Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1
Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1
Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />
dem Mädchen auf der Mundharmonika etwas vor, die er meisterlich blies, oder begleitete<br />
da<strong>mit</strong> die Lieder Waberls. Oft fragte er dann neckend: „Waberl, was muß einmal dei’<br />
Verlobter sein?“<br />
„A Ritter muß’s sein!“ antwortete dann immer lachend das Mädchen, „aber wahrscheinli<br />
wird’s nur a lebzelterner wern!“<br />
Gegen Pfingsten ging Sepp wieder auf die Reise. Waberl konnte sich der Thränen nicht<br />
erwehren, als ihr der Freund die Hand zum Abschiede reichte. Sie hatte Sehnsucht nach ihm,<br />
als er fort war, doch sie verging bald wieder.<br />
Waberl ging wöchentlich auf einige Tage nach Neumarkt, wo sich Pauline alle Mühe <strong>mit</strong> ihr<br />
gab. Sie lehrte sie seine Näharbeiten und Sticken, und Waberl war sehr gelehrig. Ihre erste<br />
Stickerei war ein Hosenträger für Sepp. <strong>Die</strong>ser kam jetzt häufiger. Waberl verfolgte seine<br />
Fahrten immer auf der Landkarte und erriet es meistens auf den Tag, wann er zurückkehrte.<br />
Und außer der Landkarte, in deren Kenntnis sie manchen Gymnasiasten beschämt hätte, sagte<br />
ihr jedes Mal eine innere Stimme, wann der Tag der Wiederkehr gekommen. Dann konnte sie<br />
oft nicht umhin, Sepp entgegenzugehen, und auf dem Felsen, wo die Kleine damals Sepp so<br />
sehnlich erwartet, stand sie oft und blickte hinaus auf die Landstraße, das Fuhrwerk<br />
erwartend, dem sie dann immer <strong>mit</strong> kindischer Freude entgegeneilte. Den Pferden brachte sie<br />
jedes Mal Zucker <strong>mit</strong>, und die Tiere wieherten ihr froh entgegen. Sepp aber nannte sie „sein<br />
treu’s kloans Deandl!“<br />
Aber Waberl blieb nicht immer klein. Sie entwickelte sich zusehends und als sie zu ihrem<br />
Namenstage von Pauline ein langes Kleid zum Geschenk erhielt, das sie gegen ihr bis jetzt<br />
kurzes Röckchen zu vertauschen hatte, war auf einmal aus dem Kinde eine angehende<br />
Jungfrau geworden.<br />
<strong>Die</strong> Rockenstuben wurden gleich den Vorjahren auch heuer fleißig in Nandls Häuschen<br />
abgehalten. Märchen, Sagen und Spukgeschichten, woran der Bayerwald so reich ist, Rätsel<br />
und Gesänge ergötzten wieder die fleißigen Spinnerinnen. Als die Rauhnächte herankamen,<br />
wurde Blei gegossen, Semmelgebissen und Schuh geworfen, denn die nun ein Jahr älter<br />
gewordenen Mädchen hielten sich bereits berechtigt, eine Frage an das Schicksal zu stellen.<br />
Als die Christtage wieder nahe und das Balsen-Annamirl ihre Freundin aufforderte, das<br />
vorjährig vereitelte Christkindlansingen diesmal nachzuholen, lächelte Waberl und meinte, sie<br />
wäre jetzt schon zu groß und zu alt dazu, stellte aber Annamirl gerne ihre Wiege zur<br />
Verfügung.<br />
So war in dem Wesen des Mädchens eine Veränderung eingetreten; nur seine Neigung zum<br />
Mirtl-Sepp blieb immer die gleiche. Fast jedes Mal erwartete es ihn an dem Teufels-Felsen,<br />
ging neben ihm bis zu den ersten Häusern der kleinen Stadt und eilte dann vergnügt in sein<br />
Dörfchen zurück. Den Leuten fiel dieses Entgegengehen auf; sie lächelten darüber und<br />
nannten Waberl bald: „Das Käthchen von Heilbronn,“ was diese gleichmütig hinnahm.<br />
<strong>Die</strong> alte Nandl sah in dem Mädchen immer noch „das kleine Waberl.“ Bei dem<br />
ununterbrochenen Zusammenleben entging der Alten die mehr und mehr zunehmende<br />
Entwicklung ihrer Enkelin. In der Freundschaft zu Sepp hatte sie nur die natürliche Folge des<br />
früheren Beisammenseins im Mirtlschen Hause erblickt, durch die Ereignisse jener Nacht nur<br />
noch gesteigert. Wie es so oft zu geschehen pflegt, übersehen die Nächsten, was Entfernteren<br />
augenfällig ist. So hatte sich auch die kluge Nandl etwas verguckt, und erst durch den<br />
Spitznamen, den die Nachbarn ihrem Mädchen gaben, erkannte sie plötzlich, daß Waberl ihr<br />
Herz entdeckt.<br />
Sie hatte die Jugendfreundschaft zwischen Sepp und Waberl zu lange in ihrer Herzenseinfalt<br />
gewähren lassen. Wie aber abzuhelfen? Dem Mädchen geradewegs die Zusammenkünfte zu<br />
verwehren, wäre nicht klug gewesen. Sie sann lange hin und her, wie sie es anfangen sollte,<br />
Waberl das ihrem Alter Schickliche beizubringen. Mit einem Verbote wäre zu viel gethan! Es<br />
wäre da<strong>mit</strong> ein Abschnitt im Leben des Mädchens herbeigeführt worden, den die Alte gern<br />
von selbst wollte herankommen lassen. Während sie noch hin und her erwog, wie sie es am<br />
36