Integrationshemmnis Leiharbeit - Otto Brenner Shop
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INTEGRATIONSHEMMNIS LEIHARBEIT<br />
62<br />
dieser prekäre Beschäftigungsstatus auf die<br />
individuelle Wertschätzung und Anerkennung<br />
von Migranten seitens ihrer ethnischen Community<br />
und Familie mit sich bringt. Beide Gruppen<br />
sind aufgrund der Migrationserfahrung und<br />
des „Lebens in der Fremde“ von hoher Bedeutung.<br />
Die Strukturen, Akteure und Handlungsmuster,<br />
also die soziale Welt, in denen sich<br />
Migranten in <strong>Leiharbeit</strong> bewegen, sind prägend<br />
für ihre Wahrnehmung, d. h., die komplexen<br />
Folgewirkungen dieses Beschäftigungsstatus<br />
schlagen sich unmittelbar in ihren sozialen<br />
Handlungen und Denkweisen nieder. Tradierte,<br />
aus dem Herkunftsland bekannte Verhaltensregeln<br />
machen sich dabei auch deutsche Verleiher<br />
zunutze:<br />
„Zwei russischsprachige Brüder, beide<br />
sehr groß und kräftig gebaut, bieten einer<br />
Verleihfirma eine Art ‚Aufpasserdienst‘ für<br />
ihre Landsleute an. Die Brüder werden im<br />
Gegenzug von der Verleihfirma mit guten<br />
Aufträgen versorgt, und wenn es Ärger mit<br />
einem der Landsleute gibt, werden die beiden<br />
Brüder benachrichtigt“ (Betriebsrat<br />
Verleiher).<br />
Eine innerethnische Disziplinierung von <strong>Leiharbeit</strong>nehmern<br />
lässt sich auch im Umgang untereinander<br />
beobachten, um Fehler zu minimieren<br />
und Stereotype nicht weiter zu fördern.<br />
Dabei zeigt sich je nach Ethnie auch das Senioritätsprinzip:<br />
„Bei den griechischen und türkischen <strong>Leiharbeit</strong>ern<br />
fällt mir auf, dass es dort immer<br />
einen älteren Ansprechpartner gibt. Er ist<br />
eine Respektsperson in der Gruppe und regelt<br />
dort alle Probleme, egal ob mit Stammbeschäftigten<br />
oder anderen <strong>Leiharbeit</strong>ern.<br />
Er ist auch der Ansprechpartner für die<br />
Stammbeschäftigten; er hat Einfluss in die<br />
Gruppe hinein und sorgt dafür, dass alles<br />
läuft. Bei den <strong>Leiharbeit</strong>ern aus der ehemaligen<br />
Sowjetunion ist das nicht so. Diese<br />
sind eher vereinzelt, sehr zurückhaltend<br />
und sagen zu jedem ‚Chef‘. Früher dachte<br />
ich immer, das ist nur so gesagt. Inzwischen<br />
weiß ich, das ist so gemeint“ (Betriebsratsvorsitzender<br />
Entleiher).<br />
Wie bereits in Kapitel 6.3. ausführlich erläutert,<br />
leiden Migranten unter der Nichtanerkennung<br />
ihrer Ausbildung und der daraus resultierenden<br />
Beschäftigung als Hilfskraft. Das niedrige<br />
Einkommen in Kombination mit einer zum<br />
Teil starken Statusabwertung (Herr Dr. als Produktionshelfer<br />
an der Linie) ist für die Betroffenen<br />
und ihre Familien sehr belastend, zumal<br />
dieser Makel und die damit einhergehende<br />
Scham nicht auf den aktuellen Aufenthaltsort<br />
in Deutschland beschränkt bleibt. Die Geschichte<br />
der Niederlage überwindet regionale<br />
und nationale Grenzen, da viele Migranten regelmäßig<br />
soziale Kontakte zu Freunden und<br />
Bekannten innerhalb Deutschlands und vor allem<br />
auch in ihre Herkunftsregion pflegen. Das<br />
Ansehen und die Wertschätzung innerhalb dieser<br />
transnationalen sozialen Räume haben für<br />
die Identitätskonstruktion vieler Migranten einen<br />
hohen Stellenwert (vgl. Pries 2008).