CMS Magazin RADAR Nr. 5 August 2018
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Editorial<br />
Inhalt<br />
Atelier Mondial<br />
Pionierprojekt<br />
Titelbild<br />
Gwen van den Eijnde, Workshop während seines<br />
Atelier-Mondial-Reisestipendiums in Japan, Juni 2014<br />
Atemberaubend, S. 4<br />
«Das Werk, das man malt, ist eine Art, Tagebuch zu führen»,<br />
hat Pablo Picasso einmal gesagt. Seine «Tagebücher» sind<br />
weltberühmt geworden und wären anders ausgefallen, wäre<br />
er zeit seines Lebens an seinem Geburtsort an der Plaza de la<br />
Merced in Málaga festgesessen – ohne Paris, ohne Austausch<br />
mit den Impressionisten und Kubisten, ohne Auseinandersetzung<br />
mit afrikanischer Kunst in Pariser Museen. Oder: Gauguins<br />
Werk ohne Polynesien – undenkbar.<br />
Reisen, Austausch, Reibung und Auseinandersetzung mit<br />
Neuem, Unbekanntem haben talentierte Kunstschaffende<br />
zu allen Zeiten inspiriert und ihre «Tagebücher» bereichert –<br />
in welcher Kunstsparte auch immer. Sei es individuell wie bei<br />
Picasso und Gauguin oder bei Künstlern der mittelalterlichen<br />
Bauhütten, oder sei es im Staatsauftrag zu Zeiten des französischen<br />
Sonnenkönigs Louis XIV.<br />
Heute sind Künstleraustauschprogramme, Residencies, zu<br />
einem international anerkannten Instrument der Kulturförderung<br />
geworden. Im Unterschied zu vergangenen Zeiten sind<br />
sie nicht eindimensional, sondern gezielt auf gegenseitigen<br />
Austausch ausgerichtet, damit Gastland und Kunstschaffende<br />
gleichermassen davon profitieren.<br />
Das Atelier Mondial der Christoph Merian Stiftung (<strong>CMS</strong>)<br />
ermöglicht Kunstschaffenden aus und in der Region und aus<br />
dem be nach barten Ausland schon seit Jahren einen solchen<br />
wich tigen Austausch. Und mehr noch: Es ist eines der wenigen<br />
erfolgreichen Pionierprojekte der grenzüberschreitenden<br />
Zusammenarbeit zwischen unserer Stiftung und unseren Partnern<br />
Kanton Basel-Stadt, Kanton Basel-Landschaft, Kanton<br />
Solothurn, Südbaden und Elsass.<br />
In dieser Ausgabe von <strong>RADAR</strong> berichten wir über die Ent-<br />
stehungsgeschichte des Atelier Mondial und seine Aktivitäten.<br />
Wir lassen vier Kunstschaffende zu Wort kommen, die in Basel,<br />
Japan und Griechenland dank Atelier Mondial ihr künstlerisches<br />
«Tagebuch» erweitert haben. Und wir lassen unsere<br />
Partner die Zusammenarbeit mit der <strong>CMS</strong> spiegeln. Wir wünschen<br />
Ihnen eine anregende Lektüre!<br />
Dr. Lukas Faesch<br />
Präsident der <strong>CMS</strong><br />
Weltreisende<br />
Über 803 Kunstschaffende haben in den letzten<br />
Jahren dank Atelier Mondial ihre vertrauten<br />
Ateliers zu Hause verlassen und haben in der<br />
‹Fremde› Neues gewagt. In diesem <strong>RADAR</strong> geben<br />
vier von ihnen Auskunft über ihre Erfahrungen:<br />
Gwen van den Eijnde und Dimitra Charamandas<br />
reisten aus unserer Region nach Japan und Griechenland<br />
– Hanako Murakami aus Japan und<br />
Iman Humaydan aus dem Libanon lebten und<br />
arbeiteten vorübergehend in den <strong>CMS</strong>-Ateliers<br />
