Offener Brief zur Lage der Psychiater - Med. Mike Prater
Offener Brief zur Lage der Psychiater - Med. Mike Prater
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<strong>Offener</strong> <strong>Brief</strong><br />
<strong>zur</strong> Situation <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>gelassenen Fachärzte für Psychiatrie und<br />
Psychotherapie im Freistaat Thüringen<br />
Erfurt, den 04. 01. 2010<br />
Frau Dipl.-<strong>Med</strong>. Regina Feldmann<br />
Fachärztin für Allgemeinmedizin<br />
1. Vorstandsvorsitzende<br />
<strong>der</strong> Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen<br />
Zum Hospitalgraben 8<br />
99425 Weimar<br />
Herrn Dr. med. Andreas Jordan<br />
Facharzt für Augenheilkunde<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vertreterversammlung<br />
Philosophenweg 36<br />
07743 Jena<br />
Herrn Dr. med. Michael Sakriß<br />
Facharzt für Allgemeinmedizin<br />
Stellvertreten<strong>der</strong> Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vertreterversammlung<br />
Gustav-Adolf-Str. 7<br />
99084 Erfurt<br />
Kopien dieses offenen <strong>Brief</strong>es gehen an die im Anhang genannten Adressen. Zusätzlich wird er<br />
auf meiner Homepage (www.praxis-mike-prater.de ) veröffentlicht.<br />
Sehr geehrte Kollegen,<br />
Wie Ihnen bekannt ist, bestehen in <strong>der</strong> psychiatrischen Versorgung Thüringens zunehmende<br />
Versorgungsengpässe.<br />
Lassen Sie mich bitte zunächst die Fakten aufzeigen:<br />
• Nach <strong>der</strong> Tabelle mit den Zulassungsmöglichkeiten sind in Thüringen 3 Nervenarztsitze<br />
vakant, nach den davon abweichenden Angaben auf den Landkreis-bezogenen Ausschreibunge<br />
werden 6 vakante Stellen ausgewiesen.<br />
1
• Dies ist aber nicht die ganze Wahrheit: Wie Sie wissen, hat sich das Nervenfach seit langem<br />
in Neurologen und <strong>Psychiater</strong> geteilt. Das ist begründet, weil man in beiden Fächern viel<br />
mehr bewirken kann und beachten muß und dazu natürlich auch Zeit braucht. Mehrfach<br />
erkrankte Patienten brauchen nun statt des bisherigen Neuropsychiaters zwei Ärzte. Hierzu<br />
müßten mehr Stellen geschaffen werden.<br />
• In Erfurt sieht es konkret so aus: In den Jahren 2008/2009 haben drei Neuropsychiaterinnen<br />
aufgehört. Eine hat – mit einem Jahr Verspätung – eine psychiatrische Nachfolgerin<br />
gefunden. Die beiden an<strong>der</strong>en haben Neurologen als Nachfolger. Die Folge ist ein Explodieren<br />
<strong>der</strong> Patientenzahlen bei den verbleibenden <strong>Psychiater</strong>n. Wir haben daher Nie<strong>der</strong>lassungsbedarf,<br />
obwohl formal keine Stelle vakant ist. Meine Patientenzahlen erhöhten sich<br />
deswegen 2009 gegenüber 2008 um etwa 10 %.<br />
Psychiatrische Krankheiten haben eine enorme sozioökonomische Bedeutung. Gestatten Sie<br />
mir, auch hierzu einige Fakten aufzuzeigen:<br />
• Die Suizidmortalität in Thüringen betrug 2006 12,7 pro 100 000 Einwohner 1 . Bei den Todesfällen<br />
<strong>der</strong> 15- bis unter 35-Jährigen machen in Deutschland Suizide etwa 19 % (Männer) und<br />
etwa 11 % (Frauen) aus, bei den 35- bis unter 45-Jährigen sind es noch etwa 12 % (Männer)<br />
bzw. 6 % (Frauen) 2 .<br />
• Die Lebenszeitprävalenz psychischer Krankheiten wurde 2003 für Deutschland insgesamt<br />
mit 25,2 % angegeben 3 , nach unseren praktischen Erfahrungen dürften die Zahlen mittlerweile<br />
erheblich angestiegen sein.<br />
• Psychische Erkrankungen standen 2006 mit 10 % an vierter Stelle <strong>der</strong> häufigsten Krankheitsursachen,<br />
