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Landesschlichter im Einsatz - Tarifregister NRW

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Arbeitsrecht<br />

Professionelle Hilfe bei Arbeitskonflikten<br />

<strong>Landesschlichter</strong> <strong>im</strong> <strong>Einsatz</strong><br />

Bernhard Pollmeyer,<br />

Ltd. Ministerialrat und <strong>Landesschlichter</strong><br />

von Nordrhein-Westfalen<br />

Arbeits- und Einkommensbedingungen festzulegen ist in<br />

Deutschland <strong>im</strong> Wesentlichen Aufgabe der Sozialpartner. I.d.R.<br />

treten sich auf Branchenebene von staatlichem Einfluss unabhängige<br />

Gewerkschaften und Unternehmerverbände gegenüber<br />

und regeln in eigener Verantwortung die Löhne und Arbeitsbedingungen.<br />

In diesem Verfahren spiegelt sich das Prinzip der<br />

Tarifautonomie wider, das sich aus dem in Art. 9 Abs. 3 des<br />

Grundgesetzes verankerten Grundrecht der Koalitionsfreiheit<br />

herleitet.<br />

1 Das System der Tarifautonomie in Deutschland<br />

Der Staat verzichtet auf Eingriffe in den konfliktträchtigen Bereich der<br />

Arbeits- und Einkommensbedingungen und beschränkt sich darauf, den<br />

rechtlichen Rahmen für die Tarifverhandlungen festzulegen. Grundlage<br />

hierfür ist insbesondere das seit 1949 faktisch nicht geänderte Tarifvertragsgesetz<br />

(TVG) mit seinen nur 13 Paragrafen. Nur in einigen – aus<br />

sozialpolitischen Gründen für zwingend erachteten – Ausnahmefällen hat<br />

der Gesetzgeber Vorgaben gemacht: Dazu gehören der gesetzliche Mindesturlaub<br />

ebenso wie Arbeitszeitregelungen und einige auf Branchenebene<br />

festgelegte Mindestlöhne.<br />

Die Tarifautonomie auf Branchenebene findet ihre Entsprechung in der<br />

Autonomie der betrieblichen Sozialpartner. Den Handlungsrahmen für diese<br />

zweite Ebene bildet das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), wobei der<br />

Tarifvorbehalt gemäß § 77 BetrVG für die Praxis von großer Bedeutung<br />

ist. Danach dürfen Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die<br />

durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht<br />

Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Der Betriebsrat überwacht<br />

außerdem nach § 80 BetrVG, dass das Unternehmen die zugunsten der<br />

Arbeitnehmer bestehenden Gesetze und Tarifverträge einhält.<br />

Als dritte und unterste Ebene kommt das Arbeitsvertragsrecht hinzu. Es<br />

bietet den vertragsschließenden Parteien – neben best<strong>im</strong>mten zwingenden<br />

gesetzlichen Vorgaben – auch Gestaltungsspielräume. Um das deutsche<br />

System der Arbeitsbeziehungen zu versinnbildlichen, kann man sich<br />

eine Kaskade oder kommunizierende Röhren vorstellen. Probleme, die<br />

die Parteien auf der oberen Ebene nicht lösen, „laufen“ auf die darunter<br />

liegende Ebene „über“. Dieser Gedanke gilt in vollem Umfang auch,<br />

wenn es darum geht, Konflikte und Interessengegensätze beizulegen.<br />

Generell sind in Deutschland die Vorteile einer Tarifbindung unbestritten,<br />

vgl. Übersicht 1.<br />

Übersicht 1 III<br />

Vorteile der Tarifbindung:<br />

– Die Entgeltstrukturen sind transparent, so dass selbst in Betrieben mit<br />

wenigen Beschäftigten keine Neid- und Misstrauenskulturen aufkommen.<br />

– Konflikte über Lohnanpassungen werden weit gehend aus dem Betrieb<br />

herausgehalten.<br />

– Während der Laufzeit der Tarifverträge herrscht Friedenspflicht. Keine<br />

Streiks und Warnstreiks können die Produktion und Dienstleistungsarbeiten<br />

unterbrechen.<br />

– Für die Geschäftsführung und die Beschäftigten besteht Planungssicherheit.<br />

