CMS Magazin RADAR Nr. 5 August 2018
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Basel → Japan<br />
Basel → Griechenland<br />
GWEN VAN DEN EIJNDE<br />
ATEMBERAUBENDES<br />
JAPAN<br />
Gwen van den Eijnde (* 1981) ist in der Niederlande und Frankreich<br />
aufgewachsen, hat in Strassburg und New York studiert und in New<br />
York, Warschau und Stuttgart gearbeitet. Für seine Kostümkreationen<br />
erhielt er zahlreiche Preise (u. a. in Luzern 2010). Er war Dozent für<br />
Kostümdesign in Warschau und leitender Dozent der Fachhochschule<br />
Mulhouse-Strasbourg (HEAR). Seit 2015 unterrichtet er als Assistenzprofessor<br />
am Apparel Design Department RISD in Providence (Rhode<br />
Island/USA). Von März bis September 2014 erhielt er ein Reisestipendium<br />
des Atelier Mondial für Japan.<br />
DIMITRA CHARAMANDAS<br />
DIE WICHTIGKEIT DER<br />
TAUMELNDEN SCHRITTE<br />
Mythologische Orte bilden die Eckpunkte einer vergangenen Ordnung: Im Rahmen eines sechsmonatigen<br />
Reisestipendiums von Atelier Mondial habe ich auf einer Wanderung durch Griechenlands Topografie<br />
zu Fuss diese Eckpunkte verbunden. Mein Fokus lag auf der Natur und dem (menschlichen) Eingriff in die<br />
Natur. Die Route führte durch das Jetzt, die Natur und der Boden wurden so zur Schnittstelle von alten<br />
und neuen Vorstellungen. Dabei traf ich auf die Spuren und Formen einer neuen (Un-)Ordnung: Drei Monate<br />
lang dokumentierte ich mittels Zeichnung, Text und Fotografie, was ich vorfand.<br />
Nyx (in der griechischen Mythologie die Göttin der Nacht);<br />
aus der fotografischen Dokumentation Flat Sphere, Griechenland, 2017<br />
Aus Logbuch II, Flat Sphere, Griechenland 2017 Aus Logbuch II, Flat Sphere, Griechenland 2017<br />
2014 habe ich einen lang ersehnten Traum verwirklicht: Das Atelier Mondial<br />
der Christoph Merian Stiftung ermöglichte mir einen Studienaufenthalt<br />
in Japan. Ich konnte mich aus meiner Dozententätigkeit an der Fachhochschule<br />
Mulhouse-Strasbourg ausfädeln und in Japan forschen und arbeiten.<br />
Japan hat mich schon immer fasziniert, weil es erstaunliche Parallelen gibt<br />
37° 37’ 0’’ N, 24° 20’ 0’’ O<br />
Insel Kea<br />
37° 40’ 19’’ N, 21° 26’ 16’’ O<br />
Pyrgos<br />
37° 59’ N, 23° 44’ O<br />
Athen<br />
zwischen japanischer Textil-Ästhetik und europäischem Barock.<br />
Ich besuchte in Kyoto einen internationalen Workshop über japani-<br />
Das Herz ist ein Muskel, es zieht sich zusammen. Es<br />
Rundherum tropft es, tausend fallende Tropfen, sie<br />
Nach drei Monaten in Athen den gegangenen Kreis<br />
sche Textil- und Kimonokunst, der von Monica Bethe und John Oglevee<br />
pumpt, es tanzt, es gerät aus dem Takt. Das Herz, es<br />
fallen von der feuchten Decke, trommeln auf die<br />
schliessend, führte ich neben dem Arbeiten an gross-<br />
geleitet wurde – zwei Topshots auf diesem Gebiet. Der Workshop und<br />
schlägt siebzig Mal pro Minute, und hundertsechzig<br />
Wasseroberfläche, auf glattpolierten Stein, laufen<br />
formatigen Malereien und Texten die Streifzüge in der<br />
Besuche in Ateliers und bei Sammlern haben mir ganz neue Horizonte<br />
Mal, wenn ich es herausfordere. Zweihundert Mal,<br />
den Wänden entlang. Sie formen den Fels, bilden in<br />
Stadt weiter. Die reissenden Nähte des Weltgesche-<br />
eröffnet. Ich bekam Einblick in die traditionelle Kimono-Herstellung und<br />
wenn die Angst mir im Nacken sitzt.<br />
stoischer Ruhe, Tropfen für Tropfen, ohne der Zeit<br />
hens überlagern und verdichten sich in Athen zu einem<br />
besuchte Werkstätten, in denen Textilien noch nach historischen Vor-<br />
Aus: Am Anfang die Faustregel, Flat Sphere, Griechenland 2017<br />
Beachtung zu schenken Stalaktiten, Säulen, Aus-<br />