die zu Arbeitsunfähigkeit führten 4 . Dabei war aber die Anzahl <strong>der</strong> Krankentage<br />
beson<strong>der</strong>s hoch. Die betroffenen Arbeitnehmer waren im Durchschnitt 27,3 Tage<br />
krank 5 . Bekanntlich ist die Tendenz steigend.<br />
• Seit Mitte <strong>der</strong> neunziger Jahre werden in Deutschland jährlich über 50 000 Erwerbsmin<strong>der</strong>ungsrenten<br />
wegen psychischer Erkrankung gezahlt. Die letzte mir zugängliche Erhebung<br />
von 2007 wies 53 888 Rentenzahlungen aus 6 . Die Gesamtzahl an Erwerbsmin<strong>der</strong>ungsrenten<br />
betrug im selben Jahr 159 970 7 . Psychische Krankheiten machen also etwa ein Drittel <strong>der</strong><br />
EU-Renten aus.<br />
Vorkommnisse wie <strong>der</strong> tragische Suizid des Sportlers Robert Enke und die Amokläufe von<br />
Erfurt und Winnenden führen <strong>der</strong> Öffentlichkeit immer wie<strong>der</strong> die zerstörerische Macht psychischen<br />
Krankseins vor Augen. Um so wichtiger ist es, Prävention zu leisten und hierzu diejenigen<br />
zu för<strong>der</strong>n, die dies aufgrund ihrer Ausbildung können.<br />
1 Quelle: Statistisches Bundesamt via statista.org<br />
2 Quelle: Statistisches Bundesamt via statista.org<br />
3 Quelle: OECD via statista.org<br />
4 Quelle: DAK via statista.org<br />
5 Quelle: IGES nach Untersuchungen an erwerbstätigen DAK-Mitglie<strong>der</strong>n via statista.org<br />
6 Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund via statista.org<br />
7 Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund via statista.org<br />
2
Sehr geehrte Kollegen,<br />
für uns alle besteht das oberste Gebot, das Wohl und die Interessen unserer Patienten zu wahren.<br />
Den Kassenärztlichen Vereinigungen kommt in diesem Zusammenhang unter an<strong>der</strong>em die<br />
Aufgabe zu, die materiellen Grundlagen <strong>der</strong> Versorgung zu sichern und die immer noch budgetierten<br />
Honorare so zu verteilen, daß die nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzte eine materielle Grundlage für<br />
ihre Arbeit haben.<br />
In Thüringen geschieht gegenwärtig das genaue Gegenteil.<br />
Die Einführung <strong>der</strong> Regelleistungsvolumina hat ein unglaubliches Chaos verursacht. Schuld<br />
daran ist nicht primär die KV Thüringen, son<strong>der</strong>n das zweifelhafte Wirken des Bundesgesundheitsministeriums<br />
unter <strong>der</strong> glücklicherweise abgewählten Ministerin Schmidt.<br />
Für uns <strong>Psychiater</strong> ist aber nunmehr ein akuter Notstand eingetreten. In den vergangenen<br />
Quartalen waren wir, wie alle kleinen Facharztgruppen, wahnwitzigen Schwankungen unserer<br />
Regelleistungsvolumina ausgesetzt. Beson<strong>der</strong>s das 2. Quartal und das 4. Quartal 2009 waren deprimierend.<br />
Zwar steht uns seit dem 3. Quartal ein Zusatzbudget für Gesprächsleistungen <strong>zur</strong><br />
Verfügung. Aber, wohl gemerkt, ein Budget. Noch keiner hat es bisher erhalten, und niemand<br />
kann sagen, ob es auch nur annähernd ausreichend bemessen ist. Nach bisherigem Eindruck haben<br />
wir einen weiteren Honorarrückgang gegenüber dem „Tal <strong>der</strong> Tränen“ 2008 zu verzeichnen,<br />
während die Krankenkassen insgesamt an die Thüringer Ärzte etwa 24 % mehr ausschütten!<br />
Der (bisher?) absolute Tiefpunkt ist das Regelleistungsvolumen für das 1. Quartal 2010, das uns<br />
am 29.12. ins Haus flatterte.<br />
15,08 e pro Patient und Quartal, für mich z. B. nur insgesamt 12 000 e im Quartal!<br />
Auch wenn ein Zusatzbudget für Gesprächsleistungen hinzu kommt – wie es auch immer<br />