– In einer wirtschaftlichen Notlage kann das Unternehmen in die individuellen<br />

Arbeitsverträge eingreifen, soweit der entsprechende Branchentarifvertrag<br />

Härtefall- oder Öffnungsklauseln vorsieht. Dies ist heute in nahezu<br />

allen Bereichen der Fall.<br />

– Eine Tarifbindung sichert Arbeitnehmern und Arbeitgebern vielfältige<br />

Serviceangebote der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften,<br />

insbesondere den Rechtsschutz <strong>im</strong> Konfliktfall.<br />

2 Die Entwicklung der Tarifbindung<br />

Im Zuge von Globalisierung und beschleunigtem Strukturwandel lassen<br />

die Tarifverträge seit Anfang der 90er Jahre zunehmend Ausnahmen zu.<br />

Außerdem geht der Grad der Tarifbindung zurück. In den neuen Bundesländern<br />

erreichte er darüber hinaus nie die westdeutschen Werte. Die –<br />

auch politisch gewollte – möglichst rasche Anpassung der Tariflöhne an<br />

westdeutsche Niveaus nach der Wende führte zudem früh dazu, dass sich<br />

viele Unternehmen von den Tarifverbänden abkehrten. In Westdeutschland<br />

sank der Anteil der von Flächentarifverträgen erfassten Beschäftigten<br />

von 69% <strong>im</strong> Jahr 1996 auf 57% <strong>im</strong> Jahr 2006. In Ostdeutschland ging er<br />

von 56% auf 41% zurück (Daten des IAB-Betriebspanels). Firmen- oder<br />

Haustarifverträge erfassen aktuell noch einmal rd. 8% der Arbeitnehmer<br />

<strong>im</strong> Westen und 13% <strong>im</strong> Osten. Von den Betrieben waren 2006 in Westdeutschland<br />

37% und in Ostdeutschland nur noch 20% tarifgebunden.<br />

Allerdings orientieren sich zahlreiche der ungebundenen Unternehmen an<br />

tariflichen Normen. Auf diese Weise profitierten 2006 <strong>im</strong>merhin weitere<br />

18% der Mitarbeiter <strong>im</strong> Westen und sogar 22% <strong>im</strong> Osten faktisch ebenfalls<br />

von einem Flächen- bzw. Branchentarif.<br />

Die Zahlen deuten darauf hin, dass auf absehbare Zeit Unternehmen mit<br />

und ohne Tarifbindung nebeneinander existieren werden und es einen<br />

entsprechenden Wechsel zwischen beiden geben wird. Die Wahlmöglichkeit,<br />

eine sog. OT-Mitgliedschaft (ohne Tarifbindung) in den Arbeitgeberverbänden<br />

einzugehen, ist institutioneller Ausdruck dieser ambivalenten<br />

Entwicklung. Die aus Arbeitgebersicht hierdurch gewonnene Freiheit bei<br />

464 Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 8/08


der Gestaltung der Arbeits- und Einkommensbedingungen hat jedoch<br />

auch ihren Preis: Größere Vielfalt macht die Regelungen unübersichtlicher<br />

und schafft weniger Planungssicherheit. Zugleich droht ein Motivationsverlust<br />

und damit eine geringere Produktivität der Belegschaft, wenn sie<br />

nicht mehr oder nur noch eingeschränkt – direkt oder indirekt – am Aushandeln<br />

der Tarife beteiligt ist.<br />

3 Betriebliche Mitbest<strong>im</strong>mung<br />

Unbestritten sind auch die Vorteile einer vertrauensvollen Zusammenarbeit<br />

der Betriebsparteien. Tatsache ist aber, dass die Reichweite der<br />

betrieblichen Mitbest<strong>im</strong>mung als zweite Regelungsebene unterhalb der<br />

Flächentarifverträge ebenfalls begrenzt ist. Nach dem IAB-Betriebspanel<br />

verfügt nur jedes neunte betriebsratsfähige Unternehmen über einen Betriebsrat.<br />

