Verbotene und erlaubte Musik in der NS-Zeit

Verbotene und erlaubte Musik in der NS-Zeit
Carel ter Haar
Bei den Vorbereitungen für diesen Vortrag stellte sich heraus, das der Begriff ‚erlaubt‘, der im
Arbeitstitel enthalten ist, nur eine fast untergeordnete Rolle spielt. Erlaubt war im Bereich der
Musik, im Dritten Reich eigentlich alles, was konventionell, rückwärtsgewandt und nicht jüdisch war.
Verboten war um so mehr. Ich konzentriere mich auf die Düsseldorfer Reichsmusiktage von 1938
und zwar besonders auf die damit verbundene Ausstellung Entartete Musik, weil diese als
Bestandsaufnahme indirekt das damals Erreichte dokumentierte und gleichzeitig den Blick nach vorn
und den zurück ermöglicht. Die Wurzeln für die Entwicklungen nach 1933 liegen in den zwanziger
Jahren oder gar noch davor. Als Beispiel nenne ich Ihnen Franz Schreker. Einen weiteren Aspekt
bilden der alles beherrschende Antisemitismus und dessen Folgen nach 1933. Anschließend wende
ich mich der eigentlichen Ausstellung zu, gehe kurz auf deren Inhalt ein und konzentriere mich dann
auf einzelne Gestalten und zwar vor allem auf Paul Hindemith. Außerdem werde ich kurz auf Ernst
Krenek eingehen. Krenek vor allem war durch seine angebliche Jazzoper Jonny spielt auf zur
Negativfigur geworden. Sein Jonny schmückte als Karikatur das Begleitheft zur Ausstellung. Zum
Schluss möchte ich kurz auf die wenigen Äußerungen von Zivilcourage eingehen.
Die Reichsmusiktage 1938
Am 24. Mai 1938 eröffnete der Weimarer Staatsrat, ein Verehrer und Schüler des berüchtigten
antisemitischen und völkischen Literaturhistorikers Adolf Bartels, Dr. Hans Severus Ziegler mit
einem Grundsatzreferat in Düsseldorf die Ausstellung Entartete Musik. Der Titel des Referats lautete
– wie konnte es auch anders sein – Entartete Musik – Eine Abrechnung. Parallel zur Ausstellung
fanden die sogenannten Reichsmusiktage statt, die sich dem Thema Rasse und Musik widmeten. Ein
ganzes Aufgebot von damals prominenten Wissenschaftlern versuchten weniger, konstruktive
Zusammenhänge herzustellen, sondern erschöpften sich vielmehr in primitivstem Antisemitismus
und den dazugehörigen rassentheoretischen Überlegungen. Wenn man die Texte jetzt liest, ist es
1

unverständlich, dass derartige Inhalte als Wissenschaft verkauft werden konnten. Johannes Brahms
etwa, wird als ‚fälischer, bäuerlich-wuchtiger Verharrungsmenschen mit nordischen Charakter- und
Wesenszügen beschrieben. Lediglich der Musikwissenschaftler Friedrich Blume aus Kiel stellte auf
vorsichtige Art und Weise und indirekt die angeblich eindeutigen Zusammenhänge zwischen Rasse
und Musik in Frage, was er auch in seinem im selben Jahr erschienenen Buch Das Rassenproblem in
der Musik wiederholte. Blume ist ein sehr schönes Beispiel für passiven Widerstand, denn indem er
in seinem Vortrag und im Buch die Bedeutung der rassischen Grundlagen für die Entwicklung der
Musik relativierte, brachte er deren Wirkung sehr zum Ärger ihrer Befürworter um ihre Bedeutung.
Es muss ein Strich durch die Rechnung der Veranstalter gewesen sein.
Fünf Jahre nach der Bücherverbrennung sollte jetzt auch das Musikleben endgültig dem
Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Regimes unterworfen werden. Das war der eigentliche
Sinn dieser Reichsmusiktage. Wie viel Bedeutung man diesem Sachverhalt beimaß, zeigt sich daraus,
dass Josef Goebbels persönlich am 28. Mai 1938 nach Düsseldorf gekommen war um die Grundsätze
für das deutsche Musikschaffen zu verkünden und dass der international angesehene Komponist
und Dirigent Richard Strauss, der 1934 halbwegs in Ungnade gefallen war, weil er nicht auf den
jüdischen Schriftsteller Stefan Zweig als Librettisten verzichten wollte, als international bekanntes
Renommierobjekt bei der Eröffnung sein Festliches Präludium in der Düsseldorfer Tonhalle dirigieren
durfte und sich diese Chance auch nicht nehmen ließ.
Diese Ausstellung, die natürlich als Ergänzung und Fortsetzung der großen Kunstausstellung über
entartete Kunst in München im Jahr zuvor gedacht war, hatte wohl nur mäßigen Erfolg. Einerseits
wurden alle Ereignisse in jenen Tagen durch den Anschluss Österreichs und die damit
einhergehenden Feierlichkeiten verdrängt, andererseits war die Ausstellung bei weitem nicht so
spektakulär als jene über die moderne Kunst im Jahr davor und wird die Musik für das Publikum
auch nicht den selben Bedeutungsgehalt gehabt und über dieselbe Attraktivität verfügt haben. Zwar
berichteten die Zeitungen von einem großen Publikumsandrang. Fakt war, dass die Ausstellung am
18. Juni 1938 vorzeitig geschlossen wurde. Sie wanderte von Düsseldorf noch nach Wien, München
2

und Weimar 1 . Der Rekonstruktion der Ausstellung 50 Jahre später war mehr Erfolg beschieden. Sie
wurde in 40 Städten im In- und Ausland gezeigt, unter anderen in der Münchener Philharmonie im
Dezember 1988. Anders als bei der Ausstellung über entartete Kunst, die zum Inbegriff
nationalsozialistischer Kulturbarbarei wurde, hatte und hat diese Ausstellung über die Musik und das
Musikleben der Nazizeit kaum Spuren hinterlassen. Im Vorwort zum Ausstellungskatalog von 1988
heißt es sogar, dass bei der Suche die „Spuren im Sande zu verlaufen drohten“ 2 . Dies ist
charakteristisch für die Verdrängungsmechanismen, die nach 1945 die öffentliche Meinung
beherrschten, nicht nur im Bereich der Musikwissenschaft oder des musikalischen Lebens, sondern
auch etwa im Bereich der Exilliteratur. Im letzteren Fall fing die ernsthafte Auseinandersetzung auch
erst nach etwa 1960 an, im Bereich der Musik dauerte es noch länger. Die Zeit des Dritten Reiches
wurde kaum hinterfragt. Die moderne Musik war sowieso ein kleines Gebiet, das seit jeher nur mit
beschränktem Publikumsinteresse rechnen konnte und deren Akzeptanz ja immer zwiespältig
gewesen war. Für den gesamten Musikbetrieb bedeutete dies, dass die Komponisten- und
Künstlerkarrieren nach 1945 ungehindert fortgesetzt werden konnten. Dabei muss gerechterweise
angemerkt werden, dass es nur ganz wenige und dann eher unbedeutende ausgeprägte
Nationalsozialisten, die sich als solche auch profilierten, in der damaligen Musikwelt gegeben hat.
Ängstlichkeit und Opportunismus dominierten wohl und zwar nicht zuletzt, um die eigene Karriere
nicht aufs Spiel zu setzen und damit die eigene Existenz zu gefährden. Das galt allerdings nicht für die
jüdischen Beteiligten in diesem Bereich. Sie waren wie die Schriftsteller oder die Kollegen in den
bildenden Künstlern von vorneherein chancenlos. Um zu überleben mussten sie emigrieren, das galt
auch für ihre nichtjüdischen Kollegen, die politisch in Ungnade gefallen waren. Aber das stellte sich
erst später heraus. In der Musikwissenschaft war es wenig anders, die kompromittierenden Aufsätze
und Bücher der NS-Zeit verschwanden aus den Schriftenverzeichnissen. Man könnte sagen: Der
Nationalsozialismus hatte nicht oder kaum stattgefunden. Die kritische Auseinandersetzung mit
dieser Zeit hat lange auf sich warten müssen. Den Anfang machte wohl Joseph Wulf mit seiner
1 Vgl. Albrecht Dümling und Peter Girth, Entartete Musik. Zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938. Düsseldorf
²1989.
2 Ebenda, S. 5.
3

