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Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1

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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />

Waberl blickte diesmal öfter und länger nach all den Blüten, denn jemals früher. Ihr kam ja<br />

alles so ganz anders vor! <strong>Die</strong> Blüten waren so schön, wie niemals sonst; ihr Duft war nie so<br />

lieblich, die Frühlingssonne war nie so warm, der Himmel nie so blau, die ganze Welt noch<br />

nie so schön gewesen, wie jetzt! Aber auch Waberl war noch nie so schön, wie eben jetzt. In<br />

ihren großen, dunklen Augen lag jenes unbeschreibliche Etwas, das wir so gern erfassen<br />

möchten, das so wunderbar hineindringt in die Tiefe unseres Herzens. Das Wort Unschuld<br />

mag diesem Etwas am nächsten kommen, aber nicht in jedem unschuldvollen Auge glänzt<br />

jener wunderbare Himmelsstrahl. Ueppiges, kastanienbraunes Haar faßte ihr schönes Gesicht<br />

ein, dessen freundliche Züge von liebreizendem Ausdruck waren. Ihr Körper war ein<br />

prächtiger Bau der Schöpfung und ihre Seele war schön und gut.<br />

„Der Mai ist da!“ sangen die Vögelein immer lauter und flogen nahe ans Fenster, um das<br />

Mädchen aufzusingen von ihrem friedlichen Schlummer.<br />

Waberl folgte endlich dem Rufen und das erste, worauf ihr Blick fiel, als sie durch das<br />

kleine geöffnete Fenster ihr Morgengebet beten wollte, war ein wunderschöner Maibaum, der<br />

<strong>mit</strong>ten im Gärtchen stand, <strong>mit</strong> Kränzen und Bändern reich geziert.<br />

„Ahnl, mir is a Maibaum g’setzt worn!“ rief sie jubelnd aus, und kaum nahm sie sich die<br />

gehörige Zeit zum Ankleiden, um hinauszueilen und in der Nähe den prächtig geputzten<br />

Baum zu betrachten. Das war eine Freude! Es war der erste Maibaum, den sie erhalten, und<br />

gern hätte sie voller Lust wie ein Kind um denselben herumspringen mögen. Jedes Mädchen<br />

findet eine große Auszeichnung darin, wenn am Morgen des ersten Mai ein solcher Baum vor<br />

seinem Hause hingepflanzt ist, wodurch der Bua seinem Deandl eine öffentliche<br />

Auszeichnung zu teil werden läßt.<br />

„Von wem kann er nur sein?“ fragte sich Waberl; aber die Frage beantwortete ihr Herz<br />

schon beim ersten Worte. Er hatte sich zwar seit jenem unfreundlichen Abschiede nicht mehr<br />

sehen lassen, aber Waberl wußte, daß er seit zwei Tagen wieder von seiner Fahrt<br />

zurückgekehrt war, und wer sollte ihr denn sonst einen Maibaum setzen, als ihr einziger – ihr<br />

Jugendfreund Sepp?“<br />

Als sie am Nach<strong>mit</strong>tage sinnend vor den blühenden Bäumen und dem Maibaume stand,<br />

hörte sie hinter sich den freundlichen und langentbehrten Gruß des Mirtl-Sepp. Freudig<br />

wandte sie sich um und bewillkommte den jungen Mann <strong>mit</strong> aller Herzlichkeit. – Sepp sah<br />

das Mädchen eine Weile schweigend an. Er fühlte, daß dies nicht mehr das Waberl von früher<br />

sei, und es regte sich in ihm ein gewisser Respekt, dessen er sich nicht erwehren konnte. Er<br />

erinnerte sich jetzt <strong>mit</strong> um so größerem Mißvergnügen an seinen letzten Abschied, und dem<br />

Mädchen in die großen schönen Augen blickend, sagte er: „Tragst mir’s nach, Waberl, daß i<br />

’s letzte Mal <strong>mit</strong> dir so abscheuli war? I komm halt dieweil in die Fuhrmannsmanieren, aber<br />

es reut mi immer gleich, und Waberl, gelt, du bist mir nöt bös!“<br />

„Wüßt’ nöt, warum i dir bös sein sollt, Sepp. Und wär i’s gwen, du hätt’st es verstanden, mi<br />

wieder guat z’ machen <strong>mit</strong> dem prachtvollen Maibaum.“<br />

Sepp stellte zwar in Abrede, daß er von ihm sei, aber das Mädchen war fest davon<br />

überzeugt.<br />

„Is dei’ Ahnl im Haus drin?“ fragte jetzt Sepp.<br />

„Sie is gar nöt z’ Haus. Um Mittag is ihr gaachs eing’fall’n, sie müßt nach Neumarkt und da<br />

is’s denn eini, ohne mi <strong>mit</strong>z’nehmen.“<br />

„Is’s eini ganga?“<br />

„Freili. D’ Ahnl is 75 Jahr alt, aber sie marschiert <strong>mit</strong> Leichtigkeit drei oder vier Stunden.<br />

Hoamwärts wird ’s aber wohl a Fuhrwerk nehmen.“<br />

„Warum hat’s di denn nöt <strong>mit</strong>g’nommen?“ fragte Sepp.<br />

„Kann mir’s scho’ denken, warum,“ erwiderte Waberl. „D’ Ahnl möcht mir zu mein’<br />

Geburtstag, der in vier Wochen am 1. Juni is, an’ Ueberraschung macha und da wird sie sie<br />

alloa’ <strong>mit</strong> der Fräul’n Pauline besprech’n woll’n. D’ Ahnl is ja so guat, und um ihr die Freud’<br />

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