Allerdings arbeitet dort knapp die Hälfte aller Beschäftigten.<br />

Trotzdem sind die „weißen Flecken der Interessenvertretung“, wo weder<br />

Tarifverträge noch Betriebsräte existieren, groß: 27% in West- und 42%<br />

in Ostdeutschland. Vor allem <strong>im</strong> Dienstleistungsbereich nehmen sie einen<br />

beträchtlichen Umfang ein. In Nordrhein-Westfalen (<strong>NRW</strong>) sind das rund<br />

1,4 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer – und ihre Zahl<br />

n<strong>im</strong>mt potenziell eher zu als ab. Man muss sich daher fragen, wie sie ihre<br />

Interessen wahrnehmen, Einkommens- und Arbeitsbedingungen regeln<br />

sowie Konflikte lösen können und wie sich dies auf Angebot und Nachfrage<br />

auf dem Arbeitsmarkt auswirkt.<br />

4 Zunahme von Arbeitskämpfen<br />

Das System der Arbeitsbeziehungen ist nicht nur für Arbeitgeber unübersichtlicher<br />

geworden. Auch auf Seiten der Arbeitnehmervertretungen nehmen<br />

Differenzierungsprozesse zu. Der wachsende Einfluss von Berufsgewerkschaften<br />

für Ärzte, Flugsicherung und Lokomotivführer wie Marburger<br />

Bund, Cockpit und GDL geht einher mit verstärkten Auseinandersetzungen<br />

zwischen den DGB-Gewerkschaften und denen des Christlichen<br />

Gewerkschaftsbunds um die Interessenvertretung in einer Reihe von<br />

Branchen (z.B. in der Zeitarbeit, <strong>im</strong> Wach- und Sicherheitsgewerbe, bei<br />

den Finanzdienstleistungen oder <strong>im</strong> Elektro- und Kfz-Gewerbe).<br />

Zugleich wird das Kl<strong>im</strong>a zwischen den Tarifvertragsparteien rauer. Insbesondere<br />

<strong>im</strong> Dienstleistungssektor hat die Zahl der Arbeitskämpfe in jüngster<br />

Zeit zugenommen (Telekom, Post, Bahn, Einzelhandel etc.). Ursache<br />

ist nicht allein die gute Konjunktur. Auch die geschilderten Umbrüche <strong>im</strong><br />

Gewerkschaftslager und Umstrukturierungsprozesse – insbesondere <strong>im</strong><br />

öffentlichen Dienst – tragen dazu bei. Weniger Aufmerksamkeit in der<br />

Bevölkerung erhalten kleinflächige Arbeitskämpfe in Betrieben mit oft<br />

nur einigen hundert Mitarbeitern oder noch weniger, die z.T. länger andauern<br />

und deren Ziele bzw. Ursachen sich für Außenstehende nicht<br />

<strong>im</strong>mer direkt erschließen.<br />

Manchmal leiten Gewerkschaften Arbeitskampfmaßnahmen ein, ohne<br />

dass eine realistische Chance besteht, die Forderungen durchzusetzen.<br />

Gibt die Unternehmensleitung aufgrund ihres faktischen Kräfteverhältnisses<br />

nicht nach, gehören Frustration und Motivationsverluste sowie erhöhte<br />

Fluktuationsbereitschaft in der Belegschaft zu den oft lang anhaltenden<br />

Folgen.<br />

Beispiel<br />

Der mehrmonatige Arbeitskampf bei der Blutspendedienst West gGmbH mit<br />

knapp 1.000 Beschäftigten in <strong>NRW</strong> endete erst nach einem schwierigen<br />

Schlichtungsprozess Anfang 2007. Einer der Gründe für den Streik war die<br />

Existenz von konkurrierenden Gewerkschaften (ver.di und DHV) <strong>im</strong> Unternehmen,<br />

die auf eigenen Tarifabschlüssen beharrten. Eine Einigung kam schließlich<br />

nur zustande, weil alle Beteiligten dies akzeptierten. Der Betrieb war zuvor<br />

nicht tarifgebunden. Die Arbeitsverträge verwiesen – wie in vielen ähnlichen<br />

Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 8/08<br />

Arbeitsrecht<br />

Fällen – auf den Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT). Die Geschäftsführung<br />

und die Arbeitsgerichtsbarkeit akzeptierten den Tarifvertrag für den öffentlichen<br />