auf dem Dreispitz. Sie berichten exklusiv für<br />
<strong>RADAR</strong> über ihre Eindrücke und Erlebnisse und<br />
haben uns Bilder ihrer Performances und Werke,<br />
noch unveröffentlichte Texte und private Fotos<br />
für diese Ausgabe zur Verfügung gestellt.<br />
3 Kunst braucht Freiräume!<br />
Weshalb Atelier Mondial heute<br />
wichtiger ist denn je<br />
4 Atemberaubend<br />
Gwen van den Eijnde in Japan<br />
5 Taumelnde Schritte<br />
Dimitra Charamandas in Griechenland<br />
6 Globales Netzwerk<br />
803 Kunstschaffende, 35 Destinationen<br />
8 Current Impression<br />
Hanako Murakami in Basel<br />
9 Herzerwärmend<br />
Iman Humaydan in Basel<br />
10 Sprungbrett für individuelle<br />
Karrieren<br />
Viel mehr, als Louis XIV noch<br />
vorschwebte<br />
11 Und es funktioniert<br />
Statements und Förderbeiträge<br />
der sechs Atelier-Mondial-Partner<br />
13 Wohin mit all der Kunst?<br />
Hilfe für die Nachkommen von<br />
Kunstschaffenden<br />
14 Es braucht nur ganz wenig<br />
Gundeli-Brückenbauerinnen:<br />
ein vielversprechendes Integrationsprojekt<br />
16 Aktuelles aus der <strong>CMS</strong><br />
Pflanzen, Bienen, Oslo-Night<br />
Atelier Mondial, das Austauschprogramm für Kunstschaffende<br />
der Region Basel, gibt es seit 1985. Seither<br />
haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />
gewandelt, die Kulturförderpolitik ebenfalls, und<br />
die Ansprüche an Professionalität und Support sind<br />
gestiegen. Atelier Mondial (früher hiess es ‹Internationale<br />
Austauschateliers Region Basel – IAAB›) ist geblieben:<br />
weil es immer noch nötig ist, weil es agil<br />
blieb, sich entwickelt und verändert hat. Und: weil<br />
es nach wie vor ein Vorzeigeprojekt für die grenzüberschreitende<br />
und internationale Kooperation ist. Ein<br />
Rückblick auf die Anfänge.<br />
Die Christoph Merian Stiftung sanierte bis 1980 während<br />
rund zehn Jahren das marode St. Alban-Tal. Zwischen<br />
dem Museum für Gegenwartskunst und dem Gasthaus<br />
Goldener Sternen beim heutigen Maja Sacher-Platz<br />
gab es eine Parzelle, auf der die <strong>CMS</strong> ein Hofgebäude<br />
mit Gewerberäumen plante. Cyrill Häring, der damalige<br />
Kulturchef der <strong>CMS</strong>, hat dann die doppelte Chance<br />
für ein Pionierprojekt erkannt. Ateliers für Kunstschaffende<br />
gab es in Basel damals kaum, Freiräume noch<br />
weniger. Reisen war teuer und längere Auslandauf-<br />
enthalte waren gerade für Künstlerinnen und Künstler<br />
unerschwinglich.<br />
Cyrill Häring war der Überzeugung, dass gerade<br />
eine Stiftung wie die <strong>CMS</strong> Kunstschaffenden, also<br />
«jener Gruppe von Menschen, die für die Entwicklung<br />
der Gesellschaft aus ihrem Der-Zeit-voraus-Sein eine<br />
grosse Rolle spielen, die aber keine gesellschaftliche<br />
Unterstützung finden, eben jene notwendige Unterstützung<br />
zukommen» lassen sollte. 1 Und weil Kunst aus<br />
einem individuellen Prozess entsteht, aus der Reibung,<br />
aus dem Zurückgeworfenwerden auf sich selbst, brauche<br />
es Freiräume, Atelierräume. «Im Kulturbereich<br />
