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Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1

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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />

gebraucht werden konnte; auf der andern Seite des Berges führte er durch den dichten Wald<br />

hinunter in das Danglesthal, in welchem Daberg liegt. Waberl kam hier durch das Gehölz, in<br />

welchem der Sage nach der Hirschritt stattgefunden hatte, von dem ihr die Großmutter öfters<br />

erzählt und woran sich jetzt das Mädchen in ihrer steten geistigen Thätigkeit erinnerte. <strong>Die</strong><br />

Sage ist folgende:<br />

<strong>Die</strong> Schützen von Furth und ihre Jagdabenteuer waren vormals weit und breit berühmt.<br />

Lange Zeit hatte sich im Munde des Volkes die Ueberlieferung von gewaltigen Kämpfen<br />

dortiger Jäger <strong>mit</strong> Wölfen und Bären, sowie die Kunde von einem schlimmen Ritte erhalten,<br />

den vor etwa hundert Jahren der Stadtschreiber Lanner von Furth auf einem Hirsche gethan.<br />

Lanner hatte auf einer Jagd in Daberg, an der gleich ihm mehrere Bürger Anteil nahmen,<br />

einen Hirsch erlegt und in übermütiger Weidmannslust sich auf den Rücken des vermeintlich<br />

tot daliegenden Wildes gesetzt. Plötzlich aber sprang dieses auf die Läufe, warf den Kopf<br />

zurück und preßte <strong>mit</strong> seinen Geweihen den Stadtschreiber so fest an sich, daß dieser sich<br />

nicht mehr losmachen konnte. Und nun ging’s in windschnellem Laufe dem Dickicht zu.<br />

Erreichte dieses der Hirsch, so war Lanner verloren, die spitzigen Aeste des Unterholzes<br />

rissen ihm dann das Fleisch vom Leibe. Da schlug einer der Jagdgefährten, ein entschlossener<br />

Mann und sicherer Schütze, seine Büchse an und brannte in Gottesnamen auf Tod und Leben<br />

los. Der Hirsch, tötlich getroffen, brach zusammen und der Stadtschreiber war gerettet. So oft<br />

dieser sein Abenteuer erzählte, versicherte er, daß er beim Niederstürzen des Hirsches eine<br />

Erschütterung in allen Gliedern gefühlt habe, als wären Himmel und Erde auf ihn gefallen. –<br />

Daberg liegt in einem stillen, von dunklen Waldungen eingeschlossenen Thale, das der<br />

Danglesbach durchläuft. Das Dorf besteht aus einzeln stehenden Häusern, welche of<br />

viertelstundenweise von einander entfernt sind und von denen die äußeren über die Grenze<br />

hinausreichen. Waberl ging auf gut Glück in eines der letzteren hinein. Sie war unangenehm<br />

berührt, in der finsteren Stube (denn hier zu Lande sind die hölzernen Stubendecken schwarz<br />

gefärbt vom Rauche, den der brennende Span verursacht, was die Gemächer <strong>mit</strong> den ohnedies<br />

kleinen Fenstern sehr düster macht) wieder ähnliche böhmische Männer zu sehen, wie in<br />

Furth bei der Frau Mirtl.<br />

Bei ihrem Eintritte standen alle auf.<br />

„A <strong>Christkindlsingerin</strong>!“ riefen sie und jeder drängte sich zu dem Tische heran, wo Waberl<br />

ihre niedliche Wiege aufgestellt hatte und nicht ohne Befangenheit ihr Lied begann. Nachdem<br />

sie da<strong>mit</strong> zu Ende war, blickte sie fragend umher, welchen Eindruck ihr Gesang gemacht, und<br />

wider Erwarten lächelte ihr alles zu, staunte die schöne Wiege an und, indem man ihr eine<br />

Hand voll großer Kupfermünzen gab, verlangte man nochmals das „schöne G’sangl,“<br />

welchem Wunsche Waberl sofort entsprach.<br />

Während sie ihre Wiege wieder <strong>mit</strong> dem roten Tuche umwickelte, fragte sie: „Wie hoaßt’s<br />

denn da am Haus?“<br />

„Da hoaßt’s beim Branzert!“ entgegnete ein alter, bärtiger Mann, der etwas besser als die<br />

übrigen Männer gekleidet war.<br />

„So?“ rief Waberl überrascht. „Oes seids wohl selber der Branzert.“<br />

„Ja, Deandl, der bin i,“ antwortete der Böhme.<br />

Waberl zog jetzt den Brief aus der Tasche und drückte ihn dem Mann geheimnisvoll in die<br />

Hand.<br />

„Vom Mirtl?“ fragte dieser lebhaft.<br />

„Ja.“<br />

Er rief jetzt den andern Männern auf böhmisch etwas zu und auf allen Gesichtern zeigte sich<br />

plötzlich ein heiterer Ausdruck. Man plauderte in böhmischer Sprache laut und lebhaft hin<br />

und her. Dann sagte der Branzert zu der <strong>Christkindlsingerin</strong>: „Sag dem Sepp, daß die Waren<br />

Schlag zehn auf ’n Schlitten verpackt san, da<strong>mit</strong> er ’s <strong>mit</strong> seine Roß über ’n Klöpflersberg<br />

transportieren kann.“<br />

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