Dienst (TVöD) jedoch nicht als „natürlichen“ Rechtsnachfolger des BAT.<br />

5 Wege zur Lösung (kollektiver) Arbeitskonflikte<br />

Vor dem Hintergrund einer sich ständig <strong>im</strong> Wettbewerb befindlichen,<br />

höchst störungsanfälligen Wirtschaft einerseits und neuer unübersichtlicher<br />

Arbeits- und Einkommensbedingungen andererseits müssen sich<br />

die Verantwortlichen fragen, ob die herkömmlichen industriellen Konfliktregulierungsmechanismen<br />

noch greifen. Dabei geht es nicht um gesetzliche<br />

Streikregeln, wie von Teilen der Arbeitsrechtswissenschaft gefordert,<br />

sondern darum, moderne Verfahren und Techniken weiterzuentwickeln,<br />

die kollektive Interessenkonflikte <strong>im</strong> Vorfeld von Arbeitsgerichtsverfahren<br />

und Arbeitskampfmaßnahmen ausgleichen. Denn <strong>im</strong> Vergleich zu einigen<br />

unserer europäischen Nachbarstaaten ist die Zahl der Klagen bei deutschen<br />

Arbeitsgerichten mit deutlich über 600.000 außerordentlich hoch.<br />

Zum Vergleich: Im Vereinigten Königreich sind es 102.000, in Dänemark<br />

weniger als 600 und in Schweden unter 400(!).<br />

Eine Lösung auf betrieblicher Ebene, die die Arbeitsgerichte entlasten<br />

kann, ist die Wirtschaftsmediation. Mit Blick auf den Aufwand und die<br />

Kosten eines Gerichtsverfahrens erscheint sie insbesondere für kleine und<br />

mittlere Betriebe sinnvoll.<br />

Die Schlichtung ist ein bewährtes Instrument bei festgefahrenen Tarifauseinandersetzungen.<br />

In einer Reihe von Branchen gibt es entsprechende<br />

Schlichtungsabkommen der Sozialpartner (z.B. Baugewerbe, öffentlicher<br />

Dienst). Ergänzend ist an eine Beratung zu denken, um die Kompetenzen<br />

in der Personal- und Organisationsentwicklung zu verbessern.<br />

6 Die Institution des <strong>Landesschlichter</strong>s<br />

Der <strong>Landesschlichter</strong> ist sowohl bei Tarifkonflikten auf Branchen- und<br />

Firmenebene als auch bei Konflikten zwischen den Betriebsparteien einsetzbar.<br />

Darüber hinaus ist er hilfreich, wenn es darum geht, betriebliche<br />

Bündnisse für Arbeit zu entwickeln. Hier werden häufig tarif- und betriebsverfassungsrechtliche<br />

Sachthemen miteinander verknüpft.<br />

In der Nachkriegszeit richteten die Alliierten die Institution des <strong>Landesschlichter</strong>s<br />

auf der Grundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 35 vom<br />

20.8.1946 ein, vgl. Vorschrift.<br />

Vorschrift §§<br />

Kontrollratsgesetz Nr. 35 vom 20.8.1946<br />

Die obersten Landesarbeitsbehörden bestellen eine oder mehrere geeignete<br />

Personen für folgenden Aufgabenkreis:<br />

a) Fragen über Arbeitsbeziehungen gemeinsam mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern<br />

oder deren Organisationen zu beraten;<br />

b) die Schaffung eines vereinbarten Verfahrens zur Schlichtung von Tarifverträgen<br />

und eines Verfahrens zur Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten<br />

zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder ihren Organisationen<br />

zu fördern;<br />

c) unter Zust<strong>im</strong>mung der streitigen Parteien als Vermittler mit dem Ziele<br />

einzugreifen, die Arbeitsstreitigkeiten durch Ausgleich mittels Schiedsverfahrens<br />

zu schlichten.<br />

465


Arbeitsrecht<br />

Info➔<br />

<strong>NRW</strong> ist eines der wenigen Länder, das dieses kostenlose Dienstleistungsangebot<br />

heute noch anbietet (Näheres unter www.landesschlichter.nrw.de).<br />

Der <strong>Landesschlichter</strong> wird als unparteiischer und neutraler Moderator<br />

