E inblicke A usblicke - NOTausgang Jena eV
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Die Straßenzeitung aus <strong>Jena</strong> www.notausgang-jena.de<br />
EMPÖRUNG - ein Gespräch<br />
„Fördern und Fordern“ empört<br />
Gespräch mit Günter Wallraff
Das Inhaltsverzeichnis finden Sie auf seite 23.<br />
2<br />
NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 3 - 2010<br />
Editorial<br />
Seit nunmehr acht Jahren widmen wir dem<br />
Jahresthema der Imaginata die dritte Ausgabe<br />
unserer Straßenzeitung. In diesem Jahr<br />
wird das Jahresthema „ EMPÖRUNG“ die<br />
inhaltliche Gestaltung unseres Magazins zu<br />
einem sehr großen Teil begleiten. In seinen<br />
vielen Auffassungen ist es uns förmlich auf<br />
den Leib – ins Stammbuch geschrieben. Es<br />
scheint danach zu rufen, dass wir uns dem<br />
Thema auf unsere Weise zuwenden.<br />
Gäbe es ohne Empörung unsere Zeitung<br />
überhaupt? Waren es nicht die Vertreter sozialer<br />
Initiativen und Vereine, die sagten –<br />
Menschen in Not brauchen eine Lobby.<br />
Dabei steht es uns fern, diese Not allein im<br />
Finanziellen zu sehen. Unsere Sicht geht dabei<br />
weiter. Wollen wir mit unseren Beiträgen<br />
nicht vor allem anregen über Dinge, Situationen<br />
und Probleme nachzudenken, die wir<br />
und der Leser nicht immer selbst durchleben<br />
müssen? Erfahren wir nicht auch im<br />
Editorial<br />
Das Redaktionsteam will sich nicht nach<br />
außen hin durch seine Zeitung empören.<br />
Jedoch möchten wir durch unsere<br />
Sicht auf die Dinge für das Thema Empörung<br />
sensibilisieren. Bei der Ausarbeitung<br />
dieser Ausgabe erkannten wir aber<br />
auch: ohne Empörung geht es nicht,<br />
stünden wir nicht da, wo wir heute stehen.<br />
Im negativen wie im guten Sinne.<br />
Für uns war es nicht leicht, der Empörung<br />
ein Gesicht zu geben. Jeder empfindet<br />
sie anders und gibt ihr auf eigene<br />
Weise Ausdruck. Sie begleitete uns als<br />
anregender Impuls, mal schlagfertig und<br />
impulsiv, mal auch etwas leiser.<br />
Empörung. Wer oder was soll das sein,<br />
für uns, in unserem Leben? Die Suche<br />
nach der Antwort führte uns in manche<br />
Diskussion. In lange Diskussionen: über<br />
Definition, über die eigene Empörung,<br />
über kollektive und auch gerechtfertigte<br />
Liebe Leserinnen und liebe Leser!<br />
Team, dass es sehr schwer ist und wie die<br />
Realität beweist auch gesellschaftlich kaum<br />
gewürdigt wird, wenn sich der eine oder<br />
andere offen zu seinen Problemen, Nöten<br />
und Defiziten bekennt?<br />
In der Vorbereitung und in den Redaktionssitzungen<br />
wurde uns bei den nicht immer<br />
leichten Auseinandersetzungen bewusst, dass<br />
Empörung ein sehr persönliches Gefühl –<br />
eine Reaktion auf die Verletzung in uns gefestigter<br />
Werte und Wertvorstellungen ist.<br />
Aus ihr kann die Kraft erwachsen, die uns<br />
befähigt zu verändern. Aber auch ohne Veränderung<br />
kann eine psychisch befreiende<br />
Wirkung für den Einzelnen entstehen.<br />
Welcher Aufreger sollte für uns maßgebend<br />
sein – die beschmierte Mülltonne, gegen die<br />
Tatsache, dass jeder Dritte in den Städten<br />
der Welt in Armenvierteln lebt, dass 828<br />
Millionen Menschen unterernährt sind? Empörung<br />
ist da mehr als angebracht. Uns als<br />
Liebe Leserinnen und liebe Leser!<br />
Empörung. Mit deutscher Sachlichkeit<br />
konnten wir sogar einige Empörungen<br />
zum kurzen Aufreger degradieren. Ein<br />
jeder konnte mitreden, denn jeder ist<br />
mit seiner Empörung der Experte und<br />
schafft es auf seine Weise seine Umwelt<br />
dran teilhaben zu lassen. Die Universalantwort<br />
gibt es nicht. Empöre ich mich,<br />
dann sollte ich handeln. Sei es nun gegen<br />
Obdachlosigkeit, gegen Hunger oder<br />
Rechtsextremismus. Etwa wie Luise<br />
Zimmermann vom Netzwerk gegen<br />
Rechtsextremismus. Das Marschieren<br />
der ewig Gestrigen und deren erwiesenermaßen<br />
gescheiterten Vorstellungen<br />
von Politik und Herrenrasse stellen für<br />
sie einen direkten Angriff auf unser Zusammenleben<br />
dar. Ihre Empörung hat<br />
sie stark und aktiv gemacht. Das aber<br />
muss gelernt sein. Es erfordert Zivilcourage.<br />
Manchmal auch das Engagement<br />
Team lassen besonders<br />
die Sorgen, die Nöte,<br />
die Behinderungen<br />
von Menschen in Not<br />
nicht kalt und wir gehen<br />
nicht gleichgültig<br />
an neoliberaler Dekadenz, die diffamiert,<br />
statt wirklich Chancen zu begründen, vorüber.<br />
Wir wollen nicht zur Tagesordnung übergehen,<br />
ohne ihre Nöte auf unsere Weise auf<br />
die Tagesordnung zu setzen – zum Vorwurf<br />
für unsere Arbeit zu nehmen. Mit Beiträgen,<br />
wie dem Gespräch mit M. Ebenau (IG-<br />
Metall) zum Thema Hartz IV, mit L. Zimmermann<br />
(<strong>Jena</strong>er Aktionsnetzwerk gegen<br />
Rechtsextremismus) zum Thema „Rechts<br />
empört – Empören Sie die Rechten?“<br />
oder einem Interview mit dem Enthüllungsjournalisten<br />
G. Wallraff, möchten wir<br />
Ihnen Anregungen bieten.<br />
Andreas Mützlaff<br />
Noch ein Editorial? Wer hat denn beim <strong>NOTausgang</strong> das Sagen? Die Ordnung ist schon klar. Einer hat den Hut auf,<br />
leitet die Redaktionsarbeit - ist Leiter des Redaktionsteams und zeichnet als V.i.S.P. Doch jedes Mitglied bringt seine<br />
Erfahrungen und Gedanken ein. Was Leben bringt in den Redaktionskeller und in unser Heft. Joachim Hennig (V.i.S.P.).<br />
gemeinnütziger Vereine<br />
wie „Hauen ist<br />
doof“. Die Gestaltung<br />
des Gemeinwesens<br />
für die Gegenwart<br />
und die Zukunft<br />
beginnt im (bei den) Kleinen. Deshalb<br />
setzt der Verein bei den Kindern<br />
an. Er vermittelt ihnen, wie sie sich selbst<br />
konstruktiv mitteilen können, ihre Wünsche<br />
und Vorstellungen zu äußern wissen.<br />
Mit Argumenten, statt Fäusten. Mit<br />
Worten, denen Taten folgen. Sie lernen<br />
auf Dialog, statt Konfrontation zu setzen<br />
und geben ihrer Empörung eine<br />
Richtung. Das hat diese Welt bitter nötig.<br />
Wären Sie, liebe Leserinnen und liebe<br />
Leser, wäre unser Redaktionsteam<br />
der Meinung, dass alles im Reinen ist,<br />
dann gäbe es diese Zeitung ganz sicher<br />
nicht. Marcus Döpel
DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />
Hauen ist doof Empörung und Verständnis<br />
Denkt man an ein Spiel, gibt es<br />
meist einen Gewinner und im<br />
Umkehrschluss auch einen Verlierer.<br />
Beim sogenannten „Inselspiel“<br />
wird mit dieser Regel<br />
gebrochen. Lebhaft versuchen<br />
die beteiligten Kinder sich gegenseitig<br />
auf eine imaginäre<br />
Insel zu helfen. Sie verschaffen<br />
den anderen und sich Raum<br />
und freuen sich, wenn sie gemeinsam<br />
die Aufgabe bewältigt<br />
haben und am Ende keiner<br />
„draußen“ stehen muss.<br />
„Den Kindern wird dabei<br />
praktisch vermittelt, wie wichtig<br />
kooperatives Verhalten<br />
ist“, erklärt Ellen Relius vom<br />
Verein „HAUEN ist DOOF“.<br />
„Die Kinder erlernen spielend<br />
Fähigkeiten wie Einfühlungsvermögen<br />
und Konfliktfähigkeit.“<br />
„Sie lernen miteinander<br />
zu kommunizieren und ihre<br />
Wünsche und Bedürfnisse zu<br />
äußern“, fährt Anna Vogl fort.<br />
Der Verein „HAUEN ist<br />
„Wir sind hier, weil<br />
ihr unsere Länder<br />
zerstört!“ Das klingt<br />
wie eine Kampfansage.<br />
Die Veranstalter<br />
des Karawane Festivals,<br />
das in der <strong>Jena</strong>er<br />
Innenstadt Anfang<br />
Juni stattfand,<br />
wollten damit und durch weitere,<br />
teils auch provokative,<br />
Aktionen für Themen sensibilisieren,<br />
die für uns in der Mitte<br />
Europas weit weg erscheinen:<br />
Die Toten an den europäischen<br />
Außengrenzen, Flüchtlingsla-<br />
DOOF“ organisiert seit 10<br />
Jahren Projekte an Schulen, die<br />
sich der Gewaltprävention verschrieben<br />
haben. Zudem bietet<br />
der Verein auch Weiterbildungsangebote<br />
für Lehrer und<br />
Erzieher an. Mit der Projektarbeit<br />
möchte der Verein eine<br />
Atmosphäre schaffen, in der<br />
sich die Kinder untereinander<br />
aussprechen und besonders<br />
das, was sie ärgert, offen ansprechen<br />
können. Das wird<br />
beispielsweise mit Mediation<br />
erreicht. Ein ausgebildeter Mediator,<br />
eine Art Moderator,<br />
vermittelt am Friedenstisch allparteilich<br />
zwischen den Kindern.<br />
Im Gespräch erfahren die<br />
Kinder gegenseitig ihre Wünsche<br />
und Motivationen und finden<br />
zum Schluss gemeinsam<br />
eine Lösung. Diese Lösungen,<br />
die von den Beteiligten selbst<br />
gefunden werden, sind dann<br />
auch wirklich tragfähig.<br />
Marcus Döpel<br />
ger, rassistische Polizeigewalt,<br />
Kriminalisierung der Bewegungsfreiheit<br />
durch Residenzpflichten,<br />
sowie Abschiebungen.<br />
Die Karawane erhob, vertreten<br />
durch 125 Künstler aus<br />
allen Teilen der Welt, ihre Stim-<br />
Empörung muss nicht offener<br />
Protest sein. Eine außergewöhnliche<br />
aber besonders wirksame<br />
Form wurde vom Verein Hintertorperspektive<br />
e.V., in Zusammenarbeit<br />
mit der Koordinierungsund<br />
Kontaktstelle (KoKont), mit<br />
dem zum 3. Mal stattgefundenen<br />
Flutlicht Festival im <strong>Jena</strong>er Paradies gestaltet. Vom 11.-13. Juni 2010<br />
organisierten die Vereinsmitglieder, welche sich aus engagierten Fußballfans<br />
zusammensetzen, ein Festival für Toleranz und interkulturelle<br />
Verständigung. Trotz des nicht gerade einladenden Wetters kamen<br />
viele Besucher und nahmen mit Begeisterung an den organisierten<br />
Vorträgen, Workshops und Diskussionen teil. Fußball- und Tischtennisturniere<br />
mit Gästemannschaften aus anderen Städten und ein<br />
zünftiges Kinderfest rundeten das bunte Treiben ab.<br />
Die <strong>Jena</strong>er Fußballfans zeigten, dass sie auch auf diese Weise mit viel<br />
Engagement Positives leisten können, welches so mancher<br />
Bürgermeinung vom negativen Image widersprochen hat. Durch<br />
den übergreifenden Gedanken der Integration und der Aufklärung<br />
mit kritischen Gesichtspunkten, Hinterfragungen und gemeinsamen<br />
Aktivitäten konnte im Ergebnis dieses Projektes wieder ein Baustein<br />
in die Brücke der Gemeinsamkeit und Völkerverständigung eingesetzt<br />
werden.<br />
Bleibt zu hoffen, dass diese gelungene Veranstaltung eine Fortsetzung<br />
findet, nicht nur auf der Rasenmühleninsel, sondern auch in den<br />
Köpfen so mancher Skeptiker. Andreas Mützlaff<br />
me mit zahlreichen Aktionen in<br />
der Stadt. So wurden beispielsweise<br />
auf dem Holzmarkt symbolisch<br />
1000 täuschend echt<br />
aussehende Miniaturzelte aufgeschlagen,<br />
um auf die europäischen<br />
Flüchtlingslager und<br />
die Repressalien ihrer<br />
Insassen aufmerksam<br />
zu machen. Auch<br />
wurden einige dieser<br />
Zelte medienwirksam<br />
vor dem Haupteingang<br />
der Jenoptik<br />
AG aufgestellt. Damit<br />
sollte die Bevöl-<br />
Vermischtes<br />
Karawane Festival: Es gibt da noch ein Problem...<br />
kerung auf die Rolle und Verantwortung<br />
der Nachtsichtgeräte-Hersteller<br />
bei der Grenzüberwachung<br />
hingewiesen werden.<br />
Text und Fotos:<br />
Marcus Döpel<br />
3
4<br />
NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 3 - 2010<br />
IMAGINATA-Gespräch<br />
In der IMAGINATA<br />
Jud süß-sauer<br />
- die Comedy-Show<br />
Es streiten Kopf und Bauch,<br />
wenn er loslegt! Denn man<br />
fragt sich, ob er das darf: Oliver<br />
Polak ist Comedian und Jude,<br />
und er macht Witze über Deutsche,<br />
über Papenburger und -<br />
über Juden. Er bricht Denktabus,<br />
man lacht zuerst gehemmt<br />
und dann befreit. Polak ist ungeheuer<br />
komisch und macht die<br />
schwere Last der deutschen<br />
Geschichte etwas leichter.<br />
Do., 23.September, 20 Uhr<br />
Wenn sich dein<br />
Körper empört<br />
Sind Körper, Geist und Seele<br />
im Einklang, geht es dem Menschen<br />
gut. Gerät einer der drei<br />
in Schieflage, „spricht“ meistens<br />
der Körper: Menschen somatisieren,<br />
was sie im Inneren nicht<br />
verarbeiten können. Der Mediziner<br />
Dr. Werner Bartens spricht<br />
über die höchste Alarmstufe:<br />
Essstörungen als Empörung<br />
des Körpers gegen seelische<br />
Überlastung.<br />
Do., 30.9., 20 Uhr<br />
Amok - keine<br />
unvorhersehbare<br />
Katastrophe<br />
Gisela Mayer hat beim Amoklauf<br />