fünfbändigen Dokumentation Kultur im dritten Reich Anfang der sechziger Jahre, in der auch ein
Band der Musik gewidmet ist, 1982 nannte Fred K. Prieberg , der sich um diese Thematik sehr
verdient gemacht hat, in seiner Dokumentation Musik im NS-Staat nicht nur die Namen der
Beteiligten, sondern ging auch auf ihre meistens erfolgreiche Nachkriegskarrieren ein. Diese Bücher
erzielten, ebenso wie die eingangs erwähnte Ausstellung jedenfalls eine gewisse Breitenwirkung.
Auch im Bereich der Fachwissenschaft hat sich inzwischen Einiges getan.
Für das ‚Totschweigen‘ möchte ich Ihnen zwei Beispiele geben: In der ersten Auflage des
angesehenen Lexikons Die Musik in Geschichte und Gegenwart , das von 1949 bis 1986 erschienen
ist, kommt der Begriff Entartete Musik nur ein einziges Mal vor und zwar nicht im Zusammenhang
mit dem Dritten Reich, sondern im Artikel über evangelische Kirchenmusik, wo es von Martin Luther
heißt, dass es für ihn „keine »weltl.« Musik im strengen Sinne“ gebe, „sondern allenfalls eine durch
schlüpfrige Texte (gegen ihre eigentliche Natur) entartete Musik“ 3 . Ähnlich verhält es sich mit dem
Wort Nationalsozialismus, das in den über 9000 Seiten dieser Auflage nur 16 Mal vorkommt. Es wird
eigentlich nur in ganz neutralem Sinn als Epochenbezeichnung verwendet, von einer kritischen
Stellungnahme oder gar Verurteilung der Musikpoloitik kann nicht die Rede sein. Die zweite Auflage
ist zum Glück deutlich differenzierter. Es sind nur zwei Beispiele aus vielen, die meisten Musikbücher
wie etwa Konzert- oder Opernführer konnten mit kleinen Retuschen neu aufgelegt werden und
fanden ihre Verbreitung nicht nur im Buchhandel, sondern auch in den für die Rezeption wichtige
Buchklubs und Buchgemeinschaften. Es dürfte auch wohl die bequemste Lösung gewesen sein, die
übrigens auch in der ersten Nachkriegsauflage des Großen Brockhaus praktiziert wurde und wohl
nicht nur dort. Für die Bewusstseinsbildung hatte das verheerende Folgen. Auch hier ein Beispiel: Im
in den fünfziger und sechziger Jahren weitverbreiteten Opern- und Operettenführer von Hans
Schnoor heißt es zu den Opern von Franz Schreker (1878-1934), die in den zwanziger Jahren sowohl
sehr erfolgreich als auch skandalträchtig waren und der als Kompositionslehrer maßgeblichen
3 [Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Kirchenmusik. Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 41354.Digitale
Bibliothek
(vgl. MGG Bd. 16, S. 953) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
4

Einfluss auf die damalige junge Generation ausübte: - ich zitiere – Schreker beutete die Psychoanalyse
aus, um seine kolportagehaften, schwül-erotischen Textbücher, deren Verfasser er selbst war,
modernistisch interessant zu gestalten. 4
Franz Schreker
Franz Schreker starb am 21. März 1934 an den Folgen eines Herzanfalls im Dezember 1933 und hat
das Dritte Reich nicht mit erleben müssen, aber man kann ihn durchaus als eines der ersten Opfer
betrachten. Bei Schreker steht der Klang im Mittelpunkt, weniger die Melodik oder die thematische
Arbeit, wobei es ihm gelang eine große Suggestivität zu erreichen, die auch bei den Zeitgenossen gut
ankam, gleichzeitig aber wütende Reaktionen auslöste. Durch den Erfolg seiner Opern Der ferne
Klang, die 1912 in Frankfurt am Main uraufgeführt wurde, Die Gezeichneten (Uraufführung 1918)
und Der Schatzgräber (Uraufführung 1920) gehörte Schreker zu Beginn des Jahrhunderts zusammen
mit Richard Strauß zu den wichtigsten deutschsprachigen Musikdramatikern 5 . Danach ließ der Erfolg
nach, nicht zuletzt auch deswegen, weil Schreker nach seiner Berufung als Direktor der Berliner
Musikhochschule 1920 immer stärker antisemitischen Angriffen ausgesetzt war, die sich lähmend auf
sein kompositorisches Schaffen 6 auswirkten. 1932 musste er unter politischem Druck seine an und für
sich unkündbare Direktorenstelle an der Musikhochschule in Berlin aufgeben. Er übernahm dann
eine Kompositionsklasse an der Preußischen Akademie der Künste, aus der er 1933 nach der
nationalsozialistischen Machtergreifung entfernt wurde. Schrekers Versuche, noch zu retten, was zu
retten war, nachdem er durch die Kündigungen und das Wegfallen der Tantiemen für seine Werke,
die nicht mehr aufgeführt werden durften, nicht nur vor dem beruflichen, sondern auch vor dem
wirtschaftlichen Ruin stand, sind auch jetzt noch erschütternde Dokumente, welche die
zerstörerischen Wirkungen der damaligen politischen Verhältnisse zeigen 7 . In seinem Brief an den
Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste, den durch die Oper Mona Lisa bekannt
gewordenen Komponisten Max von Schillings (1868-1933), der ihm wohlgesonnen war, schreibt
4
Zitiert nach dem Begleitheft zur CD-Ausgab der Oper Die Gezeichneten, S. 42 (1995).
5
Martin Demmler, Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts. Stuttgart 1999, S. 423.
6
Ebenda, S. 425.
7
Vgl. Begleitheft zur CD-Ausgabe, S. 21ff und Joseph Wulf, Kultur im Dritten Reich. Musik. Berlin 1989, S. 46ff.
5

Schreker im Hinblick auf seine Abstammung, dass die Mutter aus einem aristokratischen Geschlecht
stammte und dass der Vater wahrscheinlich … jüdischer Abstammung 8 war. Damit erledigte er sich
selber. Schreker blieb auch nach seinem Tod für die nationalsozialistische Musikpublizistik ein rotes
Tuch. Sein Name taucht ständig auf. 1938 heißt es in einem Rückblick Aufbau und Kultur seit 1933 im
Maiheft der Zeitschrift Die Musik: Nicht minder wirkten sich der jüdisch-destruktive Geist und die
rassische Überfremdung und Verbastadierung im Musikleben des deutschen Volkes aus. Im
Preußischen Ministerium saß der jüdische Kantorensohn Leo Kestenberg und leitete von da aus
gleichzeitig das Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht. Daß er einseitig und bewusst
Rassengenossen und Parteigänger besonders förderte, ist für den, der die Mentalität der jüdischen
Rasse kennt, nicht verwunderlich. Die Leitung der Staatlichen Hochschule für Musik lag in den Händen
des Rassemischlings Franz Schreker, der mit seinen überspannten und perversen Opern die Volksseele
vergiftete. An dem von ihm geleiteten Institut unterrichtete der vom Kaufmann zur Musik
hinübergewechselte Jude Arnold Schönberg, der in seiner Musik alle Gesetze funktionsharmonischer
Logik sowie alle Gestaltungsprinzipien leugnete. 9 Bis soweit dieses Beispiel für das Niveau, wie in
einer ursprünglich seriösen Zeitschrift wie Die Musik die Auseinandersetzung geführt wurde. Das
Blatt war 1922 als Musikzeitschrift gegründet worden, wurde dann von den Nationalsozialisten
übernommen und war dann seit 1933/34 offizielles Mitteilungsblatt der Reichsjugendführung, Abt.
Schulung und seit 1937/38 Organ der Hauptstelle Musik beim Beauftragten des Führers für die
Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP 10 .
Was Sie eben gehört haben, war also die offizielle Parteilinie.
Antisemitismus und Kulturbolschewismus
Zwei Aspekte, denke ich, fallen auf: Erstens die Vehemenz und die Kompromisslosigkeit, mit denen
schon seit den frühen Zwanziger Jahren der Kampf von rechts, besonders der völkischen Bewegung
8 Wulf, Musik, S.48.
9 Wulf, Musik, S. 414.
10 Vgl. [Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Zeitschriften. Musik in Geschichte und Gegenwart, (vgl. MGG
Bd. 14, S. 1079) (c) Bärenreiter-Verlag 1986] . Das Blatt bestand bis 1943 und wurde dann unter dem Titel
Musik im Kriege mit drei anderen Musikzeitschriften zusammengelegt (vgl. ebenda).
6