aktiv, wenn die Sozialpartner oder die Betriebsparteien dies freiwillig und<br />

gemeinsam wünschen. Er hilft, arbeitsrechtliche Schritte zu vermeiden und<br />

Arbeitsniederlegungen vorzubeugen bzw. zu verkürzen. Sein <strong>Einsatz</strong> war<br />

in <strong>NRW</strong> bereits in einer Vielzahl von Fällen erfolgreich. Die Landesregierung<br />

leistet damit einen Beitrag, um <strong>im</strong> Konfliktfall den Arbeitsfrieden<br />

wieder herzustellen. Dies trägt zur Qualität des Standorts <strong>NRW</strong> bei.<br />

Das Aufgabenprofil des <strong>Landesschlichter</strong>s hat sich <strong>im</strong> Laufe der Jahrzehnte<br />

den veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Standen zunächst<br />

Schlichtungen bei Branchentarifauseinandersetzungen <strong>im</strong> Vordergrund,<br />

hat sich seine Tätigkeit in den letzten 15 Jahren stärker auf die betriebliche<br />

Ebene verlagert, vgl. Übersicht 2.<br />

Übersicht 2 III<br />

Aufgaben des <strong>Landesschlichter</strong>s:<br />

– Leitung des <strong>Tarifregister</strong>s/Vorsitz des Tarifausschusses<br />

– Schlichtung von Tarifstreitigkeiten<br />

– Vermittlung bei betrieblichen Bündnissen für Arbeit<br />

– Moderation von Betriebskonflikten <strong>im</strong> Vorfeld von Arbeitsgerichtsverfahren<br />

– Beratung der Betriebsparteien<br />

– Vorsitz bei betrieblichen Einigungsstellen<br />

7 Staatliches <strong>Tarifregister</strong><br />

Auf Grundlage des § 7 TVG sammelt das <strong>Tarifregister</strong> <strong>NRW</strong> sämtliche<br />

regionale und überregionale Tarifverträge, die <strong>im</strong> Land gültig sind. Insgesamt<br />

sind rund 90.000 archiviert. Jährlich kommen rund 1.700 neue<br />

hinzu, davon rund 500 Branchen-, 1.000 Firmen- und 300 öffentliche<br />

Dienst-Tarifverträge. Staatliche Tarifarchive schaffen eine verlässliche<br />

Datengrundlage, z.B. für die in Übersicht 3 aufgezählten Zwecke.<br />

Übersicht 3 III<br />

Tarifarchive dienen als Datengrundlage u.a. für<br />

– individuelle Auskünfte,<br />

– die Rechtsprechung der Arbeits- und Sozialgerichte,<br />

– Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern,<br />

– die Festsetzung von Renten oder von Lohnersatzleistungen aufgrund<br />

von (fiktiven) Einkommensberechnungen <strong>im</strong> Rückgriff auf tarifliche<br />

Best<strong>im</strong>mungen,<br />

– die individuelle Arbeits- und Berufsberatung,<br />

– die Tarifvertragsparteien selbst, die aufgrund der Entwicklung in anderen<br />

Bereichen Handlungsbedarf <strong>im</strong> eigenen Bereich identifizieren können,<br />

– die Politikgestaltung, gerade auch <strong>im</strong> Hinblick auf die Weiterentwicklung<br />

der Arbeits- und Sozialgesetzgebung,<br />

– die Arbeit der <strong>Landesschlichter</strong>.<br />

Das <strong>Tarifregister</strong> findet sich <strong>im</strong> Internet unter www.tarifregister.nrw.de.<br />

Es gibt fundierte Auskünfte, die sich ausdrücklich an tariflichen Standards<br />

orientieren.<br />

Für die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen mit Gültigkeit für<br />

