11.07.2018 Aufrufe

Al Ard Magazin Ausgabe 7

Das Arabisch/Deutsche Kulturmagazin

Das Arabisch/Deutsche Kulturmagazin

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

42<br />

ثقافة – الدجتال غير موثوق Kultur – Die Königin Mutter der Welt<br />

ثقافة – الدجتال غير موثوق Kultur – Die Königin Mutter der Welt<br />

43<br />

DIE KÖNIGIN<br />

MUTTER DER WELT<br />

REPORTAGE SAMI SALLOUM<br />

4000 Jahren zu erzählen. Davor kannte die Menschheit<br />

nicht den Gott, von dem wir heute sprechen. 5000 Jahre<br />

aber hatte sie Damaskus gekannt, besucht, gesehen<br />

und berührt. Wenn das nicht reicht um Damaskus zu<br />

ikonisieren und zu verehren.<br />

Dafür erzählt sie mir von jenen, die von dort verschwunden<br />

waren, die Damaskus verlassen hatten. Sie sagt<br />

oft: „Damaskus hat Schlimmeres erlebt als das, was<br />

heute passiert. Damaskus war immer schon stärker…<br />

Zeit kann Damaskus nichts anhaben. Die Stadt ist eine<br />

Expertin der Unbesiegbarkeit.” Die Dame erzählt, dass<br />

sie zwei Jahre im Staub der Aufzeichnungen verbracht,<br />

Rückblicke, Studien und Dokumente gesichtet hat. Und<br />

wie sie dann nach Deutschland zurück gegangen ist<br />

um ihr Buch zu schreiben. Es handelt von Damaskus<br />

im 18. und 19. Jahrhundert, mit allen Details zur Stadt,<br />

vergessen. Sie weiß nicht, dass der kleinste Streit in<br />

kürzester Zeit zu einem Faustkampf werden kann. Wie<br />

zum Beispiel die Diskussion darüber, wer den Mate-Tee<br />

nach Syrien gebracht hat. Waren es die Sunnah aus der<br />

Mitte Syriens mit ihrer Verbindung nach Lateinamerika<br />

oder die Bewohnerinnen und Bewohner der alawitischen<br />

Küste mit ihren großen Handelshäfen der waren<br />

es doch die Suwayda aus den Bergen?<br />

Sie weiß auch nicht, dass der spanische „Classico“, das<br />

Fußballduell von Real Madrid gegen Barcelona, in<br />

manchen Cafés Bürgerkriege auslösen kann.<br />

Sie weiß nicht, dass wir ignorant und unwissend sind.<br />

Weiß nicht, was die Kinder dieser Stadt alles missachten,<br />

wie sie die Stadt beansprucht und verwundet haben.<br />

Wir sind schuldig, Damaskus. Wir sind kurzsichtig und<br />

naiv. Wir wissen nicht, dass wir immer noch sind, was<br />

Ich suche meine erste Wohnung in Deutschland. Meine<br />

potentielle Vermieterin ist 70 Jahre alt, eine matronenhafte<br />

Dame. Sie kennt meine Heimat Damaskus überraschend<br />

gut. „Wie haben es die Menschen aus Damaskus<br />

geschafft, 9.000 Jahre Leben und Kultur in ihrer Stadt<br />

zu bewahren?”, fragt sie voller Bewunderung (währenddessen<br />

bewundere ich ihre Wohnung).<br />

„Deine Stadt hat mich über Jahre hinweg gebannt „gefesselt,”<br />

erzählt sie. „Und ich habe mir wieder und wieder<br />

die gleiche Frage gestellt: 9000 Jahre Damaskus,<br />

wo doch die anderen großen Reiche gescheitert sind:<br />

Rom, Babylon, Athen und so viele andere sind verblasst.<br />

Wie ist das möglich?”<br />

Sie ist ehemalige Oxford-Absolventin in Middle Eastern<br />

Studies. Kennt unzählige arabische Wörter, weiß wo<br />

und wie man sie benutzt. Ihre Haare sind kurz und grau,<br />

ihre Augen schimmern wie zwei türkise Juwelen, die<br />

tausende über tausende von Büchern gelesen haben.<br />

Sie erscheinen hinter Brillengläsern, deren Stil ihr <strong>Al</strong>ter<br />