in Winnenden ihre Tochter<br />
verloren. In ihrem Buch schreibt<br />
sie über ihre Trauer und darüber,<br />
wie sich unsere Lebensbedingungen<br />
ändern müssen, damit<br />
kein Mensch mehr Amok laufen<br />
muss. Sie liest aus ihrem Buch<br />
und führt ein Gespräch mit Sebastian<br />
Prüfer, Psychologe, der<br />
beim Amoklauf in Erfurt zu<br />
den Ersthelfern gehörte.<br />
Do., 28.10., 20 Uhr<br />
Was mich empört, kann nur ich beschreiben<br />
Gespräch über Empörung, Wirklichkeit und Möglichkeitssinn<br />
Kindesmissbrauch, Kürzungen von Hartz IV,<br />
unfähige Regierung, Fußball-WM – seitenweise<br />
könnte man die Liste der Anlässe weiterführen,<br />
über die man sich täglich aufregt. Bei vielen alltäglichen<br />
Ärgernissen und menschlichen Dummheiten,<br />
die wir alle kennen und selbst vollbringen,<br />
darf man getrost zur Tagesordnung übergehen.<br />
Es sind ja aber vielmehr die vielen wichtigen<br />
Ereignisse und Zustände, bei denen<br />
wir AUCH denken, da kann man<br />
nur noch abwinken, weil „da kann<br />
man eh nichts ändern!“ Das sagen wir<br />
dann, aber was soll das denn heißen?<br />
Die Fragen kommen wieder und stellen<br />
sich uns in den Weg: Warum regen<br />
wir uns auf, wenn man sowieso nichts<br />
machen kann? Sind wir mit unserer<br />
Empörung allein? Was bringt uns soweit,<br />
dass wir uns empören, die Stimme erheben<br />
und zur Tat schreiten? Diesen Fragen auf<br />
den Grund zu gehen, war nicht einfach, wie sich<br />
in den ersten Diskussionen zwischen<br />
<strong>NOTausgang</strong> und Imaginata zeigte. Achselzucken<br />
– viel mehr nicht! Aber bei dem Gespräch am<br />
26. Mai kamen im Redaktionsteam erstaunliche<br />
Dinge zutage!<br />
„Empörung ist wie ein Ventil“, sagt Konrad, „da<br />
kann man Luft ablassen, rausschreien. Empörung<br />
ist Befreiung. Dann ist’s aber auch gut.“ So ähnlich<br />
sieht das Berit auch: „Empörung drückt<br />
Ohnmacht aus, Aussichtslosigkeit. Aber auch<br />
Widerstand. Sie ist ein heftiges, sehr persönliches<br />
Gefühl.“ Deshalb kann man sich auch nicht an<br />
jemand anderes Stelle empören, sagt Andreas. Und<br />
für ihn ist wichtig, dass auf Empörung Veränderung<br />
folgen muss.<br />
Was hat es also auf sich mit der Empörung?<br />
Nehmen wir das Sparpaket der Bundesregierung.<br />
Der Staat ist verschuldet, also müssen alle mithelfen,<br />
dass wir wieder auf einen grünen Zweig<br />
kommen. Einen Riesenteil der Staatsausgaben<br />
machen die Sozialleistungen aus, darum, so wird<br />
politisch argumentiert, müsse hier gekürzt werden,<br />
und zwar bei allen. Das klingt logisch. Warum<br />
aber tun sich alle so schwer mit der soge-<br />
nannten „Reichensteuer“? Müsste es nicht in<br />
Wahrheit ein Leichtes sein, und wäre es nicht fair,<br />
den Staat zu entlasten durch höhere Steuersätze<br />
bei denjenigen, die sehr viel mehr haben als der<br />
Durchschnitt? Irgendwie aber fürchtet sich die<br />
Regierung vor diesem Schritt. Das ist empörend,<br />
weil es den Parteien nicht selbstverständlich ist,<br />
dass sich die Reichen in gleicher Weise am Ab-<br />
Die Teilnehmer v.l.n.r.: Gundela Irmert-Müller (GIM),<br />
Michael Quicker, Konrad Wendt, Andreas Mützlaff, Berit<br />
tragen der Schulden beteiligen wie die Armen!<br />
„Empörung kommt dann auf, wenn sich etwas<br />
gegen die eigenen Gerechtigkeitsgefühle wendet“,<br />
sagt Joachim. Wie wahr! Denn wenn wir etwas als<br />
ungerecht empfinden, als Verstoß gegen die<br />
Grundsätze einer mitmenschlichen Fürsorge und<br />
Achtung, die für alle gilt, dann berührt das unseren<br />
Sinn für Gerechtigkeit – und mit ihm unser<br />
Gefühl für die menschliche Würde – für Achtung<br />
und Selbstachtung und für das Recht des<br />
Einzelnen, einbezogen und beschützt zu werden.<br />
Besonders aufregend, fast bestürzend wurde es<br />
in unserem Gespräch bei der Frage nach unseren<br />
persönlich frühesten Erinnerungen an eine<br />
Empörung. „Meine Eltern schafften mich in die<br />
Kinderkrippe, aber ich wollte da nicht sein“, sagt<br />
Daniel und erinnert sich an das innere (und wahrscheinlich<br />
auch äußere!) Aufbäumen gegen die<br />
Durchsetzungsmacht der Eltern. Andreas weiß<br />
noch, dass er als Kind „in die Kur musste“ und<br />
auf dem Weg dorthin in der Straßenbahn geschrien<br />
und geschrien hat, weil er nicht von zuhause<br />
weg wollte. Gundela spürt heute noch die<br />
Ohrfeige ihrer Lehrerin, die sie bekam, weil sie<br />
ihrem Mitschüler die Lösung einer Rechenaufgabe<br />
vorsagte. Peter bezog Schläge von seiner<br />
Lehrerin, weil seine Schrift anders war als die
Lehrerin es wollte. Berit schildert die Geschichte<br />
mit ihren Turnschuhen, die ihre Lehrerin vor der<br />
ganzen Klasse verspottete. Berits Vater schrieb<br />
einen Beschwerdebrief, und als es zum Gespräch<br />
darüber kam, in dem die Klassenkameradinnen<br />
ihr hätten zur Seite stehen müssen, haben sie dieses<br />
nicht getan! Joachims frühe Erinnerung liegt<br />
etwas anders: Ihn begeisterten früh biblische<br />
Geschichten, die er im Religionsunterricht lesen<br />
und diskutieren konnte. Deshalb empörte es ihn<br />
zutiefst, als Unterricht nicht mehr in Schulen, sondern<br />
nur noch in kirchlichen Einrichtungen stattfinden<br />
durfte.<br />
Das scheinen alles tiefsitzende Erfahrungen zu<br />
sein! Kinder sind empört und lehnen sich gegen<br />
Oberländer, Joachim Hennig, Markus Döpel, Daniel<br />
Pfletscher und Prof. Dr. Peter Fauser (PF)<br />
Unrecht auf. Denn sie erfahren es als Unrecht,<br />
wenn ihr Wille regelrecht gebrochen wird, ihre<br />
Gefühle missachtet, ihr Mitgefühl für andere oder<br />
ihre eigenen Wünsche oder Einfälle übergangen<br />
werden. Besonders stark und erinnerungsmächtig<br />
sind solche Erfahrungen, wenn daran Menschen<br />
beteiligt waren, denen sie vertrauen und die mächtiger<br />
sind als sie, wie die Eltern oder Lehrerinnen<br />
und Lehrer. Deshalb war es für die Teilnehmer<br />
an unserem Empörungsgespräch sehr eindrucksvoll,<br />
dass sich ihre Erinnerungen blitzartig in der<br />
Gesprächssituation eingestellt haben – mitsamt<br />
den ursprünglichen Gefühlen. Sie haben eine tiefe<br />
Spur in die Lebensbahn eingegraben.<br />
Die Empörung hat offenbar starke Wurzeln in<br />
unserem Leben und in dem, was wir gerne die<br />
„harten Tatsachen“ nennen. Aber auch harte Tatsachen<br />
– und das muss uns immer klar sein -<br />
sind in der Regel von Menschen gemacht, und<br />
meistens gibt es dazu Alternativen!<br />
Wir brauchen also eine Vorstellung von einer<br />
besseren Wirklichkeit - eine Vision, eine Utopie,<br />
damit wir uns empören können und mit Gefühlen,<br />
Worten und Taten aufstehen gegen Verletzungen<br />
der Gerechtigkeit. Wenn unser „Wirklichkeitssinn“<br />
sagt: „So ist es, du kannst eh nichts<br />
ändern!“, dann schickt die Empörung<br />
den großen Gegenspieler auf die Bühne<br />
des Geschehens. Unser<br />
Möglichkeitssinn ist wie ein starker Anwalt<br />
gegen die Herrschaft des Kleinmuts<br />
und der Resignation. „Es geht<br />
auch anders!“, „Ich lasse mir das nicht<br />
bieten“ „Wir sind das Volk!“ Die<br />
Empörung führt das Wort und fordert<br />
zum Handeln auf. Empörung,<br />
so sehen wir das in der Imaginata, entspringt<br />
unserer Fähigkeit, hinter der sogenannten<br />
Realität die Möglichkeit einer besseren Wirklichkeit<br />
zu sehen. Empörung ist ein Zündfunke der<br />
Imagination. Sie gehört zu dem, was uns Menschen<br />
menschlich macht, weil sie uns aus der<br />
Zwangsjacke von Angst, Mutlosigkeit und autoritärem<br />
Druck zum Handeln befreit. Darum ist<br />
„Empörung“ auch ein ideales Thema für die<br />
Imaginata, die sich von Herzen beim Redaktionsteam<br />
des <strong>NOTausgang</strong>s für die guten Gespräche<br />
bedankt! (GIM und PF)<br />
Wer sich empört, geht erst mal hoch...<br />
Am 25. Oktober wird auf dem Ernst-Abbe-Platz die Treppe der Empörung aufgebaut – ca. 7m<br />
hoch, 10m breit. Bis zum 31. Oktober bietet sie eine ungewöhnliche Gelegenheit: Wer schon immer<br />
mal seinem/ ihrem Unmut Luft machen wollte, sollte sie nutzen. Steigen Sie auf der einen Seite<br />
hinauf, Stufe für Stufe, nehmen Sie sich Zeit, zu überlegen, was Sie bewegt. Oben betreten Sie ein<br />
Podest und können Ihre Empörung in das große Empörungsbuch einschreiben, oder Sie können<br />
direkt eine Rede „ans Volk“ halten. Auf der anderen Seite gehen Sie die Treppe wieder hinunter.<br />
Dieses waghalsige Projekt hat die Imaginata zusammen mit zwei LehrerInnen des Berufsschulzentrums<br />
Göschwitz-Burgau ins Leben gerufen: SchülerInnen bauen mit der Firma ... die Treppe aus<br />
Gerüstteilen. Täglich gibt es hier einen kulturellen Programmpunkt, und die ganze Woche über<br />
haben Menschen aus <strong>Jena</strong> die Gelegenheit, sich zu Wort zu melden.<br />
Dieses Projekt symbolisiert sehr schön, was es mit der Empörung auf sich hat: wer sich empört, der<br />
geht erstmal hoch! Und das Hochgehen ist von Vorteil: von oben hat man den besseren Blick!<br />
Gundela Irmert-Müller<br />
DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />
In der IMAGINATA<br />
Sonntags Kinder!<br />
Ein Kindersonntag<br />
Empören tun sich auch die<br />
Allerkleinsten, – und das<br />
macht meistens sehr viel Krach!<br />
Ein kunterbuntes Spiel-, Bastel-,<br />
Zuschau- und Mitmachprogramm<br />
für die ganz Kleinen<br />
und ihre Familien: Eulenspiegeleien,<br />
Origami-Schnütchen,<br />
Samba-Gruppe, Rumpelstilzchen,<br />
Wutbälle und Kuchenzelt<br />
– aber auch Kuchenbacken<br />
im Sand.<br />
So., 5. September, 10-18 Uhr<br />
Lebens<br />
Erwartung<br />
Kinder und pflegebedürftige<br />
Alte sind wie Randgruppen<br />
auf Zeit in einer Gesellschaft,<br />
wo sich alles nur um Produktivität<br />
und Effektivität dreht –<br />
sie brauchen mehr Aufmerksamkeit,<br />
als ihnen zukommt.<br />
Dr. Donata Elschenbroich<br />
ist Kindheitsforscherin und hat<br />
in Japan einen Film gedreht<br />
über ein bemerkenswertes<br />
Projekt, in dem Kindergartengruppen<br />
ihren Alltag mit demenzkranken<br />
Alten teilen.<br />
Do., 25. November, 20 Uhr<br />
Der Foto-Wettbewerb<br />
„Bilder lügen nicht!“<br />
Fotos sind heutzutage kein gerichtliches<br />
Beweismittel mehr,<br />
denn man kann sie beliebig<br />
bearbeiten. Das macht sich<br />
dieser Wettbewerb zunutze:<br />
Gefordert werden zwei Fotos<br />
– eins im Originalzustand<br />
und eins bearbeitet. Eingeladen<br />
sind Thüringer SchülerInnen<br />
von 10 bis 19 Jahre.<br />
Einsendeschluss 30. September<br />
Weiteres s. unter<br />
www.imaginata.de<br />
5
NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 3 - 2010<br />
Hartz IV<br />
Es hätte der winterlichen Aktivitäten<br />
eines Regierungsmitgliedes nicht bedurft,<br />
um zu wissen, dass Hartz IV ein<br />
Aufreger der Nation ist. Für die einen<br />
wie für die anderen.<br />
Was ist dann falsch, wenn der, der sich<br />
um das Fortkommen der einen sorgt,<br />
zu der Frage kommt, ob die anderen<br />
berechtigt erhalten? Geiz und Gier, in<br />
welchem Gewand sie sich auch immer<br />
präsentieren, sind nicht wirklich chic<br />
- schon ganz und gar nicht geil, wie<br />
die Insolvenz jenes Unternehmens beweist,<br />
das den besonderen Reiz von<br />
Geiz in sein Image gehoben hatte. Also<br />
wollte <strong>NOTausgang</strong> es genauer wissen<br />
und suchte das Gespräch mit Michael<br />
Ebenau, Zweiter Bevollmächtigter/Geschäftsführer<br />
der IG-Metall<br />
<strong>Jena</strong>-Saalfeld.<br />
1. Ist Arbeitslosigkeit auf Dauer wirklich<br />
alimentierbar?<br />
Michael Ebenau: Zunächst muss man<br />
festhalten, dass Arbeitslosigkeit nicht alimentiert<br />
wird: Das Arbeitslosengeld ist eine<br />
Versicherungsleistung, für die man in die<br />
Arbeitslosenversicherung einzahlt. Das ist<br />
also kein Geschenk und niemand muss sich<br />
dafür schämen, die Versicherungsleistung<br />
in Anspruch zu nehmen. Zum anderen:<br />
Solange in Deutschland viel zu wenig Arbeitsplätze<br />
existieren, mit denen man für<br />
gute Arbeit auch adäquates Geld bekommt,<br />
solange müssen Menschen für den<br />
Fall der Arbeitslosigkeit auch geschützt<br />
werden - das ist ein Gebot des Sozialstaates,<br />
den die IG Metall verteidigen will. Es<br />
○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />
Foto: Marcus Döpel<br />
6<br />
„Fordern und Fördern“ empört<br />