<strong>NRW</strong> gibt es gem. § 5 TVG einen Tarifausschuss be<strong>im</strong> Arbeitsministerium<br />

des Landes. Den Vorsitz führt der <strong>Landesschlichter</strong>.<br />

8 Schlichtung von Tarifstreitigkeiten<br />

Der <strong>Landesschlichter</strong> ist ein Ansprechpartner,<br />

– der die komplexe Tariflandschaft besonders gut kennt,<br />

– der mit den Zielsetzungen und Empfindlichkeiten der Sozialpartner<br />

vertraut ist,<br />

– dessen Neutralität und Fachkompetenz von beiden Tarifpartnern als<br />

Voraussetzung für erfolgreiche Schlichtungen bekannt und akzeptiert<br />

ist.<br />

Schaffen es die Tarifvertragsparteien nicht, sich über den Abschluss eines<br />

neuen Tarifvertrags zu einigen, können sie schon <strong>im</strong> Vorfeld von Kampfmaßnahmen<br />

oder um einen dauerhaften tariflosen Zustand zu vermeiden,<br />

auf den <strong>Landesschlichter</strong> zurückgreifen. Er bemüht sich, einen für beide<br />

Seiten tragbaren Kompromiss zu erarbeiten, der eine vernünftige Alternative<br />

zum sonst drohenden Streik darstellt. Ein Zwang, den Schlichtervorschlag<br />

anzunehmen, besteht nicht. Die Sozialpartner können dies<br />

jedoch vereinbaren.<br />

Best<strong>im</strong>mte Branchen bedienen sich regelmäßig eines <strong>Landesschlichter</strong>s.<br />

Eine Reihe von in <strong>NRW</strong> geltenden Flächen- und Firmentarifverträgen benennen<br />

ihn als unparteiischen Vorsitzenden von Schlichtungsstellen. Sie<br />

werden gemäß ihrer jeweiligen Aufgabenstellung in ganz unterschiedlichen<br />

Fällen tätig, z.B. bei festgefahrenen Tarifverhandlungen oder wenn<br />

es darum geht, best<strong>im</strong>mte tarifliche Regelungen auszulegen (tarifliche<br />

Einigungsstellen).<br />

Beispiel<br />

Die Tarifparteien konnten Konflikte bis hin zu längeren Arbeitskämpfen in<br />

den vergangenen Jahren mithilfe des <strong>Landesschlichter</strong>s u.a. <strong>im</strong> Bau- und Baunebengewerbe,<br />

<strong>im</strong> Friseur- und Gaststättengewerbe, <strong>im</strong> Gesundheitswesen,<br />

in der Ernährungs- und Getränkeindustrie, in der Metall- und Elektroindustrie,<br />

in der Möbelindustrie sowie <strong>im</strong> Bewachungsgewerbe und weiteren Dienstleistungsbranchen<br />

lösen.<br />

9 Vermittlung bei betrieblichen Bündnissen für Arbeit<br />

Eine Reihe von sog. Notlagen- oder Sanierungstarifverträgen sehen ebenfalls<br />

den <strong>Einsatz</strong> des <strong>Landesschlichter</strong>s verbindlich vor, z.B. wenn sich die<br />

wirtschaftlichen Rahmenbedingungen während der Laufzeit der betrieblichen<br />

Bündnisse für Arbeit gravierend verändern oder bei Streitigkeiten<br />

<strong>im</strong> Hinblick auf Vereinbarungen zum sog. Besserungsschein für die Belegschaft<br />

(Rückzahlung der gestundeten Arbeitnehmerbeiträge). Die Tarifparteien<br />

haben häufig schon die Sonder- oder Ergänzungstarifverträge<br />

mit Unterstützung des <strong>Landesschlichter</strong>s geschlossen. Neben ihnen sitzen<br />

hier auch Geschäftsführung und Betriebsrat mit am Verhandlungstisch.<br />

Themenschwerpunkte sind Anpassungen übertariflicher Leistungen und<br />

insbesondere Fragen der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung.<br />