muss absolute Freiheit herrschen.» 2 Die <strong>CMS</strong> realisierte<br />
1985 deshalb einen Atelierbau für Kunstschaffende<br />
im St. Alban-Tal mit Ateliers für Gastkünstlerinnen<br />
und Gast künstler, entworfen vom Basler Architekten<br />
Michael Alder.<br />
Die zweite Idee, die IAAB Pate stand, war Härings<br />
Überzeugung, dass Kunstschaffende, gerade Basler<br />
Kunstschaffende, eine Horizont-Erweiterung brauch-<br />
ten: «Kunst sucht Fremdes. Fremdes gibt Bereicherung.<br />
Fremdes heisst auch Neues, Unbekanntes, noch nie Er-<br />
lebtes, das auf uns zukommt und Erweiterung schafft.<br />
(...) In die Fremde gehen heisst immer auch sich aussetzen.<br />
In vielen Künstlerbiografien begegnen wir der<br />
Wichtigkeit des Reisens, des Unterwegs-Seins, also dem<br />
Gegenteil von Verwurzelung an einem Ort.» 3<br />
KUNST BRAUCHT FREIHEIT,<br />
FREIRÄUME UND FRISCHLUFT<br />
So nahm das Projekt IAAB, das sich als uneigennütziger,<br />
stiller, nicht prestigeorientierter Beitrag zur künstlerischen<br />
Biografie verstand, lustvoll Kontur an: Vier Basler<br />
Ateliers sollten während je rund einem halben Jahr für<br />
ausländische Kunstschaffende zur Verfügung stehen.<br />
Im Gegenzug sollten Basler Kunstschaffende für sechs<br />
Monate in deren Herkunftsländer reisen. Häring konnte<br />
in der Folge sein Projekt im Rahmen der Botschafter-<br />
konferenz in Bern vorstellen. Und schon bald kamen<br />
durch Vermittlung der diplomatischen Vertretungen<br />
im Ausland Kunstschaffende aus Kanada, Taiwan,<br />
Ägypten und China in die Basler Ateliers. Weitere Partner<br />
folgten: Brasilien, Australien und viele andere.<br />
Die Idee war ansteckend: 1991 steuerte der Kanton<br />
Basel-Landschaft auf Initiative des damaligen Kulturchefs<br />
Niggi Ullrich zwei weitere Ateliers in Liestal und<br />
Arlesheim bei.<br />
Trotz seinem Erfolg war das Projekt IAAB 1996/97<br />
akut gefährdet, denn zum einen lief die Erstfinanzierung<br />
durch den ‹Fonds Basel 1996› der <strong>CMS</strong> aus, zum<br />
anderen war der Kanton Basel-Stadt nicht mehr bereit,<br />
Stipendiengesuche der von IAAB ausgewählten Künstlerinnen<br />
und Künstler entgegenzunehmen (bei IAAB<br />
waren keine Beiträge an die Lebenshaltungskosten<br />
vorgesehen).<br />
Die <strong>CMS</strong> und die Kantone Basel-Stadt und Basel-<br />
Landschaft setzten sich zusammen und fanden eine<br />
Lösung: IAAB erhielt eine neue Trägerschaft, und die<br />
Austauschprogramme wurden jeweils zulasten der<br />
Budgets der drei Kulturabteilungen (also nicht mit<br />
einer Subvention) finanziert. Die Trägerschaft war nur<br />
vertraglich als Willensgemeinschaft konstituiert: Es<br />
gab keinen Verein, keine Bürokratie, die Geschäftsführung<br />
verblieb bei der <strong>CMS</strong>. Dies ermöglichte auch eine<br />
regionale Erweiterung: Die Stadt Lörrach engagierte<br />
sich mit einem Atelier in Weil am Rhein, Riehen trat bei<br />
mit einem Atelier im Rahmen des Kunstraums Riehen.<br />
Weitere Partner, Freiburg i. Br. und Mulhouse, kamen<br />
später hinzu.<br />
Das machte das Projekt IAAB so reizvoll: Es war<br />