<strong>NOTausgang</strong> im Gespräch mit Michael Ebenau<br />
ist doch grotesk, dass die Reichen immer<br />
reicher werden und währenddessen den<br />
Armen noch das wenige weggenommen<br />
werden soll, das sie haben.<br />
2. Was ist ungerecht oder empörend<br />
an dem Hartz IV - Ansatz „zu fördern<br />
und zu fordern“?<br />
Michael Ebenau: Ich erfahre immer<br />
wieder, dass sich Betroffene über die Floskel<br />
„Fördern und Fordern“ empören: Weil<br />
sie als Arbeitslose, egal ob sie nun Arbeitslosengeld<br />
I oder II beziehen, nicht oder<br />
kaum gefördert werden, wohl aber vielen<br />
Forderungen nachkommen müssen. Förderangebote<br />
wie zum Beispiel angemessen<br />
bezahlte ABM-Stellen oder Maßnahmen<br />
der beruflichen Weiterbildung, um<br />
dann wieder in Arbeit vermittelt zu werden,<br />
wurden doch in den letzten Jahren<br />
immer weiter abgebaut. Stattdessen greifen<br />
unbezahlte Praktika um sich - das ist<br />
doch keine Förderung. Darüber empören<br />
sich die Betroffenen völlig zu recht - aber<br />
viel zu wenig.<br />
3. Ist die Forderung nach höherer Flexibilität<br />
und nach Konzessionen, um<br />
wieder zu Brot durch Arbeit zu kommen,<br />
wirklich empörenswert?<br />
Michael Ebenau: Natürlich ist das empörend:<br />
Seit Jahrzehnten funktioniert in<br />
Deutschland das Prinzip, den Erwerbslosen<br />
die Schuld für ihre Arbeitslosigkeit<br />
hg. „Probieren<br />
Sie doch<br />
mal! Alles selbst gebacken.“ Kuchen<br />
essen - für den guten<br />
Zweck. Dazu animierten uns<br />
Karoline, Natalie, Caroline, Anna,<br />
Marlene, Tarin und Luzie (v.l.n.r.)<br />
vom Projekt Chile 2011. Der<br />
Kuchenbasar am Leutragraben<br />
war nur eine Aktion der Schüler<br />
einer Spanischklasse des Christlichen<br />
Gymnasiums, um eine<br />
selbst in die Schuhe zu schieben, obwohl<br />
offensichtlich ist, dass es viel zu wenig Arbeitsplätze<br />
gibt. Von daher können gar<br />
nicht alle Erwerbslosen Arbeit finden. Diese<br />
Situation nutzen konservative und neoliberale<br />
Politiker und natürlich auch die<br />
Arbeitgeber(-verbände) immer wieder, um<br />
Forderungen nach Abbau der sozialen<br />
Leistungen, Senkung des Lohnniveaus und<br />
anderen Deregulierungsmaßnahmen vorzutragen<br />
- und das auch noch erfolgreich,<br />
denn leider fallen auch abhängig Beschäftigte<br />
oft auf solche Parolen herein, ohne<br />
zu merken, dass auch sie gemeint sind.<br />
Dabei habe ich, ehrlich gesagt, einiges Verständnis<br />
dafür, dass Erwerbslose sich zu<br />
weigern versuchen, untertariflich bezahlte<br />
Jobs anzunehmen, die zumeist befristet sind<br />
und oft keinerlei Perspektive bieten, in sichere<br />
Arbeitsplätze einzumünden.<br />
4. Ist die statistische Bilanz, nach der<br />
die Arbeitslosenzahlen um rund 1,7<br />
Millionen Arbeitslose auf nun rund 3,5<br />
Millionen gesunken sind, nicht überzeugendes<br />
Argument für den Hartz<br />
IV-Ansatz?<br />
Michael Ebenau: Das sehe ich ganz<br />
anders: Richtig ist, dass sich die Zahl der<br />
Erwerbslosen in den vergangenen Jahren<br />
verringert hat. Das ist in Zeiten guter Konjunktur<br />
nur natürlich, und eine gute Konjunktur<br />
hatten wir zumindest in den Jah-<br />
Helfen um zu helfen<br />
Klassenfahrt<br />
nach Chile zu<br />
finanzieren. Dort wollen sie in<br />
Santiago de Chile soziale Einrichtungen<br />
tatkräftig unterstützen.<br />
Hilfen im Haushalt, Babysitting<br />
und andere Dienstleistungen bieten<br />
sie gegen einen Obolus an.<br />
Für Interessierte und Unterstützer<br />
haben die Schüler eine E-Mail-<br />
Adresse eingerichtet.<br />
chileprojekt2011@googlemail.com
Michael Ebenau<br />
ren bis zum Herbst 2008 zweifelsohne. Am<br />
selbst gesteckten Ziel, die Arbeitslosigkeit<br />
zu halbieren, wie Schröder und Hartz das<br />
vollmundig verkündet hatten, ist die Politik<br />
des Sozialabbaus doch gnadenlos gescheitert.<br />
Außerdem ist festzuhalten, dass<br />
Hartz IV der Ausbreitung prekärer Beschäftigung<br />
und Niedriglöhnen Vorschub<br />
leistet: Die Abgänger/innen aus dem Arbeitslosengeld<br />
II arbeiten oftmals zu Niedriglöhnen<br />
und in Jobs unterhalb ihrer Qualifikation,<br />
vielfach findet eine Vermittlung<br />
in Leiharbeit statt. Damit wird das Phänomen<br />
„Armut trotz Arbeit“ befördert,<br />
den Betroffenen wird keine menschenwürdige<br />
Existenz gewährleistet, obwohl sie oft<br />
rund um die Uhr schuften.<br />
5. Warum ist Hartz IV gescheitert?<br />
Michael Ebenau: Weil es kein schlüssiges<br />
Konzept zur Schaffung von Arbeitsplätzen<br />
ist, sondern nur Druck auf die Erwerbslosen<br />
ausübt. Eine nachhaltige Arbeitsmarktpolitik<br />
muss anders ansetzen: Sie<br />
muss zunächst identifizieren, in welchen<br />
DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />
○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />
hg. Traditionell<br />
wirken<br />
die Mitarbeiter der Telefonseelsorge<br />
im Stillen - anonym. Sie<br />
machen kein Aufsehen von ihrer<br />
Arbeit. Doch jeder der mehr als<br />
12.000 Anrufe im Jahr verdient<br />
Beachtung. Ist doch ein jeder Aufschrei<br />
der Seele von Menschen, die<br />
Wege suchen aus einer scheinbar<br />
ausweglosen Situation.<br />
In diesem Jahr blickten die Män-<br />
Helfer am Telefon<br />
Bereichen Arbeitsplätze geschaffen werden<br />
können, muss dann entsprechend investieren<br />
und so den Erwerbslosen die Möglichkeit<br />
von Arbeit überhaupt erst einmal<br />
anbieten. Wenn man die Augen aufmacht,<br />
sieht man doch, dass es in Deutschland<br />
einen großen Mangel an Arbeitsplätzen<br />
gibt, bspw. im Umwelt- und Naturschutz<br />
und im sozialen Bereich, um nicht nachfolgende<br />
Generationen mit den zurückliegenden<br />
Umweltsünden zu belasten.<br />
6. Ist Hartz IV reformierbar?<br />
Michael Ebenau: Auf jeden Fall muss<br />
die Gesetzgebung zur Unterstützung von<br />
Erwerbslosen reformiert werden, welchen<br />
Titel das trägt ist nicht so wichtig wie der<br />
Inhalt. Menschen, die ihren Arbeitsplatz<br />
verlieren, müssen sozial abgesichert sein<br />
und möglichst schnell eine neue, gut bezahlte<br />
Arbeit bekommen.<br />
7. Warum beschäftigen sich Gewerkschaften<br />
überhaupt mit der Frage der<br />
Hartz IV-Leistungen?<br />
Michael Ebenau: Dafür gibt es drei gute<br />
Gründe: 1. Wir haben viele Mitglieder, die<br />
unmittelbar von Hartz IV betroffen sind,<br />
2. Hartz IV bedroht mittelbar alle abhängig<br />
Beschäftigten, weil es für Unsicherheit<br />
und Angst sorgt, 3. Deutschland ist eines<br />
der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder<br />
auf der Welt, bei einigen Deutschen konzentriert<br />
sich ungeheurer Reichtum - da ist<br />
es einfach eine Frage der sozialen Gerechtigkeit,<br />
dass Gewerkschaften sich dafür einsetzen,<br />
nicht immer mehr Menschen ins<br />
soziale Abseits zu stellen.<br />
Wenn die IG Metall sich dafür nicht engagieren<br />
würde - für was bräuchte es dann<br />
Gewerkschaften?<br />
Die Fragen stellte: Joachim Hennig<br />
ner und Frauen<br />
um Angelika<br />
Hesse (Vorsitzende) und Ini Strobl<br />
(Geschäftsführerin) ganz öffentlich<br />
auf 20 Jahre ihres Wirkens für<br />
Menschen in Not, für die sie mit<br />
dem 3. Turmlauf warben. Die<br />
Frankfurter Share-Value-Stiftung -<br />
mit Gründer Günter Weispfennig<br />
und Freunden am Start hatte Fördergelder<br />
ausgelobt.<br />
Wir sagen herzlich: Danke.<br />
7
Mit welcher Persönlichkeit aus Kultur,<br />
Politik würden Sie gerne einmal<br />
zusammentreffen?<br />
Günter Wallraff: Pfff, Poh, (nach längerer<br />
Überlegung) … Mandela<br />
Gibt es einen Favoriten auch unter<br />
Künstlern?<br />
Günter Wallraff: Ach, die kann man alle<br />
im Kino ansehen - auf DVD’s. Die sind<br />
authentischer, wenn man sie in ihren Rollen<br />
und in ihrer Musik erlebt, die muss man<br />
nicht persönlich erleben.<br />
Wir führen dieses Interview als Nutzer<br />
des Offenen Kanal <strong>Jena</strong>. Wie sehen<br />
Sie Rolle und Bedeutung von unabhängigen<br />
Medien wie Bürgerradios?<br />
Günter Wallraff: Die wird immer wichtiger,<br />
insbesondere wo es in öffentlichrechtlichen<br />
Medien immer mehr zur Boulevardisierung,<br />
zu Verkürzungen kommt,<br />
wo bestimmte Themen nur noch angerissen<br />
werden oder nur noch in Nachtstunden<br />
berücksichtigt werden. Also da finde<br />
ich, sind freie unabhängige Medien eine<br />
ganz wichtige Geschichte.<br />
Ihre Recherchen, Ihre Bücher und<br />
Ihre Vorlesungen vermitteln: Dass<br />
Reiche und Führende mehr oder we-<br />
○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />
8<br />
NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 3 - 2010<br />
Günter Wallraff<br />
Demokratie braucht kritisches Hinterfragen<br />
Im Mai stellte der Enthüllungsjournalist und Schriftsteller Günter Wallraff sein aktuelles Buch „Schöne<br />
neue Welt“ bei einer Lesung im Volkshaus vor. Im Anschluss daran hatte unser Mitarbeiter Steffen<br />
Müller Gelegenheit, mit dem Autor für das Bürgerradio „Offener Kanal <strong>Jena</strong>“ ein Gespräch zu führen.<br />
Wir freuen uns, daraus exklusiv für den <strong>NOTausgang</strong> Teile veröffentlichen zu dürfen.<br />
Viele ältere Menschen in unserer<br />
Stadt leben allein und<br />
sehr zurückgezogen in ihren<br />
Wohnungen. Die Familie ist nicht vor Ort<br />
oder hat wenig Zeit! Einige Senioren sind<br />
in ihrer Mobilität sehr eingeschränkt. Zum<br />
Glück gibt es Menschen, denen es Freude<br />
bereitet, für Andere da zu sein. Sie besuchen<br />
ältere Menschen regelmäßig. Gemeinsam<br />
wird gespielt, sich unterhalten, spazieren<br />
gegangen, zu Ärzten, Ämtern oder<br />
Veranstaltungen begleitet. Das Angebot ist<br />
niger verhätschelt werden und jene,<br />
die Hilfe benötigen, gedrückt werden.<br />
Dass es dann nur noch eine Frage der<br />
Zeit sei, bis soziale Empörung zur<br />
Revolte wird….<br />
Günter Wallraff: Ich habe den Eindruck,<br />
die Verhältnisse haben sich so verschlimmert,<br />
dass sie nicht mehr hinnehmbar sind.<br />
Ich hoffe, ich behalte Unrecht, weil wenn<br />
jetzt das was wir an demokratischen Strukturen<br />
haben, in Frage gestellt wird oder<br />
beiseite geschafft wird, wird es nicht besser.<br />
Ich finde wir haben in unserem Grundgesetz<br />
alle Möglichkeiten. Die Grundrechte<br />
müssen verlebendigt werden. Politiker<br />
müssen wieder ihren Aufgaben gerecht<br />
werden. Wir haben durch Wahl und Abwahl<br />
die Möglichkeiten dies zu beeinflussen.<br />
Sonst verstärkt sich Politikverdrossenheit.<br />
Gerade unter Jugendlichen - durch bestimmte<br />
„Brot und Spiele“, durch Sendungen<br />
wie z.B. „Deutschland sucht den Superstar“.<br />
Da ist eine solche Verblödung<br />
im Gange, dass immer weniger Jugendliche<br />
überhaupt ihre Interessen und ihre<br />
Möglichkeiten wahrnehmen. Aber ich hab<br />
den Eindruck, da ist wieder was im Gegenwind.<br />
Ich merk´s auf Veranstaltungen<br />
Die Hand ist ausgestreckt<br />
völlig kostenlos.<br />
Diese freiwilligen Helfer sind die<br />
NAHbarn. Die Bürgerstiftung Zwischenraum<br />
initiiert dieses soziale Projekt in <strong>Jena</strong>.<br />
Aber es ist schwer, zurückgezogen lebende<br />
Menschen zu erreichen. Deshalb bittet<br />
die Bürgerstiftung Zwischenraum um Mithilfe.<br />
Gibt es in Ihrer Nachbarschaft,<br />
in Ihrem Freundes– oder Bekannten-<br />
und in Schulen. Da kommen wieder Jüngere,<br />
die auch soziale Interessen haben. Die<br />
Zustände verlangen - schreien danach.<br />
Gefährden nach Ihrer Ansicht Geschichten<br />
wie Hartz IV die Demokratie<br />
in diesem Land?<br />
Günter Wallraff: Hartz IV hat nur Nachteile<br />
für alle Betroffenen aber auch gesamtgesellschaftlich<br />
gebracht. Daher gehört<br />
Hartz IV abgeschafft. Korrekturen<br />
nützen nichts. Es müssen andere soziale<br />
Standards her. Es gehören Steuervergünstigungen<br />
abgeschafft und die Reicheren<br />
angemessen besteuert. Zu dem muss die<br />
Vermögenssteuer wieder hergestellt werden.<br />
Man hat den Eindruck, dass wer in Armut<br />
hineingeboren wurde, ihm diese als<br />
Schicksal anhaftet und da auch kaum herauskommt.<br />
Genauso wie reiche Familien<br />
ihren Reichtum weiter vererben, ihre Stellen<br />
sich zuschanzen über Protektion.<br />
Auch der Mittelstand bröckelt und ist vom<br />
Abstieg betroffen. Die Gesellschaft droht<br />
