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Pictorial 4-18

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piCtoRial<br />

ART BUYER’S DIGEST<br />

iSSN 2366-2735<br />

4/20<strong>18</strong><br />

Juli/August 20<strong>18</strong><br />

Deutschland EUR 6,00<br />

Österreich: EUR 7,00<br />

Schweiz: SFR 10,50<br />

bildband:<br />

Erstaunliches<br />

Tierverhalten<br />

feature:<br />

portraits –<br />

personifizierte<br />

Denkpause<br />

interviews:<br />

Dr. Gerald piffl<br />

Nadja Masri<br />

portfolio:<br />

Shirin Abedi


inhalt PICTORIAL 4/20<strong>18</strong><br />

Foto: United Archives/Kühn<br />

feature<br />

Ein Epos aus Adel und<br />

Persönlichkeiten ...<br />

Nach langen Verhandlungen konnte United Archives den Nachlass<br />

des Meerbuscher Fotografen Wolfgang Kühn akquirieren,<br />

der seit Beginn der 1960er bis in die beginnenden 2000er Jahre<br />

die Reichen und Schönen, die Malenden, Darstellenden und<br />

Singenden, sowie die Fürsten-, Grafen- und Herzogskronen tragenden<br />

Häupter Europas vor die Kamera bat. Seite 16<br />

bildbände<br />

Paris – Mit den Augen eines Flâneurs<br />

William Albert Allard<br />

Seite 12<br />

feature<br />

Heldenromane<br />

Als Reaktion auf die steigende<br />

Komplexität der Inhalte bei gleichzeitig<br />

sinkender Aufmerksamkeit<br />

der Zielgruppen sollen Graphic<br />

Novels journalistische Inhalte zeitgemäß,<br />

barrierearm vermitteln. Ihr<br />

Thema ist immer wieder auch die<br />

Arbeit von Fotojournalisten.<br />

Seite 22<br />

bildmarkt<br />

Bilder zum Thema Stalin<br />

bei akg images 6<br />

Shutterstocks Oscar Pop!<br />

Poster-Serie 7<br />

Süddeutsche Zeitung<br />

Photo – 19<strong>18</strong>, 1938, 1948, 1968:<br />

Tschechien und die Achter-<br />

Jahre<br />

News UK-Portfolio jetzt<br />

bei ddp images<br />

Italienische Museen<br />

bei Bridgeman 8<br />

Zentralbild digitalisiert<br />

Lebenswerk des DDR-<br />

Fotografen Erich Schutt<br />

Visum: Half a million a day<br />

Günter Gräfenhain ist neu<br />

und exklusiv bei mauritius<br />

images<br />

Neu bei laif: Marcus Simaitis 10<br />

Media Punch – Neuer imago-<br />

Partner für Celebrity-Fotografie<br />

Ruby Images neuer Place<br />

in My-picturemaxx<br />

Burkhard Schwetje<br />

bei picture alliance<br />

Westend61 wird zur<br />

Bildagentur 11<br />

feature<br />

Bildmarkt 20<strong>18</strong> – Bilder lieben und<br />

leidensfähig sein 12<br />

bildrecht<br />

Streetphotography wird als<br />

Kunstform anerkannt 16<br />

Bundesverfassungsgericht<br />

Intime Bilder dürfen auf Facebook<br />

nicht gezeigt werden<br />

LG Frankfurt<br />

Panorama darf keine<br />

Spiegel TV-Exklusivbilder<br />

zeigen<br />

LG Hamburg<br />

Polizist muss Fotografieren<br />

seines Geschlechtsteils<br />

dulden 17<br />

VG Cottbus<br />

Keine Strafe für das<br />

Verbrennen eines Fotos des<br />

spanischen Königspaars<br />

EGMR<br />

Vor dem Schwimmen Model<br />

Released unterschreiben<br />

feature<br />

Ein Epos aus Adel und<br />

Persönlichkeiten ... <strong>18</strong><br />

bildbände<br />

Paris – Mit den Augen<br />

eines Flâneurs<br />

William Albert Allard 20<br />

feature<br />

Heldenromane<br />

Graphic Novels 22<br />

portfolio<br />

WILD! Ausstellung:<br />

Freelens Rhein-Main 26<br />

events<br />

Maximilian Hornisch ist<br />

GDT-Fotograf des Jahres 32<br />

Hamburg: Ina Schoenenburg.<br />

Schmale Pfade | Blickwechsel<br />

Luigi Ghirri – Ausstellung<br />

im Museum Folkwang 33<br />

Hannover: „Bilder, die<br />

Geschichte schreiben“<br />

Sieger des sechsten<br />

DGPh-Bildungspreises 20<strong>18</strong><br />

National Geographic-<br />

Ausstellung in Hamburg<br />

20<strong>18</strong> Sony World<br />

Photography-Wettkampf 34<br />

portfolio<br />

Andy Bünning 36<br />

vorschau 42<br />

titelbild<br />

Aus „Paris – Mit den Augen eines Flâneurs“<br />

Foto: William Albert Allard/Edition Lammerhuber<br />

4 | PICTORIAL | 3/20<strong>18</strong>


ildmarkt<br />

Foto: xxx<br />

Reisereportage über Berlin<br />

Die Fotografen-Gruppe Landmarker war gemeinsam in Berlin, um eine große Reisereportage über Deutschlands Hauptstadt zu fotografieren. Es<br />

geht nicht nur um Stadtansichten in außergewöhnlich schönem Licht, sondern auch um die Menschen.<br />

Landmarker? Das ist ein loser Zusammenschluss von Fotografen, die in den unterschiedlichsten Bereichen der Fotografie tätig sind und für größere<br />

Fotoprojekte zusammenarbeiten. Bislang fotografierten die Landmarker u.a. in Istanbul, Prag, London, Venedig, Wien, Amsterdam und Bangkok.<br />

2015 erschien im morisel-Verlag der Landmarker-Bildband „Mit der Kamera in: Istanbul“. In Berlin waren 15 Fotografen parallel unterwegs.<br />

Die Fotos dieser umfangreichen Reisereportage von 295 Motiven finden sich bei Visum.<br />