bemessen sein mag, ist das Ergebnis erbärmlich. Das Regelleistungsvolumen liegt weit unterhalb<br />
<strong>der</strong> Grundpauschale, die uns mindestens zusteht.<br />
Man muß für die nicht-ärztlichen Leser dieses Offenen <strong>Brief</strong>es noch erläutern, daß dieses Honorar<br />
ja noch nicht mein Gewinn ist. Gehälter <strong>der</strong> Arzthelferinnen, Miete und an<strong>der</strong>e Sachkosten<br />
für die Praxis und <strong>der</strong>en Einrichtungen, Steuern und Versicherungen wollen bezahlt, Rücklagen<br />
für Reparaturen und Neuanschaffungen gebildet werden. Ich habe noch Glück, denn ich betreibe<br />
eine Praxisgemeinschaft zusammen mit meiner Frau. Diese ist hausärztliche Internistin und<br />
erhält – verdientermaßen, wie alle Hausärzte – eine einigermaßen anständige Vergütung, mit<br />
<strong>der</strong> sie mich mit durchbringen kann. Ohne die finanziellen Transferleistungen meiner Frau wäre<br />
meine Praxis – wohlgemerkt, bei überquellen<strong>der</strong> Sprechstunde! – nicht mehr lebensfähig. Unsere<br />
Praxis kostet nach unseren Berechnungen über 2 000 e im Monat; <strong>der</strong> Inhaber einer Einzelpraxis<br />
muß das allein berappen. Ich zahle eine <strong>der</strong> Arzthelferinnen; in einer Einzelpraxis braucht man<br />
in jedem Falle zwei, was mit etwa 3 500 e im Monat zu veranschlagen ist.<br />
Auch wenn das Ihrerseits natürlich nicht so gemeint ist: Die erbärmliche Honorierung erlebe<br />
ich als Verhöhnung, als ungeheuerliche Mißachtung meiner qualifizierten ärztlichen Arbeit und<br />
<strong>der</strong> Interessen meiner Patienten.<br />
3
Ein beson<strong>der</strong>s perfi<strong>der</strong> Effekt des verrückten Honorarsystems ist folgen<strong>der</strong>: Ich kann mich<br />
mit den leicht erkrankten Patienten, die in meine Sprechstunde kommen, mit dem Zusatzbudget<br />
für Gesprächsleistungen vielleicht gerade noch über Wasser halten. Jedoch betreue ich etwa 150<br />
meiner Patienten im Hausbesuch, teilweise in ihrer Wohnung, teilweise in Alten- und Behin<strong>der</strong>tenheimen.<br />
Gerade für diese beson<strong>der</strong>s aufwendigen und hilfsbedürftigen Patienten erhalte ich<br />
eben wirklich nur ganze 15,08 e im Quartal. Schon die Grundpauschale überschreitet eigentlich<br />
diese Summe. Die Gebühren für die Haus- und Heimbesuche und die Betreuungsziffern (21231<br />
etc.) bleiben schlicht unhonoriert. Therapeutische Gespräche kann ich mit einem geistig Schwerbehin<strong>der</strong>ten<br />
o<strong>der</strong> einem Demenzkranken nicht führen. Die Wegepauschalen – die weit unter dem<br />
liegen, was ein Handwerker für die Anfahrt nimmt, und zudem für alle Patienten eines Heimes<br />
zusammen nur einmal anfallen – reißen die Sache nicht heraus.<br />
Als die Regelleistungsvolumina noch die Grundpauschale deutlich überstiegen, war die Sache<br />
erträglich: Bei vielen <strong>der</strong> leichtkranken Patienten fiel aus dem RLV-Bereich wirklich nur die<br />
Grundpauschale an. Es gab bei diesen Patienten also einen RLV-Überstand, <strong>der</strong> die Unterdeckung<br />
bei den Heimpatienten ausglich. Dieser Effekt ist jetzt weg. Mit an<strong>der</strong>en Worten: Die Betreuung<br />
dieser bedauerswerten Menschen macht mich arm.<br />
Sollte keine unverzügliche, grundlegende Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Honorare erfolgen, muß ich daher<br />
– noch einmal, aus nackter Not trotz überquellen<strong>der</strong> Sprechstunde! – eine schwere Entscheidung<br />
treffen. Ich kann die Patientenflut ohnehin nicht mehr bewältigen und muß überlegen, wo ich etwas<br />
