in den Bergen über Cusco<br />

Am nächsten Tag ist Pferdereiten angesagt. Ein Gaucho spricht uns auf der Plaza an und Laura<br />

vereinbart mit ihm einen Preis von 15 S/. für drei Stunden. Wir setzen uns alle in ein Taxi und<br />

rasen hoch in die Berge über der Stadt. Hier will der Gaucho plötzlich 20 S/. haben. Ein Glück,<br />

dass Laura eine so verdammt harte Verhandlungspartnerin ist. Zähneknirschend einigt sich der<br />

Gaucho mit ihr auf 2 Stunden für 15 S/. - dann ist es dunkel und es kommen sowieso keine<br />

Touristen mehr.<br />

Mehr als 15 Sóles ist mein Pferd auch nicht wert. Kaum sitze ich auf diesem Giftzwerg, versucht<br />

er schon mit mir durchzubrennen. Hiiiieeelffeeee!!! Die anderen rufen mir alle gut gemeinte<br />

Ratschläge hinterher, doch dieser dämliche Gaul reagiert auf nichts. Mistvieh! Ich würde Dir<br />

gleich in die Fresse treten, wenn ich nicht auf Dir sitzen würde! Ich möchte doch mal behaupten,<br />

dass diese als meine erste Erfahrung mit Pferden nicht gerade die Positivste ist... Wie gut, dass<br />

die Anderen den Gaul schließlich anhalten und ich gegen den von Laura tauschen darf. Dafür<br />

kommt dieses Tier zwischendurch im Wald auf den Gedanken, doch mal hops einen großen<br />

Galopp durchzuführen. Mein armer Hintern! Mein Fahrradsattel ist mir doch ein wenig lieber.<br />

Gemeinsam mit einem 16 Jahre alten Jungen als Führer reiten wir an verschiedenen<br />

beeindruckenden Ruinen vorbei und genießen den tollen Ausblick auf die Stadt und die Berge<br />

in der Umgebung. Die Tempel sind wirklich beeindruckend.<br />

Der Templo de la Luna - der Mondtempel - ist zum Beispiel von außen gar nicht als solcher zu<br />

erkennen. Erst wenn man sich innerhalb dieses großen Felsen befindet, kann man nur über die<br />

fein gearbeiteten Wände im blanken Fels staunen. Diese Bauwerke geben wirklich Rätsel auf.<br />

Wie konnte man nur so etwas erbauen ohne die entsprechenden Werkzeuge zu haben und das<br />

in einer Kultur, in der nicht einmal das Rad erfunden war? Leider gibt es kaum schriftliche<br />

Überlieferungen - die Inkas hatten keinerlei Zeichenschrift und erst die Spanier haben das Ein<br />

oder Andere zu Papier gebracht.<br />

Templo de la Luna<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Ovalo Pachacutec<br />

Am nächsten Tag reißen bei mir die Fäden. Meine Tage in Perú neigen sich dem Ende zu und<br />

Andrea, Amie und Laura wollen die Fahrt nach Machupicchu wieder um einen weiteren Tag<br />

hinauszögern. So schön das Reisen mit ihnen auch ist, in den letzten Tagen gab es doch so<br />

einige Indifferenzen und auf Dauer kann ich wohl nicht mit ihnen unterwegs sein. Ich habe<br />

gerne mal ein paar nette Abende, aber die Drei wollen heute schon wieder ausgehen. Dieses<br />

Mal auf ein Konzert, an dem ich nicht das geringste Interesse habe. Wir entscheiden uns dazu,<br />

dass es besser ist, wenn wir uns vorerst voneinander trennen. Ich brauche einfach mal wieder<br />

einen ruhigen Tag für mich.<br />

Doch heute ist es schon zu spät um noch nach Machupicchu aufzubrechen. Andrea, Amie und<br />

Laura fahren schon mal mit dem Bus nach Urubamba, wo heute Abend das Konzert stattfinden<br />

soll. Ich werde also doch noch einen weiteren Tag in Cusco verbringen.<br />

Nun versuche ich die Stadt ganz auf meine eigene Art zu entdecken: Per Fahrrad. Dazu will ich<br />

mich noch über eventuelle Flugmöglichkeiten nach Lima informieren. Wenn mir das gelingt,<br />

hätte ich für das beeindruckende Umland von Cusco noch mehr Zeit, müsste aber auf andere<br />

Sehenswürdigkeiten in Perú verzichten.<br />

Es ist seltsam. Kaum dass ich wieder alleine bin, läuft mir ein spanischer Reiseradler über den<br />

Weg. Er kommt aus Barcelona und hat dafür einen sehr ungewöhnlichen Namen: Jack. Am<br />

Abend treffen wir uns noch einmal im Hostal. Wir reden unsere geplanten Routen und Jack<br />

kauft mir meinen Faltmantel für 100 S/. ab. Er ist total glücklich, dass er ein so seltenes<br />

Ersatzteil für seine weitere Reise nach Bolivien von mir bekommen konnte. Zumal es, einen 28<br />

Zoll Stollenmantel in Südamerika zu bekommen, schon geradezu eine utopische Vorstellung ist.<br />

Bleibt nur zu hoffen, dass ich dieses Ersatzteil auf dem Rest meiner Reise nicht mehr brauchen<br />

werde...<br />

Tag 60:<br />

Tag 61:<br />

Tag 62:<br />

- 35 -<br />

Cusco<br />

Umland von Cusco<br />

Cusco


Machupicchu<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Heute wollte ich endlich mal ausschlafen. Ich wollte...<br />

Um kurz nach 8 klopft es laut. Die Tochter der Herbergsmutter steht vor der Tür und bittet mich<br />

fast flehend darum, dass ich den Raum jetzt verlasse. Eine Gruppe von 19 Amerikanern sei<br />

angekommen, erklärt sie mir mit abstoßendem Blick. Natürlich sind die Nordamerikaner nicht<br />

beliebt, aber wenn man 19 von ihnen gegen einen Europäer austauschen kann, bringt das<br />

schon eine Menge mehr Geld in die Kasse... Widerwillig packe ich meine Sachen.<br />

Als kleine Wiedergutmachung bekomme ich ein Frühstück umsonst. Während ich mein<br />

Milchpulver aufkoche, unterhalte ich mich mit Kevin aus Neuseeland und Ken aus Seattle (das,<br />

wie er mir versichert, gar nicht wirklich zu den USA gehört - da bin ich ja beruhigt...)<br />

Nach dem Frühstück lasse ich mein Fahrrad wieder im Hotel zurück und mache mich nur mit<br />

Rucksack und Lenkertasche auf den Weg zur Avenida Grau. Von hier fahren Busse nach<br />

Urubamba, wo ich wiederum umsteigern muss, um meinen Zug in Ollanta zu bekommen. Eine<br />

Frau fragt mich, ob ich mit ihr im Taxi nach Urubamba fahren möchte. Doch damit wir für 10 S/.<br />

bis nach Ollanta kommen, fehlen dem Taxifahrer noch 2 Fahrgäste. Nach langem Warten wird<br />

mir das zu bunt. Ich steige in den nächsten Bus und lasse mich für 3 S/. nach Urubamba fahren.<br />

Fahrt nach Urubamba Markt in Urubamba<br />

Von Urubamba geht es weiter in einem Toyota-Kleinbus nach Ollanta. Zwischen den 25 (!)<br />

anderen Fahrgästen findet man noch Platz für mich, ich bekomme ein Kind auf den Schoß und<br />

schon reicht der Platz für alle. Nichts ist unmöglich...<br />

Ollanta ist einmalig - zumindest für das Südamerika, das ich bis jetzt kenne: Es gibt einen<br />

großen Parkplatz auf dem die Touristen mit ihren über die Speckbäuche baumelnden Kameras<br />

in Massen angekarrt werden. Das erste Mal bekomme ich in Südamerika ein Gefühl wie auf<br />

dem Großglockner zu sein. Unter den Verkäufern auf dem Markt gibt es sogar Deutsche und<br />

viele Leute geraten ganz aus dem Häuschen weil sie das erste Mal in ihrem Leben ein Lama<br />

sehen... Da muss ich nun durch. Ich will einmal im Leben die alte Ruinenstadt Machupicchu<br />

gesehen haben. Sozusagen: Koste es was es wolle!<br />

- 36 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

- 37 -<br />

Ollanta<br />

Von hier aus geht es nur noch mit dem Zug weiter nach Aguas Calientes, das unterhalb von<br />

Machupicchu im Tal liegt. Straßen dorthin gibt es angeblich keine und so werde ich schnell um<br />

rund 10 Doláres erleichtert. Die Fahrt mit den Bussen hat übrigens zusammengerechnet einen<br />

Dollar gekostet. Abends fährt dann endlich der Zug ab. Neben mir sitzt ein peruanischer Junge,<br />

der mich die ganze Fahrt lang mit Fragen über Deutschland und Fahrräder löchert. In Aguas<br />

Calientes möchte er mir das Hotel seines Onkels zeigen, doch leider verlieren wir uns auf dem<br />

Bahnsteig aus den Augen. So muss ich mich selbst auf die Suche machen und ich habe es<br />

dabei nicht gerade leicht. Entweder sind die Hotels nicht geöffnet, wollen mindestens 10<br />

Doláres pro Nacht haben, nehmen mich als einzelne Person nicht an, oder sind schlicht und<br />

ergreifend überfüllt. Es ist zum Mäusemelken!<br />

Nach harten Verhandlungen bekomme ich endlich ein 3-Bettzimmer dass ich aber morgen früh<br />

schon wieder verlassen muss. Irgendwie sehne ich mich schon wieder nach meinem einfachen<br />

Leben auf dem Fahrrad zurück...<br />

Der Dejavú-Effekt... - Machupicchu<br />

Früh morgens werde ich von den Handwerkern im Hotel geweckt. Es dämmert schon und ich<br />

möchte Machupicchu vor Sonnenaufgang erreicht haben. Ich nehme gleich den zweiten Bus,<br />

zahle horrende viereinhalb Doláres, und lasse mich über die zahlreichen Serpentinen nach<br />

oben fahren. Bevor ich überhaupt nach Machupicchu hereingelassen werde, muss ich noch<br />

einmal 20 Doláres abdrücken und endlich stehe ich vor der Kulisse, die sich wohl jeder Perú-<br />

Urlauber vor seinem Urlaub erträumt: Der Blick auf die Ruinenstadt Machupicchu mit dem spitz<br />

dahinter aufragenden Waynapicchu.


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Ja genau! Dieser kleine Zipfel da hinter der Ruinenstadt ist der Waynapicchu. Sieht so groß gar<br />

nicht aus, denke ich mir. Warum also nicht einfach mal da oben hochsteigen?<br />

Der Weg zum Waynapicchu Blick auf das "winzige" Machupicchu vom Waynapicchu<br />

Erst wundere ich mich noch darüber, dass man sich vor dem Aufstieg in einem dicken Buch<br />

registrieren muss; dann sehe ich den Grund: Der Aufstieg verläuft in abenteuerlichen<br />

Windungen an der Steilwand nach oben. Keuchend schleppt sich ein Mensch nach dem<br />

anderen die Felsstufen aufwärts und man hangelt sich oftmals an dicken wenig Vertrauen<br />

erweckenden Halteseilen entlang. Laut dem dicken Buch bin ich heute Nummer 225...<br />

Doch der Ausblick entschädigt sowohl für den großen Andrang als auch für die Strapazen!<br />

Wow...<br />

Man hält sich so gut es geht auf den großen Felsbrocken hier oben fest. Es ist eine super<br />

Stimmung unter den Leuten, die es hier hoch geschafft haben. Ich treffe auch Amie und Laura<br />

wieder.<br />

UND: Das Highlight schlechthin: Ich sehe Spuren von Meerschweinchen aus freier Wildbahn!<br />

Es sind zwar nur Ködel neben einer Ruine - naja - aber immerhin!<br />

Waynapicchu<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Treppen von Machupicchu in das Urubamba-Tal<br />

Ich gehe mit Amie und Laura zurück nach unten, wo Andrea wartet und zusammen machen wir<br />

uns auf den Abstieg in das Tal nach Aguas Calientes. Am Abend beginnt wieder meine<br />

schweißtreibende Odyssee nach einer Unterkunft. Viel zu spät wird mir klar, dass heute der<br />

peruanische Nationalfeiertag ist. Ich hätte es wissen sollen. So ein Mist! Ich habe noch viel<br />

größere Schwierigkeiten etwas zu bekommen, als gestern. Jeder, der ein Zimmer vermietet,<br />

weiß, was das heute Wert ist. Ich könnte ein 4-Bettzimmer in einer privaten Unterkunft für 25 /S.<br />

pro Bett bekommen. Pro Bett wohlgemerkt: Ich müsste sie alle vier bezahlen! Es reicht! Ich<br />

frage, ob ich vielleicht meinen Schlafsack in der Eingangshalle ausbreiten darf. Ich darf: Das<br />

kostet aber 10 S/. und ich ärgere mich, dass ich meine Isomatte in Cusco gelassen habe. Naja,<br />

nach einer Weile erbarmt sich Herbergsmutter dazu mir wenigstens eine Matraze zu geben.<br />

Ich gehe wieder im gleichen Restaurant wie gestern essen und die Kellnerin freut sich schon,<br />

da ich ihr wieder ein paar Worte Deutsch beibringen könnte. Ich bin deprimiert und schlecht<br />

gelaunt. Ich antworte ihr nur auf Spanisch. Eigentlich hätte ich freundlicher zu ihr sein können,<br />

doch auf einer Reise gibt es immer wieder einmal Momente, die man im Nachhinein nicht<br />

nachvollziehen kann...<br />

Mein Handy "klingelt" um 4.45 Uhr. Die Herbergsmutter hüpft schon durch das Hostal und weckt<br />

alle Leute, die heute mit dem Zug zurück nach Ollanta fahren möchten. Der Zug wird um 5.45<br />

abfahren. Ich mache mich mit Andrea, Laura und Amie auf den Weg zum Bahnhof. Heute sind<br />

wir noch mal einen Tag zusammen unterwegs.<br />

Während sich der Zug auf dem steilen Weg talaufwärts kämpft, schleicht sich das Licht der<br />

Sonne langsam in das tiefe Tal. Schließlich erreichen wir die Inka-Ruinen von Ollanta. Von hier<br />

aus geht es im Taxi für 11 S/. die Nase zurück nach Cusco. Zwar ist das teurer als der Bus aber<br />

wir sind damit um Stunden schneller in Cusco. Genauer gesagt: Nach nur einer Stunde Fahrt<br />

- 39 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

kommen wir im 100 Kilometer entfernten Cusco an. Wir gehen zurück in unser altes Hostal, wo<br />

ich mein Gepäck aus dem Depot hole und mein Frühstück nachhole. Nach dem Mittagessen<br />

verabschiede ich mich dann doch schweren Herzens von den Dreien - immerhin war ich über<br />

eine Woche mit ihnen unterwegs.<br />

Ich packe mein Rad und mache mich auf den Weg zur Busstation. Ich werde noch einmal ein<br />

großes Stück auf motorisiertem Wege zurücklegen. Mein Abflug ist in weniger als 5 Tagen und<br />

Lima ist noch mehr als 1100 Kilometer entfernt. Ich möchte wenigstens noch ein bisschen von<br />

Perú sehen. Ich hole mir noch telefonisch die Bestätigung für meinen Abflug (ich soll um 3 Uhr<br />

nachts zum Check-In erscheinen!) und steige in den Nachtbus nach Nasca.<br />

Bis zur ersten Station sind wieder Ambulatorios, wie man die fliegenden Händler nennt, im Bus.<br />

Ein Verkäufer preist so lange die unglaublichen Vorteile seiner Getreide-Riegel an, bis er fast<br />

jedem Fahrgast einen davon verkauft hat. Ein Junge versucht es mit angeblich Wunder<br />

wirkenden Karamellbonbons. Meine Sitznachbarin und ich amüsieren uns die ganze Zeit<br />

darüber und unterhalten uns den Abend durch über alles Mögliche, wie zum Beispiel die<br />

spanische Raubkopie von "Ghost Ship", die gerade am Fernsehen läuft. Sie findet diese<br />

Spanischen Übersetzungen schrecklich. Dass "die Spanier immer so viel lispeln müssen! Sind<br />

die denn nicht einmal in der Lage ein vernünftiges 'S' zu sprechen?"<br />

Tag 63:<br />

Tag 64:<br />

Tag 65:<br />

"Billigste" Fahrtroute nach Machupicchu (Stand 2003)<br />

? von der Avenida Grau in Cusco mit dem Bus nach Urubamba (0,75<br />

US$)<br />

? von Urubamba mit dem Colectivo nach Ollanta (0,38 US$)<br />

? von Ollanta mit dem Zug (tren social con coche backpacker) nach<br />

Aguas Calientes (10 US$)<br />

? von Aguas Calientes per Bus (4,50 US$ ida) oder zu Fuß nach<br />

Machupicchu<br />

Diese Preise sind alle für oneway/ida. Die return bzw. ida y vuelta kostet<br />

also Alles in Allem das Doppelte + 20 US$ Eintritt in Machupicchu!<br />

Cusco - Aguas Calientes<br />

Aguas Calientes / Machupicchu<br />

Aguas Calientes - Cusco - Nachbus nach Nasca<br />

- 40 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Nackte Schamanen auf dem Weg nach Feuerland<br />

Oder auch: Warum Rüdiger Nehberg längst out ist...<br />

"Be firm like a rock, deep and serious like the sea. Think of the Earth as a<br />

Mother. This is one Earth. Don't be divided by thinking of yourself as<br />

belonging to different countries. This is one Earth."<br />

- 41 -<br />

—Babaji<br />

Die Nacht habe ich abgesehen von Quäl-Attacken knatschender Kinder und schreiender<br />

Straßenverkäuferinnen (auf die ich inzwischen Mordgedanken hege) gut überstanden. Während<br />

die Sonne aufgeht, schlängelt sich der Bus durch eine gebirgige Wüste abwärts gen<br />