3/20<strong>18</strong> | PICTORIAL | 55


portfolio<br />

00 | PICtorial | 4/20<strong>18</strong>


Shirin Abedi<br />

Diyar - Die<br />

Geschichte<br />

einer rückkehr<br />

„Drei Prozent der Weltbevölkerung lebt nicht an dem<br />

ort, an dem er geboren ist. ich bin eine von ihnen.<br />

Mit sieben Jahren verließ ich mit meiner Familie den<br />

iran, mit dem Ziel der rückkehr nach dem Studienabschluss<br />

meines Vaters. aus dem bestimmten Zeitraum<br />

entstand unsere immigration nach Deutschland. Sie ist<br />

ein Beispiel für einer der seit den 1970er Jahren wichtigsten<br />

Problemen des irans: dem „Brain Drain“ . Dabei<br />

emigriert die iranische Elite in Wissenschaft, Wirtschaft,<br />

Politik und Kunst wegen ihrer politischen Unzufriedenheit,<br />

den mangelhaften Bildungsmöglichkeiten sowie<br />

schlechten arbeitsbedingungen. laut angaben der iranischen<br />

Behörden studieren heute offiziell 70.000 bis<br />

100.000 iranische Studenten im ausland.<br />

Viele bleiben dort.<br />

ich fragte mich immer mehr, wie mein leben nach einer<br />

rückkehr in den iran aussähe. Deshalb zog ich<br />

nach teheran und musste meine Entscheidung bei<br />

vielen leuten rechtfertigen. Jeder, der kann, geht. Diejenigen,<br />

die sich bewusst für das Bleiben entscheiden,<br />

gehören zur ausnahme.<br />

Für mich ist der iran ein Wechselspiel aus dem Begehren<br />

des Weggehens in eine unkompliziertere Welt,<br />

die Wut und der Frust auf die Heimat - sowie die Zufriedenheit<br />

im Bleiben, bei Menschen, die trotz der Unterschiede,<br />

ein teil von einem Selbst sind.“<br />

Shirin abedi, shirinaabedi@yahoo.de<br />

Die ausstellung Diyar - Die Geschichte<br />

einer rückkehr von shirin abedi ist im<br />

rahmen des Festival-Programms in<br />

Perpignan zu sehen.<br />

4/20<strong>18</strong> | PICtorial | 00


portfolio<br />

in meiner Kindheit und Jugend bestand meine<br />

Familie aus 3 Menschen: meiner Mutter, meinem<br />

Vater und meinem Bruder. im iran jedoch, sind wir<br />

Zweige eines großen Baums.<br />

00 | PICtorial | 4/20<strong>18</strong>


Eine Wahlkampagne vom konservativen<br />

Präsidentschaftskandidaten Ebrahim raisi im<br />

teheraner Mosalla. Dabei wurden Frauen und Männer<br />

auf zwei unterschiedlichen Etagen separiert.<br />

// tehran, 16.05.2017<br />

4/20<strong>18</strong> | PICtorial | 00


portfolio<br />

00 | PICtorial | 4/20<strong>18</strong>


Milad (25) arbeitet als Mechaniker in Shushtar. auf<br />

seiner lippe hat er „Mutter“ und „abolfazl“ tätowiert.<br />

abolfazl ist einer der Söhne imam ali’s, welche für die<br />

Schiiten von großer Bedeutung sind.<br />

// Shushtar, 11.07.17.<br />

Eine absolventin der renommierten Universität teheran nach ihrer<br />

Entlassungsfeier. Die talentabwanderung verwundet das land sowie die<br />

Seelen der Migranten und ihrer angehörigen. trotzdem bewerben sich<br />

viele absolventen auf ein Studium im ausland.<br />

Frauen beten in einem Schrein im teheraner Bazar.<br />

Nach der islam. revolution 1979 blieben die<br />

Universitäten 2 Jahre geschlossen, damit die<br />

Curricula an die Werte der revolution angepasst<br />

werden. Die neuen Kurse sind Pflicht für alle<br />

Studiengänge.<br />

4/20<strong>18</strong> | PICtorial | 00


portfolio<br />

Ein Paar verbringt die 2. heilige lailat al-Qadr imramadan auf dem teheraner<br />

Märtyrerfriedhof. Da Märtyrer eine hoch geachtete Stellung für Schiiten haben,<br />

verbringen viele gläubige Muslime ihre Feiertage dort.<br />

in einem Café in teheran schaut<br />

man gemeinsam die WM Qualifikation<br />

irans an. Frauen dürfen im iran<br />

nicht in Fußballstadien gehen. Einige<br />

schaffen es, dieses Verbot zu umgehen<br />

indem sie sich als Mann verkleiden.<br />

00 | PICtorial | 4/20<strong>18</strong>


Mich begleitet stets die Ungewissheit,<br />

wen ich wiedersehen<br />

werde. ich wurde erwachsen,<br />

die Erwachsenen<br />

alt. Die angst steckt in jedem<br />

abschied.<br />

Meine Stadt ist dreckig, brutal<br />

und kalt. Sie raubt mir<br />

meine Kraft und Energie.<br />

Doch ich liebe sie. tehran ist<br />

wie eine zugelaufene Katze,<br />

die man aus Mitleid füttert<br />

aber wegschäucht. Wenn<br />

sie aber nicht mehr kommt,<br />

verzweifelt man.<br />

4/20<strong>18</strong> | PICtorial | 00


interview<br />

Weniger Einzelbilder und<br />

mehr Geschichten<br />

Nadja Masri schrieb einmal: „Bilder sind etwas Wunderbares! Sie sprechen eine universelle<br />

Sprache und erreichen jeden in wenigen Sekunden.“<br />

Ich frage mich gerade: Stimmt das wirklich? Denn sofort fiel mir Otto Bettman ein, den legendären<br />

Gründer des Bettman Archive in New York: „Ich kann die immer stärker werdende Betonung<br />

des Bildes nicht begrüßen,” erklärte er in einem Interview der New York Times. ”Sie<br />

demontiert unsere Geschichte. Das Bild kann niemals Beschreibungen leisten, wie das Wort<br />

dies kann. Es ist alleine das Wort, das den Gedanken einfängt.”<br />

Aber Bettman fügte immerhin versöhnlich hinzu: ”Pictures are very democratic.” Am Anfang<br />

war das Bild oder das Wort und jeder fotografiert. Darüber sollten wir reden.<br />