auseinander zu reißen durch immer mehr<br />
verarmende Schichten einerseits sowie<br />
immer mehr Reiche auf der anderen Seite.<br />
Darin liegt eine ganz bedrohliche Situation<br />
für unsere Demokratie.<br />
kreis jemanden, dem ein<br />
NAHbar helfen könnte,<br />
den Lebensalltag zu bewältigen?<br />
Oder wünschen Sie sich selbst<br />
diese Unterstützung? Vielleicht möchten<br />
Sie selbst ein NAHbar werden?<br />
Die Bürgerstiftung Zwischenraum steht<br />
Ihnen als Ansprechpartner zur Verfügung.<br />
Bürgerstiftung Zwischenraum<br />
Am Rähmen 27, 07743 <strong>Jena</strong><br />
Tel.: 03641/6349558<br />
www.buergerstiftung-zwischenraum.de
<strong>Jena</strong> wird gerne Lichtstadt im Osten<br />
genannt. Haben Sie 20 Jahre nach der<br />
Wende verschiedene Wahrnehmungen<br />
vom Publikum Ost und West oder<br />
gleicht sich das inzwischen einiges<br />
an?<br />
Günter Wallraff: Ich glaub bei jüngeren<br />
sind die Unterschiede gar nicht mehr wahrnehmbar.<br />
Da wird auch gar nicht mehr<br />
nach gefragt. Das finde ich gut so.<br />
Es ist auch kein großer Unterschied, ob<br />
man im Osten oder Westen arbeitslos ist.<br />
Problematisch sehe ich, dass immer noch<br />
viele vom Osten wegziehen und meinen<br />
im Westen hätten sie bessere Möglichkeiten.<br />
Hierdurch entstehen dann Strukturen,<br />
die langfristig nicht überlebensfähig sind.<br />
Ich finde das sehr traurig.<br />
Für Ihre Recherchen schlüpfen Sie in<br />
verschiedene Rollen. Welche waren<br />
die Rollen mit der kürzesten beziehungsweise<br />
der längsten Vorbereitungszeit?<br />
Günter Wallraff: Die längste Vorbereitungszeit<br />
brauchte ich für den türkischen<br />
Arbeiter „Ali“ in „Ganz unten“. Aber auch<br />
die Rolle des „Schwarzen“ in meinem<br />
neuesten Buch „Aus der schönen neuen Welt“<br />
war recht langwierig. Da hatte ich mich<br />
auch lang vorbereitet. Die kürzeste Vorbereitung<br />
brauchte ich für die Tätigkeit in<br />
der Lidl´schen Brotfabrik. Da kamen mir<br />
anonyme Hinweise und auch Zufälle als<br />
Glücksfälle zur Hilfe entgegen. Manchmal<br />
hab ich den Eindruck, dass ich zum richtigen<br />
Zeitpunkt den richtigen Menschen<br />
begegne. Ohne diese Zufälle wäre mir<br />
manche Rolle nicht gelungen. Als Agnos-<br />
○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />
hg. „Sprachlos“ schrieben<br />
Mitglieder unseres Redaktionsteams<br />
dem „Weißen Ring“<br />
in das Gästebuch der Ausstellung<br />
„Opfer“ im Campus<br />
Abbe-Platz der FSU <strong>Jena</strong>.<br />
„Wir zeigen außergewöhnliche<br />
Kampagnen gegen häusliche<br />
Gewalt und sexuelle<br />
Misshandlungen von Kindern<br />
und Frauen“, erklärte Mitarbeiterin<br />
Ingrid Illert. Gestaltet<br />
tiker muss ich da aufpassen, dass ich nicht<br />
noch zum gläubigen Menschen werde.<br />
„Hilfe“. Ich nehme es als Stichwort<br />
auf. Sie unterstützen selber verschiedene<br />
Hilfsorganisationen und Kampagnen.<br />
Vielleicht ein paar Worte dazu?<br />
Günter Wallraff: Nun ich habe von meinen<br />
Honoraren, gerade da, wo sie überraschend<br />
hoch ausfielen, die „Stiftung Zusammen-Leben“<br />
gegründet. Dieses Projekt<br />
umfasst eine ganze Straße im Arbei-<br />
terviertel Duisburg-Neudorf. Heute eine<br />
gute Wohngegend, die restauriert wurde.<br />
Ein Kulturzentrum entstand als Begegnungsstätte.<br />
Einwanderer und deutsche<br />
Urbewohner leben hier zusammen, bereichern<br />
einander und alle haben ihre Vorteile<br />
dadurch. Weiterhin fördere ich einen<br />
Rechtshilfefonds für „BILD“-Opfer. Da<br />
haben viele jetzt ihre Gegendarstellung,<br />
Zum Handeln angeregt<br />
DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />
Widerrufe und auch Schadensersatz durchgesetzt.<br />
Er finanziert die besten Anwälte.<br />
Ja, von Fall zu Fall unterstütze ich auch<br />
Einzelne. Meinen Lebensstil habe ich nicht<br />
groß geändert. Ich hab keine Luxusbedürfnisse.<br />
Obwohl ich leb’ auch nicht ganz bescheiden<br />
und gönn’ mir auch schon mal<br />
was. Aber wo andere eine Segeljacht brauchen,<br />
da fahre ich Kajak, Hochsee-Kajak,<br />
das macht auch Spaß. Ich entbehre nichts<br />
und trotzdem kann ich genug abgeben.<br />
Stichwort Kultur. Welches Buch, welche<br />
CD haben Sie zuletzt gekauft oder<br />
gelesen oder gehört?<br />
Günter Wallraff: Oh, das wechselt, ich<br />
lese vieles: Dostojewski habe ich vor kurzem<br />
mal gelesen, Turgenjew auch. Die sind<br />
Klassiker. Wenn ich an die aktuellen Sachen<br />
denke: Das Buch von Jörgs „Wir<br />
verblöden“, das war recht aufschlussreich.<br />
Es ist vieles was ich anlese. Erst wenn ich<br />
ein paar Tage Zeit habe, widme ich mich<br />
in Ruhe den Büchern und höre auch<br />
Musik.<br />
Zuletzt habe ich mir eine CD mit klassischen<br />
Flamencos besorgt, weil ich<br />
demnächst in Portugal bin. Da gibt ist es<br />
eine Fernsehsendung über meine Freund<br />
José Afonso, der mir viel zu früh verstarb.<br />
Er komponierte die Erkennungsmelodie<br />
der Nelkenrevolution 1974.<br />
Was macht Günter Wallraff in zwanzig<br />
Jahren?<br />
Günter Wallraff: Da hab ich, so hoff ich<br />
doch, endlich meine ewige Ruhe verdient,<br />
liege unterm Rasen und guck mir das alles<br />
von unten an.<br />
Foto: Büro G. Wallraff<br />
wurden die Arbeiten von Studierenden<br />
der Bauhaus-Universität<br />
Weimar unter Leitung<br />
von Prof. W. Holzwarth u.<br />
Hochschuldoz. P. Gamper.<br />
Die Ausstellung macht betroffen.<br />
„Die Aktion will uns die<br />
Empörung der Opfer nachempfinden<br />
lassen und zum<br />
Handeln anregen.“<br />
Kontakttelefon: <strong>Jena</strong> 222844,<br />
weisser-ring-jena(at)gmx.de<br />
9
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○<br />
Anzeigen<br />
10<br />
NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 3 - 2010<br />
FCC-Fanprojekt<br />
„Gewalt im Fußball tritt inzwischen vermehrt<br />
in unteren Spielklassen auf, in der<br />
3. und in der Regionalliga […] tummeln<br />
sich […] viele Problemfans. Häufig sind<br />
sie betrunken. Hohe Alarmstufe gilt,<br />
wenn Carl Zeiss <strong>Jena</strong>, Dynamo Dresden<br />
oder Rot-Weiß Erfurt zu Gast sind.<br />
Diese Klubs aus den neuen Bundesländern<br />
ziehen eine besonders gewalttätige<br />
Ultra-Szene hinter sich her.“ , so zu<br />
lesen in einem Beitrag im Online-Auftritt<br />
des Bayerischen Rundfunks.<br />
Unzählige Beiträge wie dieser werden<br />
immer wieder in Deutschlands Medien<br />
über Gewalt und Randale in und im<br />
Umfeld von Fußballstadien veröffentlicht.<br />
Doch sind die Fans wirklich so<br />
schlimm wie ihr Ruf?<br />
Fakt ist, die Fanszene in <strong>Jena</strong> ist eine<br />
andere als beispielsweise bei den Ligakonkurrenten<br />
in Sandhausen oder<br />
Heidenheim. Der FCC kann auf eine<br />
erfolgreiche Vereinshistorie verweisen:<br />
drei DDR-Meister-Titel, viermal<br />
FDGB-Pokal-Sieger. In der legendären<br />
Europapokalsaison 1980/81 bezwang<br />
man europäische Top-Mannschaften wie<br />
den AS Rom, FC Valencia und Benfica<br />
Lissabon. Diese Zeiten sind lange<br />
vorbei. Doch sie waren der Nährboden,<br />
auf dem über mehrere Generationen<br />
hinweg eine Fanszene gewachsen ist, die<br />
zahlenmäßig weiter wächst und emoti-<br />
Bambule, Randale…<br />
FCC-Fanszene beim Überholen Ihres Rufes<br />
onaler am Spielfeldrand und außerhalb<br />
des Stadions auftritt, als das anderswo<br />
der Fall ist.<br />
Dass diese Situation nicht automatisch<br />
ein erhöhtes Gewaltpotential mit sich<br />
bringt, bestätigt Matthias Stein, Leiter<br />
des <strong>Jena</strong>er Fanprojektes: „Die Gewaltentwicklung<br />
ist unserer Einschätzung<br />
nach seit Jahren rückläufig, selbst brisante<br />
Derbys wie gegen RWE oder Dresden<br />
gehen ohne nennenswerte Vorfälle über<br />
die Bühne. Rückschläge sind natürlich<br />
nie auszuschließen.“<br />
Das seit 1991 tätige Fanprojekt hat einen<br />
gehörigen Anteil an dieser positiven<br />
Entwicklung. Das Gelände in der Oberaue<br />
4 lädt nicht nur an Spieltagen zum<br />
gemeinsamen Miteinander ein. Die Zusammenarbeit<br />
mit zahlreichen städtischen<br />
und überregionalen Partnern ermöglicht<br />
ein vielfältiges Angebot, das<br />
nicht nur gemeinsames Fußballsehen und<br />
-spielen beinhaltet. Lesungen, Vorträge<br />
und Diskussionen machen das Fanprojekt<br />
zu einem Zentrum der Information,<br />
Kommunikation und Beratung.<br />
Gute Voraussetzungen also, eine vielfältige,<br />
offene, friedliche und tolerante Fankultur<br />
zu etablieren.<br />
Aktiv mitgestalten ist natürlich erlaubt.<br />
„Bei Interesse kann man sich gerne bei<br />
uns melden. Zudem sind aus der Fanszene<br />
heraus ja auch tolle Initiativen entstanden,<br />
mit denen wir zusammenarbeiten.“,<br />
lädt Matthias Stein ein und nennt<br />
„Hintertorperspektive e. V.“ als gelungenes<br />
Beispiel. Der Verein für integrative<br />
Arbeit organisiert Vorträge (z.B. in Schulen,<br />
Jugendclubs) und Workshops, um<br />
Aufklärungsarbeit zu den Themen Rassismus,<br />
Sexismus und Diskriminierung<br />
zu leisten. Mit der Patenschaft zum<br />
Eisenberger Flüchtlingsheim werden<br />
Ängste abgebaut und Lichtblicke gegeben,<br />
erklärt Friedemann Junge, der von<br />
Anfang an die Vereinsarbeit unterstützt.<br />
Das Beispiel „Hintertorperspektive“<br />
zeigt, dass sich nicht nur Medien und<br />
Öffentlichkeit, sondern auch Fußballfans<br />
selbst über Fremdenfeindlichkeit und<br />
Gewalt empören und sich für ein toleranteres<br />
Miteinander, auch abseits des<br />
Fußballplatzes, engagieren.<br />
Daniel Pfletscher<br />
Foto: <strong>Jena</strong>er Fanprojekt
E i n b l i c<br />
&<br />
k e<br />
A u s b l i c k e<br />
„Die Nibelungen“ nach Hebbel als ARENA-Spektakel<br />
Deutsche Geschichte zum Schmunzeln und Weiterdenken<br />
Dass wir auf dem Theatervorplatz alten<br />
Bekannten begegnen würden, war gewiss.<br />
Jenes: „Sie haben sich nicht verändert.“ kam<br />
niemandem über die Lippen. Bei Siegfried,<br />
dem Helden der Nibelungen & Co.<br />
brauchte es auch diesmal kein „Oh!“. Das<br />
war bei der Ansetzung der Nibelungen als<br />
Spektakel auch nicht zu erwarten.<br />
An dem Stück waren dafür unter der Feder<br />
der Dramaturgin Christin Bahnert jene<br />
Änderungen gelungen, die ihm heute gut<br />
tun, egal ob die Hebbeljaner gefallen oder<br />
nicht. Für die Metamorphose vom Trauerspiel<br />
zum Spektakel war mehr als ein<br />
Eingriff vonnöten. Mit einem deutschen<br />
Heldenepos in Händen ist nicht eins, zwei,<br />
drei ein Spektakel auf die Bühne gebracht,<br />
das der Vorlage gerecht wird. Da brauchte<br />
es Geschick.<br />
Es muss als Glücksfall gelten, dass Anspruch<br />
und Realisierung der Inszenierung<br />
durch den scheidenden Regisseur Markus<br />
Heinzelmann der Gefahr nicht unterlagen,<br />
in gekünstelte Adaption abzugleiten. Die<br />
hätte ein Spektakel nun wirklich nicht vertragen.<br />
Über alle Zeiten hinweg indes ließ<br />
sich die Geschichte um Treue, Liebe, Hass<br />
und Gier trefflich vortragen. So gelang<br />
es, deutsche Geschichte vorzuführen und<br />
wissendes Schmunzeln, gelegentlich Lachen,<br />
Denken, Nach- und Weiterdenken<br />
anzuregen. Ein Genuss.<br />
Nein, die bewussten Eulen will ich nicht<br />
Der dreifach geschützte Siegfried (Sebastian Thiers, im Bild links) kommt an<br />
den Hof Burgunderkönigs Gunther (Ralph Jung), um die schöne Kriemhild zu<br />
freien und findet durch Verrat den Tod durch Hagens (Bernhard Dechant)<br />
Meuchelmord. Fotos (2): Joachim Dette<br />
ins Gespräch bringen, doch wer kommt<br />
umhin, das überzeugende Zusammenspiel<br />
von Ensemble, Statisten, den Bühnen- und<br />
Kostümbildnern dieser Inszenierung mit<br />
Musik und Chor (ein extra „Hoch!“) zu würdigen?<br />
Dennoch - wir hatten es erwartet.<br />
Stets eine Zeile mehr ist uns die Mitwirkung<br />
der Laien wert. Im dunklen Overall<br />
des Arbeitsmannes (Bild oben) bringen sie<br />
Metropolis-Assoziationen in das Spiel um<br />
Liebe, Macht und G(e)old. Ein Zufall ist<br />
sicher nicht, dass ihr Schwarz die Individuen<br />
voneinander klar in zwei getrennte<br />
Gesellschaften teilt. In die da oben und<br />
jene da unten, die Teil sind der Mechanerie,<br />
die alles am Laufen hält. Sie sind das Volk!<br />
„Die Nibelungen“ - nach Hebbel - fast<br />