466 Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 8/08


Mit dem sog. Pforzhe<strong>im</strong>er Abkommen in der Metall- und Elektroindustrie<br />

ist ein weiteres Element hinzugekommen, das zwischenzeitlich auch andere<br />

Branchen nutzen. So können die Tarifparteien von den Standards in<br />

Flächentarifverträgen abweichen, wenn sie auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit<br />

des Unternehmens dauerhaft sichern und eine Verlagerung<br />

von Arbeitsplätzen ins Ausland verhindern. Die Beträge, auf die die Mitarbeiter<br />

während der Laufzeit eines solchen angepassten Firmentarifvertrags<br />

verzichten, werden dann häufig für nachhaltige Investitionen des<br />

Unternehmens eingesetzt.<br />

Der Interessenausgleich ist meist komplex und der Verzicht der Belegschaft<br />

häufig schwierig zu kommunizieren. Eine neutrale Schlichtung kann<br />

diesen Prozess mitunter vertrauensvoller und effektiver gestalten.<br />

10 Streit muss nicht <strong>im</strong>mer vor Gericht enden<br />

Egal, um welches Thema es sich handelt, Verhandlungen zwischen Arbeitgebern<br />

und Betriebsräten werden meistens mit harten Bandagen geführt.<br />

Doch fast <strong>im</strong>mer einigen sich beide am Ende auf einen Kompromiss.<br />

Beharren die Parteien allerdings auf ihren Positionen, sehen sie sich vor<br />

Gericht wieder. Das kann in Einzelfällen durchaus sinnvoll sein. Problematisch<br />

wird es jedoch, wenn sie nur noch über ihre Anwälte miteinander<br />

sprechen. Die Folge: Stillstand auf allen Ebenen. Eine richterliche Entscheidung<br />

ist dabei oft nur die zweitbeste Lösung. Viele Themen lassen sich<br />

nicht auf einen Punkt reduzieren. Hier gilt es, mehrere Aspekte zu diskutieren.<br />

Das können Arbeitsgerichte i.d.R. nicht leisten.<br />

Bevor die Betriebsparteien vor Gericht oder vor die Einigungsstelle ziehen,<br />

sollten sie deshalb überlegen, ob ein unabhängiger Wirtschaftsmediator<br />

eine neue Basis für Verhandlungen schaffen kann.<br />

Betriebe in <strong>NRW</strong> können auch den <strong>Landesschlichter</strong> einschalten. Dabei erhalten<br />

beide Seiten zunächst die Möglichkeit, ihre Position vorzutragen.<br />

Wenn es zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung hakt, spielen meist<br />

nicht nur sachliche Meinungsverschiedenheiten, sondern auch persönliche<br />

Konflikte eine Rolle. Sie müssen mit einbezogen werden, bevor man gemeinsam<br />

nach Lösungen in der Sache suchen kann. Bei Sachfragen hilft in<br />

vielen Fällen ein Blick über den Tellerrand. Beispiele anderer Betriebe bringen<br />

meist auch die eigenen Verhandlungen voran. Wichtigstes Ziel einer<br />

Moderation/Schlichtung ist dabei <strong>im</strong>mer, beide Seiten wieder an einen<br />

Tisch zu bringen und eine neue Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit<br />

zu schaffen. Auch <strong>im</strong> Nachgang kann der <strong>Landesschlichter</strong> diesen<br />

manchmal sehr schwierigen Prozess begleiten, besonders wenn eine Partei<br />

von Zielvereinbarungen einseitig abgewichen ist oder sich neue Konfliktfelder<br />

entwickelt haben.<br />

Beispiel<br />

Konflikt um Entlohnung und Eingruppierung<br />

Die Betriebsparteien eines gewerblichen Staatsbetriebs mit rd. 600 Beschäftigten<br />

stritten monatelang darüber, wie die tarifvertraglichen Best<strong>im</strong>mungen<br />

zur Eingruppierung ihrer Gruppenführer auszulegen sind. Betroffen waren<br />

30 Mitarbeiter. In zweiter Instanz empfahl das Landesarbeitsgericht, den Konflikt<br />

zunächst selbst mithilfe eines Sachverständigen zu lösen. Die zuständige<br />

Gewerkschaft schlug dem Betriebsrat den <strong>Landesschlichter</strong> als Sachverständigen<br />

vor. Die Geschäftsführung ihrerseits hatte bereits einen renommierten Arbeitswissenschaftler<br />

für die Aufgabe ausgeguckt. Nach Gesprächen mit dem<br />

Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 8/08<br />

Arbeitsrecht<br />

Betriebsrat und der Geschäftsführung verständigte man sich auf Vorschlag des<br />