Sonnenaufgang. Weiter unten kann man schon den Hochnebel sehen, den es an der<br />

peruanischen Küste den ganzen Winter über geben soll und welcher die niedriger gelegenen<br />

Landstriche verdeckt. Wir tauchen in diesen Nebel ein und der Bus spuckt mich auf einer<br />

Hauptstraße im Zentrum der Stadt aus.<br />

Zurück in der Wüste<br />

Die Stadt macht keinen schönen Eindruck. Überall gibt es hässliche Flachdach-Gebäude im<br />

amerikanischen Stil. Nach dem letzten verheerenden Erdbeben ist hier kaum etwas an Historik<br />

übrig geblieben. Ich beginne mein Rad am Straßenrand zu packen und werde dabei gleich von<br />

Schleppern belagert. Einer von ihnen lässt nicht ab und versteht überhaupt gar nicht, dass ich<br />

kein Hotel brauche. Ich will nur einmal über die Nasca-Linien fliegen und dann gleich mit dem<br />

Bus weiter nach Ica. "Ok, einen Flug kann ich Dir auch geben" verspricht er mir. Doch natürlich<br />

bringt er mich erst einmal zu einem Hotel. Im Hotel sagt man mir, dass ich das Touristenbüro<br />

erst in Anspruch nehmen darf, wenn ich ein Zimmer gebucht habe. Entnervt mache ich ihnen


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

klar, dass ich erst den Flug buchen will! Und wenn der Preis gut ist, werde ich auch über ein<br />

Zimmer nachdenken. Daraufhin darf ich das Büro zwar in Anspruch nehmen, das befindet sich<br />

aber seltsamerweise wieder in einem anderen Hotel. Dort werde ich in einer Sitzecke zur Seite<br />

genommen (Büro?) und lasse mich erst einmal von einer Dame mit einer schönen bunten<br />

Informationsmappe volllabern. Ich habe keine Lust zu großen Verhandlungen. Ich komme<br />

gerade erst schlaftrunken aus dem Bus und habe weder gefrühstückt noch mich gewaschen.<br />

Ich bringe Sie auf den Punkt: Ich will den Preis wissen und nichts weiter. Nach langem Hin- und<br />

her bietet sie mir den Studentenpreis von 45 Doláres an. Doch ich habe von nicht mehr als 30<br />

Dólares gelesen und bestehe darauf nicht mehr zahlen zu wollen. "Wie kann der Preis plötzlich<br />

so hoch sein?" frage ich sie. "Nun, es ist Hauptsaison, es sind eben so viele Touristen da"<br />

antwortet sie. Das interessiert mich herzlich wenig. "Ein Flugzeug in die Luft zu bekommen<br />

kostet nicht mehr nur weil mehr Touristen da sind, oder?" Dieses Argument lässt sie nicht<br />

gelten. So kommt es zu ihrer großen Verwunderung dazu, dass ich einfach aufstehe und das<br />

Hotel verlasse. Als Dukatenscheißer lasse ich mich nicht behandeln.<br />

Ich freunde mich mit dem Gedanken an, dass ich mit dem Fahrrad durch die Nasca-Linien<br />

fahren werde, anstatt sie zu überfliegen. Doch bevor ich mit dem Fahrrad meinen Weg auf der<br />

Panamericana fortsetze, gehe ich erst einmal in ein Restaurant. Ich frühstücke und putze mir<br />

die Zähne und schon fühle ich mich wieder fit für die Wüste. Es kann losgehen.<br />

Was ist das?<br />

Einige Kilometer hinter Nasca bleibe ich stehen und genieße den Ausblick auf das hinter mir im<br />

Morgennebel liegende Land. Gerade als ich auf den Auslöser meiner Kamera drücke, entdecke<br />

ich dort zwei seltsame Gestalten im Sucher: Seltsam schmale Gestalten mit großen<br />

Packtaschen an beiden Seiten: Reiseradler!<br />

Die beiden heißen Maartje und Marcel und kommen aus - na woher wohl - aus Holland. Sie sind<br />

bereits seit La Paz mit ihren Rädern unterwegs und heute soll es nach Palpa gehen und<br />

morgen nach Ica. Spontan fahren wir zusammen weiter und ich bereue es gar nicht mehr, nicht<br />

über die Nasca-Linien geflogen zu sein.<br />

- 42 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Der "Baum" - auch das Werk von Außerirdischen? La Panamericana<br />

Ich genieße diesen <strong>Teil</strong> der Panamericana. Die Wüste ist viel abwechslungsreicher als die<br />

Atacama und zu dritt macht die Fahrt gleich viel mehr Spaß. Bei den Nasca-Lines besteigen wir<br />

einen Aussichtsturm, von wo aus wir zwei der berühmten Zeichnungen sehen können: Die<br />

"Hände" und den "Baum". Neben dem Aussichtsturm befindet sich ein Warnschild: "Achtung!<br />

Vermintes Gebiet!".<br />

Seltsam...<br />

Ich frage Kassier am Aussichtsturm: "So ganz ernst gemeint ist das doch nicht, oder? Seit wann<br />

sind den die Nasca-Linien vermint?"<br />

"Naja, das ist nur wegen den Touristen", bestätigt er mir grinsend.<br />

Aha...<br />

Die Traumstraße der Welt: Endlich fühlen wir uns richtig in Amerika. Ständig donnern alte<br />

amerikanische Schlitten und Trucks an uns vorbei. Mit der Zeit lernt man schon zwischen dem<br />

Röhren eines Chevrolets und eines Dodges zu unterscheiden. Doch das ist nicht alles:<br />

Mitten in der Wüste - fern von jeder Ortschaft - kommt uns ein dunkelbraun gebrannter Mann<br />

entgegen. Nicht, dass es schon ungewöhnlich genug wäre, dass er hier mitten durch die Wüste<br />

läuft, nein: Er ist nackt. Richtig verstanden: Nackt! Von oben bis unten! In seinem bärtigen<br />

Gesicht hat er weiße Striche gemalt und seine wachen Augen verfolgen mich während ich an<br />

ihm vorbeifahre.<br />

Die Fahrer der großen Trucks scheint sein Anblick genauso zu irritieren. Die meisten machen<br />

einen erschreckten Schlenker um ihn herum und befördern sich damit fast in den<br />

Straßengraben. So was! Nackt! In einem solch hochkatholischen Land! Ich kann es mir nicht<br />

verkneifen und mache ein Foto. Wird er nach meinem Urlaub noch auf diesem Foto zu sehen<br />

sein? Es soll indische Yogis geben, die man auf keinem Foto festhalten kann. Habe ich ihn<br />

überhaupt wirklich gesehen? Oder hat mir die Sonne zu sehr mitgespielt?<br />

Wir haben ihn wirklich gesehen...<br />

- 43 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Bei der nächsten Rast sehe ich Marcel an, dass er genauso irritiert ist: "Did you also see this<br />

naked shaman?" fragt er mich verwirrt. Wir haben ihn alle gesehen...<br />

Und schon spekulieren wir: Läuft er vielleicht die Panamericana runter bis nach Feuerland?<br />

Ohne Gepäck und ohne Proviant? Das wäre ein neuer Rekord. Es wäre schon, wenn man eines<br />

Tages mal einen "Reisebericht" von ihm lesen könnte. Der wäre bestimmt interessant.<br />

Palpa - sólo hay naranjas<br />

Noch lange bevor wir Palpa erreichen, kommen wir in ein grünes Tal. Überall um uns herum<br />

sind Orangenplantagen und in Palpa selbst kann man kaum etwas anderes als Orangen<br />

kaufen. Wir sind wohl die ersten "Gringos" seit langem hier. Überall sieht man uns hinterher und<br />

der Junge, der uns die Zimmer im Hostal gibt, löchert uns ständig mit Fragen. Auf dem Hostal<br />

gibt es einen Mirador (Aussichtsturm) und von dort erklärt er mir die ganze Stadt: "Das da<br />

vorne, das ist die Kirche von annodazumal, das da ist die Plaza, da drüben läuft die Dorfnutte,<br />

das da..."<br />

Seine Neugier findet selbst vor unserem Gepäck kein Halten. Maartje und Marcel sind nicht<br />

gerade begeistert darüber, als sie ihn auf frischer Tat dabei ertappen, als er ihre Gepäck<br />

durchwühlt.<br />

Nichtsdestotrotz machen wir uns noch einen schönen Abend mit einem aufwendigen selbst<br />

kreierten Menü aus Kartoffelpüree und Pudding. Was für ein Festschmaus!<br />

Ich habe meine Pläne spontan geändert. Ich werde noch einen weiteren Tag mit Maartje und<br />

Marcel zusammen fahren. Unser nächstes Tagesziel ist die Lagune Huacachina bei Ica.<br />

Morgens um 9 Uhr geht es wieder los. Gleich hinter Palpa haben wir einen Anstieg zu<br />

bewältigen, danach rollen abermals in ein grünes Tal und müssen dann über einen 650 Meter<br />

hohen Pass. Immerhin funktioniert mein Höhenmesser noch, von meinem Kilometerzähler kann<br />

ich das schon seit Wochen nicht mehr behaupten. Mit meinem vielen Gepäck kann ich mit den<br />

beiden kaum mithalten. Schnell verzieht sich der Morgennebel, die Sonne brennt, und der<br />

Schweiß beginnt in Strömen zu fließen. Dafür bietet sich eine umso eindrucksvollere<br />

Wüstenlandschaft. Wir scherzen schon, dass wir eigentlich nie in die USA reisen zu brauchen.<br />

Bisher war niemand von uns dort. Hier gibt es doch schon haufenweise US -amerikanische<br />

Autos, verrückte Leute, und die Wüste sieht sicherlich auch nicht viel anders aus als die von<br />

Nevada.<br />

- 44 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Durch die Berge Die Ebene<br />

Hinter dem Pass passieren wir noch einmal ein Dorf. Von da an folgen wir nur noch einer<br />

schnurgeraden Strecke durch die Wüste. Die Sicht reicht nur bis zur flimmernd im Dunst<br />

verschwindenden Straße.<br />

Which way to go? (Maartje)<br />

Obwohl wir Gegenwind haben, kommen wir zu dritt sehr gut voran. Wir wechseln uns immer<br />

wieder ab uns sparen dadurch Kräfte. Überraschend holt uns ein leicht bepackter Mountainbiker<br />

ein. Er kommt mit seinem Rad aus Nasca und möchte insgesamt die Strecke bis Lima<br />

zurücklegen. Erst einmal ist es erstaunlich, dass er die ganze Strecke von Nasca heute schon<br />

gefahren ist, aber viel erstaunlicher ist es, dass er ein echter Peruaner ist! Eigentlich ist es doch<br />

sehr untypisch für diese Leute sich so sehr für das Radfahren zu begeistern.<br />

Nach einem kurzen Gespräch verschwindet er wieder im Dunst und wir machen ein kleines<br />

Picknick am Straßenrand. Ich schmiere ein paar unglaublich leckere Avocado-Brötchen und<br />

Marcel schmeißt sogar seinen Kocher an und kocht ein paar holländische Tütensuppen. Das ist<br />

doch mal was!<br />

- 45 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Nach langer Fahrt geht es wieder steil bergab in ein Tal. An der Grenze zur grüner werdenden<br />

Landschaft befindet sich ein typisch verstaubter Panamericana-Truckstop. Bis jetzt hätte ich<br />

nicht gedacht, dass es in Perú leicht bekleidete und extrem hässlich geschminkte Mädchen<br />

geben würde, doch an der Bar werde ich eines Besseren belehrt. Nichtsdestotrotz ist der<br />

Kuchen hier sehr lecker und wir können endlich unsere Wasservorräte auffrischen.<br />

Weiter geht es durch ein dicht besiedeltes Tal in Richtung Ica. Wir passieren berühmte<br />

Ortschaften wie Sacramento oder Santiago (schon wieder). Die Leute hier sind seltsam.<br />

Andauernd hören wir von allen Seiten Zurufe, von denen nicht wenige das Wort "Gringo"<br />

enthalten. Dass die Leute hier nicht die Klappe halten können... Am liebsten würde ich für jedes<br />

"Gringo" eine Ohrfeige verteilen, aber das wäre der Völkerverständigung wohl noch weniger<br />

zuträglich.<br />

Laguna Huacachina Bar - "¡Peruano desde siempre!"<br />

Wir erledigen noch ein paar Einkäufe in Ica und machen uns auf die letzten 6 km zur Oase<br />

Huacachina. Sie befindet sich inmitten von riesigen Sanddünen wie ich sie noch nie gesehen<br />

habe. Wir treffen Paulo aus Frankreich. Er ist mit seinem bereits seit zwei Jahren (!) von<br />

Frankreich aus mit dem Rad und Anhänger unterwegs. Leider haben wir nur zu einem kurzen<br />

Schnack Zeit. Er will heute Abend weiter nach Lima. Die Nacht durch, um Lima in drei Tagen zu<br />

erreichen. Verrückt... trotzdem beneide ich ihn sehr um seine 2 Jahre auf Tour. Mir wird es<br />

immer mulmiger zumute. In weniger als drei Tagen geht mein Flug nach Venezuela und kaum<br />

zwei Wochen später soll es wieder zurück nach Deutschland gehen. Eine schreckliche<br />

Vorstellung...<br />

Wir finden ein schönes Hotel, dass von einem Schweizer geführt wird und am Abend geht es in<br />

eine schöne Bar. Ich nehme einen Pisco Sour und sofort fragt mich der Barmann mit<br />

stechendem Blick: "Du weißt doch, dass der aus Perú kommt?" Eifrig antworte ich ihm mit Ja.<br />

Der Pisco ist zwar für seine Herkunft aus Chile bekannt, allerdings ist das ein heikles Thema bei<br />

- 46 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

den Peruanern. Sie sind nämlich davon überzeugt, dass der Pisco "ihr" Produkt wäre. Von der<br />

peruanischen Stadt namens Pisco sind wir hier übrigens nur noch wenige Kilometer entfernt.<br />

Wie auch immer: So ein Pisco Sour beschwippst ganz schön...<br />

Tag 66:<br />

Tag 67:<br />

Die Oase in der Wüste<br />

Sahara-Feeling in Südamerika<br />

Nachtbus nach Nasca - Palpa<br />

- 47 -<br />

ca. 50 km<br />

-Tacho defekt-<br />

ca. 100 km<br />

Palpa - Ica (Laguna Huacachina)<br />

-Tacho defekt-<br />

Das erste Mal seit Langem habe ich ausgeschlafen! Ich verabschiede mich von Maartje und<br />

Marcel, die heute weiter nach Pisco radeln wollen. Übermorgen um 6 Uhr in der Früh geht mein<br />

Flug von Lima nach Caracas. Bis dahin sind es noch gut 300 Kilometer. Eine Distanz, die ich in<br />

der mir gegebenen Zeit wohl kaum schaffen werde. Da lasse ich es lieber ruhig angehen und<br />

nehme morgen einen Bus nach Lima. Die Lagune und ihre Umgebung sind einfach zu<br />

sehenswert und es bietet sich gerade an, hier noch einen letzten Tag zu entspannen bevor ich<br />

mich wieder neuen Herausforderungen stelle.<br />

Radlerbräune...<br />

Zur Mittagszeit überwinde ich mich, auf eine der Dünen zu steigen. Uff! Das ist deutlich<br />

schwieriger als gedacht! Die Dinger sind verdammt steil, der Sand ist unglaublich weich und<br />

heiß und die Sonne brennt mit unverminderter Kraft vom Himmel. Doch die Aussicht ist<br />

atemberaubend. Die riesigen Sanddünen erstrecken sich im Westen und Süden bis zum<br />

Horizont. Man hat das Gefühl inmitten der Sahara zu stehen.<br />

Auf dem Rückweg sehe ich zufällig zwei dieser riesigen Wüstenfahrzeuge bei mir vorm Hotel<br />

stehen und ich frage nach, wie viel denn so eine Fahrt mit dem Ding kostet. 12 Doláres. Nach<br />

ein wenig Handeln komme ich auf 40 S/., was etwa 10 Doláres entspricht. Erst überlege ich<br />

noch. Soll ich oder soll ich nicht? Ich habe schon so oft motorisierte Hilfsmittel benutzt. Soll ich<br />

das schon wieder tun? Nun ja, mit meinem Fahrrad kann ich anstellen was ich will - durch die<br />

Dünen komme ich damit nicht. Ich entscheide mich für die Fahrt.