kürzer trete. Nach <strong>Lage</strong> <strong>der</strong> Dinge muß ich mich auf gesprächsfähige Patienten konzentrieren<br />
und im logischen Umkehrschluß die Betreuung <strong>der</strong> schutzlosesten meiner Patienten, nämlich <strong>der</strong><br />
Haus- und Heimbesuchs-Patienten, beenden und in die Hände <strong>der</strong> Hausärzte legen. Dies wird<br />
vermutlich für großen Aufruhr in <strong>der</strong> Öffentlichkeit, vor allem bei den Wohlfahrtsverbänden,<br />
sorgen. Daher werde ich in einem solchen Falle auch in breiter Öffentlichkeit zu meiner eigenen<br />
Ehrenrettung darstellen müssen, daß die KV mir die materiellen Grundlagen meiner Arbeit<br />
entzogen hat.<br />
Sofern Sie nicht unverzüglich für eine erhebliche Aufbesserung unseres Regelleistungsvolumens<br />
sorgen, werde ich außerdem folgende Verän<strong>der</strong>ungen in meinem Praxisablauf einführen<br />
müssen, um wirtschaftlich zu überleben:<br />
• Ich werde die Zahl <strong>der</strong> Kassenpatienten limitieren und mich verstärkt Privatpatienten und<br />
Begutachtungen widmen müssen. Hierzu werde ich erstmals seit meiner Nie<strong>der</strong>lassung<br />
mein Personal anweisen, bei Anmeldungen nach dem Versicherungsstatus zu fragen. Bisher<br />
habe ich das meinem Personal aus ethischen Gründen verboten.<br />
• Bestimmte Leistungen wie Hypnosen stehen Kassenpatienten nicht mehr <strong>zur</strong> Verfügung.<br />
Eine halbe Stunde zum Nulltarif ruiniert mich schlicht und einfach.<br />
• Kassenanfragen werde ich nicht mehr beantworten, son<strong>der</strong>n nur noch mit einem Stempel<br />
„Keine Bearbeitung, RLV ist zu niedrig und für die Behandlung reserviert“ versehen.<br />
• Kleine Atteste habe ich bei verschiedenen Personengruppen bisher nicht liquidiert. Hierzu<br />
gehörten die geistig behin<strong>der</strong>ten Heimbewohner, die vor ihrer Sommer-Freizeit regelmä-<br />
4
ßig Bestätigungen ihrer Reisefähigkeit brauchen und gar nicht wissen, was ein Attest ist.<br />
Künftig werde ich diese Atteste liquidieren.<br />
Die genannten Maßnahmen, beson<strong>der</strong>s die letztgenannte, werden auf massives Unverständnis<br />
stoßen. Nicht um <strong>der</strong> KV Thüringen eins auszuwischen, son<strong>der</strong>n schlicht um meine eigene Ehre<br />
zu retten, werde ich die Gründe hierzu den Betroffenen aufzeigen müssen.<br />
Sehr geehrte Kollegen,<br />
die Zeit drängt. Ich erwarte von Ihnen ein umgehendes Handeln und eine deutliche Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Honorarsituation <strong>der</strong> <strong>Psychiater</strong> noch für dieses Quartal. Die nächste Vertreterversammlung<br />
ist für den 10. März anberaumt. Das ist zu spät.<br />
Ich denke, ich kann Ihnen auch sagen, durch welche Fehler es zu dem Honorardebakel <strong>der</strong><br />
<strong>Psychiater</strong> kam und wie das Problem – bei etwas gutem Willen, den ich hoffentlich erwarten<br />
darf – zu lösen ist. Wie ich heute von Herrn Kollegen Sakriß hörte, sind 2009 in <strong>der</strong> kleinen<br />
Fachgruppe <strong>der</strong> <strong>Psychiater</strong> insgesamt 3000 Fälle mehr als zuvor abgerechnet worden, und als<br />
Ursache wird Abrechnungsbetrug vermutet. Man meint, uns 2009 eine Überzahlung geleistet zu<br />
haben. Ich denke aber, daß zumindest <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> Fall-Zunahme ganz an<strong>der</strong>s zu erklären ist:<br />
• Wie ich schon eingangs ausführte, teilt sich das ehemals einheitliche Nervenfach schon<br />
seit Jahren in Neurologen und <strong>Psychiater</strong> auf. Speziell im letzten Jahr haben zahlreiche<br />
