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CMS Magazin RADAR Nr. 5 August 2018

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Projekte<br />

Projekte<br />

«NICHT UMARMEN,<br />

SONDERN DIE<br />

HAND REICHEN»<br />

scy Seit Mai 2017 sind im Gundeli ‹Brückenbauerinnen›<br />

unterwegs: Sechs ausgebildete interkulturelle Vermittlerinnen<br />

unterstützen in einem Pilotprojekt 22 Familien mit<br />

Migrationshintergrund bei Schulfragen. Damit werden Eltern<br />

gestärkt, werden Kindern bis Ende Primarschule bessere<br />

Chancen auf ihrem weiteren Bildungsweg ermöglicht und<br />

Schulen bei ihrer Arbeit unterstützt. Die Christoph Merian<br />

Stiftung und der Kanton Basel-Stadt haben das Projekt<br />

in Auftrag gegeben. Die HEKS-Regionalstelle beider Basel ist<br />

mit der Durchführung beauftragt. Die ersten Resultate<br />

sind so vielversprechend, dass die <strong>CMS</strong> mit ihren Partnern<br />

derzeit eine Ausweitung des Projekts auch auf andere<br />

Quartiere prüft. HEKS-Projektleiterin Irene Zwetsch gibt<br />

<strong>RADAR</strong> Auskunft über erste Erfahrungen im Gundeli.<br />

AHA!<br />

<strong>RADAR</strong>: Weshalb braucht es überhaupt<br />

‹Brückenbauerinnen›?<br />

Irene Zwetsch: Im Gundeli sind rund vierzig Prozent der<br />

Bevölkerung Ausländerinnen und Ausländer. Darunter viele<br />

gut Ausgebildete, aber auch Familien mit kleinen Kindern,<br />

deren Eltern kaum oder gar kein Deutsch sprechen. Viele<br />

kommen aus einer vollkommen anderen Welt. Diese Familien<br />

erhalten vom Kindergarten oder der Primarschule die üblichen<br />

Fragebogen oder Informationsblätter für Schullager,<br />

Ausflüge, für Lerngespräche – und sind oft überfordert. Oder<br />

es gibt eine schulärztliche Routine-Untersuchung – und sie<br />

fragen sich: Was machen die da bloss mit meinem Kind, es<br />

ist doch nicht krank!<br />

Wie reagieren die Familien?<br />

Sehr gut – und extrem offen, dankbar und engagiert.<br />

Wenn man sie in ihrer Sprache anspricht, schafft das Vertrauen<br />

und öffnet Türen. Und ermöglicht den Familien ein<br />

Engagement, das sie sehr gerne leisten, aber bisher nicht<br />

leisten konnten.<br />

Die häufigsten Fragen und Probleme?<br />

Wie unser Schulsystem funktioniert. Was ein Schulausflug<br />

ist, wie das mit den Würsten zum Bräteln ist, zum Beispiel,<br />

wenn das Kind kein Fleisch isst oder kein Schweinefleisch.<br />

Was es mit den Lernberichten auf sich hat.<br />

Wer in Basel lebt, müsste sich doch selber aktiv mit<br />

diesen Fragen auseinandersetzen.<br />

Stellen Sie sich vor, es hat Sie aus irgendwelchen Gründen<br />

mit zwei kleinen Kindern nach China verschlagen. Sie arbeiten<br />

dort. Wenn Sie gut ausgebildet sind, dann schaffen Sie<br />

das vielleicht. Wenn nicht, sind Sie verloren. Viele Migranteneltern<br />

haben keine Ausbildung abgeschlossen oder sind Analphabeten.<br />

Basel ist eine vollkommen andere Welt für sie.<br />

Wäre das nicht Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer?<br />

Die Schulen machen schon enorm viel: Elternabende und<br />

Lernbericht-Gespräche mit Dolmetschenden und vieles mehr.<br />

Das hat Grenzen.<br />

Was ist das Schwierigste bei Ihrer Arbeit?<br />

Die Abgrenzung. Wir konzentrieren uns bewusst auf die<br />

familiäre Unterstützung bei Schulfragen. Wenn Fragen zur<br />

Wohnungs- und Arbeitssuche oder Sozialhilfe kommen, weisen<br />

wir sie an andere Fachstellen weiter.<br />

Wie sprechen Sie die Leute an?<br />