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Einmal wird man sich ja schon den Vorteilen der "Spaßgesellschaft" hingeben dürfen - Huiiii!<br />

Und es ist super! Zu mehreren Leuten sitzen wir in dem riesigen Vehikel und genießen die Fahrt<br />

im hohen Tempo. Das ständige Auf und Ab in steilen Winkeln erinnert eher an eine<br />

Achterbahnfahrt als einer gemächlichen Wüstentour. Wir entfernen uns weit von der Lagune<br />

und fahren weit in die Wüste rein, an tollen Aussichtspunkten halten wir.<br />

Auf der Spitze einer steilen Düne werden die Sandboards rausgeholt und jeder, der will, darf<br />

eine Abfahrt machen. Ich will eigentlich nicht, lasse mich aber schnell dazu überreden. Natürlich<br />

lege ich mich schon nach ein paar Metern in den Sand und kullere abwärts. Aber irgendwie<br />

schafft man es ja immer...<br />

Den besten Sturz legt eine der beiden Israelinnen hin. Sie verbringt die halbe Strecke im<br />

kullernden Zustand und ist dabei von einer Wolke aus Sand umgeben. Während wir prusten vor<br />

Lachen, sitzt sie da und prustet erst mal den Sand aus dem Mund und kann sich selbst vor<br />

Lachen kaum halten.<br />

Danach darf ich mit dem Begleitfahrzeug eine Runde drehen. Hmm... "Das wäre das erste mal,<br />

dass ich seit meiner Führerscheinprüfung vor zwei Monaten am Steuer sitze," lasse ich den<br />

Besitzer wissen. "Na und? Hier gibst du Gas, da ist die Bremse. Viel Spaß!" bekomme ich nur<br />

zur Antwort. Nach Wochen zu Fuß und auf dem Rad kann ich mich - zugegebenermaßen - an<br />

diesem Gefährt richtig begeistern. Ich entferne mich weit von der Gruppe und genieße den<br />

Fahrtwind, der mir um die Ohren weht. Super! Während ich zu Fuß in diesem Sand nur schwer<br />

einen Schritt vor den anderen setzen kann, brettere ich hiermit mit gut 50km/h über alle<br />

Unebenheiten im Sand und komme mir schnell wie ein Blitz vor. Wow! Dieses Gerät und diese<br />

Wüste sind etwas, was ich in Deutschland verdammt vermissen werde!<br />

Sonnenuntergang<br />

- 48 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

In der Dämmerung begeben wir uns wieder auf den Rückweg. Wieder geht es wild auf und ab<br />

und nebenbei muss unser Fahrer noch per Handy mit seiner Mama telefonieren...<br />

Ich lasse mich bereits vor Huacachina in den Dünen absetzen und setze den restlichen Weg zu<br />

Fuß zurück. Keuchend steige ich auf eine der höheren Dünen, um noch etwas vom<br />

Sonnenuntergang sehen zu können. Schlichtweg atemberaubend... Ich bleibe noch lange hier<br />

sitzen und betrachte das letzte Mal das Kreuz des Südens welches sich klar über mir am<br />

Sternenhimmel abzeichnet.<br />

Tag 68:<br />

Laguna Huacachina<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Abschied von der Südhalbkugel<br />

ein letzter Tag in Lima<br />

Klostrudelspekulationen<br />

Es waren einmal die Simpsons. Jetzt mag man sich natürlich fragen:<br />

"Was verdammt noch mal haben gelbe Comicfiguren aus Nordamerika<br />

mit diesem Reisebericht gemeinsam?!"<br />

Nun, man mag diese Serie mögen oder nicht. Allerdings hat mich eine<br />

Folge dieser Zeichentrickserie so sehr beeindruckt, dass sie an dieser<br />

Stelle einfach noch einmal Revue passieren lassen möchte. Es ging in<br />

gewisser Weise um die humorvolle Behandlung des Nord-Süd-Konflikts.<br />

Nun gut: Eines Tages streiten sich Bart und seine klügere Schwester<br />

Lisa aufs schärfste darum, in welche Richtung sich der Wasserstrudel bei<br />

der Klospülung dreht. Sie sagt rechts, er sagt links. Alles hilft nichts, Bart<br />

bekommt den Strudel in der Klospülung nicht dazu nach links zu drehen.<br />

Um ihre Theorie zu untermauern sagt Lisa, dass sich auf der<br />

Südhalbkugel der Strudel links herum dreht. Das wurmt Bart so sehr,<br />

dass er auf der Südhalbkugel herumtelefoniert und alle Leute fragt, wie<br />

herum sich der Strudel bei ihnen dreht.<br />

In der Antarktis hat Bart wenig Glück. Der Wissenschaftler an der<br />

Polarstation lässt ihn wissen, dass das Klo eingefroren sei. Allerdings<br />

ließe sich erkennen, dass die Spülung links herum läuft.<br />

In Südamerika gelangt er an das Autotelefon eines schwarzen Mercedes.<br />

Fluchend hebt ein grauhaariger Greis mit schmalem Schnauzer den<br />

Hörer ab. Im Hintergrund kommt gerade ein Radfahrer vorbei, hebt die<br />

rechte Hand und ruft ein kräftiges "Buenos dias, Führer!" zum Gruß aus.<br />

Der Herr Führer will Bart leider nicht sagen, wie herum sich die<br />

Klospülung dreht...<br />

Bart versucht es in Australien. Ein kleiner Farmjunge nimmt das R-<br />

Gespräch aus den USA an und sagt Bart, dass seine Toilette nicht mit<br />

Wasser funktioniert. Allerdings hätte sein Nachbar eine Toilette mit<br />

Wasserspülung. Also legt der Junge den Hörer zur Seite, steigt auf sein<br />

Fahrrad und fährt zum 30 Meilen entfernten Nachbarn. Dort dreht sich<br />

das Wasser auch links herum.<br />

Was folgt, ist eine politische Krise zwischen den USA und Australien<br />

wegen eines nicht bezahlten R-Gesprächs. Doch das ist eine andere<br />

Geschichte...<br />

Ich packe meine Sachen so, dass alle schweren Lebensmittel im Flug nicht dabei sind. Danach<br />

mache ich mich auf den Weg zur Busstation in Ica und erstehe für 10 S/. ein Ticket nach Lima.<br />

Für das Fahrrad will man wieder ein kleines Bestechungsgeld von mir haben und mit 5 S/. gibt<br />

man sich zufrieden. Mir ist jetzt nur noch daran gelegen, dass ich rechtzeitig und problemlos<br />

nach Lima komme. Ich bin mal wieder der einzige "Gringo" im ganzen Bus und werde bei allen<br />

meinen Handgriffen oftmals von aufmerksamen Augenpaaren begafft.<br />

Während der Fahrt sehe ich auf der linken Seite den unruhigen Pazifik im Dunst liegen; Das<br />

erste Mal, seitdem ich Antofagasta zu Beginn meiner Reise verlassen habe. Am rechten<br />

Straßenrand der Panamericana stehen trostlose Hütten, in denen Seeigelfischer leben. Die<br />

haben ein entbehrungsreiches Leben und müssen täglich über die hohen Klippen runter ans<br />

Wasser steigen um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.<br />

Im Busfernsehen läuft eine Kopie des US -Propagandastreifens "Nos fuimos heroes - Wir waren<br />

Helden". Und immer, wenn ein US -Soldat stirbt, oder verletzt wird, spüre ich die Blicke der um<br />

mich Sitzenden auf mir haften. Verdammt! Sehe ich denn so sehr wie ein Nordamerikaner<br />

aus!?!? Es wird Zeit, dass ich aus diesem Land heraus komme und wieder einen<br />

Tapetenwechsel bekomme. Ich bin inzwischen viel zu leicht reizbar.<br />

In Lima darf ich mein Rad im Gepäckdepot der Busstation stehen lassen, was allerdings noch<br />

einmal extra Geld kostet. Danach lasse ich mich im Taxi in den noblen Stadtteil Miraflores<br />

fahren. Ich möchte erst einmal etwas essen und einen Blick auf den Pazifik werfen. Der<br />

Taxifahrer erzählt mir viel über das Bankenviertel San Isidro mit seinen Wolkenkratzern und<br />

darüber wo man in Miraflores am besten essen und das Meer sehen kann.<br />

Dort angekommen sehe ich mich erst einmal ein wenig um. Ganz schön nobel hier. Das erste<br />

Mal seit langer Zeit sehe ich richtige Kaufhäuser und die Restaurants scheinen auch nicht von<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

schlechten Eltern zu sein - zumindest was die Preise betrifft. Da hungere ich lieber und gehe in<br />

Richtung Meer. Irgendwie ist es komisch hier. Überall stehen noble Häuser mit teuren<br />

Karosserien davor und trotzdem sieht man nur wenige Menschen. So überhaupt nicht<br />

südamerikanisch.<br />

Océano Pacifico<br />

Die Stadt endet an einer steilen Klippe an der sich der Parque del Amor befindet. Von hier aus<br />

starten Paraglider zu ihren Flügen. Mit wenig Anlauf hüpfen sie in den Abgrund und werden<br />

sofort von den Aufwinden nach oben getragen. Danach schweben sie in niedriger Höhe über<br />

den Klippenrand und umrunden die Hochhäuser. Oft kommen sie einem dabei so nahe, dass<br />

man den Kopf einziehen muss.<br />

Ich denke darüber nach, dass dies mein letzter Tag auf der Südhalbkugel ist. Was wollte ich<br />

denn noch erledigen? Ach ja! Genau! Ich nehme mein Handy und führe das teuerste<br />

Telefongespräch auf dieser Reise. Im heimischen Hamburg frage ich einen Freund, wie herum<br />

sich bei ihm die Klospülung dreht. Immerhin: Nach einer Weile hat er den Spaß verstanden...<br />

Ich nehme mir wieder ein Taxi um direkt ins Zentrum von Lima zu fahren. Ich unterhalte mich<br />

wieder einmal viel mit dem Taxifahrer und er fragt mich vieles über Deutschland und meinen<br />

Beruf. Als ich ihm sage, dass ich etwas mit Flugsimulation zu tun habe, zeigt er mir stolz seinen<br />

Dienstausweis und sagt mir, dass er als Fluglotse im Tower vom Aeropuerto de Lima arbeitet.<br />

"Und warum fahren Sie dann Taxi?" frage ich in verwirrt?<br />

"Och, einfach nur zum Spaß. Um von den nervigen 4-Stunden-Schichten am Bildschirm<br />

wegzukommen."<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

4 Stunden?! In Deutschland haben Fluglotsen Schichten von einer Stunde! Das beruhigt mich<br />

nicht besonders, da mein Leben morgen in der Hand von einem seiner Kollegen liegen wird.<br />

Und dann fragt er mich noch, was ich von Beziehungen zwischen Homosexuellen halte. Das<br />

scheint momentan ein ganz großes Thema in Perú zu sein, welches die Peruaner unheimlich<br />

wurmt. "Da gibt es tatsächlich Schwule, die heiraten und ein Kind adoptieren dürfen!" sagt er<br />

mir mit Abscheu. Und wieder werde ich gefragt, wie das in Deutschland denn so ist. Und wieder<br />

antworte ich, dass es mir eigentlich ziemlich wurscht ist wenn die heiraten, das aber auf der<br />

anderen Seite recht abstoßend finde. Ich hoffe mal nicht, dass es an meiner Person liegt, dass<br />

ich das immer wieder gefragt werde. Oder sehe ich für die Peruaner so aus?! Hmpf...<br />

In der Innenstadt gehe ich noch etwas essen bevor ich mich zu Fuß auf den Rückweg zur<br />

Busstation mache. Zwischendurch gehe ich noch in ein Internet-Café, das sich direkt über<br />

einem Laden befindet, der "katholische Güter", also Krutzifixe, Maria-Statuen und ähnliches<br />

verkauft. Man geht eben mit der Zeit...<br />

Mir steht eine Übernachtung am Flughafen bevor und ich decke mich noch mit Lebensmitteln<br />

ein. Für nicht einmal 5 Euro kaufe ich mir auf dem Markt zwei Stücke Schokoladenkuchen, ein<br />

Stück Kirschtorte, 2 Empanadas mit Käse, einen halben Liter Joghurt, 3 Brötchen mit<br />

Reibeplätzchen und 2 Liter Wasser. Das sollte fürs Erste reichen.<br />

Ich packe meine Taschen und meinen Drahtesel in einen Toyota Combi und lasse mich für 15<br />

S/. vom Taxifahrer zum Flughafen bringen. Bei einem kurzen Stopp an einer Tankstelle fällt mir<br />

beim Anblick der Preistafel die Kinnlade runter. 10 S/. für einen Liter Benzin?! Das wäre ja das<br />

Doppelte von dem Preis in Deutschland! Der Fahrer bestätigt meine Vermutung und schiebt<br />

gleich ein paar schmollende Worte darüber hinterher, dass Perú dass teuerste Benzin auf der<br />

Welt habe. Bei diesen Preisen kann ich mich nur wundern, dass er mich für 15 S/. zum<br />

Flughafen bringen kann. Bei dieser Rechnung bleibt ja kaum noch etwas für den armen<br />

Menschen übrig!<br />

Am Flughafen hilft er mir noch beim Packen des Fahrrades und wir verabschieden uns<br />

voneinander.<br />

Ich schiebe mein Rad durch die dichten Menschenmassen im Terminal, wechsle meine Sóles in<br />

Doláres und suche mir ein ruhiges Plätzchen. Es gibt keine Aufzüge und ich muss mein<br />

schweres Rad über die Treppen schleppen. Den Rest des Abends hole ich Tagebucheinträge<br />

nach und höre Musik. Viele Südamerikaner interessieren sich für mein bepacktes Rad und<br />

fragen nach meinem Woher und Wohin. So langsam gehen mir diese ständig gleichen Fragen<br />

auf die Nerven, andererseits sind diese Leute alle sehr nett und aufgeschlossen.<br />

Gegen 12 Uhr kuschle mich in meinen Poncho und lege mich auf die Isomatte. Gute Nacht<br />

Perú...<br />

Tag 69:<br />

Laguna Huacachina - Lima (Aeropuerto)<br />

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Feel Caribbean Man!<br />

Kulturschock<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Venezuela - Warum nur?<br />

Was treibt mich eigentlich nach Venezuela? Nun, zugegebenermaßen:<br />

Nicht viel...<br />

Als ich im März den Flug gebucht hatte, wunderte ich mich darüber, dass<br />

ich auf dem Rückflug von Lima in Caracas umsteigen musste. Meine<br />

erste Reaktion darauf war: "Wo ist das überhaupt?!" Also schnell in den<br />

Atlas geschaut, im Index nachgesehen, die entsprechende Seite<br />

aufgeschlagen und siehe da: Caracas liegt in Venezuela direkt am<br />

karibischen Meer. Warum also nicht zwei weitere Wochen<br />

Zwischenstopp in Venezuela machen?<br />

Gesagt, getan. Nach meiner Ankunft in Caracas soll mein Rückflug erst<br />

zwei Wochen später gehen. Genug Zeit, um wenigstens einen kurzen<br />

Eindruck von diesem Land zu gewinnen. Nun, ich schlage hier ziemlich<br />

hart auf... ich habe mich viel mehr mit der Lage von Bolivien und Perú<br />

auseinandergesetzt als mit Venezuela. Nach ein paar Recherchen habe<br />

ich viel über die beeindruckende Natur Venezuelas herausbekommen:<br />

Der höchste Wasserfall Salto Angel in den Tafelbergen im Südosten<br />

Venezuelas, unendliche Regenwälder, eine lange Karibikküste, ein paar<br />

Karibik-Inseln, tolle Berge und so weiter.<br />

Aber war da nicht noch etwas? Mir geistern Namen und Begriffe,<br />

"Chávez" und "Putsch", durch den Kopf. Genau! Venezuela stand gerade<br />

im letzten Winter erst in einer großen Krise. Die Ölhäfen wurden von den<br />

Arbeitern besetzt, der Präsident wurde bei blutigen Unruhen gestürzt und<br />

putschte sich daraufhin abermals blutig zurück an die Macht. Alle<br />

Zeichen standen auf Bürgerkrieg. Das Auswärtige Amt spricht<br />

Reisewarnungen aus, die später ins politisch besser vertretbare<br />

"Sicherheitshinweise" umgewandelt werden.<br />

Zugegeben: Wer will hier Urlaub machen?...<br />

Ich döse vor mich hin. Um 3 Uhr in der Nacht klingelt der Wecker des Handys und ich finde<br />

mich inmitten der quirligen Welt des Flughafens wieder. Überall um mich herum laufen Leute.<br />

Aus der Decke kommen die üblichen Lautsprecherdurchsagen. "Los pasajeros del vuelo<br />

número Aeropostal trescientosquarenta y cinco los damos blablabla..."<br />

Ich packe meine Sachen so zusammen, dass alle schweren Dinge im Handgepäck<br />

untergebracht sind, was mit der Zeit ganz schön auf die Schultern drückt. Ich darf ohne das Rad<br />

20kg nicht überschreiten und im Endeffekt sind es tatsächlich nur 20,5 kg + 20 kg Fahrrad.<br />

Doch halt! So schnell geht das hier alles nicht! Obwohl ich 3 Stunden vor dem Abflug<br />

aufgestanden bin, schafft man es doch noch, mich in Zeitnot zu bringen und mir innerhalb<br />

dieser kurzen Zeit 80 Dollar extra abzuknöpfen. Am Ende erreiche ich gerade noch den Check-<br />

In und bin stinksauer.<br />

- 53 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Verpackt wie ein Schmuckstück<br />

Erst fing alles damit an, dass man mein Rad verpackt haben wollte. Kein Problem. Immerhin<br />

waren da zwei nette Herren, die mein Rad - schön wie nie! - in Laminierfolie eingepackt haben.<br />

Das kostete schon einmal 6 Doláres und den Lenker durfte ich entgegen der<br />

Flugbestimmungen nicht quer stellen. Dann kam das ewige Anstehen zum Check-In. Mit den<br />

vorher genannten 40 Doláres für das Fahrrad stimmte ebenfalls etwas nicht. Man hatte mir in<br />

der Bestätigungs-Email vergessen mitzuteilen, dass da noch fast 10 Doláres Steuern drauf<br />

kommen. Und dann bekomme ich nicht mal mehr einen Fensterplatz. Arrrg! Doch damit nicht<br />

genug, ich musste ja noch die Airport-Tax bezahlen. Also reihe ich mich brav in der Schlange<br />

ein, nur um mir dann sagen zu lassen, dass ich die 28,05 Doláres cash vorlegen muss. Also<br />

hieß es noch einmal einen Automaten zu finden, der meine Visa oder EC-Karte akzeptierte und<br />

dann auch Dollars ausspuckte. Mit großem Stolz konnte ich sogar passend mit 28,05 Doláres<br />

bezahlen. Aber nein, nein, nein... so geht das doch nicht! Schließlich nimmt man hier kein<br />

Kleingeld an und der Verkäufer rundet freudig auf 29 Dolares auf. Wenigstens der Zoll hat<br />

seinen Stempel schnell in meinen Reisepass gesetzt, allerdings musste ich alle meine Fotofilme<br />

durch das angeblich sichere X-Ray schicken. Auf dem Flugfeld hält mir eine Stewardess die<br />

Hand vor die Linse, als ich versuche ein Foto vom Flugzeug zu machen. Gründe will sie mir<br />

nicht nennen.<br />

Im Flugzeug schmolle ich weiterhin vor mir hin. Niemand will mit mir seinen Fensterplatz<br />

tauschen. Trotzdem versuche ich mich während des Fluges ein wenig abzuregen. Ich bin von<br />

dem ganzen Hin und Her beim Check-In innerlich ziemlich aufgekratzt und entnervt.<br />