gegen die moderne Kunst geführt wurde, so dass es den Nationalsozialisten relativ leicht fiel, ihre
kunstpolitischen Ziele zu realisieren und zweitens der alles beherrschende Antisemitismus, der zur
schnellen Ausgrenzung des jüdischen Bevölkerungsteils aus dem kulturellen und damit auch
musikalischen Leben führte. Aber es gab noch mehr ‚zersetzende‘ Elemente, um die Begrifflichkeit
jener Zeit aufzugreifen. Der Antisemitismus deckte nicht alles ab. Ein zweites Schlagwort, auch schon
während der Zwanziger Jahre, war Kulturbolschewismus, womit vor allem die Zerstörung der
bürgerlich konservativen Kultur durch die Linke gemeint war und die nach der Etablierung der
Sowjetunion wohl als ernsthafte Bedrohung dieser etablierten bürgerlichen ‚Kultur‘ erfahren wurde.
Im Gegensatz zur Eindeutigkeit des Antisemitismus handelte es sich eher um einen schillernden
Begriff, unter dem alles was modern war oder sich progressiv nannte, und damit in den Augen vieler
links war, zusammengefasst wurde. Der durch die Internationalität der Arbeiterbewegung – auch die
Anhänger der SPD galten in breiten Kreisen als ‚vaterlandslose Gesellen‘ - bedrohlich erscheinende
Bolschewismus ließ sich dann als Grenzen überschreitende Bewegung leicht mit den angeblich vom
Weltjudentum ausgehenden Gefahren verbinden und so waren die vom NS-Regime Verfolgten
meistens beides.
Letztlich ging es nach dem Schock über den verlorenen Weltkrieg von 1914 bis 1918 und den sich
anschließenden Folgen um die sicherlich auch auf einer Verunsicherung beruhende Verweigerung
des Neuen, die sich von radikalen Kräften nur all zu leicht ausnutzen ließ. Selbstverständlich wurden
den Vertretern der Moderne nur zu gerne beide Etiketten aufgeklebt. Der Dirigent Otto Klemperer,
der zwischen 1924 und 1929 mit großem Erfolg in der Sowjetunion dirigiert hatte 11 ist ein Beispiel
dafür. Schon die Auftritte in der Sowjetunion reichten aus, ihn zum Kulturbolschewisten zu machen.
Ob das dann auch zutraf, war ziemlich gleichgültig, die Behauptung allein reichte schon. Sie
verselbständigte sich, fing ein Eigenleben an und konnte dann entsprechend weiter verwendet
werden. Die Zwanziger Jahre waren reich an meistens vorbereiteten, man könnte sagen vor allem
von der Rechten inszenierten, Theater- also auch Opernskandalen, die überall ihre giftigen Spuren
11 Vgl. Peter Heyworth, Otto Klemperer. His Life and Times. Volume I, 1885-1933. Cambridge u.a. 1983, S. 213ff.
7

hinterließen. Die Nationalsozialisten konnten nur zu leicht auf die Ressentiments von Teilen des
Bürgertums zurückgreifen und nutzten dies auch aus.
Die Eliminierung unerwünschter Elemente wurde nach der Machtergreifung in allen Bereichen der
Literatur, Kunst und Musik mit großer Energie durchgeführt. Nicht nur wurden jüdischen oder
anderen missliebigen Künstlern durch Störaktionen oder örtlichen Verbote das Auftreten unmöglich
gemacht, viel schwerwiegender war die Erfassung der Kunstschaffenden in den sogenannten
Kulturkammern, in die dann die bestehenden Berufsverbände eingegliedert, man kann besser sagen,
gleichgeschaltet wurden. Die Nationalsozialisten verstanden sich nicht als politische, sondern auch
kulturelle Bewegung, die das gesamte Volkswesen, also auch die Kultur umfassen sollte. Wichtige
Vorarbeit zu der damit einhergehenden und praktizierten‚ rückwärts gewandten
Kunstabwehrgesinnung, die unter den Bedingungen eines demokratisch verfassten Staates ihre
Erfolge hatte, aber keine durchschlagende Wirkung erzielen konnte 12 hatte der von Alfred Rosenberg
initiierte, am 19. Dezember 1928 gegründete Kampfbund für deutsche Kultur 13 geleistet. Aus diesem
Bund sind viele Funktionäre hervorgegangen, die sich nach 1933 für Säuberung und Gleichschaltung
eingesetzt haben. Freilich war es nicht nur Alfred Rosenberg, der mit seinem Amt für
Weltanschauungsfragen die Kunst- und Kulturpolitik der Nationalsozialisten bestimmte. Josef
Goebbels, der durchaus um die repräsentative Funktion der Kunst wusste und ihre Bedeutung als
Propagandamittel hoch einschätzte, sicherte sich auch seine Einflussbereiche: Die Berliner
Opernhäuser, die Berliner Philharmoniker und Bayreuth waren ihm ebenso unterstellt wie die ganze
Regulierung des Kunst- und Kulturbetriebs. Wenn ihm etwas nicht passte, griff er sofort ein, wie die
Beispiele Richard Strauß und Wilhelm Furtwängler zeigen sollten. Aber auch das
Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 stand unter der Ägide des von Goebbels
geleiteten Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda.
Die Gleichschaltung der Musik erfolgte durch die Gründung der Reichsmusikkammer, die einerseits
Interessenvertretung der Musiker und Komponisten sein sollte, andererseits sich durch die
12 Ernst Piper, Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München 2005, S. 274
13 Vgl. ebenda, S. 259ff.
8

verpflichtete Erfassung aller Musikschaffenden – für die anderen Kunstdisziplinen war das übrigens
genau so - zu einem effektiven Kontrollorgan wurde. Die Mitgliedschaft war Pflicht, sonst gab es
Berufsverbot. Um Mitglied werden zu können, war der Ariernachweis erforderlich und damit waren
die jüdischen Künstler ausgegrenzt, sie durften nicht mehr auftreten, aber auch keinen Unterricht an
Nichtjuden geben. Die Frage stellt sich, wohin mit all diesen Menschen, denen ihre
Existenzgrundlagen genommen wurden. Nur die wenigsten und dann vor allem die bekannten und
berühmten waren in der Lage, zu emigrieren. Zunächst ging man von jüdischer Seite zur Selbsthilfe
über. Im Juli 1933 wurde von Kurt Baumann und Kurt Singer, dem ehemaligen Intendanten der
Charlottenburger Oper der Kulturbund Deutscher Juden gegründet. Das Wort ‚Deutsch‘ musste schon
bald entfernt werden. Jüdisch und Deutsch passten in den Augen der Machthaber nicht zusammen.
Es war, zwar unfreiwillig, ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Ghettoisierung, weshalb die Gründung
auch wohl von den Nationalsozialisten geduldet wurde. Dieser Kulturbund fand großen Zuspruch.
Sie finanzierte sich mit Mitgliedsbeiträgen, von denen dann Inszenierungen oder Konzerte finanziert
werden konnten. Alle Aufführungen waren der Zensur des Propagandaministeriums unterworfen, die
Veranstaltungen wurden von der Gestapo überwacht. Es lag im Interesse des
Propagandaministeriums, dass der jüdische Charakter des Programms hervorgehoben wurde,
weshalb bestimmte als sehr deutsch betrachtete Werke nicht aufgeführt werden durften. Nichtjuden
war der Zutritt zu den Veranstaltungen untersagt. Die Initiative war besonders auch in Berlin sehr
erfolgreich, 1935 verfügte man über 70000 Mitglieder in 36 Städten oder regionalen Verbänden, bis
zum August 1935 wurden diese gezwungen, sich zum Reichsverband jüdischer Kulturbunde in
Deutschland zusammen zu schließen, der dem Propagandaministerium unterstand und wobei der
aus dem Kampfbund hervorgegangene Hans Hinkel (1900-1960) federführend war. Nach den
Pogromen im November 1938 wurden der Bund aufgehoben, nur in Berlin veranlasste Goebbels aus
propagandistischen Gründen eine Wiedereröffnung. 1941 wurden die Reste des Kulturbundes von
der Gestapo aufgelöst. Es gab, es klingt makaber, aber ist die einfache Wahrheit, es gab auch gar kein
Publikum mehr… Der Mitbegründer Kurt Singer kehrte nach einer USA-Reise, wo er um Mittel für
seinen Kulturbund geworben hatte, 1938 nicht mehr nach Deutschland zurück, sondern blieb in
9