Unsere sechs interkulturellen Vermittlerinnen sind sehr<br />

gut ausgebildet, vielsprachig und sehr gut vernetzt auch mit<br />

anderen Unterstützungsangeboten. Sie sprechen die Leute<br />

direkt an: an Treffpunkten, Sprachschulen wie dem Kurszentrum<br />

K5, oder im Park. Unkompliziert und in ihrer eigenen<br />

Sprache.<br />

Weshalb setzen Sie ausschliesslich Frauen als<br />

Brückenbauerinnen ein?<br />

Nach dem ersten Kontakt und dem Erstgespräch auf<br />

unserer HEKS-Regionalstelle, in der die Familien auch eine<br />

Zusammenarbeitsvereinbarung unterschreiben müssen,<br />

machen wir auch Hausbesuche. Manche Mütter aus Migrantenfamilien<br />

trauen sich kaum aus dem Haus. Oder wir treffen<br />

die Mütter in der Bibliothek, im Park. Je nach kulturellem<br />

Hintergrund der Familie hätten es männliche Brückenbauer<br />

schwerer. Deshalb haben wir uns entschieden, für diese<br />

Arbeit in der Pilotphase Frauen einzusetzen. Das macht uns<br />

flexibler.<br />

Und für die Kinder? Eltern wünscht man sich doch<br />

stark und souverän. Zu erleben, dass die eigenen Eltern<br />

Hilfe brauchen, ist doch belastend.<br />

Viele Kinder wollen unabhängig von ihrer Familie Freizeitangebote<br />

nutzen – wir unterstützen die Eltern dabei,<br />

geeignete Möglichkeiten zu finden: Pfadi, Fussball, Musikunterricht,<br />

was auch immer. Wenn das klappt, dann interessiert<br />

die Kinder nur noch das Resultat. Das entlastet die<br />

Kinder, weil sie, wie oft in Migrantenfamilien, diese Brückenbauerarbeit<br />

nicht mehr selber leisten müssen.<br />

Was ist Ihr Hauptziel: Integration? Lebenshilfe?<br />

Sozialarbeit? Beschäftigungsprogramm?<br />

Das Projekt will über die Familienarbeit vor allem die<br />

Kinder stärken und ihnen damit optimale Chancen auf ihrem<br />

weiteren Lebens- und Bildungsweg ermöglichen. Wir nehmen<br />

die Familien nicht ‹in den Arm›, sondern fordern sie. Wir<br />

reichen ihnen die Hand und unterstützen sie – damit sie ihren<br />

eigenen Weg gehen können. Im besten Fall sind sie in der<br />

Lage, andere zu unterstützen. Das ist unser Ziel.<br />

Familienausflug nach Engelberg<br />

scy Das Ehepaar Talukder aus Bangladesch lebt mit Sohn Rahman (7)<br />

und Tochter Tazriyan (2) im Gundeli. Vater Talukder arbeitet Vollzeit<br />

bei der Speisewagengesellschaft Elvetino. Die Mutter ist Hausfrau.<br />

Das Ehepaar über seine Erfahrungen mit den Brückenbauerinnen:<br />

Wir wissen, wie die Schule in Bangladesch funktioniert – aber hier ist<br />

alles so anders! Wir haben zum Beispiel Mails von der Schule erhalten über<br />

die «Bildungslandschaften». Oder die Bitte, einen «Bilby» zu basteln.<br />

Bilby? Wir Eltern können zwar ein bisschen Deutsch, aber das haben wir<br />

nicht verstanden. Das war so hilfreich, dass unsere Brückenbauerin Frau<br />

Basic uns informiert und unterstützt hat: Das «Bilby» ist das neue Maskottchen<br />

des Thiersteinerschulhauses! Aha. Oder wir wussten nicht, welche<br />

Hausaufgaben unser Rahman zu Hause machen soll – und welche in<br />

der Schule. Frau Basic hilft uns auch bei all den anderen vielen Mails und<br />

Informationsblättern der Schule, die wir erhalten und nicht immer ganz<br />

verstehen. Wir wollen ja das Beste für unsere Kinder. Dass sie eine gute<br />

Ausbildung erhalten und sich gut integrieren. Die Unterstützung unserer<br />

Brückenbauerin ist grossartig. Sie hat uns auch ermutigt, noch besser<br />

Deutsch zu lernen.<br />

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