<strong>Landesschlichter</strong>s darauf, eine vierköpfige Sachverständigenkommission einzurichten,<br />

die innerhalb von drei Monaten einen Einigungsvorschlag erarbeiten<br />

sollte. Der Kommission gehörten der <strong>Landesschlichter</strong> (Vorsitz), der von der<br />

Geschäftsführung vorgeschlagene Arbeitswissenschaftler, der Betriebsleiter<br />

und der Betriebsratsvorsitzende an. Die Kommission untersuchte die Tätigkeiten<br />

und Arbeitsabläufe der Gruppenführer, auch in Abgrenzung zu den Meistern<br />

und anderen Fachkräften. In vier ganztägigen Sitzungen erarbeiteten sie<br />

dann gemeinsam eine neue Stellenbeschreibung für die Gruppenführer. Sie<br />

sieht in best<strong>im</strong>mten Aufgabenbereichen z.T. qualitativ anspruchsvollere Tätigkeitsmerkmale<br />

vor und entspricht damit der höherwertigen Eingruppierung.<br />

Geschäftsführung und Betriebsrat st<strong>im</strong>mten dem Vorschlag zu, der für andere<br />

Werke des Unternehmens Präzedenzcharakter hatte.<br />

11<br />

Beratung der Betriebsparteien und<br />

Vorsitz bei Einigungsstellen<br />

Während tarifgebundene Unternehmen auf den Rechtsschutz und das<br />

Expertenwissen ihrer Arbeitgeberverbände zurückgreifen können, stehen<br />

nicht tarifgebundene Arbeitgeber bei kollektiven Arbeitsstreitigkeiten in<br />

ihren Betrieben manchmal vor einem Berg ungelöster Probleme. Auch hier<br />

empfiehlt es sich, einen <strong>Landesschlichter</strong> einzuschalten, um in gemeinsamen<br />

und/oder bilateralen Gesprächen mit der Geschäftsführung und<br />

dem Betriebsrat bzw. der Mitarbeitervertretung spezifisch für das jeweilige<br />

Unternehmen zugeschnittene Lösungen in diversen Handlungsfeldern zu<br />

entwickeln. Das gilt für Fragen der Entlohnung und Eingruppierung, der<br />

Arbeitszeitgestaltung, leistungs- oder erfolgsbezogener Sonderzahlungen<br />

ebenso wie für die betriebliche Altersversorgung, wobei der Tarifvorrang<br />

schon in der Beratung Eingang findet. Ein mögliches Vermittlungsergebnis<br />

kann auch sein, dass die Parteien einen auf die besonderen Bedürfnisse<br />

des Unternehmens zugeschnittenen Firmentarifvertrag abschließen.<br />

Geschäftsführung und Betriebsrat können einen ansonsten lang währenden<br />

und Kräfte zehrenden Konflikt beenden, indem sie eine betriebliche<br />

Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG einsetzen. Sie sollten das Instrument<br />

jedoch nur als Ult<strong>im</strong>a Ratio nutzen. Der unparteiische Vorsitzende, auf den<br />

sich beide Seiten verständigt haben, unterstützt die Parteien dabei, einen<br />

tragfähigen Kompromiss zu finden. Diese Aufgabe kann grundsätzlich<br />

auch der <strong>Landesschlichter</strong> <strong>NRW</strong> übernehmen.<br />

Beispiel<br />

Einigungsstellenverfahren gab es unter seinem Vorsitz z.B., um modellhafte<br />

Arbeitszeitregelungen bei einem großen Einzelhandelsunternehmen zu<br />

<strong>im</strong>plementieren oder ein Personalinformationssystem bei einem führenden<br />

Informations- und Kommunikationsunternehmen in Deutschland einzuführen.<br />

12 Fazit<br />

Sozialpartner und Betriebsparteien arbeiten i.d.R. gut und vertrauensvoll<br />

zusammen. Wenn es bei best<strong>im</strong>mten Konflikten hakt und nicht vorangeht,<br />

sollten sie aktiv das Instrument der Wirtschaftsmediation nutzen<br />

oder den Landeschlichter einschalten. Sie sind wie die Feuerwehr – am<br />

besten man braucht sie nicht, aber gut, dass es sie gibt.<br />

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