PICTORIAL: Was meinen Sie? Inwiefern<br />

können Bilder „demokratisch“<br />

sein?<br />

Mit Nadja Masri sprach Stefan Hartmann<br />

PICTORIAL: Liebe Frau Masri, was<br />

ist nun elementarer: Das Wort oder<br />

das Bild?<br />

Nadja Masri: Im Fotojournalismus<br />

ist das Zusammenspiel von Wort und<br />

Bild wichtig. Das Bild oder die Bil-<br />

00 | PICTORIAL | 4/20<strong>18</strong><br />

der sollten den Betrachter neugierig<br />

machen, mehr wissen zu wollen,<br />

sie sollten informieren, aber auch Fragen<br />

stellen, die dann im Text erörtert<br />

werden können. Im Idealfall erzählen<br />

die Bilder eine eigene Geschichte und<br />

sind nicht nur eine reine Illustration<br />

zum Text. Studien belegen, dass Bilder<br />

wichtig sind, damit Texte wahrgenommen<br />

werden.<br />

Nadja Masri: Sie sind demokratisch in<br />

dem Sinne, dass Bilder für alle zugänglich<br />

sind, sie schließen ein, nicht aus.<br />

Jeder kann Fotos machen und sie heute<br />

auch unmittelbar zur Verfügung stellen.<br />

Täglich werden Millionen von Bilder<br />

ins Netz gestellt, dadurch sind wir einer<br />

regelrechten Bilderflut ausgesetzt.<br />

Um so wichtiger sind visuelle Experten,<br />

die rasch aus den Unmengen an Bildern<br />

die Guten von den Schlechten unterscheiden<br />

können und in der Lage sind<br />

dezidiert und detailliert zu beschreiben,<br />

warum ein Bild oder eine Serie gut ist.<br />

PICTORIAL: Auch das kommerzielle<br />

Bildangebot explodiert, denken<br />

wir nur an Mikrostock. Aber – zugegeben<br />

überspitzt formuliert – alles<br />

explodiert in die gleiche Richtung!<br />

Welche Techniken oder Methoden<br />

muss man als moderne Bildredakteurin<br />

entwickeln, um da das Besondere<br />

zu finden? Oder auch nur,<br />

um den Überblick zu behalten?<br />

Nadja Masri: Als Bildredakteur muss<br />

man extrem gut strukturiert sein und ein<br />

gutes visuelles Gedächtnis haben bzw.<br />

entwickeln. Es gibt unglaublich viele<br />

Quellen: Fotografen, Agenturen, Blogs,<br />

Fotobücher, Ausstellungen, Festivals.<br />

Es ist wichtig zu wissen, was es gibt,<br />

und dann muss man filtern und festhalten.