150 Jahre nach Hebbel - im Heute und in<br />
allem ganz dicht dran, was Menschen an-<br />
treibt. Das war es. Über die Zeiten hinweg<br />
und mittendrin - gestern und heute.<br />
Das Stück geschrieben, wie Hebbel im<br />
Vorspiel bekennt, um „mit schuldiger Ehrfurcht<br />
für seine (des Verfassers) Intentionen<br />
auf Schritt und Tritt zu folgen, soweit<br />
es die Verschiedenheit der epischen und<br />
dramatischen Form irgend gestattete“ und<br />
nur herauszuheben, was im Lied angedeutet<br />
war.<br />
Viel ist über den Sinn und Zweck des Theaters<br />
geschrieben worden. Von der Schule<br />
der Nation, der moralischen Lehranstalt,<br />
der Schaubühne - auch ein: „Was glotzt<br />
Ihr so romantisch?” Es war von allem etwas<br />
dabei. Doch zum Glotzen blieb keine<br />
Zeit. Die Ereignisse strebten Schlag<br />
auf Schlag dem bitteren Ende zu.<br />
Joachim Hennig<br />
○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />
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Regie: Erik Balling<br />
17. August, Dienstag,<br />
Kurzfilmnacht<br />
Moderator: Steffen Quasebarth<br />
jeweils 21.30 Uhr<br />
Theatervorplatz<br />
E i n b l i c<br />
&<br />
k e<br />
A u s b l i c k e<br />
Ein Blick ins Veranstaltungsprogramm 2010<br />
Das Leben des Kneipenbesitzers<br />
Zinos steht sprichwörtlich<br />
auf dem Kopf. Sein<br />
krimineller Bruder Illias will<br />
während seines Freigangs tagsüber<br />
bei ihm „arbeiten“, seine<br />
Freundin geht für einen Job<br />
nach Shanghai und beim Ordnungsamt<br />
weckt der ranzige<br />
Soul Kitchen<br />
Charme des Ladens alles<br />
andere als Begeisterungsstürme.<br />
Die Konfrontation mit<br />
der Spülmaschine beschert ihm<br />
einen Bandscheibenvorfall,<br />
weshalb er notgedrungen den<br />
Koch Shayn anheuert. Der neue<br />
Koch verscheucht mit seiner<br />
Spitzenküche die alte Kundschaft<br />
und schon bald erobert<br />
die betuchte Klientel die Szenekneipe.<br />
Der Laden brummt<br />
und ein schmieriger Immobilienhai<br />
ist schon zur Stelle.<br />
Eine Dramödie mit Ethno-<br />
Charme. 15. August<br />
Die Olsenbande stellt die Weichen<br />
Egon, Benny, Kjeld, reisen um<br />
die Welt...Wer kennt nicht die<br />
Titelmelodie der Olsenbande.<br />
Und auch in ihrem siebten<br />
Streich geht es in bekannter<br />
Manier drunter und drüber.<br />
Zunächst scheinen sie es geschafft<br />
zu haben und bereiten<br />
sich auf Mallorca auf ihren<br />
Lebensabend vor. Doch mal<br />
wieder wird Egon um seine<br />
Beute gebracht und landet im<br />
Gefängnis, wo ihm noch<br />
immer die besten Einfälle gekommen<br />
sind. Nach seinem<br />
Haftende hat zunächst keiner<br />
seiner Kumpel Interesse an<br />
seinem Plan, sich das Geld<br />
zurückzuholen. Aber Egon<br />
gelingt es, alle zu überzeugen<br />
und eine rasante Jagd auf die<br />
Millionen, getarnt als Bahnarbeiter,<br />
beginnt. Wie immer<br />
geht einiges schief. Ein Kultfilm<br />
für alle. 16. August<br />
KinderArena<br />
Jorinde Jelen &<br />
Die Fresh Boys<br />
Im Radio ist das Volkslied los.<br />
Dank ihrer langjährigen Bühnenerfahrung<br />
und dem Umgang<br />
mit unterschiedlichen<br />
Genres der Popmusik, verbindet<br />
die studierte Jazzsängerin<br />
samt Band traditionell<br />
überlieferte Lieder mit<br />
modernen Stilmitteln. Sie lässt<br />
Puppen und Band tanzen und<br />
animiert nicht nur zum Zuhören<br />
und Zuschauen sondern<br />
auch zum Mitmachen.<br />
08. August<br />
Maxim Wartenberg &<br />
Trommelfloh<br />
Die Kuhfellhose und ein<br />
schelmisches Lächeln sind<br />
seine Markenzeichen, dazu<br />
eine Horde begeisterter Kinder<br />
im Schlepptau, die mit<br />
ihm vor und auf der Bühne<br />
tanzen. Frech und fröhlich,<br />
mal laut und mal leise, so erobert<br />
der sympathische<br />
Musiker, selbst Vater von 4<br />
Kindern, mit seiner Band<br />
und seinen lebendigen Mitmachliedern<br />
die Herzen seiner<br />
kleinen Fans und die der<br />
Eltern. Er amüsiert, rockt,<br />
swingt und reißt alle mit.<br />
15. August<br />
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12
Katzenjammer<br />
Katzenjammer ist so ziemlich<br />
das Letzte, was sich einstellt,<br />
wenn man der Band zuhört.<br />
Vielmehr ist es die derzeit heißeste<br />
Tanzmusikcombo Norwegens,<br />
die ihren Namen auf<br />
einen Comic zurückführt.<br />
2005 gegründet, begann der<br />
Aufstieg der Band mit erfolgreichen<br />
Konzerten und der<br />
Teilnahme an einer bekannten<br />
TV-Talentshow. Der endgültige<br />
Durchbruch gelang 2008<br />
mit ihrem Auftritt beim skandinavischen<br />
Musikfestival<br />
by:Larm. Das Frauenquartett<br />
spielt dreifach gewendete und<br />
durch den Polka-Wolf gedrehteGirlpower-Piratenversionen<br />
mit enormem Hysteriepotential.<br />
Sie spielen insgesamt<br />
mehr als 31 Instrumente,<br />
wobei da auch mal der<br />
Abfalleimer, die alpenländische<br />
Zither, die Keksdose<br />
oder eine Drehorgel zum Einsatz<br />
kommen. Dazu kommen<br />
4 Stimmen, die stark wie<br />
Nordkap-Wodka sind und<br />
eine orkanartige Bühnenenergie.<br />
Sie sind die abgefahrenste<br />
Girl-Rock-Folk-Pop-<br />
Band, die durch die Musikgeschichte<br />
rast. 05. August<br />
E i n b l i c<br />
&<br />
k e<br />
A u s b l i c k e<br />
Ein Blick ins Veranstaltungsprogramm 2010<br />
Obwohl erst 2007 gegründet,<br />
erspielte sich die fünfköpfige<br />
Band aus Oberbayern in kürzester<br />
Zeit Kultstatus. Die<br />
wackeren Blechblaspunker<br />
machen bayrische Musik, wie<br />
sie sein soll: ungenierte Texte,<br />
wummernde Bässe und zuckende<br />
Offbeats. Aus den un-<br />
Gus Gus - isst Seele auf<br />
Der Bandname ist dem Rainer<br />
Werner Fassbinder Film „Angst<br />
essen Seele auf“ entlehnt. Der<br />
Band gefiel, wie weich und<br />
sinnlich der Name des Gerichts<br />
„Couscous“ ausgesprochen<br />
wurde und so wurde GusGus<br />
zu ihrem eigenen Namen. Das<br />
in Island gestartete Musikprojekt<br />
lebt vom ständigen Wechsel<br />
der Mitglieder und den<br />
dadurch wechselnden musikalischen<br />
Einflüssen. Ihre neueste<br />
Platte „24/7“ ist am ehesten<br />
dem Genre Electronic zuzu-<br />
La Brass Banda<br />
terschiedlichen musikalischen<br />
Interessen und Biographien<br />
formt sich hier eine Band,<br />
die einen Pop-Sound schafft,<br />
der sich nicht vergleichen lassen<br />
will, sondern fröhlich<br />
zeigt, wie man den Dancefloor<br />
auf bayerisch anzündet.<br />
Es ist die Musik ihrer<br />
Herzen und mit viel Liebe<br />
und Freude produziert. Für<br />
die Band ist es Musik, die „aus<br />
ihnen raus will“ und das Publikum<br />
direkt zum Bewegen<br />
bringen soll.<br />
11. August<br />
ordnen. Gus Gus verstehen sich<br />
als Rock´n´Roller, die ihre Instrumente<br />
gegen Sampler und<br />
Modul-Synthesizer getauscht<br />
haben. Deswegen rocken sie<br />
aber nicht weniger.<br />
21. August<br />
KonzertArena<br />
01. August, Sonntag,<br />
Halbzeit! ArenaComedy<br />
03. August, Dienstag,<br />
Musica Nuda<br />
arenAkustik im Volksbad<br />
04. August, Mittwoch,<br />
C. Teal & M. Kaeshammer<br />
05. August, Donnerstag,<br />
Katzenjammer<br />
06. August, Freitag,<br />
Oque Strada<br />
07. August, Samstag,<br />
Max Herre<br />
11. August, Mittwoch,<br />
La Brass Banda<br />
12. August, Donnerstag,<br />
Manu Katché<br />
13. August, Freitag,<br />
Vienna Teng<br />
14. August, Samstag,<br />
Staff Benda Bilili<br />
17. August, Dienstag,<br />
Klaus Paier & Asja Valcic<br />
arenAkustik im Volksbad<br />
18. August, Mittwoch,<br />
Marit Larsen<br />
19. August, Donnerstag,<br />
Rebekka Bakken<br />
20. August, Freitag,<br />
Jan Josef Liefers<br />
21. August, Samstag,<br />
GusGus<br />
22. August, Sonntag,<br />
Los de Abajo<br />
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14<br />
Villa Rosenthal<br />
Am 15. August wird eine neue Lese-<br />
Reihe in der Villa Rosenthal fulminant<br />
eröffnet werden. Knappe zwei<br />
Stunden Literatur pur mit kleinen musikalischen<br />
und plaudernden Unterbrechungen<br />
werden dem Besucher im anregenden<br />
Ambiente geboten:<br />
<strong>Jena</strong> und die Welt vereinen sich in der<br />
Reihe, die auch künftig Autorinnen und<br />
Schreibende verschiedenster Art und<br />
Temperamente zusammenbringen<br />
möchte.<br />
Den Auftakt macht der renommierte<br />
Lyriker und seit kurzem in <strong>Jena</strong> tätige<br />
Literaturprofessor Dirk von Petersdorff:<br />
die Gäste werden die Weltpremiere<br />
seines Ende August erscheinenden<br />
Gedichtbandes „Nimm den langen Weg<br />
nach Hause“ (C.H. Beck) erleben.<br />
Nancy Hünger, die zweite im Bunde, gilt<br />
als eine der beiden Ausnahmeerscheinun-<br />
E i n b l i c<br />
&<br />
k e<br />
A u s b l i c k e<br />
Garten der Villa Rosenthal<br />
Von wegen „der Liebe wegen“<br />
Die Logik grinst. Von wegen „der Liebe wegen“.<br />
Nichts da mit Herz, Schmerz und eitel<br />
Sonnenschein. Das wäre aus der Feder von<br />
Lutz Rathenow kaum zu erwarten. Originäres<br />
aber schon. Und es wird auch gleich<br />
im Untertitel mit „Ein Wendebuch“… bedient.<br />
Ein Wendebuch kann ich von der einen<br />
wie der anderen Einbandseite her zu lesen<br />
beginnen. Das aber ist nicht neu.<br />
Das Buch enthält die Geschichten „Spieglein<br />
im Gesicht“ (Ost) und „Das unerwartete<br />
Glück“ (West). Sie stehen nicht<br />
hintereinander, sondern sie laufen mit ihrem<br />
Höhepunkt aufeinander zu, zur Buchmitte,<br />
ohne ineinander zu verschmelzen.<br />
Das ist es dann schon eher. Und zumindest<br />
kein Zufall. Symbolhaft ist auch, dass ich das<br />
Buch einmal um seine Querachse drehen<br />
muss, damit ich es wie gewohnt blättern<br />
kann. Rathenow verfremdet Realität und<br />
Traum, Traum und Wirklichkeit zu zwei Liebesgeschichten.<br />
Amüsant und kokett. Die<br />
sind nicht ganz frei von Klischees, was dann<br />
aber das Feingefühl enttäuscht.<br />
Stunden der Literatur pur<br />
gen unter den jungen Lyrikerinnen Thüringens.<br />
Sie wird aus ihrem letzten Band,<br />
aus der Jubiläumsausgabe der<br />
Zeitschrift PALMBAUM und aus den<br />
letzten Gedichten einer kürzlich verstorbenen<br />
Kollegin lesen.<br />
Die Zusammenstellung und Präsentation<br />
dieser neuen Reihe gestaltet der Berliner<br />
Schriftsteller aus <strong>Jena</strong> Lutz Rathenow.<br />
Er führt durch den Spät-Nachmittag<br />
und lässt einen Überraschungsgast<br />
aus seinem jüngsten Buch „DER LIE-<br />
BE WEGEN“ rezitieren.<br />
Im Garten der Villa Rosenthal, 16.00 bis<br />
18.00 Uhr Der Eintritt ist frei.<br />
C. Buchatowski<br />
Foto: M. Quicker<br />
Internetrezensent W.<br />
Laufenberg findet<br />
die Quintessenz:<br />
„…das Leben wird<br />
nicht zum Märchen.<br />
Aber wie man es<br />
auch dreht und wendet:<br />
Jeder wird sich<br />
seinen eigenen Extrakt<br />
ausdenken müssen.<br />
Egal, ob mehr märchenhaft oder mehr<br />
real existierend, die Hauptsache, er hat etwas<br />
von diesen Texten und Bildern, die nicht<br />
so leichthin aus dem Ärmel geschüttelt sind<br />
wie sie tun“. J. Hennig
Empörung<br />
Rechts empört! - Empören Sie die Rechten?<br />
Als eine der Sprecherinnen des <strong>Jena</strong>er<br />
Aktionsnetzwerkes gegen Rechtsextremismus<br />
werden Sie, Frau<br />
Zimmermann, im August Teilnehmerin<br />
an der Gesprächsrunde der IMAGINA-<br />
TA sein. Das Thema heißt: „Rechts<br />
empört“. Empören Sie die Rechten?<br />
Luise Zimmermann: Zunächst mal denke<br />
ich über<br />
d i e<br />
Wortwahl<br />
d e s<br />
Themas<br />
nach.<br />
„Empört<br />
sein“ - das<br />
ist eher ein<br />
Begriff<br />
aus dem<br />
Zeitalter<br />
d e r<br />
Empfindsamkeit;<br />
er<br />
beschreibt mehr ein Gefühl, keine Tätigkeit.<br />
Insofern gibt er tatsächlich eine weitverbreitete<br />
Einstellung gegenüber der extremen Rechten<br />
wieder: man empört sich über die Nazis und<br />
ihre Parolen, man ist entrüstet angesichts ihrer<br />
öffentlichen Aufmärsche, vielleicht sogar<br />
wütend, wenn Menschen gejagt oder<br />
umgebracht werden – und dann vergisst<br />
man’s wieder. Empörung und Entrüstung<br />
allein sind noch keine politischen Aktionen.<br />
Andererseits wissen wir aus eigener<br />
Erfahrung, Empörung und Entrüstung sind<br />
der Stoff, aus dem Widerspruch und<br />
Widerstand gegen Neonazis entstehen kann.<br />
Was ist das besondere Problem der<br />