Wenigstens tröstet es mich ein bisschen, dass die Landschaft die meiste Zeit von Wolken<br />

bedeckt ist. Es tun sich nur selten Lücken auf, die einem den Blick auf den faszinierenden<br />

Amazonas-Regenwald freigeben.<br />

- 54 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Die Anden und das Amazonasbecken<br />

Erst im Anflug bietet sich mir ein toller Ausblick auf die wolkenverhangene Küste, an der wir<br />

lange Zeit entlang fliegen. Beim Aussteigen aus dem Flugzeug prallt mir eine unglaublich<br />

feucht-tropische Hitze entgegen. Alles ist anders.<br />

Das ganze Gefühl.<br />

Die Gerüche.<br />

Ich komme mir viel weiter von Perú entfernt vor, als es Realität ist.<br />

Es wundert mich, dass nur die wenigsten Passagiere durch den Zoll gehen, sondern sich gleich<br />

auf den Weg zu ihren Anschlussflügen machen. Es ist, als wenn kaum jemand lange in<br />

Venezuela bleiben möchte und man diesen Zwischenstopp nur als nötiges Übel ansieht.<br />

Wenigstens kommt mein Gepäck zuverlässig an, doch das Fahrrad lässt auf sich warten. Ich<br />

lasse einen Flughafenmitarbeiter über Funk danach fragen. Pissig bekommt er zur Antwort,<br />

dass man das Rad gleich in den Aufzug schmeißen werde. Mein Zusammenbau und<br />

Aufpumpen der Reifen komme ich ganz schön ins Schwitzen. Puh! Was für eine Hitze! Und<br />

dabei ist es hier drinnen noch klimatisiert!<br />

Oder strömt da auch Angstschweiß aus meinen Poren? Überall stehen Schilder, wie dieses:<br />

"Die Einfuhr von Drogen wird in Venezuela mit LEBENSLÄNGLICH bestraft" und: "Unsere<br />

Spürhunde LIEBEN Drogen". Ich muss große Ängste ausstehen. Was war in Bolivien und Perú<br />

alles legal, wofür ich hier ins Gefängnis kommen würde? Habe ich auch alle Tütchen mit Coca-<br />

Tee aus meinen Taschen geholt? Sind vielleicht sogar irgendwo noch Kokablätter in meinem<br />

Gepäck? Ogottogottogott... Mit feuchten Händen drücke ich auf den "Glücksknopf" beim Zoll.<br />

Leuchtet die Ampel rot, werde ich durchsucht. Leuchtet sie grün, dann nicht. Grün! Den Blicken<br />

der Zöllner ist anzumerken, dass die meine Erleichterung spüren können. Niemand hält mich<br />

auf.<br />

Nun ja... Niemand? Kaum, dass ich diese Schwelle überschritten habe, fragt mich ein gut<br />

gekleideter Mann interessiert nach meinem Woher und Wohin. Das ist an sich nichts<br />

Ungewöhnliches, schließlich haben mich das schon viele Leute gefragt, wie sie mein Fahrrad<br />

gesehen haben. In der lockeren Gesprächsatmosphäre fragt er scheinbar ganz nebensächlich:<br />

"Willst Du Doláres tauschen?"<br />

"Klar" antworte ich ihm und mache mich schnurstracks auf den Weg zum Wechselschalter.<br />

Schon lässt er nicht mehr von mir ab.<br />

"Bei mir bekommst Du 2200 Bolivares für den Dollar, da vorne bei der Alten am<br />

Wechselschalter aber nur 1600 Bolivares!"<br />

"Na und? Sind 1600 nicht der offizielle Wechselkurs?" frage ich ihn.<br />

Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei und schlage sein Angebot aus. Wie kann er mir 2200<br />

bieten, wenn der offizielle Kurs bei 1600 Bolivares liegt? Ein Flughafenmitarbeiter kommt hinzu,<br />

zeigt mir seinen Ausweis und sagt, dass der Señor mir einen echt guten Kurs bieten würde. Die<br />

Dame am nur 4 Meter entfernten Wechselschalter scheint das überhaupt nicht zu stören, sie ist<br />

mit ihren Fingernägeln viel beschäftigter.<br />

"Ist ja schön, aber wo hat dann dieser gute Mann seinen Wechselausweis?" frage ich den<br />

Flughafenmitarbeiter. Eine Frau kommt hinzu und sagt mir, dass er gut ist - er ist übrigens auch<br />

gut im Bett. Was?! Was interessiert mich das denn!? Die suspekten Gestalten um mich herum<br />

mehren sich. "Nach Barcelona will er" höre ich sie zueinander sagen. Verdammt! Warum war<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

ich nur dumm genug meine Route zu verraten? Ich fühle mich überrumpelt und sorge<br />

schnellstmöglich dafür, dass ich mein Fahrrad fahrbereit bekomme und mich aus dem Staub.<br />

Erster Eindruck von Venezuela...<br />

Ich verlasse den Flughafen auf der Stark befahren Autopista. Es herrscht eine Affenhitze und<br />

das Fahren auf der sechsspurigen Straße hebt den Fahrspaß auch nicht gerade. Auf der Suche<br />

nach der richtigen Küstenstraße komme ich an einer Kaserne vorbei. Ein paar Offiziere winken<br />

mich selbstgefällig zu sich heran. Oh nein, auf solche Spielereien will ich mich jetzt gar nicht<br />

einlassen. "Der Putsch ist gerade einmal ein halbes Jahr her", geht mir durch den Kopf. Wer<br />

weiß, was die im Sinn haben. Mit gebieterischer Stimme fragen sie mich nach meinem Woher<br />

und Wohin. Ich bin schon versucht zu antworten:<br />

"Aus Alemania, Sir!"<br />

"Sir, nach Barcelona, Sir!"<br />

Nach dieser kurzen Befragung "entlassen" sie mich zum Glück wieder und ich muss einen<br />

stämmigen Schwarzen in Zivil folgen. Er soll mir den Weg zeigen. Er sieht mich ganz schön<br />

pikiert an, als ich den vorher von den Offizieren beschriebenen Weg fahre, anstatt ihm zu<br />

folgen. Ich will keine Risiken mehr eingehen. Ich will nur noch raus aus Maiquetía und La<br />

Guaira.<br />

Nein, man könnte absolut nicht behaupten, dass ich mich auf Anhieb in Venezuela wohl fühle.<br />

Alles, einfach alles ist hier so total anders und irgendwie fühle ich mich nicht ganz wohl in<br />

meiner Haut. Oder ist es einfach nur die Überforderung durch die vielen neuen Eindrücke und<br />

die ungewohnte Hitze? Die Menschen laufen allesamt leicht bekleidet durch die Straßen, viele<br />

Männer mit nacktem muskulösem Oberkörper und die Frauen in aufreizend kurz geschnittenen<br />

- 56 -


Tag 70:<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Tops. Das Bild der Bevölkerung lässt sich nirgends mit dem von Bolivien oder Perú vergleichen.<br />

Indígenas sieht man keine. Die meisten Leute sind Mestizen und Schwarze. Viele haben sogar<br />

helle Hautfarbe wie ich. Das tröstet mich schon mal ein wenig. Man wird mich nicht mehr ganz<br />

so leicht als "Gringo" erkennen können bzw. als "Yankee", wie es hier in Venezuela heißt. Mal<br />

abgesehen von meinem doch recht auffälligen fahrbaren Untersatz...<br />

In Naiguatá finde ich endlich ein kleines so genanntes Hotel. Man ist ziemlich reserviert und<br />

spricht kaum ein Wort mit mir. Selbst, wenn ich versuche ein Gespräch zu beginnen, erhalte ich<br />

nur kurze Antworten von den Menschen. Hinzu kommt, dass der Dialekt wirklich schlimm ist und<br />

ich oftmals nicht mal die Hälfte verstehe. Grauenvoll!<br />

Das Einkaufen von Lebensmitteln verläuft hier wie in den großen Apotheken. Man muss ewig in<br />

stickiger Hitze am Verkaufsthresen stehen, bis man dem Verkäufer die gewünschten Waren<br />

nennen darf. Und dann muss man noch darauf achten, dass Käse, Butter und Schokolade zwar<br />

vorhanden sind, aber in dieser Hitze ziemlich Tabu sind - sie würden innerhalb kürzester Zeit<br />

zerfließen. Dafür gibt es endlich wieder Bäckereien, die viele Sorten Brot und sogar<br />

Käsebaguettes anbieten!!!<br />

Mein Zimmer hat keine Scheiben in den Fenstern und ich bin froh darüber. Anstatt dessen sind<br />

sie mit Moskitonetzen und Holzlatten ausgerüstet. Es beginnt zu regnen und zu donnern. Das<br />

erste Mal für mich seit 9 Wochen. Ich liege unter dem Ventilator, höre Musik und denke darüber<br />

nach, um wie viel besser doch alles in Perú und Bolivien war...<br />

Lima (Aeropuerto)<br />

Caracas (Aeropuerto Maiquetía)<br />

Naiguatá<br />

- 57 -<br />

ca. 38 km<br />

- Tacho defekt -


Caracas 1<br />

Geschichten aus dem Moloch<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Nach 7 Uhr stehe ich auf und frühstücke ein paar Cornflakes mit schlechter Instant-Milch. Das<br />

Milchpulver hier ist nicht das Beste - ich sollte wieder auf echte Milch umsteigen. Immerhin gibt<br />

es die hier wieder zu kaufen.<br />

Heute soll es weiter nach Osten gehen, immer die karibische Küste entlang. Nach 20<br />

Kilometern soll die Asphaltstraße enden und eine schlechte Piste wird mich an unberührt<br />

wirkenden Stränden entlangführen. Ich bin gespannt und freue mich auf diesen Abschnitt.<br />

Es ist etwas seltsam, dass mein Fahrrad plötzlich im Haus steht und mein Rucksack mit der<br />

Campingausrüstung nicht dabei ist. Wer weiß, wo diese pummelige schwarze Herbergsmutter<br />

den wieder versteckt hat. Schlaftrunken kommt sie in die aus ihrer Wohnung - als wenn ich die<br />

mitten in der Nacht geweckt hätte. Wir haben übrigens 8 Uhr, doch karibische Uhren laufen<br />

scheinbar anders. Erst nach mehrmaligem Nachfragen kann ich ihrem Dialekt entnehmen, was<br />

sie mir sagen will. In vorwurfsvollem Ton sagt sie mir, dass sie die Sachen wegen der Sicherheit<br />

in das Haus geholt hat. Zu diesem Zeitpunkt wäre der blaue Rucksack schon längst weg<br />

gewesen. Wie bitte!?!?! Habe ich das jetzt wirklich gehört?<br />

Mit unbeteiligter Mine zeigt sie mir den 2 Meter hohen mit Glasscherben bestückten Zaun vor<br />

dem Hotel. "Hops, und rüber sind sie", deutet sie mit einer laschen Handbewegung an. Ich<br />

glaube es nicht! Man kann den Innenhof doch gar nicht von der Straße aus sehen! Ein<br />

schrecklicher Verdacht kommt in mir auf. Wurde ich gestern vielleicht verfolgt? Hatte ich<br />

deswegen gleich nach meiner Ankunft am Flughafen ein so misstrauisches Gefühl?<br />

Ich bin fassungslos und muss mich erst einmal hinsetzen. Ich weiß nicht, was ich davon halten<br />

soll. Ständig haben mich die Leute vor Langfingern in Bolivien und Perú gewarnt. Und hier<br />

passiert mir so was in der ersten Nacht!? Toll! Ich habe Mühe meine Gedanken zu ordnen,<br />

packe das vom Gepäck, was noch übrig ist und blättere wahllos durch meinen Reiseführer.<br />

Meine Motivation, durch Venezuela zu reisen, ist jetzt gänzlich verschwunden. Am liebsten<br />

würde ich gleich im nächsten Flieger zurück nach Bolivien oder reisen, oder vielleicht sogar<br />

nach Hause.<br />

Ein Gutes hat das Ganze: Immerhin tauscht das Herbergs-Ehepaar jetzt endlich ein paar Worte<br />

mit mir. Und ich dachte mir schon, dass die Venezuelaner kein Wort mit mir reden wollen. Ein<br />

Freund des Besitzers kommt zufällig mit seinem Pick-Up vorbei. Ich verstehe nur, dass sich die<br />

beiden freundlicherweise in der Umgebung nach meinen Sachen umsehen wollen. Was wollen<br />

sie da schon finden? Das Zelt, die Isomatte, der Schlafsack, die Regejacke und mein heiß<br />

geliebter Poncho - alles weg! Ausrüstung im Wert von gut 400 Euro.<br />

Ich überdenke meine Pläne: Ich werde wohl nach Caracas fahren, dort mein Rad und die<br />

übrigen Taschen in einem Gepäckdepot abstellen, und meine Reise durch Venezuela<br />

motorisiert fortsetzen. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, mich in einer verschanzten<br />

Touristenhochburg einzunisten.<br />

Zu meiner Verwunderung kommt der Pick-Up nach einer Weile zurück und beim Öffnen der<br />

Ladeklappe kommt unglaubliches zum Vorschein: Mein Rucksack und der Schlafsack! Ich<br />

glaube es nicht!!!<br />

Die Ausrüstung ist zwar auseinandergepackt, doch offensichtlich ist noch alles in gutem<br />

Zustand. Die Beiden kennen offensichtlich ihren speziellen Papenheimer im Dorf und haben ihm<br />

die Sachen "ohne Hilfe der Polizei" - wie sie es ausdrücken - abgenommen... Sie fragen mich,<br />

ob alles da ist. Leider kann ich das nicht bestätigen. Die Regenjacke fehlt. Also fahren sie noch<br />

einmal los und kommen kurze Zeit später mit meinem Poncho wieder. Nun, das ist zwar keine<br />

Regenjacke, aber immerhin etwas...<br />

- 58 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

José-Tours...<br />

Ich bin den beiden unglaublich dankbar und möchte mich gleich auf den Weg nach Caracas<br />

machen. "Das geht nicht!" bekomme ich sofort zur Antwort. "Viel zu gefährlich und außerdem ist<br />

die Autopista für Radfahrer verboten!" Sie versuchen mich allen Kräften von meinem Vorhaben<br />

abzuhalten. Ich glaube ihnen nicht so ganz und schlage in meinem Radreiseführer nach.<br />

"Da gibt es aber noch eine alte, für Radfahrer erlaubte, Autopista nach Caracas" entgegne ich<br />

ihnen.<br />

"Da sind die Slums! Die werden dich abmurksen!" Mit eindeutiger Geste zeigt man die Haltung<br />

eines Maschinengewehrs: "Klack! Klack! Klack! Klack!" - und einen daraufhin sterbenden<br />

Menschen. Sie haben bereits einen "amigo muy bueno" (einen sehr guten Freund) gerufen, der<br />

mich nach Caracas bringen will. Kaum ist dieser angekommen, will er mich auch davon<br />

überzeugen, dass ich mit ihm fahren soll. Allerdings nicht ganz umsonst. Er will immerhin<br />

45.000 Bolivianos dafür haben. Ganz schön gerissen...<br />

Doch die Warnungen haben gewirkt. Sie haben mich überzeugt.<br />

Wohnviertel und der Flughafen von Maiquetía<br />

Immerhin bekomme ich für den Preis auch etwas geboten. Der "amigo muy bueno" ist José und<br />

angeblich soll er bereits das ganze schöne Venezuela gesehen haben - ein perfekter<br />

Reiseführer also. Um das zu untermalen, hat er sich die Venezuelanische Nationalflagge auf<br />

sein Shirt gestickt. Er ist ein lustiger Mensch und die ganze Fahrt über versucht er meine<br />

getrübte Laune mit andauerndem Plappern aufrecht zu erhalten. Kaum wende ich meinen Blick<br />

von ihm ab, tippt er mir schon wieder auf die Schulter und plappert fröhlich weiter. Mit dem<br />

Fahrrad auf der Ladefläche holpern wir die Autopiste aufwärts nach Caracas. Am Flughafen hält<br />

er extra für mich zu einem kurzen Fotostopp mitten auf der Autobahn. Weiter geht es durch<br />

dicht bewaldete Berge und auf die grüne Hölle folgt die urbane Hölle. Was ich hier alles sehe,<br />

- 59 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

kommt einem zweiten Kulturschock gleich. Ich bin zwar schon so einiges von Perú und Bolivien<br />

gewohnt - aber das hier übersteigt alles.<br />

Viele Menschen, egal ob schwarz, braun oder weiß, laufen in verwahrloster Kleidung und mit<br />

grimmigem Gesichtsausdruck durch die Straßen. Ganz egal, in welchem Stadtteil, überall sind<br />

Müllsucher unterwegs. Ich ertappe mich dabei, dass mich der Anblick von hellhäutigen<br />

europäisch aussehenden Müllsuchern mehr schockiert, als der von Anderen. Man ist es in<br />

fernen Ländern einfach nicht gewohnt, dass solche Menschen ebenfalls in den unteren<br />

Schichten leben. In Bolivien und Perú bestand bis jetzt immer eine klare Grenze zwischen Arm<br />

und Reich. Die Armen waren die dunkelhäutigen Nachfahren der Indianer und die Reichen<br />

waren in der Regel hellhäutig wie ich. Dadurch konnte ich mir in meinem Inneren eine klare<br />

Grenze zwischen diesen "Untermenschen" und mir bilden, was mir erst jetzt schrecklich<br />

bewusst wird. Warum denkt man so? Warum berührt uns der Tod von 3.000 US-Amerikanern<br />

mehr, als der von 2.000.000 Afrikanern?<br />

Einfahrt nach Caracas - Tor in die Hölle?<br />

Ich lasse mich von José vor zwei Wolkenkratzern im Parque Central absetzen. Dass er mir<br />

1.000 Bolivares Wechselgeld zuviel zurückgibt, zeigt mir eindeutig, dass ich zuviel bezahlt<br />

habe. Von alleine würde das kein Südamerikaner machen! So etwas habe ich zumindest noch<br />

nie erlebt...<br />

In einem der beiden Wolkenkratzer soll es laut meinem kleinen Reiseführer eine<br />