Wie? Da hat jeder seine eigene Methode,<br />

aber es sollte so sein, dass man<br />

viele Bilder im Gedächtnis hat und bei<br />

Bedarf abrufen kann und die, die man<br />

nicht im Gedächtnis hat, sollte man aufgrund<br />

einer guten Struktur auf seinem<br />

Rechner oder im World Wide Web (wieder-)finden.<br />

In der Bildredaktionsklasse<br />

an der OKS teilen wir “Entdeckungen”<br />

und nützen die Synergien der Gruppe,<br />

so dass jeder (s)ein visuelles Gedächtnis<br />

in relativer kurzer Zeit unglaublich<br />

erweitern kann.<br />

PICTORIAL: Wenn ich Ihre persönliche<br />

Bildredakteurslaufbahn betrachte,<br />

dann fällt auf, dass Sie jeweils<br />

bei sehr bildaffinen – wie soll<br />

ich sagen: gute Fotografie wertschätzenden<br />

– Publikationen, wie<br />

Geo, mare, stern, tätig waren. Wird<br />

man da nicht verwöhnt?<br />

Nadja Masri: Ich hatte das Glück für<br />

Publikationen zu arbeiten, die Fotografen<br />

und deren Arbeit wertschätzen<br />

und bei denen Qualität großgeschrieben<br />

war. Ich konnte so dem Anspruch<br />

an meine eigene Arbeit gerecht werden.<br />

PICTORIAL: Ich selbst habe – offen<br />

gestanden – nie verstanden, was ein<br />

gutes Bild ausmacht. Kann man das<br />

lernen? Gibt es universelle Regeln?<br />

Nadja Masri: Meiner Meinung nach ist<br />

ein gutes Bild, eine magische Mischung<br />

aus Komposition, Inhalt, Kontext und<br />

Emotionen, das eine Geschichte erzählt,<br />

eine Handschrift zeigt und den<br />

Betrachter bewegt.<br />

Es gibt keine Zauberformel, aber Kriterien,<br />

die man anwenden kann. So<br />

kommt man der Sache auf den Grund,<br />

warum ein Bild gut ist oder nicht. Aber<br />

das wird nicht gelehrt. In der Schule<br />

lernt man Texte zu interpretieren, aber<br />

nicht Bilder “zu lesen”, “visual literacy”<br />

ist nicht wirklich Teil des Lehrplans.<br />

Das finde ich sehr bedauerlich. Da wir<br />

im Zeitalter der Bilder leben, sollten wir<br />

keine visuelle Analphabeten sein.<br />

PICTORIAL: Als Dozentin an der<br />

Ostkreuzschule bilden Sie ja junge<br />

Bildredakteure aus. Welche Qualitäten,<br />

Fertigkeiten, Soft Skills sollte<br />

ein Bildredakteur mitbringen, um<br />

auf diesem schmäler und härter<br />

werdenden Markt erfolgreich bestehen<br />

zu können?<br />

Nadja Masri: Bildredakteure sollten<br />

durch professionelle Bildersuche und<br />

gekonntes Auswählen und Zusammenstellen<br />

der besten Bilder die fotografische<br />

Qualität garantieren, ob für Print<br />

oder Online, ein Buch oder eine Ausstellung.<br />

Bildredakteure sollten Fotografen,<br />

egal wo auf der Welt, ausfindig<br />

machen und beauftragen können. Und<br />

sich außerdem fotorechtlich auskennen<br />

und gerade im Journalismus ethische<br />

Richtlinien kennen, um Glaubwürdigkeit<br />

und Authentizitätsansprüche zu garantieren.<br />

Schließlich sollten Bildredakteure<br />

Content Management Systeme beherrschen<br />