unübersichtlichen Dickicht. Durch meine Position an<br />
bildern mit Jacquardtechnik – ähnlich jenen im Lyon des 19. Jahrhunderts<br />
stülpungen. Erstarrte Wellen sind das – ja doch! – der<br />
der Schnittstelle drängte sich die Frage nach dem gege-<br />
– hergestellt werden. Atemberaubend!<br />
Die eigene Physis, die mich umgebende Stille, die Ori-<br />
Stein ist in der Mitte der Bewegung, ja mittendrin ist<br />
benen Kontext auf: Wann sind die natürlichen Grenzen<br />
Ich war so fasziniert von all dem, dass ich meinen Aufenthalt auf<br />
entierung auf der Karte wurden zur Herausforderung.<br />
er erstarrt, und nun hängt er wie ein eingefrorenes,<br />
der eigenen Kraft erreicht? Wie unausweichlich sind die<br />
eigene Faust noch um zwei Monate verlängerte, den traditionellen<br />
Es entstand genau diese eine Linie, die ich Schritt für<br />
aufgewühltes Meer, gekräuselt und in Wirbeln, auf<br />
Kräfte, die einen formen oder deformieren?<br />
Toji-Markt in Kyoto besuchte und dort meine Sammlung mit Flechtwaren,<br />
Schritt und durch die Kraft der eigenen Bewegung<br />
dem Kopf über mir. Die Feuchtigkeit überzieht alles<br />
Seidenstoffen, Pergamentkunst und kunstvollen Mercerie-Waren ergänzt<br />
durch die Landschaft dieses gegenwärtigen Griechen-<br />
wie ein feiner Film. Eine beängstigende und gleichzei-<br />
Wir sind Satelliten<br />
habe. Ich war so beeindruckt, dass ich im Zug zurück nach Tokio sogar<br />
lands zeichnete.<br />
tig wohlige Modrigkeit ist das, vergessen vom Rest<br />
So nah beieinander ist es doch<br />
«Kanzashis» gefaltet habe: Textil-Plissagen, die in der japanischen Kos-<br />
der Welt, ewig hier, im Bauch des Berges.<br />
Bemerkenswert<br />
tümkunst als Haarschmuck verwendet werden. Mit all diesen Eindrücken<br />
Wie treffsicher wir uns verfehlen<br />
und zig Koffern voller Material bin ich nach Mulhouse zurückgekehrt, um<br />
mein Wissen und meine Erfahrung zu verarbeiten und an meine Studie-<br />
Vielleicht fallen wir besser durch die Zeit<br />
renden weiterzugeben.<br />
Ohne die Fallhöhe zu kennen<br />
Das Atelier Mondial ermöglichte mir 2015, nach dem Stipendium,<br />
Ich wandere in der Kühle der Pflanzen<br />
eine Performance in seinen Räumen auf dem Freilager-Platz auf dem<br />
Am Hang<br />
Dreispitz: In «Kakitsubata» (japanisch: Iris) habe ich meine Erfahrungen<br />
mit neuen Kostümen mit Bezügen zum mittelalterlichen japanischen<br />
Nõ-Theater verdichtet und verarbeitet. Nicht zuletzt dank des Stipen-<br />
diums wurde ich als Dozent in die USA berufen: an die renommierte<br />
Designer-Hochschule RISD in Providence, Rhode Island.<br />
Mein Vater stammt aus Holland, meine Mutter aus Frankreich. Aufgewachsen<br />
bin ich in beiden Ländern. Der internationale Austausch mit<br />
Menschen und Kulturen ist für mich persönlich und beruflich deshalb<br />
selbstverständlich und wichtig. Vor allem auch Reisen. Sie ermöglichen<br />
es, fremde Welten zu entdecken und zu reflektieren. Japan hat mein<br />
Schaffen entscheidend geprägt und auch verändert. Atelier Mondial hat<br />
mir das mit seinem Stipendium ermöglicht. Dafür bin ich sehr dankbar.<br />
Die griechisch-schweizerische Künstlerin Dimitra Charamandas<br />
(* 1988) ist in Solothurn aufgewachsen und hat an der Hochschule<br />
Luzern Design & Kunst studiert. Für ihre Ausstellungen und Werke<br />
erhielt sie zahlreiche Preise. Das Reisestipendium des Atelier Mondial<br />
ermöglichte ihr als Outgoing Artist 2017 das Projekt ‹Flat Sphere›. Seit<br />
2017 lebt und arbeitet sie in Solothurn und in Athen, wo sie ‹Flat<br />
Sphere› in einem offenen Projektraum weiterentwickelt.<br />
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