Touristeninformation geben - diese allerdings im 37. Stock. Ich schiebe mein Rad in das<br />

darunter gelegene Einkaufzentrum und will es gerade abschließen, als mich eine Passantin auf<br />

Englisch anspricht: "Do you think it is a good idea to put the bike here? I can asure you, it will<br />

not be here anymore when you come back. People here can steal your socks without touching<br />

your shoes!"<br />

Sie macht sich wirklich Sorgen um mich und versucht mir zu helfen. Hier stehen lassen kann ich<br />

das Fahrrad auf keinen Fall. Über mein Handy ruft sie eine Freundin an und fragt sie nach<br />

einem guten Hostal. Leider ohne Ergebnis, da diese sich gerade in einem Meeting befindet.<br />

Dann fragt sie mich, ob ich vielleicht Deutsch spreche. In diesem Fall könne ich ja zur<br />

Asociación de Humboldt gehen, einer Deutschen Schule, wo man mir sicher gerne weiterhilft.<br />

Sie begleitet mich noch ein Stückchen und zeigt mir den Weg auf der Stadtkarte. Nach einem<br />

langen Anstieg durch das städtische Chaos habe ich die Schule endlich gefunden.<br />

Dummerweise ist gerade Mittagspause und außer einem Venezuelaner in der Rezeption ist<br />

niemand vor Ort. Allerdings kann er mir ein wenige hundert Meter entferntes Hotel empfehlen,<br />

welches auch nicht allzu teuer sei.<br />

Ich wundere mich dann doch etwas, dass das Hotel wie ein Hochsicherheitstrakt ausgebaut ist.<br />

Echt seltsam. Ich stehe vor einer abweisenden Stahltür und drücke auf die Klingel. Und erst,<br />

nachdem eine Frau durch ein vergittertes Fenster einen prüfenden Blick auf mich geworfen hat,<br />

werde ich hereingelassen. Ich darf für 20.000 Bolivares pro Nacht hier übernachten. Das<br />

Zimmer ist extrem sauber und hat ein vernünftiges Bad. Sofort nehme eine kühle Dusche und<br />

wasche mir den klebenden Schweiß von der Haut. Danach rufe ich über Handy den<br />

Deutschlehrer an, von dem mir die nette Señora im Einkaufszentrum die Telefonnummer<br />

gegeben hat. Ich würde gerne mehr über diese Humboldt-Schule und ihre Arbeit wissen.<br />

Außerdem brauche ich einfach mal wieder einen guten Kontakt zu anderen Menschen und<br />

- 60 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

möchte mich davon überzeugen, dass nicht alle Venezuelaner stur sind. Vielleicht kann mir ja<br />

sogar ein Schüler die Stadt zeigen und ich bringe ihm im Gegenzug etwas Deutsch bei?<br />

Der Lehrer ist über meinen Anruf ziemlich verdutzt, trotzdem ist das Gespräch sehr interessant<br />

und wir verabreden uns für morgen zu einem Treffen.<br />

Blick vom Wolkenkratzer im Parque Central<br />

Ich bin fest davon überzeugt die Touristeninformation doch noch zu finden und gehe zurück<br />

zum Parque Central. Der gesamte Wolkenkratzer hat schon mal bessere Tage gesehen. Über<br />

ein abenteuerliches Aufzugsystem lasse ich mich nach oben befördern. Im Aufzug sitzt ein<br />

Angestellter auf seinem kleinen Hocker, der alles von Hand bedient und oftmals kommt der<br />

Aufzug ziemlich versetzt in den einzelnen Stockwerken an. Wenn ich hier mal wieder lebend<br />

herauskomme...<br />

Doch dort oben befindet sich gar kein Touristenbüro. Und das wird nicht der einzige Fehler<br />

meines Reiseführers bleiben. Hier ist das komplette Tourismusamt von Venezuela! Ein wenig<br />

schüchtern gehe ich zur Empfangsdame und frage nach der Touristeninformation. Eine<br />

Touristeninformation gibt es hier nicht, allerdings ist das auch ganz egal. Ein gut gekleideter<br />

Herr nimmt mich sofort zur Seite und führt mich durch alle Büros, wobei er mir davon erzählt,<br />

wie toll Venezuela doch ist. "Ein Käffchen, der Herr? Vielleicht ein Stückchen Kuchen?" Ich<br />

komme mir total deplatziert vor. Was mache ich hier eigentlich? Unterliege ich einer<br />

Verwechslung? Hat man für heute vielleicht schon einen anderen "Yankee" in Sandalen, kurzer<br />

Hose und T-Shirt erwartet? Man behandelt mich wie hohen Staatsbesuch - als wäre ich der<br />

erste Tourist seit Jahren!<br />

Man erzählt mir viel Schönes über Venezuela. Während alle anderen Leute nur über den<br />

wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abstieg Venezuelas klagen, sieht man hier alles viel<br />

Positiver. Während wir auf Caracas herabblicken, erläutert er mir seine Sicht der Dinge:<br />

"Venezuela unterliegt einem ständigen Wandel. Das sehen Sie schon am Beispiel der<br />

Busstation, die inzwischen an einer anderen Stelle liegt, als in Ihrem Reiseführer beschrieben.<br />

Wir sind ein großes, wachsendes Land das sich ständig wandelt."<br />

"Ja, aber was ist mit der wirtschaftlichen Krise und dem Putsch?" gebe ich zu bedenken.<br />

Das hätte ich besser nicht gesagt. Man versucht hier loyal hinter dem Präsidenten zu stehen.<br />

Der Herr beißt sich auf die Lippe: "Nun ja, es gibt im Moment ein paar Probleme in Venezuela,<br />

aber das ist nur die Talfahrt vor einem weiteren gigantischen Aufstieg!"<br />

In diesem katastrophalen Zustand noch so positiv denken zu können - davon sollte sich<br />

Deutschland mal eine Scheibe abschneiden...<br />

Und das mal ganz abgesehen davon, dass sich Venezuela seit nunmehr 20 Jahren auf dem<br />

Abstieg befindet. Von den Ölscheichs Südamerikas zum Venezuela von heute ist es schon ein<br />

sehr weiter Abstieg. Die Slums wuchern in ungeahnte Ausmaße und längst kann sich die Stadt<br />

selbst nicht mehr ernähren. Wasser gibt es nur zu bestimmten Tageszeiten. Selbst die Politiker<br />

geben inzwischen zu, dass man - egal mit wie vielen finanziellen Mitteln - eine so große Stadt<br />

wie Caracas niemals komplett mit Wasser versorgen könne.<br />

- 61 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Ehemals reiche Leute leben nun dort unten in den Slums und können sich mit ihrer Lage nicht<br />

abfinden. Was sie früher auch hatten, holen sie sich heute eben über den Weg der<br />

Kriminalität...<br />

Die Polizei sieht die Lage schon viel realistischer als das Tourismusamt. Auf der Straße werde<br />

ich von zwei schwer bewaffneten Polizisten angehalten. "¿Tu conoces Caracas?" fragt mich der<br />

stämmige Schwarze mit einem Fingerzeig auf meine Fototasche. "Pues, es mi primer día acá -<br />

Nun ja, es ist mein erster Tag hier" gebe ich ehrlich zu - ziehe aber im gleichen Moment<br />

vorsichtig mein Pfefferspray aus der Hosentasche. "Ok." Er nickt mir kurz mit einem<br />

verschwörerischen Blick zu und lässt mich weitergehen.<br />

Die (politisch) heiße Ecke von Caracas Sonnenuntergang am Parque Central<br />

Mein spärlicher Polyglott-Reiseführer spiegelt nur noch an den wenigsten Stellen die Realität<br />

wieder. Auf Seite 36 heißt es zum Beispiel:<br />

"An der verkehrsreichen Plaza Venezuela kann auch der Springbrunnen die Luft nicht mehr<br />

verbessern. Ruhiger ist die Atmosphäre in der Fußgängerzone des Boulevard de Sabana<br />

Grande zwischen den Metrostationen Sabana Grande und Chacaito. Hier lässt es sich<br />

zwischen zahlreichen Geschäften und Lokalen an Bücherständen ein wenig stöbern, hier<br />

vertiefen sich die Einheimischen ins Schachspiel unter freiem Himmel [...]"<br />

Bücherstände? Ruhe? Stöbern?<br />

Pustekuchen! Die Fußgängerzone ist, wie andere schöne Stadtteile, innerhalb des letzten<br />

halben Jahres zu einem Dreckloch verkommen. Überall liegt Müll und zum gemütlichen<br />

Schlendern lässt man sich nur ungern verlocken. Anstatt der Bücher werden nur noch<br />

Raubkopien von Filmen, DVDs und Software verkauft. Überall wird man von überdrehten<br />

Lautsprechern beschallt und jeder will etwas verkaufen. Selbst viele Venezuelaner lockt es hier<br />

nicht mehr hin. Die Stadt zerstört sich selbst.<br />

Da waren einmal die schönen Zeiten - vor dem Putsch...<br />

Nur in der Metro ist es gelungen die "guten alten Zeiten" zu konservieren (Wenn man einmal<br />

davon absieht, dass die Fahrpreise auf den Automaten seit der letzten großen Inflation<br />

provisorisch um eine Nullstelle erweitert wurden). Die Metro ist schnell sauber und pünktlich.<br />

Dieses Verkehrsmittel ist sogar so beliebt, dass ich mich erst im dritten Zug zu der großen<br />

Menschenmenge hinzuquetschen kann, bevor die Türen wieder schließen.<br />

Ich suche immer noch verzweifelt nach einem guten Reiseführer à la Lonely Planet. In einem<br />

kleinen Buchladen erfahre ich, dass sich im Hilton Hotel ein guter Shop mit Reiseführern<br />

befinden soll. Nun, eigentlich habe ich in so einem Hotel ziemlich wenig verloren. Aber ich<br />

mache mir einfach mal den Spaß und tue so als ob. Es wird ja kaum jemand wissen, dass ich<br />

dort keines der Zimmer (die "schon" ab 250 US$ pro Nacht zu bekommen sind) gemietet habe.<br />

Allerdings finde ich auch dort im Buchladen keinen guten Reiseführer über Venezuela. Der<br />

nette Señor verweist mich auf die Rezeption, die hätten angeblich einen dort liegen. Ok, warum<br />

nicht? Jetzt darf nur keiner merken, dass ich hier nichts zu suchen habe. Allerdings kann die<br />

nette Dame an der Rezeption auch keinen Lonely Planet unter ihrem goldverkanteten Tisch<br />

finden. Ich genieße noch ein wenig die klimatisierte Empfangshalle des Hilton, muss mich dann<br />

aber wohl oder übel auf den Rückweg zu meinem Hotel machen...<br />

- 62 -


Caracas 2<br />

Die schönen Seiten?<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Tag 71:<br />

ca. 10 km<br />

Naiguatá - Caracas<br />

- Tacho defekt -<br />

Geldwechseln: Eine Wissenschaft<br />

Ich wundere mich nicht schlecht, als ich an meinem ersten Tag in<br />

Venezuela diese Feststellung mache: Keine Bank will meine Dollars<br />

tauschen. Niemand will mir die Gründe dafür nennen und ich verlasse<br />

jede Bank mit tausend Fragezeichen im Kopf. Warum will niemand meine<br />

Dollars haben? Erst will man mir sie am Flughafen fast aus der Hand<br />

reißen und hier im Land nimmt sie niemand!<br />

Aus der Not heraus wechsle ich sie an der Lotto-Annahmestelle in einem<br />

kleinen Supermarkt. Der Verkäufer fragt mich durch dunstiges Glas: "Zu<br />

was für einem Kurs willst Du sie tauschen?"<br />

Was für eine Frage: "Zu 1.600, dem offiziellen Kurs eben".<br />

"Wie viel?"<br />

"80 Doláres"<br />

"Ist ein wenig viel. Sagen wir... 30 Dólares?"<br />

Ich gebe ihm die Scheine und er lässt sie gierig durch seine fettigen<br />

Hände laufen.<br />

"Ok, willst Du die restlichen 50 auch noch tauschen?"<br />

"Gut, machen wir!"<br />

Es gibt keine Quittung oder sonstigen Beleg. Alles läuft unter<br />

vorgehaltener Hand ab. Ich vertraue wieder meinem Gefühl und werde<br />

nicht betrogen. Ich bekomme von ihm exakt den richtigen Betrag<br />

getauscht. Trotzdem ist da irgendwas falsch...<br />

Zwei Tage später erfahre ich den Grund: Man sagt mir, dass die<br />

Venezuelanische Regierung den Devisenhandel wegen der zu großen<br />

Inflation eingefroren hat. Der Umtausch ist verboten und gerade<br />

deswegen hat sich auf der Straße ein blühendes Geschäft mit Dollars<br />

und Euros etabliert. Jeder Venezuelaner will Dólares. Niemand traut<br />

mehr der eigenen Währung. Das führt dazu, dass der Umtauschkurs auf<br />

der Straße ins Utopische steigt. Ich hätte also mindestens 2400 Bolivares<br />

für den Dollar bekommen können! Verdammt!<br />

Noch ärgerlicher ist es, dass man an den Geldautomaten nur Bolivares<br />

zum offiziellen Wechselkurs bekommt. Dieser liegt bei 1600 Bolivares<br />

zum Dollar und 1800 Bolivares zum Euro. Dazu geben die<br />

Tourenveranstalter ihre Preise in Dollar an - oder den Gegenwert in<br />

Bolivares zu einem Wechselkurs von 2200 Bolivares.<br />

Verdammt ärgerlich!<br />

- 63 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Meinen zweiten Tag in Caracas lasse ich ruhig angehen. Mein Kopf muss endlich einmal die<br />

vielen neuen Eindrücke verarbeiten können. Um 12 Uhr gehe ich zum Treffen mit Arturo, dem<br />

Deutschlehrer. Ich habe mich mit ihm in der Cafetería der Schule verabredet. Dort<br />

angekommen frage ich jemanden nach dem Weg zur Cafetería. Scheinbar bemerkt dieser Herr<br />

meinen Akzent und fragt mich sofort: "Sprechen Sie Deutsch?"<br />

"Och, ein bisschen schon..."<br />

In fließendem Deutsch beschreibt er mir den Weg zur Cafetería. Kein Wunder - er ist der<br />

deutsche Schulleiter. Während ich ein wenig durch das Instituto schlendere, läuft mir Arturo<br />

über den Weg. Im ersten Moment erkenne ich ihn gar nicht als Lehrer - meiner Einschätzung<br />

nach wird er noch unter dreißig sein. Er spricht ein recht langsames, aber sehr korrektes<br />

Deutsch. Er fragt mich, ob es ok ist, wenn wir mit einer Freundin essen fahren und bei der<br />

Gelegenheit ein wenig plaudern würden. Warum nicht? Ich bin sowieso dankbar für seine<br />

Aufgeschlossenheit und Gastfreundschaft. Wir steigen in seinen großen Jeep und fahren los.<br />

"In welchem Hotel wohnst Du denn?" fragt er mich.<br />

"Im Hotel Corona Real."<br />

"Du weißt, dass das ein "Hotel de Amor", also ein Stundenhotel ist?"<br />

"Ach! Öhem... wirklich?"<br />

"Hast Du denn nichts gehört?" antwortet er mit einem Grinsen im Gesicht.<br />

"Hmm, bis jetzt nicht..." Jetzt wird mir so einiges klar. Der 1 x 2 Meter große Spiegel auf<br />

Betthöhe, der Ventilator, unter dessen Zug man fast wegfliegt, das verschlossene Ambiente,<br />

aber auch die tolle Dusche...<br />

Wir holen die Freundin bei ihrem Arbeitsplatz ab, und fahren weiter zu einem tollen Restaurant.<br />

Seine Freundin spricht ein wenig Deutsch: Im November will sie auf Sprachreise nach Berlin<br />

fliegen.<br />

Und an dieser Stelle beginnt auch schon ein lustiger Zwist. Bei Arturo kommt der Lehrer heraus.<br />

Er möchte natürlich, dass ich mehr Spanisch spreche und fordert seine Freundin auf, mehr<br />

Deutsch mit mir zu sprechen, denn Anfangs machen wir es fast umgekehrt. Im Endeffekt<br />

unterhalten wir uns dann in einem lustigen Mix: Mal Deutsch, mal Spanisch.<br />

Ich freue mich, dass mir endlich mal zwei Venezuelaner die wirkliche Lage im Land erklären<br />

können. Momentan gibt es keinen guten Reiseführer, der die Lage annähernd schildern könnte<br />

und von Deutschland aus war es sehr schwierig an Informationen zu gelangen. Und Arturo leiht<br />

mir seinen großen deutschen Reiseführer über Venezuela.<br />

Venezuelanische Kinderbücher:<br />

Die magische Welt der Yupka-Indianer und Rückkehr der Gespenster<br />

Damit nicht genug. Auf der Rückfahrt darf ich einen Blick in den Verlag werfen, in dem seine<br />

Freundin arbeitet. Ich kann kurz mit hereinkommen, da es in diesem Verlag spanische<br />

Kinderbücher gibt, die ich gerne zum Lernen benutzen würde. Ich suche mir zwei schöne<br />

Bücher aus und bekomme sie zum halben Preis druckfrisch in die Hände gedrückt. Das finde<br />

ich echt supernett!<br />

An dieser Stelle sollte man anmerken, dass die Venezuelaner nicht gerade das belesenste Volk<br />

sind. Durch Arturo finde ich endlich einen vernünftigen Bücherladen im Simba-Einkaufszentrum.<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Abgesehen davon gibt es nur hier und da kleine Läden und Stände, welche sich Librerías<br />

nennen, aber nie etwas anderes als Schulbücher, Comics und Schreibwaren anbieten. Und das<br />

in einer Stadt, die offiziell 5 Millionen und inoffiziell 10 Millionen Einwohner hat! Venezuela hat<br />

zwar beeindruckende Autoren hervorgebracht, doch trotzdem ist die Auswahl an heimischer<br />