extremen Rechten und wie gehen Sie<br />
damit um?<br />
Luise Zimmermann: Der Versuch,<br />
nationalsozialistische Ideen und<br />
Politikvorstellungen wiederzuerwecken, ist<br />
ein direkter Angriff auf unser menschliches<br />
Zusammenleben. Die Abwehr dieser<br />
Bedrohung ist zu wichtig, als dass man sie<br />
allein der Polizei und der Justiz überlassen<br />
könnte.<br />
Es reicht nicht, in dieser elementaren Frage<br />
zu sagen: da soll sich mal die Polizei drum<br />
kümmern, da bin ich nicht zuständig. Wir<br />
können uns nicht auf den Repressionsapparat<br />
des Staates verlassen, Konstantin Wecker hat<br />
gerade sehr passend gesagt „Antifaschismus<br />
machen wir am besten selber.“ Unsere<br />
Schlussfolgerung ist: Wir selbst sind zuständig<br />
für die Gesellschaft, in der wir leben. Wir<br />
können etwas ausrichten gegen<br />
„empörende“ Zustände. Es widerspricht<br />
gegenwärtig gültigen Gesetzen,<br />
Naziveranstaltungen zu verhindern, indem<br />
man öffentliche Straßen blockiert, aber es<br />
ist wirkungsvoll und absolut legitim, sie daran<br />
zu hindern, ihre menschenverachtenden<br />
Ideen zu verbreiten und sich selbst öffentlich<br />
zu feiern.<br />
Wenn viele Menschen gemeinsam,<br />
entschlossen und solidarisch Nazis den<br />
DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />
öffentlichen Raum entziehen und darin<br />
solchen Erfolg haben wie hier in <strong>Jena</strong>, erleben<br />
sie, dass aus der Empörung, die ja immer<br />
gegen etwas gerichtet ist, eine politische<br />
Haltung entsteht, die auch positiv<br />
beschreiben kann, wofür sie eintritt: für die<br />
politische Mündigkeit der Bürger; für die<br />
Teilhabe an den Entscheidungen, die sie selbst<br />
betreffen; dafür, Minderheiten in Schutz zu<br />
nehmen vor Diskriminierung und<br />
Ausgrenzung . . . Da entwickelt sich ein<br />
demokratischer „Mehrwert“, der über das<br />
hinausreicht, was Empörung und Entrüstung<br />
üblicherweise leisten. So ist das Anliegen des<br />
Aktionsnetzwerks grob beschrieben.<br />
Die Arbeit des Netzwerks ist vielfältig,<br />
einzelne Kreise bearbeiten so verschiedene<br />
Themen wie Lokalgeschichte (AK<br />
Sprechende Vergangenheit) oder den Schulund<br />
Jugendbereich (Schüler-Lehrer-Netz)<br />
Wichtig sind konkrete Trainings, denn die<br />
Blockade eines Naziaufmarsches gelingt<br />
natürlich nicht zufällig. Da sollten die meisten<br />
Leute schon wissen, wie Bezugsgruppen<br />
funktionieren und wie man auf der Straße<br />
sitzend in kurzer Zeit zu Entscheidungen<br />
kommt, die alle mittragen können.<br />
Ich lade jeden ein zu den nächsten<br />
Netzwerkplenen am 18. August und am 9.<br />
September, jeweils um 20 Uhr im Hörsaal 8<br />
im Uni-Campus. Aktuelle Informationen<br />
gibt es immer auf unserer Homepage<br />
www.aktionsnetzwerk.de.<br />
Es fragte: Joachim Hennig<br />
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16<br />
NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 3 - 2010<br />
Kapitalismus-Kritik<br />
Körper und Geist sind „ausgebrannt“.<br />
Erschöpfung, Leistungsabfall, Leere<br />
kennzeichnen den Prozess, in dessen Verlauf<br />
eine idealistische Begeisterung der Desillusionierung,<br />
Frustration und Apathie weicht.<br />
Das klinische Wörterbuch Pschyrembel bezeichnet<br />
diesen Zustand als Burn-out-Syndrom.<br />
Während sich dieses Leiden immer mehr zur<br />
Volkskrankheit entwickelt, hat Peter H.<br />
Grassmann den Burn-out des Wirtschaftssystems<br />
diagnostiziert. Wer will ihm angesichts<br />
der aktuellen Wirtschaftskrise und verzweifelter<br />
Rettungsversuche nicht Recht geben?<br />
Grassmann, einst Generaldirektor und Vorstandsmitglied<br />
für den Bereich Medizinische<br />
Technik bei der Siemens AG, ist in hiesigen<br />
Gefilden kein Unbekannter. Von 1995 bis<br />
2001 war er als Vorstandsvorsitzender für<br />
die Sanierung und Neuausrichtung von Carl<br />
Zeiss in Oberkochen und <strong>Jena</strong> verantwortlich.<br />
Seine Therapievorschläge, dem Burn-out<br />
Einhalt zu gebieten, sind in diesem Jahr im<br />
oekom Verlag als Buch erschienen: Burn Out:<br />
Wie wir eine aus den Fugen geratene Wirtschaft<br />
wieder ins Lot bringen.<br />
Das Grassmann’sche Modell baut vor allem<br />
auf Dialog, an dem die gesamte Gesellschaft<br />
teilnimmt und der zu einem neuen Wertecodex<br />
führen kann, auch, um der Klimaver-<br />
Wirtschaft im Erschöpfungszustand<br />
ein Plädoyer für Wertewandel<br />
antwortung gerecht zu werden. Unternehmer<br />
und Vertreter der Wirtschaftsverbände<br />
sollen am Runden Tisch sitzen, ebenso sachkundige<br />
Wissenschaftler und NGOs (Non-<br />
Governmental Organizations, also Nichtregierungsorganisationen).<br />
Verantwortung<br />
übernehmen könne aber jeder Einzelne:<br />
„Denn wir als Verbraucher tun ja gerne so,<br />
als ob die Verfehlungen nur aus der ‚Marktwirtschaft‘<br />
kämen, und meinen damit [...] die<br />
Wirtschaft und deren Manager. Aber das ist<br />
zu einfach. Für den Marktwirtschaftler liegt<br />
die große Macht beim Kunden, nur von ihm<br />
kommt das Geld.“<br />
Das Bewusstsein, als Einzelner etwas tun zu<br />
können und nicht auf den Staat zu warten,<br />
dient auch einer Mitbestimmung der Zivilgesellschaft,<br />
die sich neben der Legislative,<br />
Exekutive und Judikative zur vierten Gewalt<br />
entwickeln könne. Wirtschaftliche und politische<br />
Arbeit seien sehr komplex, aber unvollkommen,<br />
wenn Bürger nicht eingebunden<br />
sind.<br />
Peter H. Grassmann hat ein Buch vorgelegt,<br />
das erstaunt, obwohl es in den abgesicherten<br />
Fahrwassern des Ruhestandes verfasst<br />
wurde, denn die Wandlung hin zum nachhaltig<br />
denkenden Wirtschaftskritiker gelingt<br />
wohl den wenigsten Top-Managern. Auf<br />
149 Seiten offenbart Grassmann ungeschönte<br />
Wahrheiten und hoffnungsvolle Ansätze.<br />
Die Wirkung des Buches wird sich wahrscheinlich<br />
in Grenzen halten. Menschen, die<br />
empört sind, werden es lesen, wohl aber<br />
nicht diejenigen, die für Empörung sorgen.<br />
Um aus dem Dilemma heraus zu rudern,<br />
müssen allerdings alle Beteiligten in einem<br />
Boot sitzen.<br />
Doch jeder neue Weg erfordert Wissen und<br />
Verständnis, hierzu kann das Buch sicherlich<br />
beitragen.<br />
Daniel Pfletscher<br />
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Armut mitten im Reichtum<br />
Lässt sich Armut im Kapitalismus verhindern?<br />
„Wir haben es mit einem Bündel von<br />
Krisen zu tun – der Finanzkrise, der<br />
Wirtschaftskrise, der Umweltkrise, der<br />
Sozialstaatskrise und einer Krise der anständigen<br />
Arbeit“, sagt Prof. Dr. Franz<br />
Segbers, Theologe und Sozialwissenschaftler.<br />
Im Rahmen der monatlich<br />
fortgesetzten Vortragsreihe des <strong>Jena</strong>er<br />
Arbeitskreises „Zukunftsfähige Gesellschaft“<br />
sprach er zum Thema „Armut<br />
mitten im Reichtum – Lässt sich<br />
Armut im Kapitalismus verhindern?“.<br />
Aufgewachsen, so erzählt er, ist er in<br />
Gelsenkirchen. Damals eine reiche Stadt,<br />
geprägt von Großindustrie, Zechen,<br />
Hütten und Kokereien, die überschüssiges<br />
Gas über Fackeln verbrannten, was<br />
Gelsenkirchen den Beinamen „Stadt der<br />
1000 Feuer“ brachte. Man hatte den Eindruck,<br />
dass dieser Reichtum nie enden<br />
wolle. Heute gibt es in Gelsenkirchen<br />
Stadtviertel mit 40% Arbeitslosen und<br />
es drängt sich, so Prof. Segbers, die Frage<br />
auf: „Muss das so sein? Ist Arbeitslosigkeit<br />
und Armut ein Naturereignis<br />
oder lässt sie sich verhindern?“ Und<br />
dann kommt er zurück auf die Krisen,<br />
die für ihn vor allem eine Ursache haben:<br />
den herrschenden Finanzmarktkapitalismus.<br />
„Eine Kapitalismusform,<br />
die heute die Politik erpresst, nachdem<br />
ihr diese selbst die dafür notwendigen<br />
Mittel an die Hand gegeben hat. Längst<br />
bestimmen die Finanzmärkte, Aktionäre<br />
und Anleger den Kurs der Politik:<br />
Löhne werden gesenkt, Lohnnebenkosten<br />
abgesenkt, Steuern gesenkt.<br />
Seit 1998 hat sich so die Zahl der<br />
Vermögensmillionäre auf 800.000 verdoppelt.“<br />
Der Rest der Deutschen<br />
schreitet immer weiter der Armutsgrenze<br />
entgegen oder hat sie schon passiert,<br />
denn im Finanzkapitalismus ist<br />
Arbeit vor allem eins – ein Kostenpunkt.<br />
Beschäftigte werden für eine Art<br />
Manövriermasse gehalten, mit der man<br />
nach Belieben verfahren kann. Segbers<br />
sieht für dieses Problem nur eine Lösung<br />
und in der Krise eine Chance: „Wir<br />
brauchen eine Erneuerung des<br />
sozialstaatlichen Diskurses. Der Sozialstaat<br />
ist der Schlüssel zur Regulierung des<br />
Kapitalismus.“ Er erläutert auch, wie er<br />
sich diesen Diskurs vorstellt: „Die Kernfrage<br />
einer demokratischen Gesellschaft<br />
muss lauten: Wie wollen wir leben? Sie<br />
lautet nicht: Was ist gut für die Unternehmen<br />
und das Wirtschaftswachstum?“<br />
Die Wirtschaft muss endlich dem Menschen<br />
dienen und nicht umgekehrt. Und<br />
der Antwort Franz Segbers’ auf die erste<br />
Frage ist zuzustimmen: „Wir wollen in<br />
einer intakten Umwelt leben, in einer<br />
friedlicheren Welt, in welcher der Wohl-<br />
DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />
Kapitalismus-Kritik<br />
stand möglichst gerecht verteilt allen<br />
zugute kommt.“ Ein reformierter Sozialstaat<br />
wäre für Segbers der Weg zu diesem<br />
Ziel. Dabei meint er nicht den Sozialstaat<br />
der Almosen gibt und Tafeln<br />
oder Suppenküchen unterhält. Vielmehr<br />
wünscht er sich einen starken Sozialstaat,<br />
der „Handausstrecker“ ist, „Schicksalskorrektor“<br />
für all jene, die benachteiligt<br />
sind, der wirklich ein Fortkommen aus<br />
der Armut ermöglicht. „Es muss soziale<br />
Sicherheit für alle geben, garantierte<br />
Mindestlöhne und eine armutsfeste<br />
Grundsicherung sind hier wichtige Elemente.<br />
Ein gerechtes Bildungssystem<br />
muss es jedem ermöglichen, sich in unsere<br />
Gesellschaft einbringen zu können.<br />
Und das Steuersystem wird erst gerecht,<br />
wenn alle Einkommen besteuert werden<br />
und das Geld in öffentliche Einrichtungen<br />
wie Kindergärten fließt. Eigentum<br />
muss sich wieder nützlich für die Wohlfahrt<br />
eines Gemeinwesens machen.“ So<br />
dass es inmitten unserer reichen Gesellschaft<br />
allen gut gehen kann.<br />
Berit Oberländer<br />
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18<br />
NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 3 - 2010<br />
Gesellschaftskritik<br />
Eine Schule in <strong>Jena</strong> mit 50% Abbrechern?<br />
Nicht auszudenken! Nicht<br />
auszudenken? Was würde dann aus diesen<br />
Jugendlichen? Wie sollen sie ihr Leben<br />
meistern können, frustriert durch<br />
Versagen, ohne Abschluss, ohne Bock?<br />
Ins Extrem gedacht ist das Fiktion – für<br />
viele aber heute bereits eine Horrorvorstellung.<br />
Sie wären abgehängt und ausgeschlossen<br />
- exkludiert.<br />
„Die Sozialwissenschaften verwenden<br />
den Begriff „Armut und soziale Ausgrenzung“<br />
auf eine Situation bezogen,<br />
in der Personen von der vollen Teilnahme<br />
am wirtschaftlichen, sozialen und<br />
partizipatorischen Leben und/oder deren<br />
Zugang zu Einkommen und anderen<br />
Ressourcen (persönlich, familiär,<br />
sozial und kulturell) so unzureichend ist,<br />
sodass sie von der Teilhabe an einem Lebensstandard<br />
und an einer Lebensqualität<br />
ausgeschlossen sind, die in der Gesellschaft<br />
in der sie leben als akzeptabel<br />
angesehen wird. In solchen Situationen<br />
haben Personen oft keinen vollen Zugang<br />
zu ihren fundamentalen Rechten“<br />
(1). „Die Bedrohung von gesellschaftlichem<br />
Ausschluss ist in der Mitte der<br />
Gesellschaft angekommen“, sagte der<br />
Wirtschaftssoziologe an der FSU <strong>Jena</strong><br />
Prof. Dr. Klaus Dörre. Im November<br />
2009 wurden 2 539 Unternehmensinsolvenzen<br />
gemeldet. Das waren 6,9%<br />
mehr als im November 2008 (2). Und<br />
Von der Gesellschaft abgeschnitten<br />
dieser Ausschluss kann jeden treffen.<br />
Das bleibt als Quintessenz der Vorstellung<br />
seiner Forschungsergebnisse auf<br />
diesem Gebiet vor interessierten Bürgern.<br />
Eingeladen hatte Attac <strong>Jena</strong>.<br />
Die Beispiele begegnen uns tagtäglich.<br />