und über Social Media und multimediale<br />

Kompetenzen verfügen.<br />

Ein guter Bildredakteur ist ein Experte<br />

für Bilder, aber eben auch ein Redakteur,<br />

der inhaltlich und konzeptionell<br />

denkt. All das professionell und leidenschaftlich<br />

zu vermitteln, ist das Ziel der<br />

Ostkreuzschule für Fotografie.<br />

PICTORIAL: Welche Vorbildung haben<br />

Ihre Studenten?<br />

Nadja Masri: Viele Studenten sind<br />

ausgebildete Fotografen, aber nicht<br />

alle. Es gibt auch Grafiker, Leute aus<br />

Film und Fernsehen, Geisteswissenschaftler,<br />

aber auch “Exoten” wie Sozialpädagogen<br />

oder Psychologen, die<br />

4/20<strong>18</strong> | PICTORIAL | 00


interview<br />

alle die Leidenschaft für Fotografie eint<br />

und der Wunsch ihre Kompetenzen in<br />

diesem Bereich zu vertiefen und bildredaktionell<br />

oder kuratorisch zu arbeiten.<br />

PICTORIAL: In der Folge reduzierter<br />

Bild-Budgets in den Unternehmen<br />

und Redaktionen werden Bildredakteure<br />

immer unfreier. In dem Sinne,<br />

dass die Bildauswahl oft nur noch<br />

aus Quellen erfolgen kann, mit denen<br />

das Unternehmen Rahmenverträge<br />

hat. Auftragsfotografie / Assignment<br />

wird durch Stockfotografie<br />

ersetzt, Rights managed durch Royalty<br />

free oder Microstock. Hat der<br />

Beruf damit an Reiz verloren?<br />

Nadja Masri: Es kommt natürlich darauf<br />

an, für wen man arbeitet. Es gibt<br />

immer noch eine ganze Reihe von Magazinen,<br />

die beauftragen wie GEO,<br />

Greenpeace und mare und beschafftes<br />

Material ist ja nicht per se schlecht<br />

wie man z.B. in Dummy und Fluter sehen<br />

kann.<br />

Es gibt außerdem viele Magazine von<br />

Unternehmen und Organisationen, die<br />

großen Wert auf eine qualitativ hochwertige<br />

Bildsprache legen, wie Bulletin,<br />

das Magazin der Credit Suisse, oder<br />

Impulse, das Magazin der Volkswagenstiftung.<br />

PICTORIAL: Nach welchen Kriterien<br />

wählen Sie jene Bildagenturen aus,<br />

mit denen Sie – gerne – zusammenarbeiten?<br />

Was muss da alles stimmen?<br />

Nadja Masri: Früher rief man bei Agenturen<br />

an und bestellte eine Bildauswahl<br />

zu einem Thema. Da war der persönliche<br />

Kontakt wichtig. Heute sucht<br />

00 | PICTORIAL | 4/20<strong>18</strong><br />

man in der Regel selbst. Wo man sucht,<br />

das hängt wiederum davon ab, für wen<br />

man arbeitet, was man braucht und wie<br />

groß das Budget ist. Natürlich ist es toll,<br />

wenn man journalistisches Material beispielsweise<br />

von Magnum, der New York<br />

Times (über die Agentur laif), Ostkreuz<br />

oder 13 photo kaufen kann. Ein kleines<br />

Budget bedeutet heute aber nicht mehr<br />

automatisches schlechtes Bildmaterial.<br />

PICTORIAL: Fotografieren Sie eigentlich<br />

selbst?<br />

Nadja Masri: Ich bin keine Fotografin,<br />

sondern Kommunikationswissenschaftlerin.<br />

Es macht mir Spaß, für mich zu<br />

fotografieren: mein Umfeld, meine Kinder,<br />