Literatur erstaunlich gering. Ich werde nicht einmal bei der Suche nach einem Reiseführer über<br />

Venezuela fündig. Alles, was ich finde, ist ein Merian, der Wort für Wort vom Deutschen ins<br />

Spanische übersetzt worden ist. Darin stehen zum Beispiel Sätze wie dieser (übersetzt): "Die<br />

LTU fliegt Venezuela direkt von Frankfurt aus an." Es ist mir schleierhaft, was ein<br />

Südamerikaner mit dieser Information anfängt...<br />

Wie auch immer, dafür finde ich in dem Einkaufszentrum zwei echt tolle Sachen. Schokomüsli<br />

(!!!) und Nutella. Allerdings kostet ein Glas Nutella umgerechnet 10 Dollar. Wie preiswert...<br />

Mit der Seilbahn zum Pico el Ávila<br />

Am Nachmittag fahre ich mit dem so genannten Teleférico zum Pico Ávila. Der Preis für das<br />

Ticket ist nicht ohne: 15.000 Bolivares muss ich berappen! Dafür ist die Aussicht umso<br />

grandioser und vom Bergsattel eröffnet sich mir plötzlich ein unerwarteter Ausblick nach<br />

Norden: Auf das unter kleinen Wölkchen liegende Karibische Meer. Während die Sonne<br />

untergeht, gehen unten in der Stadt die Lichter an. Von hier oben sieht dieser flimmernde<br />

Hexenkessel ganz friedlich aus.<br />

Das erste Mal treffe ich einen anderen Ausländer. Er sieht mich ebenfalls verdutzt an und fragt:<br />

"Are you also from the States?" (Glücklicherweise nicht...) Er ist in etwa so alt wie ich und lässt<br />

sich von seiner venezuelanischen Verwandtschaft das Land seiner Vorfahren zeigen. Im<br />

Gegensatz zu mir ist er von diesem Land total begeistert.<br />

Es wird kühler. Ich wandere noch ein wenig durch den dunklen Dschungel, kehre dann aber<br />

wieder zurück, um mich mit dem Teleférico auf den Rückweg in die Stadt zu machen.<br />

Caracas Das Karibische Meer<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Wieder bin ich zu geizig mir ein Taxi zu leisten und möchte den Rückweg zu Fuß zurücklegen.<br />

Das bereue ich kurze Zeit später, doch da ist es schon zu spät. Meine Route führt mich durch<br />

ein ärmliches Viertel, welches auf der Karte natürlich nicht als solches zu erkennen war. Überall<br />

hängen die Leute in kleinen Grüppchen herum und ich habe ständig das Gefühl, die Blicke auf<br />

mir haften zu haben. Wie gut, dass ich mit meiner für Venezuela gar nicht mehr so exotischen<br />

Haut -und Haarfarbe und meiner Einkaufstüte in der Hand, nicht so auffalle. Wie glücklich ich<br />

doch über diese dämliche Plastiktüte bin! Doch besonders in dunklen Ecken verkrampft sich<br />

meine Hand an der Dose Pfefferspray in meiner Hosentasche. Ich kann meine Erleichterung<br />

darüber kaum ausdrücken, als ich wieder auf eine stark befahrene Hauptstraße mit<br />

Polizeistreifen treffe.<br />

Busbahnhof Maracay<br />

Am nächsten Tag ist mein Geburtstag. Schon wieder... Jetzt habe ich schon 21 Jahre hinter<br />

mir...<br />

Und heute will ich auch endlich diese Stadt hinter mir lassen. Mit großem Misstrauen überlasse<br />

ich das Fahrrad und fast mein gesamtes Gepäck der Puff... ähem... der Hotelmutter. Sie zeigt<br />

sich für nichts wenig verantwortlich, ich weiß aber nicht, wo ich mein Rad sonst noch lassen<br />

könnte. Als ich später anderen Leuten davon erzähle, wo ich mein Rad gelassen habe,<br />

scherzen die nur: "Dann bekommst Du es bestimmt mir rosa Bömmelchen und ziemlich<br />

'abgenutzt' wieder." Na ja...<br />

Ich möchte nach Colonia Tovar. Bei diesem Ort handelt es sich um eine schwäbische Siedlung,<br />

die bis vor 50 Jahren vor der Außenwelt abgeschlossen war. Doch aus dem Besuch dort soll<br />

leider nichts werden.<br />

Ich nehme ein Taxi zum Busbahnhof und man setzt mich auf einem dreckigen Platz mit einigen<br />

altersschwachen Bussen ab. "Das kann es nicht sein", denke ich mir.<br />

Ist es auch nicht. Jemand sagt mir, dass ich zum Plaza Miraflores gehen soll, von wo aus<br />

Camisetas nach Colonia Tovar fahren würden. Das sei nur 3 Blocks entfernt.<br />

Aus den 3 Blocks werden 6 Blocks Fußmarsch durch ein verwahrlostes Viertel und am Zielort:<br />

Nichts. Niemand weiß von Camisetas nach Colonia Tovar. Ich verwerfe Colonia Tovar und<br />

lasse mich mit dem Taxi direkt zum großen Busbahnhof fahren, von wo aus sogar Busse nach<br />

Lima gehen.<br />

Dort angekommen, muss man nur dem Gehör folgen: Überall werden die Fahrziele in<br />

atemberaubendem Tempo ausgerufen. "Maracay, Maracay, Maracay! Maracaibo, caibo, caibo!<br />

San Felipe, Felipe, Felipe! Valencia, Valencia, Valencia!"<br />

Über eine toll ausgebaute Autobahn geht es direkt nach Maracay. Dahinter beginnt endlich<br />

mein karibischer Traum...<br />

Tag 72:<br />

Tag 73:<br />

- 66 -<br />

Caracas<br />

Caracas - Choroní<br />

(Mein Geburtstag)


Karibischer Traum<br />

Sonnenbrand und Kokosnüsse<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Exkurs: Krieg den Briten!<br />

Wirft man einen genaueren Blick, auf die venezuelanischen<br />

Nummernschilder, so wird einem schnell die schön hinterlegte Landkarte<br />

auffallen.<br />

Doch was ist diese kleine schraffierte Landfläche daneben?<br />

Guyana - oder ehemals British Guyana - nennt sich dieses unscheinbare<br />

Land zwischen Venezuela und dem noch weniger bekannten Surinam.<br />

Papillon, der bekannte französische Flüchtling, fand hier einst Unterschlupf,<br />

bevor er in Venezuela seine neue Heimat fand.<br />

Unter Berufung auf historisches Recht beansprucht Venezuela trotz<br />

verschiedener Abkommen weiterhin einen beträchtlichen <strong>Teil</strong> Guyanas im an<br />

Bodenschätzen reichen Gebiet westlich des Essequibo-Flusses, was mehr als<br />

die Hälfte des Staates Guyana ausmacht. Auf vielen Karten wird dieses<br />

Gebiet als "Area claimed by Venezuela" ausgewiesen. Es handelt sich hierbei<br />

hauptsächlich um ein von Indianern bewohntes Gebiet. Dieses Gebiet gehört<br />

seit dem Laudo von 1898 zu British Guyana, wird aber auch von Venezuela<br />

beansprucht.<br />

Selbst so mancher Venezuelaner macht sich über diese<br />

Großmachtbestrebungen der eigenen Regierung lustig. "Man soll sich erst<br />

mal mit den inneren Problemen auseinandersetzen bevor man<br />

Dschungeldörfer wie Matthew's Ridge, und Banana Lodge besetzt" sagen sie.<br />

Andererseits wird befürchtet, dass der diktatorisch regierende Präsident<br />

Chávez gerade in der jetzigen kritischen Lage dort einmarschieren wird, nur<br />

um von innerpolitischen Problemen abzulenken. Und das hieße Krieg gegen<br />

die UNO und Großbritannien. Na dann: Viel Spaß!<br />

Bevor der Bus nach Choroní abfährt, werde ich eine volle Stunde lang zum Konsumieren<br />

angehalten. Immer wieder kommen Straßenverkäufer durch den Bus und bieten ihre Ware<br />

preis. Von Eis über Lutscher und Salat bis zu Zahnbürsten kann man so ziemlich alles kaufen.<br />

Dann endlich geht es los. Der Fahrer schaltet einen grauenvollen Mix aus Techno und Salsa auf<br />

die Lautsprecher und ab geht es in die Berge. Nach einer Weile liegen bei den ersten<br />

Fahrgästen die Nerven blank. Lauthals schreien sie den Busfahrer an, dass er doch bitte diese<br />

Tortur abschalten möge. Er schreit zurück und fordert sie auf, den Bus zu verlassen, wenn<br />

ihnen das nicht passt! Nach Jahren der Unstabilität scheinen bei recht vielen Venezuelanern die<br />

Nerven blank zu liegen.<br />

Vor der Fahrt hätte ich einen guten Rat lieber ernst nehmen sollen. Ich hätte nichts essen<br />

dürfen! Hoher Seegang, Flugturbulenzen etc... das sind alles Dinge, an denen ich mich<br />

- 67 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

begeistern kann. Doch hier komme ich an mein Limit. Es geht immer tiefer in den dichter<br />

werdenden Urwald des Nationalparks Henri Pittier. Kurve um Kurve schleppt sich der Bus auf<br />

den Bergrücken und in rasantem Tempo geht es auf der anderen Seite wieder herunter. Nach<br />

über zwei Stunden Fahrt ist mir speiübel, als ich in Choroní endlich aus dem Bus torkle...<br />

Posada El Ancla<br />

Bei meiner Suche nach einem Hostal werde ich von einer gut aussehenden jungen Frau<br />

angesprochen, ob ich eine Unterkunft suche. Erst unterhalten wir uns auf Spanisch, dann<br />

Englisch und zuletzt finden wir heraus, dass wir beide Deutsch sprechen. Sie ist Schweizerin<br />

und hat seit kurzer Zeit eine nette Posada namens "El Ancla". Für nur 20.000 Bolivares komme<br />

ich in den Genuss eines eigenen Badezimmers, einer schönen Terrasse, einer Küche und eines<br />

Swimmingpools! Ich teile mir die gesamte Posada mit zwei holländischen Packpackern, die<br />

beide schon etwa 50 Jahre alt sind.<br />

Ich genieße meine 3 Tage in Choroní und lasse mich nach den vergangenen Stresstagen mal<br />

so richtig hängen. Dann und wann habe ich lange Unterhaltungen mit den beiden Holländern,<br />

dem Franzosen Jacques, den deutschen Bäckern in Dorf und ich treffe auch den US -<br />

Amerikaner vom Pico Ávila wieder.<br />

Die beiden deutschen Bäcker sind eine Klasse für sich. Nicht nur, dass ihr Brot absolute Spitze<br />

ist (seit Deutschland habe ich nichts Besseres mehr gegessen!), nein, auch als Menschen. So<br />

richtige Aussteigertypen, die den ganzen Tag braun gebrannt in kurzer Hose und Hemd<br />

herumlaufen und immer guter Dinge sind. Dabei sind sie beide bestimmt schon über ein halbes<br />

Jahrhundert alt. Gleich bei meinem ersten Besuch an ihrer Holzhütte fragt man mich der eine<br />

von ihnen: "Na? Was darf's denn sein?"<br />

"Eh... wie jetzt? Sehe ich so Deutsch aus?" erwidere ich beleidigt.<br />

- 68 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

"Glaub mir, im Laufe der Jahre erkennt man das."<br />

Einer der beiden heißt Donat und er hat ein Zimmerchen direkt neben der Posada. Man sieht in<br />

abends immer spät von der Arbeit kommen. Dabei hat man immer den Eindruck, dass sein<br />

Oberkörper kaum mit den beiden vor ihm her schwankenden Beinen mithalten kann. Schon<br />

kurz nach Arbeitsbeginn früh morgens führt er sich die Flasche an die Lippen... und trotzdem<br />

macht er nicht den Eindruck, als wenn er sich den Verstand aus dem Leib getrunken hätte.<br />

Immer aufgelegt zu politischen Diskussionen und Anekdoten über das Leben hier erzählt er uns<br />

über das Brotbacken in Venezuela. Die hohe Miete für den Schuppen, das Mehl, dass extra aus<br />

Kolumbien geliefert werden muss, und und und...<br />

Hier unten im Dorf hat man zum Beispiel von der Krise im Winter sehr wenig bemerkt. Und das,<br />

obwohl der Diktator seinen Stützpunkt gleich nebenan in Maracay hat. Das Schlimmste war<br />

natürlich, dass das Benzin limitiert war. Eine wahre Horrorvorstellung für jeden echten<br />

Venezuelaner, dessen riesiger Schlitten schon mal gut und gerne 30 Liter auf 100 Kilometern<br />

verbraucht. Zweimal die Woche kam ein Tanklaster und die Leute standen über einen Tag lang<br />

Schlange um an das kostbare Mittel zur Mobilität zu kommen...<br />

Das erste Mal im Leben kann ich mich an einem Strand entspannen. Bei einer Kulisse wie<br />

dieser ist das zugegebenermaßen auch keine Anstrengung. Nach einem ausgedehnten Bad in<br />

den hohen Wellen liege ich entspannt im Schatten der Palmblätter, döse vor mich hin... döse...<br />

und döse... und schlafe ein...<br />

Drei Stunden später macht es "Plopp". "Plopp, Plopp". Hmpf...? Neben mir fällt eine Kokosnuss<br />

nach der anderen in den weißen Sand. Über mir sitzt jemand in der Palme, der sie einer nach<br />

der anderen abschneidet und herunterwirft. Richtig fette Kokosnüsse. Bin ich im Paradies<br />

gelandet?<br />

Kurz darauf fällt mir ein weitaus weniger paradiesischer Zustand auf. Ich bin rot eine Tomate!<br />

Während ich schlief, ist die Sonne - mir nichts dir nichts - weitergewandert und hat den Schatten<br />

neben mir gelassen. Oje...<br />

- 69 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

- 70 -<br />

In Deutschland unglaublich teuer: Der "Aloe Vera -Kaktus"<br />

Am Abend beginnen die Schmerzen. Ich sitze auf der Terrasse der Posada und lese ein Buch,<br />

während ich nicht weiß wie ich mich drehen und wenden soll. Sibylle, die Besitzerin der Posada,<br />

kommt gerade vorbei und sieht das Malheur. Kurzerhand schneidet sie ein Blatt von einem<br />

Kaktus für mich ab und drückt es mir in die Hand. Der schmierige Inhalt ist der Grundstoff von<br />

Aloe Vera. "Leg das Blatt in den Kühlschrank und schmier es Dir auf die Haut. Das hilft."<br />

Nachdem ich die Pampe auf meine Haut geschmiert habe, mag ich mich selbst nicht mehr<br />

riechen... Hmpf... Die Mücken aber schon...<br />

Am nächsten Morgen fühle ich mich schlecht. Ich kann kaum aufstehen und breche in der<br />

Dusche fast zusammen. Mein Kreislauf macht mir sehr zu schaffen. Scheinbar habe ich<br />

aufgrund der starken Sonneneinstrahlung gestern einen leichten Hitzschlag erlitten. Meine Haut<br />

beginnt sich zu pellen und ich kann sie mir in großen Streifen vom Oberkörper abziehen.<br />

Ich verwerfe meine gesamten Planungen für heute und höre auf meine Körpersignale: Es wird<br />

ein ruhiger Tag in der Posada. Fast die ganze Zeit sitze ich auf der Terrasse und lese, hin und<br />

wieder kühle ich mich im Swimmingpool ab. Was für ein entspannter Tag! So etwas habe ich<br />

ewig nicht mehr gehabt...<br />

Tag 73:<br />

Tag 74:<br />

Tag 75:<br />

Caracas - Choroní<br />

(Mein Geburtstag)<br />

Choroní<br />

Choroní (Hitzschlag)


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

¡Lo Mejor Del Mundo!<br />

Auf der Suche nach dem besten Kakao der Welt<br />

Negros, Blancos, Mestizos...<br />

Venezuela ist das erste Land, in dem man mich nicht sofort als "Gringo" oder "Yankee"<br />

erkennt. Und das hat einen ganz einfachen Grund: Ich falle kaum noch auf!<br />

Die 23 Millionen Venezuelaner sind alles andere als eine homogene Einheit.69 % der<br />

Venezuelaner sind Mestizen oder Mulatten, 20 % sind Weiße, 9 % sind Schwarze und eine<br />

verschwindend geringe Anzahl von 2 % sind Indianer. Also eine komplett andere<br />

Zusammensetzung als in Bolivien. Und das Erstaunlichste daran: Im Laufe der Geschichte<br />

Venezuelas hat es kaum Reibereien zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen<br />

gegeben. Egal ob Schwarz, Weiß oder Braun, jeder kann ein Bettler, Angestellter, Arbeiter,<br />

Polizist oder Manager sein. Somit ist Venezuela eines der wenigen Länder, in denen es in<br />

den letzten 100 Jahren praktisch keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Rassen<br />

gegeben hat.<br />

Im Gegenteil. Sowohl die Venezuelaner, als auch die Venezuelanerinnen (!) sollen die<br />

Schönheiten jeder Rasse in sich vereint haben. Oftmals kann man dieser Feststellung nur<br />

beipflichten...<br />

- 71 -<br />

Venezuelanische<br />

Bierwerbung...<br />

Mehr Infos und<br />

venezuelanische Musik<br />

gibt's hier (Nein, ich<br />

werde nicht von Polar-<br />

Bier gesponsert... ;o))<br />

Am folgenden Tag möchte ich auf eigene Faust mit einem Boot nach Chuao fahren, erfahre<br />

aber dann, dass Jacques auch dorthin will. Also fahren wir spontan zusammen. Jacques ist ein<br />

Lehrer aus Frankreich - genauer gesagt kommt er aus dem Elsass und von daher spricht er<br />

auch ein paar Worte Deutsch. Doch die meiste Zeit unterhalten wir uns auf Spanisch.<br />

Nach harten Verhandlungen finden wir einen Bootsfahrer, der uns für einen annehmbaren Preis<br />

nach Chuao fahren möchte. Gar nicht so einfach, besonders da das Dörfchen Chuao nur über<br />

Wasser zu erreichen ist. Es liegt zwar auf dem Festland, ist aber ringsum von Bergen umgeben.<br />

Der schnellste Landweg dorthin entspräche mindestens einem Tagesmarsch durch den<br />

Dschungel.