Amsterdam. Im April 1943 wurde er von dort aus deportiert und starb 1944 an Entkraftung und
Lungenentzündung in Theresienstadt 14 .
Ein weiterer Beitrag zur geistigen Gleichschaltung schließlich lieferte das von Goebbels verhängte
Verbot der Kunst- und damit auch der Musikkritik im November 1936. Kunstkritik galt u.a. als
Ausdruck jüdischer Kunstüberfremdung und verstieß gegen die weltanschauliche Vereinheitlichung,
die jeden Ausdruck von Individualität unmöglich machen sollte. 15 An ihre Stelle sollte die
Kunstbetrachtung treten. Auch hier ging es darum, jede oppositionelle oder nichtlinientreue Stimme
zum Schweigen zu bringen. Unabhängige Meinungsäußerungen waren nicht erwünscht. Der einzige,
der Kunstkritik üben durfte, war Adolf Hitler.
Bis so weit einige Bemerkungen zu Gründen und Auswirkungen der Entwicklungen, die für das
heutige Thema relevant sind. Kehren wir jetzt wieder zur eingangs erwähnten Ausstellung zurück.
Die Ausstellung entartete Musik
Die Ausstellung war im wesentlichen die Arbeit von Hans Severus Ziegler, damals Generalintendant
des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, der schon seit 1930, als die Nationalsozialisten sich an
der Thüringer Landesregierung beteiligten, Erfahrungen mit nationalsozialistischer Kulturpolitik
hatte machen können. Auch er entstammt dem schon öfters genannten Kampfbund für deutsche
Kultur . Als kurzer Hinweis nur dies: Das Bauhaus war als Gestaltungs- und Architekturhochschule
ursprünglich 1919 in Weimar gegründet worden, 1924 erhielt Thüringen eine Rechtsregierung,
welche die Mittel für die Einrichtung um 50% kürzte. Man sah sich nach einem anderen Standort um
und wählte Dessau, wo politisch günstigere Verhältnisse herrschten. Als 1931 die NSDAP die
Gemeinderatswahlen in Dessau gewonnen hatte, war ein weiterer Umzug notwendig, jetzt nach
Berlin 1932. Eine der aufsehenerregendsten Taten der damaligen Thüringischen Landesregierung war
die Übertünchung von Oskar Schlemmers Wandmalereien im Bauhaus Gebäude 1932. Das war das
14 Zu Kurt Singer vgl. Musikwissenschaftliches Institut der Universität Hamburg, Lexikon verfolgter Musiker und
Musikerinnen der NS-Zeit. Stichwort Kurt Singer von Sophie Fetthauer (2006 bzw. 2008). Zum Kulturbund:
Herbert Freeden, Jüdisches Theater in Nazideutschland. Tübingen sowie den Abschnitt ‚Kulturelles Leben‘ in:
Brita Eckert u.a., Die jüdische Emigration aus Deutschland. Die Geschichte einer Austreibung. Frankfurt am Main
1985, S. 107ff.
15 Vgl. Joseph Wulf, Musik, S. 181ff.
10

geistige Klima, dem Herr Ziegler entstammte. Er verfasste auch den Text des Begleitheftes, das unter
dem gleichen Titel erschien . Ziegler lässt in seiner Darstellung , die gleichzeitig eine Einführung in
die Ausstellung sein soll, eigentlich alles Revue passieren, was in den zwanziger Jahren im Bereich der
Kunst modern war oder als modern galt und was in den Augen der Rechten Auswüchse darstellte.
Man kann den Gesamttenor des ganzen Textes im Klischee ‚Die Juden sind an allem Schuld‘
zusammenfassen, denn Zieglers Ausführungen sind vor allem eine antisemitische Hetzschrift
übelster Art 16 .
Was zeigte die Ausstellung? Sie war vom Umfang her eher bescheiden. Unter der Überschrift
Jüdisches Theater von einst wurde die Aufmerksamkeit auf die Unterhaltungsmusik, besonders den
Jazz und die Operette gelenkt . Es wird auf die bekanntesten, jüdischen Operettenkomponisten wie
Paul Abraham, Leo Fall, Oscar Strauß und andere hingewiesen. Bilder von u.a. dem Tenor Richard
Tauber und dem Komponisten Ernst Krenek werden gezeigt. Es wird mit den Gemälden Jazzband von
Carl Hofer und Musikalische Komödie von Paul Klee ein Zusammenhang mit der ‚entarteten Kunst‘
hergestellt. Ein Zitat vom Komponisten Hans Pfitzner rundet das Ganze ab: „Jazz ist Gemeinheit,
Atonalität ist Irrsinn“. Dann wird ausführlich auf die musikalische Erziehung im weitesten Sinne
eingegangen. Die Polemik oder besser gesagt die Verunglimpfungen konzentrieren sich auf
Musikbetrieb, Erziehung, Theaterwissenschaft und Presse in der Ära Kestenberg . Der Sozialdemokrat
Leo Kestenberg (1882-1962) hatte als Angehöriger des Preußischen Kultusministeriums wichtige
Neuerungen im Bereich der Musikerziehung eingeleitet oder wie es im 7. Band vom MGG heißt:
„Alle gegenwärtigen Reformbestrebungen auf dem Gebiet der Musikerziehung gründen in seinem
Werk.“ 17 Für die Nationalsozialisten freilich war Kestenberg ein rotes Tuch, ihm wurde „liberalistische
Musikerziehung“ und damit Verderbnis der deutschen Jugend vorgeworfen. Ein anderer Name, der
hier begegnet ist Paul Hindemith (1895-1963). Dieser hatte sich als Komponist auch für die
Kestenbergschen Reformen engagiert , abgebildet ist die Partitur seiner auch jetzt noch sehr
16 Der Text ist integral enthalten in: Katalog, S. 128ff.
17 [Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Kestenberg (Familie). Musik in Geschichte und Gegenwart, (vgl.
MGG Bd. 07, S. 865) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
11

hörenswerten Kinderoper Wir bauen eine Stadt von 1930. Über der Unterschrift Auflösung nicht nur
in der Musik, sondern auch im Bühnenbild findet sich neben Fotos von durch Expressionismus und
Neue Sachlichkeit geprägten Bühnenbildern ein Foto von Otto Klemperer mit folgendem
Kommentar: Der Jude Otto Klemperer führte als ‚Generalmusikdirektor‘ der Kroll-Oper in Berlin die
Generalattacken gegen Richard Wagner. Seine Inszenierung des ‚Fliegenden Holländer‘ wurde zu
einem der größten Theaterskandale der Systemzeit. Als er am ‚Platz der Republik‘ abgewirtschaftet
hatte, setzte er noch in der Staatsoper ‚Unter den Linden‘ sein zersetzendes Treiben mit einer ebenso
berüchtigten ‚Tannhäuser‘-Inszenierung fort. Der Schlusssatz dieses Kommentars enthält eine
unfreiwillige, weil ironisch gemeinte Wahrheit. Sie lautet: Klemperer ist nach der Machtübernahme
in die Vereinigten Staaten emigriert. Dort lässt er sich als ‚Märtyrer‘ und ‚Opfer der deutschen
Barbarei‘ feiern 18 . Klemperer war von 1927 bis 1931 Leiter der Krolloper in Berlin und erregte großen
Ärger mit zahlreichen Premieren zeitgenössischer Opern und bahnbrechenden Inszenierungen von
u.a. Beethovens Fidelio oder Wagners Tannhäuser bei den damaligen Rechten, die nichts von
diesem Kulturbolschewismus wissen wollten. Es gelang ihm im April 1933, rechtzeitig Deutschland
zu verlassen und in die USA zu emigrieren, wo er von 1934 bis 1938 das Los Angeles Philharmonic
Orchestra dirigierte. Auch an Klemperer kann man sehen, wie schwer es nach 1945 für einen
Emigranten war, in Deutschland Fuß zu fassen. Er hat hier besonders in den fünfziger Jahren oft
dirigiert, eine feste Dirigentenstelle gab es für ihn nicht.
Weiter findet man unter dem Titel Entartung im Musikschaffen die Namen von Arnold Schönberg,
Franz Schreker, der hier als Magnus Hirschfeld unter den Opernkomponisten bezeichnet wird,
wieder Paul Hindemith, Kurt Weill, Anton Webern, Igor Strawinski und Alban Berg, geschmückt mit
der Überschrift Wer von den Juden ißt, stirbt daran. Weiter begegnen die Namen von Ernst Toch
(1887-1964), vom Musikschriftsteller und -kritiker Adolf Weißmann, von den Zeitschriften Melos und
Anbruch, die sich für die Moderne engagiert hatten. Am Schluss der ‚Abrechnung‘ erscheint noch
einmal Paul Hindemith, diesmal im Zusammenhang mit seiner Zusammenarbeit mit Bert Brecht 1929.
18 Vgl. Katalog, S. XI
12