<strong>der</strong> Neuropsychiater aufgehört und die Praxen entwe<strong>der</strong> an Neurologen o<strong>der</strong> an <strong>Psychiater</strong><br />
abgegeben. Das bedeutet: Je mehr Neuropsychiater in den Ruhestand gehen, um so<br />
mehr Patienten verschwinden aus <strong>der</strong> Fachgruppe <strong>der</strong> Neuropsychiater und tauchen in den<br />
Fachgruppen <strong>der</strong> <strong>Psychiater</strong> bzw. <strong>der</strong> Neurologen auf.<br />
• Die mehrfach erkrankten Patienten (also meinetwegen jemand, <strong>der</strong> eine Psychose und eine<br />
Migräne hat) treten nicht mehr als ein neuropsychiatrischer, son<strong>der</strong>n als ein neurologischer<br />
und ein psychiatrischer Fall in Erscheinung. Die Gesamtzahl <strong>der</strong> Fälle in den drei<br />
Nervenfächern wird also schon deswegen steigen.<br />
• Bei den <strong>Psychiater</strong>n dürfte ein zusätzlicher Effekt eine Rolle spielen. Nach meinen Beobachtungen<br />
hat die Depressionsmorbidität durch Angst vor Arbeitsplatzverlust, Konflikte<br />
am Arbeitsplatz und Mobbing zugenommen. Wegen <strong>der</strong> Wirtschaftskrise war das speziell<br />
2009 <strong>der</strong> Fall.<br />
Daraus sind meines Erachtens drei Konsequenzen abzuleiten:<br />
• Ich nehme an, daß bei <strong>der</strong> Berechnung <strong>der</strong> Fachgruppentöpfe <strong>der</strong> drei Nervenfächer erhebliche<br />
Fehler gemacht worden sind. Die von <strong>der</strong> KBV vorgegebenen Rechenformeln sind auf<br />
Fächer, die Jahr für Jahr eine kontinuierliche, gesetzmäßige Verän<strong>der</strong>ung ihrer Arztzahlen<br />
erfahren, nicht anwendbar. Richtig wäre es, die Fachgruppentöpfe <strong>der</strong> <strong>Psychiater</strong> und auch<br />
<strong>der</strong> Neurologen stetig aufzustocken und den <strong>der</strong> „aussterbenden“ – man verzeihe mir das<br />
Wort – Neuropsychiater entsprechend zu verkleinern.<br />
5
• Aufgrund <strong>der</strong> Entwicklung – mehr Fälle in den drei Nervenfächern insgesamt – sollten<br />
die drei Nervenfächer insgesamt einen größeren Anteil am Kuchen <strong>der</strong> Facharzttöpfe bekommen.<br />
Dies ist eine auf dem medizinischen Fortschritt begründete Verän<strong>der</strong>ung, <strong>der</strong> die<br />
an<strong>der</strong>en Fächer im Rahmen <strong>der</strong> kollegialen Solidarität Rechnung zu tragen haben.<br />
• Sie sollten dringend prüfen, ob die von mir angenommene Zunahme von Depressionen<br />
(Morbi-RSA-Diagnose!!) tatsächlich nachzuweisen ist. Dann bestünde nämlich ein unerwarteter,<br />
von den Krankenkassen auszugleichen<strong>der</strong> Morbiditätsanstieg.<br />
Angesichts des Gesagten können Sie sich nicht mehr wie bisher ausschließlich darauf berufen,<br />
daß alles auf den – zugegebenermaßen unsinnigen – Vorgaben aus Berlin basiere und damit<br />
rechtens sei. Ich glaube nicht, daß die KV Thüringen keinerlei Gestaltungsmöglichkeiten, etwa<br />
über Konvergenzregelungen, hat. Zudem denke ich, daß die KBV im Hinblick auf die drei Nervenfächer<br />
schlicht geschlafen hat; nicht ganz unverständlich, wenn man weiß, daß im Westen die<br />
Aufspaltung <strong>der</strong> Nervenfächer schon früher erfolgte, als es die RLV noch nicht gab. Spätestens<br />
seit <strong>der</strong> RLV-Unfug für einige Kollegen existenzvernichtend geworden ist, sollte es selbstverständlich<br />
sein, pragmatische, <strong>der</strong> Realität angepaßte Lösungen zu finden – zumal aus Berlin endlich<br />
ein an<strong>der</strong>er Wind weht.<br />
Ich möchte noch erläutern, warum ich die Form eines Offenen <strong>Brief</strong>es gewählt habe. Wie Sie<br />