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Die Fahrt ist beeindruckend. Das Boot hüpft über große Wellenkämme gen Osten. Nach einem<br />

kurzen Zwischenstopp an einem einsamen Strand geht es weiter nach Puerto Chuao. Von<br />

Chuao aus müssen Jacques und ich erst einmal laufen. Gar nicht so einfach. Die Hitze ist<br />

unerträglich und wir kommen bei den nur 4 Kilometern zwischen Bananenplantagen,<br />

Kakaoplantagen und Urwald ganz schön ins Schwitzen. Auf dem kurzen Weg müssen wir<br />

immerhin zwei Pausen machen.<br />

Es hat einen guten Grund, dass Chuao einst, wie fast alle Dörfer an der Küste, weiter im<br />

Landesinneren gebaut wurde: Zum Schutz vor den zahlreichen Piratenangriffen, die diese<br />

Küste Jahrhunderte lang heimgesucht haben.<br />

Puerto Chuao Kakaopflanze<br />

Endlich in Chuao angekommen, setzen wir uns sofort in ein schattiges Restaurant und<br />

genießen ein eiskaltes "Polar"-Bier mit frischem Fisch dazu. Dabei lassen wir es uns natürlich<br />

nicht entgehen, auch etwas von dem sagenumwobenen Kakao von Chuao zu probieren. Und<br />

wirklich: Er schmeckt unbeschreiblich! So etwas habe ich bis jetzt noch nie getrunken. Noch<br />

anders ausgedrückt: Ich erkenne den Geschmack vom heimischem Kakao, den man sich<br />

morgens in die Milch kippt, nicht wieder.<br />

Wir müssen unbedingt etwas von dem Zeug kaufen und gehen zu einem kleinen Laden.<br />

Jacques fragt, ob es stimmt, dass dieser Kakao der Beste von Venezuela sei.<br />

"¡Lo mejor del mundo!" - "Der Beste der Welt!" korrigiert ihn der fröhliche schwarze<br />

Ladeninhaber mit weit ausholenden Armen.<br />

- 72 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Chuao Nicht nur ich habe Probleme mit der Hitze...<br />

Mit dem "Besten Kakao der Welt" in den Händen setzen wir uns in einen altersschwachen Bus<br />

der uns zurück nach Puerto Chuao bringt. Jetzt mag man vielleicht denken, dass ich inzwischen<br />

komplett verweichlicht bin. Ich höre schon Stimmen sagen: "Da will der mit dem Rad durch<br />

Südamerika und kann nicht mal 4 Kilometer zu Fuß laufen!"... "Die Hitze ist wirklich<br />

unbeschreiblich! Nun glaubt mir doch!" denke ich mich verzweifelt darauf antworten.<br />

Playa de Chuao<br />

Wir setzen uns noch eine Weile gemütlich an den Strand und hüpfen zwischendurch in die<br />

erfrischenden Fluten. Jetzt am Nachmittag sind verhältnismäßig viele Menschen am Strand.<br />

Und was für welche! In Bezug auf Venezuelanerinnen meine ich. Also... naja... ich kann nur<br />

sagen... So weit nach unten ist mir die Kinnlade sicher noch nie gefallen! Vergiss Baywatch!<br />

Wow... Warum könnte ich nicht einfach hier bleiben und diesen "Ausblick" genießen?<br />

- 73 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Der Bootsmann wollte uns im 16.30 Uhr wieder abholen. Jetzt haben wir allerdings ein Problem:<br />

Wir haben den Namen unseres Bootes vergessen! Wir versuchen uns bei anderen Leuten<br />

durchzufragen, doch keiner kann uns helfen. Einer fragt uns: "Welche Hautfarbe hatte euer<br />

Fahrer denn?"<br />

"Schwarz"<br />

"Ha! Da könnt ihr lange suchen! Die sind doch alle schwarz hier!"<br />

Wir waren tatsächlich dumm genug, im Voraus die Hin -und Rückfahrt zu bezahlen! Ich hege<br />

schon wieder Mordgedanken gegen alle südamerikanischen Bootsmänner, doch just in diesem<br />

Augenblick kommen die beiden in die Bucht gefahren und winken uns zu. Juchhu! Wir sind<br />

doch nicht verloren! Naja - zumindest nicht ganz. Vor den Klippen fällt noch kurz der Motor aus,<br />

doch das ist dem Gesichtsausdruck des Fahrers nach zu urteilen nicht der Rede wert.<br />

Krachmacher<br />

Eigentlich wollte ich am gleichen Abend noch weiter nach Maracay. Ich verwerfe diesen Plan<br />

wieder, da der Bus nach Maracay zu lange brauchen würde und ich den Anschluss nach Mérida<br />

heute nicht mehr erreichen würde. Mein Geld geht zu Neige und es gibt hier weit und breit<br />

keinen einzigen Geldautomaten. Da kommt es gerade recht, dass Sibylle, die Besitzerin der<br />

Posada, morgen mit ihrem Freund nach Maracay fahren will. "Wenn Du willst, kannst Du auf<br />

dem LKW mitkommen".<br />

Und so ergibt es sich, dass ich zur nachtschlafenden Zeit von 6 Uhr (für venezuelanische<br />

Verhältnisse) aufstehe. Die Sonne steht am Horizont und ich nehme in der morgendlichen<br />

Frische noch ein entspannendes Bad im Pool. Die hiesige Tierwelt scheint etwas verwundert,<br />

dass sich in dieser Frühe schon ein Mensch hier blicken lässt. Eine dicke Kröte kreuzt meinen<br />

Weg und ein zierlicher Kolibri beginnt mich neugierig zu umflattern.<br />

- 74 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Parque Nacional Henri Pittier<br />

Dann geht es auf den LKW. Es werden noch zwei Fernseher und eine Kiste mit Fischen auf die<br />

Ladefläche gepackt und los geht es. Ich stehe mit einem Venezuelaner hinten auf der<br />

Ladefläche und lasse mir den Wind um die Nase wehen, während der beeindruckende<br />

Gebirgsurwald links und rechts an uns vorbeizieht. Beim Tanken blicke ich mit großen Augen<br />

auf die Tankanzeige und frage - inzwischen vollkommen Perplex! - meinen Mitfahrer:<br />

"60 Liter für 4000 Bolivianos??? Da ist, doch ein Haken dran, oder?"<br />

"Nö, wieso?" antwortet er und fügt noch hinzu "Ich weiß ja, dass es in letzter Zeit ziemlich teuer<br />

geworden ist."<br />

Was?! Verdammt! Man bekommt hier 30 (dreißig!) Liter Diesel für 1 (einen!) Euro und 10 Cent!<br />

In der Vorstadt Maracays geht das Fortkommen ziemlich zögerlich vonstatten. Man geht noch<br />

frühstücken, die Fernseher und den Fisch abliefern, hält hier und da noch ein Schwätzchen und,<br />

und, und...<br />

Meine Zeit rennt. Ich blicke bereits auf den Sekundenzeiger und mein Blut beginnt bei jeder<br />

weiteren roten Ampel zu kochen. Noch 10 Minuten bis der Bus nach Mérida abfährt! Endlich<br />

setzt man mich vor einem Einkaufszentrum ab, ich verabschiede mich hastig, suche fix einen<br />

Geldautomaten, hüpfe in das nächste Taxi und lasse mich im Eiltempo zur Busstation fahren.<br />

Geschafft!<br />

Als ich den Ticketschalter erreiche, sitzt der Busfahrer noch dort und hält gemütlich ein<br />

Schwätzchen. Wie sehr ich diese südamerikanische Schluderigkeit doch manchmal liebe!<br />

30 Liter zum Preis für einen<br />

Beim betreten des Busses folgt ein Schock. Oder besser: Ein Lachschock? Ich könnte mich fast<br />

auf dem Boden kringeln vor Lachen.<br />

- 75 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Die Geschichte ist die: Jeder hat mich vor dem Überlandbus nach Mérida gewarnt: "Der hat<br />

eine sehr starke Klimaanlage und Du musst Dir unbedingt warme Sachen anziehen!"<br />

Iwo! Pustekuchen denke ich mir! Bis jetzt war es mir in Venezuela immer zu heiß - da kommt<br />

mir so eine Klimaanlage gerade recht! Also spaziere ich gut gelaunt in den Bus und was ich<br />

dann erblicke, sind lauter Venezuelaner, die sich vor Kälte kaum retten können: In Mütze,<br />

Schal, Handschuhe, dicke Jacken und lange Hosen eingepackt sitzen Sie da und sind trotz der<br />

dicken Kleidung noch blau vor Kälte angelaufen.<br />

Dagegen stehe ich hier in kurzer Hose, einem T-Shirt und Sandalen. Ich setze mich neben eine<br />

nette Venezuelanerin und frage sie ein wenig im Scherz:<br />

"So kalt kann es doch nicht sein, oder?<br />

"W...w...wie?! Ist D...d...dir denn nicht k...k...kalt?!" antwortet sie mit erstauntem Blick auf meine<br />

kurze Kleidung. Ein komisches Volk...<br />

Während der 13 Stunden dauernden Fahrt haben wir genügend Zeit uns zu unterhalten. Sie<br />

heißt Carolina und kommt aus Ciudad Guyana, übrigens einer der heißesten Städte<br />

Venezuelas. Da scheint man solche "Kälterekorde", wie die 18°C hier im Bus, gar nicht gewöhnt<br />

zu sein. Und warum sie nach Mérida fährt? Sie möchte das erste Mal in ihrem Leben Schnee<br />

sehen...<br />

Tag 76:<br />

Tag 77:<br />

Choroní - Chuao - Choroní<br />

Choroní - Maracay - Mérida<br />

- 76 -


Planlos in Mérida<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Politische Lage im August 2003:<br />

Die politische Lage in Venezuela bleibt weiterhin kritisch. Die meisten<br />

Reichen sind gegen Chávez, die Mehrheit der Armen ist für Chávez. Die<br />

Armen sind davon überzeugt, dass Chávez ihnen den Reichtum gibt,<br />

doch bis jetzt haben sie kaum Kenntnis davon genommen, dass Chávez<br />

ihnen mehr genommen, als gegeben hat.<br />

Die Aussagen sind zweischneidig. Viele Leute bilden sich ihre eigene -<br />

deutliche - Meinung und kaum jemand will von seiner Position<br />

zurücktreten. Kurz nach meiner Abreise soll ein Referendum stattfinden,<br />

welches darüber entscheiden soll, ob Chávez im Amt bleibt, oder nicht.<br />

Es wird mit großer Wahlfälschung gerechnet.<br />

Die Einen rechnen mit einem ruhigen Verlauf, die anderen rechnen mit<br />

blutigen Unruhen. Besonders gefährdet sind Maracay (der Sitz des<br />

Präsidenten), Mérida (die Studentenhochburg) und natürlich die<br />

Hauptstadt Caracas. Einige Schwarzmaler reden bereits von Bürgerkrieg.<br />

Die Gerüchteküche und Spekulationen laufen auf Hochtouren und<br />

werden so schnell wohl auch nicht gestoppt werden können...<br />

In Mérida gibt es die Posada Alemania, die - sinnigerweise - einem Schweizer gehört. Bruno<br />

begrüßt mich herzlich und zeigt mir die ganze Herberge. Er hätte es schon gewusst, dass heute<br />

noch jemand kommt, und er hat auch gleich ein Zimmerchen für mich frei. Wie nett.<br />

Saubere Plätze und geschmacksvolle Reklame... ...das ist Mérida!<br />

Zugegeben: Meine Tage in Mérida sind ziemlich stark von "Nichtstun" beeinflusst. Ich liege viel<br />

in der Hängematte, esse gerne und unternehme nichts Großes mehr. Ich lasse mich hängen<br />

und die vergangenen Wochen ein wenig Revue passieren. Es ist meine letzte Woche in den<br />

Tropen vor der Rückkehr nach Deutschland. Eigentlich wäre ich gerne noch für einen Tag nach<br />

Kolumbien gefahren und hätte so gerne so viele andere Dinge sehen wollen, doch irgendwie<br />

komme ich zu nichts. Ich bin aber auch nicht wirklich unglücklich darüber.<br />

Mérida ist eine Wohltat nach den Chaos-Städten Lima und Caracas. Alles ist sauber, der<br />

Verkehr läuft mehr oder weniger geordnet und man sieht nur wenige arme Menschen. Hat man<br />

es einmal vom Flughafen Caracas bis hierher geschafft, sieht man eine venezuelanische Stadt<br />

von ihrer guten Seite.<br />

Tag 78 der Reise: Mit Sebastian, einem anderen Deutschen aus der Herberge, möchte ich zur<br />

Fischzucht Monterrey fahren. Daraus wird leider nichts. Jeder Passant, den wir fragen, gibt uns<br />

eine andere Richtungsangabe und im Endeffekt ergibt sich daraus eine ganz nette Odyssee<br />

durch die gesamte Stadt.<br />

Und am Abend führt Bruno fast die Gäste der Herberge noch durch ein paar nette Bars.<br />

- 77 -


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Endlich: Nach 10 trockenen Wochen... ...ECHTER Regen!<br />

Tag 79 der Reise: Wir starten einen zweiten Versuch nach Monterrey gelangen: Auf dem Weg<br />

dorthin verlaufen wir uns ziemlich und kommen in einen Regenschauer. Nach ein paar<br />

Kilometern fragen wir einen Bauern nach dem Weg. "Monterrey? Da seid ihr schon viel zu weit.<br />

Hier oben kommt ihr nur in den Paramo."<br />

Übrigens gibt es ein venezuelanisches Sprichwort für welches lautet: "Im Paramo enden." Das<br />

bedeutet zu Deutsch soviel wie: "Den Löffel abgeben."<br />

Wir haben äußerst wenig Lust, dort oben im kaltfeuchten Paramo zu enden, und machen uns<br />

auf den Rückweg. An der Fischzucht treffe ich Carolina und ihre Familie wieder und wieder sagt<br />

sie mir, dass ich doch mal bei ihr im Hotel vorbeikommen sollte. So reich, als wenn ich mir das<br />

leisten könnte, bin ich leider nicht - auch nicht als "Yankee"...<br />

In einem kleinen Dorf kaufen wir noch ein paar Flaschen mit unglaublich leckerem Wein. Da<br />

könnte sogar ich zum Weinliebhaber werden. Aber, wie es der liebe Gott (oder wer auch immer)<br />

so will: So eine leckere Sorte gibt es ja in Deutschland nicht.<br />

Tag 80 der Reise: Am folgenden Tag haben Sebastian und ich nicht mehr Glück mit der<br />

Orientierung. Wir wollen die heißen Quellen von Musui besuchen. Wir fahren mit einem Bully<br />

bis in ein Dorf und fragen uns von dort aus zu den heißen Quellen durch. Nachdem wir ziemlich<br />

lange bergauf gelaufen sind, stehen wir zwar vor heißen Quellen, jedoch nicht vor den heißen<br />

Quellen von Musui. Diese hier sind überfüllt mit Menschen und lassen sich sogar per Auto<br />

erreichen. Wir haben uns komplett in die falsche Richtung fahren lassen!<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Benzinverbrauch ist in diesem Land nicht von Interesse... La Posada Alemania<br />

Ein Fahrradladen!<br />

...in dem man auch Brötchen und Lotteriescheine kaufen kann.<br />

Tag 81 der Reise: Sebastian ist abgereist und ich mache mich gemeinsam mit dem Trio Max,<br />

Maxi und Maiko auf den Weg zum Pico Espejo. Das allerdings nicht zu Fuß, sondern mit der<br />

höchsten und längsten Seilbahn der Welt. Über vier Etappen geht es nach oben:<br />

Erst von der Talstation (1577 m) zum Cañon del Chama (2436 m).<br />

Vom Cañon del Chama hoch zum Nebelwald (3452 m).<br />

Vom Nebelwald geht es weiter zum unwirtlichen Paramo (4045 m).<br />

Und die letzte Station ist "Las Nieves del Tropico", der "Schnee der Tropen" auf einer Höhe von<br />

4765 Metern. M&M&M (Max, Maxi und Maiko) sind total begeistert von der Höhenluft und<br />

beschreiben sie "wie auf Droge" oder "wie nach der ersten Zigarette". Ich spüre nur recht wenig<br />

von der Höhenluft, vielleicht habe ich mich inzwischen doch ein wenig daran gewöhnt. Leider<br />

ist der gesamte Gipfel von Wolken eingehüllt und wir können nichts von der sicherlich<br />

beeindruckenden Umgebung ausmachen.<br />

Dafür gönnen wir uns einen Spaß und ziehen uns bis aufs T-Shirt aus. Die klimatischen<br />

Umstände hier entsprechen in etwa einem typisch feucht-kalten hamburger Wintertag. An der<br />

Talstation haben die Venezuelaner sich bereits in Erwartung der unglaublichen Kälte in Schal,<br />

Mütze, Handschuhe und dicke Jacke eingepackt und schauen uns jetzt ungläubig an...<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Seilbahn über Mérida Der Nebelwald<br />

Ein echter Bolivianer würde bei so etwas vor Schamesröte im Erboden versinken: Frierende Andenbewohner<br />

Pico Espejo<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Nach unserer Rückkehr in Mérida entdecke ich in einem extrem billigen Restaurant endlich<br />

wieder bolivianische Zustände... Zumindest auf der Toilette...<br />

Die Klobrille hängt an der Wand und man muss sie vor Benutzung erst auf die Toilette legen.<br />

Jetzt nur nicht zu viel wackeln... Nach dem erledigten Geschäft stellt man fest, dass der<br />

