Leseprobe Für immer und finnisch

09.07.2018 Aufrufe

Eltern und er selbst sich von dem Aufenthalt im Talo eine massive Besserung versprachen. Anfang Juli erwarteten sie noch einen Gast, ein knapp vierjähriges, seelisch stark beeinträchtigtes und neurologisch auffälliges Mädchen. Somit war ihr Kurhaus dann ausgebucht und sie würden vorerst keine weiteren Patienten aufnehmen können. Emilia konnte all das nur leisten, weil sie selbst ihr ganzes Herzblut ins Talo steckte und sie dabei von ihrem überaus motivierten Fachpersonal, von dem jeder Einzelne mit der Zeit zu einem liebgewonnenen Freund geworden war, tatkräftig unterstützt wurde: Doktor Halonen, dem Allgemeinmediziner in Helsinki, der für sie immer erreichbar war; Doktor Joulu Forsman, dem Psychologen; Lasse, dem jungen Physiotherapeuten sowie Annukka, der quirligen Logopädin. Und natürlich von Tess, der ehemaligen deutschen Profi-Eisschnellläuferin, die nach einem Schlaganfall all ihren Lebenswillen verloren und erst durch ihren Aufenthalt in Emilias Talo wieder Kraft und Mut für die Zukunft geschöpft hatte. Tess war Emilias erste Patientin gewesen und ihr mittlerweile auch eine gute Freundin geworden. Während ihrer Genesung hatte Tess sich vermehrt Gedanken über ihre Zukunft gemacht und so eines Tages den Entschluss gefasst, eine Ausbildung zur Physiotherapeutin zu beginnen. Emilia war durchaus begeistert gewesen und hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass Tess einen Platz für ein duales Fernstudium, das letzten Herbst begonnen hatte, bekam und ihr so im Kurhaus erhalten blieb ‒ als angehende Therapeutin und nicht mehr als Patientin. Emilia trat vor den Spiegel und musterte sich prüfend. Sie nahm die zartrosafarbenen Wangen und das Strahlen in ihren grauen Augen wahr, fuhr sich vorsichtig über ihre glänzenden, 10

tiefroten Lippen, die sich noch immer leicht geschwollen anfühlten und lächelte dabei selig. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie sich langsam beeilen musste. Hastig fuhr sie sich mit der Bürste durch das zerzauste braune Haar und griff nach dem Föhn. Es dauerte nicht lange, bis ihre kurzen Haare getrocknet waren. Emilia brauchte nur zwei schnelle Handgriffe, ein wenig Spray und sie war fertig gestylt. Ihre Frisur war schlicht und natürlich ‒ ein flotter, kurzer Schnitt. Sie trug die Haare aus der Stirn und um die Ohren wellten sie sich leicht. Sie ließ das Badetuch, das um ihren schlanken Körper gewickelt war, fallen, cremte sich ein und griff dann nach der pastellblauen Unterwäsche, die sie auf den Hocker neben der Tür gelegt hatte. Als sie gerade dabei war, ihre Augen zu schminken, wurden im finnischen Radio die neuesten Nachrichten verlesen. Scheinbar hatte Greenpeace heute wieder eine Aktion veranstaltet, aber Emilia konnte nicht allem folgen, worüber der Nachrichtensprecher soeben berichtete. Einerseits, weil sie auch nach gut eineinhalb Jahren hier in Finnland immer noch nicht alles verstand, doch vor allem, weil sie sich nicht auf den Sprecher im Radio konzentrieren konnte ‒ zu sehr war sie in ihrer Vorfreude und ihren Gedanken gefangen. Erst als der Moderator das nächste Lied ankündigte und Emilia unter dem Kauderwelsch finnischer Worte meinte, ihren Namen gehört zu haben, drehte sie das Radio lauter. Mein Name?! Sie musste kichern. Ja, klar, Frau Fahnenbruck, die reden im finnischen Radio über dich ‒ ganz bestimmt. Der Sprecher erwähnte beiläufig, dass es unüblich sei, andere deutsche Lieder als die hammermäßig genialen Songs von 11

Eltern <strong>und</strong> er selbst sich von dem Aufenthalt im Talo eine<br />

massive Besserung versprachen. Anfang Juli erwarteten sie<br />

noch einen Gast, ein knapp vierjähriges, seelisch stark<br />

beeinträchtigtes <strong>und</strong> neurologisch auffälliges Mädchen. Somit<br />

war ihr Kurhaus dann ausgebucht <strong>und</strong> sie würden vorerst keine<br />

weiteren Patienten aufnehmen können. Emilia konnte all das<br />

nur leisten, weil sie selbst ihr ganzes Herzblut ins Talo steckte<br />

<strong>und</strong> sie dabei von ihrem überaus motivierten Fachpersonal, von<br />

dem jeder Einzelne mit der Zeit zu einem liebgewonnenen<br />

Fre<strong>und</strong> geworden war, tatkräftig unterstützt wurde: Doktor<br />

Halonen, dem Allgemeinmediziner in Helsinki, der für sie<br />

<strong>immer</strong> erreichbar war; Doktor Joulu Forsman, dem<br />

Psychologen; Lasse, dem jungen Physiotherapeuten sowie<br />

Annukka, der quirligen Logopädin. Und natürlich von Tess, der<br />

ehemaligen deutschen Profi-Eisschnellläuferin, die nach einem<br />

Schlaganfall all ihren Lebenswillen verloren <strong>und</strong> erst durch<br />

ihren Aufenthalt in Emilias Talo wieder Kraft <strong>und</strong> Mut für die<br />

Zukunft geschöpft hatte. Tess war Emilias erste Patientin<br />

gewesen <strong>und</strong> ihr mittlerweile auch eine gute Fre<strong>und</strong>in<br />

geworden. Während ihrer Genesung hatte Tess sich vermehrt<br />

Gedanken über ihre Zukunft gemacht <strong>und</strong> so eines Tages den<br />

Entschluss gefasst, eine Ausbildung zur Physiotherapeutin zu<br />

beginnen. Emilia war durchaus begeistert gewesen <strong>und</strong> hatte<br />

alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass Tess einen Platz für ein<br />

duales Fernstudium, das letzten Herbst begonnen hatte, bekam<br />

<strong>und</strong> ihr so im Kurhaus erhalten blieb ‒ als angehende<br />

Therapeutin <strong>und</strong> nicht mehr als Patientin.<br />

Emilia trat vor den Spiegel <strong>und</strong> musterte sich prüfend. Sie<br />

nahm die zartrosafarbenen Wangen <strong>und</strong> das Strahlen in ihren<br />

grauen Augen wahr, fuhr sich vorsichtig über ihre glänzenden,<br />

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