Da sind die alleinerziehende Mütter oder<br />
chronisch Kranken. Sie sind seit Jahren<br />
vom Arbeitsmarkt verschwunden. Sie<br />
sind und bleiben ohne Perspektive leben.<br />
Da sind die prekär Beschäftigten,<br />
„Die Bedrohung von gesellschaftlichem<br />
Ausschluss<br />
ist in der Mitte der Gesellschaft<br />
angekommen.“<br />
Klaus Dörre<br />
die vom Lohn ihrer Arbeit allein nicht<br />
leben können, wie Beschäftigte im Friseurgewerbe,<br />
die heute für 1 Euro 50<br />
die Stunde schaffen müssen. Da macht<br />
<strong>Jena</strong> keine Ausnahme. Da sind Leiharbeiter<br />
mit Festangestellten in einer<br />
Schicht. Frust auf beiden Seiten - durch<br />
ungleiches Einkommen für gleiche Arbeit.<br />
Zu dem sich der Leiharbeiter extra<br />
mühe. Er hofft wieder ein „Fester“ zu<br />
werden. Und der Festangestellte hat<br />
Angst um seine Stelle, arbeitet deshalb<br />
immer härter. Ein Nerven aufreibender<br />
Konkurrenzkampf, der letztlich nur einem<br />
nutzt: dem Arbeitgeber. Der sorge<br />
auch deshalb stets dafür, einen Anteil<br />
Leiharbeiter im Betrieb zu haben – nicht<br />
nur wegen der Kostenersparnis.<br />
Klar sei, dass viele diesen Zustand satt<br />
haben. Faule Arbeitslose, wie von der<br />
Politik manchmal geschimpft wird, die<br />
gäbe es gar nicht, so der Professor. Die<br />
übergroße Zahl der Arbeitslosen wolle<br />
etwas tun. Sie möchten arbeiten, wollen<br />
dazu gehören und gebraucht sein. Doch<br />
sie wissen auch, eine echte Chance haben<br />
sie nicht. Sie sind ausgeschlossen<br />
ohne Hoffnung. Ehrenamtliche Tätigkeit,<br />
Weiterbildung oder Nachbarschaftshilfe<br />
machen es allein noch nicht. Dörre<br />
spricht da von den „Schein-Integrierten“.<br />
Der Professor mahnte: einen verbalen<br />
Krieg gegen Arbeitslose dürfe es nicht<br />
geben. Der würde nur den Graben zwischen<br />
denen „drinnen“ und den Ausgeschlossenen<br />
vertiefen. Wichtiger wäre es,<br />
eine politische Vertretung für Arbeitslose<br />
zu finden. Schließlich vollziehe sich<br />
der soziale Abstieg um vieles schneller<br />
als der Weg zurück in ein normales Leben.<br />
Andrea Körner/Tilman Hesse<br />
Zitat:<br />
(1) (Rat der Europäischen Union,<br />
Gemeinsamer Bericht über soziale<br />
Eingliederung Teil I, S.11), (2) Statistisches<br />
Bundesamt - Pressemitteilung<br />
Nr.047 vom 10.02.2010
Skandal - lustvolles Entsetzen<br />
„Um mich als Mensch geht es doch gar<br />
nicht. Mit meiner Geschichte sollen nur die<br />
Auflage und Einschaltquoten nach oben<br />
getrieben werden“, sagt Natascha Kampusch.<br />
Im Alter von zehn Jahren wird sie<br />
auf dem Schulweg entführt und achteinhalb<br />
Jahre in einem Keller gefangen gehalten.<br />
Der Fall löste ein gewaltiges internationales<br />
Medienecho aus. Mittlerweile ist<br />
sie eine selbstbewusste junge Frau. Doch<br />
warum ist sie nicht, wie so viele andere,<br />
an der Vermarktung ihrer Geschichte zerbrochen?<br />
Was empört die Menschen? Wie<br />
wird aus einem kleinen Aufreger ein handfester<br />
Skandal? Welche Rolle spielen die<br />
Medien - werden Journalisten selbst zu<br />
Tätern? Und was geschieht mit den Betroffenen?<br />
Zusammen mit angehenden Journalisten<br />
der Universität Hamburg und dem Medienwissenschaftler<br />
Bernhard Pörksen, interviewte<br />
der Journalist Jens Bergmann 29<br />
skandalumwitterte Personen des öffentlichen<br />
Lebens. Die Antworten gibt’s in dem<br />
Buch „Skandal! Die Macht öffentlicher<br />
Empörung“. So erzählt der ehemalige<br />
Journalist Tom Kummer, warum er Interviews<br />
mit zahlreichen Hollywood-Stars<br />
fälschte. Der Ex-RAF-Terrorist Peter-Jürgen<br />
Boock erklärt, was ihn an Andreas<br />
Baader faszinierte, und Günter Wallraff<br />
lässt den Leser wissen, warum Skandale<br />
auch positiv sein können.<br />
Im Vorfeld der Buchpräsentation am 16.<br />
September um 20 Uhr in der IMAGINA-<br />
TA hat Jens Bergmann schon mal ein paar<br />
E<strong>inblicke</strong> rund um das Thema Skandal<br />
gewährt. So antwortet Bergmann auf die<br />
Frage, wie sich eine banale Geschichte zum<br />
Skandal entwickeln kann: Das größte Risiko<br />
aus der Sicht derjenigen, die sich einer<br />
Verfehlung schuldig gemacht haben,<br />
ist der ungeschickte Umgang mit den<br />
Medien nach dem Motto: erst einmal alles<br />
ableugnen und dann nur zugeben, was<br />
sich nicht mehr verheimlichen lässt. Wer<br />
so agiert, liefert den Journalisten Stoff und<br />
sorgt dafür, dass die öffentliche Empörung<br />
weiter zunimmt. Denn: Der Umgang<br />
mit dem Skandal ist oft riskanter als der<br />
Skandal selbst.<br />
Den Journalisten rät Bergmann einen kühlen<br />
Kopf zu bewahren und der Versuchung<br />
zu widerstehen, auf der Welle der öffentlichen<br />
Empörung mitzusurfen. Die Welt sei<br />
zu komplex, um sie in Gut und Böse einzuteilen.<br />
Das zeige sich, mit etwas Abstand betrachtet,<br />
auch bei vielen Skandalen. Man denke<br />
nur an die ungeheure Aufregung um die<br />
geplante Versenkung der Ölplattform Brent<br />
Spar Mitte der neunziger Jahre, die, wie sich<br />
später herausstellte, auf falschen Daten beruhte.<br />
Besonders interessant findet Bergmann<br />
die Ereignisse um den Radrennfahrer Patrik<br />
Sinkewitz und Natascha Kampusch. Sinkewitz<br />
tat, was die Gesellschaft von ihm erwartete,<br />
und legte ein Doping-Geständnis<br />
ab. Das aber nützte ihm nichts, er wird we-<br />
DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />
Jens Bergmann<br />
Gespräch zum Buch<br />
gen seiner Beichte geschnitten und gedopt<br />
wird munter weiter - er ist das klassische<br />
Bauernopfer. Kampusch wollte unbedingt<br />
verhindern, dass sie nach ihrer Gefangenschaft<br />
von Journalisten verfolgt wurde - und<br />
ging dazu einen Pakt mit den wichtigsten Medien<br />
Österreichs ein. Das dürfte ein einmaliger<br />
Fall in der Pressegeschichte sein.<br />
Interessant und informativ zeigen die 29<br />
Gespräche die Dynamik des Skandals als<br />
Ausdruck eines enthemmten Voyeurismus<br />
auf - aber auch, wie eine junge Frau dem<br />
Boulevardjournalismus Grenzen setzt.<br />
Text: M. Jacob, Foto: St. Ostermeier<br />
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Anzeigen<br />
19
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Anzeigen<br />
20<br />
NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 3 - 2010<br />
Empörte Seele<br />
Menschen verschwinden. - „Es ist halt so...“<br />
Empörung - mal ist sie laut, dann mal<br />
wieder etwas leiser. Manch einer empört<br />
sich im Überfluss und überschlägt<br />
sich fast. Ein anderer jedoch<br />
schweigt wie ein Grab und verleiht<br />
seinem Unmut über andere, gar selbstzerstörerische<br />
Wege Ausdruck.<br />
Laut erklingt der Türgong an jener Tür<br />
im zweiten Stock. Ich erscheine unangemeldet.<br />
Das ist kein Problem. Ich weiß,<br />
dass der Kerl hinter dieser schweren Sicherheitstür<br />
zuhause sein wird. Bedacht<br />
lautlos verdunkelt sich kurz der Türspion.<br />
Die Tür öffnet sich. Vor mir steht Chris.<br />
Gibt mir die Hand. Bittet mich herein, bevor<br />
er zügig wieder die Tür hinter uns<br />
schließt. Die Nachbarn sollen nicht den<br />
süßlichen Geruch bemerken, der aus seiner<br />
Wohnung dringt. Wenn ich ihn in seiner<br />
stets ordentlichen Einraumwohnung<br />
in Winzerla besuche, ist das einer der wenigen<br />
Momente, in denen man Freude in<br />
seinen roten Augen erkennen kann. Die<br />
Fenster sind zugehangen und der flüchtige<br />
Besucher bemerkt auch den Balkon<br />
dahinter nicht, auf dem Chris seit Jahren<br />
nicht mehr gewesen ist. Ich weiß das, denn<br />
ich kenne Chris bereits viele Jahre. Daher<br />
scheut er sich auch nicht, mir etwas Haschisch<br />
anzubieten, bevor er sein Gras<br />
raucht. Ich lehne wie immer dankend ab.<br />
Er sagt da stets, er kifft selten und in Maßen.<br />
Auch mit den chemischen Drogen<br />
hätte er es nicht mehr so: „Die machen<br />
paranoid. Sieh Dir nur an, was aus diesem<br />
und jenem geworden ist“. „Aber Pilze“,<br />
sagt er, „die sind o.k. Die sind natürlich.“<br />
Er fragt mich, was es Neues gibt,<br />
da draußen, hinter der Tür. Er hat es vor<br />
Jahren aufgegeben, selbst nachzuschauen.<br />
„Sieh Dir nur an,<br />
was aus diesem<br />
und jenem geworden ist“<br />
Dafür hat er es sich aber sehr wohnlich<br />
gemacht: mit seiner schönen Couch und<br />
dem großen Fernseher. Alles hat seinen angestammten<br />
Platz auf dem Tisch. Einer<br />
Freundin würde diese Ordnung bestimmt<br />
gefallen. Leider habe ich hier noch nie eine<br />
gesehen. Wie denn auch? 365 Tage im Jahr<br />
sieht man abends das Kunstlicht aus seinem<br />
Fenster schimmern. Er verlässt die<br />
Wohnung nur, um das Notwendigste zu<br />
besorgen. Dabei brauchte er sich nicht zu<br />
verstecken. Er wirkt auf den ersten Blick<br />
wie jeder andere, den ich kenne und schätze.<br />
Vielleicht nicht ganz so direkt, oder zielstrebig,<br />
aber durchaus sympathisch und<br />
herzlich. Chris ist jemand, den die meisten<br />
Fachärzte wohl kühl und sachlich als Sozialphobiker<br />
bezeichnen würden. Als jemanden,<br />
der Angst davor hat, mit Menschen<br />
zusammen zu sein. Die Japaner treffen<br />
es mit ihrem Begriff „Hikikomori“<br />
(zu dt. sich verschließen) etwas genauer. In<br />
Japan soll es, glaubt man den Angaben<br />
der Psychologen, etwa eine Million dieser<br />
verschwundenen Menschen geben. Deutsche<br />
Statistiken hierzu gibt es noch nicht.<br />
Jedoch sollen nach neueren Schätzungen<br />
ungefähr zehn Prozent der Bundesbürger<br />
von sozialen Ängsten geplagt sein. Chris<br />
spricht nicht über Ängste. Wenn ihn etwas<br />
empört, dann sagt er: „Es ist halt so. Was<br />
will man machen?“. Er bäumt sich nicht<br />
auf, in einer Welt, von der er glaubt, dass<br />
seine Stimme nicht zählt. „In der Welt da<br />
draußen, mit ihrem Leistungsdruck.“ Es<br />
scheint, als habe er sich irgendwann dazu<br />
entschlossen, sich keine Gedanken mehr<br />
zu machen. Man vermisst nichts, was man<br />
nicht kennengelernt hat. Er scheint damit<br />
überaus zufrieden zu sein. Ob das ein Resultat<br />
seiner langjährigen Drogenkarriere<br />
ist, oder Einstellungssache, lässt sich<br />
schwer sagen. Der Umgang mit ihm erfordert<br />
manches Mal einiges an Geduld.<br />
Wenn er da so sitzt und für jeden Wochentag<br />
das Fernsehprogramm punktgenau<br />
aufzuzählen weiß und dennoch behauptet:<br />
„Es kommt nur Mist in der Glotze,<br />
deswegen schaue ich nicht so oft“, dann<br />
schaltet er seine Videospielkonsole ein und<br />
taucht ab in die virtuelle Welt. Vorher kifft<br />
er natürlich ordentlich, damit die Illusion<br />
größer ausfällt. Dann spielt er mit seinen<br />
Lieblingsmannschaften Fußball, erschlägt<br />
die Bösen und rettet die bunte Welt.<br />
Marcus Döpel
Im Glauben leben - lernen<br />
Clemens steht zu seinem Wort. Der <strong>Jena</strong>er<br />
Schüler verkaufte nachmittags in der<br />
Fußgängerzone den <strong>NOTausgang</strong>. Damit<br />
traute er sich etwas, was sich sonst nur<br />
Wenige zutrauen. Sein Wunsch war es, zu<br />
helfen. Angeregt wurde er dazu durch das<br />
Firmprojekt der Katholischen Kirche. In<br />
Vorbereitung auf das erneute Glaubensversprechen<br />
der 14 bis 15-jährigen hatten<br />
die Firmhelfer soziale Projekte mit dem<br />
Ziel angeboten, Nächstenliebe und Solidarität<br />
in der Gemeinschaft zu leben. Die<br />
hatten zwei Seiten: die praktische Hilfe und<br />
Selbsterfahrung und glaubenstheoretische<br />
Aspekte. In diesem Zeitraum erleben die<br />
Firmlinge einen bewussten Perspektivwechsel<br />
durch ihre Mitarbeit bei sozialen<br />
Projekten, wie etwa den Sternensingern,<br />
der <strong>Jena</strong>er Tafel oder im Altenheim. Eines<br />
davon war auch der Verkauf der<br />
Straßenzeitung im Zentrum der Stadt.<br />
Anfangs war Clemens mulmig zumute.<br />
Was würden die Leute wohl denken, wenn<br />
er die Zeitung verkauft. Ihm war damals<br />
noch nicht klar, wer <strong>NOTausgang</strong> ist und<br />
dass mit jeder Ausgabe Nachricht gegeben<br />
wird über Menschen in Not und über<br />
jene, die ihnen Hilfen anbieten. Das Gefühl<br />
von Stolz, diese Nachricht weiterzugeben,<br />
konnte sich bei ihm zuerst nicht einstellen.<br />
Das Vorurteil, eine Obdachlosenoder<br />
Armenzeitung anzubieten verhinderte<br />
