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ثقافة – الدجتال غير موثوق Kultur – Die Königin Mutter der Welt<br />
ثقافة – الدجتال غير موثوق Kultur – Die Königin Mutter der Welt<br />
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DIE KÖNIGIN<br />
MUTTER DER WELT<br />
REPORTAGE SAMI SALLOUM<br />
4000 Jahren zu erzählen. Davor kannte die Menschheit<br />
nicht den Gott, von dem wir heute sprechen. 5000 Jahre<br />
aber hatte sie Damaskus gekannt, besucht, gesehen<br />
und berührt. Wenn das nicht reicht um Damaskus zu<br />
ikonisieren und zu verehren.<br />
Dafür erzählt sie mir von jenen, die von dort verschwunden<br />
waren, die Damaskus verlassen hatten. Sie sagt<br />
oft: „Damaskus hat Schlimmeres erlebt als das, was<br />
heute passiert. Damaskus war immer schon stärker…<br />
Zeit kann Damaskus nichts anhaben. Die Stadt ist eine<br />
Expertin der Unbesiegbarkeit.” Die Dame erzählt, dass<br />
sie zwei Jahre im Staub der Aufzeichnungen verbracht,<br />
Rückblicke, Studien und Dokumente gesichtet hat. Und<br />
wie sie dann nach Deutschland zurück gegangen ist<br />
um ihr Buch zu schreiben. Es handelt von Damaskus<br />
im 18. und 19. Jahrhundert, mit allen Details zur Stadt,<br />
vergessen. Sie weiß nicht, dass der kleinste Streit in<br />
kürzester Zeit zu einem Faustkampf werden kann. Wie<br />
zum Beispiel die Diskussion darüber, wer den Mate-Tee<br />
nach Syrien gebracht hat. Waren es die Sunnah aus der<br />
Mitte Syriens mit ihrer Verbindung nach Lateinamerika<br />
oder die Bewohnerinnen und Bewohner der alawitischen<br />
Küste mit ihren großen Handelshäfen der waren<br />
es doch die Suwayda aus den Bergen?<br />
Sie weiß auch nicht, dass der spanische „Classico“, das<br />
Fußballduell von Real Madrid gegen Barcelona, in<br />
manchen Cafés Bürgerkriege auslösen kann.<br />
Sie weiß nicht, dass wir ignorant und unwissend sind.<br />
Weiß nicht, was die Kinder dieser Stadt alles missachten,<br />
wie sie die Stadt beansprucht und verwundet haben.<br />
Wir sind schuldig, Damaskus. Wir sind kurzsichtig und<br />
naiv. Wir wissen nicht, dass wir immer noch sind, was<br />
Ich suche meine erste Wohnung in Deutschland. Meine<br />
potentielle Vermieterin ist 70 Jahre alt, eine matronenhafte<br />
Dame. Sie kennt meine Heimat Damaskus überraschend<br />
gut. „Wie haben es die Menschen aus Damaskus<br />
geschafft, 9.000 Jahre Leben und Kultur in ihrer Stadt<br />
zu bewahren?”, fragt sie voller Bewunderung (währenddessen<br />
bewundere ich ihre Wohnung).<br />
„Deine Stadt hat mich über Jahre hinweg gebannt „gefesselt,”<br />
erzählt sie. „Und ich habe mir wieder und wieder<br />
die gleiche Frage gestellt: 9000 Jahre Damaskus,<br />
wo doch die anderen großen Reiche gescheitert sind:<br />
Rom, Babylon, Athen und so viele andere sind verblasst.<br />
Wie ist das möglich?”<br />
Sie ist ehemalige Oxford-Absolventin in Middle Eastern<br />
Studies. Kennt unzählige arabische Wörter, weiß wo<br />
und wie man sie benutzt. Ihre Haare sind kurz und grau,<br />
ihre Augen schimmern wie zwei türkise Juwelen, die<br />
tausende über tausende von Büchern gelesen haben.<br />
Sie erscheinen hinter Brillengläsern, deren Stil ihr <strong>Al</strong>ter<br />
verrät.<br />
Damaskus hat sie über Jahre hinweg fasziniert. Acht<br />
Jahre ihres Lebens hat sie zwischen Damaskus und<br />
Beirut verbracht, hat <strong>Al</strong>eppo besucht, Homs, Lattakia<br />
und Daraa, hat sich treiben lassen. Dabei war ihr Denken<br />
bestimmt von dieser einen Stadt. Jahre hat sie in<br />
ihren Archiven mit Grundbüchern und Stammbäumen<br />
verbracht, um die Verbindungen der wohlhabenden Familien<br />
nachzuvollziehen und um Ideen für das Buch zu<br />
sammeln, das sie schreiben wollte.<br />
Wir reden viel über Damaskus. Sie kennt sich aus mit<br />
der Geschichte, kennt kleine Besonderheiten und Überraschungen<br />
über die Stadt. Ich höre das erste Mal, dass<br />
Bab Sharqi (das östliche Tor der Stadt, dass ich tausende<br />
Male passiert habe), das Tor der uralten Konvoys<br />
aus Bagdhad gewesen ist. Von dort aus ging es direkt<br />