Es fällt auf, wie schmal die Basis dieser Ausstellung ist, zumal einige Namen wie der von Paul
Hindemith oder Arnold Schönberg öfters genannt werden. Im Grunde wurde direkt auf die
avantgardistische Prominenz der als ‚Systemzeit‘ bezeichneten Zwanziger Jahre zurückgegriffen und
wurden die damals schon von rechts angezettelten Skandale neu aufgefrischt. Sie wurde als jüdisch
und kulturbolschewistisch diffamiert. Über nicht mehr lebende jüdische Komponisten wie Felix
Mendelssohn, Gustav Mahler oder Jaques Offenbach wurde kein Wort verloren. Die gab es wohl
einfach nicht mehr. Zieglers Beschimpfungen, denn anders kann man seine Ausführungen nicht
bezeichnen, suggerieren eine Einheit , die es in Wirklichkeit nicht und nie gegeben hat innerhalb der
damaligen Avantgarde. Aber auf die Wahrheit kam es auch nicht an. Es ging vor allem darum, die
Bedrohung und die Unterwanderung des Deutschen durch einen jüdisch-bolschewistischen Block zu
suggerieren. Paul Hindemith etwa, war kein Jude, aber Ziegler lässt sich am Ende seiner Abrechnung
die Chance nicht nehmen, auf dessen jüdische Frau hinzuweisen. Arnold Schönberg war durch und
durch bürgerlich und wollte von den politischen Experimenten seiner Schüler Kurt Weil oder Paul
Dessau nichts wissen. Es war Adolf Weißmann, der Schönbergs Variationen für Orchester Opus 31
nach der Uraufführung durch das Berliner Philharmonische Orchester unter Wilhelm Furtwängler am
2.Dezember 1928 als Unmusik bezeichnete 19 . Das alles spielte für Herrn Ziegler keine Rolle, ihm ging
es vor allem darum, seinen Lesern die Verschwörung des Weltjudentums gegen das Deutschtum
plausibel zu machen. Für Differenzierungen gab es da keinen Platz, da war er voll im Einklang mit
seinem Lehrer Adolf Bartels.
Paul Hindemith
Paul Hindemith konnte man keine jüdische Herkunft vorwerfen, aber Hindemith hatte sich in den
zwanziger Jahren aktiv für die von Leo Kestenberg angeregten Neuerungen in der Musikerziehung
eingesetzt und sie durch eigene Kompositionen, wie die bereits genannte Kinderoper Wir bauen eine
Stadt oder auch pfiffige Kinderlieder unterstützt. Spielbarkeit stand für ihn im Mittelpunkt. Daneben
war er offen für die neuen musikalischen Anregungen, die mit dem Jazz nach Europa gekommen
19 Vgl. Constantin Floros im Programmheft der Berliner Philharmoniker, Nr. 7, September 2005.
13

waren. Schon in seiner 1922 komponierten Suite für Klavier, Opus 26 hatte sich Hindemith der neuen
Anregungen bedient. Drei der fünf Teile sind mit amerikanischen Namen bezeichnet: Shimmy,
Boston und Ragtime, die ebenso wie der als Marsch bezeichnete erste Teil parodistische Züge
aufweisen, die sich durch die Gesamtbezeichnung Suite, die ihrerseits dem Barock entstammt,
bestätigen. In einem Kommentar zur Aufführungspraxis des Ragtime schrieb der damals 27 Jahre alte
Komponist zur Bestätigung des provokativen Charakters: Nimm keine Rücksichten auf das, was Du in
der Klavierstunde gelernt hast ... Spiele dieses Stück sehr wild, aber stets sehr stramm im Rhythmus,
wie eine Maschine. Betrachte das Klavier als eine interessante Art Schlagzeug… 20 Diese Bemerkung
sollte in den darauffolgenden Jahren öfters gegen ihn verwendet werden. Paul Hindemith gehörte zu
den exponiertesten Gestalten der musikalischen Moderne in den zwanziger Jahren. Nicht nur war er
als Komponist produktiv, sondern er engagierte sich auch für die Donaueschinger Musiktage, in
denen die moderne Musik im Mittelpunkt stand, an deren Programmgestaltung er sich aktiv
beteiligte. Sein Liedschaffen weist eine große Vertrautheit mit der expressionistischen Dichtung auf
und er setzte sich kritisch-ironisch mit der damaligen traditionellen Musikpraxis auseinander, wie in
Minimax. ‚Repertorium für Militärmusik‘ für Streichquartett oder die Ouvertüre zum fliegenden
Holländer, wie sie eine schlechte Kurkappelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt. 21 Er machte
also auch nicht vor Wagner Halt und wurde seinem Ruf als Bürgerschreck 22 auf mancherlei Art
gerecht. 1926 wurde seine erste große Oper Cardillac uraufgeführt. 1927 wurde er als
Kompositionslehrer an der Berliner Hochschule für Musik berufen. Im Lauf der zwanziger Jahre hatte
sich Hindemith als Mitglied des Amar-Quartetts zu einem der führenden Bratschisten seiner Zeit
entwickelt. Seine Zusammenarbeit mit Simon Goldberg und Emanuel Feuerbach, aus der einige
Ikonen der Schallplattengeschichte hervorgegangen sind, brachte ihm den Vorwurf ein
judenfreundlich zu sein. Im April 1933 wurde die Hälfte seiner Werke als kulturbolschewistisch
verboten, 1936 folgte der Rest. Die Ausstellung von 1938 war nur eine Bestätigung. Seit etwa 1933
arbeitete Hindemith an einer neuen Oper, Mathis der Maler, in der er weitgehend auf die bisherigen
20 Zitiert nach Beiheft CD, Ivo Jansen, S.11.(Globe)
21 Demmler, Hindemith, S. 177.
22 Demmler, Hindemith, S. 177.
14

