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Al Ard Magazin Ausgabe 7

Das Arabisch/Deutsche Kulturmagazin

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السياسة والمجتمع - المقاومة والبراندي Politik und Gesellschaft - Wiederstand & Weinbrand<br />

13<br />

WIDER –<br />

STAND &<br />

WEINBRAND<br />

Die traditionelle deutsche Kneipe ist dem Untergang geweiht. Das traditionelle deutsche Kaufhaus ebenso.<br />

In Deutschland hat seit 2001 jede dritte Kneipe dicht gemacht, seit 2009 bereits 15 Karstadt Filialen.<br />

REPORTAGE DENNIS LANGER<br />

FOTOS SANDRA TREISBACH<br />

Gesellschaftlicher Wandel, Craft Beer und grüne<br />

Smoothies, Shoppingmalls und Food Courts,<br />

Karststadt-Insolvenz. Die Kaufhauskneipe verweigert<br />

sich allen gesellschaftlichen Trends und durfte<br />

es nach diesen Annahmen schon gar nicht geben. Doch<br />

es gibt sie (noch) und zwar genau dort, wo sie es eigentlich<br />

auch schon gar nicht mehr geben sollte, dort<br />

wo Tradition auf Wandel trifft und wo die Gentrifizierung<br />

so schnell voranschreitet wie in keinem anderen Stadtteil<br />

Deutschlands: Berlin-Neukölln. Hier betreibt Reza<br />

Eskafi das kleine gallische Dorf im Untergeschoss des<br />

Karstadt Warenhauses am Herrmannplatz – umzingelt<br />

von hippen Bars, Burger Läden, Galerien und Pop-Up-<br />

Stores auf der einen und von Ein-Euro-Läden, Copyshops<br />

mit Internet und Handydoktoren auf der anderen<br />

Seite. Unmittelbar umgeben von Sonderangeboten,<br />

Lautsprecherdurchsagen und Einkaufswagengeratter.<br />

„DIE 40 AN DIE 30 BITTE“<br />

Einen Monat oder etwas länger ist es her, seitdem wir<br />

an einem Freitagmittag unsere ersten Biere im „Zapfhahn“<br />

getrunken haben und die Idee über diesen Artikel<br />

langsam in unseren Köpfen zu reifen begann. Könnte<br />

klappen: ein paar schräge Fotos, einige Beobachtungen,<br />

vielleicht ein Interview mit einem der Stammgäste –<br />

Gedanken die mir durch den Kopf gehen, als wir an der<br />

U-Bahn Haltestelle Hermannplatz aussteigen und die<br />

Rolltreppe in Richtung Karstadt nehmen. In eine Kneipe,<br />

die man sowohl mit der Rolltreppe, als auch mit dem<br />

Fahrstuhl betreten kann, eine Kneipe, die sich zwischen<br />

der Feinkostabteilung und dem Kunden-WC befindet.<br />

Es ist Ende November: die ersten Adventskalender stehen<br />

in den Regalen bereit, in Cellophan eingewickelte<br />

Lebensmittelkörbe daneben warten darauf, von Rentnern<br />

für die nächste Geburtstagsfeier mitgenommen<br />

zu werden. Draußen ist es kalt und dunkel, drinnen<br />

leuchten die hellen Neonröhren alles gut sichtbar aus.<br />

Rolltreppenrauschen, Lautsprecherdurchsagen – die<br />

40 an die 30, bitte –, Sonderangebote – Hackfleisch,<br />

das Kilo halb und halb, nur einsfünfundneunzig –, der<br />

Geruch von deutscher Provinz der 60er Jahre hängt<br />

hier in der Luft. Gleich hinter der Einkaufswagenretourstation<br />

sehen wir die hölzernen Giebel: hier<br />

scheint die Zeit – irgendwann vor unserer Zeit – stehen<br />

geblieben zu sein.<br />

Wir nähern uns dem „Zapfhahn“. Schnell denke ich<br />

noch, dass elf Uhr vielleicht doch keine gute Wahl<br />

der Uhrzeit gewesen sein könnte – wer trinkt denn<br />

da schon Bier an einem Dienstagmorgen? – als wir<br />

die beiden einsamen Gäste auf ihren Hockern sitzen<br />

sehen, an den jeweils gegenüberliegenden Enden des<br />

Tresens. Die roten, blauen und gelben Lichterketten<br />

spiegeln sich auf den weißen Kacheln, die das gesamte<br />

Untergeschoss pflastern. Die Lichter des Spielautomaten,<br />

der vom einen Ende des Tresens aus zu bedienen<br />

ist, zucken nervös hin und her. Seine penetranten<br />

Geräusche sind zwischen den Lautsprecherdurchsagen<br />

und der Schlagermusik, die hier durch die Boxen<br />

trällert kaum zu vernehmen. Ein großes Plakat<br />

schmückt die Wand am anderen Ende des Zapfhahns:<br />

bei DM gibt es jetzt Hirsekringel – hier Salzstangen.<br />

Es ist schwierig und leicht zugleich, den Zapfhahn zu<br />

beschreiben. Man stelle sich die holzvertäfelte Inneneinrichtung<br />

einer typisch-traditionellen deutschen<br />

Kneipe vor, verfrachtet in das sterile, weiß-gefärbte<br />

Untergeschoss eines Kaufhauses: Herrengedeck trinkende<br />

Mittsechsziger inklusive. Der Zapfhahn ist ein<br />

kleines Kneipenrefugium zwischen zwei Rolltreppen.<br />

Ein Relikt aus alten Zeiten in einem Relikt aus alten<br />

Zeiten – Kneipenkultur trifft auf Kaufhauskultur.<br />

Das Wirtschaftswunder der 60er, die Unbekümmertheit<br />

und Prosperität der Generation unserer<br />

Eltern sind lang passé, wurden mittlerweile durch<br />

<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> 01/18

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