nach Palmira, dann weiter nach Bagdad war. Der Rest<br />
der Welt kennt die Strecke als die Seidenroute. Die<br />
nördliche Handelsrouten von <strong>Al</strong>eppo, Anatolien und<br />
Istanbul hatten die Stadt durch das Tor von Touma erreicht<br />
(benannt nach Thomas, dem Jünger Christi) und<br />
weiter südlich die östliche Route in einem der wichtigsten<br />
Distrikte von Damaskus getroffen. An dem Ort, der<br />
die Ottomanen dazu veranlasst hatte, hier ihr militärisches<br />
Zentrum zu errichten. Die westliche Handelsroute<br />
vom Libanon in die Mediterrane hat am Fluss Barada<br />
entlanggeführt, bis zu einem Platz, so schön wie eine<br />
Lichtung: <strong>Al</strong> Marjah, für unsere heutige Generation das<br />
Symbol für Prostitution. Der Zugang für die Konvoys<br />
aus Houran, Palestina und Ägypten war Bab <strong>Al</strong> Srijah –<br />
so wie die Händler und Händlerinnen Jordaniens und der<br />
arabischen Halbinseln von <strong>Al</strong> Midan durch Bab Kisans<br />
Tor geschritten waren. Das gleiche Tor übrigens, durch<br />
das der heilige Paul floh, nachdem die Juden und Jüdinnen<br />
versucht hatten, ihn zu töten, weil er zum Christentum<br />
konvertiert war.<br />
Ich wusste nicht, dass sich in der Mitte meiner Stadt<br />
ein Rechteck aus Mauern versteckt, verbunden durch<br />
vier Punkte (das Schloss – das Tor von <strong>Al</strong>-Jabiya – Das<br />
Tor des Friedens – die Moschee der Kirche). Die fünf Islamschulen<br />
und die Umayyad Moschee bilden das Herz<br />
der Stadt. In ihm hatten sich zwanzig Khane und die<br />
Wohnsitze der wichtigsten damaszenischen Familien<br />
angesiedelt. Umgeben von allen mystischen Ecken – wie<br />
eine Stadt in der Stadt.<br />
Die Dame will ihre Wohnung in Berlin nur an einen Syrer<br />
vermieten, ohne Wiederrede. Ich habe sie über den<br />
Freund eines Freundes kennen gelernt. Wir verbringen<br />
viel Zeit damit, uns zu unterhalten, Geschichten und Erinnerungen<br />
über Damaskus auszutauschen. Ich erzähle<br />
ihr, wie großartig es für uns in der Oberschule war,<br />
morgens die Schule zu schwänzen, ohne Grund einfach<br />
abzuhauen, um in den Gassen, Cafés und steinigen<br />
Straßen herumzuhängen, bis die Schule vorbei war, um<br />
dann erst nach Hause zu gehe. Ich erzähle ihr, was das<br />
für ein Vergnügen für unsere Seelen und Herzen war.<br />
Ich sage, dass Damaskus älter ist als Gott. Immerhin<br />
beginnen die drei großen Religionen (das Judentum,<br />
das Christentum, der Islam) die Geschichte von Gott vor<br />
Bevölkerung, Politik und Wirtschaft, zur Situation der<br />
Händler und Händlerinnen und ihrem Wohlstand. Es<br />
handelt von Krisen und Launen des Schicksals.<br />
<strong>Al</strong>s wir den Mietvertrag unterschreiben, sagt sie zu mir:<br />
„Damaskus hat so eine Art, die zu belohnen, die es liebt.<br />
Heute hast du dadurch sogar eine Wohnung in Berlin<br />
gefunden." In mir brennt sofort die Nostalgie. Sie erzählt<br />
von Damaskus und ich sinke in mich zusammen,<br />
werde kleiner. Sie redet und strahlt, eine Flut des Segens<br />
und ich – eine Welle des Bedauerns.<br />
Die Dame weiß nicht, dass die bedeutendste Kreuzung<br />
in Damaskus zwischen der Geraden Straße und dem<br />
Steinweg, dort, wo die Ottomanen ihr militärisches<br />
Zentrum errichtet hatten, heute zu einem Brennpunkt<br />
geworden ist. Für die, die kiffen und trinken, um zu<br />
du bist, ein Spiegel der Geschichten derer, die dich<br />
verließen. So wie auch wir dich irgendwann verlassen<br />
werden. Dass diese Geschichten, die du immer noch in<br />
deinem Brustkorb versteckst, auch unsere sind.<br />
Hätten wir nur unsere Schuhe in den Straßen und Gassen<br />
ausgezogen, um Vergebung bittend. Hätten wir nur<br />
deinen Namen den Göttern gleichgesetzt und ihn wie<br />
eine Ehrenmedaille getragen. Wir verschwinden, meine<br />
Geliebte, und niemand wird es merken, aber du, Königin<br />
Mutter der Welt, bist da seit einer Ewigkeit und wirst<br />
für immer bleiben.<br />
<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> 01/18<br />
<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> 01/18