provozierenden oder befremdlichen Elemente verzichtet. Teile des Werkes fügte Hindemith zur
dreiteiligen Mathis-Sinfonie zusammen. Wilhelm Furtwängler, der schon im April 1933 in einem
Brief an Goebbels gegen die wahllose Verfolgung und Diskriminierung jüdischer und missliebiger
Künstler protestiert hatte, 23 nahm sich dieses Werkes an und dirigierte die Berliner Uraufführung im
März 1934, die sich zu einem demonstrativen Triumph für Hindemith gestaltete. Auch in anderen
Orten wurde die Sinfonie aufgeführt. Obwohl von einem Skandal nicht die Rede sein konnte, fing die
Nazipresse an, sich auf Hindemith einzuschießen. Dies veranlasste Furtwängler zu einer
Stellungnahme in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 25. November 1934, in der er für
Hindemith Partei ergriff 24 . Jetzt war der Skandal da. Die Zeitung musste nachgedruckt werden und
Furtwängler wurde am selben Tag bei einer Generalprobe mit einem zwanzig Minuten dauernden
Applaus empfangen. Abends, als er Tristan und Isolde dirigierte, wiederholte sich dies, obwohl
Goebbels und Goering sich in ihren Logen befanden. Da war für Goebbels deutlich, dass eingegriffen
werden musste. Bei einer großen Kundgebung im Sportpalast wenige Tage später ging er ausführlich
auf den Fall Hindemith ein und erteilte jedem Entgegenkommen eine Absage: Wir verwahren uns auf
das energischste dagegen, diesen Künstlertypus als deutsch angesprochen zu sehen, und buchen die
Tatsache seines blutsmäßig rein germanischen Ursprungs nur als drastischsten Beweis dafür, wie tief
sich die jüdisch-intellektualistische Infizierung bereits in unserem eigenen Volkskörper festgefressen
hatte 25 Wenige Tage davor hatte Wilhelm Furtwängler seine Ämter als Vizepräsidenten der
Reichsmusikkammer, als Leiter des Berliner Philharmonischen Orchesters und als Direktor der
Berliner Staatsoper niedergelegt. Knapp drei Monate später, erklärte Furtwängler nach einer
Unterredung mit Goebbels, dass er mit seiner Stellungnahme für Hindemith rein musikalisch
gehandelt habe und es nicht in ihm aufgekommen sei, damit die Reichskunstpolitik in Frage zu
stellen. Mir scheint, dass es sich hier um eine charakteristische Konstellation handelt: Unbeugsam in
Sachen Musik oder in den musikalischen Wertvorstellungen, schwankend und unsicher wenn es sich
um die politischen Realitäten handelt. Da galt es sich zu arrangieren. Furtwängler war ein
23 Vgl. Wulf, S. 86f.
24 Wulf, Musik, S. 373ff.
25 Wulf, Musik, S. 378.
15

weltberühmter Dirigent, auf dessen Renommee das Regime nicht verzichten konnte und wollte. Der
Verlust seiner Ämter und Ehrenämter war aber ein Warnschuss, der nicht überhört werden konnte.
Ähnlich erging es Richard Strauß, der 1933 zum Präsidenten der Reichsmusikkammer ernannt wurde
und der weder auf seinen (jüdischen) Librettisten Stefan Zweig verzichten noch ihn verleugnen
wollte. Die Oper Die schweigsame Frau, für die Zweig das Libretto geschrieben hatte, war 1933
weitgehend fertig. Die Uraufführung fand 1935 trotz interner nationalsozialistischer Proteste durch
Sondergenehmigung von Hitler und Goebbels in Dresden statt und war ein Erfolg. Dennoch wurde
sie nach der zweiten Aufführung verboten, weil die Gestapo Briefe von Strauß an Stefan Zweig
abgefangen hatte, aus denen hervorging, dass Strauß überhaupt nicht daran dachte, künftig auf
Zweig als Librettisten zu verzichten. Damit war es mit der Geduld und Rücksichtnahme der
Machthaber zu Ende. Strauß, der durch seine jüdische Schwiegertochter nicht ungefährdet war,
wurde nahegelegt, als Präsidenten der Reichsmusikkammer zurückzutreten, was er auch machte.
Strauß war von dann für das Regime nur noch Repräsentationsfigur, er bekam Kompositionsaufträge
für festliche Anlässe, wie die Olympiade 1936 und durfte dirigieren. Strauß war wohl ein geschickter
Taktiker, der wusste, dass er sich für die Erreichung seiner künstlerischer Absichten gut mit den
Machthabern zu stellen hatte, auch wenn er das Regime oder System verachtete. Er hatte aber
letztlich nur sein Werk im Auge oder wie ihn Stefan Zweig in seinen Erinnerungen Die Welt von
gestern charakterisiert: In Wirklichkeit bekümmerte ihn im sacro egoismo des Künstlers nur eines:
sein Werk in lebendiger Wirksamkeit zu erhalten und vor allem die neue Oper aufgeführt zu sehen, die
seinem Herzen besonders nahestand. 26
Spätestens zwei Jahre nach der Machtergreifung war auch für die Musik deutlich geworden, dass
von politischer Einflussnahme von Seiten der Künstler nicht die Rede sein Konnte. Und das Regime
brauchte schon damals die repräsentativen Gallionsfiguren wohl nicht mehr. Die verwaisten
Ehrenämter wurden dann auch gleich mit Handlangern wie Peter Raabe (1872-1945) oder Paul
Graener (1872-1944) besetzt.
26 Welt von Gestern, Tb. 269
16

Paul Hindemith übrigens nahm nach diesen Ereignissen einen Auftrag der türkischen Regierung an,
das Musikleben in der Türkei neu zu gestalten. Als er 1937 zurückkehrte und seine Berliner Stelle
wieder aufnehmen wollte, sah er bald die Unmöglichkeit ein, in Berlin weiterzuarbeiten und
wanderte in die Schweiz aus, wo 1938 in Zürich auch mit großen Erfolg seine Oper Mathis der Maler
uraufgeführt wurde. 1940 emigrierte er in die Vereinigten Staaten.
Ernst Krenek
Das Interessanteste an dem Begleitheft zur Ausstellung ist jedoch der Umschlag. Nicht nur, weil
darin die ganze Primitivität der Nazipropaganda zum Ausdruck kommt, sondern auch weil in ihm die
ganze Ablehnung des Neuartigen erkennbar wird. Vor einem grellroten Hintergrund ragt eine
überlebensgroße Negergestalt hervor, sie trägt einen Smoking, auf dem Kopf einen Zylinder,
darunter ist das Kraushaar zusehen.. Die schwulstigen Lippen ragen weit hervor. Auf dem rechten
Revers der Jacke befindet sich ein Judenstern. Er spielt Saxophon. Dazu die Unterschrift Entartete
Musik. Es ist die Karikatur eines farbigen Jazzmusikers, wie sie in den zwanziger Jahren nach Europa
kamen und die sich großer Beliebtheit erfreuten. Die neuartigen Rhythmen bestimmten nicht nur
die Unterhaltungs- und Tanzmusik, sondern auch die Komponisten ernster Musik blieben nicht davon
unbeeinflusst, wie schon das Beispiel Hindemith zeigte.
Ernst Krenek (1900-1991), der bei Franz Schreker Komposition studiert hatte, war seinem Lehrer
nach Berlin gefolgt und machte dort Bekanntschaft mit den neuen Formen der Unterhaltungsmusik,
17

die er auch in seinen Kompositionen verwertete. Am Augenfälligsten ist dies der Fall in seiner Oper
Jonny spielt auf, deren Komposition er im Herbst 1925 angefangen hatte und die am 11. Februar
1927 in Leipzig uraufgeführt wurde. Das Werk besteht eigentlich aus zwei Bestandteilen. Einerseits
ist es die eher, musikalisch entsprechend untermalte, romantische Geschichte des
mitteleuropäischen Komponisten Max, der sich am liebsten in seine Gebirgs- und Gletscherwelt
zurückzieht und nach seiner enttäuschten Liebe zur Sängerin Anita in ihr aufgehen möchte, aber
vom Gletscher verstoßen wird. Andererseits geht es um den Jazzgeiger Jonny, der eine ungebändigte
Vitalität ausstrahlt, aber es vor allem auf die teure Geige des Virtuosen Daniello abgesehen hat. Im
Pariser Hotel, wo Anita und Daniello wohnen, versucht Jonny, der die Geige stehlen will, Anita, die
offensichtlich keine Probleme mit einem Seitensprung hat, für die Nacht zu erobern. Er wird aber von
Daniello ausgebootet, der mit Anita im Zimmer verschwindet. Jonny stiehlt während dieser Zeit die
Geige. Am Ende treffen sich alle im Ort des Berghotels, wo die Oper angefangen hat, und es gibt eine
Reihe von weiteren Verwicklungen und Missverständnissen. Anita und Max versöhnen sich, Jonny
behält seine gestohlene Geige, Daniello wird vom Zug überrollt. Max, Anita, Jonny steigen in den
bereitstehenden Zug ein und machen sich auf den Weg nach Amerika. Für Jonnys Aktionismus
verwendet Krenek eine Reihe von jazzähnlichen Elementen, die seine Vitalität unterstreichen sollen.
Dennoch spielt das Jazzelement in der Oper nur eine untergeordnete Rolle. Die Musik ist insgesamt
sehr eingängig und nähert sich an manchen Stellen eher der Operette an. Es handelt sich um eine
typische Zeitoper, Krenek setzt alle Mittel der damals modernen Technik ein. Max erkennt die
Stimme Anitas durch die Lautsprecheranlage des Hotels wieder, die Schlussszene spielt sich am
Bahnhof mit Lokomotive ab. Das Werk wurde begeistert empfangen, löste aber auch heftige
Gegenreaktionen aus.. Bis 1930 fanden mehr als 450 Aufführungen an gut 100 Opernhäusern statt
und das Werk wurde in 18 Sprachen übersetzt. Mit diesem Werk hatte er die Lebensstimmung jener
Jahre eingefangen und intuitiv den Zeitgeist getroffen 27 . Offensichtlich sehr zum Ärger der Rechten,
die schon bald gegen das Werk mobil machten. In Wien etwa wurde auf einem
hakenkreuzgeschmückten Flugblatt für den 13. Januar 1928 zu einer Riesenprotestkundgebung
27 Demmler, Krenek, S. 241.
18

