pedaliéro XXL 2018 Magazin für Geländeradsport
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UNTERWEGS º<br />
Jetzt zur Halbzeit der Saison fällt Fabio auf, dass sein Trailbike<br />
noch viel zu sauber aussieht … Es ist also an der Zeit herauszufinden,<br />
was sich oberhalb der Liftstationen abspielt und<br />
das Hinterland zu erkunden. Mit Tibor Simai steht ihm der<br />
perfekte Tourenguide zur Seite, jederzeit bereit <strong>für</strong> einen<br />
exzessiven MTB-Trip.<br />
In der Tat gibt es nichts, was die Seele mehr nährt als ein dramatisch<br />
wirkendes Himmelszelt und ein kurvenreicher Trail, der sich bis in den<br />
tiefsten Wald hinein schlängelt – alles zum Soundtrack plätschernder<br />
Bäche und kreisender Wildvögel. Hört man dann noch den Pinzgauer<br />
Dialekt um sich herum (und kann ihn bestenfalls entschlüsseln), erlebt<br />
man diese perfekte Alltagsflucht gerade in Saalbach.<br />
Und so geht es schließlich los, und zwar richtig. Ein Uphill auf über<br />
2.000 Höhenmeter und die Höhenluft sorgen <strong>für</strong> brennende Lungen,<br />
aber <strong>für</strong> einen beeindruckenden Blick über die Pinzgauer Alpen lohnt<br />
es sich immer wieder. Tibor muss Fabio nicht erklären, dass sie sich ihr<br />
Mittagessen später mehr als verdient haben werden. Es ist Hochsommer<br />
und die Graslandschaft ringsum ist saftiggrün, schillernd unter<br />
dem strahlend blauen Himmel und nur von Felsvorsprüngen, kleinen<br />
Seen und Wiesenblumen durchbrochen.<br />
Es folgt eine kurze Kletterpassage, die Bikes werden geschultert.<br />
Selbst <strong>für</strong> einen Typen wie Fabio, der spaßeshalber über einen der<br />
höchsten Staudämme der Welt balanciert, gehört das dazu. Das Hikea-Bike<br />
dauert aber nicht lange, und nach einer kurzen Pause und dem<br />
Genuss hart verdienter Schoko-Carbs an einem alpinen Pool verlieren<br />
sich Tibor und Fabio auch schon wieder in einem sagenhaften Flow.<br />
Sie ziehen donnernd durchs Heidekraut und fegen über satte Kuhweiden.<br />
Das ist eine Trailjagd vom Feinsten inmitten schönsten Alpenpanoramas<br />
– ob mit Kuhfladen gespickt oder nicht.<br />
„Deins sieht aber auch<br />
gut aus!“ Tibor bei der<br />
Tellerinspektion.<br />
In der Tat gibt es nichts,<br />
was die Seele mehr nährt<br />
als ein dramatisch wirkendes<br />
Himmelszelt und ein<br />
kurvenreicher Trail.<br />
Die beiden schalten einen Gang höher, denn der Singletrack<br />
wirft sie auf einen mehrere Kilometer langen Highspeed-Waldweg,<br />
und das klassische, augenzwinkernde Glücksspiel „Gibt es<br />
einen Drahtzaun oder gibt es keinen“ beginnt.<br />
Während sie langsam ihre schmerzenden Hände entspannen<br />
und mit dem unwiderstehlichen Duft von Bratkartoffeln mit<br />
Speck in der Nase auf ihre Bestellung warten, schlägt Tibor seinem<br />
neuen „Bergfreund“ Pläne <strong>für</strong> den Abend vor. Sie sind jetzt<br />
schon so weit gekommen, wie wäre es dann, einfach noch ein<br />
wenig weiter ins Hinterland zu fahren und eine Übernachtung<br />
in einem rustikalen Jagdhaus einzulegen?<br />
Wenig später überqueren sie eine alte Brücke, die über einen<br />
rauschenden Fluss führt, und nähern sich einem qualmenden<br />
Schornstein. Fabio und Tibor klopfen an die Tür eines kleinen<br />
Häuschens, während das letzte Licht des Tages von dicken Regenwolken<br />
geschluckt wird. Zu ihrer Überraschung öffnet ein Mann<br />
in traditioneller Jagdkleidung die Tür: eine dicke Wolljacke, eine<br />
dunkelgrüne Hose, ein Gewehr um den Hals und sogar ein absolut<br />
stereotypischer österreichischer Hut mit Feder, der mit Regentropfen<br />
benetzt ist. Es ist Josef, ein Freund von Tibor, der gerade<br />
mit seinem gar nicht so furchterregenden Hund von einer Jagd<br />
zurückgekehrt ist, die weit weniger erfolgreich war, als die Jagd<br />
der beiden Biker nach Epic-Trails.<br />
Als der Trail rauer wird und immer mehr Felsvorsprünge zwischen<br />
den Baumreihen durchblitzen, stürzen sich die beiden quasi kopfüber<br />
ins Tal und damit in Richtung süße Erlösung, denn das Mittagessen auf<br />
der urigen Lindlingalm naht. An manchen Stellen scheint der Trail zu<br />
verschwinden, der Schlamm spritzt überall dort in die Höhe, wo kleine<br />
Gebirgsbäche in die Fahrspur fließen oder umgekehrt. Fabio hat diese<br />
nasse und wilde, fremdartige Welt ganz gut im Griff; es gibt keinen<br />
Fahrstil, den er nicht draufhat.<br />
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