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Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1

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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />

schon seit Jahren ihr Lieblingswunsch, daß die beiden, welche das Schicksal bereits in<br />

mehrfacher Weise nahe gebracht, <strong>mit</strong> der Zeit ein Pärchen würden, aber noch war es für das<br />

sechzehnjährige Mädchen zu früh, die Jugendfreundschaft zu Sepp in ein anderes Stadium<br />

treten zu lassen. Deshalb sollte das Mädchen auf ein Jahr fort. Sie sollte in andere<br />

Verhältnisse eintreten und nach den Einwirkungen des Lebens sich und andere zu beurteilen<br />

befähigt sehen; sie sollte die Schule des Lebens besuchen, die einzige, welche den Menschen<br />

zur wahren Erkenntnis bringt und zum Prüfstein seiner Tugenden wird. Kam es der Alten<br />

auch schwer an, sich von ihrem Liebsten zu trennen, wo es dessen Glück galt, war ihr das<br />

schwerste Opfer leicht. Bewährte sich andererseits die Neigung Sepps zu Waberl auch<br />

während dieser kurzen Zeit der Trennung, so war dies ein Beweis von der Lauterkeit seiner<br />

Gesinnungen. Das zu bezwecken, war heute die Alte nach Neumarkt zu Pauline gewandert,<br />

deren gerade auf Besuch anwesendes Bäschen aus München die beste Gelegenheit bot, die<br />

Sache sofort in Ausführung zu bringen.<br />

Es fing schon zu dämmern, als es die beiden Damen an der Zeit fanden, das improvisierte<br />

Maifest zu beenden, und sich von der Alten verabschiedeten. Waberl begleitete sie bis in den<br />

Marktflecken hinüber, wo der Wagen zur Rückfahrt nach Neumarkt bereit stand. Sepp blieb,<br />

nachdem ihm die Damen und Waberl herzlich gedankt, noch eine Weile bei der Großmutter.<br />

Es lag ihm etwas auf dem Herzen, was er gern ausgesprochen hätte, aber nicht wußte, wie<br />

da<strong>mit</strong> zu beginnen.<br />

<strong>Die</strong> Alte bemerkte dies wohl, war aber froh, daß unausgesprochen blieb, was im Innern des<br />

jungen Mannes vor sich ging. Als er ihr die Hand reichte, gewahrte sie, daß sein Auge feucht<br />

und sein Inneres bewegt war. Langsamen Schrittes schlug er den Weg nach seinem Städtchen<br />

ein. Es hatte ihn eine tiefe Wehmut befallen. Nicht der zu befürchtende Verlust von Haus und<br />

Hof, ein anderer Verlust beängstigte ihn und machte sein Herz zum ersten Male erbeben.<br />

Waberl brachte die nächsten acht Tage fast nur in Neumarkt zu, um Paulinens Aussteuer<br />

vollenden zu helfen. Arbeitete Waberl fleißig an dieser, so wirkte Pauline hinwieder auf des<br />

Mädchens Geist und Gemüt und brachte ihm in ungesuchter Weise Grundsätze für das Leben<br />

bei, die sich tief hineinschrieben, in das für alles Gute empfängliche Herz.<br />

„Zeige dich, wie du bist!“ sagte sie. „Zwar wenige werden dich verstehen, weil dich die<br />

meisten nicht so nehmen, wie du dich zeigst; aber was liegt daran. Es is das Erbärmliche in<br />

der Welt, daß die meisten Menschen anders handeln, als sie denken, und alles von sich selbst<br />

abnehmend, aus ihrer Kleinlichkeit sich nicht hinauszudenken vermögen in die einfache und<br />

natürliche Größe eines anderen, dessen Vernunft klar und dessen Herz stark ist.“<br />

„Lasse dir das Wissen in betreff der Tugend nicht genügen, du mußt sie besitzen und sie<br />

üben, um glücklich zu werden. Eigne dir die Willenskraft an, der Vernunft in allen Dingen die<br />

Oberherrschaft und alle Leidenschaften unter ihrer Kontrolle stehen zu lassen.“<br />

„Sei fleißig, fromm – hab’ frohen Mut – dann geht es dir zeitlebens gut!“<br />

So schloß Pauline jedesmal ihre Ermahnungen, die sie aus ihrem eigenen Herzen schöpfte.<br />

Am festgesetzten Tage reichte sie ihre Hand dem Verlobten und dieser empfing da<strong>mit</strong> ein<br />

beneidenswertes Glück.<br />

Gleich nach der Trauung reiste das junge Ehepaar ab in Paulinens künftige Heimat. Waberl<br />

fiel der Abschied von ihr unendlich schwer. Ihr verdankte sie ja so viel!<br />

„Wie kann i Ihna jemals vergelten,“ fragte sie.<br />

„Daß du deinem Herzen treu bleibst, so wie es jetzt ist; dann lebe ich ja auch darin ud in der<br />

Ferne wird es mir wohl thun, zu wissen, daß jemand <strong>mit</strong> aufrichtiger, schwesterlicher Liebe<br />

meiner gedenkt.“<br />

Wenige Tage nach Paulinens Abreise reiste Waberl <strong>mit</strong> deren Bäschen nach München ab.<br />

So sehr sie auch anfangs über die Reise entzückt war, so schmerzlich wurde ihr jetzt die<br />

Trennung von ihrer Großmutter. Sie legte die Teure dem böhmischen Mädchen, das seinen<br />

<strong>Die</strong>nst angetreten, ans Herz und ließ sie schwören, daß es sogleich schreibe, wenn der Alten<br />

etwas zustoßen würde.<br />

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