was mir so vor die Linse kommt.<br />

PICTORIAL: Welche Bilder möchten<br />

Sie gerne zeigen? Die Frage geht<br />

gerne auch in die Richtung: Wo sehen<br />

Sie als Redakteurin gewisse<br />

Defizite in den bestehenden Angeboten?<br />

Nadja Masri: Wir brauchen weniger<br />

Einzelbilder und mehr Geschichten. Im<br />

digitalen Zeitalter wird die Geschichte<br />

hinter der Nachricht wichtiger, denn die<br />

Neuigkeit, die erfahren wir permanent<br />

und die ganze Zeit. Jeder hat Zugang<br />

zu Nachrichten, zu dem was auf der<br />

Welt passiert, aber die Geschichte in ihren<br />

Nuancen, ihrer Vielschichtigkeit und<br />

Komplexität gilt es zu verstehen.<br />

Da wir das Gefühl haben alles schon<br />

zig mal gesehen zu haben und auf dem<br />

besten Weg sind uns zu „Seh-Junkies“<br />

zu entwickeln – in dem Sinne von,<br />

„kenne ich alles schon, langweilt mich“<br />

– brauchen wir, meiner Meinung nach,<br />

um immer wiederkehrende relevante<br />

Alle Motive stammen<br />

von Oscar Wellenstein<br />

aus seiner Serie „Weissenstein<br />

ala Lynch“.<br />

Sie wurden im Auftrage<br />

von Winifried Chiocchia<br />

aus der Bildredaktionsklasse<br />

2017/20<strong>18</strong><br />

der Ostkreuzschule<br />

gefertigt.<br />

journalistische Inhalte zu transportieren,<br />

eine heterogene visuelle Berichterstattung.<br />

Das heißt neben der klassischen Reportage,<br />

sollte es Geschichten geben sowohl<br />

mit einer subjektiven, persönlichen<br />

Erzählweise – wie beispielsweise die von<br />

Evgenia Arbugaeva in der Serie Tiksi, als<br />

auch mit einer konzeptionellen Herangehensweisen<br />

wie Glenna Gordon’s Stilllife<br />

Serie “Mass Abduction in Nigeria” von<br />

2014 oder Daniel Ochoa de Olza’s Portrait-Serie<br />

nach dem Terroranschlag von<br />

Paris im Herbst 2015.<br />

PICTORIAL: Von Bildredakteuren erwartet<br />

man – zumindest bei digitalen<br />

Publikationen - dass man<br />

nicht nur „Bild“, sondern auch „Multimedia“<br />

beherrscht. Spielt das in<br />

der aktuellen Ausbildung der Bildredakteure<br />

in Deutschland eine hinreichende<br />

Rolle? Aus Frankreich höre<br />

ich, dass Multimedia mittlerweile<br />

oftmals gleichberechtigt neben dem<br />

Bild gelehrt wird.<br />

Nadja Masri: Bildredakteur gehört zu<br />

den wenigen Berufen, der kein Ausbildungsberuf<br />

ist und für den auch kein<br />

Studium angeboten wird. Die Ostkreuzschule<br />

ist eine der wenigen Institutionen,<br />

die Bildredakteure ausbildet.<br />

Wir hatten das Erstellen von Multimedia<br />

Features ursprünglich im Programm,<br />

doch zu wenige haben es letztendlich<br />

später im Beruf gebraucht. Wir haben<br />

Multimedia-Experten, die lehren, so<br />

dass die Bildredakteure wissen, worauf<br />

es beim multimedialen Storytelling ankommt<br />

und solche Features beurteilen<br />

können. Eine Audioslideshow mit Text,<br />

Bildern und Musik kann nach der Ausbildung<br />

jeder zusammenstellen.