aufgerufen unter der Schlagzeile Unsere Staatsoper ist einer frechen jüdisch- negerischen Besudelung
zum Opfer gefallen 28 . Selbstverständlich fehlt auch das Wort Kulturbolschewismus auf diesem
Flugblatt nicht. Aber Wien war nicht der einzige Ort. Jazzmusik war damals beim konservativ
orientierten Bevölkerungsteil als ‚Negermusik‘ verpönt. Dieses Wort hat sich übrigens bis in die
fünfziger Jahre hinein in der Umgangssprache gehalten. Auch moralische Probleme sind auf der
Opernbühne mit Vorsicht zu beurteilen. Richard Strauß‘ Rosenkavalier fängt auch nicht gerade
puritanisch an. Es kommt noch hinzu, dass der Jonny aus Kreneks Oper kein typischer Jazzmusiker ist,
er spielt kein Saxophon, sondern Geige. Man könnte meinen, dass Krenek hier ein ironisches Spiel
mit dem gängigen Motiv treibt, denn auch sonst gibt es im Libretto ironische Anspielungen. Wenn die
Hotelgäste, zum Beispiel, Anita durch den Lautsprecher singen hören, lautet ihr Kommentar: Hören
Sie die Stimme an! /Sie klingt so göttlich schön/ Schade, dass sie so gern / moderne Musik singt! /
Und doch, wie sie’s singt, meint man fast, / es wäre Musik. 29 Zusammen mit anderen fast
slapstickartig wirkenden Elementen in der Oper selber und weiteren ironischen Bemerkungen im
Libretto wirkt die Oper eher als Parodie auf die Gattung. Es gibt meines Wissens nur ein Bühnenwerk,
in dem ein Jonny in Reinform auftritt. In Paul Abrahams (1892-1960) auch jetzt noch immer wieder
aufgeführte Erfolgsoperette Blume von Hawaii, die 1931 ebenfalls in Leipzig uraufgeführt wurde,
tritt ein richtiger Jonny mit Saxophon auf, dessen Song auch über die Operette hinaus bekannt
wurde: Bin nur ein Jonny… Von Paul Abraham ist bis auf die Nennung seines Namens als jüdischen
Operettenkomponisten in der Ausstellung nirgendwo die Rede.
Für die Bekämpfer von Jazz und moderner Musik wurde die Oper unbesehen zum Inbegriff der
Vewerflichkeit. Hans Severus Ziegler, in dessen Abrechnung das Bild von Krenek mit der Unterschrift
versehen ist, dieser propagiere in Jonny spielt auf die Rassenschande als die Freiheit der ‚Neuen
Welt‘ 30 zieht aber auch die Deutschen zur Verantwortung: Ein Volk, das dem ‚Jonny‘, der ihm schon
lang aufspielte, nahezu hysterisch zujubelt, mindestens aber instinktlos zuschaut, ist seelisch und
geistig so krank geworden und innerlich so wirr und unsauber, daß es für die unendliche und uns
28
Vgl. Faksimile im Beiheft, CD, S. 49.
29
Beiheft, CD, S. 206.
30
Vgl. Katalog, Ziegler, S. 17.
19

immer wieder erschütternde Reinheit und Schlichtheit und Gemütstiefe der ersten Takte der
‚Freischütz‘-Ouvertüre nichts mehr übrig haben k a n n. 31
Für Hans Severus Ziegler und seinen Mitarbeiter Paul Sixt (1908-1964) hatte die Ausstellung übrigens
nach 1945 keine Folgen, Sixt brachte es zum Generalmusikdirektor in Detmold, Ziegler war u.a. als
Gymnasiallehrer tätig und zeigte sich in seinen Veröffentlichungen, in denen er Hitlers Kulturpolitik
nachträglich verherrlichte, als unbelehrbar.
Die Ausstellung, aber auch die Reichsmusiktage bildeten damals im Mai 1938 weniger einen Appell
als vielmehr die Bestätigung einer Musikpolitik, die von nationalsozialistischer Seite in den
vergangenen fünf Jahren erfolgreich betrieben worden war. Man konnte jetzt die Hüllen fallen
lassen, was dann sechs Monate später bei den Novemberpogromen auch prompt geschah.
Zu den vom 22. Bis 29.Mai 1938 abgehaltenen Reichsmusiktagen gehörte ebenfalls ein ausführliches
musikalisches Begleitprogramm, mit dem indirekt gezeigt wurde, was erlaubt war. Es gab allein schon
drei Sinfoniekonzerte und zwei , eigentlich drei Opernaufführungen. Daneben gab es Werkskonzerte,
der Nationalsozialistische Studentenbund und die Hitlerjungend präsentierten sich musikalisch.
Kammerkonzerte, Männerchöre und Militärmusik fehlten ebenfalls nicht. Richard Strauß persönlich
dirigierte seine Oper Arabella. Die zweite Opernaufführung war Paul Graeners Oper Don Juan letztes
Abenteuer vorbehalten. Paul Graener, der übrigens zu den öfters aufgeführten Opernkomponisten
der zwanziger Jahre gehörte und die Nachfolge Furtwänglers als Vizepräsidenten der
Reichsmusikkammer angetreten hatte, hatte sich in diesem musikalischen Begleitprogramm gut
bedienen lassen. Er ist dort allein schon mit drei Kompositionen vertreten. Leitmotivisch waren die
Aufführungen von Hans Pfitzners Eichendorffkantate Von deutscher Seele und Beethovens Neunte
Sinfonie, die damals fast zu jedem feierlichen Anlass, einschließlich Hitlers Geburtstag gespielt wurde.
Wie die damaligen Machthaber dieses Werk mit ihrem System in Einklang zu bringen wussten, wird
wohl ein Rätsel bleiben. Der klassische Teil des Rahmenprogramms bot neben traditionellen Werken
und Namen sehr viel Neues und Modernes. Man stößt etwa auf die Namen von Werner Egk (1901-
31 Ebenda, S. 12.
20

1983), der sich in seinen Erinnerungen vielleicht etwas zu leichtfüßig über diese Musiktage äußert 32 ,
und Boris Blacher (1903-1975). Dazu zahlreiche Erstaufführungen von unbekannten Komponisten,
die übrigens auch alle unbekannt geblieben sind. Lediglich die Geigenmusik in drei Sätzen von Boris
Blacher löste beim Publikum Beunruhigung auf, wohl weil er zu sehr an seinem Vorbild Strawinsky
erinnerte. Sonst ist von einem Presseecho zu den neuen Kompositionen kaum die Rede. Sie hatten
wohl nur Alibifunktion und sollten die Offenheit für das Neue demonstrieren. Von politischer
Bedeutung waren sie nicht. Die Bestätigung der momentanen Situation war viel wichtiger und
relevanter. Aus den hochgestochenen Plänen für eine weitere Institutionalisierung der
Reichsmusiktage wurde schon durch den baldigen Kriegsausbruch nichts mehr, aber als
propagandistische Momentaufnahme waren sie durchaus gelungen.
Druck und Zivilcourage
Der nationalsozialistische Musikbetrieb funktionierte auch ohne jüdische Beteiligte oder moderne
Komponisten, die keine Angst vor dem Experiment hatten. Man beugte sich oder versteckte sich
hinter der Musik. Das galt natürlich sehr stark für die Musiker selber. Offene Bekenntnisse sind
relativ selten. Lediglich Karl Böhm (1894-1981) tat sich durch Ergebenheitsadressen an Hitler 1933
und 1938 nach dem Anschluss hervor und förderte seine Karriere unter dem Regime nach Kräften,
obwohl er übrigens kein Parteimitglied war. Aber auch Widerstand war selten. Der Druck muss
ungeheuer gewesen sein. Bruno Walter (1876-1962) beschreibt in seinen von
Versöhnungsbereitschaft getragenen Erinnerungen Thema und Variationen (1947) wie er sich 1933
nach seiner Rückkehr aus New York auf den Weg nach Leipzig machte, wo er das
Gewandhausorchester dirigieren sollte. Der Leipziger Polizeipräsident hatte allerdings vor, das
Konzert auf Wunsch der Nationalsozialisten zu verbieten. Trotz intensiver Bemühungen des
Gewandhausvorstandes gelang es nicht, das Konzert stattfinden zulassen. Es wurde verboten und
Bruno Walter reiste weiter nach Berlin, wo er in de Philharmonie dirigieren sollte. Auch hier liefen
Bemühungen, sein Auftreten zu vereiteln. Als Walters Konzertdirektion beim
32 Vgl. Werner Egk, Die Zeit wartet nicht. Künstlerisches Zeitgeschichtliches Privates aus meinem Leben.
München 1981, S. 284ff. (urspr. 1973 erschienen)
21