wissen, war unsere Honorarsituation schon mehrfach prekär. Unsere mehrfachen Bitten und For<strong>der</strong>ungen<br />
blieben ungehört. Selbst ein dringlich formulierter Artikel von Frau Chefärztin Möller<br />
im Ärzteblatt blieb ohne jegliche Reaktion. Mehrere meiner eigenen Schreiben blieben 2009 auch<br />
nach Mahnungen ohne Antwort; erst als ich den Sekretärinnen etwas von Einschreibebriefen<br />
andeutete, lud mich Herr Turk zu einem ausführlichen Gepräch ein. Ich bin ihm für die geopferte<br />
Zeit, wirklich ohne Ironie, sehr dankbar. Lei<strong>der</strong> än<strong>der</strong>te das aber nichts an <strong>der</strong> Sache. Daher<br />
habe ich mich entschieden, diesmal von vornherein eine breite Öffentlichkeit herzustellen, um<br />
überhaupt eine zeitnahe Antwort zu bewirken.<br />
Ein letztes noch. Die meisten <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen, die ich in <strong>der</strong> kommenden Zeit in meiner<br />
Praxis treffen muß, stellen eine Verletzung meiner Pflichten als Kassenarzt und, noch schlimmer,<br />
eine Nie<strong>der</strong>lage vor meinem ärztlichen Selbstverständnis dar. Bitte helfen Sie mir und entziehen<br />
Sie mir nicht weiterhin die materiellen Grundlagen, meinen Pflichten nachzukommen.<br />
Mit kollegialen Grüßen<br />
Dipl.-<strong>Med</strong>. <strong>Mike</strong> <strong>Prater</strong><br />
6
Verteilerliste<br />
• Frau Ministerin Heike Taubert, Thüringer Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit,<br />
Postschließfach 900 354, 99106 Erfurt<br />
• Herrn Dr. med. Mathias Wesser, Facharzt für Innere <strong>Med</strong>izin, Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Landesärztekammer<br />
Thüringen, Im Semmicht 33, 07751 Jena-Maua<br />
• Frau Dr. med. Kristina Rohmann, Amtsärztin, Juri-Gagarin-Ring 150, 99084 Erfurt<br />
• Herrn Paul-Josef Raue, Chefredakteur <strong>der</strong> Thüringer Allgemeine, Gottstedter Landstraße<br />
6, 99092 Erfurt<br />
• Herrn Hans Hoffmeister, Chefredakteur <strong>der</strong> Thüringischen Landeszeitung, Marienstraße<br />
14, 99423 Weimar<br />
• Herrn Kai Diekmann, Chefredakteur und Herausgeber <strong>der</strong> BILD-Zeitung, <strong>Brief</strong>fach 3440,<br />
10867 Berlin<br />
• Herrn Dr. Björn Starke, Geschäftsführer <strong>der</strong> Christophoruswerk Erfurt gGmbH, Allerheiligenstraße<br />
8, 99084 Erfurt<br />
• Herrn Benno Zengerling, Leiter des Wohnheims „Johann-Hinrich-Wichern-Haus“, Werner-<br />
Kühne-Straße 12, 99094 Erfurt<br />
• Herrn Andreas Pawella, Leiter des Wohnheimes „Schloß Lindenhöhe“, Am Kirchberg 1,<br />
99094 Erfurt<br />
• Herrn Axel Stellmacher, CJD-Einrichtungsleiter Erfurt, Donaustraße 2 a, 99089 Erfurt<br />
• Frau Annette Kirchner, Leiterin des Wohnheims „Haus Lebensfarben“, Amploniusweg 3,<br />
99089 Erfurt<br />
• Herrn Thomas Müller, Referent für Presse und Öffentlichkeitsarbeit <strong>der</strong> Caritas für das<br />
Bistum Erfurt, Postfach 80 02 55, 99028 Erfurt<br />
• Herrn Bernhard Kramer, Leiter des Caritas Altenpflegeheims St. Elisabeth, Her<strong>der</strong>straße 5,<br />
99096 Erfurt<br />
• Frau Evelin Eschert, Leiterin des Evangelischen Altenpflegeheimes „St. Peter und Paul“,<br />
Unterstraße 3, 99100 Döllstädt<br />
• Herrn Dr. Hartmut Reiter, Leiter <strong>der</strong> Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, DRK-Landesverband<br />
Thüringen e.V., Heinrich-Heine-Str. 3, 99096 Erfurt<br />
• Frau Beate Purmann, Leiterin des DRK-Christianenheims, Arnstädter Straße 48, 99096 Erfurt<br />
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