PICTORIAL: Sie kommen gerne in<br />

der Welt herum! Sie arbeiteten in<br />

der Schweiz, in den USA und in<br />

Deutschland. Aktuell gerade parallel<br />

in New York und Berlin. Das<br />

zwingt mich einfach zu einer sehr<br />

schweren Frage: Nach den Unterschieden<br />

und den Gemeinsamkeiten<br />

der jeweiligen Bildsprachen<br />

in diesen Ländern. Oder sagen wir<br />

nur: rechts und links des Atlantiks.<br />

Gibt es da noch Differenzen?<br />

Nadja Masri: Ich arbeite gerade nicht<br />

in NY, auch wenn ich eine Anfrage vom<br />

ICP zum Unterrichten bekommen habe.<br />

Als ich 2001 begonnen habe, in New<br />

York zu arbeiten, kamen noch Fotografen<br />

mit einem Karussell Dias zu mir.<br />

Diesem knalligen Diapositive-Stil stand<br />

in Deutschland eine farbreduzierte Negativ-Ästhetik<br />

gegenüber.<br />

Brand Eins war ein junges Magazin und<br />

zeigte Wirtschaftsbosse nicht als “Helden”<br />

angeblitzt, sondern in natürlichen Licht, in<br />

eher monochromen Farben auf der Fensterbank<br />

sitzend – so wie Du und ich.<br />

Irgendwann fotografierten dann fast<br />

alle digital mit der Canon D5 und eine<br />

starke Postproduktion war “in”, die man<br />

– zu meinen großen Bedauern – heute<br />

zum Teil immer noch sieht. Der digitalen<br />

35mm Optik überdrüssig, fingen Fotografen<br />

nach einiger Zeit an, zum einen<br />

wieder analog – auch mit Mittel- und<br />

Großformat – zu fotografieren und zum<br />

anderen ihre Iphones zu benutzen, so<br />

dass die Stile wieder vielfältiger wurden.<br />

Heute gibt es, meiner Meinung nach,<br />

keine Differenzen mehr wie noch Anfang<br />

2000.<br />

PICTORIAL: Mal weg von der Ästhetik,<br />

hin zur alltäglichen Praxis: Unterscheidet<br />

sich eigentlich die konkrete<br />

Arbeit in der Bildredaktion in Amerika<br />

von der in Deutschland? Sind Auftraggeber<br />

und Kunden jeweils „anders<br />

drauf“? Wo arbeitet man freier?<br />

Nadja Masri: Ich habe in New York<br />

ja für GEO, also eine deutsche Publikation,<br />

gearbeitet. Es war eine kleine<br />

Community, die der Magazinredakteure<br />

und Fotografen. Der Austausch war<br />

großartig. Wir hatten ein tolles Netzwerk,<br />

man hat sich ausgetauscht und<br />

war zusammen auf Ausstellungen etc.<br />

unterwegs. Diese Offenheit ist typisch<br />

für New York.<br />

Ansonsten würde ich sagen: Wir leben<br />

in einer globalen Welt. Man begegnet<br />

sich online und real auf Fotofestivals<br />

wie Lumix, Festival für jungen Fotojournalismus<br />

in Hannover, und tauscht<br />

sich mit den Kollegen von überall her<br />

aus.<br />

Nadja Masri<br />

PICTORIAL: Zum Abschluss ist es<br />

eine Tradition hier, dass sich Gesprächspartner<br />

etwas wünschen<br />

können. Was würden Sie für die<br />

Bildredakteure wünschen? Von den<br />

Auftraggebern und von den Bildanbietern<br />

/ Fotografen?<br />

Nadja Masri: In einer visuell gesättigt<br />

scheinenden Gesellschaft ist es,<br />

meiner Meinung nach, wichtig, häufig<br />

gecoverte Themen anders darzustellen<br />

als beispielsweise erneut die bekannten,<br />

austauschbaren Bilder von<br />

Kerzen und Blumen nach einem Terroranschlag,<br />