Propagandaministerium nach den Gründen fragte und ob man dann nicht wenigstens ein Verbot
aussprechen könnte, lautete die Antwort des dort amtierenden Walter Funk (1890-1960), der
wegen seiner Tätigkeiten für das Regime bei den Nürnberger Prozessen zu lebenslänglicher Haft
verurteilt werden sollte, dass man das Konzert nicht verbieten wolle, weil das
Propagandaministerium kein Interesse daran habe, der Konzertdirektion aus der Verlegenheit zu
helfen: Wenn Sie aber das Konzert abhalten, dann können Sie sicher sein, daß alles im Saal kurz und
klein geschlagen werden wird. 33 Das Konzert fand statt ohne Bruno Walter, es wurde dirigiert von
Richard Strauß. Bruno Walter bemerkt lakonisch und nicht ohne Ironie dazu: Der Komponist des
‚Heldenleben‘ erklärte sich tastsächlich bereit, anstatt des gewaltsam entfernten Kollegen zu
dirigieren und erwarb sich damit eine besondere Beliebtheit in den oberen Rängen des Nazitums. 34
Bruno Walter machte sich schleunigst auf den Weg in das damals noch halbwegs freie Österreich.
Es gab zum Glück aber auch Zeichen von Zivilcourage. Die weltberühmte Sopranistin Erna Berger
(1900-1990), die damals noch am Anfang ihrer Karriere stand, weigerte sich mit wenigen anderen
1933 eine Unfähigkeitserklärung gegen Fritz Busch, der von den Nationalsozialisten aus seinem
Dresdner Dirigentenamt vertrieben worden war, zu unterschreiben. Folgen für ihre Karriere hat dies
nicht gehabt. Überhaupt zeigt sich Erna Berger in ihren Erinnerungen Auf Flügeln des Gesanges.
Erinnerungen einer Sängerin wie wenige selbstkritisch, beschönigt kaum und spricht auch aus, dass
sie, was die Politik betraf, mit Scheuklappen 35 durch die Welt ging: Daß die Staatsoper während des
Krieges mit dem ganzen Ensemble ins besetzte Paris fuhr … hat mich nur gefreut. Dass es gleichzeitig
eine feindselige Machtdemonstration gegenüber dem unterlegenen Gegner bedeutete, machte ich
mir nicht klar. Man hatte mich vor dem Krieg in Paris als Künstlerin, nicht als Deutsche gefeiert,
warum sollte das jetzt anders sein? 36 Solche ehrlichen Stimmen scheinen mir selten zu sein.
Es war schwer vor allem in dem auf Öffentlichkeit angewiesenen Berufsbereich eines Komponisten
oder Musikers, sich den Einflüssen der Zeit zu entziehen und sich in keinerlei Weise korrumpieren zu
33
Zitiert nach: Bruno Walter, Thema und Variationen. Erinnerungen und Gedanken. Stockholm 1947, S. 442.
34
Ebenda, S. 443.
35
Erna Berger, Auf flügeln des Gesanges. Erinnerungen einer Sängerin. Berlin 1990, S. 65.
36 Ebenda, S. 67.
22

lassen. Wenn man sich dazu entschied, blieb nur das Schweigen, die innere Emigration, wie Karl
Amadeus Hartmann (1905-1963) dies praktiziert und durchgehalten hat. Hartmann stand 1933 am
Anfang seiner Komponistenkarriere. In Deutschland war kein Platz für ihn, er wollte ihn auch gar
nicht. Einzelne Werke wurden nicht ohne Erfolg im Ausland aufgeführt. Seine 1934/1935
entstandene Oper Des Simplicius Simplicissimus Jugend, die den Schrecken des Dreißigjährigen
Krieges thematisierte, blieb in der Schublade ebenso wie das weitere Werk, das zwischen 1933 und
1945 entstand. Man hört den Kompositionen dieser Jahre auch jetzt noch an, wie schwer ihm die
Jahre der Isolation gefallen sein müssen und wie groß seine Trauer, die ihn freilich nicht zur Passivität
erlahmen ließ, gewesen sein muss. Ulrich Dibelius umschreibt dies sehr zutreffend, wenn er
bemerkt: Der Ton der Klage schwingt sich auf zur Anklage, die Gebärde des Leidens weitet sich zum
Mitleiden mit allen, die Schmerzen, Verfolgung, Knechtschaft und Ungerechtigkeit ertragen müssen,
auch mit denen, die vergeblich ausharren und hoffen. 37 1945 meldete Hartmann sich dann wieder
zurück, nicht nur als Komponist, sondern vor allem auch als Initiator und treibende Kraft der Musica
Nova. Es blieben ihm freilich nur 18 Jahre.
Lesehinweise (so weit nicht in den Anmerkungen enthalten):
Michael Gielen, Unbedingt Musik. Erinnerungen. Frankfurt am Main 2005
Andreas Novak, Salzburg hört Hitler atmen. Die Salzburger Festspiele 1933-1944. München 2005.
Die Zeit Klassik-Edition Nr. 10: Wilhelm Furtwängler. Hamburg o. J.
Die Zeit Klassik-Edition Nr. 20: Otto Klemperer. Hamburg o.J.
(Beide kurz, aber sehr informativ)
Wolfgang Wagner, Lebens- Akte. Autobiographie. München 1994.
Gottfried Wagner, Wer nicht mit dem Wolf heult. Autobiographische Aufzeichnungen eines Wagner-
Urenkels. Mit einem Vorwort von Ralph Giordano. Köln 1997.
37 Ulrich Dibelius, Moderne Musik I., 1945-1965. München 1984, S. 69.
23

Karin Wagner (Hg.), Es grüßt Dich Erich Israel. Briefe von und an Erich Zeisl. Wien 2008.
(Emigrantenleben zwischen Wien, Kalifornien und anderswo nach 1945)
DVD:
Enrique Sánchez Lansch, ‚Das Reichsorchester‘ die Berliner Philharmoniker und der
Nationalsozialismus. Arthaus Musik NTSC 101452.
Musik:
Ernst Krenek, Jonny spielt auf. Decca 436631-2 (Reihe entartete Musik)
Franz Schreker, Der ferne Klang. Naxos.
Franz Schreker, Die Gezeichneten. Decca 444 442-2 (Reihe entartete Musik)
Paul Hindemith, Cardillac. Wergo 5131606. Auch auf DVD: DGG 6168980
Paul Hindemith, Mathis der Maler. Oehms 9414039
Dokumentation:
Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der ‚Juden‘ aus der Oper 1933-1945.
(4 CD mit ausführlichem Begleitheft, Ausstellung Hamburg 2006) Membran. Hamburg 2006.
KZ Musik. Encyclopedia of Music Composed in Concentration Camps (1933-1945). (Geplant auf 15 CD,
die ersten 5 sind m Herbst 2008 erschienen. Membran. Hamburg 2008).
Carel.terhaar@lrz.uni-muenchen.de
©Carel ter Haar, München
24