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IV - CCA Monatsblatt

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Leute<br />

Tagen stellten sie jedoch fest, dass die Leute oft schlecht gelaunt sind und<br />

mürrische Antworten geben. In Bolivien hatte man das Gefühl, dass die<br />

Menschen irgendwie natürlicher und mitfühlender waren. Ich glaube, das<br />

hat etwas mit Geschwindigkeit zu tun, denn ein großer Unterschied ist die<br />

Einstellung zu Zeit. In Deutschland scheint niemand Zeit zu haben, jeder<br />

ungeduldig und auf der Flucht zu sein. Und das nicht nur am Arbeitsplatz,<br />

wo in den letzten Jahren durch immer neue Effizienzsteigerungen und<br />

erhöhte Anforderungen der Druck auf den Einzelnen zugenommen hat. Es<br />

steigt die Geschwindigkeit, mit der man seine Arbeit verrichtet, und es<br />

schwindet die Zeit für Reflexion oder ein Gespräch über das Alltägliche.<br />

Auch hier zeigt sich, dass Geschwindigkeit seinen Preis hat. Als ich zum<br />

ersten Mal nach einem Einkauf im Supermarkt an der Kasse stand, kam<br />

ich in eine Stresssituation. Der Kassierer war so schnell und ich konnte die<br />

Waren nicht in der gleichen Geschwindigkeit einpacken. Es bildete sich<br />

ein Stau auf dem Band und die Leute nach mir wurden bereits ärgerlich.<br />

Mal davon abgesehen, dass man in Bolivien seine Waren im Supermarkt<br />

gar nicht selber einpacken musste, waren auch die Kassierer einfach<br />

entspannter. In Bolivien wird Zeit anders wahrgenommen, man scheint<br />

immer Zeit für ein Schwätzchen zu haben, sei es bei der Cholita auf dem<br />

Markt, wenn man auf der Straße Bekannte trifft oder bei der Arbeit, sogar<br />

im Gespräch mit Ministern. Die „Entdeckung der Langsamkeit“ ist der<br />

Titel eines lesenswerten Buches von Sten Nadolny und ich glaube, eine<br />

solche Entdeckung könnte auch dem westlichen Lebensstil wieder ganz<br />

gut tun.<br />

Ein weiterer Unterschied ist sicherlich auch, dass man bei den täglichen<br />

Dingen des Haushalts wieder auf sich allein gestellt ist. Keine Vollzeit<br />

arbeitende Empleada mehr, die einem den Haushalt führt, regelmäßig kocht<br />

und einem die Hemden bügelt. Als Entsandter hatte man ein privilegiertes<br />

Leben und Privilegien aufzugeben, ist nicht einfach.<br />

Wenn man an Bolivien denkt, denkt man auch an Bloqueos. Man hatte<br />

uns vorgewarnt, als wir im Januar 2007 nach Bolivien kamen. Man müsse<br />

bei Reisen im Land aufpassen und wegen andauernder Straßenblockaden<br />

immer genügend Zeit einrechnen. Aber in den ersten zwei Jahren bin<br />

ich auf keinen Bloqueo getroffen und fand diese Warnungen ziemlich<br />

übertrieben. Meine ersten beiden Bloqueos erlebte ich dann auch gar<br />

nicht in Bolivien, sondern in den Nachbarländern. In Argentinien trafen<br />

wir auf eine Straßenblockade von Piqueteros, eine argentinische Art<br />

„Grupo social“, die zusätzlich zur monatlichen Sozialhilfezahlung auch<br />

<strong>Monatsblatt</strong> 4/2012<br />

107 Wohin mit dem Müll?

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