verrät.<br />

Damaskus hat sie über Jahre hinweg fasziniert. Acht<br />

Jahre ihres Lebens hat sie zwischen Damaskus und<br />

Beirut verbracht, hat <strong>Al</strong>eppo besucht, Homs, Lattakia<br />

und Daraa, hat sich treiben lassen. Dabei war ihr Denken<br />

bestimmt von dieser einen Stadt. Jahre hat sie in<br />

ihren Archiven mit Grundbüchern und Stammbäumen<br />

verbracht, um die Verbindungen der wohlhabenden Familien<br />

nachzuvollziehen und um Ideen für das Buch zu<br />

sammeln, das sie schreiben wollte.<br />

Wir reden viel über Damaskus. Sie kennt sich aus mit<br />

der Geschichte, kennt kleine Besonderheiten und Überraschungen<br />

über die Stadt. Ich höre das erste Mal, dass<br />

Bab Sharqi (das östliche Tor der Stadt, dass ich tausende<br />

Male passiert habe), das Tor der uralten Konvoys<br />

aus Bagdhad gewesen ist. Von dort aus ging es direkt<br />

nach Palmira, dann weiter nach Bagdad war. Der Rest<br />

der Welt kennt die Strecke als die Seidenroute. Die<br />

nördliche Handelsrouten von <strong>Al</strong>eppo, Anatolien und<br />

Istanbul hatten die Stadt durch das Tor von Touma erreicht<br />

(benannt nach Thomas, dem Jünger Christi) und<br />

weiter südlich die östliche Route in einem der wichtigsten<br />

Distrikte von Damaskus getroffen. An dem Ort, der<br />

die Ottomanen dazu veranlasst hatte, hier ihr militärisches<br />

Zentrum zu errichten. Die westliche Handelsroute<br />

vom Libanon in die Mediterrane hat am Fluss Barada<br />

entlanggeführt, bis zu einem Platz, so schön wie eine<br />

Lichtung: <strong>Al</strong> Marjah, für unsere heutige Generation das<br />

Symbol für Prostitution. Der Zugang für die Konvoys<br />

aus Houran, Palestina und Ägypten war Bab <strong>Al</strong> Srijah –<br />

so wie die Händler und Händlerinnen Jordaniens und der<br />

arabischen Halbinseln von <strong>Al</strong> Midan durch Bab Kisans<br />

Tor geschritten waren. Das gleiche Tor übrigens, durch<br />

das der heilige Paul floh, nachdem die Juden und Jüdinnen<br />

versucht hatten, ihn zu töten, weil er zum Christentum<br />

konvertiert war.<br />

Ich wusste nicht, dass sich in der Mitte meiner Stadt<br />

ein Rechteck aus Mauern versteckt, verbunden durch<br />

vier Punkte (das Schloss – das Tor von <strong>Al</strong>-Jabiya – Das<br />

Tor des Friedens – die Moschee der Kirche). Die fünf Islamschulen<br />

und die Umayyad Moschee bilden das Herz<br />

der Stadt. In ihm hatten sich zwanzig Khane und die<br />

Wohnsitze der wichtigsten damaszenischen Familien<br />

angesiedelt. Umgeben von allen mystischen Ecken – wie<br />

eine Stadt in der Stadt.<br />

Die Dame will ihre Wohnung in Berlin nur an einen Syrer<br />

vermieten, ohne Wiederrede. Ich habe sie über den<br />

Freund eines Freundes kennen gelernt. Wir verbringen<br />

viel Zeit damit, uns zu unterhalten, Geschichten und Erinnerungen<br />

über Damaskus auszutauschen. Ich erzähle<br />

ihr, wie großartig es für uns in der Oberschule war,<br />

morgens die Schule zu schwänzen, ohne Grund einfach<br />

abzuhauen, um in den Gassen, Cafés und steinigen<br />

Straßen herumzuhängen, bis die Schule vorbei war, um<br />

dann erst nach Hause zu gehe. Ich erzähle ihr, was das<br />

für ein Vergnügen für unsere Seelen und Herzen war.<br />

Ich sage, dass Damaskus älter ist als Gott. Immerhin<br />

beginnen die drei großen Religionen (das Judentum,<br />

das Christentum, der Islam) die Geschichte von Gott vor<br />

Bevölkerung, Politik und Wirtschaft, zur Situation der<br />

Händler und Händlerinnen und ihrem Wohlstand. Es<br />

handelt von Krisen und Launen des Schicksals.<br />

<strong>Al</strong>s wir den Mietvertrag unterschreiben, sagt sie zu mir:<br />

„Damaskus hat so eine Art, die zu belohnen, die es liebt.<br />

Heute hast du dadurch sogar eine Wohnung in Berlin<br />

gefunden." In mir brennt sofort die Nostalgie. Sie erzählt<br />

von Damaskus und ich sinke in mich zusammen,<br />

werde kleiner. Sie redet und strahlt, eine Flut des Segens<br />

und ich – eine Welle des Bedauerns.<br />

Die Dame weiß nicht, dass die bedeutendste Kreuzung<br />

in Damaskus zwischen der Geraden Straße und dem<br />

Steinweg, dort, wo die Ottomanen ihr militärisches<br />

Zentrum errichtet hatten, heute zu einem Brennpunkt<br />

geworden ist. Für die, die kiffen und trinken, um zu<br />

du bist, ein Spiegel der Geschichten derer, die dich<br />

verließen. So wie auch wir dich irgendwann verlassen<br />

werden. Dass diese Geschichten, die du immer noch in<br />

deinem Brustkorb versteckst, auch unsere sind.<br />

Hätten wir nur unsere Schuhe in den Straßen und Gassen<br />

ausgezogen, um Vergebung bittend. Hätten wir nur<br />

deinen Namen den Göttern gleichgesetzt und ihn wie<br />

eine Ehrenmedaille getragen. Wir verschwinden, meine<br />

Geliebte, und niemand wird es merken, aber du, Königin<br />

Mutter der Welt, bist da seit einer Ewigkeit und wirst<br />

für immer bleiben.<br />

<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> 01/18<br />

<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> 01/18

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!