nicht nur international vernetzt, sondern grenzüberschreitend<br />
regional verankert. Und es war offen, liberal,<br />
solidarisch – ohne den üblichen Proporz. Denn die Jury<br />
hatte nur auf die Qualität der Bewerbungen zu schau en<br />
und nicht auf nationale Kontingente: Die kleinen Ge‐<br />
meinden zahlten zwar weniger, hatten aber die gleichen<br />
Rechte. Das war und ist aussergewöhnlich! Dahinter<br />
stand die Überzeugung, dass die Region Basel ein ge-<br />
meinsamer Kulturraum sei und dass künstlerische Quali-<br />
tät und Wettbewerb wichtiger seien als die Finanzkraft.<br />
Das IAAB hat sich seither weiterentwickelt. Einzelne Träger<br />
sind ausgestiegen, neue wie der Kanton Solothurn<br />
sind dazugekommen. Ateliers wurden aufgegeben und<br />
neue eingerichtet. Vor allem wurde das Zentrum des<br />
Projekts 2014 auf den Freilager-Platz auf dem Dreispitz<br />
verlegt, auf den Campus der Künste, wo den Kunstschaffenden<br />
seit vier Jahren moderne Wohnateliers<br />
und ein Ausstellungsraum in unmittelbarer Nähe zur<br />
Hochschule für Gestaltung und Kunst HGK zur Verfügung<br />
stehen. Mit dem Umzug hat das ehemalige IAAB<br />
auch einen neuen Namen erhalten: Atelier Mondial.<br />
Neben der heutigen, immer noch trinationalen Trägerschaft<br />
unterstützen private Mäzene das Atelier Mon-<br />
dial mit namhaften Beiträgen.<br />
Natürlich musste sich Atelier Mondial immer wieder<br />
neu legitimieren und positionieren: Warum braucht<br />
es ein Austauschprogramm, wenn Auseinanderset-<br />
zungen mit fremden Kulturen mittlerweile in unserer<br />
multikulturellen Gesellschaft vor der Haustür erlebt<br />
werden können? Warum braucht es Atelier Mondial<br />
heute noch angesichts der billigen Flugpreise und<br />
Airbnb? Wie kann das Programm weitergeführt werden,<br />
wenn der Kanton Basel-Landschaft seinen Beitrag<br />
praktisch wegspart? Reicht ein einfacher Austausch –<br />
oder braucht es professionellere Strukturen mit künstlerischem<br />
Coaching und als Partnerstädte ausnahmslos<br />
westliche Kunstmetropolen?<br />
Atelier Mondial hat alle Infragestellungen überlebt.<br />
Und das ist gut so. Atelier Mondial braucht es weiterhin,<br />
weil es Kunstschaffenden ein Zeitfenster der Konzentration<br />
oder der ‹Zeitvergessenheit› bietet, weil es<br />
auf Eigenverantwortung und Risikobereitschaft setzt<br />
und nicht auf Bemutterung und Karrieredenken, weil<br />
es künstlerische Impulse und internationale Netzwerke<br />
ermöglicht, weil es Verständnis und Auseinandersetzungen<br />
mit anderen Kulturen, mit Menschen und Denkweisen<br />
auch nichtwestlicher, peripherer Kulturen möglich<br />
macht, weil es alle bereichert: jene, die weggehen,<br />
um wiederzukommen, und jene, die zu uns kommen<br />
und uns ermöglichen, Kunst und Kunstschaffende mit<br />
einem anderen kulturellen Background und Kunstverständnis<br />
kennenzulernen.<br />
Dr. Beat von Wartburg<br />
Direktor der <strong>CMS</strong><br />
1 Zit. in: Johanna M. Schwarz:<br />
Dokumentation zum Projekt IAAB,<br />
Basel 1990, S. 9.<br />
2 Ebenda, S. 8.<br />
3 Ebenda, S. 7.<br />
2 3