Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1
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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />
„Das wär nöt klug,“ entgegnete die Alte. „Daß dir’s alle Leut anmerkten, was di schmerzt<br />
und di am End auslacheten. <strong>Die</strong> Menschen ergötz’n si oft nur am fremden Load und wenn ’s<br />
auch bedauern, können’s do’ in solchen Dingen nöt helfn. Und Waberl, si bedauert sehgn,<br />
macht ’s Load nur desto z’widerer. Trag dei’ G’schick <strong>mit</strong> Christenmuat; Jammern und<br />
Klagen hilft nix und laß Gott für das übrige sorg’n. Er hat g’holfen, er hilft no’, er wird weiter<br />
helfen!“<br />
Nach diesen Worten küßte die Alte die Enkelin und ging in ihre Stube zurück.<br />
Waberl war hierauf etwas beruhigter, aber die Beruhigung würde nicht lange gewährt<br />
haben, wenn nicht der Schlaf, der willkommenste Freund aller Betrübten, sich ihrer erbarmt<br />
und das erregte Herz gestärkt hätte, das <strong>mit</strong> dem ersten Bewußtsein seiner Liebe schon<br />
empfinden mußte, was es heißt und wie es schmerzt – ihr zu entsagen.<br />
XI.<br />
Der Drachenstich, dieses eigentümliche Volksfest, das zu Furth alljährlich am Sonntage<br />
nach dem Frohnleichnamsfeste abgehalten wird, verdankt seinen Ursprung wahrscheinlich<br />
einer jener Lindwurmsagen, die ehedem fast in allen Gebirgsländern unter dem Volke<br />
verbreitet waren.<br />
Das Schauspiel, das zum Nutzen der Wirte, Bäcker und Metzger immer sehr viele<br />
Zuschauer aus der Umgegend, namentlich aus Böhmen, herbeizieht, geht in den ersten<br />
Nach<strong>mit</strong>tagsstunden des genannten Tages auf dem Stadtplatze vor sich. <strong>Die</strong> auftretenden<br />
Personen sind: Ein Rittersmann zu Pferd, in Harnisch, Blechhaube und Kanonenstiefeln,<br />
umgeben von einer Schar Trabanten; dann eine Königstochter aus unbekanntem Lande,<br />
welche zum Zeichen ihres hohen Standes ein Goldkrönlein auf dem Haupte trägt und <strong>mit</strong> so<br />
viel Silberschnüren und Schaumünzen behängt ist, als man nur immer auftreiben kann. Eine<br />
Ehrendame, „die Nachtreterin“ genannt, begleitet die Prinzessin und trägt auf einem Teller<br />
den für den Ritter bestimmten Ehrenkranz. Dazu kommen noch Edelfräuleins, Ritter und<br />
Knappen, welche vor dem Drachenstiche zu Wagen und Pferd, an der Spitze eine altertümlich<br />
gekleidete Musikbande, durch die Straßen der Stadt ziehen.<br />
<strong>Die</strong> Prinzessin nimmt dann auf einer erhabenen Bühne Platz. Ihr gegenüber stellt sich in<br />
einiger Entfernung der Drache auf, ein greuliches Monstrum, dicken, ungestalten Leibes;<br />
näher beschaut freilich nur ein Holzgerippe, <strong>mit</strong> bemalter Leinwand überzogen und von zwei<br />
im Innern verborgenen Männern bewegt.<br />
Ein dichter Menschenknäuel sammelt sich jedesmal um diese abenteuerliche Erscheinung,<br />
und dann macht sich der Drache bisweilen den Spaß, <strong>mit</strong> aufgesperrtem Rachen unter die<br />
Menge zu rennen, die eilig zurückweicht und dabei in possierlicher Weise<br />
übereinanderpurzelt. Der Hauptspaß aber ist, wenn es dem Ungeheuer gelingt, eine Böhmin in<br />
dem Haufen zu packen und ihr <strong>mit</strong> den Zähnen die breite Tellerhaube vom Kopfe zu reißen.<br />
<strong>Die</strong>ser Coup erregt unausbleiblich ein echt homerisches Gelächter, aus tausend Kehlen<br />
erschallend.<br />
Inzwischen sprengt der Ritter zur Prinzessin heran und es entspinnt sich zwischen beiden<br />
nachfolgender Dialog in altväterischen Knittelversen:<br />
Ritter.<br />
Grüß Gott, grüß Gott, ihr königliche Tochter mein!<br />
Was macht ihr hier auf diesem harten Stein?<br />
Mich dünkt’s, ihr seid ganz trauervoll,<br />
<strong>Die</strong> Sach’, die Sach’ steht nicht gar wohl.<br />
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