so dass eben nicht weiterblättert<br />

oder gescrollt wird, sondern innegehalten,<br />

Interesse geweckt, geguckt<br />

und gelesen wird. Die nuancierte, komplexe<br />

Geschichte hinter der Nachricht<br />

muss erzählt werden. Ich wünsche mir<br />

also, neue Erzählformen im Fotojournalismus<br />

und den Mut, solche dann auch<br />

zu zeigen.<br />

PICTORIAL: Herzlichen Dank für das<br />

Gespräch<br />

[]<br />

- Freie Bildredakteurin, Dozentin, Beraterin, Portfolio Reviewer bei Fotofestivals<br />

und Jurorin von Fotowettbewerben<br />

- seit 2011 an der Ostkreuzschule Leiterin der Klasse «Bildredaktion» (Projekte u.a.<br />

Schulblog und die Fotobuchreihe New York Edited)<br />

- seit 2010 Freie Bildredakteurin (u.a. GEO, Das Magazin, Mare Verlag)<br />

- 2005 – 2010 Dozentin im Documentary Photography and Photojournalism Program<br />

am International Center of Photography (ICP), New York<br />

- 2001 – 2010 Büroleiterin und Senior Photo Editor des Korrespondentenbüros der<br />

Zeitschrift GEO, New York<br />

- vor 2000 Bildredakteurin bei den Magazinen GEO, Hamburg; Bizz, Köln; Stern,<br />

Hamburg und bei der Agentur Ostkreuz, Berlin<br />

-Kommunikationswissenschaftlerin<br />

(M.A.), FU Berlin<br />

4/20<strong>18</strong> | PICTORIAL | 00


vorschau<br />

PICtoRIal 5/20<strong>18</strong> erscheint im September 20<strong>18</strong><br />

feature<br />

Portrait-Fotografie,<br />

2. Teil<br />

Ja, die betrachtungen zur Portaitfotografie „Personifizierte<br />

denkpausen „ von Prof. lars bauernschmitt waren teilweise<br />

schon vernichtend-kritisch. dass es auch anders geht, zeigt<br />

uns der autor in teil 2. in der dreiecksbeziehung von Fotografierten,<br />

Fotografen und betrachtern können Portraits, als interpretationen<br />

der Persönlichkeit der abgebildeten mehr zeigen<br />

als nur die Physiognomie des Menschen vor der Kamera. in<br />

diesem teil seiner betrachtungen zur Portraitfotografie zeigt lars<br />

bauernschmitt was möglich ist, wenn Fotograf und Fotografierte<br />

wirklich aufeinander reagieren – dürfen.<br />

IMPRESSUM<br />

PICtorial – art buyer‘s digest<br />

Redaktionsleitung dr. stefan Hartmann, dgPh (verantwortlich)<br />

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PiCtorial – art buyer‘s digest, im abtsgründel 5, d-76744 Wörth/<br />

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Redaktion/Autoren Prof. lars bauernschmitt, dr. barbara Hartmann<br />

(stellv. Chefred.), Klaus Plaumann, Jasmin seck<br />

Erscheinungsweise sechsmal jährlich<br />

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im abtsgründel 5<br />

76744 Wörth/rhein<br />

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Herausgeber dr. barbara Hartmann<br />

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(Konzept: uwe C. beyer, Hamburg)<br />

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Credit: Eva Meckbach, fotografiert von Paolo Pellegrin. aus: Juergen teller, Ute und Werner Mahler,<br />

Pari Dukovic, Brigitte lacombe, Paolo Pellegrin: Photo Campaigns of the Schaubühne Berlin from<br />

2013 to 20<strong>18</strong>, Kerber Verlag 20<strong>18</strong><br />

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