Wasserhahn nicht funktioniert. Macht nichts. Man muss sowieso tief in den Spülkasten greifen,<br />

um die Spülung betätigen zu können. Danach sind auch die Hände - mehr oder weniger -<br />

sauber...<br />

Tag 78:<br />

Tag 79:<br />

Tag 80:<br />

Tag 81:<br />

- 81 -<br />

Mérida<br />

Mérida / Monterrey<br />

Mérida / Tabay<br />

Mérida / Pico Espejo (4765 m)


Turbulenter Rückweg<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Morgen kommt das Ende. Das Ende meiner Reise.<br />

Doch heute muss ich erst einmal zurück nach Caracas. Ich genieße noch ein letztes Mal das<br />

tolle Frühstück in der Posada Alemania und lasse mich von einem Taxi zum Flugplatz fahren. In<br />

der kleinen Eingangshalle des Aeropuerto Alberto Carnevalli tausche ich mein ausgedrucktes<br />

Internet-Ticket gegen ein richtiges Flugticket, das allerdings auch kaum nach mehr aussieht, als<br />

einer Quittung aus dem Supermarkt. Der nette Señor am Schalter gibt mir den seiner Meinung<br />

nach besten Fensterplatz im Flugzeug. Ich werde sehen...<br />

Das Flugzeug verspätet sich ein wenig, flitzt schnell auf das Vorfeld, innerhalb von 10 Minuten<br />

sind Gepäck und Passagiere "ausgetauscht" und weiter geht's. Kein Wunder bei der Größe<br />

dieser Maschine.<br />

Beechcraft 1900 von außen... ...und von innen<br />

Es handelt sich um eine kleine Beechcraft 1900, die gerade 19 Passagiere und zwei Piloten<br />

fassen kann. Der große Vorteil daran ist, dass jeder Passagier seinen eigenen Fensterplatz hat!<br />

Der Ein oder Andere ist davon gar nicht so begeistert. Die Angst steht ihnen ins Gesicht<br />

geschrieben und ängstlich halten sie mit ihren Angehörigen Händchen.<br />

Ich dagegen bin von diesem Flug total begeistert. Noch nie habe ich einen so beeindruckenden<br />

Linienflug erlebt. Die kleine Maschine kann nicht sofort aus dem Tal steigen. Fast eine halbe<br />

Stunde lang kurven wir durch das schmale Tal entlang der Fernstraße Transandina bis hoch<br />

zum Paso Aguila. Es geht bei dem vor uns liegenden Pass sichtlich langsam aufwärts. Die<br />

vorbeiziehenden Dörfer und Bauernhöfe sind selten weiter als 200 Meter tief unter uns oder<br />

schmiegen sich neben unserem Flügel an die Bergkanten. Ich kann gar nicht genug bekommen<br />

vom Fotografieren. Für mich ist es einer der schönsten Flüge überhaupt. Letztendlich<br />

überwinden wir in extrem niedriger Höhe den Paso Aguila und steigen danach höher und höher<br />

über die Berge.<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Mérida aus der Luft<br />

Durch die Berge Über den Paso Aguila<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Schlechtwetterwolken<br />

Karibikstrände Anflug auf Caracas-Maiquetía<br />

Erst nach der Überquerung der Laguna Negra bekommen wir richtig Luft unter dem Flügeln und<br />

eine Weile später scheinen die Berge unter uns nur noch ganz klein und flach. Die kleine<br />

Maschine kann nicht über Schlechtwetterfronten wegfliegen und so versucht der Pilot sie<br />

bestmöglich zu umfliegen. Auf einem holprigen Ritt geht es durch die Wolken. Die Einen werden<br />

ganz grün im Gesicht, die Anderen wiederum finden es ganz lustig. Kleine Kinder quietschen<br />

vor Lachen. Es kommt eine Stimmung auf wie beim Achterbahnfahren.<br />

Nach rund einer Stunde Flug erreichen wir die karibische Küste. Leider ist es heute stark<br />

bewölkt und die Strände erscheinen nicht in diesem unglaublich farbenfrohen Licht, wie man sie<br />

kennt. Doch kurze Zeit danach passt sich auch die Landschaft der Wetterstimmung an. Mehr<br />

und mehr rauchende Schlote und Fabriken tauchen auf, es gibt kaum noch schöne Strände. Wir<br />

nähern uns dem Flughafen von Caracas.<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Menschen in Caracas<br />

Beim Aussteigen stößt mir wieder diese feuchtwarme Küstenluft entgegen, wie es sie in Mérida<br />

überhaupt nicht gegeben hat. Ich setze mich in einen Bus nach Caracas und dort beginnt<br />

wieder der alltägliche Kampf. Offenbar in dem Glauben, ich käme gerade frisch aus dem<br />

Ausland, wollen mir verschiedene Taxifahrer eine Fahrt für 4000 Bolivares anbieten. Ich weiß,<br />

dass es auch für 2500 Bolivares geht und als sie nicht zum Verhandeln bereit sind, lege ich<br />

meinen Weg zu Fuß zurück. Ausgerechnet jetzt beginnt es zu regnen. Egal. Ich muss sowieso<br />

noch zur Bank. Nachdem ich 100.000 Bolivares abgehoben habe, finde ich wenigstens ein Taxi,<br />

das mich für 3000 Bolivares zu meinem alten Hotel bringt.<br />

Trotz aller Befürchtungen bekomme ich mein Rad wohlbehalten zurück. Am Lenker sind weder<br />

rosa Bömmelchen oder Fesseln, noch sonst irgendwelche Anzeigen davon zu sehen, dass es<br />

"missbraucht" worden sein könnte... Ich werde die nächste Nacht in einer anderen Herberge<br />

verbringen. Hier ist inzwischen das eingetreten, wovon ich letztes Mal gar nichts gemerkt habe:<br />

Der "Wochenendverkehr". In doppelter Hinsicht...<br />

Wie gut, dass ich hier nicht noch eine Nacht verbringen muss. Während ich mein Rad bepacke,<br />

hallt über die gesamte Eingangshalle ein Stöhnen und Schreien, als wenn ich mitten in einem<br />

Pornofilm gelandet wäre. Die ganze Zeit werde ich von der Puffmutter argwöhnisch beobachtet<br />

- ich habe Mühe, ein Grinsen angesichts dieser Situation zu unterdrücken. Ich drücke ihr noch<br />

10.000 Bolivares in die Hand, lasse mir noch von ihr erklären, wie ich auf dem Weg zur Sabana<br />

Grande die Armenviertel am besten umfahre, und mache mich auf den Weg.<br />

Auf abenteuerlichen Wegen erreiche ich endlich das Backpackers Hostel, eine ebenfalls wie ein<br />

Hochsicherheitstrakt abgeschlossene Herberge. Danach schlendere ich noch ein wenig über<br />

die Sabana Grande, esse beim Araber einen Falafel und muss mir auf dem Rückweg auch noch<br />

von transsexuellen Sex anbieten lassen. Nein danke! So langsam beginne ich diese Stadt<br />

wirklich zu hassen...<br />

Simuliert<br />

An dieser Stelle möchte ich einen kleinen Einblick in mein Hobby geben; oder<br />

anders beschrieben: das, womit ich meine Brötchen verdiene:<br />

Die Flugsimulation.<br />

In den folgenden Bildern ist der oben beschriebene Flug exakt in 3D<br />

nachempfunden. Start auf dem Flughafen Alberto Carnevalli in Mérida, der<br />

Flug entlang der Transandina, das Steigen über der Paso Aguila, der<br />

beginnende Sinkflug über die Karibik und die Ankunft in Caracas-Maiquetía.<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Für diesen Flug habe ich den Microsoft Flight Simulator 2004 verwendet (den<br />

man übrigens bei meinem Arbeitgeber bestellen kann :o) und außerdem<br />

folgende Add-Ons:<br />

- Venezuelan Andes 2k2 von David Maldonado (www.avsim.com)<br />

- Maiquetía 2002 ebenfalls von David Maldonado (www.avsim.com)<br />

- Avior Beechcraft 1900D von Francisco Pérez (www.avsim.com)<br />

Für die Berglandschaften habe ich mit den SRTM -Daten der Nasa<br />

(Höhenprofil der Erde von einem Space-Shuttle aus aufgenommen) eine so<br />

genannte "Mesh-Szenerie" erstellt. Mit einer Kombination aus all diesen<br />

Dingen kann man den Flug möglichst realistisch nach"fliegen" und die<br />

beeindruckenden Landschaften genießen - im virtuellen Sinne.<br />

Tag 82:<br />

Mérida - Caracas<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Deutschland?<br />

Wo ist das?<br />

Ein Blick in den Spiegel verrät es. Wo kommen die ganzen Haare im Gesicht her? Die dunkle<br />

Haut? Der müde Blick?<br />

Bin ich älter geworden?<br />

Nein.<br />

Ich habe mich verändert. Doch wohl weniger visuell als innerlich...<br />

Wolkenkratzer und Slums: Caracas<br />

Für kurze Zeit entweiche ich der grünen Hölle. Durch das idyllische Grün eines Stadtparks radle<br />

ich zur Busstation. Wo mir gestern noch ein Busfahrer nett angeboten hat, mein Rad heute<br />

mitzunehmen, steht heute sein Kollege mit abwehrendem Blick.<br />

"¿Bicicleta? No tengo espacio!" - Fahrrad? Da habe ich kein Platz für!<br />

Basta!<br />

Alles Verhandeln lohnt nichts. Er bleibt stur. Ich einige mich mit einem Taxifahrer auf einen<br />

guten Preis und gebe ihm dann doch etwas mehr als verlangt. Ich werde die Bolivares sowieso<br />

nirgends auf der Welt mehr tauschen können; niemand will sie haben. Mein Rad wird mit<br />

Gepäckband in dem kleinen Kofferraum des Dodge befestigt. Vorbei an den afrikanischen<br />

Straßenverläufern nähern wir und der Küste und dem Flughafen. Der Taxifahrer ist sehr nett<br />

und fragt mich nach meinem Ziel.<br />

"Nach Hause nach Alemania möchte ich" sage ich ihm.<br />

"Alemania? Ein schööönes Land, nicht?" fragt er mich und fügt dann noch hinzu "Wo ist das<br />

eigentlich?"<br />

"Ganz weit oben im Nordosten. Da wo es verdammt kalt werden kann" erkläre ich ihm.<br />

Damit gibt er sich zufrieden. Dieses Land ist für ihn so unglaublich weit weg, dass er keinen<br />

weiteren Gedanken daran verschwenden will. Warum auch. Er muss sich hier um seine eigenen<br />

Probleme kümmern. Außerdem hat er sein Taxi und sein Leben. Das reicht doch.<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

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Abschied<br />

Im Flughafen befinde ich mich wieder inmitten von Restriktionen und Stress. Mühsam, und vor<br />

Schweiß triefend, verpacke ich mein Rad. Wieder bekomme ich keinen Fensterplatz in dem<br />

großen glänzenden Lufthansa-Jumbo. Irgendwie ist er ein Stück Heimat im fernen heißen<br />

Venezuela. Der Weg nach Deutschland ist schwieriger als Gedacht. Ich muss meine Filme erst<br />

vor dem X-Ray des Zoll und dann noch vor dem X-Ray der Lufthansa bewahren. Niemand traut<br />

dem anderen. Erst werde ich im Zoll kontrolliert, danach werde ich auf Metalle abgetastet und<br />

vor der Fluggastbrücke führen Lufthansa-Mitarbeiter an jedem Passagier eine Leibesvisitation<br />

durch.<br />

Der Flug ist dunkel. Ich sehe einen deutschen Film und versuche mich mental auf meine<br />

Rückkehr vorzubereiten. Ich freue mich auf zu Hause. Andererseits verlasse ich Südamerika<br />

sehr ungern.<br />

Nach einer extrem kurzen Nacht geht die Sonne einige tausend Kilometer weiter nordwestlich<br />

wieder auf. Wir befinden uns über dem Golf von Biscaya und nur kurze Zeit später sitze ich in<br />

einer Wartehalle im Frankfurter Flughafen. In Bolivien habe ich eine solche Distanz nicht einmal<br />

in zwei Wochen zurücklegen können...<br />

Die Menschen sind komisch. Besonders viele Frauen. Alle sprechen sie in einer so<br />

hochnäsigen aufdringlichen Stimme; eine Tonart, die in sie auch bei den Versuchen, Spanisch<br />

zu sprechen, sofort als Deutsche ausweist. Ich habe das Gefühl, in eine Gesellschaft voller<br />

unfreundlicher Menschen zurückgekehrt zu sein. Supjekive Wahrnehmung? Mein Sitznachbar<br />

im Flugzeug nach Hamburg ist wiederum ganz nett. Er kommt gerade aus Los Angeles, womit<br />

uns schon mal der Jetlag verbindet. Nach kurzem Flug überqueren wird bereits die Elbe. Dann<br />

die Marsch, Uetersen, mein zu Hause und viele andere Orte, die ich kenne. Es nieselt und es ist<br />

kalt.<br />

Typischer Hamburger Nieselregen.


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Home Sweet Home: Die Elbe im Nieselregen<br />

Das Terminal des Hamburger Flughafens ist kühl und extrem sauber. Langsam gehe ich zum<br />

Gepäckband und bestehe dort noch eine letzte Geduldsprobe: Eine meiner Fahrradtaschen<br />

fehlt. Nach einer Weile kommt sie auf dem Gepäckband nachgeschoben und die Welt ist wieder<br />

in Ordnung. Hauptsache meine Fotos sind dabei.<br />

Eigentlich wollte ich den restlichen Weg nach Hause mit dem Fahrrad fahren. Doch bei diesem<br />

Wetter? Ich habe seit 3 Monaten keinen solchen Regen mehr gesehen. Doch die Rettung steht<br />

gleich hinter den Zöllnern: Meine Mutter. Sichtlich bewegt nimmt sie mich in Empfang und<br />

wundert sich über die "vielen Haare" in meinem Gesicht. Die Reifen meines Fahrrades sind<br />

platt. Schlitternd ziehe ich es neben meiner Mutter durch den Regen. Sie drückt mir den<br />

Autoschlüssel in die Hand und fragt: "Willst Du fahren?"...<br />

...FIN<br />

Tag 83:<br />

Tag 84:<br />

- 89 -<br />

Caracas - ...<br />

... - Uetersen


Fazit<br />

FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Was habe ich mir vor dieser Reise unter Südamerika vorgestellt?<br />

Wir war das noch?... Dschungel, viele Mücken, Hitze, lange und unendlich<br />

erscheinende Landstriche...<br />

Und doch ist es ganz anders! Viel besser, schöner, einladender und<br />

abwechslungsreicher als ich es jemals erwartet hätte!<br />

Doch es gab nicht nur schöne Erfahrungen. Die Andersartigkeit der<br />

Menschen, die trockenen Wüsten, die hohen Berge, die eisigen<br />

Temperaturen, zahlreiche Mücken und tropische Hitze haben mich oftmals<br />

verzweifeln lassen - und doch waren diese Strapazen nichts gegen die<br />

Erfahrungen, die ich von dieser Reise mit nach Hause genommen habe.<br />

Eines ist sicher: Ich war bestimmt nicht das letzte Mal in Südamerika.<br />

Einmal mehr ist mir die Maxime aller Reiseradler bewusst geworden:<br />

- 90 -<br />

Der Weg ist das Ziel...


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Südamerika Übersicht<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Bolivien/Chile<br />

Legende:<br />

rot = per Fahrrad<br />

rot gepunktet = per Bus oder Jeep<br />

rot gestrichelt = per Flugzeug<br />

blau = per Boot<br />

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FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

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Perú<br />

Legende:<br />

rot = per Fahrrad<br />

rot gepunktet = per Bus oder Jeep<br />

rot gestrichelt = per Flugzeug<br />

blau = per Boot<br />

Venezuela


FietsPad.De – Traum Südamerika – <strong>Teil</strong> 2<br />

Kleine Statistik<br />

Zeitraum:<br />

vom 27. Mai bis zum 18. August 2003<br />

Winter in Chile/Bolivien/Perú<br />

Sommer/Regenzeit in Venezuela<br />

Hier ein paar Daten zur Reise:<br />

? Höchste Höhe mit dem Fahrrad 4.800 Meter, zu Fuß/Auto 5.495 Meter.<br />

? Die höchste Temperatur lag bei etwa 45°C, die Niedrigste bei unter -20°C<br />

? Maximale Wassertemperatur: 30°C (bei -20°C Außentemperatur...)<br />

? Der Tacho ging schon nach zwei Wochen kaputt, von daher habe ich kaum genauere Kilometerangaben.<br />

Niederschlag und Wind:<br />

? 1x leichter Nieselregen in Bolivien<br />

? sonst immer trocken in Chile, Bolivien und Perú! (unglaubliche Sichtweiten!)<br />

? 1 Tag Gegenwind in Chile<br />

? 1 Tag stürmischer Gegenwind in Bolivien<br />

? fast täglich Gewitter und Regen in Venezuela<br />

Krankheitstage:<br />

? 2 Tage Erschöpfung/Fieber + 4 Tage "Montezumas Rache" in Bolivien<br />

? 1 Tag leichter Hitzschlag in Venezuela<br />

? Nebenbei wochenlange blutige Verkrustung der Nasenschleimhäute und des Halses auf dem Altiplano<br />

(extrem trockene Luft)<br />

? 1-2 Tage leichtes Fieber in der Atacama<br />

(Anmerkung: das mag jetzt alles unglaublich schlimm klingen, in Anbetracht der Umstände ließ es sich - auf<br />

die gesamte Reisezeit verteilt - jedoch sehr gut ertragen)<br />

Defekte am Fahrrad:<br />

? Verbogene Gabel bei Unfall nach der Ankunft in Südamerika<br />

? Nur 3 platte Reifen! (an einem Tag!)<br />

? Schlag im Lowrider durch LanChile Fluggesellschaft<br />

? Abgebrochener Rückspiegel<br />

? Abgebrochener 1,5L Flaschenhalter<br />

verlorene/gestohlene(?) Gegenstände:<br />

? VauDe Regenjacke (gestohlen)<br />

? Kamerastativ<br />

? Fernauslöser für Kamera<br />

? CM 434 Fahrradcomputer (war auch besser so...)<br />

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