das. Eine weitere Erfahrung schien ihm<br />
seine negative Sicht zu bestätigen. „Nur<br />
wenige Passanten reagierten freundlich<br />
oder lächelten“, berichtet Clemens. „Viele<br />
sagten, sie hätten kein Geld dafür oder<br />
waren desinteressiert. Für mich war es am<br />
Ende ein großer Erfolg, nach zwei Stunden<br />
immerhin sechs Exemplare verkauft<br />
zu haben.“ Das nötigte ihm auch Respekt<br />
ab vor der Leistung der Zeitungsverkäufer,<br />
die er nun in einem ganz anderen Licht<br />
sieht.<br />
Deshalb ärgerten ihn jene, die an ihm vorübergegangen<br />
waren, als wäre er unsichtbar.<br />
Zum Nachdenken brachte ihm sein<br />
Einsatz Stoff genug. Warum verkauft sich<br />
in einer reichen Stadt wie <strong>Jena</strong> die Straßenzeitung<br />
so schlecht? Warum setzen sich die<br />
Menschen nicht mehr mit der Frage<br />
auseinander, warum es überhaupt diese<br />
Zeitung gibt? Für Clemens ist klar: als<br />
Erwachsener werde ich Straßenzeitung<br />
kaufen, denn Nächstenliebe ist nur, wenn<br />
jeder Einzelne sie lebt.<br />
Text/Foto: Andrea Körner<br />
Anzeigen<br />
DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />
Angemerkt<br />
J.Hg. Makaber ist sie schon, die gemeinsame<br />
Plakataktion der BZgA, der Werbewirtschaft<br />
und der PKV.<br />
Jugendliche will sie zum Nachdenken über Alkohol<br />
und Alkoholkonsum anregen - in einer Gesellschaft,<br />
die längst vor den Alkoholproduzenten eingeknickt<br />
ist.<br />
Apotheken haben sich weise vom Ausschank des<br />
Trinkalkohols verabschiedet. Heute wären sie verpflichtet,<br />
über „Risiken und Nebenwirkungen“,<br />
die mit der Einnahme verbunden sind, aufzuklären.<br />
Die Beipackzettel könnten Abendlektüre ersetzen.<br />
In Verantwortung vor den Heranwachsenden<br />
wären die ebenso angebracht wie die Hinweise<br />
auf den Zigarettenpackungen.<br />
Ohnmächtig gegen die Alkohol-Lobby zeichnen die<br />
Macher ein Jugendbild, das (Gott lob!) allgemein<br />
nicht gilt. Es diffamiert die meisten Jugendlichen.<br />
Der Nachweis ist zu führen, ob es wenigstens Betroffene<br />
zum Nachdenken anregt.<br />
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21
22<br />
NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 3 - 2010<br />
Wie ein kleiner<br />
Vulkan<br />
„Was geht dir denn gerade<br />
durch den Kopf, Brüderchen?“<br />
fragt Nina Martin.<br />
„Ach, hab nur gegrübelt“,<br />
fängt Martin an zu erzählen.<br />
„Das Mädchen, das jetzt neben<br />
mir sitzt. Wenn sie denkt,<br />
dass einer ungerecht behandelt<br />
wird, dann meldet sie<br />
sich immer gleich und fragt<br />
den Lehrer, warum der das<br />
macht. Und manchmal<br />
schimpft sie auch ganz laut.<br />
Sie ist wie ein kleiner Vulkan,<br />
bei dem man nicht weiß, brodelt<br />
es vielleicht schon wieder<br />
im Inneren und wann kommt<br />
so ein Ausbruch.“ „Und was<br />
machst du dann?“ will Nina<br />
wissen. „Ich wart einfach.<br />
Manchmal ist ihre Wut<br />
genauso schnell wieder weg,<br />
wie sie hochgekocht ist. Aber<br />
so ein bisschen bewundere<br />
ich sie schon, wenn sie was<br />
nicht in Ordnung findet, dann<br />
sagt sie das gleich und macht<br />
ihrer Empörung Luft.“ Nina<br />
nickt: „Sich über was ärgern<br />
ist das Eine. Dann muss man<br />
aber auch laut sagen, was einen<br />
stört, weil nur so sich was<br />
ändern kann. Weißt du was,<br />
Brüderchen? Vielleicht geht es<br />
mit dem Aufschreiben von<br />
Empörung leichter – und wir<br />
machen mit beim IMAGI-<br />
NATA-Schreibwettbewerb.“<br />
Berit<br />
HALLO<br />
ihr kleinen und<br />
großen Bastler!<br />
Grußkarten mit gepressten Blüten basteln<br />
So einfach könnt Ihr aus gepressten Blüten tolle Gruß- und Glückwunschkarten<br />
basteln. Ihr braucht Zeitungspapier, schwere Bücher<br />
und Zeichenkarton in Karten- oder Briefkartengröße.<br />
Pflückt Blüten in der Mittagssonne, damit sie trocken sind. Legt<br />
sie zwischen Zeitungspapier. Die Pflanzen dürfen einander nicht<br />
berühren. Geöffnete Blüten drückt<br />
Ihr in die gewünschte Position. Zuletzt<br />
wird alles mit dicken Büchern beschwert.<br />
Nach 2 Wochen könnt Ihr<br />
die getrockneten Pflanzen vorsichtig<br />
von der Zeitung lösen. Danach gestaltet<br />
ihr auf Euren Karten die gewünschten<br />
Blütenarrangements, klebt<br />
die Blüten mit Papierkleber auf.<br />
Viel Freude beim Gerstalten und Verschenken<br />
wünscht Euch<br />
Michael.<br />
Bernis Lachsack<br />
„Christian, du hast dieselben 10 Fehler im Diktat<br />
wie dein Tischnachbar. Wie erklärt sich das wohl?“<br />
„Ganz einfach. Wir haben dieselbe Lehrerin!“<br />
Der Lehrer überrascht seine Mathematikklasse:<br />
„Heute werden wir mit Computern rechnen.“<br />
„Prima“, freuen sich die Schüler. „Also, wie viel<br />
sind 67 Computer minus 27 Computer?“<br />
○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />
○<br />
Anzeige<br />
Wir sind empört!<br />
Ein Schreibwettbewerb<br />
Na, das ist ja mal ein Wettstreit:<br />
Thüringer SchülerInnen sind<br />
eingeladen, Texte für’s Radio zu<br />
schreiben! Texte darüber, worüber<br />
sie sich empören. Es können<br />
Reportagen sein, Interviews<br />
oder Hörspiele – alles<br />
gilt, nur gut muss es sein!<br />
Und schlussendlich sollen die<br />
Texte im Offenen Kanal gesendet<br />
werden. Aber das geht nicht<br />
automatisch! An einem schönen<br />
Wochenende im Winter<br />
laden wir die GewinnerInnen<br />
ins Umspannwerk ein, und da<br />
geht’s an die Arbeit: Zusammen<br />
mit dem Offenen Kanal <strong>Jena</strong><br />
werden die Texte exakt auf<br />
eine Radiosendung zugeschnitten.<br />
Also hurtig an die Arbeit!<br />
Dann seid Ihr bald zu hören<br />
mit Eurer Empörung!<br />
Genaueres erfahrt Ihr unter:<br />
www.imaginata.de<br />
Theater & Musik<br />
zur Adventszeit<br />
Ab dem ersten Advent sind alle<br />
Kinder mit ihren Eltern, FreundInnen<br />
und Großeltern zu kleinen<br />
Einstimmungen auf Weihnachten<br />
eingeladen:<br />
27.11., 16 Uhr, „Das tapfere<br />
Schneiderlein“ mit dem Figurentheater<br />
Silberfuchs, Weimar.<br />
04.12., 16 Uhr, „Advent, Advent“,<br />
kleines Konzert mit<br />
der Familie Jagusch, <strong>Jena</strong>.<br />
04.12., 17 Uhr, „Zucker und<br />
Zimt“, Adventsstunde mit<br />
schöner Musik und Plätzchen.<br />
11.12., 16 Uhr, „Hänsel und<br />
Gretel“, Figurentheater mit<br />
dem Theater im Globus, Leipzig.
Nebentätigkeit anzeigen<br />
Immer häufiger kommt es vor, dass das<br />
Einkommen aus einer (Teilzeit)Beschäftigung<br />
nicht mehr ausreicht. Hier kann das<br />
Einkommen aus einer Nebentätigkeit den<br />
Hauptverdienst aufbessern helfen. Da<br />
Arbeitsverträge wie auch Tarifverträge<br />
regelmäßig Klauseln zur Aufnahme von<br />
Nebentätigkeiten enthalten, empfiehlt es<br />
sich, diesen einer genaueren Prüfung zu<br />
unterziehen. Andernfalls besteht die Gefahr,<br />
dass die Nebentätigkeit den Hauptarbeitgeber<br />
zur Beendigung des Hauptarbeitsverhältnisses<br />
veranlassen könnte.<br />
Sieht der Arbeitsvertrag vor, dass die Aufnahme<br />
einer Nebentätigkeit von der Genehmigung<br />
des Arbeitgebers abhängt, ist<br />
diese Genehmigung rechtzeitig einzuholen.<br />
Um später notfalls die Erteilung der<br />
Genehmigung nachweisen zu können,<br />
empfiehlt sich Schriftform.<br />
Beabsichtigt der Arbeitnehmer eine arbeitsvertraglich<br />
erlaubte Nebentätigkeit<br />
auszuüben, muss der Arbeitgeber die<br />
Genehmigung hierfür auch erteilen. Er<br />
darf sie nicht grundlos verweigern. Neben<br />
speziellen arbeits- oder tarifvertraglichen<br />
Regelungen gelten als berechtigte<br />
betriebliche für die Verweigerung der<br />
Genehmigung z. B. die beabsichtigte Ausübung<br />
einer unmittelbaren Konkurrenztätigkeit<br />
zum Nachteil des Arbeitgebers<br />
während des bestehenden Arbeitsverhältnisses.<br />
Auch Nebentätigkeiten, die zu Beeinträchtigungen<br />
der Haupterwerbstätigkeit<br />
führen (können), braucht der Arbeit-<br />
NOTAUSGANG - Die Straßenzeitung aus <strong>Jena</strong><br />
Herstellung und Vertrieb erfolgen im Ehrenamt<br />
zu gemeinnützigen Zwecken.<br />
Redaktion und Vertrieb: Markt 19 , 07743 <strong>Jena</strong><br />
Tel.: 03641 364398 oder 332353<br />
Fax: 03641 332355<br />
E-Mail: Strassenzeitung@gmx.net<br />
Redaktionsleiter: Joachim Hennig (V.i.S.d.P.)<br />
Redaktionsteam: Marcus Döpel, Susanne Gliech, Dietmar<br />
Grocholl, Tilman Hesse, Gundela Irmert-Müller,<br />
Mario Jacob, Andrea Körner, Andreas Mützlaff, Steffen<br />
Müller, Berit Oberländer, Daniel Pfletscher, Konrad<br />
Wendt<br />
Layout: Michael Quicker<br />
geber nicht zu genehmigen. Hierzu zählt<br />
auch das Arbeiten während des Urlaubs,<br />
wenn der Erholungszweck des Urlaubs<br />
nicht mehr gewährleistet ist. Auch wenn<br />
durch die Ausübung der Nebentätigkeit<br />
die Einhaltung von Arbeitsschutzgesetzen<br />
nicht mehr gewährleistet ist, kann der Arbeitgeber<br />
die Erteilung der Nebentätigkeitsgenehmigung<br />
verweigern.<br />
Neben den berechtigten betrieblichen<br />
Belangen muss der Arbeitgeber bei seiner<br />
Entscheidung auf der anderen<br />
Seite zudem die Interessen, auch die<br />
finanziellen Interessen, des Arbeitnehmers<br />
berücksichtigen. So hat das BAG<br />
(Urteil vom 24.03.2010, Az. 10 AZR<br />
66/09) nunmehr entschieden, dass<br />
selbst für eine nur untergeordnete<br />
Tätigkeit des Arbeitnehmers bei einem<br />
Konkurrenzunternehmen (!), die sich<br />
nicht mit der Haupterwerbstätigkeit<br />
überschneidet, die Nebentätigkeitsgenehmigung<br />
durch den Arbeitgeber zu<br />
erteilen ist.<br />
Will der Arbeitgeber die Genehmigung<br />
verweigern, muss er vor seiner<br />
Entscheidung den Betriebsrat oder<br />
den Personalrat beteiligen.<br />
Da die Aufnahme einer Nebentätigkeit<br />
neben arbeitsrechtlichen auch sozialversicherungsrechtlicheAuswirkungen<br />
nach sich ziehen kann, empfiehlt<br />
sich die rechtzeitige Einholung<br />
fachlich fundierten Rats.<br />
RA Susanne Gliech<br />
Impressum<br />
Anzeigen und Vertrieb: Liesa Geisenhainer<br />
Bürozeiten:<br />
Mo. - Fr. 8 - 12 Uhr, Di. und Fr. 13 - 14 Uhr<br />
Sitzung des Redaktionsteams: mittwochs<br />
(14-tägig) nach Vereinbarung<br />
Logo: Zoom Media, Druckfilm: Firma Bleysatz<br />
Druck: Saale-Betreuungswerk der Lebenshilfe <strong>Jena</strong> gGmbH<br />
Alle namentlich oder durch Initialen gezeichneten<br />
Beiträge geben nicht zwangsläufig die Meinung der<br />
Redaktion wieder.<br />
Die Autoren zeichnen für den Inhalt eigenverantwortlich.<br />
Die Redaktion behält sich das Recht vor,<br />
die Beiträge zu bearbeiten und zu kürzen. Für unverlangt<br />
zugeschickte Manuskripte und Fotos wird<br />
DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />
Aus dem Inhalt<br />
Editorial 2<br />
Vermischtes 3<br />
IMAGINATA-Gespräch 4/5<br />
Hartz IV 6/7<br />
Günter Wallraff 8/9<br />
FCC-Fanprojekt 10<br />
ARENA Spezial<br />
„Die Nibelungen“ nach Hebbel 11<br />
E<strong>inblicke</strong> & A<strong>usblicke</strong> 12/13<br />
Stunde der Literatur pur 14<br />
Rechts empört 15<br />
Kapitalismus-Kritik: Wirtschaft<br />
im Erschöpfungszustand 16<br />
Armut inmitten im Reichtum 17<br />
Gesellschaftskritik: Von der<br />
Gesellschaft abgeschnitten 18<br />
Skandal - lustvolles Entsetzen 19<br />
Menschen verschwinden 20<br />
Das Firmlingsprojekt 21<br />
Kinderseite 22<br />
IMAGINATA-Schreibwettbewerb<br />
Alles was Recht ist 23<br />
Nebentätigkeit anzeigen<br />
Nächste Ausgabe als Literaturausgabe<br />
deutschsprachiger Straßenzeitungen<br />
- November 2010<br />
keine Haftung übernommen. Für Termine der Veranstalter<br />
übernehmen wir keine Gewähr. Der Nachdruck<br />
von Beiträgen - auch auszugsweise - ist nur<br />
mit Genehmigung der Redaktion gestattet. Den Inhalt<br />
der Anzeigen verantworten die Inserenten. Alle<br />
Mitbürger sind zu ehrenamtlicher Mitarbeit an der<br />
Gestaltung unserer Zeitung eingeladen.<br />
Herausgeber: Straßenzeitung <strong>NOTausgang</strong> e.V.,<br />
Markt 19, 07743 <strong>Jena</strong><br />
Ilona Eberhardt (Vorsitzende)<br />
Alfred Hertel (stellv. Vorsitzender)<br />
Bankverbindung: Sparkasse <strong>Jena</strong><br />
Konto: 11142 BLZ: 830 530 30<br />
GEGRÜNDET IM JULI 1997<br />
Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 20.07.2010<br />
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